Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, September 15, 1905, Sweiter Theil., Image 11

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    Oasen-: schreit-stinkt m Iv
: Tinte kunkmngpi. «
No 172. —
!E paar Dag
zurück is der
Mehlmann
komme un hat
an unser-Hans
gestoppt. Jch
hen gedenkt,
well der werd
doch leinBrief
von den Phi
iipp hen, was mein Hosband is? Der
Phil werd doch nit so leichtsinnig fein
un en Brief schreiwe, un sei schöne
Zeit bei den Wedesweilek misse. Der
Mehlterrier hot mit mich geschmeilt
un das hot mich mähd gemacht· Was
die Kund hen ich gedentt, was Hot
der Fellek for e Bißneß mit mich zu
schmeileL Wann er mehbie mit mich
flöete will, dann will ich den Kanne
schon ficisr. Jch sin an die Pohttsch
komme un do hot er noch mehr ge
schmeilt un hot gesagt: »Ich freue
mich immer wann ich so e gutguckige
Lehdie sehn; hier in die Nehberhutt
do hot’s nur e paar alte Wimmen un
for den Riesen is es for mich e Re
lief, wann ich emol ebbes diesentes
sehn.« Jch hätt am beste gegliche, den
Fellek e diesenteö Pies von mein
Meind zu gewwe, awwer ich kann
doch nit gut Jemand rohste, wann er
mich Flätteries sage duht un do hen
ich gedenkt, well, so en Mehllerrier
hat ja auch Auge im Kopp un kann
distinknische was schön un was nit
schön is. For den Riesen hen ich auch
weiter gar nicks gesagt un hen ihn
blos noch en Schmeil gewwe. Er hot
dann nicks mehr gesagt un hot en
Brief aus sein Säck geholt wo an mich
edreßt war. Jch hen mich reiteweg
hingesetzt un hen gelese. Schuhe ge
nug is es en Brief von den Philipp
gewese. Das is, was er geschriwwe.
hot: .,Lizzie-Hannie,« so duht mich
der alte Fuhl immer in sei Briese
edrefse — Lizzie-Hannie, ich will dich
emol ebbes sage. Es is gut genug,
dasz du sor dei Gesundheit e kleine
Jedehschen nemme host wolle un du
host ja auch. Wann du awioer denke
duhst du könntest e halwes Jahr in
den Farmhaus stehn, dann bist du
schief gewickelt. Du host auch sozusage
en Mann un Hogbond un iwwerhaupt
ich gleiche gar nit, daß du so lang
stehn duhst. Jch hen jetzt schon die
ganze Zeit kein diesenteg Miehl mehr
gehabt un ich hen schon so ebaut drei
ßig Pund verlore. Wann du nit rette-—
weg widder kommst, dann findst du
mehbie noch Schlinn un Vohng von
mich un das is all was du sindst.
Also frag ich dich mitauz Dileh heim
zu komme, womit ich verbteiwe Dein
pangstonirter Hosband Philipv.« Jch
muß sage, der Brief hot mich schlecht «
fühle mache; nit for den Riesen, daß «
ich widder heim sollt lomme, no, blos
deßhalb, weil der arme Feller schont
so lang so e Ziegeunerlewe hot führe I
un von den Wedesweiler sein freie
Lonsch un sei stehleg Bier hot lewei
müsse Ich dente ich hen e großes Un ;
recht gedahn un ich mache mich gleich s
rettig for heim zu gehn. Jch hen die i
Wedesweilern gesagt, was meine Jn- !
tenschen is un die hot mich ausge- »
lacht. Jch tann nit sehn, hot se ge
sagt, for warum du uff eemol so viel i
drum gewwe duhsi, was dich dein Al
ter iaat. Ich denke, es is hier aanz
schön un, wann e Frau so Ioie du,
früher nie gekehrt hot, was ihr alter
Mann gesagt hot, dann ig es auch
jetzt nit nöthig. Jch steh so lang hier,
mie ich will un tosse mich vors-Nie
mand ebbes sage. So do hen ich’H
gemäß« Well, hen ich gesagt, ich
dente es is meine Duhtie heim zu
gehn un ich sahre heut Obend noch
sort so daß ich bei neun odder lzehn
Uhr heim sin. Damit war die Sach
gesettelt un die Wedestoeilern hot
den ganze Dag tein Wort mehr zu
mich gesproche. Se hot ectsiicktlie ge
iickt als wann ich se insoltet hätt. Jch
hab auch bei Ertzident gehört, wie die
Medegtveilern en Taht mit die Länd
lehdie gehabt hot und wie se sagt:
sie deht denke, es wär riditteleg, wann
e Frau sich so von ihren Mann be
sehle losse deht. Well ich hen nicks
drum gewioe, hen mei Dingses ge
päckt un hen die Kids rettig gemacht,
hen mei Bill gesettelt un hen mich
dann noch e wenig hingelegt for en
Näpp zu nemme. Wie ich autteit
komme sin, do«hot die Wedeoweilern
do gestanne un hot alliivwer ge
schmeilt. Lizzie, hot se gesagt, ich hen
mein Meind getschehnscht, ich gehn
mit dich heim. Luckehier, was soll
ich allein hier stehn? Wenn mer wid
der heim sin, dann könne mer uns
doch alle Dag sehn un hier wär ich
ganz mitauo Kompenir. Well. ich
kann Jhne sage, ich sm surpreist ge
wese, daß die Wedesweilern so schnell
ihren Meind getschehnscht hot, aw
wev ich hen mich doch gefreut — ich
stn ja so e eenselliges dummes Diehr
—- un mer hen for lauter Freud noch
die letzte Battet wo mer iwroer ge
habt hen, ausgedrunte. Den Weg sin
met in en artg gute Juhmer tomme
un ich muß sage, ich hen mich sogar
so vergesse, daß ich sie en Kiß gewwe
hen. Wisse Se, ich duhn jeden Mensch
troste un meine, die Leut wäre all so
I
anneft wie ich sin. Mer sin dann a
Obend fortgefahre un die Kids hen e
’gkoße Foß gemacht. bilahs fe hen nit
I gegliche fort- zu gehn· Mer hen en arig
schöne Reit gehabt un die Wedeswei
« lern war fo neis un so fchwiet an mich
un se hot sich gefreut wie alles, daß
se mit mich lomme is un daß se sich
die Such noch emol iwwergedenkt ge
habt hot un se hot fich. vorgenomme,
daß se in Kuhzunft, wollt ich sage
in Zukunft immer nach mein Ettweis
gehn wollt, blos derft sich e Frau von
ihren Mann keine Vorfchrifte mache
lossc, bilahs c Frau wär in die Fa
milie doch die metherfon· »Die Zeite
sin gepäfzt wo e Frau immer an ihren
Mann diepende mußt, un die Eidie
mußt du dich abgewöhne, bilahs das
is altfäschend un e Frau muß auch
obbtudeht fein.« Well, ich hen e ganze
» Latt driwwer nachgedenlt un ich hen
init helfe könne, daß mich die Eidie
ganz gut gepließt hot un ich hen ge
»wunnert, daß die Wedesweilern so
viel Bäckbohn hot Wie mer endlich
heim sin komme, ware die Menn
fohts nit heim un ich sin gleich mit
die Kinner schlafe gange. Grad wie
ich in mei Bettche steige hen wolle, do
hen ich an den Flohr e Posteltart liege
«fehn. Jch gucle un sehn, daß fe an
die Wedesweilern edreßt war un mit
aus Daut in mei Bästet gefalle war.
Jch sin als e Ruhl nit neigierig, aw
tver diesmal hen ich en Eckzepfchen
gemacht. Die Posteltart war am
Nachmittag angekomme un hot gesagt:
»Ich will, daß du heut Nacht noch
yeimromine ouyin sonst reyg ich en
Rau, wie du noch lein erlebt host.
Wedesweiler.« Jetzt hen ich gewißt,
warum die Wedesweilern so schnell
ihren Meind getschehnscht hot. Un
bei mich hot se so ferchterlich gebloht,
daß se so independet wär. Ei tell juh
mer tann lein Mensche mehr ebbes
glauwe.
Mit beste Riegards
Yours
Lizzie HanfstengeL
Stint-Es erste Gemische Skizien
Jn dem Nachruf aus Julius Stin
de ist bereits daran erinnert worden,
daß Stinde anfangs Ehemiler war
nnd erst aus diesem Beruf in die Li
teratur hinüberlam. Als Chemiier
war Stinde auch eine Zeitlang als
Assistent an einer bedeutenden chemi
schen Fabrik in Hamburg beschäftigt.
Obgleich den jungen Wissenschaftler
das chemische Studium lebhaft inter
essirte und er, ähnlich wie Theodor
Fontane, stets bei den Analysen und
Erperimenten mit Leib und Seele da
bei war, vermochten ihn die prakti
schen Arbeiten in dem großen Fabrik
etablissement nicht zu befriedigen. Er
latn daher um die Erlaubniß ein, ei
nige Zeit zum Studium des Lebens
und der Gewohnheiten der chemischen
Arbeiter ebenfalls alg einfacher Arbei
ter in den Laboratorien fungiren zu
dürfen. Hier machte nun der mit
scharfer Beobachtungåaabe ausgestat
tete Stinde werthvolle Studien, deren
Ergebniß er bald in Gestalt von ori
ginell geschriebenen Slizzen nieder
legte, die ihrer packenden Eigenart we
gen weit über die näheren Kreise hin
aus Aufsehen erregten.
Da diese interessanten Stizzem die
neben der Erläuterung rein chemischer
Vorgänge treffliche Streiflichter auf
das Leben, die Ansichten und Gewohn1
heiten der zahlreichen in der betreffen
den Jfavrir vefchafngten Arbeiter
warfen, so vermuthete man in ihrem
Verfasser natürlich einen Angestellten
der Fabrik, rieth hin und her, ohne
aber an Stinde zu denten, dem eine
derartige novellistische Begabung nie
mand zugetraut hätte; vielmehr schrieb
man die Autorschaft einem der Di
rektoren der Fabrik zu, der auch lä
chelnd allerlei Lob einsteckte und die
Leute ruhig in diesem Glauben beließ.
Eines Tages aber wurde in einer
Stizze unter anderem das Lebens
schicksal eineg Von seiner Frau verlas
senen Arbeiters der Fabrik in bewegli
chen Worten erzählt, vdn dem nie
mand Kenntniß haben tonnte als
Stinde selbst, da der Arbeiter diesem
erst am Tage vorher in der Früh
ftiickspause und zwar nur Stinde al
lein, Mittheilung davon gemacht hat«
te. Denn zu Stinde hatte der un
glückliche Mann am meisten Ver
trauen. So wurde durch den Arbeiter
die Autorschast Stindes bekannt, und
das Direktorium iibertrug dem über
raschten Schriftsteller die Leitung der
literarischen Abtheilung der Fabrik
Jmmerhin war auch dies noch eine
mit langiveiligen Arbeiten verbundene
Position, in der es der thatendurstige
und schreibfrohe Stinde denn auch
nicht lange aushielt. Bald schwenkte
er vielmehr ganz in den Journalkss
mus und die Literatur ab. «
Ein Familienblatt in« New England
bat fiir feine Leser eine arztliche Spalte
eingerichtet, in der Rath für Krank
heithälle ertheilt wird, überschrieben
ist die Spalte: »Der Hausdottor, ge
leitet von Dr. X» der die berühmteste
Praxis in unserer Stadt bat.« Da
runter steht folgende Notiz: »Diese
Spalte ·sog nur sitt einfache leichte
Kraniheitssalle dienen. Jn ernsten
Fällen möaen die Leser sich an einen
Arzt wenden, nicht an un«
h
Ein Häuschen Asche.
Novellette von Hennie Rache
Vor einer Stunde war das junge
Paar von seiner Hochzeitsreise zu
rückgekehrt: Roland Bergmann und
seine ,,süße, kleine Lotte«. Jetzt saßen
sie in seinem Arbeitgzimmer und sie
half ihm rasch den Stoß eingegange
ner Brief durchlesen. Plötzlich blickte
Lytke auf und sah ihren Mann an. :
Inder Hand hielt sie einen Brief aus s
einfachem weißem Papier. s
»Hier, Roland,« sagte sie ruhig und s
nur ein ganz leises Zittern in ders
Stimme verkündete eine gewisse Aus- s
regung, — ,,hier, ich glaube nicht, daß ;
dieser Brief für meine Augen be-(
l
l
l
stimmt war.«
Roland griff nach dem Brief und
sah sie etwas erstaunt an. Als sein
Blick auf die Handschrift fiel, überzog :
eine heiße Röthe sein Gesicht. (
Er las die wenigen Zeilen:
,,Lieber Roland!
Wenn Du mich noch nicht ganz ver
gesfen haft, dann nimm einen Glück
wunfch an von der, die Dich mehr ge
liebt hat, als sich selbst. Jch wünsche
Dir und Deiner jungen Frau so viel
Glück, als Du mir einst gegeben hast,
und wenn Du manchmal, nur manch
mal an mich denten willst, wie an eine
liebe Erinnerung, dann will ich Dich
segnen und mich bescheiden.
Muartha «
Er legte den Brief fort und sah
schweigend vor sich nieder. Lotte hatte
inzwischen einige blaue Geschäfts
briefe ergriffen und begann sie zu
öffnen.
,,Lotte!« bat er leife und legte feine
Hand auf ihren Arm,
,,Roland?« fragte die junge Frau
zurück. Jhre Augen waren ernft,
aber sie sah ihn freundlich an.
»Lotte, willst Du wissen, was für
eine Bewandtniß es hat mit diesem
Brief? —- Darf ich Dir erzählen?«
»Wenn Du willft —«
Er führte mechanisch die Cigarre
zum Munde und stieß den Rauch
durch die .Lippen. Aug seinen Augen
brach ein verlorenes Leuchten, und
Lotte, die ihn genau beobachtete,
empfand einen stillen, uneingestande
neu Schmerz.
»Siehft Du,« fing er endlich lang
fam an, »Du weißt, ich war ein ar
mer Student, ein armer Schlucker,
der sich mit Freitifchen und Stunden- ?
geben mühselig diirchfchlug. Es war
ein armfeligeg Leben und wenn
man eben nicht jung gewesen wäre: —
zwanzig Jahre 'und im Herren ein
Lachen, das uber Glück und Unglück
triumphirte —- wer kreiß, ob ich es
aiisgehalten hätte. Nun, ich hielt’s
aus.
Da war mirs oft schwer, meine
Ziminermiethe aufiubringen Aber
einmal hatte ich Glück. Ein ganz
hübsches Zimmer und billig! »
billig! Die Frau war die rich- ’
tige Studentenmutter, hilfreich, theil
nelnnend, zum Piinipen bereit, nnd
manchmal oeischmähte sie auch eine
tleine Gardiiienpredigt nicht. Das
tSchönste an ihr war aber ihre Toch
er.
Ein fo liebes Geschöpf war die
Martha —-- weißt Du, das richtige
iiiße Mädel. Braune, schelmische
Augen, braune Locken und den hub—
fcheften rothen Mund. Sie war mit
ihren siebjehn Jahren anniuthig und
unschuldig wie ein Kind, und doch
nieder aiitig und taltvoll wie ein rei
fes Weib
Jugend zu Jugend findet sich
schnell.
Es war eine Liebe, die zart war
und doch voller Leidenschaft, unschiil
dig und doch gluthooll und heiß
lfine Sonne, die blutroth aufgeht
und einen glühenden Tag verspricht
Ach Lotte, begreife, was niir diese
Liebe damals. war!
Sie machte mir mein armes Leben
so reich, daß ich kaum mehr empfand,
wie entbehrunggvoll und trüb eg ei
gentlich war sie war es recht ei
gentlich, die mich anfpornte, meine
Kräfte zu verdoppeln, um möglichst
bald eine-gesicherte Existenz zu er
langen. Dann natürlich wollte ich
Martha heirathen. Wir sprachen
zwar nicht darüber. aber es war uns
beiden so selbstverständlich daß wir
tein Wort darüber verloren.
Nein, versprochen habe ich ihr
nichts aber —
Alz ich dann meine Studien been
digt hatte und sich· mir eine beschei
dene Stellung bot, in einer anderen
Stadt ,da war« unser Abschied nicht
einmal allzu thränenreich.
Jsch war lebenssreudia und voller
Hoffnungen, und diese Stellung war
natiirlich in meinen Augen nichts
weiter als die erste Stufe zu Geld
und Ehren und unendlichem Glück.
Martha war trauriger aber eben
so hoffnunagsreudia wie ich ach,
und so voller Vertrauen!«
Wieder schwieg er und zog heftig
an der erloschenen Ciaarre. Sein
bewegtes Gesicht abm allmählich ei-—
nen rubiaeren usdruck an und
gleichmiitbiaer fuhr er sort:
»Nun, es geht so, wie es geht. Ans
sangs schrieb ich jeden Tag und ich
wunderte mich, daß meine Briese
nicht verbrannten ob der glühenden
Sehnsucht, die ich darin ausflaminen
ließ.
Dann nahm mich das neu . Leben
mehr und mehr gefangen ich
lernte andere Frauen kennen, ich ver
glich zwar nicht, aber Martha war
mir doch nicht mehr die Eine, die
Einziae
Sie muß das gemerkt haben mit
ihrem warmen, empfindsamen Her
sen, denn die Briefe wurden zu
rückhaltender und ein klein wenig
trübe. Das beschämte mich dann, är
gerte mich aber zugleich, weil ich mich
im Unrecht fühlte, und meine Ant
worten wurden kürzer und türzer...
Ich sah sie dann aus der Durch
reise nach drei Jahren noch einmal
wieder-. Sie war blaß geworden und
mager, aber über ihrem Gesicht lag
noch immer die keusche Lieblichkeit,
die mich einst so entzückt hatte. Den
noch stand ich ihr jetzt fast wie ein
Fremder gegenüber und wußte nur
ein paar nichtssagende Redensarten
zu stammeln. Nicht, daß sie mir
gleichgiltig geworden wäre . .. aber es
war alles so anders. .
Jch verließ sie dann mit einem Her
Jen vom-Freundschaft für sie und schrieb
ihr später noch hie und da eine Karte.
Von ihr selbst hdrte ich nichts mehr.
Dies ist die erste Nachricht seit-zehn
Jahren..· Aber sie war einmal der
Stern in der Finsternifz meiner Ar
muth... mein guter Engel in harten
Stunden. ..
Er schwieg und glättete den Brief,
der vor ihm lag.
Lotte blickte vor sich nieder, ihr Ge
sicht war ernst geworden.
»Hast Du nicht hast Du nicht
ein Bild von ihr?« fragte sie nach
einer Weile stockend und schüchtern.
Roland zögerte einen Augenblick mit
der Antwort. Dann zog er langsam
eine Schieblade seines Schreibtisches
auf und reichte ihr eine Photographie,
die in einem einfachen gestickten Rah
men steckte.
Lotte blckte in ein reizendes, lachen
des Mädchengesisbt, das von Anmuth
und Güte strahlte.
»Du mußt sie sehr lieb gehabt ha
ben... dieses liebe Mädchen,« sagte
sie leise und versuchte ihrer Stimme
einen ruhigen Klang zu geben.
»Sie war meine einzige Liebe vor
Dir,« antwortete Roland und griff
nach dem Bilde. Da sah er, wie ein
heller Tropfen auf das Glas fiel,
und bestürzt schaute er seine Frau an.
»Lotte! was ist? Du weinst? Lotte!.«
»Nichts, Roland... laß mich...«
«Lotte, bist Du eifersiichtig?«
Sie schüttelte nur stumm den Kopf.
Er aber fand keine andere Erklärung
fiik ihre Thränen und mit kurzem
Entschluß ergriff er das Bild und den
Brief und warf beides in das lodernde
Kaminfeuen
»Noland!« schrie Lotte entsetzt und
eilte zum Kamin.
Es war zu spät.
Mit leisem Knacken zersprang das
Glas, und die Flammen leclten gierig
an dem Bilde, das sich trüminte und
wand, als litte es tausend Schmerzen
»Bist Du nun zufrieden, kleine
Eifersucht?« fragte Roland lächelnd
und versuchte seinen Arm um ihre
Schulter zu legen.
»Sie entzog sich ihm aber und blickte
starr in die Flammen, die niedriger
und niedriger brannten, und jetzt nur
noch ein Häufchen Asche umziingelten.
Ein Häuschen Asche!
Das war das einziges Das war
ria geblieben von dieser Liebe, die
ihn doch einmal ganz erfijllt und be
glückt hattet
Ein Häuschen Asche-?
f Ein sonderbares Gefühl übertam
te.
Mitleid und eine seltsame Zusam
mengehörigteit mit diesem unbekann
ten Mädchen erwachten in ihr und
Trotz und stolze Abwehr gegen den
Mann an ihrer Seite.
Es war ihr, als ob beim Knacten
des Glases etwas in ihrem Herzen
zersprungen sei . ..
Seinen Stern hatte er sie genannt,
seinen guten Engel... und doch —
erbarmungslos hatte er ihr Bild in
die Flammen geworfen . ..
Und jetzt wußte Lotte, was in ihrem
Herzen gesprungen war... das war
der Glaube —- der Glaube an seine
Treue.
Kleine blaue Flammen ziingelten
aus dem Häuschen Asche hervor, und
jede Flamme hinterließ ein Brandmal
in Lottes Seele.
Der vers-innre Dichter-.
Am f August feierte der schwäbi-s
«).
sche Bauerndichter Christian Wagner
in Warcnbronn seinen 70. Geburt-H
tag. Die ihm aus nat) und fern zahl
reich zugegangenen Gliickswiinsche, so
wie die tagg daraus veranstaltete Feier
beweisen, dasz der Dichter überall
Freunde gewonnen hat. Folgendes
beitere Geschichtchen, das Wagner selbst
in Freundes-kreisen zum besten gab,
wird gewiß manchen interessiren. Der
greife Dichter, der heute noch ein rit
stiger Wanderer ist, begab sich vor drei
Jahren zu Fuß in die Gegend von
Böblingen. Er hatte damals seine ---—
jetzt bereits veröffentlichte
»Die Schlacht bei Böblinaen« in Ar
--— Ballade .
beit und hoffte, dort noch irgend eine -
im Volksmund lebende Sage, die sich
aus die Schlacht bezöge, zu erfahren.
Zu diesem Zweck fragte er überall nach "
den ältesten Leuten und wurde so auch
in ein kleines Wirthe-bang gewiesen.
Er bestellte um sich gut einzufüh
ren —- einen Schoppen Wein. Als
der Wirth, ein eisgrauer Alter, das
Gewünschte vorsetzte, beaann der
Bauerndichter mit seinen Fragen
Diese mußten dem Wirth, dem der
Zweck des Verhörs unbekannt war,
ganz sonderbar vorgekommen fein.
Nachdem er eine Weile zugehört hatte,
zog er den noch unberührten Schoppen
vor dem Gast weg und sagte
,,Alter, Jhr hent scho gnueg fürs
heut!«
i
W
Mondschelnstudlem
Wenn ich im Lehnstuhle an meinem
Schreibpulte sitze und —- zum Nach
denken ausholend —- gewohnheitsge
mäß mit der Hand über die
Stirn fahre, dann gerathe ich im
mer glatt und ohne jedes Hinderniß
bis weit hinab in die Gegend des Hin
terhauptes· Kein ganz normaler Zu
stand, gewiß . .. fiir mich hat die Sa
che indeß nichts Verbliiffendes mehr.
Sie werden ohne Anstrengung erra
then haben, daß ich Herr und Besitzer
einer respektablen Glatze bin, und mir
liegt es völlig ferne, diese Thatsache
zu leugnen, einfach deshalb, weil je
des Leugnen im gegenwärtigen, weit
vorgeschrittenen Stadium vergeblich
wäre. Vor Jahren freilich ließ ich es
an derlei Versuchen nicht fehlen, und
ich gestehe ganz offen, daß es mir ge
radezu das Blut in Wallung brachte,
wenn Jemand das ominöse Wort
Glatze in meiner Gegenwart gebrauch
tc. Wäre mir dama s von wem im
mer die Zumuthung gestellt worden,
ich solle etwas über Kahlköpse oder
dergleichen schreiben, bei Gott, ich
hätte dies als eine Persönliche Her-«
aussorderung empfunden . . . Heute
aber Na, Sie werden ja sehen, wie
kühl und sachlich ich dieses sicherlich
nicht bei den Haaren herbeigezogene
Thema zu schreiben verstehe.
Ursprünglich habe ich beabsichtigt,
methodisch vorzugehen und meiner
Studie folgenden Titel voranzusetzem
Versuch eines Beitrages zur Naturge
schichte desHaarschwundes Das klingt
gewissermaßen gelehrt, wissenschaftlich
und macht sich deshalb nicht schlecht.
Allein im Verlaufe der Komposition
bin ich zu der Ansicht gelangt, daß es
sich eher empfehlen dürfte, diese glän
zenden Dinger, so da Glatzen heißen,
recht bunt durcheinander zu werfen,
weil ich mir denke, daß ein solches-Ver
fahren die Sache pikanter gestaltet
und auch mehr Abwechslung in sich
birgt. Und da jeder Autor bekannter
maßen auf einen Zugtitel bedacht sein
muß, so habe ich gleich einen gewählt,
der den ganzen Gegenstand mit einem
Worte umfaßt, völlig präzis ist und
auch schlagend wirkt. Glatzen! Fertig!
Eine kleine Gruppirung, zu der ich
leider auf empirischem Wege gelangt
bin, sei mir dennoch gestattet. Jch
meine die Unterscheidung jener Gla
tzen, welche die Stirn zum Ausgangs
punkte nehmen, von jenen, die sich so-’
fort in der Mitte des Scheitels eta
bliren und von da ihre unheimlichen
Kreise ziehen. Erstere Gattung ge
hört zu den milderen, ich möchte sagen
tröstliclzeren Denn sie schreitet ziem
lich langsam vorwärts, läßt sich durch
verhältnismäßig lange Zeit masliren
und bietet auch sonst mannigfacheVor
theile, beispielsweise gleich den einer
hohen Tenlerstirne Macht-n Sie das
(50nipliinent eines schön gewölbten
Vorhauptes wem Sie wollen und ich:
verbürge mich meinetwegen mit der!
eigenen Glatze « dafür daß er es ge- ’
schmeichelt quittirt. Selbstverständ-.
lich! Solch ein sichtbares Attribut’
hervorragendes Geistes läßt Jeder
gern an sich bewundern.
Dagegen ist die zweiterwähnte
Form schon viel inileicber und nach
dem rapiden Umsichgreifen derselben
zu schließen, das ich aus eigener Er
fahrung kenne, auch viel bösartigen
Das hat mit der Stirn gar N ichts zu
thun, das läßt sich nur schwer ver
decken und wiithet auf dem Haarboii
den mit der furchtbaren Schnelligkeit
des PriiriebrandeSE Herrgott, wenn
ich daran denke, wie mir zu Muthe
war, als ich jene Verheerungen von
Tag zu Tag am eigenen Leibe koni
trolliren mußte! Wenn ich mich er
innere, mit welch heroischer Selbst
iiberwindung ich nach dem Hute griff,
so oft ich zu ariifzen genöthigt war!
Gerade so, als ob ich im Begriffe
aller Welt zu enthüllen. Und un
heimliche, fröstelnde Empfindungen,
lsefonderg bei naszlaltem Wetter -——
Gott sei Dank, das ist hejjte Vorüber,
ich trage meine Glatze, die nun schon
ihr Vürgerrecht erlangt hat, in Ehren,
und wenn der Gemeinplatz »der
Mensch gewöhnt sich an Alleg« jemals
richtig angewandt wurde, so war dies
gewiß in meinem Falle der Fall.
Uebrigens, da erinnere ich mich, daß
sich vor einigen Jahren in Wien eine
Vereinigung von Herren gebildet hat,
welche sich zum Ziele setzten, statt des
Hutabnehmeng den militärischenGruß
allgemein einzuführen. Jch glaube
nicht fehl zu gehen, wenn ich annehme,
daß sich in dieser gemeinnützigen Ge
sellschaft auch einige Mitglieder befun
den haben, denen die oben geschilder
ten Gefühle nicht ganz fremd waren.
Leider ist das schöne Projekt geschei
tert, wie ich bestimmt versichern kann,
bloß deshalb, weil wir noch immer
nicht genug Kahlldpfe haben.
Jn der Litteratur spielt die Glatze
seit jeher eine hervorragende Rolle.
Läßt doch schon Shatespeare (wenn ich
richtig citire) seinen Julius Cäsar sa
gen: »Laßt wohlbeleibte Leute um
mich sein, mit glatten Köper und die
Nachts gut schlafen.« Damit wollte
er offenbar andeuten, daß volle Gut
müthigteit nur bei jenen Herren sicher
zu konstatiren sei, welche ihr Haar be
reits zum größten Theil verloren ha
ben. Jch bin in der neuen Shate
sparte-Forschung nicht bewundert ge
nug um frank und frei behaupten zu
stände, eine bescharnende Bloße vor
M
können, daß der große Brite sein»ge
waltiges Werk zu einer Zeit schuf,"tvp
er bereits den Verlust seines Kopf
schmuckes zu beweinen hatte, aber-ich
fiir meine Person schließe mich dieser
seiner Anschauung unbedingt an.
Jn der erzählenden Litteratur fand
lich die Glatze häufig genug mit Eler
ibein verglichen, noch häufiger schlank
Eweg mit einer BillardkugeL Jn mir
ihat dies immer eine höchst unange
snehme Empfindung hervorgerufen.
Billardkugeln stellt man sich gewöhn
lich in rollender Bewegung vor und
wie sie heftig zusammenprallen. Den
ken Sie sich dieselbe Prozedur mit
zwei Kahltöpfen ausgeführt nnd Sie
swerden sich zweifellos eines starken
sSchauderng nicht erwehren können
. Auch mit Frau Luna hat man die
HGlatzen in Verbindung gebracht und
insbesondere in Wien weiß jedes
Kind, wag es zu bedeuten hat, wenn
man mit Bezugnahme aus diesen oder
jenen soliden Herrn von Mondschein
spricht. Nie war einVergleich so platt,
wie dieser. Ganz abgesehen davon,
daß der Anblick des keuschen Nacht
gestirng ganz andere Gefühle weckt,
alg die Aussicht auf eine Glatze, so
muß schon vom astronomischen
HStandpuntte jede Parallele verworfen
Iwerden. Zunehmender Monr —- —
;na? Da hapert’s. Abnehmende Gla
tzenx Ycennt mir Jenem oer eine Wage
abnehmend zu gestalten vermag und
ich garantire ihm binnen kurzer Frist
die Million. Jch selbst wäre der
Erste, der spornstreichs zu ihm ren
nen und ihm einen großen Theil mei
nes leider nicht sehr großen Vermö
gens anbieten würde, nur dafür, daß
er sich bereit erklärt, seine Kunst an
fmir zu erproben. — Aber, mein Haar
jsträubt sich schon bei der bloßen Vor
ftellung...
Jch hatte einen Kameraden, gleich
mir ein Mann von der Feder. Der
hat mich seiner Zeit ob meiner glatten
Kopfhaut weidlich gestichelt und jedes
erdentliche Gesprächgthema zu einer
diesbezüglichen Anspielung zuzuspitzen
gewußt. Wenn ihm schon gar nichts
anderes einfiel, dann sprach er von
militärischen Uebungen und von dem
Mangel an einem geeigneten Excer
zierplatz, dem er jedoch leicht abzuhel
sen wüßte. Die Nemesis hat ihn er
reicht. Der Mann hat seinen iippigen
Haarwuchs binnen wenigen Monaten
verloren. Er hatte aber auch die Ge
pflogenheit, Tintenslecke an den Fin
gern dadurch zu entfernen, daß er sich
mit der Hand durch das Haar fuhr.
Diese Gepflogenheit hat er denn auch
später beibehalten, namentlich dann,
wenn er in eifrian Schreiben vertieft
war. Ich habe ihn dabei nur beobach
tet, aber niemals gestört. Vielmehr
habe ich mich diebisch gefreut, wenn
er endlich aussah wie ein Zel)ra. Neh
men Sie mir dag nicht iibel und halten
Sie mich nicht etwa fiir einen boshafs
ten Menschen. Sie kennen doch das
Sprichwort: Wann freut sich der
Lahme am meisten? — Die Glatzen
der Anderen sind ein hervorragender
Trost sijr den, der selbst eine besitzt
Jm Uebrigen wende ich meine aus
gesprochene Sympathie allen Jenen
zu, aus deren Haupt es schütter zugeht
Nicht nur Sympathie, sondern auch
liebevolle Aufmerksamkeit und sorg
fältige Beachtung Daher kommt es
auch, daß mir die Glatzen in allen
Formen und Größen vollkommen ge
läufig sind. Jch will Niemanden mit
der Aufzählung der gewonnenen Re
sultate ermüden, nur so viel möchte
ich bemerken, daß es auf der ganzen
Welt nicht lzwei Glatzen giebt, die ein
ander vollkommen glcichen. Davon
können Sie sich ganz leicht überzeugen,
wenn Sie sich einen Galleriesitz in die
Oper taufen und Von dort aus in’s
Parkett hinabblicien. Sie werden all
abendlich eine große Anzahl Glatzen
zu zählen in der Lage sein, aber ich
wette den Versatzzettel meiner Uhr ge
gen Jhre goldene Busennadel, daß
Sie niemals zwei kahle Köpfe ausfin
dig machen, welche miteinander ver
wechselt werden könnten.
Wenn Sie das Spiel fortsetzen,
werden Sie eLi ich zweisle nicht da
ran —---- mit der Zeit ganz amiisant
finden. Jch fand dag schon längst
und, wie gesagt, ich shmpathisire mit
jedem biederen Glatziops. Verhafzt
sind mir nur Jene, welche die ihnen
von der giitigen Natur verliehene
Glatze unter einer schnöden Perrücke
bergen. Dass ist ein unwiirdiges
VersteckengspieL Solche Leute gehören
nicht zum würdigen Stande der ver
schämten Armen, fiir mich sind sie
Protzen, die mit leicht erworbenem
Reichthuine prnnten und als etwas
gelten wollen, wag sie in Wahrheit
nicht sind.
Denen zum Trotz singe ich ein Lob
lied aus meine Glatze. Mir ist sie mit
der Zeit ein werthvoller Besitz gewor
den, der seine Annehmlichkeiten hat.
Kein Kamm mit scharfen Zähnen,
keine Haarbürste mit steifen Borsten
existirt für mich Jch srisire mich
ebenso rasch wie gründlich mit dem
UHandtuch und welch ein Wohlgesuhl
es ist, sich mit der weichen Leinwand
über den Kon zu fahren, weiß nur
Derjenige, der dies an sich selbst ver
spürt hat· Sie lachen? Da giebt’s
gar Nichts zu lachen! Glauben Sie
vielleicht, weil Sie einen schönen
Haarschopf besitzen? Auch Sie werden
Jhrem Schicksal nicht entgehen!