Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, July 21, 1905, Sweiter Theil., Image 9

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    Yeöraska
Staats-Zuzeiger Und THErold
J P Windolph, Herausgeber. Grund Island. Nebr« 21 knli1905 (ZweiterTheil) Jahrgang 25 No. 47
Das Glüc.
versuche niche, due Glück zu hoc-sk,
Und fchau’ nicht durch das himmelsi »
ther,
Es kommt auf leisem leisen Sohlen, I
Unhörbar ernst schwebt es betont T
Es schwebt auf Silberflügeln nieder’
Und legt Dir auf das Haupt diehand,
Und all dein Hoffen bracht’ es wieder,
Und all dein Seelenweh entschwand.
Es blickt mit seinem Strahlenauge
Dir weich und-warm in’s Angesicht,
Und gleich dem ersten Frühlings
hauche
Jn deine Brust die Wonne bricht.
Und hat es ganz dich hingenommen,
Blick in den Lenz, der dich umblüht,
Und frage nicht, woher’s gekommen,
Wie lang es bleibt —- wohin es flieht!
-——-.·.—
Vas Zehnte Gebot.
Novellette von B. H e r w i.
Um die Rosenzeit war’s; in dem
Garten, der die elegante Van um
gab, dusteten diese herrlichen Som
mergaben, der Abendwind strich leise
darüber hin und wehte den balsami
schen Hauch mild hinaus zu der geöff
neten Baltonthiire, an der eine zarte,
blonde Frau saß, die gedankenvoll vor
sich hinstarrte.
Wie sehnsüchtig die junge Frau aus
die Blumen blickt . . . Heute war ihr
Geburtstag, und von kostbaren Ge
schenken bedeckt standen die Tische im
Salon
Jhr Gemahl hatte ihr die schwarze
Perlennadel gebracht, die neulich am
Fenster des Juweliers ihre Bewunde
rung erregt hatte, auch ein indischer
Shawl glänzte als Beweis seiner
Aufmerksamkeit, aber an Blumen
hatte er nicht gedacht; die waren nur
von den vielen Bekannten und Freun
dinnen gebracht worden und dufteten
jetzt aus den eleganten Füllhörnern
und Körbem Die tleine Anni. ihr ein
ziges, siebenjähriges Töchterchen, war
früh mit Mademoiselle Bertha, ihrer
Gouvernanie, aus die nahe Wiese ge
gangen und hatte Feldblumen ge
pflückt; das Kind wußte, wie sehr
Mütterchen die Blumen liebte
Die junge Frau fühlte sich von dem
Trubel der Gratulationen ein wenig
ermüdet und hatte mit ihrem Gatten
den Thee allein eingenommen. Man
fred hatte seiner Frau damit ein gro
ßes Opfer gebracht, denn gerade heute
war der Benesizabend der von ihm so
verehrten Miß Wanda. Er hatte me
chanisch die Zeitung zur Hand genom
men, aber zwischen den Zeilen tanzte
eine graziöfe Figur, gluthvolle Augen
leuchteten ihm entgegen, und perlende
Zähne lachten ihm zu, dazwischen er
schien ihm das verzerrte Gesicht des
eisersüchtigen Clowns mit drohendem
Blick. Berstimmt wars er die Zeitung
aus der Hand. Daß er auch gerade
heute nicht anwesend war, wo Nie
mand fehlen würde, daß er ihren ver
stohlenen, dankbaren Händedruck nicht
empfangen konnte, —- o, er verstand
es gut, Geschenke zu machen: gestern
erst hatte sie es ihm in der Garderobe
zugeschworen, daß nur er ihr Herz be
säße und die Bewerbung des Ritt
meisters von der Filow, von der man
spräche, sie gar nicht interessirte.
Jn dem einsamen Theestiindchen
hatte Helene einmal aufrichtig und
herzlich mit dem Gatten sprechen wol
len, aber ihre Erregung war zu groß;
nur bis zur Kehle kamen ihr die Bitt
worte, —- Thränen erstickten sie, be
vor sie ausgesprochen waren.
»Wie er finster aussieht und wie
ärgerlich,« dachte sie.
»Ein veriorener Abend,« brummte
er, —- ,,iie ist kalt wie Eis und un
interessant, wie eine philosophische
Abhandlung.«
Das war nun ein vor acht Jahren
heiß ersehntes Glück!
Endlich aber konnte er seinem Un
muth nicht mehr widerstehen, er erhob
sich, ohne die fleißig stickende junge
Frau, in deren Jnnern es gährte und
wogte, noch zu beachten, und näherte
sich der Thüre.
»Du gehst fort, Manired,« ries sie
ihm ängstlich nach, —- Du hast mir
versprochen ——«
»Ich werde auch mein Wort hal- i
ten, — ich muß ein wenig in’5 Freie,
laß mich, Helene.« ;
Jetzt geht er dort zwischen den Ro
sen uniher, —- nun bricht er sie und
windet sie zu einem kleinen Strauß,
— nun wird er kommen, wird ein
liebevolles Wort sagen und leise sei
nen Arm um ihre Schulter legen, wie
in früheren, glücklicheren Tagen, als
er noch keine Göttin neben ihr hatte, »
als sie die einzige war, die in seinem
setzen thronte ja, jeht kommt er
suriich sie sieht aus und will ihm ent
gegeneilem —- liebevoll neigt er sein
Antlih in die töstlichen Rosen; doch
wai ist das er eilt nicht die
Stuer iu ihr hinaus, er wendet nicht .
den site-I zu ihr . . . . er ruft den Dies L
ner . . » er sliistert leise einige Worte ;
giebt ihm die Rosen eines
Karte aus der Briestasche dazu, ver
Diener verneigt sich und geht
Oelene zittert vor Erregung und
Enttsnschung —- sie sucht vergebens
lich en beherrschen- iie tiibtt lich nicht
wohl; — sie klingelt schnell dem Die
ner, aber an seiner Stelle erschien
Lisette mit der Meldung, dafz Franz
niit einem Austrage des gnädigen
Herrn fortgeschickt sei.
Der Diener also fortgeschickt mit
den Rosen, —- mii ihren herrlichen
Rosen, die sie zum Geburtstag von
ihm hat haben wollen« die ihr allein
zukommen. Wie darf ihr Gatte es
wagen, sie dieser Kunstreiterin zu sen
den, denn keine andere wie diese kann
die Empfängerin sein.
Sie steht hastig auf — die zittern
den Hände werfen die Stickerei in
den Korb, der bei der heftigen Bewe
gung zur Erde fällt, achtlos tritt sie
darüber hinweg und eilt in ihr Bon
doir.
Manfred promenirt noch immer im
Garten. — leise pfeift er vor sich hin
——er sieht nach der Uhr, dann, wie
von einem schnellen Entschluß ge
drängt, geht er eilig die Treppe zur
Veranda hinauf.
»Entschuldige, Helene,«« beginnt er,
»ich habe doch noch einen nöthigen
Gang —,« es war mittlerweile dunkel
geworden, und nun bemerkte er erst,
dafz seine Frau den Platz verlassen.
Mit schnellem Schritt geht er in-’s
Nebenzimmer, findet aber auch hier
alles dunkel.
,,.f,)elene!« ruft er.
Ein leises Schluchzen vom Fenster
her antwortet ihm, ein Weinen aus
Kindermund, ein ängstliches Stöhnen.
»Anni —-bist Dus? —- was ist
Dir, weshalb sitzest Du so allein, fehlt
Dir etwas?«
Er zieht den Liebling zu sich empor
und küßt die zarte Stirn. »Wo ist
Madernoiselle Bertha?" fragt er.
,,Mademoiselle ist ausgegangen,«
llagt Anni, »das weißt Du ja, Papa,
zur Hochzeit ihrer Freundin; ich tann
meine Schulaufgaben nicht lernen,
und noch niemand hat mich überhört
ach, und das Fräulein ist so
strenge, ich trau’ mich morgen gar
nicht in die Schule« «
»Was hast Du denn auf, Anni?«
»Arb, Papa, die Gebote, —- und zu
morgen gerade das zehnte —- das ist so
schrecklich lang und schwer; ich habe
schon so viel gelernt und hob« Mama
aebeten, mich zu überhören, aber
Mama weint so sehr, heut’ an ihrem
Geburtstaae, daß ich es gar nicht an
hören konnte, —s1e schickte mich hin-«
aus —-—« Das Kind konnte vor
Schluchzen den Satz nicht vollenden
»Die Mama hat geweint —wann
denn, Anni. und ——weöhalb?«
»Heut, Papa, und so oft schon, —
das weiß ich nicht, ich höre es wohl,
wie sie die Hände ringt Und Deinen
Namen ruft.«
Manfred holte tief Athem und biß
sich aus die Lippen. »Als-) doch nicht
Gleichgiltigteit —- doch Liede, doch
Temperament; daß sie es somit-fin
den wiirde, —das häte ich nicht ge
dacht...«
»Geh nur fchlafen, mein Liebling,«
saate er, »eg ist schon spät-«
»Aber ich weiß ja noch nicht genü
aend meine Aufgabe, Papa, überhör’
mich doch erst; siehst Du, hier steht’s;
und immer das schreckliche »Was ist
das?« das ich gar nicht behalten
kann —«
»Nun sag’ e, Anni, ich helfe Dir
schon nach.«
Er hatte das Kind vor sich aus das
breite Fensterbrett gesetzt, von außen
fluthete das helle Mondlicht herein
und erleuchtete das Gesichtchen der
Kleinen unbeschreiblich schön-, es hatte
ein Aermchen um den Hals des Va
ters geschlungen, sah ihm zärtlich in
die Augen und sprach nach Kinderart
monoton Und doch pathetisch: »Das
zehnte Gebot. Du sollst nicht be ehren
Deines Nächsten Weib, Knecht, agd,
Vieh oder alles was sein ist-—Was
iss das?«
Und dann in schnellerem Tempo:
»Wir sollen Gott sürchten und lieben,
dasz wir unserem Nächsten nicht sein
Weib oder . .. oder . .· dasz ein Jegli
eher sein Weib... oder...«
»Aber, Anni, Kind, Kind, das ist
ja ganz salschi«
Da barg die Kleine sich weinend an
des Vaters Brust und stammelte leise:
»Ach, Papa, es ist ja so schwer, diese
Gebote zu lernen«
»Ja, Anni, sie sind schwer, sehr
schwer zu lernen —— ich glaub’ es Dir
wohl, aber noch schwerer ist es, sie
sür’s Leben zu behalten. Deshalb
lerne, mein Liebling, lerne, — tomrn’.
ist« will Dir helfen, —dann wird es
schon geb'n —- also, —- noch einmal
»Daö zehnte Gebot«.«
»Du sollst nicht begehren —«
»Para, glaubst Du, daß Mama
trank werden wird?«
«,,Bewahre, mein Kind, —- morgen
tvird alles besser sein —«
»Vapa. .. Lisette sagt, wenn man
am Geburtstage weint, dann weint
man das ganze Ja r —-«
»Unsinn, Anni. u sollst sehen, wie
die Mama morgen fröhlich sein und
lachen wird.'«
i »Wird sie denn morgen nicht zu
sagte?«
»Ja Großpapa2 . .. wir fahren alle
zusammen zu Großpapa, in den Fe
neu-«
Nun nickte das Kind befriedigt.
Franz brachte eben die Lampe ins
Zimmer, mit pfiffigem Lächeln mel
dete er Manfred den Dank der Dame.
f »Schon gut, schon giut,« sagte dieser
urz. .
Anni saß an der Lampe mit ihrem
Buche und lernte still vor sich hin,
liebtosend strich Manfred über ihre
blonden Locken. Immer ruhiger
wurde es in dem traulichen Gemach
—- Annis Kopf lag jetzt aus dem Tisch
—sie war eingeschkafen.
Manfred hielt inne mit seinem
Aus- und Niedergehen, liebevoll nahm
er das Töchterchen in seine Arme und
trug es behutsam in sein Zimmer-.
Das Fräulein war noch nicht zurück
getehrt: Frau Sallbach hatte befohlen,
Annis Bett in ihr eigenes Schlasziw
mer zu bringen, — ihr Bettchen stand
nuni neben dem der Mutter. Sor fäl
tig legte der Vater sie hinein, na dem
er ihr das Kleidchen gelöst hatte, und
deckte sie liebevoll zu. Dann verließ er
leise das Gemach und ging wieder
hinunter in den einsamen Garten.
Tief in schmerzliche, vorwurssvolle
Gedanken verloren, wandelte er durch
die vom Monde beschienenen Gänge.
Jetzt kam er an die Nosenbeete, deren
Dust ihn schmeichlerisch umzog.
»O, ich Thor,« murmelte er, »ich
berblendeter Thor, —die kleine weiße
Rose gegen die glühende Gistblume,«
schon wollte er einen Rose brechen, doch
zog er die Hand zurück.
,,Morgen,« sagte er leise, »ja, zum
Morgengruß.« Dann ging er hinauf,
schloß die Thüren und betrat vorsichtig
das Gemach. Mildes Licht schien von -
der Decke herab und beleuchtete die
beiden Schläferinnen, Mutter und
Tochter.
Ergriffen blickte Manfred in Hele
nens vergrämtes Gesichkchen - - -« »Du
sollst nicht mehr weinen, Helene,«
sliisterte er vor sich hin, ——— »das Kind
hat mich zurückgerufen, —- beim All
mächtigen, Du sollst mit mir zufrie
den sein.«
Da bewegt sich Anni im Schlafe,
bas- kleine erregte Mädchen konnte
noch immer nicht die rechte Ruhe fin
den, und selbst im Traume ward sie
von ihrem Pensum erfüllt —- ihre
Lippen bewegten sich.
Manfred beugte sich herab —- und
mit leiser Stimme, aber vernehmlich,
hörte er das Kind flüstern: »Du sollst
nicht begehren Deines Nächsten . . .«
dann wurde es undeutlich und erstarb
"in leisem Murmeln.
Manfred drückte einen heißen Kuß
aus die Stirn des schlafenden Kindes.
Der ,,Stallmeikter des Teu
fecö.«
Der ,,Stallmeister des Teufels« —
so nannten die Wiener den exzentris
schen Grasen Moritz Sandor, den Va
ter der bekannten Fürstin PaulineMet
ternich, die mancherlei von ihm geerbt
hat, vor allem seinen Witz und seine
Gabe, sich in liebenswürdiger Weise
bei der Wiener Bevölkerung populär zu
machen; und dieser ihm vom Volke ver
liehene Titel war wirklich bezeichnend
fiir den originellen Mann, dessen eben
so tolle wie kühne Reiterthaten und
sonftige Scherze manchmal eines me
phistopheliichen Beigeschmackes nicht
entbehrten; erwähnt doch auch sogar
Hebbel ein paar seiner Einfälle in
seinen Tagebiichern, und bei einer die
ser Notizen kann es der Dichter sich
nicht versagen, hinter der Notiz ein
»Gut« zu vermerken.
Das ist die berühmte Geschichte sei
ner Wette, daß er in einem Kassees
hause arretirt werden würde, die einen
genialsch - satirschen Zug des Reiter
grasen verräth. Er saß —--- die Ge
schichte ist nicht erfunden, sondern be
ruht vollkommen aus Wahrheit —- mit
einigen seiner Standesgenossen gemüth
lich im Kasseehaus, als das Gespräch
aus die ost recht verkehrten Maßnah
men der wohlhochlöblichen Polizei
inm, die von den anderen vertheidigt
wurde. Da meinte Gras Sandot, er
verpflichte sich, ohne daß er sich nur
das Geringste gegen die gute Sitte zu
schulden kommen lasse. noch auch das
Gesetz irgendwie verletze, die Aufmerk
samkeit der Polizei zu erregen und die
selbe zu seiner Berhastung zu veran
lassen. Man ging aus die Wette ein;
der Gras ging in sein Palais und kam
nach kurzer Zeit aus demselben in
ganz zerlumpter Kleidung wieder. So
betrat er, in angemessener Entsernung
von seinen Wettgegnern beobachtet, ein
einsaches, seiner Erscheinung angemes
senes Kasseehaus, bestellte eine Kleinig
keit und legte zur Bezahlung dafür
eine Tausendguldennote aus den Tisch.
Svsott liesz der Wirth einen Gendar
men kommen und den des Diebstahls
verdächtigen »Bettelmann« mit der
Tausendguldennote verhaften. Graf
Sandor hatte die Wette gewonnen —
unter der Voraussehung daß es der
,,guten Sitte« entsprach, zerlumpt sich
in ordentliche Gesellschaft zu mischen.
anessen das eigentliche Feld des
Grafen waren seine Reiterstüelchen.
Einer Zeit und einem Lande entstam
mend — er erblickte am 28. Mai 1805
in Ungarn als Sohn des Grasen Vin
gknz aus dem uralten weitverzweigten
f delsgeschlechte der Sandor das Licht
Eber Welt ——, wo der Aristotrat seine
höchste Tugend und höchste Bildung in
fder kühnen Ausübung des Reit- und
Zagdsports zeigte, suchte der junge
» ras Morih diese Tugend und Bil
dung schon in sriihefter Zeit zu bewäh
oen. Ehe er noch gehen konnte, hatte
er schon reiten gelernt, und als junger
Knabe soll er fester im Sattel gesessen
haben als mancher ergraute Stallmei
ster. Eine sogenannte elegante Figur
hat er freilich als Reiter weder in der
Jugend noch in späteren Jahren ab
gegeben. Aber niemals hat es wohl
vor ihm noch nach ihm Reiter gegeben
—- Zirtuskiinstler inbegrissen ——, die
so verwegene Reiterstückchen ausführten
wie Gras Sandor, dessen wie gesagt,
bon frühester Jugend an geübte Reit
iunst durch einen keine Grenzen ken
nenden Wagemuth gefördert wurde,
der sreilich einen pathologischen Zug
hatte. Man kann als unzweifelhaft
annehmen, daß der Graf, dessen Irr
sinn in seinen späteren Jahren offen
bar wurde, auch schon früher, als diese
eine geistige Anomalie noch nicht von
allen erkannt worden war, wohl die
Tragweite seines Wagemuthes nicht
immer erkannt haben mochte, und der
Leichtsinn, mit dem er tausende Male
sein und anderer Leben aus’s Spiel
setzte, war sicherlich eine Folge trank
hafter Nervenüberreizung
Jn zahlreichen illustrirten Blättern
früherer Jahrzehnte ist besonders eine
kühne That des Grafen in Wort und
Bild geschildert, wie er mit einem Vie
rerzuge über hohe Treppen herauf
«und herabfuhr. So unglaublich dies
jKunststück auch erscheint, seine buch
isttihlicheWahrheit steht sest. Des-Grafen
Tochter, die Fürstin Pauline Metter
nich, hat sich einmal ausführlich über
diese berühmte Treppenfahrt ihres Va
ters in einem längerem Aussatz ge-«
äußert.
«
«Stunden, von Wien nach Jschl (43
. und endlich den theils zu Pferd, theils
Jim Wagen in acht Stunden zurückge
. gen Jahrhunderts wanderten die Wie
’2)teiter, sondern auch einer der geschick
Als berühmte Reiterstüclchen des
Grafen sind noch weiter zu erwähnen
sein kühner Sprung mit seinem best
drefsirten Pferde ,,Tatas« über einen
mit drei Pferden bespannten Bauern
wagen, den er in einer ganz engen
Straße ohne jeden Ansatz ausführte;
dann ferner auch seine Schnell- und
Dauerritte von Salzbura nach Mün
chen l18 Meilen) in nicht ganz neun
Meilen) in 16 Stunden 7 Minuten
legten Weg von seinem Schlosse zu
Bajna bis nach Wien, 3 Meilen.
Aber er war nicht nur ein kühner
teften Pferdedresseure, und in den drei
sziger und vierziger Jahren des vori
ner nicht selten hinaus nach Boden, wo
Graf Sandor im Sommer zu wohnen
pflegte und wo er seinen lieben Wie
nern manche Ertravorstellung gab, recht
drolliger Art, zum Beispiel wenn er!
zu jedem der Fenster seiner Villa ein
anderesterd binaugschauen ließ, auch(
im zweiten Stockwerk, wo er dann nicht i
selten neben seinem Lieblingspferde
heraus-schaute, wobei beide, der Grafx
und das Pferd, Pfeier tauchten. I
Dasz das den Wienern sehr gut aei I
stel, läßt sich denken, und daß er da-;
ber und auch, weil er verschwenderisch
sreigebig war, eine der beliebtesten»
Gestalten war in dem vormärzlichen
Wien, ist ebenso erklärlich. Weniger
leicht begreiflich erscheint es daher,«
das; er im tollen Jahre doch nicht dem
Schicksal entging, daß ihm die Wie
ner eine Katzenmusil brachten. Frei
lich hatte er das weniger seiner eige
nen politischen Qualität zu danken —
er hat sich zeitlebens nicht um Politik
qetümmert —, sondern der Thatsache,
daß er der Schwiegersohn des bestge
baßten Mannes in Oesterreich war,
des Staatstanzlers Fürsten Wetter
nich —- Gras Sandors Tochter hei
rathete ihren Stiesoheirn—, vielleicht
auch galt der Unwille des Volkes der
ganzen aristotratischen und so gar
nichts nüdendem aber ost recht un
nützen Lebensführung des Grasen.
Genug, man brachte vor seinem Pa
lais eine Kayenmusih Aber wie sich
Gras Sandor dieser Situation ge
wachsen zeigte, auch darin bekundet
sich ein genialer Zug. Als er den
Vollshausen seinem Palais nahen
sah, tras er schnell seine Anordnun
gen, und als alle vor dem Hause Ver
fammelt waren, betrat er mit zwei
Dienern den Balkon. Er selbst, in
der Mitte, hatte eine helltönende
Flöte, auf der er die Katzenmusik
übertönend und begleitend ein mäch
tiges Furioso blies, seine beiden Die
ner aber mußten Katzenmusil im ei
gentlichsten Sinne des Wortes ma
chen; sie hatten jeder einen Sack, in
welchem sich Katzen befanden, und fo
bald sie diesen Sack auf Befehl ihres
Herrn schwenkten, entstand ein fürch
terliches Gequietsche und Miauen der
eingesperrten Thiere. Als dieses ge
schehen war, ging Graf Standor, mit
Steinen bewaffnet, hinunter zum
Voltshaufen, warf in seinem eigenen
Palais die Fenster ein und fragte
dann die »Revolutioniire« in gemüth
licher Weise: »So! Nun sind wir hier
fertig! Wohin gehen wir jetzt?« Na
türlich ging der Vollshaufe lachend
auseinander, Graf Sandor hatte mit
seinem Witz die Stimmung besiegt.
Das Ende des Grafen Sandor,
war, wie gesagt, ein recht trübes. Be
reits zu Anfang der fünfziger Jahre
des vorigen Jahrhunderts hieß es, er
sei völliger Geistesumnachtung ver
fallen. Er soll da viel Interesse für
das Köpfen gezeigt und den Wiener
Hofburgschauspieler Ludwig Löwe in
der Rolle des Holofernes leuchtenden
Auges, das durch sein unheimliches
Funteln den Jrrsinn verrieth, vor
feinen Freunden kopirt haben. Alsj
er dann allen Ernstes dem Pförtners
seines Palais den Befehl ertheilte,i
dem ersten, der da käme, den Kopr
herunter zu schlagen, wenn’s auch sein
bester Freund wäre, erkannte man
endlich, daß man einen Wahnsinnigen
vor sich habe.
Beinahe ein Menschenalter lebte er
noch im Jrrsinn dahin. Erst am 28.
Februar 1878 erlöste der Tod ihn von
seinen Leiden. Da er außer seiner
Tochter Pauline nur einen im jugend-(
lichen Alter verstorbenen Sohn hefes-’
sen hatte, war er der letzte zwar nicht
des weitverzweisgten Geschlechte-Z der
Sandor, doch der bis ins fünfzehnte
Jahrhundert hinausreichenden altbe
riihmten Grafenfamilie Sandor in
Both und Bajna.
Die falschen Zähne des Scheiks.
Im Alter von 90 Jahren hat der
Araber-Scheit Mohamed Omar Or,
dessen Volk in der Nähe von Suatim
lebt, und welcher jederzeit sehr loyal
zur Sudan- Regierung gestanden hat,
eben der Stadt Chartum einen Besuch
abgestattet. Er wurde äußerst freund
schaftlich von der Regierung empfan
gen und erhielt von dem Sirdar einen
,,ersttlassigen« Satz künstlicher Zähne
als Geschenk. Der alte Scheit ist
außerordentlich gerührt von dieser
Aufmerksamkeit und er hofft, damit
seinen ganzen Stamm in Staunen zu
setzen, wenn er mit einem Mund voll
neuer zermalmender und schneidender
Zähne nach Hause kommt. Seine ein
eige böse Ahnung, sagt der Reuter
siorresvondent, ist die Einwirkung
auf seine Hauswirthschasi. Er drückte
seine Furcht in folgender Weise aus:
»Gott gab mir Zähne und nahm sie
mir wieder als ich alt wurde. Er weiß
es am besten. Jetzt hat man mir
neue eingesetzt. Kann der Zahnarzt
mir auch sagen, was gut fiir meinen
Magen ist?« Des Scheils Bart, der
roth gefärbt ist, steht in sonderbarem
Kontrast zu seinem schneeweißen Haar
und seinen Augenbrauen
Eine hübsche Epifode.
vom Aufenthalt des Kaiserpaareg in
Wiesbaden wird nachträglich dortigen
Blättern berichtet. Jn der Stadt hatte
sich das Geriicht verbreitet, die Ver
letzung der Kaiserin infolge des be
kannten Unfalls sei ernster Natur.
Daraufhin bestürmten einige kleine
Mädchen die vor dem königlichen
Schlosse Posten stehenden Soldaten,
sie möchten doch der Kaiserin gute
Besserung wünschen und ihr einen
Blumenstrauß, den die Kleinen mitge
bracht hatten, in’"s Schlon tragen, wag
den Soldaten natürlich ihre Wachtins
strultion verbot. Die Posten hatten
Mühe, die Kleinen, die absolut ohne
die erbetene Nachricht von der erfolg
ten Besserung nicht gehen wollten, ab
zuweisen. Die ganze Szene war aber
vom Kaiser von einem Fenster aus
beobachtet worden, und wenige Minu
ten nach einem seitens der Posten er
neut abgeschlagenen Angriffe erschien
ein Adjutant auf der Bildsläche, der
die Posten fragte, was da vorginge,
und von ihnen eine wortgetreueMel
dung des Falles empfing. Der Kaiser
ließ, als er den Hergang der Dinge
erfahren hatte, die Kleinen sofort in’s
Schloß holen und theilte ihnen selbst
mit, daß sie sich um ihre Kaiserin
keine Sorge zu machen brauchten, da
es ihr gut ginge. Die Kleinen wur
; den mit Kasfee und Kuchen bewirthet,
mit Süßigkeiten reichlich beschenkt,
auch wurde ihnen durch einen Hoche
diensteten aus Befehl des Kaisers as
ganze Schloß gezeigt.
Es ist verboten.
Das Londoner Wochenblatt »Aus
wers« veröffentlicht unter dem Titel
,,Berboten« eine kleine Plauderei über
,,Deutschland, wie es ein Leser der
,,Answers« sah. Die amiisante
Schilderung lautet: »Das Wort,· das
man am häufigsten in Deutschland zu
sehen bekommt, lautet ,,Berboten«.
Wenn man im Bahnhos einläuft, fällt
der Blick auf lauter riesige »Verbo
ten«, ehe man etwas anderes sieht. Es
ist verboten, die Gekeife zu überschrei
Iten, Es ist verboten, diese Treppe
hinabzugehen. Es ist verboten, dieser
andere hinaufzusteigen. Es ist ver
boten, links auszusteigen. Es ist ver
boten, aufzusteigen, während der Zug
sich in Bewegung setzt. Es ist verbo
ten, den Perron ohne Billetabgabe zu
verlassen. Es ist verboten, den Kopf
zum Fenster hinauszustrecken. Es ist
verboten, Flaschen zum Fenster hin
auszuwerfen. Es ist verboten, das
Nothsignal ohne Lebensgefahr zu
ziehen. Und wenn man sich mit allen
diesen Vorschriften glücklich vertraut
gemacht hat, sein Billetabgegeben hat
und durch den richtigen Ausgang
marschirt ist, dann stößt man mit
Sicherheit aus ein Schild ,,Durchgang
verboten«. Will man nun wieder
durch den Ausgang, den man benutzt
hat, zurück, so erfährt man zu seinem
Entsetzen, daß das ,,verboten« ist.
Man muß sich einen anderen Ein
gang suchen, und kann dann durch ei
nen anderen Ausaana endlich dem
Bahnhos entfliehen.« —- Nachdem sich
der Engländer über die deutsche Ti
telsucht und noch einiges andere lustig
gemacht hat, weiß es erfreulicherweise
auch etwas Gutes zu sagen: »Seit
1871 sind die Deutschen darauf aus,
alle französischen Fremdwörter aus
ihrem Sprachschatze auszumerzen.
Jetzt ist der Kampf über alle Fremd
wörter überhaupt entbrannt. Das
Wort ,,Telephon« ist über die ganze
Welt verbreitet. Man gebraucht es
selbst in Ländern mit ganz anderem
Alphabet, z. B. in Rußland und der
Türkei. Einst hatte es auch in
Deutschland Heimathrecht. Aber jetzt
trifft man weit häufiger das Wort
»Fernsprecher«, und das finde ich sehr
verständig. Jedes deutsche Kind von
3 oder 4 Jahren kann sich bei dem
Worte Fernsprecher etwas denken,
während keines wissen kann, was das
Wort Telephon bedeuten soll. —- Die
Meisten denken, die französische Spra
che ist reicher an Bezeichnungen für v
Speisen und Nahrungsprodukte als
die deursche. So dachte ich auch. Ader
ich war so überrascht über den Wort
schatz der deutschen Speisekarte, daß
ich mir die Mühe nahm, die Bezeich
nungen für Gerichte in einem franzö
sisch-englischen und einem deutsch
englischen Taschenwörterbuche zu zäh
len. Resultat: Frankreich 8 Spalten,
Deutschland 11. Und das ist eigent
lich kein Wunder, denn die Deutschen
scheinen nicht nur mehr eßbare Dinge
zu haben, sondern ihnen auch tüchtiger
zuzusprechen.«
-—--.-—.--—
Schiller, der Heros des deutschen
Jdealismus, ist auch französischer
Bürger. Am 26. August 1792 wurde
ihm und einer Anzahl berühmter Aus
länder der Titel Eitohen de France
verliehen. Selten hat der Druckfehler
teufel -—— wenn es nicht zum Theil ein
fache Unwissenheit war —- so schlimme
Possen getrieben, wie in dem Beschluß,
der diese Ehrung aussprach. Wir fin
den da Klopsloc statt Klopsiock, Ben
thonn statt Bentham, Mackinlosh statt
Mackintosh, Pestalorri statt Pestalozzi,
Kocinsko statt Kosziusko; Schiller
endlich war Gillers geschrieben, das
Deiret war an ,,le sieur Gille, publi
ciste allemand« gerichtet. Die in Wei
mar aufbewahrte Urkunde hat einen
eigenthiimlichen Reiz durch die hastige
Huldigung von der Jdee und der Ver
nachlässiaung des Persönlichen. Schil
ler, der in den Räubern seiner faulen
Zeit mit dem Zorn eines jungen, frei
heitberauschten Titanen Dolch und
Pistole unter die Nase gehalten, der in
Kabale und Liebe kühler und beißender
den kleinen Despoten ihr Skündenregi
ster aufgezählt hatte, begrüßte anfäng
lich in der Revolution die Morgen
röthe der Freiheit, wie diese sich in sei
nem Kon malte. Als sich aber im
mer schrecklicher das Wort bewahrhei
tete, daß Revolutionen nicht mitRosen
wasser gemacht werden, als die gewal
tigen Wogen allen Schlamm, alle Un
geheuer, die in der Tiefe des Volkes
schliefen, an die Oberfläche wälzte, da
empfand er nur noch Abscheu gegen die
»Schindertnechte« und war der Ansicht,
dieRevolution habe nicht nur das fran
zösische Volk, »sondern mit ihm auch
einen beträchtlichen Theil Europas
und ein ganzes Jahrhundert in Bar
barei und Knechtschast zurück-geschleu
dert«. Als ästhetischer Philosoph
konnte Schiller der Revolution, die
seine theoretischen Ideale so grausam
zertrümmerte, nicht anders gegenüber
stehen, erst spätere Zeiten erwiesen, daß
die Revolution trotz alledem in der Ge
schichte der Menschheit ein gewaltiges
Schritt vorwärts gewesen ist .