Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, October 20, 1905, Sweiter Theil., Image 14

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    Die Spielgefährten
Roman von V. wiesem
(7. Fortsessung.)
Elbe hat mir erzählt, welche
Wünsche sie beiderseitig hegen, und
was mich betrifft —obek bitte, neh
men Sie Platz, Herr von Waözczews
si; mein Mann wird sogleich hier sein,
ich habe ihn benachtichtigen lassen.
Wie waren. ich gestehe es offen, im
ersten Augenblick außerordentlich über
rascht als wir von Ihrer Neigung zu
Alice hörten. Das ist so schnell, so
unvermutbet gekommen . . .'«
»Wie die Liebe gemeinhin über uns
Menschen zu kommen vflegt,« entgeg
nete Wasil mit einem Lächeln, für des
sen stivole Färbung der korrekten
sättigt glücklicherweise das Versiändniß
e e.
Sie warf even einen erzurnten Blick
auf Dittmer, der im abgenutztem grau
leinenen Wirthschaftsrock, mit Intuit
tertem Hemdtraaen und bestäubten
Stiefeln ins Zimmer trat. Schrecklich
——det Mann hatte wahrhaftig nicht
einmal daran gedacht, sich umzuziehen,
ehe er den künftigen vornehmen
Schwiegerfohn begrüßte
Wasil erhob sich sofort, und ohne die
wenig präsentable Toilette des Haus
herrn anscheinend zu bemerken, ging
er lebhaft auf ihn zu.
«Jhre Frau Gemahlin, Herr Ditt
mer, bat mir eben den gewiß berechtig
ten Vorwurf gemacht. daß ich zu plötz
lich, zu unaeftüm mit meinen Herzens
tviinichen vor Sie hintrete. Jch be
greife. es ist anmaßend. Sie kennen
mich noch nicht, und ich will Sie um
die Hand Ihrer Tochter bitten.«
Dittmer wußte nicht, wie er sich
verhalten sollte.
»Ja, ja, dieLifel bat’s uns erzählt,«
tmnelte er, »aber sie sift doch noch sehr
tril- Jch — entfchuldigen Sie schon,
rr von Waszczewsti. ich —« er
richte nach passenden Worten, stot
terte, sah ängstlich seine Frau an und
ließ den Satz unvollendet
.Gilt der Vorbehalt, mit dem Sie
meine Werbuna ausnehmen, meiner
Busoni« fragte Wasil. Ein Anslug
von Hochmuth lag in dem Ton.
»Wie können Sie so etwas denken,«
beeilte sich Frau Marie zu versichern
und wars ihrem Mann einen gereizten
Blick zu, »der ehrenvolle Antrag ftir
unser Kind erfreut uns sehr.«
.Da ich das Glück habe, Fräulein
Alides erguna zu besihen.« unterbrach
Musik «di1rfte in erster Reihe zu mei
nen Gunsten sprechen. Jm übrigen
liegen meine Verhältnisse klar aus der
Hund« wendete er sich von neuern an
Dittmer, »Dob·rawitz ist ein Gut, wel
ches. wenn auch augenblicklich durch
fremde, unaeeianete Verwaltung etwas
vernachlässigt, bei rationeller Bewirth:
schaffuna unter meiner Persönlichen
Leitung binnen kurzem noch bedeutend
im Werthe steiae wird.«
»Das läßt sich denken,'« stimmte
Frau Marie eisria bei.
»Ich bin unabhängig: Namen und
Stellung, die ich Jhrer Tochter biete«
Am offenen Fenster tauchte eben ein
heller Mädchentopf auf. Schiichtern
und neuaieria zugleich spähten zwei
Zärtliche Blauauaen ins Zimmer hin
ein. Lich war die Zeit in ihrem Ver
steck zu lang geworden. ,,Wo bin ich?"
—Mit tosendem Lachen wirft sie eine
standl voll rather Weinbliitter nach
»Aber Alicel — Nein, solch ein Un
band!« Diesmal war der mütterliche
Bertveis nicht ernst gemeint. Sich an
den Gatten wendend: ,,Besvrich später
mit Herrn von Waszczewsti. was ihr
siir nöthia haltet, in Deinem Zimmer,
Heinrich. Jetzt, denke ich, wollen wir
ihm nur sagen, daß er uns ein hoch
witltommener Solm ist«
Sie streckte dem Hochwillkommenen
mit Ziehenswiirdiger Vertraulichkeit
die Hand bin, und Wasil Zoa die küh
len Ringes an feine Lippen. Die
Nichte der Gräfin Wenak verdiente
einige Rücksicht Dann schüttelte er
Dittmers Rechte herzhaft und bieder
männisch.
«Tausend Dank, Sie machen mich
unendlich alücklich. ———Alice, mein ge
liebtes Mädchen —«
Er eilte hinaus, der neckenden
Stimme nach.
Die Eltern blieben allein im Zim
mer. Frau Dittmet hob bedächtig die
versteeuten Weinblätter auf. Sie war
befriedigt wie noch nie im Leben.
»Endlich doch mal ein Glück!«Nun,
heinrich, was sagst Du?« Der hatte
sein großes, blaugewürfeltes Taschen
tuch vorgezogen. Er nickte, ohne zu
antworten Die Augen standen ihm
vollWusseL
II III I
»Zum-i - falleta, ju-wi - fallera!«
klang es laut durch die Berge. Ein
Trupp Tour-isten, junge Männer in
leichten Röcken, das Ränzel auf dem
Rücken, den Stock in der hand, mar
schirte durchs Bodethal. Studenten»
tätig-äu nicht sein, dasu machte die
, « einen zu rei en, ietti en;
Mc g
Die wunderbare Schönheit der
» Mdschafi in der seiten Beleuch
W des Deedsttaget mochte ihre
IÆZ MUS- si·« ps«
to « e n
, z da alten Sang anstimet-an
Mist Man alt Ne
Begleiter rauscht die Bode in lustigen,
trauer Sptngen über das Steinge
töll. Zur andern Seite steigt die
steile, vielzackige Felswand empor,
deren tannengekrönte Gipfel dieAbend
fonne vergoldet.
«Donnerwetter, hier ist wirklich ne
nette Jegendt« sagte einer der jungen
Leute« ein tleiner Blonder mit Dop
peltinnanfatz, den der Dialett sofort
als Berliner kennzeichnet. Er schiebt
den Strohhut in den Nacken und
bleibt pustend stehen. »Wir woll’n
uns die Sache doch mal erft ’n bislen
ansehen; wozu immer sjleich weiter
jondeln?«
mWenn Lehmann es mit der Natur
schwärmerei kriegt, ist er müde und
will nicht mehr marschiren. Kennen
wir längst!« entgegnete ein anderer,
dessen Pedale lebhaft an Siebenmei
lenstiefel erinnern.
»Wäre es überhaupt zu verwun
dern?'« vertheidigte sich der Dicke.
»Von Morgens früh um sechs is man
uf de Beme. Erst die Roßtrappe ruf
getravpt, dann acht Kilometer bis
Tresehurg.'«
»Vier!«· verbesserten die anderens
»Gal, et war ne verdammte Ecke;
mir lief der Schweiß man so vons
Gesichte. ’n Jammer um det edle
Raszl«
»Sei doch froh, sparft die Entset
tungslur.«
»Und der Durst!« seufzte Leh
mann. Nächsten-Z trinke ich aus Ber
zweiflung Bodewafser und rede mir
ein, es sei ’ne Weiße.«
»Komm nur noch einpaar Schritte
weiter,« ermuthigte ein dritter, in des
fen männlich ausdruckvollen Gesichts
zgen wir unsern alten Bekannten
Fritz Bruni launr wiedererlennen.
»Ehe Schenke muß, dem Plan zufolge,
hier ganz in der Nähe sein.«
»Fritze, Menschensiind, Du bist doch
wirklich der einzige, der Gemüth hat!
Na also, denn man zu, ehe meine;
Zunge verdorrt und ich verschmachtr. « I
Nicht lange darauf war die lustige
Gesellschaft am ,,«Waldiater ange
langt.
,,Fiinf Glas Bier vorläufig,« rief ;
der Durstige, »aber dalli, dallil Wol
len wir hier an diesen Tifch2« i
»Ja wohl, ausgezeichnet « l
Man setzte sich, und das Verlangtei
wurde gebracht.
,,Kinder, reifen ist wirklich ’ne
schöne Sache,« versicherte der kleine
Berliner fest sehr befriedigt, trank
sein Glas auf einen Zug aus und
streckte die Beine behaglich von sich.
Einer der jungen Leute zog sein
Crayon vor und drückte den Kneiferl
auf die Nase. »Mir bringen Sie ’ne·
Ansichtstarte, Kellner."
»Schon wieder eine?'« hieß es.
»Wahrhaftig, schon die sechste, die der
Hegemann heute losläßi. Es kann1
gar nicht anders fein, entweder hat er
eine Braut oder eine Erhtante.«
»Weder, noch,« versicherte hege
mann. »Aber ich pflege alle Brief
schulden des Jahres auf der Sommer
reise, und dann in dieser angenehmen
Weise zu erledigen. Ansichtsiarten
find eine außerordentliche praktische
und segensreiche Einrichtung«
,,Gewiß,« stimmte Fritz Brunl la
chend bei; hatte er doch selbst heute
früh ein buntes Kärtchen an Vater und
Mutter abgeschickt, damit sie wenigstens
im Bilde die herrliche Gegend bewun
dern konnten, welche der Sohn — die
Gerichts-fetten benutzend —- rnit eini
gen Kollegen in froher Wanderlust
durchstreiste. »Aber im allgemeinen
ist mir ein richtiger Brief doch lieber,
besonders von Menschen, die mir nahe
stehen. Heute Abend im Thale hosse
ich solche Epistel von Hause vorzusin
den und freue mich schon jekt dar
auf«
«Prost, Feine ich tomm’ Dir einst«
lappernd ließ der kleine Dicke den
Deckel auf das abermals geleerte Sei
del fallen. »Bist wohl lange nicht
mehr bei Muttern gewesen, wie?«
Fritz Brunl sann einen Moment
nach. »Zwei Jahre werden es jetzt
her sein. Aber diesen Spätherbst, so-«
bald ich meinen Doktor gemacht habe,
l
·
!
will ich ganz bestimmt mal wieder nach -
hause.«
»Prost aus den Doktor! Kellner,
noch ’n Schnitt.« Der siaete Berliner
ergriff, wie er selbst versicherte, gerne
jede Gelegenheit, das Glas zu ergrei
sen.
Dann wurde noch viel hin und wi
der, geredet, über Examenarbeiten,
Fachinteressen nnd Ausstellungsaus
siebten. Die jungen Leute waren ohne
Ausnahme Juristen; brei von ihnen
eingehende Rechtsanwiille, der kleine
Berliner bemithte sich mn einen Posten
bei der Bank, während Fritz Brnnl die
RiMrqun einschlagen wollte
Endlich rüstete man sich zum Aus
kriech. Die Zeche wurde bezahlt, der
ZMCI Aber die Schulter gehängt
De- tletne wann steckte in Erman
M einer elle ein Weit ts
Knppsloch; denn Erobeeungen zn mais
chen war er immer nnd iiberall bereit.
Die derben Wanderstiieie klapperten
wieder taktnriißig auf dem barten
Erdboden, bin und wieder wurde einer
zu übermitthtger Krastprobe gegen die
Felswand gestoßen. von der dann
wohl ein wenig kleines Schieferstiiek
chen abbröckeite und über den Weg
rollte.
Der freundliche Gebirgsort Thale
lag schon im Abendschatten, als die
Wandernden anlangten.« Jn den klei
nen. rothgedeckten Arbeiterhkiuserm
die zu beiden Seiten der schmalen
Dorfgasse sich bis dicht an die Fabri
ten hinziehen, blitzte sehr vereinzelt ein
Lichtschein hinter den niedrigen Fen
stern. Die vom Tagewerk Ermüdeten
hatten sich wohl schon zur Ruhe bege
ben. Nur in den großen, nahe dem
Babnbof gelegenen Hotelg saßen auf
der hellerleuchteten, blumengeschmiick
ten Veranda die Gäste noch beim
Abendessen. Teller tlapperten, Kell
ner liefen geschäftig ab und zu. Es
war ein Bild fröhlichen, sorglosen Le
bensgenusses.
Die jungen Fußwanderer suchten
sich ein bescheideneres Quartier. und
nachdem es gefunden, begab sich Fritz
zur Post, um nach etwa siir ihn ange
tommenen Briesen zu fragen. »
Da war zuerst eine Karte der Tante. «
Unter die Gasflamme des Hausslurs
iretend, las er: ,,Lieber Frist Jch
wollte Dir bloß benachrichtigen, daß
Du auf Deine Reise nicht zu knapp:
Leben sollst. Wenn mit Dein Erspar- i
tes Gelt nicht Satt wirst dann schreibe !
mich das und dann schick ich Dir mehr. J
Deine treue Tante Henriette Blau.;
Bäckermeisterswittwe.« F
Die gute, brave Frau, immer sorgte 4
sie sich um sein materielles Wohls
Das andere Schreiben war von Hause.
Fritz kannte das grob zusammengesch
tete Papier mit dem schwarzbraunen,
den Abdruck eines Fingerhutes zeigen
den Siegel. ·
Der Abend war wundervoll. Fritz
mochte noch nicht in das Zimmer ge
ben oder nach der Kneipe, wo die Ka
meraden jeyt wahrscheinlich schwatzend
beisammen saßen.
Draußen in den Anlagen war es
noch ziemlich hell, er setzte sich auf eine
Bank und zog den Brief aus der
Tasche. .
Tanninten. —- Ein eigenthiimlich
weiches Gefbl beschlich den jungen
Mann, sobald er der lange nicht ge
sehenen Heimath gedachte. Das tleine,
weißgetiinchte Kämmererhaus — der
schilsbewachsene Dorftetch —- der ver
wilderte Gutsgarten —- wie oft lam
ihm dk Erinnerung daran und an
kindische, naive Spiele. Mitten in
ernster, angestrengter Berusgtbätigteit,
mitten beim nächtlichen Studiren um
gautelten Bilder aus der Kinderzeit
wie ein lustiger Traum seine Sinne·
Aber was schrieb denn die Mutter?
Er entsaltete den Brief·
»Mein lieber Fris!
Es hat Vater und mich sehr ge
freut, aus Dein liebes Schreiben zu
hören,-daß es Dir gut geht. Und wir
danken auch fiir die schönenPosttarten,
die Du geschickt hast. Wir find auch
so weit ganz gesund, nur die Ernte
nicht zum besten, weil tein Regen tam,
erst bei der Kornauft, und konnte das
Getreide nicht ordentlich ausgreifen.
Blos unser bischen Heu fiir die Kuh
kriegten wir trocken rein, und Vater
meint, es ist reichlich, daß wir noch
paar Zentner werden verlaufen tön
nen. -
Von unsere herrschaft ist eine große
Neuigkeit zu vermelden, nämlich die
Alicchen hat sich vorigte Woche berlobt,
mit dem Baron aus Dobrawitz. Jch
hab ihn letzthin gesehen, er ist ein
hübscher here mit pechschwarzem Au
gen und sorschen Schnurrbart. Unsere
Gnädige thut nun noch mal so stolz
wir vordem, kannst Dir wohl denken,
und die Lischen geht immer rnit ein
Gesicht rurn wie ehemals arn Tag vor
Weihnachten. Es kann sein, die hoch
zeit ist noch dies Jahr.
Blos unser alter guter Herr, da m
nicht mehr viel mit los. Er über
nimmt sich zu doll bei der Arbeit, und
nachher kann er nicht weiter, er sieht
jämmerlich aus-. —- Und schreib auch
lieber Fritz, ob Dir nöthig thut, zum
Winter die Strümpf anzustricken, jetzt
nach Feierabend hätte ich Zeit. Jch
und Vater grüßen Dich vielmals und
verbleibe Deine treue Mutter.«
Fritz faltete das Briefblatt mecha
nisch zusammen. Er hatte nur zwei
Worte verstanden, zwei Worte, die
ihn durchzuckten wie ein elektrischer
Schlag. —- Alice —- verlobt. —— Die
kleine, wilde, blondzöpfige Spielge
fähttin, die unzertrennliche Genossin
seiner Kindheit war Braut. Kam er
diesmal nach Tanninlen, fand er sies
vielleicht gar nicht mehr dort. --— Jetzt «
plöhlich wurde sich Fritz bewußt, wa
rum das Andenken an die schlichte
heimath stets dies zärtliche sehnsüch
Ttige Gefühl in seinem herzen wach
rief. An Lieh hatte ee gedacht. Jhr
Bild hatte ihn immer und immer be
gleitet, hatte des Knaben Ehrgeiz ge
spoint, des Jünglingö Pfad behütet;
heimlich, ihm selbst kaum bewußt,
war es der Leitstern seines Lebend ge
wesen.
Vorbei der schöne, närrische Traum,
der ihn bisweilen umfangen —- die
blauen Augen lachten fest einein an
itieris, mit ihm ging sie durch die ver
Iwilderten Gartenwege, zeigte ihm viel
leicht im Scher die verlassenrn Kin
derspielpliitzr. Der andere durfte den
Arm um ihren Nacken legen. und ihr
Gesicht strahlte glücklich dabei »wir
am Tage vor Weihnachten«.
. Fritz schloß die Augen« ein dum
pfes Stöhnen rang sich aus feiner
Brust
·«Der lehte helle Schimmer war. am
himmel erloschen, es wehte liihl durch
das Laub der Bäume. Wie eine
schwarze Mauer umschlossen die tan
nenbewachfenen Berge das Thal. Kein
Stern war zu sehen, nur drüben, hoch
oben auf dem hexentanzplatz, leuch
tete ein einsames Licht.
Fritz durchrann ein Frösteln, aber
er dachte nicht daran, heimzugehrn.
Für ihn war eben das Sonnenlicht
erster hoffnungsfroher Jugendträume
erloschen, und er brauchte Zeit, sich an
das Dunkel zu gewöhnen.
sit I J
Zwei Jahre sind vergangen. Es ist
Spätherbst, der Winter vor der Thür.
Zwischen den schwarzen Ackerfurchen
auf den Feldern liegt der erste Schnee,
und das Schmutzwasser, das während
der langen Regenzeit lleine Pfützen
aus dem Hof gebildet hat, zeigt eine
dünne Eintruste.
Jn Tanninlen stehen die Thorflibl
gel der großen Scheune weit offen,
die Dreschmaschine ist in vollem
Gange. Auf der Diele sauft nnd klap
pert das Hammerwert. Draußen
dreht« sich die eiserne KurbeL der
Knecht siht auf hohem, dreibeinigem
Schemel, die Pferde mit lautem hiit
und Peitschenlnallen unaufhörlich im
Kreise herumtreibend. Ein eisiger
Zugwind fegt iiber die Tenne, die
Luft ist von feinem Spreuftaub er
füllt. Frauen und Mägde, die be
schäftigt sind, den nimmersatten Ra
chen der Maschine mit Getreidegarben
zu ftopfen, haben große Tücher um
den Kopf gebunden. Gesicht und Au
genbrauen sehen aus, als wären sie mit
grauem Mehl besträubt.
Jn seinem abgenutzten Wirthschafts
wel, den blauen Wollschal um den
Hals gewickelt, steht der alte Dittmer
und til-erwacht die Arbeit. Sein spär
liches, graublondes Haar, das an den
Schlaer unter der alten Schirmmiitze
hervortommt, flattert in der Zugluft.
Ab und zu ruft er den Leuten kurze
Befehle zu, die er, bei dem Lärm, den
die Maschine verursacht, oft zwei- bis
dreimal wiederholen muß, ehe sie
verstanden werden. Die Stimme des
alten Mannes hat gegen früher sehr
an Kraft verloren, auch feine Haltung
ist nicht mehr so stramm, und auf dem
Gesicht liegt ein müder, gequälter
Ausdruck
Jest wendet sich Dittmer an den
Minimum der zugleich Vorarbeiter
ist:
»Was meint Jhr, Brunt, wieviel
Scheffel dreschen wir?«
Der zuckt die Achseln. »Läßt sich
schwer taxiren, gnäd'ger Herr. Schut
ten schüttet das Getreide ja nicht allzu
schlecht, man blos mit das Gewicht
wird nicht viel los sein-«
»Das fürchte ich auch.'« Dittmer
beugte sich herunter, greift eine hand
voll Korn auf und pustet hinein.
Rechts und links fliegen die leichten
Körnchen auseinander. Seufzend
wirft er den Rest zurück zu dem großen
haufen
Nun wird nichts weiter gesprochen.
Man hört nur das Klappern der Ma
schine, hin und her ein unterdrücktes
Kichern der Mägde, die sich mit den
Knechte-i neuen.
Allmählich beginnt die Dämme
rung. Vom Giebel deg Kuhstalls läu
tet die Glorie zum Feierabend. Sosort
hört die Arbeit auf. Der Scharwerts
junge tiettert von seinem hohen Sitz
herunter und strängt die miiden Pferde
los. Sie finden den Weg zum Stall
allein. er geht sieisbeinig hinterher-,
Sielen und Bracken schleppen rasselnd
aus dem Boden. Die Männer llopsen
sich den Staub aus Mützen und Ja
cken, die Frauen nehmen die Tücher
vom Kopf, spucten in die Hand und
streichen sich das Haar glatt. Lachend
und singend gehen sie dann auf tla -
pernden Holzpantinen heimwä s.
Bruni schließt die Scheune ab.
Auch Dittrner wendet slch nach
Hause. Er muß sich sest aus seinen
alten Hackenstock stiitzenz denn ihm
ist heute ganz sonderbar zumuthe, er
tann sich kaum aus den Füßen halten«
Das macht gewiß das insame Wetter,
der eisige Wind.
Einen Augenblick bleibt der alte
Mann stehen, um Athem zu schöpfen.
Seine Brust röchelt, und zwischen den
Schulterblättern fühlt er heilige Sti
che. Nun, in der warmen Stube wird
das bald besser"werden. Gewaltsam
nimmt er sich zusammen und schleppt
sich nach hause.
Er ist heute allein, Frau Marie
zschon am Vormittag nach Dobrawih
gesahren, um Alice zu besuchen. Das
geschieht häufig. Jn den weitläufigen
FRäumen des- Dobrawider Schlosses
List es dem einstigen Fräulein von
Dörnhoven heimischer als in der eige
nen beschränkten Häuslichteit Auch
die weltmiinnische Art ihres Schwie
ersohnez berührt sie sehr sympathisch,
se nimmt stets seine Partei dem Gat
ten gegeniiber, der bisweilen besorgt
äußert, die Lisel sähe nicht mehr so
lustig aus wie srliher und wäre nach
ihrer Betheitathunq viei stiller gewor
i
i
deDittmer hat Mühe und Flauörock
an den Kleiderkiegel gehängt, den
Stock in die gewohnte Ecke gestellt.
Schwerfällig läßt er sich auf sein har
teö Sofa gleiten. Die alten Knochen
sind ihm heute wie zermütbi.
Er schickt das Mädchen, das die
Abendmilchsuppe heteinbtingt, wieder
fort, das Essen widersteht ihm. Nur
müde ist er, todmüde
Wer doch einmal so recht ruhig
schlaer könnte, ohne quälende Gedan
ken. ohne Somm. —
Er lehnt den kahlen Hintertop an
die Holzlante des Sofas und ver ucht
iiber allerlei Wichtiges nachzudenken,
die bis Reujahr in Aussicht stehenden
Einnahmen zu berechnen, sie mit den
Zinsen und unbeglichenen Rechnungen
in Uebereinstimmung szu bringen.
Aber die Ziffern verwischen sich in sei
nem Kopfe; wie ein wirres, beängfti
gendes Chaos kreisen sie durcheinander
und lassen sich nicht festhalten.
Mechanisch horcht Dittmer auf das
gleichmii ige Ticken der alten Wand
uhr. un muß Marie bald nach
Hause tornmen. Er will sie erwarten,
um zu hören, wie es Lieh geht.
Draußen pfeift der Nachtwächter
laut und schrill. Er pflegt Abends
einmal die Runde zu machen, dann
sucht er sich gewöhnlich irgend eine ge
schätzte Ecke aus, in der er bis zum
Morgen schläft.
Lange bleibt alles still auf dem
Hof; dann bellt plötzlich Tyrgs laut
und freudig, Räderrollen läßt sich hö
ren, ein Wagen hält vor der Thür.
Dittmer erhebt sich mit Anstrengung
und geht seiner Frau entgegen-.
»Guten Abend, Mariechen. Wie
war's drüben? Was macht unser
Kind?«
»Laß mich doch wenigstens erst ab
legen,« war die Antwort. »Hier,
spann den Regenfchirm im Flur aus
zum Abtropsen. Es ist ein schauder
haftes Wetter, sprüht naß, und dabei
eisiger Wind. Alice gab mir ihre
Reisedecke mit, aber ich habe trotzdem
lalte Füße betommen."
Fortsetzung folgt.)
Ttdetantschastetsevtlder.
Der Zauber des Geheimnißvollen
schwindet immer mehr von dem bis
her so unzugänglichen Tibet, seitdem
die englische Mission sich gewaltsam
Eintritt in das Land verschafft hat.
Die Berichte von Reisenden, die es
durchguert haben. mehren sich. So
finden sich interessante Bilder von
Land und Leuten in einem soeben
vom englischen Auswärtigen Amt
veröffentlichten Bericht aus der Fe
der des Generalionsuls Alexander
Hosie in Tschina-tu, der eine dreima
natliche Reise an der Ostgrenze von
Tibet zurückgelegt hat.
Er benutzte die große Straße, die
Tschina-tu mit Lhasfa verbindet. Die
ser Weg dient auch den zahlreichen
Pilgern, die zum Talai Lama in der
heiligen Stadt wandern. Manche
dieser Pilger brauchen Jahre, um ihr
Ziel zu erreichen, da sie gelobt haben,
bei jedem Schritt eine große Knie-·
beuge zu machen oder sich der Länge
nach aus den Boden zu werfen. Die
Landstraße zieht 1sieh über zahlreiche
Beratetten hin, über deren hohe
Passe die abergliiubischen Wanderer
nur mit Furcht und Grauen zu gehen
wagen: bei ieder Kreuzung verrichten
sie ein Gebet und legen einen Stein
auf die den Göttern geweihten Stein
hiiaeL die sich als die Ovieraaben der
Vielen, die schon vor ihnen des Weges
gezogen lamen, hier erheben
Dabei entwickelt sich aus dieser
Straße ein starter Vertehr. Karten
fahren mit Neisenden, die trotz des
Nuttelns, behaglich schlafen, aus an
dren Fahrzeugen werden große Säcke
mit Reis oder schwarze Schweine be
fördert, und das Grunzen der zu
zweien zusammengebundenen Schwei
ne vereint sich mit dem Quietschen der
Räder zu einer lieblichen Harmonie,
auf Werden und Ochsen werdenReiss
siicte befördert, und dazwischen ziehen
die Lastträger ihres Weges. die Salz,
Bauholz oder Geflügel schleppen.
Eines Moraens traf Hosie einen
Mann in mittleren Jahren, der ein
ärmlich aussehendes Kind mit sich
führte. Er stammte von Chilbi und
besuchte die beiliaen Berae Chinas.
Hosie bedauerte das Kind: aber der
Mann versicherte, daß dieses sich bei
dem Vaaabundenleben febr wobt süh
le. Recht üble Erfahrungen rnaebte
der Enaliinder in den Wirthshäusern
in denen er einkehrte. Einmal erhielt er
ein Schlaszimmer zugewiesen, in dem
sich die Theile von zwei schönen Sar
aen befanden, die für den Wirth und
seine Frau bestimmt waren.
Vielfach iebrte er jedoch bei Privat
leuten ein, io daß er Einblick in das
Familienleben gewann. Die meisten
reichen tibetaniichen Familien halten
sich auf ibrem Besitztbum einen Lama
oder Priester, der sie in ihren religiö
sen Pflichten ve·rtritt. Er wohnt ge
wöhnlich in einem kleinen Zimme auf
dem flachen Hausdach, wo er abne
ichieden von aller Welt aus seinen bei
liaen Büchern finat und eine Trom
mel schlägt Die Diener des Hauses
ioraen für ibn und belien ihm auch
in der Erfüllung der religiösen Pflich
ten, beim Verbrennen von Weihrauch,
das am iriiben Morgen aus dem Gie
bel des hauses vorgenommen werden
muß, und beim Wechseln des-heiligen
Wassers oder der Butter, die in Me
tallschalen vor den Obhenbildeen in
dein ihnen geweihten Raum enthalten
sti. Oft erhielt osie Oe chensee mir
mußte er reaelm sia dal r bezahlen.
Sotbrachie ihm im Hause eines tibeis
tamschen Dauvtlinas die Hausfrau
Ther, Milch und Eier als Geichentz
er nahm die Eier an und bezahlt-e
mebr als das Doppelte ihres Werthe
dafiir: aber die Frau war augen
scheinlich noch nicht zufrieden, und er
mußte noch einmal so viel Geld bin
zusuaerk Nach solchen Erfahrungen
beschlosi er, Geschenke überhaupt nicht
mehr anzunehmen. Die aute Haus
frau hatte sich bei dieser Gelegenheit
wunderbar aufgepuhL Auf dem
Scheitel irua sie eine Silberplatie,
vie so arosr wie ein Brodteller war,
und eine zweite am Hinterlovs Da
zu hatte sie lange silberne Ohrringe
mit Korallen.
Als Hosie einmal eine Photogra
dhie von einem Mädchen in dem
Schmuck ihrer großen silbernen Ohr
rinae und der Broschen ausnehmen
wollte, tonnte er es durch ieine Sum
me dabinbrinaen, in den Apparat zu
sehen. Die Sckiine zoa sich in den
tiefsten Winlel «hres Hauses zurück
und erschien nicht wieder aus der
Bildfläcbr. Viele tibetaniseiten
Frauen truaen lanae seidene oder At
lasaemänber mit aelbseidenen Schär
ven nnd lanae Stiefel mit rothen
Spitzen. Manche truaen auch
Schmucisnchen aus Gold und iahen in
ihrer reichen Gewanduna aanz an
muthia aus. wie Hosie überhaupt den
lisheriaen Schilderunaen, nach denen
die Tibeianerin als ein Ausbund von
Häsilichteit erschien. durchaus entar
aentritt: wenn die tibetanischen
Frauen nur rein und aut neileidei
sind, meinte er, so lönnten sie den
Veraleich mit ihren euroväiichen
Schwestern wohl aushalten. Gera
deiteisende, dunlelbraune Armen, sein «
aeschnittene Gesichtsiiiae, eine gute
Haltnna und ein lebhaftes Benehmen
unterscheiden sie vortbeilhast von den
schüchternen Chinesinnen ’
Auch die Männer werden als groß,
schlang und sebnia geschildert. Das
größte Loh wird aber doch den Frau
en gespendet »Ja einem Lande, in «
dem iede Familie einen oder zwei
Söhne der Priesterschaft weiht, ift die
Frau ein sehr toertbvolles Mitglied
des Hausbaltes. Sie meltt das Viel-.
bevor es frühmorgens auf die Weide
geschickt wird, und Abends, wenn es
zurückkehrt; sie nimmt das ZIXz Fuk
lanae Wasserfaß auf den Rücken un
läuft Zum nächsten Fluß, um das
Wasser fiir den Taaesbedarf zu ho
len. sie bereitet das Essen. sie webt das
Tuch. sie sorat für alles Andere im
Haushalt und sie verrichtet auch die
nötbiae Landarbeit. Sind teineMöns
ner in der Familie, oder sind diee
anderswo keichäftiat. fo begleitet e
auch als Treiberin die Viehtransdorte
und forat untertveas fiir ihre richtige
Bebandluna. Die Macht des Prie
iterthnms wird natürlich iiderall im
Lande bemerkbar. Die Larnallöitek
find einentlich riesiae Handelsaefchäf
te: sie halsen ein thatiiichlickxes Mono
csol dafür, das ihren Neichidrtm zum
aroßen Theil ertliirt. Daneben haben
sie noch andere Einnahmeauellen Der
persönliche Besitz jedes Laien fällt
nach seinem Tode an das Lamalloster.
Jst ein Tibaner in Geldniitlrem so
leiht er Zu ungeheuren Zinsen hei
dem Lamatloiter. Kann er Kapital
nnd Zinsen nicht euriickerftattem fp
fiillt er mit seinem Lande in die bän
de des Gläribiaers, nnd es werden
auf diese Weile aanze Familien »Au
te des Lamatloiters«, mit anderen
Worten Stlaven.
—- GO—
Neuer Aussiellunaö-(klou.
Der vhantasrevolle enalische Erfin
der Sir Hiram Mai-im hat eine kna
aiscbe titiesenkugel consiruirt, die der
Oauptauziehungspunkt einer kommen
den Augstellung werden dürfte Es
ist eine Hohltuael mit einein Durch
messer von 50 Fuß: sie ist iiir 50 Be
sucher berechnet. Das Magiscke an
der Kugel besteht darin, daß sie
scheinbar das Gesetz der Schwere aus
hebt. wodurch bhantastisch-lon1ische
Esselte a la Jules Verne erzielt wer
den. Die Dinge erscheinen uns ver
tikal nur vermöge des Gesetzes der
Schwertrast, gelingt es. die Schwer
traft durch die Centrisugallrast zu
neutralisiren, so glaubt man die
Dinge vertikal zu sehen. Da der
Boden der Kugel wie eine Schüssel
gebaut ist, so gravitiren die Besucher
nach ihrem Centrum. Die aus einem
Piedestal von 20 Fuss Höhe ruhende
Kugel wird nun in Bewegung geseptz
sie dreht sich sich mit einer Geschwin
digkeit von 20 Meilen pro Stunde.
Die Besucher haben während dieser
Bewegung die Empfindung, daß sie
ruhig dastehen; denn sie rehen sich
nur mit der Kugel wie mit der Erde.
Eine richtige Orientirung ist unmög
lich« da die Kugel keine Fenster hat.
Dagegen hat die Beseitiguna der
Schwer-kreist durch die Centrisugals
krast die Wirkung, daß die Personen
nicht senlrecht aus dem Boden der
KuaeL sondern waaerecht aus deren
Wänden zu stehen scheinen. Und zwar
glaubt das jeder von den anderen.
während er sich selbst in normaler Po
sition wähnt. Maxinr gedenkt den
komischen Effekt, daß die Leute tote
Fliegen an den Wänden zu kleben
scheinen, zu erhöhen, indem er die
Kugeldeete aus Spiegelglas eonttruirt.
So wird alles doppelt gesehen werden.
Ein Teil des Bodens soll als Roll
schuhbahn eingerichtet werden: ohne
sich zu bewegen, wird man aus set
uen Rollschuhen an das andere Ende
der Kugel getrieben werden. Die
Ansstellng der Kugel dürfte im Jub
re W erfolgen