Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, August 18, 1905, Sweiter Theil., Image 12

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    W
Klagen ist sein Geburtstag.
Urlebt nnd erzählt von h. S p i e l e r.
Es war im hochsonnner. Heiß lag
die Sonne den ganzen Tag über der
oßen Rate-Ebene und dem maleri
then Thun Jch ging daher gern, um
mir am Fluß- und Seeuser ein bis
chen Kühlung zu holen, am Spätnach
miitag von der Stadt nach Scherzli
gen zu, dem hübschen Dörfchen, wo
Ue rasche, grüne Aare den Thunet
See verläßt.
Täglich begegneten wir auf diesem
Wege ganzen Schaaten von Knaben,
die, das Badezeug unter dem Atme,
nach dem Badeplatz am See pilgerten,
dort, wo der leyie der Riesenbäume
des schönen Schloßparls von Schadau
seine tiefhängenden Aeste im See
spielt.
Eben war wieder solch lustiger
Trupp an mir vorübergezogen. Ein
kleiner Kerl in blauer Matrosenbluse
irennte sich von den übrigen, blieb zu
rück und begann arn Wiesenrain einen
mächtigen Blumenstrauch zu pflücken.
»Grüß Sie!« sagte er, mit dem
hübschen Schweizergrusz, als ich an
ihm vorüberkam, und zog seinen klei
nen Sirt-Mut
Nie in meinem Leben hatte ich in ein
sonnigereres Kindergesicht gebliclt. Al
les an ibm strahlte und leuchtete: seine
blauen Augen, die goldblonden, etwas
loeligen Haare, die weiße Stirn, der
rche rothe sindermunlx Ich
jpnnte nicht anders, ich mußte den
Jungen anreden.
»Du liebst wohl die Blumen sehr?«
fragte ich ihn.
»Ich lieb’ sie schon«, antwortete er
zutraulich, »aber hauptsächlich pflück
ich sie, weil die Mutter sich freut, wenn
ich ihr Blumen mitbringe. Die tra
gen wir dann nach dem Abendessen
auf den Kirchhof zu all meinen todten
Brüdern.«
»Al! Deinen todten Brüdern?« wie
derholte ich erstaunt. »Ja, wieviel
hast Du denn auf dem Kirchhon«
»Vier«, sagte er fast triumphirend,
als sei er stolz auf die reiche Zahl.
»Jetzt haben wir teine Kinder mehr,
außer mir«, setzte er hinzu.
Sehr nahe schien ihm ber Tod sei
ner Geschwister nicht zu gehen. Tes
halb fragte ich weiter: »Sie sind wohl
schon lange todt?«
»Furchtbar lange«, llang es mit
Nachdruck zurück. »Als sie starben,
gab es mich überhaupt noch nicht, und
ich bin doch schon zehn Jahr«, —- er
reckte sich förmlich bei dieser stolzen
Alterangabe —, »das heißt, heute
eigentlich noch nicht«, er lächelte schel
-«·raisch.- -- aber morgen —- benn mor
gen —-« nun zögerte er ein wenig,
aber dann konnte er doch riicht mehr
damit zurückhalten, »denn morgen ist
mein Geburtstag!«
Es lag ein unglaublicher Jubel in
die Antiindigung Seine Augen
blintem
»Und morgen ist noch dazu gerade
Sonntag. Fein! Nicht?« fügte er
strahlend hinzu. »Da braucht man
doch wenigstens nicht in die Schule.
Und Vater hat versprochen, wir sah
ren morgen mit dem Schiff nach
Spiez und gehen dann nach Aeschieried
hinauf. Da ist nämlich meine kleine
schwarze Ziege siir den Sommer bei
einer Frau, die eine schöne Matte bat;
denn dort hat sie es bei der Hitze bes
ier als bei uns in der Stadt.«' Das
klang sodrollig alttlug.
»Ein hübschere Ziege giebt es über
haupt nicht«, schwatzte er weiter,
»und sie gehört mir ganz allein. Die
läuft mir nach wie ein Hund, und
wenn sie springt und bockt, muß man
sich todtlachen. Nun darf ich sie mor
gen besuchen, Vater hass- versprochen.
Jch freue mich so. Ob sie mich wohl
noch erkennen wird? Als die Frau sie
im Frühjahr abholte, habe ich ge
weint; damals war ich eben noch viel
i kleiner. Jeßt würde ich mich schämen,
zu weinen; denn morgen werde ich ja
schon zehn Jahre. Ach, wenn es doch
erst morgen wäre!«
Er schien nun genug Blumen zu ha
ben, und wir schritten tapfer zusam
men weiter den sonnigen Wiesenweg
entlang, als seien wir zwei alte Be
kannte und das müßte so sein.
Aber lange ließ ihn seine Glückse
ligkeit nicht schweigen.
»Als ich vorhin vom Haufe weg
ging« , erzählte er geheimnißvoll,
«tarn ich an der offenen Küchenthüre
vorbei, und da sah ich, daß Mutter
schon meinen Geburtstagsiuchen ein
riihrte. Sie machte freilich gleich die
Thüre zu; aber ich hatte doch schon be
merkt, daß ein ganzer hausen Rosinen
auf dem Tisch lag. Recht viel Rost
rseu, das schmeckt famos! Finden Sie
nichts«
Ich beeilte mich selbstverständlich,
zu versicheru, daß auch ich mir nichts
Schönste- ausdenken könne als recht
siel Wu.
- Haft Du Dir denn auch was ge
Essuscht zum Geburtstag?« fragte ich
DOMAIN tydetefiichetttesk eksrig
» g Wen ne ange
« mit allein, was daz u ge
la istdu sein! Vater sgoll
, Mitgen- ehe
- f en. Noch hat er
» v de i
MIU täuscht ist-T Ja Erz-h
header Zaveksicht auf, an ek for-sahn
»Aber sicher sauft er mir heute Rach
mittag eine, während ich bade. Jch
habe sie mir ja so gewünscht. Und ich
tenne doch Vater.
Plötzlich riß er mit raschem Ruck
sein Badelalen, das er unter dem
Arm trug, auseinander und zog eine
kleine, roth und weiß gestreifte Bade
hose hervor.
»Die habe ich voriges Jahr zum
Geburtstag betommen«, erklärte er
stolz.
Damit war nun unser Gespräch auf
den Wassersport gekommen, und ich
fragte ihn daraufhin, ob er denn auch
schwimmen tönne.
Er schüttelte den Kopf. »Nein,
aber ich werde es diesen Sommer ler
nen. Paul Werner will es mir zei
gen. Paul Werner, wissen Sie, der
Junge aus meiner Klasse, der auch in
der Hauptgasfe wohnt, nahe bei uns,
der kann famos schwimmen sogar aus«
dem Rücken. Können Sie auch auf
dem Rücken schwimmenf
Leider mußte ich beschämt vernei-(
nen, was seiner Hochachtung für mich
einen erheblichen Stoß zu geben schien.
»Vielleicht können Sie es noch ler
nen« ,sagte er dann tröstend.
Der Trupp der anderen Jungen
war schon in ziemlicher Entfernung
fast verschwunden; nun drehte sich ei
ner von ihnen um und pfiff laut und
gellend auf zwei in den Mund gesteck
en Fingern.
»Jetzt muß ich aber laufen«, sagte
mein tleiner Freund eilig, »fonst hole
ich sie nimmer ein.« Zutraulich
reichte er mir seine sonnverbrannte
Kinderhand und trottete davon.
Plötzlich fiel mir etwas ein. Jch
legte beide hände hohl an den Mund
und rief ihm nach: »Höre, sage mir
doch noch. wie Du heißt!«
Noch einmal wandte er mir sein
lachendes, glückliches Gesicht zu.
»Fritzli!« schrie er zurück, machte dar
auf einen Luftsprung wie ein junges
Fällen, warf seinen Strohhut in die
Höhe und jubelte übermüthig: »Mot
gen ist mein Geburtstag!« Dann lief
er leichtfiißig über die grüne, sonnen
goldige Wiese dahin, den anderen
nach, dem baumbeftandenen Seeufer
zu.
Jch aber ließ mich durch zwei alte
Weiblein im Fährboot ans jenseitige
Ufer der Aare befördern, zu meinem
Abendspaziergang an der »Bächimatt
promenade«. Langfam bummelte ich
den Weg am Fluß entlang, bis zu
dem Punkt, wo- sich plötzlich der herr
liche Thuner See mit feiner schim
merndenWasserfläche, seinen mächti
gen Schneebergen dor dem entzückten
Blick ckitsbreitet Vom Wasser her
wehte ein töstlicher frischer Lufthauch
herüber, die lnorrigen alten Eichen,
unter denen ich wandelte, spendeten
mir ihren Schatten und auf der Bä
chimatt hatte man geheut — wie das
duftetel —
Jch warf mich in das frische Heu,
faltete die Hände unter dem Kopf und
so lag ich lange in süßer Gedanlen
losigteit.
Wie ich Halbfchlaf blinzelte ich über
den See. Dort weiter drüben, hinter
dem ausgedehnten Schadau’fchen
Part, schien man u fischen; schöne
Fische birgt ja der åee im Ueberfluß.
Eine Anzahl kleiner Boote hielt sich
auf einem Fleck zusammen. Sicher war
da ein Reh ausgelegi worden, das nun
eingeholt wurde. Richtig, den Bewe
gungen der Leute nach zu urtheilen,
zog man j t etwas Schweres an
Bord. Scha , daß ich meinen Feld
stecher nicht bei mir hatte, ich beobach
tete die AFibescher so gern bei ihrer hüb
ichenA rbe it·
Dann fuhren die Boote plötzlich
auseinander. Das größte lam, von
zwei kräftigen Männern gerudert,
pfeilichnell auf mich zugeflogen, bog in
die Aare ein und entschwand meinen
Blicken. Mitten im Boot hatte ein
dritter Mann gelniet, der sich mit
merkwürdig regelmäßigen, rudweisen
Bewegungen mit etwas, das auf dem
Boden des Fahrzeuges lag, zu beschäf
tigen schien. Immer. wenn er sich zu
rückbog, hob jede seiner Hände ein
schmales, weißes Etwas empor, das
dann rasch wieder unter dem Boots
rand verschwand. Was es war, tonnte
ich nicht erkennen.
Dann dachte ich nicht mehr an das
Boot, erhob mich, tlopfte das Heu aus
meinen Kleidern und schlenderte in
wohligster Stimmung den Weg zurück,
den ich gekommen war.
Jch lank zur rechten Zeit, das Fähr
boot war gerade aq· diesseitigen Ufer
und wollte eben abftoßern Rasch sprang
ich hinein. Außer mir und den beiden
rudernden Altchen war nur noch eine
fveundliche blonde Frau aus dem Voll
im Boot. Als wir uns vom Ufer ent
fernten, blickte ich zu der gegenüber
liegenden Anlegeftelle hin Und sah zu
meinem Erstaunen, daß sich dort eine
ziemlich große Menschenmenge ver
sammelt hatte, hauptsächlich Kinder.
Eifrig und aufgeregt wurde etedet
und geftikulirt Aber noch ehe ich eine
Frage stellen konnte, gaben mir die
jammernden Reden der beiden Fähr
weibet Ausschluß. f
»Dies Unglück klagte die Eine. ;
»Solch’ schönes, liebes Kindl·
«Ja,« fiel die Andere ein, »den brin- !
Freie-E nimger Mr zånn lLebensittzvie !
an m n ang on
unter Wulst-r Wen nnd den Mzen
Mund voll Schlatt-unt Gott,
wie mich der Bnb rent! Gerad, alt
wär's mein eigenert«
III-Eins Wertrnntentk agie die
bl
tun eng voll « MU«
MWW « sei-sen des-Schm
—
iner an der hauptgassr. Vor einer hal
ben Stunde beim Baden ertrunien.
Wi« gescheth ist, weiß Keiner so
recht; plötzlich ist er verschwunden ge
wesen und ist nicht wieder ausgetaucht.
Und der See ist doch ganz flach dort
am Badeplatz; er muß in eine von
. den tiefen Stellen, die man siir
idie Dampsschisse ausgebaggert hat,
sgerathen sein, trotz der Warnungs
J taseln, die dort stehen. Sie sagen,
l er sei heute gerade so besonders über
jmiithig und lustig gewesen, da hat
» er wohl aus die Warnung nicht gearb
5 m. Die Mai-me- fmv dann gleich mit
kBooten hingesahren, um ihn zu su
»chen. Meiner hat ihn gefunden und
! hierher gebracht. Jetzt liegt et dort in
unserem Boot, und sie machen Wie
derbelebungsvetsuchr. Ader das wird
schon nimmer was nützen. Der ist
todt, der liebe, goldige Buhl«
Die blonde Frau, die mir im Fähr
boot gegenüber saß, hatte diese Worte
wie erstarrt angehört. Jetzt suhr sie
mit einem Schrei so hestig in die
Höhe, daß das slache Boot stark in’s
Schwanken gerieth.
»Dein Jmhoss sein Buhl« sagte sie
wie geistesabwesend vor sich hin.
»Nein, nein, das kann nicht sein, das
wäre zu grausam!'« Unaufhaltsatn
stürzten ihr die Thriinen iiher das
Gesicht, ohne daß sie es merkte.
»Wir sind Nachbarn in der Haupt
gaffe, die Jmhosss und ich,« fuhr fie,
sich zu mir wendend, fort. «Sehen
Sir, der Bub ist sür seine Eltern al
les, was sie auf der Welt haben.
Schier unnatürlich haben sie ihr Herz
an den spätgeborenen Jüngsten ge
hängt, nachdem sie all die anderen
blühenden Söhne auf den Kirchhof
tragen mußten. Er ist ihre hergeno
freude, nur für ihn denken, sorgen
und arbeiten sie. Und er oerdient’2,
der Bub; ist mir selbst fast so lieb
wie mein Seppti. Nein, das lann
Gott nicht wollen!«
Eine dumpfe, unnatürliche Angst
erfüllte mich bei diesen Reden! Aber
nein! Warum sollte denn gerade.
Jch wollte eine Frage thun; aber da
stieß unser Boot schon an s Ufer Das
Aussteigen war schwer, so viel Men
schen standen in dichtern Kreis utn das
andere Boot, das ich nicht erblicken
konnte.
Da entstand plötzlich eine Lücke in
der Menschenmauer, und ich sah ei
nen Augenblick einen schlankem schnee
weißen, regungslosen Kindertörper,
mit einer roth- und weißgestreiften
Badehose bekleidet, aus dem Boden
des Bootes ausgestreckt liegen. Mein
Herz stand still.
»Fritzlt,« schrie ich unwillkürlich
entsetzt auf und drängte mich mit ra
scher Bewegung durch die Menge.
Und dann sah ich in sein schönes-,
frohes Knabengesicht, dem der Tod
nichts von seinem Zauber hatte rau
ben können. Noch waren seine Wan
gen roth, und der Mund schien zu«
lächeln. Kein Zug war verzerrt, nur l
aus den blonden Haaren rann das«
Wasser-. und die blauen Augen. die
mich noch vor einer Stunde so glück
selig angestrahlt hatten, waren ge-.
schlossen. Schlies er? Sein Haupt
war leicht auf die rechte Schulter ge- i
neigt. Ja, er durfte, durfte nur schla
fen, er mußte wieder erwachen, —
dies Entsetzliche tonnte nicht Wahr
heit sein! ’
Jtn Boot. neben dem Kinde, kniete,
tiefen Ernst in den Zügen. ein weiß- ;
haariger Arzt, der unermüdlich mit
dem willenlosen Körper die Bewegun- .
gen der künstlichen Athmungen vor-i
nahm, mit der die tundigen Fischer
schon während der Fahrt begonnen. l
Das war das seltsame Boot gewesen,
das ich gesehen hatte
Jrnmer kummervoller wurde diet
Miene des Doktors, die rauhenFischer s
fuhren sich mit dem Handriicken über z
die sich seuchtenden Augen« die umste- .
henden Kinder, meist Kameraden, die«
mit Fritzli zusammen gebadet hatten,
weinten und schluchzten laut. Sie alle
hatten ihn lieb gehabt. Mein herz
war zum Brechen schwer.
Neben mir stand mit todtenblassem
Gesicht ein Junge, der einen blauen
Matrosenanzug und einen kleinen
Strohhut auf dem Arme trug — ich
tannte sie wohl, es waren die Kleider
meines kleinen todten Freundes, den
ich in einer Stunde gewonnen und
verloren hatte.
»Bist Du Paul Wernerr Iragre
ich den Knaben auf gut Glück.
Er nieste stumm. »Dieses Jahr
wollte ich ihm das Schwimmen bei
bringen,« fagte er dann tonlv«5;
»Bitte ich es doch schon vorigen Som
mer gethan!« Jch ftreichelte leise trö
stelnd feinen kurz gefchorenen Kopf.
Da ftiirmte athemlos ein anderer
Junge von der Richtung nach Thun
herbei. -
»Ich habe ihn gefunden.« berichtete
er nach Athern ringend, »auf der
Straße vor einem Laden habe ich ihn
getroffen. Er tommt.«
Und dann kam es herangeteucht.
Ein großer, starker, faft fchon alter
Mann mit ergrautem Haar und Bart
war es. Der Schweiß floß ihm in
Strömen vom Gesicht, den hat hatte
er beim wahnsinnigen Laufen verlo
ren; aber fest in der band trug er eine
lange, funkelnagelneue Angelruthe.
Der Vater!
Unwilltiirlieh entbkößten alle Män
ner ehrerbietig das Haupt und wichen
uriich Eine freie Gasse öffnete sieh
Ihm zum Boot. »
Er stdlperte hinein wie ein Traute
ner oder Jrrstnniger. Dann stitrzte er
mit einemSchrei, der nichtsMenschens
ähnliches hatte, itber dem starren
Körper seines Kindes zusammen.
Aber er raffte sich wieder auf, er
rieb die weiße Brust seines Jungen,
er riß die gesuntenen Augenlider von
den blauen Augen in die Höhe, er
strich ihm das feucht Haar aus der
Stirn —- wimmernd, wimmerndt
»Fris’li, Jritzli. Du mein lieber
Bub, das thust Du mir doch nicht
an.«
Dann wandte er sich mit slehenden
Augen an den Arzt: »Nicht wahr,
Herr Doktor, er wird eleben, er
wird —?«
Voll unaussprechlichen Erbarmens
und doch mit ernster Energie richtete
der Arzt den Unglücklichen auf und
führte ihn liebevoll und sorgsam, wie
man ein Kind führt, in die nächste
Fischerhiitte.
Er selbst tam mit einem großen
weißen Leintuch zurück. Leise und zart
bedeckte er das todte Kind, und die
Fischer trugen es langsam zu seinem
Vater in die Hütte hinein
Die Menschen begannen sich zu zer
streuen. Jch setzte mich aus einenStein
am Ufer und wartete; ich konnte und
wollte die Hoffnung noch nicht ganz
aufgeben
Da sah ich plötzlich vor mir auf der :
Erde die neue Angelruthe liegen, die !
Frislfö kleines Herz morgen hätte er- i
freuen sollen. Mechanifch hob ich siej
auf und brachte sie in die Iischerhiitte.
Dort setzte noch immer der Arzt
seine fruchtlosen Bemühungen fort,
vom Vater flehentlich dazu angetrie
ben.
Der ging mit großen Schritten in
dem engen Raume aus und ab, un
aufhörlich redend.
»Jeht tann es doch nicht mehr lange
dauern, Herr Doktor? Nun muß er
fdoch bald die Augen wieder aufschla
! gen? Wenn es erst so weit ist —- wie
xwill ich Jhnen dantbar sein! Ach,
JFritzli, Frigli!« Seine Stimme brach
i in Verzweiflung
J »Jmhosf,« sagte der Arzt feierlich
iund legte ihm die Hand auf die
jSchulter. »fügen Sie sich in Gottes
IWillen und tragen Sie Jhr schweres
HGeschick als Mann. Wollen Sie jetzt
Jnicht Jhrer armen Frau selbst mit
-theiten, was dem Fritzli zugestoßen
» ist, und fie hierher bringen? Oder soll
. ich sie holen? Mein Wagen wartet in
»der Nähe. Jch möchte nicht, daß die
unglückliche Mutter es von unt-ause
ner Seite hört.« s
»Die Mutter? Nein! Nein!« wehr
te der verzweifelte Mann aufgeregt
ab. »Wozu sie erst erschrecken und
ängstigen? Sie soll es nicht eher er
fahren, als bis alles wieder gut ist
und der Fritzli wieder zu sich gekom
men ist. Denn das wird er doch, das
muß er doch!«
Traurig wandte sich der Doktor ab
und trat zu mir.
»Es ist alles längst vorüber,« sagte
«er leise, »aber der arme Vater will
es nicht sassen.«
Da fiel auch Jmhoffs Blick auf
mich: bis jetzt schien er mich nicht be
mertt zu haben. Nun sah er die An
gelruthe, die ich noch immer in der
Hand hielt
«Tragen Sie sie hinaus,« sagte er
hastig mit einem abwesendenAusdruck
in den Augen, »ionft sieht sie Fritzi
ja sofort, wenn er wieder aufwacht.
»Und es soll doch eine Ueberraschung
siir ihn sein —- denn morgen ist ja
sein Geburtstag!« -
Vorfintrigue.
Von Emma stinle
Die Dorsgafse herauf kam ei mit
Kling und Klang und hellem Juhge
schrei. Ein Zug von Burschen und
Mädchen. Am Morgen hatten sie in
der Frohnleichnarni - Prozession die
Statuen der heiligen getragen und
jetzt, am frühen Nachmittage, ging es
shinaus oor’s Dorf, um dem Wasser
Jund Eierlousen obzuliegen.
? Die Mädchen hielten sich tichernd
; und schiiternd on den Händen und bil
l deten eine Kette iiber die ganze Breite
der Straße, und die Burschen mar
schirten nach dem Takte dei grellen
Troenpetengefchmetteri, sangen ein
paar Notenfiihe mit, einzelne beglei
etten mit Eifer und Geschick die diirf
liche Feuerwehrtapelle aus der Mund
l
harmonisc.
Auf dein freien Anger machte die
lustige Schaar Halt Hier waren
rohgezimmerte Bänte aufgestellt und
auf einer mit Tannenreis hetränzten
Tribiine thronten die Honoratioren
des Dorfes, welche mit wichtigen Mie
nen das Amt von Preisrtchtern über
nommen hatten· Die mächtigen Ka
ftanien verbreiteten ausgiebigenSchats
ten und vom nahen Tannenrvöldchen
herüber kamen würzige Duftwogen
kräftigen darz- und Nadeiholzgerui
thes. —- Mit Hallo wurde der Zug
von der zufammengeftröinten Dorf
juaend empfangen. Die Musik spielte
vor der Tribiine einen fchmetternden
Tufch und der Bürgermeister hielt
eine Ansprache:
«Thut einen frischen Trunk, Jhr
Miit-le und Buben, nnd haltet Euch
parat, in fünf Minuten geht es los,
das Eier- und Wasserlaufen!« —- —
»Trint, Cretzens. wohl betonnn’3,
nnd auf gutes Gelingen!« sagte der
MW
freiche junge Sonnenwirthssohn und
reichte mit steifer Verbeugung der ne
ben ihm stehenden Zenz ein gestilltes
Bierglas· Die Zenz erröthete bis
unter das rothbbonde Kraushaar,
that aber einen kräftigen Schluck und
gab das Glas dann dantend zurück.
»hm, da tann man jetzt sehen, wer
was gilt!« meinte die Oberhaus
bauerntochter schnippisch und warf
der Zenz einen funkelnden Zornblick
zu. »Ich verschmacht sast vor Durst
und aus mich vergißt der Sonnen
wirthfranz ganz und läßt mich stehen
vor lauter Gatsbauernmädel."
»Bitt’ um Verzeihung, wegen der
Majestätsbeleidigung!« meinte spöt
tisch der Franz und bot nun der ei
sersiichtigen Marianne das halbvolle
Glas.
»Dant’ schön!« sagte diese und
wars den Kon in den Nacken. »Bist
nit gewohnt zu nehmtn, was Andere
übrig lassen!"
« »Hm nun, dann laßt’s halt blei
s ben!« entgegnete gleichmiithig der
Franz und trant gelassen das Glas
leer. »Ist nur für Die, die wollen,
und die kriegen nicht mal Alle!«
Die Zenz stand schüchtern bei Seite
»und flüsterte halblaut: »Ich hätt'
schon warten können, mein Durst ist
nicht groß gewesen«
»Ja freilich, Du gutmüthiges
Schäfl Du! Warten und immer war
ten,.bis D’ überall zu spät kommst,
gelt.«
Aus den Worten des Burschen
klang eine beschützende halbversteckte
Zärtlichkeit und sein Auge glitt voll
unverhehlter Bewunderung über vie
schlanke tnospende Gestalt und das
zarte Noth des scheu gesenkten Ge
sichtT
Ein schmetternderTusch schreckte den
Burschen aus seinen Betrachtungen.
»Juhu, es geht los!« schrie er voll
Begeisterung . »Mach’ Dein’ Sach’
gut, Zenz, im Bärenwirthssanl den
ersten Walzer tanzen wir zusammen.'«
Der Bursche stürmte davon. Lang
samen Schrittes folgte ihm das Mäo
chen, ein serträumtes Lächeln aus dem
frischen Gesichte.
I f
Aus dem weiten Wiesenvlan lagen
in gleich weiten Abständen lange Rei
hen von rohen Eiern. Die Burschen,
Leinenbeutel um die Lenden, hatten
die Aufgabe, im schnellen Laufe in
nerhalb gestedter Grenzen die Eier
auszuheben. Wer zuerst am Ziele an
lam, ohne die aufgeleienen Eier zu
zerbrechen, was sehr schwierig warj
oder ohne die Eier zu zertreten, wur
de als Sieger ausgerusen Die Mei
sten tamen erhitzt mit zerhrksipenen
Eiern an der Tribiine an. wo die Ho
noratioren der Eierläuier harrten,
um den Sieger festzustellen. Heute
war wieder, wie fast jedes Jahr, der
Sonnenwirthsfranz Sieger. Itaum
schneller athmend, den Beutel voll nn
verfehrter Eier, tam er an’s Zicl und
wurde im Triumph empfangen. Nach
dem Ausruf als Sieger begrüßte ihn
ein Tusch und ein Hoch und der Bür
germeister überreichte ihm mit wohl
gefetzten Worten den Preis — eine
silberbeschlaaene Tabatspseise, deren
er nun wohl bald ein halbes Dutzend
zu Hause hatte.
»Ist eine samose Gaudi gewesen,
Herr Bürgermeister«, sagte er lachend.
»Nun will ich nur sehen, wer bei den
Mädeln Siegerin wird! Holla, da ist
schon das Signal, die haben’s eilig!«
Am Rathhausbrunnen standen eine
Reihe blank gescheuerte Kupfergelten
(Wassereimer),bis an den Rand mit
Wasser gestillt. Von den Henkeln hin
gen farbige Bänder herab, in demsel
ben Farbenton, wie sie die Mädchen
am Mieder trugen. Der Wasserträs
gerinnen waren ihrer zwöls, lauter
dralle, blühende Mädel, mit runden
gebräunten Wangen und über den
Mücken herabhängenden, mit Bänd
chen durchslochtenen Zöpsen. Zenz
war die schlantste von ihnen. Jhrer
zarten Gesichtssarbe hatte die Sonne,
mochte sie noch so unbarmherzig bren
nen, nichts anhaben tönnen.
Die Zenz und die Mariaiine stan
den neben einander. Die reicheGroß
bauerntochter und die arme Guis
bauerntochter.
Marianne zog unter ihrer Schürze
zwei Bäusche (Kopspolster) hervor.
»Da hast Du einen davont« sagte
mit Gönnermiene die Maria-um und
bot einen Bausch der Zenzi dar. »Ich
tann’5 nicht sehen, daß Du sollst mit
Deinem altem schädigen Bausch Was
ser tragen, wo Alles so drauf schaut.
—- Es braucht’s ja Niemand zu wis
sen! Jch geb' ihn Dir gern. Sagt
den Andern nicht, ich bin auch still
dazu und sie neiden Dir dann den
schönen Bausch nicht!"
Zenz bedankte sich vielmals. Nun
brauchte sie sich doch vor dem Franz
nicht zu schämen und hatte auch einen
silbergeftietten Bausch, wie die Groß
bauerntochter. Laufen, das konnte sie
ut. Der Franz wußte es auch. Er
tte tttrzlich durch den Zaun geguckt,
wie sie im Hof probirt hatte und die
schwere Gelte spielend aus dem Kopfe
etrageen —- Das dritte Signal; jeht
geißt es jagen, was man kann.
i i s
Sechs Paare liefen, die schweren
äapsergeltän Murga dedrtr issgchbäutgm
en , e n n e en
umDeut, na dem Taste der Nasid
sp sen man z. gleich nach the pu
N
siend und schnaufend die schwerstillige
Marianne. Das zierliche Köpfchen -
der Zenz bog sich kaum unter der
schweren Last nnd Siegesfreude
strahlte aus ihrem hübschen Gesicht.
»Du Schöf’l, Du goldig’s««, fliii
sterte der Franz verliebt nnd zerbiß
seine Pfeife vor Erregung.
»Die Zenz wird die Erste, die Zenz
wird die Erste!« schrie und jolte es in
der Menge. Marianne aber lies und
lies und über ihr hochrothes Gesicht«s
zog ein boshaftes Lächeln.
Da verfärbte sich mit einem Male
das Antlitz der Zenz, sie biß dieZähne
»in die Unterlippe, sie.wanlte -—— und
ldie schwere Gelte stürzte, im Fallen
einen breiten Wasserbach aus den Bo
den gießend. Ein Spottgeliichter er
scholl ringsum.
»Ja, wie schwach, ja. wie elend.
Kann die Gelte nimmer halten! Ei
ja, bei den Armen! Hoch, hoch, hoch,
die Marianne ist am Ziel. Eben am
Ziel. Hurrah die Oberhausbauernss
tochter soll leben!«'
Auf dem Tanzboden war Franz
der Lustigste. Und die Oberhaus
bauerntochter wich ihm nicht von der
Seite. Je derber seine Scherze, je
derber ihre Antworten. Und wenn
sie ihren ätzenden Spott über die nicht
anwesende Zenz ausgoß, lachte der
Franz am lautesten, überlaut. Aber
inwendig lachte er nicht. Er war
wüthend. Ueber sich, über die Zenz,
über die ganze Welt. Eine, die heut
zum Dorfgespött geworden, tonnte er,
der reiche stolze Sonnenwirehösohn,
nicht zur Sonnenwirthin machen. —
Die Zenz war weinend heimgezogen.
Hatte immer und immer versichert, der
Bausch sei schuld gewesen; einige gut
müihige Kameradinnen hatten ihr
suchen helfen, der Bausch aber war
nicht zu finden gewesen. NitgendU
Der Franz lachte. Ja, ja, eine bil
lige Aus-rede. Die Zenz, die schein
heilige. Er hatte sie kürzlich im Hofe
gesehen aus der Ferne mit der Gelie
Tadellos gelaufen, ja, wird leer ge
wesen sein, die Gelte. —- Der Franz
wehrte kaum noch den Zärtlichkeiten
der Matianne und ging hinaus, um
ihr aus der Bude unter den Kastanien
ein Lebtuchenherz zu kaufen.
Nach geraumer Weile aber kam er
aufgeregt wieder, warf den Musikan
ten ein Goldstück zu und schrie:
»Spieli·s einen Tusch, es gibt ein
Mords gaudi!«
Alles redte die Köpfe. Mariantte
aber ward leichensahl.
»Da hast ihn, deinen Bausch, du
elendigs Weibsbild. du miserabligs!«
Mitten in die Weingläser hinein
slog der silbergestickte Bausch, daß sie
zerschellten und die Mädchen laut aus
lreischten.
»Da seht her ihr Leut’, was die dort
gemacht! Jn die Zweige des Rasta
nienbaumes hat sie den Bausch gewor
fen, ich sand ihn eben. Rings am
Rand sind Glufen iStectnadeln) ein
gesteckt und Erbsen eingenäht, das
muß nicht schlecht gestochen und ge
drückt haben, Herrgott, das arm’
Schiis’l und hat zu den Schmerzen
noch die Schand gehabt! Satirament
geh naus, du dort, oder ich zeig dir,
wo vder Zimmermann ’s Loch gemacht
hat.'«
Die Marianne aber war schon fort.
scheu davongehuscht — ihr Spiel war
verspielt
Am Sonntage nach Fronleichnarn
aber wurde ein nochmaliges Wasser
lausen abgehalten und die Zenz war
leicht Siegerin. Der Franz aber be
stellte bald daraus das Ausgebot, daß
er seine Sonnenwirihin bekomme,
seine schüchterne, stillselige Zrnz, sein
goldiges Schäfl, das immer warten
hatte müssen aufs Glück, das ihm
nun durch die Missethat der anderen
so schnell in den Schoß gefallen.
Eier historischeo Oel-its.
Ein eigenartiges Schicksal ist einem
alten Kriegsschisse der enalischen Ma
rine, der Monat Adelaid", beschieden.
Vor 102 Jahren wurde das Schiss in
Plhmouth erbaut und vom Stapel ge
lassen. Es hat ein Deplacemeni von
4200 Tonnen, ist 85 Meter lang und
14 Meter über der Wasserlinie hoch.
Jn die englische Marine eingestellt,
hatte es bald Geleaenheit, sich auszu
zeichnen. Jn der Schlacht bei Trasals
gar am 21. Oktober 1805, errang es
ersten Lorboeren. Jn späteren
Jahren wurde es ausrangirt und
diente als Ponton Dann wurde es
als Kaserne eingerichtet, erhielt 500
Stuben und war aus der Themse sta
tionirt. Trotzdem die Ausstattung
und die Austalelun sich noch in gutem
und brauchbarem usiande besindet,
ist »Rohal Adelaid« von der engli
schen Admiralität an ein sran ösischez
Haus in Düntirchen »aus bbruch«
vertaust worden. Jst nun schon an
und siir sich dieses Vorgehen der eng
lischen Marinebehorde merkwürdig
genug, daß sie ein einst stolzes Kriegs
schiss, nur um einen gerin en Verdienst
herauszuschlagew aus die e Weise dein
Untergang geweiht, so muß die Hand
lungjweise der Englander gerade ießt
aanz bseonders bestemden Jn diesem
Jahre tiistei man sich in England be
kanntlich zu einer großen Nelsons
Feier. Da hätte rnan doch wahrlich
annehmen sollen, daß man einen ol
chen ehrwürdigen Zeugen aus der it
des beriihmten Seehelden schonen und
erhalten würde.
Fortschritt
NRun wie weit ist Papa mit seinen
stetigundem Moriß i«
seßt dürsentz wir schon zusehentu