Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, August 04, 1905, Sweiter Theil., Image 12

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    Tibseitqzder BeerfiraFIr.
Eine tragiiornische Sommer-Sonn
tags-Geschichte vcn Reinhold Ortmcnn
Seit vierzehn Tagen schon hatte
du Rentier August Kieinniichel stun
denlang iiber der Generalstabskarte
fessen, bei der er sich für seine Aus
üge Raths zu holen Pflegte, saber
erst am Tage vor Beginn der Som
merferien ließ er sich herbei, seinen
Angehörigen das Ergebniß seiner an
gestrengien Studien mitzutheilen
»Wir werden diesmal nicht aus der
großen Heerstraße einhertrotien«, er
klärte er mit Cntschiedenheit. »Es
fällt mir nicht ein, mir meine Freude
an der Natur durch randalirende
Tourifien verderben zu lassen. Bis
Reuhof sabren wir mit der Eisenbahn
nnd von da wandern wir zu Fuß
nach dem idyllisch gelegenen Dörfchen
grendm Es sind höchstens drei
tunden. Um acht Ubr geht der Zug.
Sorgi also dafür, daß Jbr rechtzei
iig fertig seid. Und ich bitte mir aus,
liebe Amalie, keinen Toilettenlurus,
weder bei Dir und Eise, noch bei den
Kindern. Die Kinder sollen sich or
dentlich austoben.«
Gegen derartige Machtgebote gab
es in der Familie Kleinmichel nie
einen Widerspruch. Frau Amalie, de
ren Körpergewicht sich im Laufe des
lesten Wintcrs glücklich auf 200
Pfund abgerundet hatte, seufzte nur
ganz verstohlen bei dem Gedanken an
die dreistiindige Fußwanderung Der
wölfjährige Paul und fein um zwei
Fahre jüngeres Schwesterchen hüpften
vor Freude, namentlich in der Vor
aussicht des verheißenen Austoben
dürfen-T und die achtzehnjährige
Else fügte sich allem mit jener schwer
miithigen Crgebung, die seit einigen
Wochen den Grundton ihres Wesens
bildete
Auch die Toilettenfrage wurde
durchaus im Sinne des Herrn August
Kleinmichel erledigt.
Ihn selbst aber hätte sicherlich Nie
mand fiir einen behaglich von seinen
Zinsen lebenden Rentier gehalten.
Sogar auf den weißen Halstragen
hatte er als auf einen überflüssigen
Luxus verzichtet, und es verdarb ihm
beinahe die Laune, daß er genöthigt
war, ein Paar funkelnagelneue Stie
fel anzuzieben
Um sieben Uhr moraens schon war
alles bereit. Der Rucksack war ftrotiend
füllt mit allerlei guten Dingen. Der
ug wurde glücklich erreicht und nach
einstiindiger Fahrt entstieg die Fa
milie Kleinmichel in Neubof zur Ver
minderung der Mitreisenden dem
Wagen.
So berlodend wie der Rentier es
den Seinigen geschildert hatte, sah es
hier nun nicht gerade aus. Die Ge
gend war flach wie ein Teller und
ganz fern nur, am äußersten Hori
zont, ließ ein dunkler Streifen den
von August Kleinmichel verheißenden
herrlichen Wald ahnen.
Das Tagesgestirn sandte seine
Strahlen freigebig hernieder, und es
währte nicht lange, bis man den
Mangel an Schatten ziemlich unan
ehrn empfand. Der Sand war
llenweise inöcheltief, und Paul und
Grete waren bereits mit den fürchter
lichsten Strafen bedroht worden, weil
ihre ersten schüchternen Versuche, sich
auszutoben, sie selbst und die Ihrigen
in undurchdringliche Staubwolten
eingehiillt hatten. Die »kleine Strecke«
bis zum Saume des Waldes aber zog
sich recht bedenklich in die Länge.
»Die Generalstabstarte muß un
genau fein,« hatte Herr Kleinmichel
wiederholt erklärt, wenn er teuchend
fiir eine Minute rastete. »Man kann
sich doch auf nichts in der Welt mehr l
Mlassem außer auf sich selbst.«
»Ach!' seufzte dann statt aller an
deren Antwort Frau Amalie, deren
rundes Antlih die Farbe eines getoch- s
ten Hammers angenommen hatte. !
Nur Fräulein Elfe wandelte still?
" dnrch Sand und Sonnenbrand. I
Endlich aber hatte man den Rand !
des Waldes doch erreicht, und Herrs
U ufi Kleinmichel hatte mit einemi
lage alle ausgestandenen Müh-s
seligteiten vergessen. i
»Das-i mik, Kind-k, wie neuich die 1
Zögel fingen. Das ilinat anders als ’
das Gegriihle halb bezechter Ausfliig
ler, nicht wahrs«
»Recht« seufzte Frau Amalie. Und
Baut, der den Rucksack keinen Mo
ment aus den Augen ließ, fragte mit ?
erbenehelter Unbefangenheit: !
Wollen wir denn hier frühstiicten.
Laut«
August Kleinmichel fah auf die Uhr. ;
Dazu ist es noch zu früh. Eine »
strenge Zunebaltung der für die ein
einen ahlzeiten einmal festgesetzten
agesfmnden ist das erste Erforder
nih einer naturgemäßen Lebensweise
Wir werden also ersi ein wenig
ruhen«
»Aber wir sind gar nicht müde,
Papa- wandte Grete weinerlich ein,
»sich fur ibar hungrig.«
hr nicht müde seid, könnt
, he ja inzwischen noch ein bischen
maner Dann schmeckt’s nach
her desto besserf
user-P fdabei gilebt ei. Der Nucksåck
einen a an einer vor r
Mistiig auf das Vorhandensein von
« - sen nnd anderem ier unter
Sielle.Rocku1-cd ui wurden
v seiest und ihnen gefellien sich
vie-even Stiefel zu, die
Arn Qleinmichel unbeanern gewor
zvnrern So bis auf das unum
- Rothwendige erleichtert,
z sich das Mirdige Haupt der
« ilie auf die dnftige Lagerstätte
—««- - Dann schlossen sich seine An
Hese wohlverdienten Schlamme-n
Die treue Gefährtin seines Leben-T
aber war ihm bereits vorangegangens
in das Reich der Träume. Paul und ’
Gerte begaben sich aus nautische Ent- l
deckungsreisen zu einem kleinen Tüm- »
pel, und Fräulein Eise, der das ver- s
einte Schnarchen ihrer schlummern- I
den Eltern die beruhigende Gewißheit
gab, daß man ihrer Gesellschaft nicht l
bedürfe, wandelte mit gesenktem-köpf
chen nach der entgegengesetzten Rich
tun hin in den stillen Wald hinein.
Zlötzlich aber blieb- sie erschrocken
lauschend stehen. Ein leise zischender
Ton war an ihr Ohr geschlagen, ein
Laut. der schwerlich oon einem Thier
des Waldes herrühren konnte Und der !
ihr überdies nicht ganz unbekannt zu !
sein schien. Zwischen dem Gezweigs
des Unterholzes schimmerte es auf wie
von einem hellen Sttotht u. gleich
daraus wurde auch das dazu gehörige
Antlis sichtbar, ein hübsches frisches
Männergesicht mit einem stattlichen
blonden Schnurrbartsp «
»vcuooq — perr Doktor — nno
Sie es wirtlichi Um Gotteswillen,
seien Sie vorsichti ! Es wäre schreck
lich, wenn mein Japa Sie bei mir
sände.«
»O, er wird mich nicht finden. Und
wir sind weit genug von ihm entfernt,
daß Du mich nicht zu siezen brauchst.
Oder ist etwa seine Abneigung gegen
den Stand der Aerzte inzwischen auch
auf Dich übergegangen?«
»Ach nein!« seufze räulein Else
so recht schwer aus erzensgrund.
»Aber, warum mußtest Du meinen
Vater auch so schwer beleidigenl Er
wird Dir das nie, nie vergeben.«
»Aber mein Gott, was habe ich
denn gethan? Daß ich ihm am Abend
lichen Stammtisch einmal griindlich
meine Meinung sagte über seine Kur
pfuscherei. war doch einfach meine
ärztliche Pflicht. An sich selber mag
er ja mit seinen Luftbädern und Ue
bergießungen und Einpactungen so
viel sündigen als er will. Aber der
Gedanke, daß er es möglicherweise
auch einmal bei Dir und Deinen
wehrlosen Geschwistern versuchen
könnte, zwang mich, ihm dasGesähr
liche seiner Marotte ilar zu machen.
Daß ich mich durch den überlegenen
Ton seines Widerspruches vielleicht
etwas weiter hinreißen ließ, als ilug
war, will ich gern ugeben. Jedenfalls
ist er immer noch fehr ergrimmt, das
beweist mir dieBeharrlichteit, mit der
er bei zufälligen Begegnungen auf der
Straße meinen Gruß ignorirt. Aber
es wird schon eine Gelegenheit kom
men, das zerrsissene Band wieder an
utniipfen.«
Lrgendwo im Walde regte sich et
was und Fräulein Eise fuhr erschro
cken zusammen.
»Himmel, wenn man uns entdeckte!
Der Papa würde natürlich nicht an
einen bloßen Zufall glauben.«
«Es ist selbstverständlich auch tei
ner, mein Lieb! Deine Schwester
Grete hat mir gestern Abend das
Ziel Eures Sonntagsausfluges mit
getheilt und in der Zuversicht, daß
uns Gott Amor zu einem tleinen
Zwiegespräch verhelfen würde, habe
ich mich schon mit dem ersten Früh
uge ausgemacht. Ich wußte, daß
hr auf dem Wege nach Prenden hier
vorbeitommen müßtet, denn ich habe
bis vor einem Jahr in dieser Gegend
Praktizirt und tenne sie ganz genau."
Der größeren Sicherheit halber
zogen sie ein wenig weiter von dem
Schlummerplätzten ihrer Eltern hin
weg in den Wald hinein und eng
umschlungen wandelten sie zwischen
den Stämmen dahin, um in der
Glückseligkeit ihrer jungen Liebe für
eine ileine Spanne Zeit alles Unge
mach u vergessen, mit dem Herrn
Augu Kleinmichels unversöhnlicher
Groll sie bedrohte.
Genau um die nämliche Zeit näherte
sich aus der entgegengesetzten Richtung
her ein einsamer Wanderer dem ilei
nen Hügel. Aus den zahlreichen Lä
chern seines dünnen Röckchens schim
merte ein Hemd von mehr als zweifel
hafter Reinheit; seine Stiefeletten be
wahrten nur nach wie durch ein Wun
der ihren äußerst losen Zusammen
hang mit dem Oberleder, und der
Knotenstock in seiner Rechten sah eben
sowenig vertrauenerweckend aus wie
sein verwittertes Gesicht mit der blau
rothen Nase und dem borstigen
Schziurrbarn »
-·-·- - s- s
IIUI clllclll Dllll ylcll kl iuUIUskllU
aus seinem Wege inne.
»Donnerwetier,« knurrte er. »Ich
will aus der Stelle gehängt sein, wenn
da nicht einer schnarcht. Den wollen l
wir doch mal ansehen«
Mit dem Spiirsinn eines India
ners und der Vorsicht eines weidge
rechten Jägers piirlchie er sich an den
Hügel heran, und seine-vorquellenden
Augen stierten aus das anmuthige
Bild friedlichen Familiengliicks, das
das schlummernde Ehepaar darbot.
Herr August Kleinrnichel hatte sich
im Schlafe ein wenig aus die Seite
edreht; die Sonnenstrahlen ließen
Feine dicke goldene Uhrlette verführe
risch funkeln, und die Tasche seines
Beinkleides stand einladend offen. Der
einsame Wanderer aber schien plii lich
von einer höch merkwürdigen ish
degierde ergris en, den nhali die er
Tasche zu ergründen. nn er der
senkte seine nnsaubere Rechte so ge
schickt in ihre Tiefe, daß keine verra
therische Berührung den Schlasrnden
seiner Traunrwelt entriß. Blihschnell
ließ der Unbekannte den länglich vier
eckigen Gegen and, den sein kühner
Forschung-san zu Ta e gefördert, in
einer eigenen Hosenia che verschwin
den, und dann machte er sich daran,
zacht die ldene Uhrlelte von der
» dei» - n Meile zu lösen.
Reue hatte die Wißbegierde des Un
betannten eigentlich befriedigt sein
Weinen. Aber ein siir die Familie
Kleinmichel höchst unglücklicher Zufall
lenkte seinen Blick auf jene Stelle, wo
der Rucksack mit dem abgelegten Rock
und den neuen Stiefeln des Rentiers
ein verlockendes Stillleben bildete. Mit
drei Schritten hatte er sie erreicht, nnd
dann —- ein berufe-mäßiger Verwand
lungstünstler hätte nicht schneller zu
Werte gehen tönnen —- bewirkte er
mit Hilfe der abgeleaten Kleidungs
stücke des Herrn Kleinmichel eine
ebenso unrechtmäßiae als vortheilhafte
Metamorphose seines in der That
sehr aufbesserungsbediirftigen äußeren
Menschen. Dann schwang er den
schweren Rucksack frohgemuth auf den
Rücken, und in einer Anwandlung
großmüthiger Freigebigkeit ließ er so
wohl seinen Roci und seine Faßt-eini
dungen auf dem Schauplay der Er
eignisse zurück«
»Papa —- Mama — wo ist denn
der Rucksack?«
«Mama —- Papa — seht doch,
was für iomische Stiefel!«
Die hellen Stimmen ihrer säugten
Strößlinge waren es, die das he
paar mit diesen Zurufen aus seinem
Schlummer weckten.
Schlaftrunten öffnete Augustpleiw
michel die Augen und das erste, was
sie erblickten, war die Gestalt seines
von oben bis unten mit Schlamm be
sprißten Töchterchens, das gleich Sie
getrophiien in der rechten Hand den
klä lichen Ueberrest einer vor Jahren
vie eicht sehr eleganten Gummizug
Stiefelette und in der linlen das
Wrack eines schiesgetretenen Schust
stiefels hielt. «
Frau Kleinmichel stieß einen Schrei
des Entsetzen-? aus; ihr Gatte aber
ließ sich in seinem ersten Unwillen da
zu hinreißen, Gretchens Sonntags
laune durch eine nachdriickliche Ohr
feige zu entweihen.
»Wir haben blos Salamander ge
sucht,« heulte die in ihren zartesten
Empfindungen geltiintte junge
Dame. »Du hast doch gesagt, daß
wir uns austoben dürften.«
,,Papa — Mama —— der Rucksack
ist weg,« erklang aus dern Gebüsch
eine zweite heulende Stimme. »Was
sollen wir jetzt sriihstiickeni Jch kann
es nicht mehr aushalten vor Hunger.«
Und nun folgte die grausame Ent
deckung dessen, was sich hier zugrun
gen hatte.
Und mitten in dem allgemeinen
Jammer schrie die würdige Muiter
der Familie in neuem Schrecken auf.
»Else! Wo ist Eise? Die Räuber
haben uns auch unser unglückliches
Kind entsiihrt.«
"".,Rede doch leinen Unsinn!« fuhr
Herr August Kleinmichel die treue
Gefährtin seines Lebens an. »Ein
achtzehnjiihriges Mädchen läßt sich
nicht stehlen, ohne auch nur Piep zu
sagen. Und da lommt sie ja auch
schon. Wo in aller Welt hast Du
denn gesteckt, Mädel?«
Fräulein Eise war ersichtlich aufs
äußerste bestürzt über die seltsame
Aufregung, in der sie ihre Angehöri
gen vorfand.
»Weil Jhr so schön schlieft, war
ich ein Stück in den Wald hineinge
aangen, um Blumen zu pflücken,«
ammelte sie.
»So. also Blumen hast Du ge:
pflückt, während man uns hier
schamlos auspliinderte! Man pflückt
nicht eine Stunde lang Blumen, und
so lange muß es wenigstens her sein,
daß wir uns hier gelagert haben. Es
ist — aber um Himmelswillen, wo
ist denn meine Uhr?« —- —— -——
»Fort —- sort meine Uhr und mein
Portemonnaie: Dieser Raubmörder.
dieser Schinderhannes hat mir alles
gestohlen!«'
Namenlos traurige Minuten waren
es, die der neuen niederschmetternden
Entdeckung folgten. Herr Kleinmichel
wetterte und fluchte, seine Gattin saß
wie ein Bild der Verzweiflung da,
die Kinder heulten und Fräulein Else
hatte ebenfalls das Taschentuch vor
dem Gesicht. Da man doch aber
schließlich nicht mitten im Walde den
aualvollen hungertod sterben konnte,
faßte der Rentier endlich einen mann
haften Entschluß.
»Nun hort endlich eint mit Jam
mern und Flennen, damit wird nichts
gebessert. Wir müssen zusehen, daß
wir sobald als möglich zu Menschen
gelangen.
»Aber Du kannst doch nicht aus
den Strümpfen geben« August,«
wandte Frau Kleinmichel ein. »So
schlecht sie auch sind, möchtest Du
nicht die Stiefel da anziehen Z«
»Was? Diese Fetzen? Wie kannst
Du mir das zumuthen?«
Herr Kleinmichel sah schließlich
doch ein« daß er sich entschließen
müsse, in die zutückgelassenen Fu be
tleidungen des Räubers zu schlüp en.
Und so setzte man sich endlich in
Bewegung.
Eine halbe Stunde etwa mochte
man gewandert sein, da ertönte plök
lich ein auietender Aufschrei und
Frau Amalie klammerte sich wantend
an ihren Gatten.
Ach Du mein Gott, seht habe ich
mir den Fuß vertreten. O, wie das
schmerzt -- wie das schmerth
«Ra, das hat uns ja gerade noch
gesehltl' knurrt-e here Klemmichel in
anmmig »Komm bee. Else, wir wol
n versuchen, die Mutter zu stüten.«
Fräulein Else gehorchte willig.
Aber was bedeuteten ihren schwachen
Qiiiste dieser Zentner-last argenkiber.
Ein paar hundert Schritte hielt sie es
wohl us, dann aber mußt-e sie ek
kzlnetcheäd gestehen, daß sie nicht mehr
.ne·
here Kleimnichel entschied nach
kurzem Ueberlegen, daf- alle drei
Kinder hier bei der Mutter zurückblei
ben sollten, während er ganz allein
von Prenden Hülfe herbeiholen wollte.
Jn trostloler Stimmung llieben
die anderen zurück. Zu den Hirt-ser
lichen Leiden, die Hunger, Durst und
Schmerz ihnen bereiteten, gesellte lich
die Furcht vor einer abermaligen
Ueberrumpelnng durch die Räuber,
die den abgelegenen Wald unsicher zu
machen schienen. tlnd als Paul plötz
lich schrextensbleich atsrieft »Da
kommt einerl« ftikfs Grete ein fürch
terliches Geheul aus. Fräulein Elle
aber, deren Gesicht sich wieder mit
einem verrätherilchen Noth überzogen
hatte, rief ihr vorwurfsvoll zu:
»Sei doch still, Kind, siehst Du
denn nicht, daß es der Herr Doktor
Leuenberg ist?"
Und er war es wirklich. Mit der
unbefangensten Miene von der Welt
schlenderte er gemiichlich daher.
Natürlich kliirte man ihn mit ra
schen Worten über das Vorgesallene
auf und Doktor Leuenber schätzte
sich glücklich, den Herrscha ten seine
Dienste anbietenzu können. Zunächst
machte er sich an eine Untersuchung
des verletzten Fußes und brachte die
Sache wenigstens so weit wieder in
Ordnung, daß Frau Kleinmichel im
Stande war, ein paar Schritte zu
machen. Die hülssbereitschast des
Doktors aber war damit noch nicht
erschöpft.
»Natürlich können Sie nicht hier
mitten im Walde aus die Rückkehr
des Herrn Kleinmichel warten," er
ktarte er. »Und es ist ja auch glück
licherweise kaum zehn Minuten bis
zur Försterei. wo man Ihnen mit
Vergnügen gastliche Ausnahme ge
währen wird.«
Frau Amalie war entzückt von der
Liebenswiirdigteit und Artigkeit die
ses jungen Mannes, den sie geradezu
als ihren Lebensretter betrachtete·
Die Ausnahme, die man den be
dauernswerthen Aussliigliern in der
Fürsterei zu Theil werden ließ, war
ganz so freundlich und gastlich, wie
der Dottor es vorausgesagt hatte·
Während die Dinge für seine Hm
gehörigen so eine günstige Wendu::«z
genommen hatten, wanderte Herr Au
aust Kleinmichel mutterseelenallein aus
dem Wege nach Prenden dahin. Die
Stiefel des gewissenlosen Räubers be
reiteten seinen empfindlichen Füßen
bald eine unerträgliche Pein. Im
mer mühseliger schleppte er sich vor
wärts, under war froh, als er am
Wege einen Knüttel sand, dessen er
sich als Stütze bedienen konnte,
und er bemertte es nicht, als aus
einem Seitenpsade ein Mann daher
kam, den sein grüner Waffenrork und
seine blinlende Pickelhaube als einen
bitter des Gesetzes kennzeichnen-L Der
Gendarm aber hatte ihn gesehen.
Daß ihm die Erscheinung dieses
Wanderers einigermaßen verdächtig
vorkam, würde herr August Klein
michel selbst ihm wahrscheinlich kaum
verübelt haben, wenn er sein Ebenbild
hätte im Spiegel blicken können. Jn
Ermangelung eines solchen aber sehlte
es ihm an der nöthigen Unbefangen
heit in der Verurtheilung der Situa
tion, und er fuhr wiithend aus, als er
plötzlich eine rauhe, gebieterische
Stimme sagen hörte:
»Wer sind Sirt —- Zeigen Sie mir
Jhre Papiere!«
»Wer ich bin? Das geht Sie gar
nichts an. Thun Sie lieber ordentlich
Jhre Pflicht und sorgen Sie dasiir,
daß in Jhrem Revier ehrliche Leute
nicht von herumstrolchendem Gesindel
ausgeplündert werden.«
Herr August Kleinmichel kam da
mit sehr übel an.
»Noch einmal srage ich Sie, wer Sie
sind!« herrschte ihn der Vertreter der
Staatsgewalt an. »Und ich verlange
Jhre Ausweisuapierr. Wenn Sie sich
nicht legitimiren können, erkläre ich
Sie sür verhaftet. Jch frage Sie jetzt
zum letzten Mal: »Haben Sie Legiti
mationsvaviere oder habenSie teine"?"
»Den Teufel habe ich! Sehen Sie
denn nicht, daß ich schändlich bestob
len worden bin, —- ausgevlündert bis
aus’s Hemd?«
Und in hastiaen Weiten berichtete
er fein Mißgeschick Der Gendcrm
schüttelte itirnrunzelnd den Kopi.
«Hören Sie mal, mein Lieber, mit
solchen Näuberaeichichten haben Sie
bei mir tein Glück. Erzählen Sie das
meinetwegen dem Herrn Odrisl-erste
hen der Sie sich morgen oder über
moraen aus dem Polizeigeiiingniß
vorführen lassen wird. Vielleicht —«
Jetzt packte herrn August Klein
michel doch mit einem Mal das Ent
setzen.
»Aus dem Polizeigefiingnißi herr,
Sie wollen mich doch nicht im Ernst
arretiren? Wenn Sie mir nicht glau
ben, so geben Sie mit mir zurück bis
zu dem Wenn-seien Da werden Sie
meine Frau und meine Kinder finden
und können sich von ihnen bestätigen
lassen, daß ich nichts als die Wahrheit
gesagt habe.«
»Na, darauf soll mir’s schließlich
nicht ankommen. Aber Sie werden
natürlich mitgeben. Und ich bitte mir
ans: keinen Fluchtoersuch. Sonst
bin ich ge wungen. zu ichießen.'«
Es wei te nicht allzulange, bis der
Wegweiser vor ihnen attitauchte.
«Wo sind denn nun Ihre werthen
Angehörigen wenn ich fragen darfi
Möchte-i Sie ietzt nicht lieber einge
rtehen, daß Sie mir ein Märchen aus
binden wolltens«
Wie ein Berzweifelter schaute Herr
August Kleinmichel nach allen Rich
tunYn aus·
- « maliel« schrie er. «Else! —
Pault —- Gretet«
Aber nur ein bodhastes Echo gab
ihm Antwort. Völlig gebrochen sont
August Kleinmichel auf den Stein
am Wegweiier nieder.
Aber der Gendarm herrschte ihn an:
»Vorwärts jetzt! Und nicht ge
muckstl Jch habe schon viel zu viel
Zeit mit Jhnen verloren.«
»Nein, ich gehe nicht Von der
telle.« erwiderte der unglückliche
enticr. »Der Mensch kann viel ans
halien, aber alles hat schließlich eine
Grenze. Es ist ja, als hätten sich alle
Teufel der hölle gegen mich verschwo
ren.«
Der Gendarm nahm eine Drohende
Miene an, und wer weise. bis zu wel
cher Katastrophe sich die Situation
derschiirft hätte, wenn nicht im kriti
schen Augenblick herr Dottor Rudolf
Leuenberg zum zweiten Mal als Ret
ter in der Noth auf der Lildfliiche er
schi nen wäre.
»Gott sei Daue, da ist ein Mariens
der mich legitimiren kann. herr
Doktor! Herr Doktor!«
Der junge Arzt hatte die beiden
schon längst bemerkt. Der Ausruf
des herrn Kleinmichel machte es ihm
nicht schwer, die Sachlage zu errathen.
Aber ganz ohne Strafe für seinen
bisher bewiesenen Starrsinn sollte
der Vater feiner angebeteten Else doch
nicht bleiben. -
»Meinen Sie mich, mein herr?«
fragte er. »Womit tann ich Ihnen
dienen?«
»Aber um des Himmels willen,
Doktor, thun Sie doch nicht, als ob
Sie mich nicht tennen! Jch beschwöre
Sie, sagen Sie diesem Beamten, wer
ich bin.«
»Erlauben Sie —«
August Kleinmichel begriff alles.
»Sie wollen Vergeltung iiben —
ich verstehe es wohl. Aber es wäre
nicht großmüthig, wenn Sie sich auf
solche Art fiir ein in der Uebereilung
gesprocheneö Wort rächen wollten.
Jch nehme alles zurück, was ich an
jenem Abend gesagt habe; nur be
freien Sie mich aus dieser schauder
haften Situation!«
»Sie nehmen Jhr Verbot zuriick —
das ist allerdings etwas anderes. Sie
kennen mich doch, Gendarm ?«
»Natürlich, Herr Dottor!« erklärte
der Mann des Gesetzes salutirend.
»Hei-en Sie mir denn nicht vor an
derthalb Jahren mein zerbrochenes
Bein wieder zurechtgeflickt?«
»Dann wird es Jhnen hoffentlich
auch genügen, wenn ich fiir diesen
Herrn jede etwa erforderliche schei
nende Bürgfchaft übernehme. Außer
dem glaube ich auch auf die Spur des
Spitzbuben helfen zu können, der mei
nen bedauernswerthen Freund im
Schlafe ausgeraubt hat. Vor unge
fähr zwei Stunden sah ich den Stein
tlopfer Petereit hier im Walde. Und
dem alten Zuchthöusler wäre die
That wohl zuzutrauen. Wenn Sie
sich jent gleich auf den Weg nach sei
ner Hütte mache, gelingt es Ihnen
vielleicht, ihn zu überrumpeln, ehe er
seine Beute irgendwie in Sicherheit
bringen iönnte.«
Der Gendarm, der vor dem jungen
Arzt offenbar großen Respekt hatte,
zögerte nicht, seinen Wint zu befolgen.
Dottor Leuenberg aber tliirte den
schwergepriiiten Rentier vor allem
über das Schicksal seiner vermißten
Angehörigen auf und begleitete ihn
dann zur Försterei. wo auf allen Sei
ten große Freude iiber das Wieder
sehen war. Mit Thränen der Rüh
rung schilderte Frau Amalie ihrem
Gatten die Verdienste, die der Doktor
sich um sie erworben und in einer aus
Dankbarkeit und Beschämung ge
mischten inneren Bewegung schüttelte
August Kleinmichel dem hülfreichen
Jünger Aesiulaps die hand.
»Ich bin ein Esel gewesen, Doktor!
Wenn Sie wollen, werde ich es Jhnen
Jschriftlich geben«
Dann, nachdem der Forster Herrn
Kleinmichelz mangelhafte Toilette
aus seinen eigenen Garderobebestän
den ergänzt hatte, setzte man sich zu
dem leckeren Mahle, und die Stim
mung wurde bald so vergnügt, wie es
noch vor einer halben Stunde keiner
von allen Betheiligten siir möglich ge
halten hatte.
»Hier bleiben wir bis zum Abend«,
erklärte August KleinmicheL »Es ist
nur schade, daß wir diesen ereigniß
reichen Sonntag nicht mit einer fest
lichen Bowle beschließen tönnen.'«
Aber selbst dafiir wußte der Aller
weitsdoktor Nath. Und während das
von ihm angesetzte dustige Getränt
seiner inneren Vollendung entgegen
reiste, nahm er den Vater Elsens bei
seite, um ein ernsthaftes Wort mit
ihm zu reden. Als die beiden Herren
in das haus zurücktebrtem rief here
August Kleinmichel nach seiner Gattin
und eine Viertelstunde später auch
nach seinem Töchterchen Eise, um sie
aus Ehre und Gewissen zu sra en, od
es wirklich ihr sester, unumsfßlicher
Wille sei, den Doktor Rudolf Leuen
berg zu heirathen, in welchem Fall er
in Gottes Namen seinen Segen dazu
geben wolle.
Man war eben im Begriss, das
erste Glas aus das Wohl des jungen
Brautpaares zu leeren, als der Gen
darrn wieder erschien um Deren
August Kleinmichel mitzutheilem daß
er sein gestohlenei Eigenthum noch
heute beim Amtövorsteher in Neuhos
in Empfang nehmen tönne. Petereit
habe alles wieder heraut egeben, als
der Gendarm ihm den Ziehstahl aus
den Kopf zusagte, alles, bis aus den
anhalt des Rucksactes, tcr bis aus
das letzte Krümchen und den ledten
Tropfen verzehrt war als der Arm
der strafenden Gerechtigkeit den Frev
ler ereilte. « «
Gedankeutefem TM
Ein berühmter Gedankenleser und
Spititisi unterhält sich und seine Mit
passagiere im Eisenbahncoupe des
Schnellzuges mit dem Errathen ihrer
Gedanken. Zupan Junos, ein mittei
sender Pserdehiindler aus Dbreczin,
amiisirt sich sehr, weil er die Sache
als Scherz auffaßt und sagt zu dem
Gedankenleser: »Werde ich Jhnen
zahlen 50 Gulden, wenn Sie mir er
rathen meine Gedanken!« Der Ge
dankenleser (srchtlich erheitett): »Sie
fahren zum Pferdemarkt nach Budas
pest, wollen dort siir zehntausend Gul
den vertausen, dann schleunigst nach
hause zurückkehren Konturs anmel
den und mit Jhren Gläubigern aus
drei Prozent akkordiren!« Der Ungar
greift in den Stiefelschast, zieht eine
schmutzige Börse hervor und zahlt
schweigend die 50 Gulden. Gedan
kenleser (triumphirend): Sehen Sie,
ich habe Jhre Gedanken richtig erra
then!« Ungar: »Nein, das nicht, aber
Sie haben mich gebracht aus eine sa
mose Jdee!«
O trauieo heim!
Haft eines Heimes Süßigkeit
Du je fiir kurze Zeit empfunden,
O schlag in eitler Müßigteit .
Nicht einer fremden Heimftatthndenc
Es wird ein Glück so leicht zerstört,
Nicht immer läßt sich’s wieder bauen,
Du kannst, wenn Dir ein Glück gehört,
Dann auch der fremden Nachsicht
trauen!
Es steht kein Heim so felsenfest
Jn diesem wilden Kampf um’sDasein!
Jn Nitterfchloß und Bogelnest
Kann Liebe sich nur flüchtig nah’ sein.
Darum, wo Zwei sich angebaut,
Es seien Menschen oder Meisen·
O, störe nicht durch That und Laut
Sie in’ den kleinen, stillen Kreisen!
Greif in tein Nest zur Frühlingszeit
Und stiehl« die Vöglein nicht. taum
flügge,
Bedenl’, der Räuber ist nicht weit,
Der sich vergreift an Deinem Glücke!
Eine seltsame Handschrift aus
Nord-England
Durch englische Blätter geht zur
Zeit eine einzig dastehende Inschrift,
die ein amerikanischer Besucher auf ei
nem Grabsteine im Kirchhof eines
Dorfes in Cumberland ausgestöbert
und im »Ladies Home Journal« der
äffentlicht hat.
Sie lautet: »Hier liegen die irdi
schen Reste von Thomas Bond und sei
ner Ehefrau Mary. Sie war enthalt
teusch und wohlthätig; —- aber Sie
war hochmüthig, mürrisch und hitzig.
s— Sie war eine zärtliche Gattin und
liebevolle Mutter; —- aber Jhr Ehe
mann und ihr Kind, die sie beide liebte,
Sahen selten ihr Antlitz ohne absto
ßende Stirnfalten, Während sie für
Besuchen die sie verachtete, ein gewin
nendes Lächeln hatte. — Fremden ge
genüber war ihr Betragen verständig,
— Aber Unvernünftig in ihrer Fami
lie. — Außer dem Hause zeichnete sie
sich aus durch Höflichleit, —- Aber Da
heim durch schlechte Laune· —- Sie
war eine ertlärte Feindin aller
Schmeichelei und hatte selten Lob oder
Anerkennung iibrig; — Aber Jhre
hervorragendsten Gaben waren Mei
nungsberfchiedenheit und das Aufspii
ren von Fehlern und Mängeln. —— Be
wundernswerth war ihre Sparsam
keit, —- Und ohne Verschwendung
Theilte sie all den Jhren zu in Hülle
und Fülle; —- Aber ihre Augen brachte
sie billigen Talglichtern zum Opfer-.
Manchmal beglückte sie ihren Gatten
durch ihre guten Eigenschaften! —
Aber viel öfter betiimmerte sie ihn
durch ihre vielen Schwächen, sodaß er
nach dreißigjährigem Zusammenleben
oft tlagte. Trotz ihrer Tugenden habe
er alles in allem kein zweijähriges Ehe
gliick genossen. Endlich entdeckte sie,
daß fie die Liebe ihres Mannes wie
die Achtung der Nachbarn verscherzt
hatte, da Familienklatsch durch die
Dienstboten ausgetragen wurde, und
starb aus Aerger darüber am 20. Juli
1768, im Alter von 48 Jahren. —
Ihr gemarterter Chemann til-erlebte sie
4 Monate und 2 Tage, und schied aus
diesem Leben Am 22. November 1768,
In seinem 54. Jahre. William Band,
der Bruder des Verstorbenen, Errich
tete dieses Denkmal Zu allwöchentlichet
Erinnerung der Ehesrauen dieser Ge
meinde, Auf daß sie die Schande ver
meiden, daß ihr Andenken der Nach
welt in so bunt zusammengeflicktesi
Nachruf überliefert wird.«
Die Worte tragen so augenscheinlich
den Stempel des Wahrheit, daß an der
Echtheit taurnz eifek ist. Sehen
wir sie nicht leibha at uns, diese
treffliche und unauiftehliche Mes.
Bands Jhe grimmiger Schwager
iannie seine Ebastöchtey ob es ihrer
allzu viele giebt, in denen nicht im Kei
me etwas lebt von jener längst vermo
derten Ehefran Marhf