Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, September 22, 1905, Sweiter Theil., Image 14

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    Die Spielgefährten
No ooooooooo V. Wiesen.
IOMOMCOPPOOIIPOP
(3. FortseßungJ
.Wäre dng auch der Haus« äußerte
Frau Dittmek schan, ,.w ist solches
Eint-ringen der Volksllassen in unsere
Kreise immer nachtheilig und tadelns
werth. Wo bleiben da schließlich die
Standes-unterschiede. Habe ich nicht
recht, Herr Pfarrers«
»Daeiiber läßt sich viel ——streiten,
und das wollen Dir doch nicht,« war
die lächelnd und vorsichtig gegebene
Antwort »Aber wo ift denn unsere
liebe Alices Ich habe sie ja noch gar
nicht begrüßt.«
»Wer weis-« wo sie wieder stecken
maa,« entgegnete die Mutter in miß
muthiaem Ton. »Es ist nicht wiss-lich »
das Mädchen an Pünttlichkeit nnd «
Hausordnuna zu gewöhnen Jnimerl
dies zwecklofe Umherltteifen und Zeit
vertrödeln.'«
»Heute ist doch Sonntaa,« versuchte
Dittmer zu entschuldiqen. Sobald ein »
Tadel gegen seinen Liebling laut
winde, nahm er das Pfeifchen — wel
ches er irn Zimmer teiner Frau rarrs
tauchte —aus dem Munde und rückte
unruhig auf dem Stuhlebin und her.
Auch der Pastor lenkte ein. Mit der
weichen, srauenhast zarten Hand über!
sein bariloses Gesicht streichend — eine l
Bewegung, die ihm zur Angewohnheit
geworden war — sagte er freundlich:
»Das ist die wilde, ungestüme Ju
aend, die ihre Freiheit verlangt. Lassen
Sie die Kleine nur sich ihrer siebzehn
Jahre freuen. Das Leben zwingt uns
früh genug dazu, ernst und verständig
zu werden«
.Nicht wahr, Herr Pastor?« stimmte
Ditttner lebhaft zu. »Siehst Du, Ma
riechen, das sage ich immer. Warum
solt die Lisel nicht das bischen Pläsier
. . . wie heißt es in dern schönen Liede:
.Freut euch des Lebens, solang’...«
»Ach laß doch diese altmodischen
sit-tin die besaaen gar nichts.« Einge
schiichtert schwieg der Zurechtgewiesenr.
und gean den Gast gewendet, fuhr
Frau Marie fort: »Mein Mann ist
m jeher, viel Fa nachsichtig gegen
Ulice gewesen und hat ihr immer den
Willen gelassen.«
»Im vorliegenden Fall erscheint mir
das gerechtfertigt.'« begütiate derGeist
liche. .Handelt es sich doch nur um
einen etwas iiber die gewohnte Zeit
ausardehnten Spaziergang, und wie
köstlich sind ietzt zur Hochsommerieit
Feld und Wald! Einem jungen Wesen,
das allein. ohne Geschwister oder Ge
fährtin ausgewachsen ist, pflegt die
Natur die beste Freundin zu sein«
Frau Marie wollte nicht widerspre
chen, aber sie entsann sich genau, daß
ihr seist die Natur niemals Freun
din gewesen war. Von ihrem Prakti
lchen Standpunkt aus erschien ihr der
Sommer nur darum schön. weil Obst
und Gemiise reisten. weil man die
Betten sonnen und das Vieh aus die
Weide treiben konnte.
»Ich denke, in der Laube wird jetzt
Schatten sein,« meinte Dittmer und
seyte verstohlen seine Tasse auf einen
kleinen Kasseeslech den das saubere
Tischtuch durch irgend welchen bösen
Zufall erhalten hatte, »tönnten wir
nicht draußen unsere Partie spielen
Wie. Mariechen?«
»Ja. wenn es dem Herrn Pastor
recht ist?«
»Aber sehr recht; ie später der Nach
mittag, desto ernuickender die Lust.«
»Alle gut, dann hole die Karten,
Heinrich,« gebot Frau Marie. Wäh
rend die drei Alten sich eisrig der
Statpartie widmeten, war Alice im
Walde. Bald nach dem Mittagessen,
als die Mutter ruhte. hatte sie das
Zimmer verlassen, dessen Stille und
stdiitnpfies Licht ihr unerträglich drü
ckend waren
Draußen umfing fie greller Son
nenschein. Die hellen Kieswege flim
merten, die feuerrothen Verbanen auf
den Beeten blendetem mit halbge
fchlossenen Augen schritt das Mädchen
dem ungepflegten, verwilderten Pakt
zu. Ader auch unter den dichtbelaub
ten Bäumen brütete die heiße Son
nengluth, gleichsam wie eingefangen.
Zirke drückende Schwüle lag in der
n t.
Alice öffnete die fchadhafte Pforte
des grauen, rnoosdetoachfenen Lasten
pnneT der Feld und Garten trennte,
nnd trat ins Freie. Tyras, der große
Most-und den sie zur Feier des Sonn
tags von der Kette losgemacht hatte,
drängte heftig nach
Der Hund am Halsband haltend,
schritt sie leichtfüßig vorwärts-. Ein
steitrandtger Strohhut fchiitzte Stirn
nnd Augen, nur auf dem goldblon
den Haarinoten und dem zarten, ro
ngn Nacken, den der schmale Aus
fchnitt des Sommetileideö frei ließ,
spielte die Sonne
Wie befreit athmete das Mädchen
auf. hier draußen ift es schon; ab
nnd zu geht ein tühlerer Lufthanch er
t die fchl anten dunkelgelben
brachte-, die noch fo ftolz aufrecht
sehen nnd nicht wissen, wie bald die
Sense del Mitte-es sie zu Boden
reisen wird. Zwischen den halt-sen
in Menge Korndlnmen
W
III heller Flammer lustig an- i
M « »Es-W s«
" » n. Auch die Iehren sind
m M sefttsy der Rossen durch
IDOOMOMMMMMMI
landaltende Dürre vorzeitig gereift,
lwird in diesem Jahre wieder schlecht
T»schütten«.
« Doch das beschäftigt nicht die Ge
danken der Borwärtsschreitenden.
Sie ist es von jeher gewohnt, daß die
frohen, zudersichtlichen Hoffnungen des
guten Papas bei jeder neuen Ernte
ebensoviel große Enttäufchungen wer
den. Mechanisch rupft sie vom Gra
benrand ein paar Vergißmeinnicht mit
Kleeblumen, die in der kleinen, beißen
Hand sofort welkend die Köpfe hän
gen lassen.
Der Felsweg ist jetzt zu Ende, ein
fchmaler Fußsteig führt in den Wald.
Er bildet die Gutsgrenzr. Der jensei
tige Forst gehört zum Nachdargut Do
bratvitz, das gegenwärtig unbewohnt
ist.
Das junge Mädchen setzt sich aus
ruhend ins Heidetraut, streift den Hut
von der heißen Stirn und hängt ihn
an die Zweige eines niedrigen Hasel
nußstrauches. Auch der Hund, nach
dem er noch eine Weile bald biet-, bald
corr yerumgetchnupperr, ureut sich zu
Füßen der Herrin aus und legt feinen
Kopf aus die breiten Vorderpfoten.
Tiefe, lautlose Sonntagnachmit
tagsstille ringsumher-. Um einzelne,
höher stehende Grasrippen kreisen die
Mücken. Wenn sie dem Hunde nahe
kommen, zuckt er blinzelnd und läßt
die weißen Seitenziihne sehen.
Lich, die Hände um tie Knie ge
schlungen den Kopf an den rothbraus
nen Stamm einer alten Fi chtchegetehnt,
träumt mit offenen Augen vor sich
hin. Wovon, hätte sie selber nicht sa
gen können. —- Kannte sie doch nichts
von der Welt als die väterliche Schvlle
und keine Menschen, außer den weni
gen, unter denen sie ausgewachsen
war. —.Wie ein immer gleichlaufen
des Uhrwert vergingen die Tage, so
lange sie sich entsinnen konnte, nur
durch die wechselnden Jahreszeiten un
terschieden. — Es war schön in Tan
ninten, niegend in der Welt konnte es s
schöner sein. Der tiefe, grüne Wald»
der Garten mit den vielen BlumenU
die sie lieb haben und pflegen durfte
der Thraå und vor allem der gute,
gute Papa —- das alles hatte sie 34
eigen
Und trotzdem iarn es bisweilenl
über sie wie ein ungestümes Sehne-«
ein ungeduldiges Harren — ja, wo
rauf denn nur-? Wenn, so wie jetzt.
nur die Mücken tanzen, Sonnenstrah
len die kleinen Blumen tiiiien unr
Schmetterlinge einander haschen —
dann war es plötzlich da, das seltsam
Verlangende Gefühl in ihrem jungen
Herzen. — Zu duman Der Inn-«
war viel klüger: er schlief. Schlusen
ist gut gegen die Langeweile.
Lich wollte auch versuchen zu schla
fen. Sie drückte die Augenlider ekne
Weile fest zu aber es nützt nichts-.
Gegen ihren Willen horcht ihr-, Gt
auf das Zirpen der Grillen und den
leisen Lockrus eines Vogels-.
Jetzt raschelt es hinter ihr, ein iro
ckener Zweig tnackt.
Thras hebt schnuppernd die
Schnauze und beginnt leise zu knur
ren. Was spürt et du« ein Eichhdr1«
chen oder gar einen hasen2 Neugie
rig wendet das Meädchen den Kopf zur
Seite; aber in demselben Augenblick
springt auch schon der bund aus un
wiithend einem Mann entgegen, der
zwischen den Stämmen hervor auf die
Lichtung tritt. Er ist kaum imstande
sich den unvermutheten Anareiser mit
dem Stock vom Leibe tu halten.
»Verdammte Bestie, ich merke
dich . . . .«
»Zum-» Tyras, willst du nicht
gleich herkommen, Tyrag!" ruft Lin-,
zu Tode erschrocken Was bat nur der 1
Hund-? Er ist doch sonst gar nicht
böse.
»Tons, Tvras!«
Aber das Thier gehorcht nicht, es
ist wie außer sich, und muthig sprin«t
nun das Mädchen selbst hinzu. packt
den sich heftig Sträubenden am Hals
ring und zerrt ihn an ihre Seite.
»Solch ein vermaleides . . ·« De:
Fremde betrachtet erst prüfend sei-en
eleganten Sommeranzug, in den die
spitzen Hundezähne ein kleines Lochi
gerissen haben, und dann, nachlässigs
den Hut lüftend, das junge Mädchen,.
welches sich, hochroth im Gesicht, noch
immer mit dem widerspenstigen Tytas
abmüht. i
»Vesbindlichen Dank fiir Jhre
Hülfe, gnädiges Fräulein, aber man
sollte diefen gemeingefiihrlichen Köter
wirklich lieber an die Kette schlie en
als ihm Gelegenheit gehen, harm vie
Spaziergänger anzufallen.« Es lag
etn gut Theil Aerger in den rückständ
los ausgesprochenen Worten.
Lied stihlte sich schuldig, denn sie
hatte Tyrai losgemacht
»Ach, bitte, verzeihen Sie! Er ist
sonst so gehorsam, der hund, t be
greife nicht, was ihm heute . . . ter
J en«wirtlich den schönen R zer
rt ens
, Biene verschiichtett zu ihm tmtsc .
,fma die Sache an, dem Manne Spa
th- W und er sibernahm nun
selbst die Bertbeidignng des Misse
thätets.
»Schadet nichts, mein Fräulein;
das Malbeur ist nicht der Rede werth,
nnd da das Vieh mich doch nicht kennt,
kann nran es ibm eigentlich nicht wei
ter iibel nehmen. Jcb bin ersi vor
wenigen Tagen nach hause gekom
men.«
»Nach Hauses Wo ist denn das?«
ragte sie so unverhoblen neugierig,
daß ein belustigtes Lächeln iiber sein
schmales Gesicht flog.
»Mein-»Ja Hause« liegt gar nicht
weit von hier; ich vermuthe, das Rit
teraut Dobrawitz wird anen bekannt
sein« Dann mit leichter Verbeu
gung: »Mein Name ist von Wass
czewsti.«
»Ah —- wirklich?«
»Wundert Sie das, mein Fräu
lein?«
»Nue weil Sie bisher nie aus dem
Schloß wohnten; es hieß. Sie wären
immer auf Reisen· Sind Sie nun
Zurückaetotninen?«
»Es scheint io,« spöttelte er.
Sie wurde alijhend roth. »Gott, wie
furchtbar dumm ich frage! Ich meinte,
ob Sie ietzt immer hier bleiben wer
den auf Ihrem Gut?«
»Fürs- erste jedenfalls. Die Fremde
Ist schön, aber ich merte eben, daß auch
die Heimatb ihre Reize hat«
Das Mädchen nickte lebhaft, sie war
W harmlos, um seine dreiste Schmei
:t;elei zu verstehen.
»Nicht wahr, bei uns ist es sehr
lpiibschZ Jch bin nämlich auch hier zu
Hause. Jch heiße Alice Dittmer, und
meinen Eltern aehört Tanninten, wis
sen Sie wohl, das Gut jenseits der
breiten Fahrstrasze. Wenn man aus
dem Walde heraus-tritt, lann man
drüben über dem großen Noggenseld
las-on ein Stückchen vom rothen Zie
geldach unseres Hauses fehen.« ,
»Dann sind wir also Nachbarn!«
äußerte er.
Ganz dasselbe hatte Licn eben sagen
;·,rollen, nun freute es sie, daß er es
Jus-sprach
»Ja, ganz nahe Nachbarn,« niclte
sie vergnügt.
Er war, iin Gespräch langsam vor
wärts schreitend, an ihrer Seite ge
blieben; nun hatten sie den Ausgang
»des- Waldes erreicht. Vor ihnen laa
»die weite, stille Ebene, an deren hori
Ironi sich der glühende Sonnenball
ium Untergang neigte.
»Mein Gott. so sviit ist es?« rief
das Mädchen erschrocken. »Was wird
Mutter sagen?'«
«Wollen Sie schon heim?««
»Ja, sa. ich muß schrecklich eilen;
ich- glaubte nicht —- die Zeit ist so sehr
schnell vergangen. Adieu, Herr von
Waszrzewsli, und sein Sie dem Th
ras nicht mehr böse.«
»Wie könnte ichs Ich bin ihm
dankbar."
Dies-mal verstand sie ihn, erhalte sie
bei den Worten so sonderbar ange
sehen, mit den tiesliegenden, saszinis
rrnden Augen. Als er alter den Kopf
des Hundes zu tätscheln versuchte,
schnappte das Thier zähnesletschend
nach der schmalen, weißen Hand-. ;
»Psui, du garstiges Vieh!« Ein zor
niaer Schlag Liens traf den Unver- «
iesserlichen j
»Lassen Sie ihn nur, gnädiges «
Fräulein, ich hoffe, rnit Thras noch »
bekannter zu werden und mir allmäh- »
lich seine Freundschaft zu erringen. j
Aus Wiedersehen!« i
Wasil von Waszczewsli grüßteehe- ;
erbietig und sah ein paar Augenblicke
der eilenden Gestalt im statternden,
hellen Sommertleide nach. — Ein
hübsches kleines Abenteuer. Das Mii
del war wirklich allerliebst. .
Wie Lich, athemlos vorn schnellen
Laus. im Gutöhos anlangte, stand das -
Schimmelsuhrwerl des herrn Pastors
schon vor der Thür, und der geistliche «
Herr war gerade im Begriff einzu
steigen.
Das junge Mädchen erblickend, rief ;
er mit freundlichem Scher : »Nun, da I
hätten wir ja die kleine arti-streiche
rin! Jstes wohl recht, sich nicht eher
blicken zu lassen, als bis ich sortsahre?« "
»Ach, lieber here Pfarrer, ich :
wußte doch nichts von Ihrem Besuch,
sonst wäre ich ganz gewiß zu hatt e »
geblieben,« entschuldigte sich Lich.
»Auf jeden Fall durftesi Du nicht
sv lange anebleiben,« verwies die«
Mutter streng, während der alte Ditt
rner, unbeholfen das erhilite Gesicht
der Tochter streichean fragte: «
»Warst wohl bei der stickigen Orf
ix Zalde eingeschlafen, nicht« Lise- »
Sie umginq die Antwort, Inixte
und drückte zärtlich die, ihr entgegen
aestreckte Hand des verehrten Lehrers.
»Es thut mir zu leid, daß Sie schon
fortfahren, herr Pasior.«
»Ja wirklich, Sie sollten zum
Abendbrod bleiben," nöthigte Frau
Marie.
»Danle, danke, es läßt sich diesmal
nicht machen. Jch habe der Johanne
versprochen, bei guter Zeit zurückzu
lommen. Sie hat Katauschen gekocht,
Hund wenn ich da nicht pünktlich
i wäre · « .« o
’ »Also mit der hauömamsell ist man
nicht besser dron wie mit der Frau,
sie führen beide ein strammes Regi
ment,« erlaubte sich Dittmer zu scher
zen. wofür ibn ein Zurechtweisenber
Blick der Ebelpälste so ort bestra te.
»Den — willste wohl eben,
Schimmel,« knurrte aus dem Kutsch
bock Gottlieb Schwotttr. «
Das pblegnkati che Thier hatte zwar
nicht die gering e Neigung ezeigt,
lich in Bewegung zus ewi, a r der
arrer, der seinen utscher enou
annie, verstand den Wink und eilte
sich mit dem Abschiednebmem
I Sobald der Gast sort war, ging
W
man ins Zimmer, und Lieh tru mit
Hülfe des Dienstmädcheni das änd
tiche Abendessen au . Schweigend
wurde die Milchfuppe verzehrt; Aiice
fürchtete eine Fortseyung der mutter
lichen Strafprediat, und Dittmer war
iiberhaupt im Beifein seiner Frau we
nig gesptächig, da seine Aeußerungen
gar zu oft überhört oder scharf geta
delt wurden.
Bald nach dem Essen wünschte man
einander »Gute Nacht«, denn aus dem
Lande, wo das Tagewerk schon sehr
zeitig beginnt, pflegt man, auch wäh
rend der schönsten Jahreszeit, früh
zur Ruhe zu gehen.
Nur Licy schlich sich, ehe sie ihr
kleines Giebelftiibchen aussuchtr, noch
einen Augenblick in den mondheschie
neuen Garten hinaus. Jhr war so froh
Zumuthr. Wenn sie ietzt doch laut
hätte jubeln dürfen! Aber nein, Mut
ter konnte es hören, und was sollte
die wohl davon denken.
An der Ecke des Hauses stand die
Hundehiitte, neben der Thras lag. Das
Mädchen tauerte sich zu ihm nieder,
sauste ihn an den Ohren und drohte
ihm mit der Faust. J
»Du schlechter, unaezoaener Hund,
treißt du auch, daß ich dich gar nicht
mehr leiden tann!« ———llud dann-—
mit einem Mal umschlang sie das
Thier unaestiim mit beiden Armen
und drückte ihr Gesicht in sein zottiges
Fell.
Frau Dittmer war verreist. Die alte
Baroniu Wenat hatte wieder einen
Aniall ihrer Herttriimpfe gehabt, und
dann wurde stets die Nichte zur Pflege
hinbeorderL
Es war merlwiirdig, wie bereitwil
lig die sonst wenig mitleidige Frau
dem Wunsch der Kranten immer nach
tam. Mann, Kind und die eigene
Wirthschaft ließ sie sofort im Stich,
um in Wentitten die Stelle der lei
denden Hausherrin zu vertreten und
dieser jede mögliche Hülfe und Er
leichterung zu bieten.
In solchen Zeiten tonnte Marie
Tittmers scharfe Stimme weich und
theilnehmend klingen, ihr schroffes
Wesen wurde mild und gefügig, jeden
leisesten Wunsch der Kranlen wußte
sie ihr von den Augen abzulesen. Noch
niemals hatten Tante und Nichte sich
in nahe gestanden wie in diesen letzten
Jahren, welche der Fünfundsiehzig
jährigen häufig fchwere körperliche
Leiden auferlegten.
, Marie war tlug genug, die Kranie
ynicht nur zu pflegen, sondern auch so
»vie! wie möglich zu zerstreuen, denn
Jrnit unsiiglichem Grauen wies diese
Jeden Gedanken an den Tod von sich.
Aus tindiichem Aberglauben sprach
’sie nie über die testamentarifchen Be
Jitimmungem welche sie getroffen. nur
nsenn sie sich ganz schwach und elend
«fiihlte, hatte sie die tiihle Hand der
Nichte mit ihren zuckenden Spinnen
finaern umtlammert und angstvoll
erfleht: »Verlaf; mich nicht. Marie, ich
irill nicht allein bleiben, ich fürchte
n«ich: und ich will auch teinen Fremden
um michs haben, denn die denlen nur
daran. wie sie mich betrügen und he
siehlen können. Wenn Du aber bei mir
bleibst, wird es Dein und Deiner
Alice Glück sein.««
Und Marie Dittmer blieb. Mit
iöher Willen-kraft die eigene Erschö
rfung belämpfend, durchwachte sie die
Nächte am Kranienbeth unterzog sich
jeder Handreichung, ertrug täglich un
zählige Launen und Quälereien.
Sie hatte nie verstanden, Alice ihre
Mutterliebe durch Lieblofungen und
zärtliche Worte zu heewifen, hier he
thötigte sie sie, indem sie jedes Opfer
brachte, um ihrem Kinde das reiche
Erbe der Großtante zu sichern.
Jn Tanninten hatte man inzwifchen
mit der Ernte begonnen. Wenn friih
um 5Uhr zur Arbeit geläutet wurde,
war der atte Dittrner schon auf den
Beinen und gönnte sich teine Ruhe.
bis das lehte Futter aufgeladen und
der letzte hatrn vorn Felde herein war.
Er hätte so gern durch Fleiß und an
gestrengte Thötigteit erseht, was ihm
der himmel durch gute Ertröge nicht
gewähren wollt-·
Jm hause wirthschaftete während
der Mutter Abwesenheit Lich fröhlich
herum, und wenn auch iekt manchmal
nicht« alles in der gewohnten Ordnung
;hergrng, wenn oft etwas vergessen oder
Hvertehrt gemacht wurde, der gute Papa
Iwar stets zufrieden und fand ej im
Grunde viel behagticher als unter dem
ttttischen, tadelnden Blick der stren en
Hausfrau. Uneingeltandenerma n
flehlten sich Vater und Tochter von
seinem steten Zwange befreit, und be- "
isonders in dein Gemüth des jungen
Mädchens sang und klang es wie lau
ter subelndes Frohlocken
Sie war seit jener Begegnung mit
Wasil Wazczetvsti nicht mehr in den
Wald gegangen; eine eigenartige
Scheu hielt sie davon zurück. Doch
kürzlich, als sie vorn Felde tani, wo
hin sie dern Vater sein Vesperbrdd
gebracht, da er durch den Gang nach
Hause teine Zeit verlieren wollte, war
ihr aus der Landstraße ein Reiter in
scharfem Trade ent egengetomrnen.
Sich vor denr au wirbelnden Staub
zu lchiiiiem trat Liry zur Seite. So
svrt mäßigte der Reiter das Tempo;
er hatte das junge Mädchen erkannt,
schwenkte lebhaft den hut und sprang
im nächsten Augenblick vonr Pferde.
Also doeh endlich!« eie Wasil
Waözrzewsli triumphirend. ie war
sehr roth geworden. Er aber wartete
weder ihre Antwort noch ihre Justini
mnna ah, sonden schloß sich ihr ohne
weiteres —- den Trensenziigel liber
den Arm hängend — aus dem Wege
an.
Habe ich Sie neulich durch irgend
ein-as erzürnt, gnädiges Fräuleins«
Sie sah ihn mit großen, verwun
derten Augen an.
uRein, ewiß nicht, Herr von
Waszzczews i; wie kommen Sie aus
den Gedanken-P ·
»Ich fürcht-tu er, wen Sie vie
Wuldböha von der Sie sagten» es
Wckkk Jht Lieblingsplatz, nicht wieder
besucht haben.«
»Woher wissen Sie denn dass-«
.Sehr einfach, weil ich jeden Tag
lbort gewesen bin.«
wie überhaupt der Umgangston mit
swie überhaupt der Umaangston mit
jiungen Männern. Sie wußte nichts
qu antworten als ein verlegenesx »Ach,
Sie waren dorti«
! »Natürlich, und ich würde gewiß
noch wochenlang täglich bingepilgert
sein, wenn nicht mein Glücksstern mich
deute zufällig in Jhre Nähe geführt
Mitte. Nun dars ich Sie wohl noch ein
Stück Weges begleiten, nicht wahr?«
Sie nictte und dachte im Stilten:
»Gewiß ist es ihm zu einsam in sei
nem alten Schloß, er möchte wohl ein
mal mrt jemand plaudern,« und dabei
fühlte sie sich stolz beglückt, daß er au
ihrer Gesellschaft Gefallen sand.
Um ihn recht gut zu unterhalten,
tramte sie bunt durcheinander alle ihre
kleinen Erlebnisse aus. Von dem guten
Papa erzählte sie, vom hochwiirdigen
Herrn Pfarrer-, vom buckeligen Dorf-«
tchullehrer und von der blinden Orts
armen, die jeden Sonntag Mittag
essen im Gutshos bekam, erzählte vom
alten »Pündeljuden« Abram Tadratz,
der ab und zu mit seinem Kram von
bunten Bändern, Tüchern und Ga
lanteriewaaren ins Dors zu kommen
pflegte, und vom unartigen Thras,
der jetzt immer an der Kette liegen
mußte. ·
Wasil Waszczewsli hörte scheinbar
interessirt zu, während seine unstäten,
dunllen Augen musternd aus seiner
Begleiterin ruhten. Er war ein feiner
Kenner weiblicherSchiinheit. Wie viele
Frauen hatten schon seinen Weg ge
lreuzt, wie vielen hatte er Liebesworte
zugesliistert, wie vieler Herren gewon
nen! Das waren kurze Episoden in
seinem vielbewegten Leben gewesen,
en die er später nur gelegentlich als
an mehr oder minder angenehme Er
innerungen zuriickdachtr. »
Entsetzung solgt.) H
--—---—--— l
Der Zar und seine Familie.
Seit mit der Ermordung Plehwe’s
die russische Revolution ihren Aus-i
gangspunlt überschritten hat« um sich
in unabsehbare Weiten inauszuwäl
sen, sind die Augen aller Welt aus den
regierenden Zaren gerichtet, erwartet
man von diesem Herrscher eine
That, die eine Wendung bedeuten
müßte zum Guten oder Schlechten
Aber Kaiser Nitolaus schwankt un
entschlossen zwischen Reaktionären
und tstesorrnern, bis die furchtbare
Branduna ihm iiber dem Haupte zu
sammenschlaaen must.
Die Persönlichkeit des Zaren ist
ein wahres Musterium, das bis-her
nicht erariindet werden konnte. Aber
in einem soeben erschienenen Buche
von Alexander Ular ist eine Schilde
runa des Zaren und seines Hofes
aeaeben worden, die wenigstens Man
ches, wenn nicht Alles-, was in Nuß
land unserer Taae und in Petersburg
im Besonderen vorgeht, verständlich
macht. Ular weist nach, daß die Ro
manoss-Holsiein-Gottorv’sche Dyna
stie, die mit Peter dem Dritten be
aann. deaenerirt ist von Generation
zu Generation. Peter der Dritte
hatte eine beträchtliche Wassersucht
nebst Säuferwabnsinn. Seine Erb
schast übertrua er aus seinen Soan
Paul. der ein Ebileptiter war und
schließlich als Wahnsinniaer endete.
Alexander der Erste, Vanks Sohn,
zeiate auszer dem Größenwahn seiner
Großmutter Katharina einen zur
Karritatur verzerrten Tiefsinn, den
Ular, der Franzose, einen deutschen
Tiefsinn nennt. Ihm waren die zwei
indischen Schwächen der Dnnastie Hol
stein-Gottord eiaent Gedächtniß
schwache und eine eiaentbiimliche Ab
art des Mystizismu3. Seine ganze
Reaierung besteht demnach aus zu
sammenbanalosen Entscheidungen und
Tbriinem Bald wiithia, bald semi
mentai. stets nach der mnstischen Jn
sruration suchend. wenn sein armes
Hirn dem logischen Faden der Dinge
nicht solaen konnte, aerietb er immer
in Verzweiflung, wenn er persönlich
etwas zu entscheiden hatte, und ließ
bei bösen Nachrichten stets seinen
Tbriinen freien Laus; er weinte bei
ieder Gelegenheit —- und zum Schluß
verfiel er aus Gedächtnistschwiiche in
den Mostiztsmui, der allmälig bei
Verlangsamung der Gebirnsuntttonen
zur Gewohnheit magischet Schicksals
beseaaunaen führt«
Sein Nachfolaer hätte Konstantin,
der zweite Sohn PCUUL fein müssen
da Alexander der· Erste teine Söhne
hinterließ. Konstantin hatte von sei
nem Vater eine derartige Gehirn
schwäche aeerbi, daß ein anständiges
Benehmen bei offiziellen Anlässen siir
ihn das Maximum der miialichen An
sirenauna darstellte. Er überließ den
Thron seinem Bruder Nikolaus, des
ien Charakterhild in der Geschichte
schon länzst festgestellt ist als das
eines Menschen, der nicht nur an An
siillen von Beriolaunaswahm von
sinnioser Grausamkeit aeaen Thiere
litt, sondern auch eine lebhaft an die
chinesischen Borer erinnernden masti
schen Griißenwahn an den Tag legte,
der den Glauben an seine Unverwund
barieit nach sich zog und ihm den An
schein einer unglaublichen Thattrast
nah.
Mit seinem Sohne Alexander dem
Zweiten tritt die Dynastie müht-logi
scher hänomene sozusagen in unsere
Zeit e n. Er hatte, sagte Ular« nicht
s
nur alle alten Schwächen der Holfteins s
Gottorp aeerbt, sondern auch noch —
eine besonders gefährliche Eigenschaft
bei einem von einer aewifsenlofen
Kafte überwachten Selbsiherrfeher—
den aus Zartheit und philosophischer
Untlarheit zufammenaeflosienen Idea
lismus feiner Großmutter, der Köni
ain Louife. Der Verkehr mit dahins
lofen Jdealen beherrschte seine Politik
wie fein intimeö Leben. Alles be
weate ihn tief durch das Mißverhält
nifi zwifchen der Wirtlichleit und fei
nen Ideen. So entwickelte er sich, wie
feine eigenen Brüder von ihm sagten,
zum ,,Alexander dem Weinerlichen«.
Er erfetzte die Weite feines Verständ
nisses durch die Tiefe feiner Gefühle.
Mit der folgenden Generation be
ainnt eine Phafe physischen Nieder
aanaeg die nur zu oft bei epilepti
lchen Familien die letzte vor dem Zu
fanuuenbruch ist. Die Tuberlulofe
niit allen ihren furchtbaren Einflüs
ien auf das Gehirnleben, mit den
plötzlichen Sprüngen von völliger
Aratbie zu heftigfter Anstrengung,
dem unloaifchen, unberechenbaren
Stiinmnnasumfchwung, den baroclen
und viel zu schnellen Jdeenasociatio
nen, der eiaentbiimlichen Amnäsie, die
die Zwischenalieder in der biel zu
rasch durchlaufenen Tonleiter von
dem eriten vaaen bis zu demselben
aufs Aeußerfte getriebenen Begriff
ouslöfcht, mit der krankhaften Reiz
barteit endlich, die noch fortwährend
diese schon anormalen Prozesse durch
) bricht und das Chaos zufammenhanzp
Tlofer Gefühlsbeweaunaen ersetzt: das
ganze tlinifche Bild der tubertulöfen
Vinchoie tritt auf, um nun die Dyna
; ftie nicht mehr zu verlassen. Der iiltefte
tSohn Alexander-B des Zweiten, »Ni
tolai, war an Tuberkulose zu einer
Zeit gestorben, als der zweite Sohn,
Alexander, nicht mehr die tiesen Spu
ren einer niederdriickenden Erziehung
wettmachen konnte, die ihm gerade
iede Möglichkeit, mti Lust oder Ber
ständniß eine Herrscherrolle zu spie
len, hatte nehmen sollen. Seine na
türliche, schon lranthaste Blädiatett
war zu einem Grade aroßgetiichtet
worden, der sie einem wahren Verfol
aunaswahn nahe brachte.
Aus dem Vorheraehenden leitete
dann Ular die Psycholoaie Nikolaus
des Rweiten her. Die Krankheits
aeschichte der Donasiie Odium-Got
torv erklärt im letzten Grunde die
schweren Witten, die Rußland zer
reißen. Diese Kraniheitsaeiehichte
allein macht den beispiellosen Moras
mus beareiilieh. in dem Nuszland da
hinveaetirt. Sie allein auch kann die
seltsamen Handlungen des Fürsten
entschuldiaen und erklären. der aller
Wahrscheinlichkeit nach den Zusam
menbruch des moskowitischen Selbst
herrscherthums zu betrauern haben
wird. Nikolaus der Zweite ist ledig
lich eine äußerste Erschktnlmassvtm
jener iahrhundertelanaen Nimmtin
luna. Die entsetzliche Erbschaft, die
auf ihm lastet, hätte einem Privat
manne das Recht aeaeben, in einer
Heilanstalt ein rubiaes Dasein. sern
dem Getriebe der Welt. zu verbringen.
Das Unaliict —-—siir ihn und siir die
Welt » wollte es, daß er auf seinem
Platze sich befindet. Am meisten
ähnelt Nitolaus der Zweite seinem
Großvater Alerander dem Zweiten.
Dieselben Gedächtniszliickem dieselben
krampsartigen Zufälle. dieselbe Ge
siiblsweichheit an falscher Stelle. der
selbe Widerspruch zwischen der Semi
mentalität des Gläubinen und dem
stolzen-Troß des Gesalbten: kurz, die
aesammte Psncholoaie Alexanderg des
Rweiten erscheint bei seinem Enkel
wieder. Bloß daß bei Nikolaus dem
Zweiten alle vsnchischen Fehler ent
setzlich vertiest sind.
W
»Sag’ ’mal, Papa, werden die
Schülerinnen in den Hochschulen eben
so bestrast wie in anderen Schulen?«
»Ja, mein Kind; sie müssen oftmals
das essen, was sie selbst gekocht ha
ben.«
i i I
Der Mensch beurtheilt die Dinge
lange nicht so sehr nach dem. was sie
wirklich sind, als nach der Art· wie
er sie sich dentt und sie in seinen
Jdeengang einpaszt.
I I I
Die Japaner sind als gute Nachah
mer bekannt und in der Krieg-lauft
haben sie den Preußen so ziemlich alles
abgeguckt. Aber mit der Schnurrbatt
binde sind die japanischen Ossiziere
bis jetzt nicht ausgerüstet
i es ·
Eine Verbriideruna in Vortsmouth,
N. H» wäre wichtiger. als die iu
Portsmouth in England.
I I I
Bofton hat in 10 Jahren um rund
100,000 Einwohner zugenommen —
tein Wunder, daß auch die Bohnen
von Jahr zu Taberthefurer werden.
Kinder-Logik »Nein, harrt-, das
darfst Du nicht thun. da im Grase
herumlaufen. Sonst kommt der Po
lizist und arretiri dich,'« sagt die Wär
terin zu ihrem kleinen Schutzbefohles
nen· »So. Aber er muß doch auch
auf das Gras gehen, wenn er mich
kriegen will. Und dann wird er auch
arreiiri.«
o i ·
Urn sich gegenseitig die kalte Schul
ier zu seigen,«hiitie ed eigentlich taum
noch des«britiichen Flottenbefuchö in
Swinerniinde bedurft. (
i- i v
Da fchlii t einer im Ernste vor, u
allen wichsfgen Aerniern nur ver si
rgibeie Manner zu wählen. Ja, ol
len wir denn ein Fraueneegirneni be
Jornmeni