Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, October 13, 1905, Sweiter Theil., Image 14

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    Die Spielgefahrten
Ren vno n.v Wiesen.
» (6. Fortsetzung) I
Um seinen Enkel tümmerte sich der
Greis nicht viel mehr als um jeden
andern. Er gab ihm einen vierteljähr-.
lichen reichlichen Zuschuß, im übrigen
mochte er thun und lassen, was ihm
beliebte. Von dieser Freiheit machte
Music den ausgiebigsten Gebrauch.
Ein paar Semester hatte er in Bonn
studirt, auch kurze Zeit eine landwirth
schaftliche Academie besucht. Dann
glaubte er genug geleistet zu haben,
ging aus Reisen oder hielt sich in den
großen Modebädern auf. Den Win
ter verlebte er meistens in Paris.
Ein- oder zweimal hatte Wasil auch
den Großvater besucht weniger einem
Herzensbedürsniß als der Erwägung
folgend, daß es, zu größerer Sicher
heit, gerathen sei, sich über die testa
mentarischen Bestimmungen des Alten
zu orientiren.
Das Zusammensein war jedoch
nicht erquicklich und nur von kurzer
Dauer gewesen. Wasil langweilte sich
entseßlich, während der alte Baron
durch die Anwesenheit des Enkels sich
geniert und in seinen grilligen Ge
wohnheiten gestört fühlte. Beide ath
meten befreit aus, als sie sich wieder
trennten.
So war die Trauer Wasils auch
nur eine rein äußerliche, als er ein
Jahr später die Nachricht von dem
Absehen des Großvaters erhielt.
Der Tod des alten Herrn von
Waszczewsti kam gerade zu rechter
M, urn der petuniären Lage des En
tels, welche anfing, unhaltbar zu wer
den, ein neues Fundament zu geben.
Dadurch, daß er als nächster Erbe in
den Besitz von Dobrawiß gelangte,
hob sich sein bereits stark erschütterter
Kredit um ein ganz Bedeutendes.
Nun fiel es dem verwöhnten Ge
nußmenschen erst recht nicht ein, sein
kostspieliges Leben auszugeben.
Für das Gut wurde ein Verwalter
engagier, demselben unbeschränkte Voll
macht in allen wirthschastlichen Ange
legenheiten ertheilt und nur zur
Pflicht gemacht, so viel Geld als ir
gend möglich herauszuschasfen. Der
junge Erbe fühlte sich jeßt aus der
höhe und ganz berechtigt, seinen Nei
gungen die Zügel schießen zu lassen.
Das ging eine Weile ganz gut, bis
endlich doch ein Tag lam, an dem
Wasil sich eingestehen mußte, daß es
nicht weiter so fortgehen könne. —
Wo waren die Summen alle geblie
ben? Er hätte es selbst nicht zu sagen
vermocht. Vertändelt —- oerjeut —
unter den Händen zerflossen. —- Ein
Paar Monate noch, und der start un
terhöhlte Bau seiner gesellschaftlichen
Stellung brach in sich zusammen. Noch
ließ sich vielleicht etwas retten, wenn
es auch nicht viel mehr war als der
Schein.
Jn Wasils Natur lag neben der
Berschwendungs- und Genußsucht ein s
gewisser Zug kalter Berechnung, sein I
Leichtsinn hatte ganz bestimmte Gren- »
Den, nnd die Selbstliebe hielt ihn da
von zurück, sich blindlings ins Ber
derben zustiirzen.
Jn schlimmster Stimmung — die «
Folge einer wüst durchschwärmten
Nacht, in welcher er wieder bedeutende I
Summen im Spiel verloren hatte —J
machte sich Wasil eines Morgens die
verzweifelte Lage seiner Vermögens
verhältnisse klar und kam zu dem Ent
schluß, die jetzige Lebensweise auszu
geben, heimzureisen und selber die»
Bewirthschaftung von Dobrawitz zu
übernehmen. Wer weiß ob nicht al- -
les fauler Zauber war, was ihm der
Spitzbube von Verwalter immer oonj
schtechten Ertragen vorschwindelte Esj
sollte doch mit dem Kuckuck zugehen«
daß ein solches Gut nichts hergab,
wenn man es nur gehörig auspreßtez
aber schließlich hier verlor er auch
nicht viel. Jmmer das ewige Einerlei,
aus dem Resiaurant in den Klub und
umgekehrt Die kleine Fisi vom Bal
tett würde vielleicht ein paar Moto
dilsthriinen weinen — pah, was wei
ter. Er hatte das Möbel satt wie al
les übrige.
Wasils Entschluß war gesaßt; eine
Woche später reiste et nach Dobtawiy
a.b
Das geschah zu einer Zeit, als die
ersten graugriinen Saatspitzen aus den
Feldern sproßten und an den alten
Linden im Schloßgarten sich die hat
iigen Blattknospen öffneten· —— Jetzt
war das Korn geschnitten, und das
Laub bek Bäume begann sich herbstlich
zu färben.
Die helle Votmiitagssonne schien
aus den Kiesweg, der zum Schlosse
führte, nnd zeichnete das Muster der
eisernen Tbotsliigel daraus. Wasil
von Wassezewiti lehrte von seinems
Spuzieniit heim. Er pfiff dem
Stadiungem iibetgab ihm das Pferd
und Ufitieg die Stufen ber Freitteppe
Dabei streifte sein Blick die gebot-i »
M Sandsteinlöwen, welche einst zu ’
Seiten des Ein gangs Wache
MW hatten fest aber abgebebckekt s
Wiich Wide- waren.
Ueberall Rückschritt nnd Verfall. —
Aetgerlich hob der Mann die Reit
peitsche und schlug nach einer Liebelle.
die sich aus dem breiten Löwenrücken
sonnte.
Auch draußen auf den Feldern hatte
es schlecht ausgesehew Nachlässige
Ackerung, geringe Ernte. Und ein
Theil davon schon im Voraus an den
Juden verkauft. Verdammte Ge
schichte!
Wasil schritt durch die Vorhalle, in
der jeder Schritt dröhnte, seinem Ar
beitszimmer zu. Dort wars er sich
auf das Sosa, zündete eine Zigarette
an und treuzte die weißen. schlassen
Hände unter dem tiesdunllen Haar.
Mißmuthig und gelangweilt folgte
sein Blick den seinen Dampsringen,
bis sie sich auflösten und in nichts zer
flossen.
Es klopfte, erst leise, dann etwas
lauter. Die Mamsell, welche schon
zur Zeit des seligen Barons die
Wirthschast besorgt hatte, steckte den
Koppf durch die Thür.
»Ein Brief sür den gnädigen
Drauf
Wasil runzelte die Stirn; er liebte
es nicht, gestört zu werden.
«Sind die Posisachen heut so früh
gekommen?« fragte er, ohne hinzu
sehen.
«J wo, nein. Diesen hat ein Junge
gebracht. Jch glaube, aus Tanninten
sagt er.«
»Es ist gut, dort hinlegen, aus den
Tisch. Und in einer halben Stunde
das Frühstück, Frau Grabe.«
»Seht wohl, gnädiger Herr-"
Die rundliche Gestalt mit der blauen
Latzschiirze verschwand. Wasil dehnte
sich, gähnte mehrmals und streckte
dann lässig die Hand nach dem weißen
Kuvert aus. Er hatte es nie sehr ei
lig, den Jnhalt der an ihn einlausen
den Briese zu erfahren; denn gewöhn
lich waren es Rechnungen oder lästige
Mahnungen ungeduldiger Gläubiger.
Aber dies schmale, zierliche Ding
sah eigentlich anders aus. Ohne seine »
beqnerne Stellung zu verändern, Ess-.
nete Wasil das Kuvert. Ein Brief
bogen rnit gepreßtem Rand, wie man
ihn in billigen Papeterien findet fiel
heraus. Die hübsche, saubere, aber
noch unausgeschriebene Håndschrist
lglich der eines Schulrniidchens. Er
as:
»Lieber, lieber Wasill »
Seit wir uns gestern Abend trenn- i
ten, habe ich an nichts anderes denken.
können als nur an Dich! Geht es Dir
ebenso? Ich schreibe diese Zeilen in
aller Frühe, um Dir mitzutheilen, daß
Papa schon alles weiß. Jch habe ihm
gleich gesagt, daß wir uns lieben. Jrn
ersten Augenblick war er ein wenig de
stiirzt; Dn mußt ihm deshalb nicht
böse sein, er kennt Dich ja noch nicht.
Aber er ist herzensgut und hat rnir
noch nie etwas abgeschlagen.
Nun wollte ich Dich noch sehr bit
ten, tornrn doch nicht heute, sondern
erst in einigen Tagen zu uns, um rnit
den Eltern zu sprechen.
Mutter ist, wie Du weißt, bei der
tranken Großtante in Wentitten und
tornrnt erst heute Abend nach hause.
Da müssen wir uns schon noch ein
wenig "gedulden —- aber dann aus
glückseliges Wirt-ersehen, Du Lieber,
Guten
Mit vieltausend Grutzen
Deine Linn
P.S. Jst Dir’s nicht auch, als
wäre die Welt jetzt viel schöner· als
sonst? Jch möchte immerzu jubeln
und singen. Unsern alten Tyras habe
ich geküßt, weil er zuerst unsere Be
kanntschaft vermittelte; knurrt er aber,
wenn Du kommst, und will wieder
beißen, dann mag er sich in acht neh
men. dann geht’s ihm schlecht.
D L
Schon nachdem er die ersten Worte
des Brieer gelesen, hatte sich Wosil
jäh aufgerichtet, die tindliche Nach
schrift überle er nur flüchtig.
Auf feinem farblosen Gesicht wich
der erstaunte Ausdruck einer leichten
Röthe. Dein Jveifeh dieses merk
würdige Schriftstück kam von der klei
nen Dittmer. So also hatte das
dumme Ding die gestrige Szene im
Papillon aufgefaßt. — Eine landläu
fige Kourmocherei, eine galante Be
schiiserrolltz einen flüchtigen, durch
Einsamkeit und Romontit der Situa
tion gerechtfertigten Kuß stempelte sie
naiv zur ernsthaften Liebeswut-ung
der selbstverständlich Heirathsontrag
und gerührter Elternsegen folgen
mußten.
Was sollte er thun? Schreiben
«Sie irren, mein libei Kind, es« ist
mir gar nicht in den Sinn get-innrem
Ihr-es kleine, braune band zu beseh
een. «
Schlimm, daß der Alte von der
Sache wußte. Welche Narrheit ihm
leich In beichten. Sonft pflegten ver
MM Mädchen M klit- siihes Vet
zenigehetmntfse siir sich zu behalten.
VerMe Gefchtchtet — Ein Ge
WMZMMMM iste- t
Wasil auf. Mit wie vielen hatte er
geliebt und geflirtet ohne sich fefseln
zu lassen; wahrhaftig, es waren Bor
Isnehrnere darunter gewesen als dies un
Ibeholfene Landtind. Und diefern sollte
es gelingen. durch ihre ahnungsiose
Zuversicht und Geradheit den schlauen.
aalglatten, weltgewandten Mann in
die Enge zu treiben?
Wasil sprang auf, machte eine Be
wegung, als wollte er das Briefblätt
chen, welches Lichs zärtliche Liebes
vetficherung enthielt, zerreißen; dann
besann er sich anders und steckte es in
die Brufttafche.
Den schwarzen Schnutrbart mit den
Zähnen nagend, ging er im Zimmer
auf und ab. Die Mamfell hatte in
szwischen das Frühstück hereingebracht.
LStehend genoß er einige Bissen, dann
,fchob er den Teller beiseite und feste
seine Wanderung fort. Allmählig
i verlangsamte sich sein Schritt, und das
Gesicht erhielt wieder den gewohnten
gleichgültig überlegenen Ausdruck.
i Eine Thorheit, sich über der Klei
nen fentimentale Einbildungen den
iKopf zu zerbrechen Jm Grunde war
les fpaßhaft, wie offen sie ihm ihr
iherz entgegentrug.
s Wasil lachte kurz und spöttifch Er
hatte einen Heirathsantrag bekommen
Iund fuchte nach einer möglichst höfli
chen Form, ihn abzulehnen.
Die weißen, spitz zulaufenden Fin
lger aneinanderlegend, ließ Wasil seine
ylangen Nägel tnipfen, während er
darüber nachdachte, was er iiber die
lDittmers bisher gehdrt hatte.
! Es war wenig genug. Der Alte
ffollte ein fleißiger Landwirth und sehr
gutmüthiger Mensch fein; mit dem
brauchte man sicher nicht viele Um
ftiinde zu machen. Jedenfalls hielt es
Wafil für zweckmäßig, sich noch näher
zu informiren um danach fein Beneh
Jrnen zu regeln.
; Am Nachmittag ließ er anspannen
und fuhr nach der Kreisftadt Jm
»Goldenen Lamrn«, dem ersten, dicht
am Marttplaß gelegenen Hotel pfleg
ten die Besitzer der umliegenden Güter
im Winter regelmäßig zufammenzu
kommen. Aber auch zur Sommerzeit
konnte man häufig den einen oder
andern dort antreffen, den Beforgun
gen oder ein Gefchäftsabfchluß nach der
Stadt geführt hatten.
Als Wasit durch den ziemlich dunk
len Vorflur in die Herrenftube trat.
fand er sie zu feinem Bedauern leer.
Die Dringlichkeit der Erntearbeit hielt
wohl die meiften Landwirthe daheim
zurück.
Das dunkelbraun tapezirte, mit
gleichfarbigen Möbeln und Fenster
vorhiingen ausgestattete Zimmer
mochte bei Lampenlicht ein bebaglicher
Aufenthalt sein; jetzt. im Hochson1
mer, machte es einen ungemütblichen
Eindruck. Die Luft war dumpf und
stickig, die weißen Kaiserbiiften an der
Hauptwand arg verstaubt, um den
mit schmutziger Gaze bezogenen Kron
leuchter summte ein Schwarm Fliegen.
Waftl setzte sich an einen Tisch, klin
gelte und bestellte eine Flasche Rims
heimer. Er nabm eins der herum
lieden, zerlesenen Journale zur Hand,
blätterte zerstreut darin und legte es
wieder fort. Das Heft war mindestens
ein halbes Jahr alt, die Bilder und
Witze längst bekannt.
Statt des Kellners brachte der
Wirth, here Schimmlmeiet, Glas
» und Flasche.
»Berzeiben, uns ist im Augenblick
der Ritdesbeimer ausgegangen; dürfte
ich vielleicht einen vorzüglichen Mosel
empfehlen? Sehr feine Marte." Er
sdeutete auf die Etitette.
i »Meinetwegen,« entschied der Gast
! mißmutbig, »aber doll ist es daß man
hier nicht mal die gangbaren Weine
y bekommt «
l »Es wird gegenwärtig gar zu wenig
verlangt.« entschuldigte sich der Wirth.
»Was die Bürger sind, die Abends
’ne Stunde versprechen, die trinten
nur Bier, und von answiirtz haben
wir im Sommer nicht viel Zuspruch.«
»Ich meine doch gehört zu haben.
daß die Gutsbesitzer ·irn «Goldenen
Lamm« verkehren. Wasil hielt sein
Glas gegen das Licht, nahm prviifend
einen kleinen Schluck und leerte es
dann auf einen Zug. Der Wein war
liibl und wirklich nicht schlecht. »Es
wunbert mich, heute niemand anwe
send zu finden; es ist verflucht lang
weilig hist-'
Obgleich diese Aeußerung entschie
den keine Aufforderung enthielt, siihlte
sich herr Schimmelmeier dadurch be
wogen, seinem vornehmen Gast Gesell
schast zu leisten und ihn zu unter
halten.
Den breiten Rücken gegen den Fen
sterpseiler gelehnt, entgegnete er wohl
gefällig
»Es ist mal gerade ein Zufall, daß
der Herr Baron keinen antreffen. Die
Herrschaften beehren mich sonst im
mer, sobald sie nach der Stadt korn
men. Vorigen Dienstag war der
Rammdorser herr da und gestern
Vormittag der Glomiter. Der liesz so
gar ausspannen nnd hat hier gestütz
stiickt, toeil er sagt, solch gutes Wie
ner Schnigel . . .'
»Wie toeit isi es eigentlich nach
Tanninten?« unterbrach Wasil pläts
ltch. Er hatte sein Glas» von neuem
gefüllt und leerte es hastig
« Mach Tanninteni So etwa qu
derthalb Stunden die Thauisee lang;
wenn aber der Herr Baron den Feld
Upcg fahre-« vek schneidet ein Since
ab, da kann man in ’ner guten
Stunde . . . «
»Nicht doch,« lehnte Wasil gleich
gültig ab. »ich frage nur, um mich itn
allgemeinen in der Umgegend zu orien
tiren."
Aber der tedselige Wirth. dem gar
nichts erwünschter sein konnte, als sich
mit feiner genauen Kenntniß von Land
und Leuten wichtig zu machen. fuhr
eifrig zu erzählen fort:
»Der alte herr Dittmer in Tannin
ten. alles was recht ist, der ist hier der
erfahrendste Landwirth im ganzen
Kreise, von dem holt sich mancher ei
nen guten Rath. Aeußerlich ist der
Mann nicht gerad’ sehr ansehnlich,
auch so in seiner Benehmung nur ein
fach, aber dagegen die gnädige Frau
höchst vornehm.«
Wasil nickte zerstreut.
»Eine Adlige, ein geborenes Fräu
lein »von«, prahlte Schimmelmeier.
»Ich erinnere mich, gehört zu haben.
Eine Verwandte der Gräsin Wengk,
was?«
»Jawohl, eine richtige Nichte,'« er
läuterte der andere. »Die gnädige
Frau reist auch alle Augenblick nach
Wenlitten; das ist schon so gut wie ihr
Eigenthum. Nähere Erben sind nicht
da, und wenn die alte Gräfin die
Augen zumacht, sie ift schon iiber acht
zig alt, dann fällt alles an die Tan
ninker. Das heißt, die einzige Tochter
vom Tanninker soll das ganze Vermö
gen erben, wird erzählt; weil sie der
Gräsin ihr Paienlind ist, hat die das
fo bestimmt, heißt es.«
»So, so.« —- Wasil lehnte sich
scheinbar ermüdet zurück und gähnte.
Indessen fuhr der Wirth fort, die
Personalien der ganzen Umgegend und
der Honoratioren des Städtchens zu
erläutern, bis ihn der Dobrawitzer mit
einer ungeduldigen Handbewegung
unterbrach.
»Wollen Sie wohl meinem Kutscher
sagen, daß er oorfährt, Herr Schim
melmeier?«
,,Sehr wohl, sogleich« Der dicke
Wirth dienerte verblüfft und entfernte
sich. Draußen brummte er vor sich
hin: »Hochmiithiges Voll, alle mit
einander, diese Adligent« und schnauzte
den vorüber gehenden Kellner an, um
seinem Aerger Luft zu machen.
Wasil hatte sich, während er schein
bar gleichgültig zuhörte, blisartig ein
Gedanke bemächtigt. der seinen Ent
schliisfen eine ganz andere Richtung
gab. Wenn wirklich für Alice Ditt
rner die Wenliiten Erbschaft in Aus
sicht stand —— natürlich mußte man sich
darüber noch genau informiren —
dann verdiente der naioe Liebesbrief
Vielleicht ernstliche Beachtung.
Das Mödel war hübsch, anspruchs
los, lentfarn, und wenn ihr der tolos
fale Reichthum zufiel —- Waszczewsli
hatte plötzlich wieder ein Gefühl war
mer Zuneigung fiir Lich.
Entschieden war dies nicht der
schlimmste Weg, sich finanziell zu ran
giren. Die angesammelten Hundert-;
tausende der alten Griifin konnte Wa- H
sil gut gebrauchen, in feiner hand
sollten sie nicht nutzlos daliegen, son
dern lustig ins Rollen kommen. Und
wenn einmal geheirathet werden
mußte — die Kleine gefiel ihm wirt
lich ganz gut. Viel besser gestimmt
als aus der hinsahrt. lehrte Baron
Wasil nach Haufe zurück.
Jn Tanninten standen frische
Sträuße von Herbstslieder, Astern und
dunkelrothen Ebereschen in allen Zim
metn, die der niichiernen Ausstattung
derselben ein freundlich gefälliges An
sehen gaben. Frau Dittrner lonnte
zwar abgeschnittene Blumen nicht lei
den· ließ es jetzt aber doch geschehen,
daß Mike täglich den Garten plpiin
derte.
Das Mädchen ging von früh bis
spät voll siebethaster Ungeduld um
her, sie erwartete Wasii. Vorgesiern
hätte er schon lornrnen iönnen oder
gestern· Was hielt ihn denn noch zu
rück? Er wußte doch, er würde will
lornrnen gehißen und sein Bräutchen
ihrn jubelnd entgegensliegen.
Damals, als die Mutter von Wen
litten anlangte, ermüdet, til-gespannt
und gereizt, hatte sich Lich laurn ge
traut, von ihrer herzensgeschichte zu
sprechen. Aber schon bei der ersten
schüchternen Mittheilung zeigte sich
Mama hoch erfreut und pries das
Schicksal, das ihrem Kinde eine solche
Partie bestimmte.
Noch nie hatte Alire so sroh er
regte, liebevolle Worte von ihrer Mut
ter gehört. Dann verhandelten die
Eltern lange untereinander.
Das ängstlich an der Thür lau
schende Mädchen konnte nur etwas wie
»vornehmer Bewerber« »Nittergut«,
»angesehene Familie« verstehen, wo
raus Papa bescheidene Vorstellungen
zu machen und zu widersprechen schien.
Jedoch ersolglos. Frau Marie em
vsand ei als eine persönliche Genug
thuung, daß Alire den Adelstitel süh
ren würde. den sie selbst einst hatte
ablegen müssen
herr von Wazzezewsli war von
Stande, war Kavalier — und with
rend sie diese Vorzüge als beste Bürg
schast siir Alterns Zukunft pries,
dachte sie nicht tm entserntesten daran,
daß jedes ihrer Worte dem schlichten
Manne weh that, der ihr nur sein
redliches herz nnd seine unermüdltche
Arbeäisrmdiglett hatte bieten titu
M.
Dittrners Einwendungen verstumm
ten, und als Frau Marie daran er
innerte, welches seltene Gliick es liber
dirs wäre, Altce auch später in der
Nähe zu behalten, da gab er nach, nicht
überzeugt, doch überwunden.
An einem der niichsten Bormittage
war Licy im Garten und .sammelte
Fallobst auf. Da sah sie aus der
Landstraße eine wirbelnde Staubwolle
näher und näher kommen, bald ließ
sich ein leichter offener Jagdwagen er
kennen und dann —- die zusammenge
saßten Schürzenzipsel entglitten der
Hand des Mädchens. Aepsel und Bir
nen rollten ins Gras. n siiirmischern
Laus eilte Alice dem ause zu.
»Er kommt —- er tommtk Papa
chen — Mutter!«
Obgleich man längst den Besuch er
wartet hatte, gab es nun hast und
Verwirrung.
Frau Ditttner, die aus dem Ballon
saß und Strriimpse stopfte-, ließ schnell
die Arbeit in die Tischschublade glei
ten. Einem Stalljungen ries sie zu,
er solle nach der Grummetwiese lau
sen und em Herrn bestellen, er möchte
sofort nach Hause kommen. Dann
strich sie ordnend mitkder Hand über
sihre ohnedies spiegelglatten Scheitel.
Jm selben Augenblick rollte auch
schon der Dobrawitzer Wagen in den
Hos. Mit eleganter Bewegung sprang
Wasil heraus, Lichts hörte ihn eine
Frage an das herbeikommende Stu
benmiidchen richten und deren Ant-;
wort: »Der Herr ist aus’m Feld. aber ;
ich werd’s die gnädige Frau melden.« !
Vor Lich’s Augen trat ein Flim-’
mern; sie hatte dem Liebsten entgegen
eilen wollen und duckte sich nun ver
schärnt in eine Baltonecke, zwischen
das Blättergerant des wilden Weines.
Frau Dittmer begrüßte Wasil an
der Schwelle des Wohnzimmers, der
in feiner ganzen bestechenden Siebens
wiirdigkeit ihr entgegentrat.
»Meine hochverebrte, anädigeFrau,
Jnicht wahr, ich dort hoffen, daß Ih
;nen der Zweck meines Besuches nicht
unbekannt ist? Sicher wissen Sie
»durch Ihr Fräulein Tochter...'«
lFortsetzung solgt.)
Sonnensinsternlssstucstua.
Siguenza, 80. August.
Ungeheure Menschenmassen dräng
ten sich heute Morgen im Ma
drider SüdbahulzoL um die nach
hier abgebenden Sonderziige zur
Beobachtung der totalen Sonnensiml
sterniß zu benutzen. Es war gera
dezu ein lebensgesährliches Gedränge,
und es wäre unmittelbar zu einer
Katastrophe gekommen, wenn nicht
die Behörden den weisen Be
schluß gefaßt hätten, die Bahn
verwaltung zu veranlassen, ihren
aesammten Waaenpart, was nur tr
aend davon dispanibel war, zur Ver
fügung zu stellen. Die Sonnenjins
sterniß hatte schließlich alle ubrigen
Ereignisse in den Schatten gestellt.
Povuliire Schriften, die zu Tausenden
abaesetzt wurden, fliegende händler
mit bunten Gläsern, die Presse durch
lanae Abhandlungen u.s.w. hatten
das ibriae aelban, um das Interesse
aufs höchste zu steigern. Als nun
heute Morgens der Himmel gutes
Wetter versprach. da war kein- Halten
mehr. und Tausende steömtem mit
Körben voll Lebensmitteln und straf
sen Weinschläuchen bewaffnet, dem
Babnbose zu. Ader auch -die, welche
szuriickbleiben mußten, wollten das
ISchauspiel bestmsalichst genießen.
; und jeder suchte dasiir einen Platz zu
lerlanaem was ja nicht schwer war,
» da lich die Vorstellung in einem Thea
ster abspielte. in dem alle Zuschauer
seinen Sperrsitz in der ersten Reihe ein
Inehrnen konnten. Bald waren Bal
stane und Dächer von Tausenden in
fröhlichster Stimmuna besetzt: wer
iraend noch einen brauchbaren Witz
iiber Sonne, Mond und Sterne aus
Laaer hatte, schoß ihn las. Ja, man
berichtet mir. daß einiae sich anaesichts
der Unmöalichteit, die Totalitöt zu
beobachten. damit trösteten, indem sie
in« niarornantilchern Gewande und
mit Phantasietelestovem vulao alten
Ohne-Ihrem ausgerüstet als link-radi
sirte Astroloaen allerhand Kurzweil
trieben. Aber es war Scherzt In
Wabrbeit dachte deute niemand mebr
bei der Versinsteruna an veraanaenen
Aberglauben!
Auch hier in Siguenza .- ging es
lustig ber. Schon am Babnbos wur
den die Antonirnenden mit Musik ern
pfanaen und die meisten häuser bat
ten Coloaduras ausgebängt Aller
dings befanden sich in unserem Luxus
zua die Minister, soweit sie zur Zeit
in Madrid weilten, während sich der
Hos von San Sebastian aus nach
Burgos begeben batte, wo er nicht so
gutes Wetter tkas. Jn Burgos wur
den, nebenbei gesagt« diesmal auch
zum erstenmal Beobachtungen mit
Hilfe von srei schwebenden, von der
Heeresverwaltuna gestellten Lustbal
lnos gemacht. Ueberbaupt trat, abge
sehen von der Erforschung der nur bei
totalen Sonnenfinsternissen sichtbaren
Korona und damit der Konstitution
des Sonnentörpers an und sitt sich,
das Studium der meteorologischen
und maanetischen Einwirlunaen, die
er zweifeliobne aus unsere Erde aus
übt, bei den diesmaligen Beobachtun
aen mehr in den Vordergrund Von
welch großer praktischer Bedeutung
das Resultat dieser Ersorschunaen
sein kann. braucht bier nicht näher
ausgeführt zu werden. Ueber die
Vertheilung der zahlreichen wissen
schaftlichen Erveditionen, die aus der
ganzen Welt nach Spanien gekommen
waren, sei nur so viel aesuat, daß
sich das Groi tn Burng und den
Orten der Mittelmeerliiste befand.
Daae n hatten die Mitglieder der
sLich ternwarte. mit ausgezeichneten
lJnstrumenten ausgerüstet, Uldama
in Aragon als Standort ausersehen.
i Sie wollten dort die nanze Umgebung
» der Sonne bbotoarapbisch ausnehmen,
lum, wenn möglich, den innerbalbdek
TMerturbabn noch vermutbetenPtanes
ten ausdie Spur zu kommen. Ve
.sondere Soeltoarapben sollten dazu
dienen, auch die Lage der eigentbitmi
lieben bellen Linie in der Korona g
nauer festzustellen, die einem aus r
Erde noch unbekannten Element an
.aeb«ort. dem man deshalb vorläufig
den Namen Koronium gegeben bat.
Um indeß wieder aus Siguenza zu
rückzukommen, so gab es dort teine
’echten Astronomen, sondern nur im
brovirsite, die mit aroszem Wort
ichwall der Einfalt staunender Mit-,
büraer die Vorgänge bei der Versin
steruna so gut wie möglich auseinan
dersetitem Natürlich war auch bei
den Einivobnern von nichts anderem
die Rede, als vondem bevorstehenden
aroßen Himnielsereianiß, das jeder
betrachten wollte. Alle alten Oel
lamben der Rumpelkammer iamen
plötzlich wieder zu Ehren. Jbr sonst
unausstebliches Schwalken war un
entbehrlich heute, um Glas zu schwär
zen. Glbst kleine Kinder schrien um
die Wette: »Mama, schwarz machen!«
Sie meinten damit zwar die Gläser,
allein in Wirklichkeit sahen sie selbst
alsbald so aus wie lleine TeuTeL Ge
aen Mittaa bildeten sich aus.allen
Straßen und Plätzen Gruppen. und
es wurde allaemein Feierabend ar
macht. Und dann tam der große
Auaenblick. wo die Versinsteruna be
aan . Zuerst bemerkte das unbewani
nete Auae nichts Unaewiibnliche5.
Nur durch farbige Gläser tab man,
wie sich die Sonnenscheibe allmäblich
verkleinerte. Auch das Thermometer
fiel langsam. Aber die helligkeit
war unaetäbr dieselbe wie zuvor.
Dann aber, als der Mond etwa die
hälite des Tagesaestirns berdeckt
batte, änderte sich auf einmal die
Szencrir. Die Sonne verlor ihren
Glanz und aleichzeitia beaann das
sonst bewegte Leben der Natur zu
stocken· Man sah, wie die Sinaviigel
und Schwalben ängstlich flatternd
ibre Nester aufsuchten, die Tauben
ihren Schlaa und die hübner den
Stall, wie Hunde und Rasen sich
vertrochen. Die Schafe blöckten kläg
lich. Die Pferde wurden unruhig und
mußten aebalten werden und nur die
Esel, die bekanntlich zu den kliiaiten
Thieren aebören, zeigten keine beson
dere Ausreauna. Es wurde mittler
weile immer dunkler und die Sonnen
sichel immer kleiner. Ein kalter Luft
zua erhob sich und ein iabler Schein
biillte nach und nach die Landschaft
ein. Die Gesichter der Umstebenden
nahmen eine bleiche Farbe an, als ob
leistete aerade dem Grade entstiegen
wären. Selbst die Blasirteiten, die in
dem vollen Bewußtsein aekommen
waren, einem nach festen. unabänder
licken Gesetzen sich reaelnden Voraana
beimwobnen, konnten sich einer ge
wissen Beweauna nicht entziehen. und
manch einem mag der Gedanke durch
den Iton aeitieaen sein: was würde
aus der Erde und ibren Bewohnern
werden« wenn das Sonnenlicht nicht
mebr wiederkehren würde.
Gestein betrachtete ich den bis zu
einem seinen Streifen zusammenge
schrumdslen Sonnenrand, um den
Moment nicht zu verpassen, wo sich die
berühmten «Peilen'« zeigen mußten,
anaeblich durch die letzten Sonnen
strahlen, die sich noch durch die Tha
ler der Mondesobersläche zu uns bin
absteblen, hervorgerufen. Die meet
würdiae Erscheinung schien allerdings
nur siir den Bruchtheil einer Sekunde
wabrnebinbar. Wöbrenddessen busch
ten seltsame, wellenförmiae Schatten,
deren Urspruna noch nicht erariindet
ist, über die Erde hin. Gleich da
raus, mit einein Schlan. befanden wir -
uns in der Totalitiit der Versinstes
runa. Der Anblick des Firmainents
war unbeschreiblich aroßartia. Rings
um die rabenschwarze Mondscheibe
iiinaelteii aliiniende, seuriae Wollen,
die Protuberaniem während sich wei
terhin die hellen Strahlen der Korona
wie ein wunderbaier silberner Heili
enschein in das Aetherineer ergossen·
. ablreickH Sterne, 3.B. Benult und
Merkur, Reaulus und Arltur. tauch
ten aus. Tieer Schweigen herrschte;
Alle waren von dein arandiosen
Schauspiel erarissen und standen re
aunaslrW Dann begannen sich wie
der die bbantastischen vaaen Schatten
ilber den Baden zu schlänaelii und
dann... dann schoß plötzlich wieder
der erste blendende goldene Sonnen
stralil zur Erde herunter, wo er mit
Jubelaeschrei beariisit wurde. »Pen
diia iea dir-si« riesen die auten Leute.
Die hiibiie aus den Geliösten singen
an zu traben, und es schien, als ob
siir die Erde ein neuer Tag unbesche.
Jch hatte. ossen aestanden, die Schil
derunaen, die man mir von dem Phä
nomeii aemacht, siir übertrieben ar
balten,· aber ich musi ietzt Wiesen«
dasi nichts Aehnlicbes beranreicht und
der Eindruck unveraesilicki ist. Man
alkiubt sich in unmittelbarein Kontalt
mit den aiaantischen Krästeii des
Kosmos und iliren siir das kleine
Menschenbirii schier unsasibaren Wir
kunaen. Mbae auch die Wissenschaft
deute wieder einen Schritt vorwärts
gethan haben!
kJch bin stritter Probibitloniih
Fremder,« saate der Mann aus Kan
sas dein «durchreilendeii Tour-isten.
,.Aber,« erwiderte dieser. »so viel i
hörte. ist bier die Probibition seine
Probibitian.« »Nein, Fremder-. das
ist sie nicht: ich dense. das ist Grund
sen-at der Partei anzugrliörew«