Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, October 06, 1905, Sweiter Theil., Image 12

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    Ein wahrer Held.
Andern-n ans dein Leben der ame
· rikauischm GroßstadL
Von Georg Meyer.
»Sei mir nicht böse, Ma... ich
hab'-i mich verschlafen . . . bin so müd’
gewesen gestern Abend.«
Es war eine leise, unsäglich beküm
merte Stimme, die diese Worte mehr
hauchte, als sprach —- eine Stimme,
der nerdöse Angst und Hast eine er
schütternde Nüancirung verliehen. Sie
gehörte einem etwa zwölfjährigen
Knaben, einem Kinde, das in seiner
körperlichen Entwicklung beträchtlich
zurückgeblieben, dafür oder an Reife
der Erfahrungen und an Lebens-ernst
danch dem düstern Milieu, das ihn
von frühester Jugend an umgeben, sei
nen Jahren weit voraus war. Ein
personisizirtes Stück großstädtischen
Proletarierelendes, eine im Treidhause
der Massennoth geziickstete Frucht, de
ren vertiirnmerte Außenseite jedoch ei
nen unendlich schmackhaften Kern ver
barg. Wer wollte sich Mühe geben,
diese Menschensrucht zu pflegen, würde
ihre Beredlung sich angelegen sein
lassen in einer Welt, die gewohnheits
gemäß bloß nach dem äußersten Schei
ne die Produkte des Lebens beurtheilt
und bewerthet?
Und doch —- wie hatte nch solch
leichteö Bemühen gelohnt! Das os
senbarte ein Blick in dieses große
feuchtschimmernde Kinderauge, in dem
sich eine herrliche Seele wiederspiegel
te, die mit ihrem Reichthum an Liebe
und Treue, an Aufopferung und
Pslichtbewußtsein Tausende von Mit
menschen hätte beglücken können. Das
ist eben der ganzen Menschheit Jam
mer, daß sie fortgesetzt nach Trug
schiißen gräbt und einem gleißenden
Flittergliick nachjagt, die wirklichen, in
Wahrheit Gliick bringenden Werthe
aber in ihren fchweigenden Verftecken
herkommen und verdorren läßt!! -——
Mit unsiiglich zärtlichem Ausdruck
ruhte das Knabenauge für Momente
auf dem blassen dergrämten Frauen
antlitz, das sich in die zerlegenen Kis
sen grub. Von diesem rührenden Bilde
sprang sein Blick auf die zwei noch
kleineren, nicht minder abgezehrten
Gesichtchen nahe der Mutterbrust —
seine beiden Geschwister, die der
Traumgott wohlwollend noch gegen die
frostige Berührung der rauhen, kalten
Wirklichkeit schätzte. Liebe und Mit
leid für die Theuren lag in seinen Bli
cken· Man sah es ihm an, er gehörte
zu den Naturen, die das Mißgeschick
ihrer Mitmenschen schmerzlicher em
pfinden, als ihr eigenes und am
schwersten leiden im Bewußtsein ihres
Unvermögen5, den Willen zum Helfen
ganz und unbeschränkt in die That
umzusetzen.
Er preßte seine Lippen zu innigem
Kusse auf der Mutter hohlwangigeö
Antlitz, dessen Runenschrift das bür
devolle, sorgenverzehrte Dasein seiner
Trägerin nur zu deutlich offenbarte.
Hastig wollte er von dannen huschen;
er hatte beträchtliche Zeit verloren und
Zeit verlieren bedeutet hierzulande
Geld verlieren. Und ach, wie nöthig
wurden die paar Zehn-Centstiicke, die
er durch Verlängerung seiner Hier
seing einbüßen könnte, in der Familie »
gebraucht, deren einziger Ernährer er
war.
Ja seine-r nervösen Eile traf ihn
"n tlagender Laut von den Lippen der
rwachenden, ein von zerreißendem
Weh durchbebtes Mutterwort, das fei
nen behenden Fuß an die nackten, kal
ten Dielen fesselte:
,Willh, Du gehst doch nicht ......
ohne Frühstück? Nein . . . . ich laß'
Dich so nicht fortt«
«Sorge Dich nicht, Ma,« klang es
beschwichtigend zurück. »Einmal scha
det nich-ist Wenn ich zurückkehre, wer
den wir dafür ein gutes Abendbrod
bekommen« «
Und als Iurchtete der minde, ncy
dennoch durch das Bitten der Mutter
zum Bleiben bewegen zu lassen, so ha
stig eilte er von dannen. Bei den Zei
tungsjungen gilt der Grundsatz:
Morgenstund’ hat Gold irn Mund’.
Die Frau sandte ihm ein Paar
Thränen nach, mit ihnen die heißeiten
Wünsche eines Mutterherzeng "al-3
schützenden Talisman gegen die Ge
fahren des Großstadtgetriebes. Eine
Zeit lang brach ihr Weinen und
Schluchzen durch die trostlose Stille
des dürftigen Gemaches. Daß der
arme Junge ohne seine Tasse erwär
menden Kasees und sein iarges But
terbrod weg hatte gehen müssen! Wie
konnte sie sich auch verschlafen? Ach,
wenn Noth und Kummer die Nacht
über am Betttand sitzen und dem
Schlummer den Zutritt verwehren,
dann ftreut Gott Morpheus schnell
noch ein übriges Sandtörnchen auf
das müde Augenlid, während der jun
ge Tag mit grauen Fäden seine däm
merigen Schleier webt.
Wie gern hätte sie ihrem Kinde, das
sich ftir die Seinen förmlich aufopfer
te, die Last des Ernährens von den
schwachen Schultern genommen. Sie
nehm es Tag für Tag deutlicher wahr,
Die ßeh dieser eine stückweife hingab,
Us- Mjeiden anderen der Mutter zu
M Allein ihre Kräfte konnten
nisst einmal mit den seinigen mes
s Seit der Gatte, ein karg gelöhik
te- Ieieiten sterben hatte sie sich
Idee . Ir- hinnuz abgesandt-;
I- I m Mem owns
lich an den Leib gearbeitet. So lange
sie noch eine Hand rühren gehn-in
hat's: sie ansgehaltem als längst der
lente Rest von Körperkraft verbraucht,
hatte die Kraft ihres Willens noch eine
Zeit lang hingereicht, das Lebens
fchifflein der kleinen Familie zur Noth
an den Klippen des ärgsten Elends
vorbeizufteuerrn Als aber ihr Kön
nen die äußerste Grenze erreicht und
sie eines Tages vollkommen erschöpft
zusammenbrach da sprang flugs ihr
Aeltefter ans Steuer, das er seitdem
mit seiner schwachen Kraft männlich
regierte.
Freilich war es keine Vergnügungö
fahrt, nicht einmal ein mühseliges
Vorwärtskommen, sondern ein ver
zweifeltes Ringen mit der Hochfluth
ungünstiger Lebensverhältnifse, ein
krampfhaftes Sichiiberwasserhalten.
Wenn hier opferwilligste Liebe und
höchstes Pflichtgefühl sich nicht in die
Ruder gelgt, längst hätte die Fluth
Schiff und Steuermann verschlungen.
Täglich war unser junger Held
schon in aller Gottesfriihe auf den
Beinen. Alles, was er that, geschah
mit jener athemlofen Energie und
Rathlosigteit eines Menschen« der
weiß, daß er jede Fiber anspannen
muß, um feinem schwierigen Tages
penfum gerecht zu werden. Jm
Dauerlauf haftete er nach der Druck
rei, belud sich als einer der ersten mit
einer ansehnlichen Bürde, die sich aus
Exemplaren der verschiedenen Tages
blätter zusammensetzte und tauchte
dann mit seiner Last in das aufein
anderwogende Gewühl der Geschäfts
viertel. Das unablässige Ausrufen
feiner gedruckten Waare war den
schwachen Lungen gerade nicht zuträg
lich, aber er mußte fein Organ an
strengen, um sich neben dem Indiana
geheul feiner kräftiger entwickelten
Kollegen bemerkbar zu machen, um in
dem ununterbrochenen Tohuwahohu
der Weltftadt überhaupt gehört zu
werden. Und doch war sein Rufen nur
ein Seufzer im Donnergebrüll dieses
ohrenzerreißenden Konzertes, in dem
jede menschliche Regung, jeder Trieb,
jeder Impuls mitklang, jede erdgebo
rene Leidenschaft ihr besonderes Jn
strument spielte. I
Hatte er seine Waare abgesetzt, so
war seine nächste Ausgabe aus die
möglichst frühzeitige Erstehung der
tagsiiber ost in rascher« Reihenfolge er
scheinenden Extraausgaben und deren
schnellen Absatz gerichtet. So tum
melte er sich bis in den späten Abend
hinein, um Cent aus Cent in seiner
Tasche auszuhäusen zu einem beschei
denen Siimmchtn, das denen zu Hans
das tägliche Brod beschaffen sollte.
Nicht einen Pennh gab er tagsiiber un
nöthig aus siir Süßzeug oder Spiele
rei, wie seine Berusslollegen, die den
sauer verdienten Batzen ost so leicht
sinnigerweise ver lempern.
Und wenn er piit nach Hause iarn
mit Eßwaaren, die er unterwegs schon
eingekauft, und sich. nachdem die Mut
ter so schnell als es ging, das Mahl
bereitet, an den Tisch gesehn abge
hetzt, halb schlasend schon und vor
Müdigkeit den in den Eingeweiden
wühlenden Hunger kaum spürend,
dann nahm er seinen Lohn siir die
Mühen des Tages in Empfang, die
ties innere, heimlich jauchzende Freude,
mit der ihn der Anblick der mit vollen
Backen lauenden, schmatzenden Ge
schwister erfüllt.
Der schönste Preis aber ward ihm,
wenn vor dem Schlasengehen die Mut
ter ihn herzte und küßte . . . Ach, wenn
nur nicht jedesmal eine Thräne aus
dem Mutterauge sich mit diesen Lie
beszeichen gemischt hätte! Wie ein glü
hender Tropfen brannte diese Thriine
aus seiner Stirn, bis tn seine Seele
bohrte sich derselbe, wuchs zu einem
rieselnden Bächlein, das in schweren
Perlen herabkräuselte aus das junge,
wehersiillte herz.
»Ma, wenn ich größer bin, dann(
brauch ich nicht so schwer zu arbeiten j
und verdiene doch viel mehr . .. Dann i
haben wir’s Alle besser, gelt Ma ?« — ;
Ja, es war ein großes, ein edlegt
Herz, das dieser unscheinbare Zei- »
tungsjunge in seiner Brust trug, ein
Schatz, der alle materiellen Güter
überstrahlte, wie geläutertes Gold
slimmerndenQuarz, einReichthunI, der
der Menschheit weit mehr hätte nützen
können als alles Edelmetall und Edel
gestein, das das Auge seines Besiyers J
blendet und dessen Seele ahstumpst ge
gen die Schicksale seiner Nächsten. ’
Eines Tages tehrte der kleine Willy
in seltsam gedrückter trauriger Stim
mung von seinem beschwerdevollen Ta- »
gewert zurück. Er zählte seine Nickel- ?
und Kupfermünzen wie üblich aus den i
Tisch —- es war gegen andere Ahende :
eine auffallend geringe Anzahl.
« »Du hast heut« weniger Glück ge-;
habt im Geschäft, armer Junge,« he
mertte die Mutter, die des Knaben
Niedergeschlagenheit aus Konto dieser
kreduzirten Einnahme setzte, mit einem
; ermuthigenden, sanften Lä In.
»Ach, liebe Mal — Dr st’s nicht!
Ich weiß, Du wirst mtr eineöwegs
zürnen, wenn ich Dir erkläre, wie es
kommt, daß ich heut’ so viel weniger
heimbringe,« erwiderte der brave Jun
ge. Und nun begann er eine tiesergret
sende, Herz und Seele erschütternde
Erzählung die ihm wiederholt Theti
nen erweckte
Er war im Verlauf des Nachmit
tags in die Nachbarschaft der westli
chen Basses-laute gerathen- An einein
«der großen Frachidepots der Mal
Eisenbahn hielt das dielgliedrtge
Monstrum eines Güterzugei. Jn dem
selben befanden sich einige Resrigeratoi
ren einer Chicagoer Schlächterei. die
bereits entladen waren. In den halb
ofsenen Wagen lagen Eisstiicke nnd
Eisstiictchen zerstreut, von denen lleine
Bäche ausgingen, die auf das schmutzi
ge Pflaster sickerten. Einige jugendliche
Proletarier, von denen sich immer eine
Anzahl, auf etwaige Absiille sahndend,
in der Nähe dieser Waarenlager her
umtreibt, schielten lüstern nach den
Eisklümpchem trauten sich aber nicht
heran, da man nie wußte, wenn sich
so ein Ungethüm von Eisenbahnzug in
Bewegung setzt.
Endlich wagte es doch Einer. Der
hatte gleich einen blecherner Eimer
mitgebracht in der offenbaren Absicht,
die Mühe und Gefahr« die mit dem
Einsammeln der Eisstiicle immerhin
verbunden war, durch die Größe der
Ernte zu lohnen.
Willh hatte mit gemischten Gefühlen
dem waghctlsigen Unternehmen des
etwa III-jährigen Knaben zugeschaut
Als er das Motiv dieses Thuns er
fuhr, daß nämlich das jüngst-. Schwe
sterchen des Knaben zu Hause im Fie
ber lag und Eisumschliige haben sollte,
daß aber die zur Erlangung des Kühl
stosfes erforderlichen Geldmittrl fehl
ten-da sagte er. Willv, sich, daß er
in der gleichen Lage ebenso gehandelt
hätte, wie dieser Junge.
Plötzlich geschah das Schreckliche,
das Entsetztiche. das der lleine Zei
tungsiunge mit Bangen und Beben im
Geiste tommen sah —- das grauenhaste
Unglück, das von dem Augenblick an,
wo der Eissammler den Waggon de
stiea. aus ein Menschenopfet gelauert,
hatte zugegrissen —
Der Zug bat sich in Bewegung ge- "
setzt. Erschreckt will der Knabe sich
retten auf das feste Pflaftee. Mit bek
zweifelter Entschlossenbeit umspannt
seine Hand das Geschirr, welches die
köstliche Beute enthält. Wird es ihm
nicht hinderlich sein beim Abspringen?
Noch zaudert er . . . rascher rollen. pol
tern die Räder über die eisernen
Sttänge. .. da ein Sprung .. . ein
unmenschlicher Schrei... ein tuezes
Krachen. wie wenn Knochen von den
Zähnen eines Ungeheuers zerknalnit
werden . .. auf beiden Seiten des Ge
leises liegt je eine Hälfte des unglück
lichen Knaben . .. die obere hälste lebt
noch... sie bewegt sich in Konvulsio
nen. Die eiserne Schlange bat dem
Armen beide Beine abgebissen ——- so
eben veetriecht sie sich in der Ferne
zwischen den grünen Böichnngen des
Hudsonusers.
Ein Policeman hat sich über den
Verunglüctten gebeugt, während ein
zweiter den neugierig sich andrängen
den Mob in gemessenem Abstand hält.
»Oh... meine arme Mama...
meine lrante kleine Schwesire . . please
Officer... don’t tell ’em... Im
dning... ah.·." wimmerte dee
Schwuderletzte Als der Ambulani
wagen anlangte, hatte der Tod den
Knaben bereits von seinen Qualen er
lö . . .
»Am Boden sah ich die blutbespritz
ten Eistliinipchen liegen.« ichloßWilly
seinen Bericht, »die erinnerten mich an
das iranle Schwesterchen des Umge
lonnnenen So eilte ich schnell da
bon... den anderen nach, die die
Schreckenstunde der armen Mutter
in’s Haus trugen. . . Meinen ganzen
Erlös bab’ ich dort gelassen . . . es war
etwas über einen Dollar . . das reichte
doch für Eis und vielleicht fiie sonst
noch ein paar Sachen. die Kranke ha
ben müssen . . . gelt Ma?«
Die Mutter fuhr sich mit der
Schürze über’5 Auge. Dann schloß
sie den Knaben innia in ihre Arme
und küßte ihn. Wer sagte, daß sie
arm warst-! Werso einen Sohn besitzt,
wer in einem solchen Kinderherzen
einen Altar gefunden, der gehört zu
den Reichsten dieser Welt, der möchte
mit einem Krosus nicht tauschen! —-·
Das Schicksal ist ebenso brutaL
wie die Mehrzahl der Menschen, auch
es tann dem, welchem es einmal auf
sässia ist, das bischen Sonnenschein
welches das Leben ihm noch übrig ge
tafsen, nicht vergönnen Eines Tages
traf es zu, was die Mutter behenden
Herzens seit aeraumer Zeit befürch
tet: sie wachte am Kranienbette ihres
Lieblings. Kein Laut der Klaae kam
über ihre Lippen; für den intensivften
Schmerz hat das Auge keine Thränen
Mit dem heroischen Willen des Kna
ben hatten dessen schwache Kräfte
nicht aleichen Schritt halten können.
Die Blume, die ein rauher Wind
aetnickt hat, vermag auch die sorgfäl
tiaste Hand, das- liebevollste Bemühen
nicht mehr aufzurichten Ein grau
sames Geschick wollte es nicht, daß der
unaliicklichen Mutter der bitterste
Tropfen in ihrem Leidenstelch erspart
bleibe.
Ists
Jn der weiten, auf grünen hiigeln
aufgebauten Stadt der Todten,« woj
schattiae Evpressen über Gräbern !
,rnuschen und flüstern, ruht ein junger z
beid. Kein pruniendes Denkmal,
nicht einmal ein ganz einfacher Stein
;kenzeichnet die Stelle, keine prackfth .
iBlnmenspenden zieren den em a »n«
Ihiigeh unter dem er fchlaft; nur dre»
trink-mite- Namk wird zpineidig »qu
Efiir Jahr eine frische atnm Decke ber
lihn breiten.
Und doch, welcher von jenen Sterb
lichen, denen eine irreaeieitete Mensch
heit, oder sagen nett die litnftlich ge
schaffene, diltirte offentlrche Meinung,
so freiqu den Deldenloebeer um die
Stirne gesunde-, denen der schaus
tsirte Irer Dante frenetisch winseln
mit denen ein Fetischiuttui getrieben
wirb, weil er einige rnit Blut geschrie
bene Daten in die Annalen der Ge
schichte eingetragen, weil sie jener ne
gativen Größe sich rühmen durften die
der Menschenhänbe mühevolle Arbeit
zerstört. vernichtet, anstatt sie zu er
halten« neue Wertbe zu ichassen, hie
ihrem Ehrgeiz Hetatomben von Men
schenleben geopfert und nie ein ein-»
ziges von dem Untergange gerettet —
welche von all’ Denen. die mit dein
Schwerte eine barbarische Berufs
tsslicht erfüllt, von all Demn, deren
Genie der Menschheit eine Geißel ge
worden, dürste, was wahren Seelen
adel nnd inneren moralischen Gehalt
betrifft, jenem unscheinbaren und da
rum nngezäblten Helden zur Seite
gestellt werden22
Kein Dichter bat sich bewoan ge
fühlt, in die Saiten der Laute seiner
Poesie zu greifen zum Lobe, zur Ber
berrlichuna der großen That eines
kleinen Großen. Allein vergessen ist
diese darum teineswenst Dort unten,
in den Tiefen des Menschenwan wo
das Leben so schwer gelebt wird. geht
sie von Mund zu Mund, wird sie sich
als hehre Tradition von Geschlecht ans
Geschlecht vererben.
Einer wie der Andere.
Die Rosel vom Lindenhos war mit
Franz Mehlsack, dem einzigen Sohn
des Grundmüllers, versprochen, und
Trade Mehlsack war mit Rosels Bru
der heinrich, dem ältesten Sohn des
Lindenhofbauern, versprochen. Also
zwei Gefchwisterpaare!
Das die Einwohner von Ober-, Un
ter- und Mtitelsperlingsthal eifrig von
dem bevorstehenden Ereigniß einer
Toppelhochzeit redeten, läßt sich den
ten. Der Gutsbesiher Raps und der
Müller Mehlsacl waren nämlich sehr
angesehene Leute und zahlten die mei
sten Steuern im Umkreise von zehn
Meilen. Während sich fremde Leute
über das Fest die Köpfe zerbrachen,
hatten die beiden Vater noch lein Wort
darüber geredet. Fing Frau Mehlsacl
an, von Trudens Hochzeit zu reden, so
wurde der Müller oerdrieleich und
meinte, bis zum Frühling wäre noch
viel Zeit, und sprach Frau Raps von
Rosels Hochzeit, so nahm ihr Mann
die Mütze vom Nagel an der Thüre
und ging aufs Feld oder in den Pfer
deftall, als wäre gerade etwas recht
Wichtiges zu besorgen. Schwerfällig
waren die beiden Männer —einer wie·
der andere!
Mittlerweile war doch die Zeit ver
gangen, die Saaten schimmerten schon
grün, die Lerchen sangen, die Kirsch
bäume machten Anstalten zum Blühen,
der Frühling war da —- und im Früh
ling sollte die Hochzeit fein.
Endlich war der Tag bestimmt, die
beiden Väter waren wegen res Auf
gebots beim errnPastor gewesen, und
wie der Mü er beim Vater Raps auf
dem schwarzledernen Sopha saß und
ein Schülchen Kaffee trank, da lam
wirllich die Rede auf die hochzeit und
trie alles werden sollte., Daß der Va
ter der Braut die Hochzeit aus-richtet,
ist eine alte, gute Sitte. der sich jeder
fügt, aber hier gab’s zwei Bräute und
zwei Väter. Welcher sollte nun das
Vergnügen und die Ehre haben?
Wie das eisige Schweigen, das seit
Monaten von ihnen beobachtet worden,
endlich gebrochen war, tam das Ge
spräch in Fluß und einer suchte den
andern an Edelmuth zu überbieten
und jenem die Mühe und die Geldaug
gaben zuzuschieben.
Raps und Mehlsack waren nämlich
nicht nur sehr reich sondern auch sehr
geizig. Einer wie der andere! Aber
mit guter Manier mußte es natürlich
geschehen, das es nicht etwa gar aus
sähe, als wollte man das Geld spa
ren.
»Wenn Du die Hochzeit geben willst,
—-— ich nehme Dir’5 nicht übel,« sagte
ber Müller. »Deine Rosel ist alter als
meine Trudel und hat demnach den
Vorrang.«
»Ach was-, die paar Monate sind ga:
nicht der Rede werth,« widersprach der
Gutsbesitzer·
»Aber Franz ist Dein einziger
Sohn und ich finde, es ist in der Ord
nung, wenn seine Hochzeit in der
Grundmiihle geseiert wird, die ihm
später ganz allein gehören witd.«
»Unser Haus paßt gar nicht zu so
einer großen Schmausereit Die Stu
ben sind viel zu llein," entgegnete der
Müller eifrig. --Das ist aus Eurem
Lindenbos etwas ganz anderes. Die
Oberstube ist ja eigentlich ein Saal zu
nennen. Außerdem wohnt ihr ganz
nahe bei der Kirche und bis zu unserer
Mühle ist’s mindestens eine halbe
Stunde Wegl«
»Na, nas« suhr Raps aus. -
»Zwanzig Minuten, wenn man ge
mächlich gebt.«
« a, Du, mit Deinen langen Bei
nen! lachte der Müller. »Aber wenn
Frauenzimmer dabei sind, get-PS nicht
o rasch, und wenn es vielleicht am
Hochzeitstage regnen sollte, dann wird
das ein schönes Geiammer um die
schönen neuen Kleider geben.«
»Dann wird gefahren! Wozu haben
wir Beide diePserde imStalle sieben?«
Raps verlor die Geduld iiber den hart
näckigen Müller, schlug grimmig eine
zgziege todt, die am cker naschte, und
l ehlsack sah auch s on ganz griesgrä
Jmigteans und schob die Kasseetasse bei
; , als wollte er gehen. Jn diesem
itritischen Augenblick trat der Schnei
der heine ein« den Frau Raps herbei
-gertisen hatte, griißte böslich die bei
den Dorsmagnaten und setzte sich be
scheiden seitwärts.
Der Schneider war nämlich bei einer
Hochzeit unurngiinglich nöthig, weil er
in Ober-, Unter und Mitteln-Klinge
thal das Amt als Hochzeitsbitter be
tleidete. Er wußte alle die alte Ge
bräuche, die seit Menschengedenten bei
Hochzeiten zu beobachten waren, er
tonnte die Verse im Schlafe hersagen,
mit denen schon seit hundert Jahren
die Gäste zur Hochzeit geladen wurden,
ja, er dichtete auch neue hinzu, wenn
er in besonders sestlicher Stimmung
war. Wenn Einer Heine heißt, muß
er unbedingt ein Dichter sein« er mag
wollen oder nicht Stumm hörte er
eine Weile den weiteren Disput der
Väter an dann räusperte er sich, um
sie an seine Anwesenheit zu erinnern,
und nahm das Wort:
Meine Herren! Erlauben Sie mir,
einen Vorschlag zu machen. Sie wis
sen ich bin, obwohl ich selbst unt-erhei
rathet bin, doch ein Praltitus in Hoch
zeitsanaelegenheiten Sehen Sie, —
wir haben hier ausnahmsweise zwei
Bräute und folglich auch zwei Väter.
Warum soll nur einer die Kosten tra
gen? Nein, jeder bezahlt die hälste,
und das Hochzeitsmahl wird im Gast
hose abgehalten. Er liegt dicht bei der
Kirche, hat einen schönen Saal, der
Wirth läßt aus der Stadt eine Koch
srau kommen und sein Weinhändler ist
solid und bedient ihn stets gut-«
Daß der Wirth dem Schneider Z
Mart versprochen, wenn er ihm die
Doppelhochzeit verschassen könnte, das
sagte Heine natürlich nicht.
Die Väter dachten eine Weile nach,
dann nickten sie gleichzeitig mit den
Köpfen, einer wie der andere. Der
erste Punkt war angenommen, der
Schneider riictte näher an den Tisch
heran. Die Sacke würde sich schon
" noch-machen!
»-- « - «
»Gott es .eme -:s1vnenme-Vochzen
oder eine Tiippel-Hocheeit werden?«
»Abnebmebochzeit? Tüpvelhochzeit?«
Die beiden Väter sahen den Hochieits
bitter verstöndnißlos an. Heine schlug
die Hände überm Kopfe zusammen,
daß es Leute gab, die den Unterschied
nicht wußten! Unglaublich!
»Um solchen Kram tiimmern wir
Männer uns nicht!" knurrte der Miit
ler und Raps stimmte ihm bei. Da
raus setzte nun Heine die Geschichte
weit auseinander. Wenn bei einer
Hochzeit die Schüsseln nur herumge
reicht und dann wieder fortgetragen
werden, so beißt das-: eine Abnehme
Hochzeit. Eine Tüvpel : Hochzeit ist
aber viel feiner. Die Schüsseln blei
ben aus der Tafel sieben und lrenn
die Gäste so dicksatt sind, daß tein
Bissen mebr hinunter geht, dann wer
den die sehr ansehnlichen Ueberbleibfel
mit nach Hause qenommen. Und dazu
braucht Jeder und Jede einen Ton
oder wie man in der Sperlingsthaler
Mundart sagt: ein TübpeL Daß das
zur richtigen Zeit vorhanden ist, da
fiir wird schon aclorai. Kinder nnd
IMägde bringen Töpse ’mn«reschlevdt
und vor dem Haufe balten Frauen
mit neuem Topizena feil. Da wird
nun einaesiilti. Unten kommt Rind
ileiich mit dickem Reis und großen
Roiinen, daraus Karpfen mit polni
scher Brüde, oben Enten-, Gänse
oder Schlveinebraten mit Apfelmug
nnd Selleriesalat. Der Kuchen wird
in ein sauberes Taschentuch eingebun
den, und mit dem Tüppel in der einen
und der Kuchenboete in der anderen
Hand zieht jeder Gast heimwärts,
wenn das Fest zu Ende ist« und kann
sich noch tagelang gütlich thun.
Dem Müller sträubte sich das spär
tiche Haar auf seinem Schödet, als er
von der entsetzlichen Verschwendung
hörte, und Raps war gleichfalls em
vört.
»So was aibt’s« bei uns nicht! Was l
foll denn das losten?« eiserte der !
Gutsbesitzer e :
»Im wiu auch Hm Time-thos
zeit!« saate der Müller. «
Der Schneider wer fasiunaglos.
Die beiden reichsten Männer nnd —
eine AbnehnresHochzeit wie bei Hinz
und Kunst
Da tam ihm ein unertvarteter Bei
stand.
Frau Raps war eingetreten, schlug
lrästia mit der Hand aus den Tiich,
daß die Tassen tlirrten, Und sagte in
sehr entschiedenem Tone: »Ihr tönnt
ia thun, was Jhr wollt, aber meine
Rosel belommt eine Tünpel-·fio(t.reit!«
und gleichzeitia trat die Mehlsackin »
vor und saate in gleichem Tone: »Und
meine Trade bekommt auch eine Töp
rel-.f)ochzeit! Punttum!« ’
»Es wurde eine Weile aani still in
der Stube; man hörte die Fliegen am
Fenster summen, dann räusperte sich
Raps: »Na, meinettveaen! Darüber
wollen wir uns nicht streiten!'« ’
»Meinettoegen auch!« brummte der
Müller.
So bärbeiszig wie sie thaten —-- die
beiden Männer standen doch unter dem
Pantossei: Einer wie der andere!
Dem Schneider siel eine schwere
Last vom Herzen — handelte es sich
doch um sein Renomee als Hochzeits
bitter und VergnügunasvorstanN
Flint lies er sort. um den Gastwirth
zu holen, damit dle Angelegenheit zum
Schlusse kam. Man muß das Eisen
schmieden, so lange es noch heiß ist.
Wie der Wirth da war, ging die
Berathuna über Speisen und «Ge-.
tränle an, aber eme Einigung liess
sich nicht erzielen. · (
Der Müller aß nicht gern settens
Schweinebraten »und dem Gutdbe er ;
waren junge Gänse« zu theuer. ei
Eine wollte als Trick-wein Grüne-!
berst, der Alt-Free Meissner. ;
ie sich die mitther wieder er-·
histem kam dem« ersindungsreiåen
Schneider abermals ein auter n
sall: Ein Vater sollte allein das Essen
bestellen und bezahlen, der andere
Vater sollte sür das Getrünt auf
kommen. Ohne eine Antwort abzu
warten, holte er zwei Strohhalme
herbei, einen langen und einen tur
zen. Mit großer Feierlichkeit wurde
das Loos gezogen. Raps hatte den
langen Strohhalm erwischt, das hieß:
das Essen, der Müller den kurzen:
das Getränk. Nun zog der uner
miidliche Hochzeitsbitter eine Brief
tasche vor, um die Gäste au uschrei
ben, die er einladen sollte. «m An
fang gings ganz glatt. Die Ver
wandten, Freunde und Freundinnen
der Brautlente, die Honoratioren von
Ober-, Unter- nnd Mittellnerlings
thal, die Ehrengäste, wie der Herr
Pastor, der Lehrer, der Ortsrichter
Mbst Frauen, Töchtern und Söhnen.
Zieran tamen aber auch Gäste an die
eihe, die bald dem einen, bald dem
andern Vater nicht paßten, und ilber
jeden wurde lange gestritten. Der
Schneider wischte sich den Schweiß
von der Stirn. So mühselig war
noch nie eine Hochzeitsborbereitung ac
tvesen, denn mit solchen Streittöpsen
hatte er noch nicht verhandelt. Einer
wie der Andere!
»Der lustige Paul! sagte Heine und
leckte den Bleistiit an.
Der Müller runzelte die Stirn.
»Den kenne ich gar nichts«
»So nennt man den Glaser
Schmidt, weil er immer lustig und
fidel ist«, erklärte Heim.
»Der lustige Paul muss, mindestens
dabei sein. Er singt, detlamirt) bliist
auch das Waldhorn, und so einen Gast
muß man haben. Das gute Essen
thut’s nicht allein, die Leute müssen
sich auch amiiiiren!«
»Er kann wohl tüchtig trinken?«
nahm jetzt Raps das Wort. »Musi
tantenseelen sind immer trocken." Der
Schneider nicltr. »Aber betrunken hat
ihn noch Niemand geseh’n; er tann
ungeheuer viel rertraaen.«
»Und so einen Menschen soll ich
einladen ?·« dhte der Müller
Der Gutsbesitzer lachte: »Ach so,
weil Du den Wein bezahlen mußt!
Na, beruhigt Dich, Mehlsack. Der
lustige Paul wird Dich nicht arm
trinken. Schreibt ihn aus, Deine. er
wird eingeladen!«
»Da tann ich ja geben nnd Dir
alles Uebrige überlassen!« antwortete
hitzig der Müller, nahm Hut und
Stock nnd stamvste zurTbiire h«naug.
Aber schon nach wenigen Augen-litten
war er wieder da.
»Der Forstaebilse Grünbanm soll
eingeladen werden, Schreibt ihn aus,
Heine!«
Kennst Du ihn?« fragte Raps er
staunL
»Nein, aber ich habe zugesehen, was
er im Gastbos »zum weisxn Roß«
beim Schlachtfest gegessen bat: ID
Portionen Weltsleisch, 3 Mal
Schweinstnöchel mit Kreis-en 3 Mal
Bratwurst mit Kraut, und satt war
er immer noch nicht und bestellte sich
zum Nachtisch Nettiche und Käse. Ge
trunten bat er nur etn einriqu Glas
Viert Das ist mein Mann! Du
tannst Dich treuen, was der bei der
Hochzeit essen wird, Raps, und außer
dem wobnt seine Schwester bei uns
im Dorfe, eine Wittwe mit 8 Kin
dern. Wenn Jedes mit einem Titvbel
tonnnt — na. Adien!« und lachend
aina der Müller fort. Raps lachte
nicht« sondern sab so sinster ans, daß
der Schneider schleunigst den Riiehua
antrat und draußen seufzte: »Das
wird eine schöne Hochzeit mit den bei
den Dicttövsen werden! Da ist ja
Einer wie der Andere!"
ff
»Alle Ehre von der Treue
kommt-«
Ein niederbanrisckeg Blatt enthält,
wie die »Fratits. .-tta.« mittheilt, sol
aende Jtotixr ,,Strauhina.lSchätzenSs
werther GastJ Seit vierzig Jahren
ununterbrochen verkehrt als täglicher
Gast in der Brauerei, Dietl, dahier,
Herr Spitalmeßner Joses Fischer.
Derselbe hat während dieser langen
Zeit niemals in einer anderen Wirth
schast verkehrt, niemals ein anderes
Bier als Dietl- (sriiher Loschinaer-)
Stoff getrunken. Nachdem der Gast
iubilar taatiialich daselbst seinen Mit
tag-: und Abendtisch einaenommen, be
trägt die seither aezahlte Zeche, loie
Herr Fischer angibt, über 16,000 Mk.
Für Bedienung spendete Fischer täg
lich 2 Ps» das macht in den vierzig
Jahren 292 Mk hierzu kommt noch
das Neujahrötrintgeld mit 4 Mi. pro
Jahr, d. i. 160 Mk· Fürwahr, ein
nettes Sümnichen.« An diese ergrei
sende END-«lj-eituna hönat die ,,Miin
chener Post« folgende Glosse: »Bei-bot
Der Herr Spitalmeszner ist ein Bür
.aer, wie es sich gehört. Möge »dersel
be« ,,daselbst« zum Besten des Vater
landes und seines Bänchleins nur so
weiter tvirlen. Solche Männer sind
Säulen der oaterliindischen Brauin
dustrie und Träaer echt patriotischen
.Geistes. Der Stuhl, aus dem der
Brave vierzthahre tagtäglich gesessen,
die Hose, die er aus «demselben« »da
selbst« abaetveßt hat, werden als
Zeugnisse tteser heimathltebe und ho
hen Büraersrnnes im Straubinger
Rathhaus einst den verdienten Ehren
vlah finden. Den Bürgern znr Freu
de und .,denlelben« «daselbst sur
Nacheiseruna!«
- Stier-ei Mittel.
»Wie rasch sich der Karl einen Us
men gemacht han«
« - »Diese eigentlich?«
i »Er ist Automobiltst eworden und
’da erscheint sein Name ot in der Us
quaschwun.« .