Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, August 25, 1905, Sweiter Theil., Image 9

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    W
Wenn man die Hand zum Ab
- - schied giebt.
Wenn man die Vband zum Abschied
gie i,
Dann fiihlt man wohl mit leisem Be
ben. .
Wie treu und innig man geliebt
Mit ganzer Seele, ganzem Leben.
Dann zittert durch das Herz ein Weh,
Wie man vordem es laum empfunden,
Als ob das Glück zu Ende geh’
Mit diesen schmerzensreichen Stunden.
Die Sonne der Vergangenheit »
Blitzt noch einmal durch Scheidewa
nen,
Und alle Lieb’ und alles Leid
Flammi auf in wunderbarem Sehnen.
Die Ferne liegt in Sommerpracht,
»Der Frühling geht auf allen Wegen;
Jch aber zieh’ durch dunkle Nacht
Dem neuen Morgenroth entgegen.
Das Schlummerlied
Siizze von Hedwig Nicolarni
Er ging in gemächlichem Schritt
dahin. beobachtete das Treiben auf der
Straße und sah sich interefsirt diese.
und jene Auslage an. Vor einem
Schaufenster blieb er stehen, um die
Bilder der Künstler zu betrachten, die
dort ausgehängt waren. Er fand sein
eigenes darunter.
«Karlo Jachmann« stand auf dem
Nation.
Jedermann in derhauptftadt kannte
feinen Namen und wohl die meisten
auch feine Stimme. Er war Helden
tenor an der Königlichen Oper.
Ein Gefühl des Stolzes schwellte
feine Bruft. Selbstgefällig glitt die
mit herrlichen Juwelen geschmückte
Hand über sein ausdrucisvolles Ge
, ficht. Es war doch etwas Köftliches,
ein berühmter Künstler zu fein.
Mit ftolz erhobenem Haupt schritt
er weiter, bis ihm eine leere Drofchte
in den Weg fuhr, die er heranwintte.
»Fahren Sie mich an’s Ende der
Berg Straße," fagte er, sich nieder
fedend und unter den angenehmsten
Gedanken saß er bequem zurückge
lehnt, bis nach einer halben Stunde
das Gefährt plötzlich anhielt.
Er war am Ziel, d. h. von hier aus
wollte Karlo seine eigentliche Wande
rung beginnen. Er lohnte den Kut
fcher ab und machte sich leichtem-Schrit
tes auf den Weg durch das grünende
Feld, welches fich vor ihm ausbreitete.
Er bog von dem Feldweg ab. hinüber
nach dem mit lichten Sträuchern
durchflochtenen Kiefernwiildchem aus
deffen Schatten ein kleines, hell
geftrichenes hör-schen freundlich her
vorblicite.
Befriedigt nickte Karlo vor sich hin,
als er an dem grünen Geländer des
Vorgartens ein Schild gewahrte, das
den Namen »Krafft« trug.
Es ward ihm seltsam zumuthe, als
er durch die inarrende Pforte eintrat.
Er iam, einen tranken Kollegen zu be
suchen. welcher während seiner Krani
heit hier bei feiner Mutter wohnte.
Auf fein Klingeln erschien eine alte,
verhärmte Frau in der Hausthür und
blickte den Besuchek er taunt an.
»Wohnt hier der O ernsänger Frih
Krafft?«
Sie nickte trübe.
»Ich möchte ihn besuchen, mein
Name ift Jachmann.«
Nun stieg ein lichter Schein in ihre
Auaen.
»Das ift fchön von Jhneni O, tvie
wird er sich freuen! Bitte, treten Sie
ein,« fprach sie freundlich, indem sie
eine Thiir im Flur öffnete und mit
einer handdewegung auf das Bett
wies, aus dessen Kissen dem Kommen-—
den ein hleiches Gesicht erwartungs
voll entgegenblickte.
Mit einem Ausruf der Freude um
klammerte der Kranke die ihm darge
reichte Hand.
»O, Karlo Sie kommen zu mir,«
ftatnmelte er, ein Leuchten in den tief
lie enden, fchwarzen Augen. »Wie
fchon von Ihnen, gerade von Jhnent
Keiner von den anderen denkt an
mich, die um nichts mehr sind als ich
—und gerade Sie kommen, Sie, der
mit feiner Kunst llher uns Allen
htt«
Karlo fühlte sich gerührt und he
fchiimt zualeich »Lieber Fritz, ich
tvollte nur fragen, oh es Ihnen besser
geht-«
»Gewiß. ich danke Ihnen. Jch
denke, ich habe das Schwerste nun
glücklich übertounden.«
»Nehmen Sie, bitte, Platz, mein
Herr,'« bat die Mutter leife. Sie fchob
ihm einen Rohrftuhl hin und entfernte
sich dann getäuschle
Der aroße Künftler fah sich um.
Einfach und unmodern war alles in
dem kleinen Raum, aber ein Reiz von
iraulicher Gemüthtichieit laa iiber den
alten Möbeln, ein alttnodifcher Duft.
Welch ein Kontrast mit feinem eigenen
heim in der eteaanten Villa. wo nichts
von modernern Komfort fehlte!
Seine Auaen kehrten zu dem Kran
ken zuriich Der arme Kerl, wie faher
aus! Gelb und verfallen das unfchiine.
aber geniale Gesicht, in dem die
fchwarzen Auaen unftet iuntelten.
»Wer finat iest meine Partie?« war
das erfte, was er mit aeaniiltem Aus
druck fragte, nachdem er über den Ber
ian feiner Krankheit berichtet hatte.
Yeöraska
Staats-Anzeiger nnd Yerold
J P. Windolph, Herausgeber Grund Island. Nebr» Z) August IWJ Zweiter(Tl-eil.) Jahrgang 25 No 52
E »Der Steinbach natürlich, bis Sie
s wiederkommen.«
»Der!?« Halb wegwerfend, halb
wie Eifersucht klang es.
»Hofsentlich können Sie ihn bald
wieder ablösen, Fritz.«
»Gewiß! Die Glieder sind mir nur
noch etwas schwach, aber meine Brust
hat nicht aelitten,« sagte er eifrig.
»Der Arzt meint, es war nur Jn
fluenza, und der Blutekgnß ein Ader
bruch in der Lunge, der ganz vernarbt
ist« Ich hätte mich früher schonen
sollen.«
Er athmete tief und dehnte die
schmale Brust; Karlo sah, wie viel
Mühe ihn beides kostete
»Ja, Sie waren zu pslichieisria,
Fritz; es that uns allen riesia leid, als
Sie damals auf der Probe zusam
menbrachen.«
Das Feuer in den Augen des Kran
ten erlosch, und seine heißen Finger
ließen die Hand des Gastes los.
»Allen wohl nicht,« meinte er,
,,sonst hätte wohl noch einer außer
Ihnen den Weg zu mir aesunden.«
»Die Koueaen sind gerade jetzt starr
beschäftigt,« entschuldigte Karto.
»Ach, lassen Sie’s ruhen,« wehrte
Frid voll Leidenschaft ab, »wir Künst
ler wissen ja am besten, wie es mit
dem Mitleid beim Theater bestellt ist.
Die meisten benutzen ihren Nächsten
als Leitersprosse, um sich darauf zur
Höhe emporzuschivingm Die meisten,
saae ich; aber es gibt Ausnahmen,
und Sie sind eine solche, Karlo."
»Jeder Mensch sucht aus seine Art
vorwärts zu tominen,« entschuldigte
der andere wieder. »Man muß mit
dem Leben kämpfen und ringen, wenn
man sich nicht als Sllave fügen will.
Auch ich habe arstrebt und strebe wei
ter. Jn dieser Welt heißt’s Ellbogen
gebrauchen oder in den Staubgetreten
werden. Es ist beim Theater nur
ebenso tvie überall.«
Bevor Fritz antworten konnte, stand
seine Mutter neben dem Bett.
»Verzeiben Sie, mein Herr,« sprach
sie freundlich. »wenn ich Sie nicht
bitte, Ihren Besuch länger auszudeh
nen, mein Sohn soll sich sebr schonen.
Vielleicht obsern Sie ihm sväter noch
einmal eine halbe Stunde.« .
»Meine gute Mutter,« lächelte der
Kranke. »Sie bittet siir mich, und ich
bitte Sie auch, Karlo, kommen Sie
bald wieder. Sie haben mich glücklich
aemacht durch Ihren Besuch. Und
wollen Sie das Maß Jhrer Güte stil
len, so singen Sie mir das nächste
Mal eine Jhrer großen Arien, ich
möchte daraus Genesung schöpfen.
Wollen Sie?«
Er hielt ihm die Hand entgegen, die
Karlo mit festem Druck exfafste Ein
heißes Mitleid mit dem Armen stieg
in ihm auf
»Wenn es Ihnen Freude macht, ge
wiß, gern,« sagte er mit vibrirender
Stimme.
»Dant! Dant! llnd wann darf ich
Sie wieder erwarten?« drängte Fritz
Krafft mit krankhaftem Ungestüm.
»Für übermorgen Abend bin ich
frei; also dann am Nachmittag.«
Die Mutter geleitete den Gast bis
auf den Flur. Draußen drückte sie
ihm dankbar die Hand und sah ihm
ängstlich forschend ins Gesicht.
»Glauben Sie noch an eine Gene- i
sung meines Sohnes?« fragten die
zuctenden Frauenlippen leise. s
»Der himmel gebe es,« war Alles-, s
was Karlo bewegt hervorbringen l
tonnte.
Die alte Frau seufzte bang, wäh- s
rend der Künstler sie schweigend be-l
trachtete. Eine tiefe Inbrunst und !
Jnnerlichteit tam in dem wehmüthigs
schönen, alten Gesicht zum Ausdruck.
Und der Klang ihrer Stimme war so
weich und sanft, als ob sie mit dem
herzen spräche.
»Mein armer, armer Junge! Wie
hoffnungsfreudig blickte er in die Zu
tunft!«
Karlo würde es nicht über sich ge
bracht haben, sein Wort nicht zu hal
ten: zwei Tage später stand er beklom
men vor derselben Thür.
Frau Kraffts traurige Stimme s
hieß ihn erfreut willkommen, und s
Frinens Augen leuchteten seltsam. s
»Also wirklich Wort gehalten,« ries ;
er erregt, »o, wie schön, wie gut!«s
Eine iteberhaite Unruhe schien den;
Kranken zu beherrschen, und seine i
Stimme klang rauh und eigenthiimlich i
heiser.
»Snrich nicht so viel, Fünf mahnte
die Mutter ängstlich.
»Der Dottor hat es ihm heute streng
verboten,« wandte sie sich an Karlo.
»Dann ist es jedenfalls auch besser,
ich verschiehe das Singen auf einen
anderen Tag.« meinte dieser.
»,,Nein, netn,« bat der Kranke unge- s
stum, »nur keinen Aufschub. Jch habe
mich zwei Tage darauf gefreut. Ihr
Gesang-wird mich beruhtgen, Karl-if l
»Nun gut. Aber Sie müssen m ch t
unterbrechen, wenn ich aufhören soll.« i
Er fragte, während er sich an das
Klavier setzte, was er singen solle. s
»Alleö ist gleich schön,« antwortete
der Gesragte, und: »Sie sind ein guter
Mensch, Karlo,« setzte er leiser hinzu.
Frau Krasst nahm am Kopfende
des Bettes Platz und bedeckte die Au
gen mit den Händen.
Fritz hielt den verzehrenden Blick
aus den Freund geheftet, dessen Finger
zuerst Präludirend über die Tasten
glitten. Wie ein Dürstendre den er
srischenden Trank, nahm er die ersten
weichen Töne, die des Künstlers Lip
pen entquollen, in sich ein. Er horchte
nicht auf die Worte, nur auf die
Stimme, aus diese wundersame, un
vergleichliche Stimme, aus der es wie
Mitleid und zugleich wie jubelndes
Glücksgesühl über das eigene Können
hervorklang
Fritzens Lider senkten sich schwer-,
als die Töne durch das Gemach hall
ten. Erst leise antlingend, dann lau
ter, schwellend und voll erklang Vorsi
sals Sang, ,,Cl)arfreitagszauber«:
»Wie dünkt mich doch die Aue heut’
so schön!
Wohl tras ich Wunderblumen an,
Die bis zum Haupte süchtig mich um
rantten.
Boch sah ich nie so mild Und zart
Die Halmen, Blüthen und Blumen,
Noch duftete All sso kindlich hold
Und sprach so lieblich traut zu mir.«
Und dann zum Schluß:
»Ich sah sie wellen,- die mir lachten:
Ob heut sie nach Erlösung schmachten?
Auch deine Thräne wird zum Segen-H
thaue:
Du weinest — sieht Es lacht die Aue.«
Und wie um die Schlußmorte wahr
zu machen, trat die Abendsonne hin
ter den Bäumen hervor, aron und
leuchtend.
[ Eine tiefe Stille herrschte draußen
s in der Natur, lein Laut zwischen Him
mel und Erde, reglos standen Baume
, und Sträucher — und innen im Hause
lein Athemzua der Menschen.
, Endlich ein leises Rauschen der
Wipfel ein Luftzug durchs Fenster.
Der Sänger rührte sich zuerst. Ihn
Helbft ergriff das, was er gesungen, je
Idesmal wieder mit packender Gewalt.
iBeifallsftiirme waren sonst fein Lohn
sfiir dieses Beste, was er geben konnte,
aber die athemlofe Stille hier war
mehr, als jeder laute Jubelruf, das
fühlte er.
Geräuschlos erhob er sich undt
wandte sich dem Bette zu, aus dein das
Sonnenlicht in rothem Feuer spielte
Mit geschlossenen Augen und ei
nem eigenthümlich verklärten Lächeln
um den bleichen Mund lag der Kranke
da. Schlief er? Karlo trat näher, um
ihn besser ansehen zu können, da aber
fiel fein Blick aus ein junges Mädchen,
das in lieblicher Reinheit und Kind
lichleit neben dem Lager stand, weifst
wie ein vom Himmel herabgeschwebter
Engel. Karlo wunderte sich, daß sit
keine Flügel hatte. s
Das Mädchen mußte wohl während
des Gesanges durch die angelehnte
Seitenthür hereinaekommen sein. l
Plötzlich bewegte sie sich, es war, als ;
ob sie aus einem Traum erwachte. »
,,«’5ritz!« rief sie leise, ,,«Fritz!z
Schläfst Du? Sieh mich doch an»
Fritz, bitte!« ;
Aber er bewegte sich nicht. ;
bel,,,Fritz!« sagte sie noch einmal, ,,lie i
herzlicher Fritz, so höre mich
doch!« i
Aber er hörte nichts mehr. ’
Das Sonnengold lachte über den
sriedvollen Zügen des Entschlafenen..
Da schrie das Mädchen laut aus,";
warf sich vor dem Bette aus die Knie, ;
umklammerte den Kopf des geliebten
Todten und bedeckte ihn mit heißen
Küssen
Der Kopf der Mutter war auf diel
Brust gesunken und über ihre bleichen »
Wangen ergoß sich ein wilder Thrä
nenstrom. Sie trat zu dem sassungs-· i
losen, kindlichen Geschöpf, das ihresj
Sohnes Braut gewesen, und zog es
sacht an ihre Brust.
Eine Weile hörte man nichts alsl
das leise Schluchzen der beiden
Frauen, die sich eng umschlungen
hielten. «
Der junge Künstler wagte kaum zu k
athrnen; noch nie hatte er in der
Wirklichkeit solchen echten, verzweif
lungsvollen Schmerz gesehen, noch
nie eine Frau, die so groß und erha :
ben in ihm aussah, wie diese alte«
Mutter.
Der Anblick zerriß seine Seele.
«Mater dolorosa« dachte er, und:
»Arme Mutter« sprach er erschüttert
mit feuchten Augen
Voller Ehrfurcht näherte er sich der
unglücklichen Frau, die nun das Mäd
chen losließ und sich nach ihm um
drehte.
siEr ulnegte wie ein Sohn den Arm um
aufschluchzend lehnte Frauj
Krasft den grauen Kopf an seine
Schulter. Sie fühlte es, ihr Fritz
hatte recht gehabt: Karlo war ein gu
ter Mensch.
Sie griff nach seiner Hand und
beugte ihre Stirn darüber, so daß er
ihre Thränen tropfen fühlte.
»Ich sah sie welken, die mir lach
ten«, wiederholte sie dumpf und ge
brochen, ,,alle, alle! Er war der letzte
aller meiner Lieben.«
-
Drei Paar Handschuhe
Von Anton Steiner.
i Es war früh Morgens. Professor
JKiimmerlich war schon gerüstet zum
tGange in’s Ghmnasium, wo er die
lernbegierigen Jünglinge in den Wis
senschaften der Mathematik und
Physik unterwies, als seine Gattin
aus ihn zutrat und ihn bat, noch einen
Augenblick zu verweilen.
»Du weißt wohl nicht«, begann sie;
»daß heute Dein Namenstag ist —«
»Das auch noch,« wars er ein, »wo
ich ohnehin auf so viele Dinge zu den
ken babe.«
»Also empfange meine herzlichsten
Glückwiinsche,« fuhr die Frau unbe
irrt fort und drückte einen Kuß auf
die Stirn des Gatten, »und hier über
reiche ich Dir ein kleines Geschenk.
Gieb wohl acht darauf!«
Die Mienen Kümmerlich’s hellten
sich aus. Er löste die Schnur von dem
kleinen Packet ab und zog aus dam
rosa Seidenpapier ein Paar Hand
schuhe hervor. Sie waren aus brau
nem, glänzendem Leder verfertigt und
ausgestattet mit Druckknöpfen neue
sten Systems. «
»Besten Dank. meine Liebe,« sagte
er und driickte der fürsorglichen Gat
tin die Hand. :
,,Hosfentlich ergeht es Dir mit den
Handschuhen nicht eben so wie mit
dem Regenschirm, den ich Dir zu
Weihnachten gab«, bemerkte die Frau.
»Ich bitte Dich, erinnere mich nicht
daran", entgegnete heftig der Profes
sor. »Seitdem diese verflixten Jun
gen von dem Verluste des Regenschir
mes Kenntniß haben, senden sie mir
immer unter Kreuzband Ausschnitte
aus den »Fliegenden Blättern« zu.t
Jch habe mir auch geschworen, auf
den Gebrauch eines Regenschirmes(
zeitlebens zu verzichten und ——«
»Aber ereifere Dich doch nicht liebes
Männchen«, beruhigte ihn die Gattin,i
,,sondern höre auf das, was ich Diri
sage: Gewöhne Dir an, die Hand
schuhe jedes Mal, wenn Du sie aus-l
ziehst, sofort in die Tasche Deines
Ueberrockes zu stecken; dann wirst Du
sie nirgends liegen lassen.« (
»Das will ich strenge befolgen, ber- «
lass’ Dich darauf, lieber Schatz«, be
theuerte Herr Kümmerlich »Aber nuns
leb’ wohl, es ist höchste Zeit für mich.« l
Eilends wanderte er nun der Stätte
seiner Wirksamkeit zu.
Einige Tage darauf muszte derPros
iessor die unliebsame Entdeckung mass
ctien, daß ihm einer der Handschuhe
abhanden gekommen war. Er besaßi
nur mehr den linken: den rechteni
konnte er nirgends finden. Er suchte»i
ihn in allen Taschen, er fahndete nach «
ihm in allen Fächern feines Schreib
tisches, in allen Lehrzimmern Alles-!
umsonst: der Handschuh blieb ver
schollen.
Herr Kiiinmerlich stellte seine Nach- I
forschungen geheim an; er fand nicht;
den Muth, die Gattin von seinem Ver- .
luste in Kenntniß zu setzen. Aber die
Furcht vor der Entdeckung ließ ihm
leine Ruhe und reifte in ihm den Ent
schluß, den »status quo ante« herzu
stellen und sich ehestens ein kongruen
tes Paar von dieser Handschuhsorte
zu verschaffen.
An demselben Tage noch suchte er
nach Schluß des Unterrichtes einens
Handsuchhladen aus. Die Beriäufe-i
rin hatte bald das Richtige gefundeni
und legte ihm ein Paar Handschuhej
por, die von den anderen nicht zu uns !
terscheiden waren. Der Professor er
stand ste und war froh, dieser Sorge
nun ledig zu sein. Freilich konnte eri
sich der dumpfen Empfindung nichtk
erwehren, daß seinem Beginnen ei-l
gentlich die Absicht zu Grunde liege,
seine Gattin zu täuschen, und es war
ihm ungefähr zu Muthe wie einem
Schüler-, der die Hausarbeit von ei
nem Kollegen abgeschrieben hat und
sie dann betrügerischer Weise als sein«
eigenes Geistesvrodukt vorweist. l
»Wo warst Du so langes« fragte
i
i
die Frau, als Kümmerlich heimkehrte
»An der Elektrisirmaschine gab es
etwas in Ordnung zu bringen«, ant
wortete er, während er bedächtig die
lHandschuhe abstreifte und in die Ta-»
schen des Ueberrocles versenkte, den;
einen links, den anderen rechts, wie er
es gewohnt war Da iiberlief ihn ein
’ leiser Schrecken: er hatte den einschich
tigen Handschuh ebenfalls noch in der
Tasche. Gedankenloser Weise, wie er
sich gestehen mußte, hatte er ihn im
Geschäfte nach dem Einlause wieder
zu sich genommen.
Die Existenz desselben erschien ihm
nicht nur zwecklos, sondern geradezu
gefahrdrohend, wenn er bedachte, daß
seine Gattin häufig eine Revision
sämmtliche-r Taschen vornahm, und
die Handschuhe in ihrer Dreizahl ihn
schrecklich kompromittiren müßten.
Folglich mußte einer der Handschuhe
eliminirt, vielmehr vernichtet werden.
So schloß der Professor seine kurzen
furwagun gen.
« Sehnsüchtig wartete er auf den Au
genblick, wo er allein war: FrauKüm
merlich besorgte einen kleinen Ein
kauf, die Magd holte Kohlen aus dem
Keller. Nun galt es rasch zu han
deln. Der Professor nahm mit einem
hastigen Griff aus jener Tasche des
Ueberrocks, wo sich zwei Handschuhe
befanden, einen derselben heraus, eilte
in die Küche, öffnete die Thiir des
Herrdes und warf den Handschuh in
die Flammen.
Als er am nächsten Morgen, die
Stufen des Hauses hinunterschrei
tend, die Handschuhe hervorholte und
anziehen wollte, konnte er sich längere
Zeit damit nicht zurecht finden. Kopf- «
schüttelnd legte er sich von einer Hand
in die andere. Endlich war ihm die
Sache klar: er hielt zwei linke Hand
schuhe zwischen den Fingern; den
rechten, der aber in diesem Falle der
»unrechte« war, hatte er dem Feuer
tode überantwortet. Auf’s Neue ver
düsterte sich das Gemiith des armen
Mannes-, der hierin eine Strafe fiir
sein heimtiickisches Beginnen erblickte.
Sobald er aus der Schule abkom
men konnte, eilte er spornstreichs wie
der in den Handschuhladen, kaufte
abermals ein Paar dieser unheilvollen
Handschuhe und schob sie mit aller
Vorsicht und Wachsamleit in die
Tasche. Die beiden einschichtigen
Linien, die ihm trotz ihrer elenden
Richtigkeit die Mißachtung der ganzen
Mitwelt zuzieben konnten, hielt er
lrampshast in der Hand und wanderte
so dem Flusse zu. Er betrat die
Brücke, beugte sich über das Geländer
und ließ die Handschuhe in das Was
ser fallen. Sein Herz klopfte in un
gestümen Schlägen, als er sah, wie
die rauschenden Fluthen sie hinweg
trugen.
Gramerfijllt ging der Professor sei
ner Wohnung zu. Seine Gattin hatte
ihm doch mit den Handschuhen eine
Freude bereiten wollen und ihm war
daraus so viel Aerger und Verdruß
erwachsen. Auch das Gleichgewicht
seiner Finanzen war gestört, sein
Taschengeld fiir diesen Monat arg
zusammengeschmolzen. Zudem schien
es ihm, ——— bei seinen strengen Begrif
fen von Recht und Wahrheit —- als
ob ein arges Schuldbetvußtsein auf
feiner Seele laste und Lug und Trug
seinen Lebenspfad verdunkelten.
Als er zu Hause anlangte, wurde er
von der Gattin nicht sehr freundlich
empfangen.
»Zeig’ mir doch Deine Handschuhe!«
rief sie ihm zu, kaum daß er die
Schwelle überschritten hatte.
»Hier sind sie«, antwortete er mit
unsicherer Stimme. Er ahnte, daß
sich ietzt sein Schicksal entscheiden
wurde.
,,Sind wirtlich noch sehr gut ton
servirt«, höhnte die Frau; »viel besser
als dieser da, den ich vor einer Stun
de im Papierkorb fand«, setzte sie hin
zu und wies gleichfalls einen Hand
schuh vor. Es war derjenige, den der
Professor vor einigen Tagen vermißt
und vergeblich gesucht hatte.
Herrn Kümmerlich überkam ein
heimliches Grauen, ein duinpfer Groll.
Nach all diesen Bitternissen tauchte
also wieder dieser Handschuh auf, des
senwegen er einen verbrannt, zwei
ertränkt hatte. Er hätte ihn am lieb
sten in kleine Stücke zerrissen.
»Hättest Du doch«, erklärte die
Frau erregt, ,,mir aufrichtig gestan
den, daß Dir ein Handschuh abgeht,
so hätte ich« darnach gesucht und ihn
wohl auch gefunden. So hättest Du
mir den Aerger und Dir das Geld er
spart. Jetzt kosten die Handschuhe
das Doppelte!«
Herr Kümmerlich Professor der
Mathematik, wäre es eigentlich schon
seinem Stande schuldig gewesen die
Berechnung seiner Gattin richtig zu
stellen, denn die Handschuhe kosteten
ja in Wahrheit das Dreifache. Er
unterließ es aber, schwor hingegen bei
sich einen fürchterlichen Eid, aus den
Gebrauch von Handschuhem ebenso
wie auf den eines Regenschirmes, für
sein ganzes Leben zu verzichten.
Kontpteltge Bote-pos. ·
Die kostspieligste Bote-post, welche
es überhaupt giebt, verkehrt nach
einem Artikel in der amtli en »Pos!
Osfice Rews«, in, Alaska zwischen den
beiden Orten Valdez und Eagle, wel
che 413 Meilen von einander entfernt
liegen und durch unwirthliche, unbe
wohnte und wegelose Gegenden ge
trennt sind. Die BeförderungD der
Postsachen zwi chen den beiden rten
ist vertragsmäkig einem Manne Na
mens Oskar Fish in Valdez übertra
gen worden, der für die Ausführung
einer monatlich zweimaligenBotenpoft
zwischen Baldez nnd Eagle jährlich
85,000 Dollars von der Regierung
der 5Ber. Staaten bezieht. Das Ge
wicht der Post, die nur aus Briefen
und Zeitungen besteht, ist auf höch
stens 300 Pfund beschränkt. Die
hohe Vergütung ist begreiflich, wenn
die Schwierigkeiten und Gefahren, die
mit der Beförderung der Post in jenen
wilden und verschneiten Gegenden
Alathag verknüpft sind, berücksichtigt
werden. Der Weg zwischen den bei
sden Orten kann während des ganzes
sJahreS nur auf Schlitten, die mit
sHunden bespannt sind, zurückgelegt
iwerden Die Ausführung der Boten
’postbefd·rderungen macht es erforder
lich, daß Fish sich fast ununterbro
chen in den einsamen und lebensge
föhrlichen Schneefeldern von Alaska
aufhalten muß. Schon manchmal,
wenn Fish nicht rechtzeitig am Be
stimmungsorte angekommen war, ha
ben die Bewohner von Badez und
Eagle angenommen, daß er unterwegs
ein Opfer seines gesahrvollen Berufes
geworden sei, bis jetzt hat er jedoch
immer noch sein Ziel erreicht. Auf
seinen Fahrten ist er schon Abhänge
hinuntergesallen, durch Schneelawi
nen verschüttet, halb verhungert, halb
erfroren und schwer verletzt, alle diese
schlimmen Erfahrungen haben ihn in
deß noch nicht Veranlaßt, seinen ge
fährlichen Beruf aufzugeben. Er be
absichtigt vielmehr, seine abenteuerli
chen, aber lohnenden Reisen so lange
fortzusetzen, wie seine Kräfte ausrei
eben.
Der Kaiser und ver Berliner-.
Als der Kaiser bei seinem Aufent
halt in Lissabon an Land ging, hatte
an der Landungsbrücke die gesammte
deutsche Kolonie Aufstellung genom
men. Der Kaiser, der sich in der be
sten Laune befand, unterhielt sich mit
fast jedem Mitgliede der Kolonie. Da
tönten plötzlich aus dem Hinter
grunde, während der Monarch gerade
mit einem sdeutschen Professor der
Geographischen Gesellschaft sprach, in
unverfälschtem Spreewasser -- Deutsch
die Worte: »Zu mir kommt er wohl
nich!« Diese Aeußerung entstammte
dem Munde eines jungen Berliners,
der zur Zeit in einem Lissaboner Ge
schäft als Buchhalter thätig ist. Der
Kaiser ging, so erzählt etwas sehr
post festum die ».N Z.«, sofort zu dem
jungen Mann, der weiß wurde wie
seine zur Feier des Tages angelegte
Krawatte, und sagte zu ihm: ,,Zu Ih
nen kommt er och, Landsmann.«
Nachdem er sich mit dem Berliner noch
eine geraume Zeit unterhalten hatte,
verließ er die Herren und meinte im
Weiterschreiten zn einem in seiner Be
gleitung befindlichen höheren Mathe
nffizier: »Es ist doch komisch, daß
man unsere Berliner überall auf der
Welt herauskennt, ihr Mund ist eben
nicht todt zu kriegen.«
Hundertjähriacr Kameltem
darum.
Ein Prächtiger Kamelienbaum steht
seit über hundert Jahren im kgl.
Schloßgarten zu Pillnitz. Er war
mit drei anderen Pflanzen derselben
Art lCamelia japonira) Ende des 18.
Jahrhunderts nach Europa gebracht
und im Jahre 1801 in’s Freie ausge
Pflanzt worden, hat seine drei Gefähr
tinnen alle überlebt und in jedem
Frühjahr eine Fülle kleiner, rother
Blüthen gebracht. Nach einer Angabe
des Obergartendireltors Bouche aus
dem Jahre 1899 hatte die große, bu
schige Pflanze damals etwa 30 Fuß
Höhe und 24 Fuß Gesammtdurchmes
ser; der Durchmesser des Hauptstaw
mes betrung in einer Entfernung von
1 Fuß über der Erde etwa 14 Zoll.
Jm Winter wurde der Baum mit ei
nem heizbaren Schutzhause überhaut.
Bei einem Brand, der am 5. Januar
dieses Jahres das Ueberwinterungs
haus heimsuchte, war dieses alte
Prachtstück des Gartens theils durch
die Hitze und den Rauch, theils durch
die von auszen eingedrungene Kälte
derartig beschädigt, daß man seinEin
gehen befürchten mußte. Unter geeig
neter Behandlung ist aber diese Ge
fahr, wie Bouche berichtet, überwun
den Ioorden; selbst aus den starken
Stämmen entwickeln sich kurze Laub
triebe, und es darf nunmehr mit Be
stimmtheit erwartet werden, daß der
altehrwürdige Baum (dessen Aeste
stark zurückgeschnitten werden muß
ten) im Laufe der Jahre seine einstige
Schönheit wieder erlangen wird.
Der Bantostelheld.
»Frau: ,,Eine innere Stimme sagt
mir . . «
Mann: »Was, um Gottes Willen,
eine innere Stimme hast Du auch
noch?«