Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, July 21, 1905, Sweiter Theil., Image 10

Below is the OCR text representation for this newspapers page. It is also available as plain text as well as XML.

    I
Die Graka von Pudng
. »-...« «-W.-.M-W.W» «
Roman von R. Z.
WWIWfWMfoMIIVf
AAAWW U AUWAUMUW
MVMMVVVI fof !
MWAM ;
E
(5. FortsetzungJ
Dietrich hatte bie lesten Worte mit
nndetrtennbarer Schar e gesprochen,
IFer sich eine Blutwelle in sein
echt ergoß und seine Augen sich mit
einem Ausdruck biisterer Spannung
auf den Bruder richteten.
Bedo blickte überrascht auf.
»Absichten? — Ach so, Du meinst
meine Absichten auf Franziska Bör
ner. Ia, weißt Du« —- der Sprechenbe
schnitt eine Grimasse —- ,,die Sache
will noch nicht so recht in Fluß kom:
men. Die Alten freilich würden mir
·a sicherlich keinen Korb geben, aber
s Möbel selbst thut verteufelt
spröde. Höre mal« —- der Sprechende
beugte sich zu seinem Bruder hinüber
und erfaßte ibn am Arm — »Du hast
mich der-g nicht etwa bei ibr ange
"rzt.«
Dietrich riß sich mit einer besti en
Bewegung los und machte Miene, Fei
Irem Bruder den Rücken zu kehren.
Ver aber hielt ihn zustiiet und lachte.
.Na, nur nicht gleich böse, alter
Junge! Ich sprach ja nur im Scherz,
weiß ja, daß Du Dich nicht zum An
geber bergibft.« Das alte leichtsin
uige Lächeln verbreitete sich wieder
Siber seine Zii e. »Na überhaupt, das
kennt san. Fest ja doch nur Verstel
lung von dem Mädet, pure Kotetterie.
Dadurch läßt sich unsereiner doch nicht
ins Bockshorn jagen. Werde mir
schon den Goldsisch einsaugen, sage ich
Dir. Werde mal ein bischen sorscher
in’s Zeug geben, wenn ich erst von der
Reise zurück bin.«
Dietrich machte sich los und eilte
mit kurzem Gruß davon. Jhm siebete
lbaq Blut bei Bodos frivolen Prah
treten.
Zehntes Kapitel.
Herbst und Winter verstrichen, der
Frühling kam und brachte dem Refe
renbar die Versenung an das Land
gericht in einer Provinzialftabt. Es
wurde ihm schwer, aus den- gewohnten
Verhältnissen zu scheiden. Sein Schü
ler, der inzwischen Sekundaner ge-:
worden war und der ihm viel An
hänglichkeit bewies, war ihm in den
beiden Jahren lieb und werth gewor
den. Dazu kam die Unruhe bezüglich
Bvdos, die ihn die ganze Zeit über
nicht verlassen hatte und welche nun,
da er im Begriff stand, den Leichtsin:
nigen aus dem Gesichtskreis u ver
lieren, noch zunahm. Wie sietrich
aus den gelegentlichen Mittheilan en
feines Schülers erfahren, waren Für
Herrn Börners Rennstall große-Et
wetbun en gemacht worden und beide,
der Besser sowohl wie sein sportli
chet Berather und Vertrauensmann
sahen der kommenden Saison mit
grasen Hoffnungen entgegen.
Als Dietrich seinen Abschiebsbesuch
in der Familie Börner machte, traf er
nur seinen Schüler und die beiden
Damen des hauies. Der Hofwagem
fabrikant war, wie täglich, nach Hop
pegcrrten hinaus, um sich an den Fort
schritten des Trainireniz zu erfreuen.
Man plauberte ein halbes Stünd
chen angeregt; Dietrich sprach den
sunsch aus« mit seinem Schüler auch
Wiig in Verbindung zu bleiben und
Ilfred gab ihm das Versprechen, sich
nnd sein Schicksal in der neuen Klasse
tdem Abwesenden brieslich zu berich
en.
Dietrich empfand eine wirkliche in
verliche Ergrifsenheit, als er den Da
men sum lejten Mal die Hand drückte.
Und auch wahren-d der niichsten Woche
M er an seinem neuen Aufent
haltsorte das Gefühl einer schmerzli
chen Leere, eines sehnenden Vermis
« n· los werden. Er wunderte
sel , welchen Platz in seinem
diichtniß die schlichte bürgerliche
Familie einnahrn, bie ihm doch seiner
nzen Bergan enheit nnd seinen- An
chananaen na eigentlich ern stand.
Oft schlug sein Herz unruhevoll,
wenn er Bodo’s Beziehungen zu der
Familie Börner, seiner Pläne und
Absichten gedachte, und mit einer
ännftlichen Spannung sah er den ihm
oersprochenen brieflichen Nachrichten
entge en. Doch es vergingen Tage
nnd schen, ohne daß Alfred Börner
von sich hören ließ. Endlich, es waren
bereits sechs Wochen verstrichen, traf
ein Brief aus Berlin ein. Aber es
war nicht die ihm wohlbekannte
Schrift feines Schülers, sondern eine
ihm ganz fremde, weibliche Hand
schrift, die die Adresse geschrieben, und
als er den Brief nun neugierig aufriß
nnd nach der Unterschrift lab, er
staunte er nicht wenig.
» ranzisla Bis-ener« stand da in
iierichen regelmäßigen Buchstaben
Dei Flut schoß ihm in’s Gesicht,
nd fein setz klopfte hoch auf, wäh
rend ihn der Name die liebliche, an
sutlisze Gestalt der Tröaerin des
selben nor sein geistig-ei Auge au
serle. Mit zitternden Fingern l lug
n das Blatt unt und begann mit zu
IIYMM Interesse It lesen:
« » geehrter here eferendatl
I d! bittet mich, Ihnen an seiner
Stelle III schteibem damit Sie nicht
andert, daß er Sie vergessen und sich
MM XII-M stillt-TM
kg Mk »e « m ge
sam- hsde Es fix-sit in zur it
user Stande. felbst die Feder zu üb
Its. Kurz nach Ihrer-Abreise ertranlte
Alfred. Erst war es die Jnfluenza,
» dann entwickelte sich eine schwere Lun
genentziindung, die den Armen, ob
gleich er nun ja aus jeder Gefahr und
aus dem Wege der Genesung ist, noch
immer an sein Bett fesselt. Es waren
schwere, ausregungsvolle Wochen für
uns. Mama und ich, wir sind wäh
rend der ganzen Zeit gar nicht aus
dem Krankenzimmer gekommen, und
auch jetzt leiste ich Alsred fast den
ganzen Tag über Gesellschaft und lese
ihm vor oder plaudere mit ihm. Auch
von Ihnen haben wir viel gesprochen,
und es hat mich bei dieser Gelegen
heit recht gefreut, zu· sehen. daß Alsred
ein tieferes, weicheres Gemiith besitzt«
als ich ahnte. Sie sollten nur hören
mit welcher Anhänglichkeit er Jhrer
gedenkt und mit welch’ warmer Be:
geisterung er von seinen Unterrichts
stunden bei Ihnen spricht! Daß Sie
viel interessanten frischer und ver
ständlicher gelehrt hätten, als die
meisten seiner Berufslehrer und auch
dem trockensien, langweiligsten Gegen
stande noch eine anziehende, anregende
Seite abzugewinnen verstanden hät: ;
ten. m meisten schwärmt er von den
Geschichtöftunden, in denen Sie ihn
nicht mit trockenen Daten und Zahlen
gequält, sondern eine lebendige, pack
ende Schilderung der Ereignisse gege
ben. Ich habe mir bei Alsred«s Mit
theilungen gedacht, ein wie schöner
Beruf es doch sein muß, in die em
rsiinglichen Seelen der Jugend den
Keim des Guten und Edlen zu legen
»und sie mit Begristerung sur alles
; Schöne und hohe zu erfüllen. Freilich,
Jhr eigentlicher Beruf mag ja dem des
Lehrers an Bedeutung und Erhaben
heit noch vorangehen. Streitigkeiten
zu schlichten, dem Unrecht strafend
entgegen utreten und dem unterm-urt
» ten Re die gebührende Anerkennung
izu verschaffen, das muß ellerdingss
mit hoher, stolzer Befriedigung erst-l
Y len. O, wie beneidenswerth doch die
Männer sind, die sich mit der ganzen
Kraft ihres Geistes und ihrer Seele
mit aller Hingabe und ehrlicher Be
fgeisterung einem hohen, veredelnden
.Berufe widmen können. Es ist ein so
! süßes, ein in allen Fibern und Fasern
ider Seele wohlthuend und erhebend
l durchdringendes Bewußtsein, seine
Pflicht zu thun, sich niislich zu machen.
Ich habe es am Krontenla er meines
Bruders trotz aller Angst o t empfun
den. Doch ich langweile Sie mit mei
nem Geschwäh und Sie werden gewiß
über meine Naivität lächeln. Das wis
sen Sie ja Alles längst und viel besser.
Jch begreise mich nicht, das ist mir so,
ohne daß ich es wollte, aus dem Herzen
nnd aus der Feder geflossen. Ich will »
Ihnen lieber von Alsred’s Krankheit
berichten. Das wird Sie mehr in
teressiren als meine dummen Gedan
ten und Empfindungen. Er hat zwei
Wochen in startem Fieber gelegen und
der Arzt hat sehr bedenklich den Kon
geschüttelt. Aber Alfred’S kräftige
Natur hat ihm glücklich durchgehvlfen.
Furchtbar war es oft in der Nacht,
wenn ich allein bei ihm wachte und die
wilden Fieberphantasien kamen. Da
bei nicht helfen, nichts thun können!
Wie erbärmlich schwach und ohn
mächtig man sich da vorkommt! Gott
sei Dant, daß diese schlimmste eit
vorüber ist. Jn acht Tagen wird l
fred aufstehen können, dann freilich
wird noch eine lange Zeit vergehen,
bis er wieder völlig hergestellt sein
wird. Er ist so furchtbar schwach und
elend, daßer sich nicht einmal allein
aufrichten kann. So große Mühe ich
mir auch gebe, ihn zu unterhalten, er
tlagt doch viel über Langweile. Wie
schade, sagt er häufig, daß eht der
Herr Referendar nicht hier i . Der
! wiirde mich gewiß recht oft besuchen.
xKeiner kann- so interessant erzählen
wie der here Reserendar. Es in
wahrhaft rührend, welche Anhänalich
teit er Jhnen bewahrt, und wie Sie
ihm in Allem als Jdeal gelten. Er
trägt mir viele herzliche Grüße an Sie
aus, undS Sie mdchten doch ja nicht
böse sein, daß er Jhnen nun nicht
»Wort halten kann. Aber sobald sein
Zustand es gestattet, wird er sich be
« eilen, das Versäumie nachzuholen»
Hund Sie möchten doch ja recht bald
; schreiben. Er freut sich schon sehr aus
then Brief. Auch wir meine Eltern
« und ich, werden uns freuen, von Jhnen
xzu hören, wie Jhnen Jhr neuer Aus
enthaltsort gestillt und ob hnen hr
sdortiger Wirkungskreis zu agt. uch
meine Eltern tragen mir die besten
s Grüße an Sie ans. Maina ist von der
Krankheit Alsreds noch recht a Pris
sen Sie begleitet zu ihre-r Erg
Papa ietzt ost ans seinen Fahrten na
dem Honpegartem Papaist ins fieber
’ hattet Arrerung Wir zu hause be
kommen ihn fast gar nicht zu Gesi sicht.
Fluch um das Geschäft tann er ch
kett wenia kümmern, und anze Tage
kommt n gar nicht in die abrit und
ins Komptoir htniiber. Sein Rennstatl
nimm ieht alle seine Thiiti teiit, sein
ointeresse nnd seine Gedane en in An
spruch. Baron von Oett ist sein
steter Begleiter Leider t Papa
oiihet noch wenig Freude an seinem
Stall erlebt. Das große Frühja ei
Meetina brachte ihm eine arge nt
tanseknma In drei Rennen lie
staeten Aber den heißersehnten ieg
I beachte ihm keines der Rennen. —- Sie
W
sehen, ich have mir während der Tisch
gesvriiche bei uns schon gan den
Sportiargon angeeignet. Wenn aron
Oetting bei uns ift, wird von nichts
als von Pserdespvrt gesårochen Mehr
als ich interessirt sich ama für die
Dinge. Sie sollten sie nur hören.
wenn sie mit BaronOetting die Chan
cen der einzelnen Rennen befpricht
und Tivs mit ihm "aufstellt. Jch arg
wöhne sogar, dasz sie durch Baron
Oettings Vermittelung im Geheimen
»sich an den Weiten betheiligt. Papa ist
trotz der bisherigen Mißerfolge voll
froher Hoffnung und in bester Laune.
«Die Thiere müssen sich erst an das
iTerrain gewöhnen, die Joaens mit.
ihnen vertraut werden, überhaupt
muß sich erst eins in das andere ein
leben, saat er. Er ist schon so stolz,
daß jeht in den Sportzeitungen so viel
von ihm die Rede ist und von seinem
neuen Stall. Er sieht sozusagen die
Auge-n der ganzen Sportwelt auf sich
gerichtet. Jch würde ihm ja dieFreude
recht herzlich gönnen, wenn er sich nur
dadurch seinem Geschäft nicht so sehr
esntfremdeta das doch früher seine
ganze Kraft und sein ganzes Densen
nnd Thun in Anspruch genommen
hat! Es scheint mir, als itbe Baron
Oetting in dieser Hinsicht einen un
heilvollen Einfluß auf Papa ans. Jch
will damit gewiß nichts Böses gegen
Ihren Herrn Vetter sagen. er ist ja
gewiß ein Gentlseman nnd beabsichtigt
nichts Schlimm-L Mama ist soaarj
sehr eingenommen von dem Herrn Va
ron und erklärt ihn fiir den vollendet- .
sten Kavalier. Aber ich hin doch,der
Ansicht, Papa hätte sich dem Sport
nicht so weit ergeben und wohl taum
an die Gründung eines Rennstalles
gedacht, wenn ihn nicht der Baron.
dazu angeregt und ihm nicht feinel
Leidenschaft für den Rennsport ein-l
geimpft hätte.
Ader ich plaudere und finde tein
Ende und treibe wahrhaft Mißbrauch»
mit Jhrer Geduld nnd mit Ihrer Zeit. :
Noch einmal: herzlichen Gruß von»
Alsred Ich schließe mich mit dems
meinigen an nnd sehe gleich Alfreds
Ihren Nachrichten mit Interesse ent«
gegen.
gzhre ergebene
Franziska Börner.« ;
Dietrich las den Brief mii wech- !
selnden Empfindungen Zuerst war es (
inniges Mitgefiihl mit dem Erkrank!
; ten und feiner Familie, das ihn warm !
Jdurchfiörinte Er hätte nach Berlin
eilen mögen, um ihm feine Theil
nahme zu bezeugen und ihm über die
Langeweile des Krankenzimmers ein
wenig hinwegzuhelfen. Dann war es
Rührung und ein schmeichelndes Ge
fiibl herzlicher Genugthuung, das ihn
erfüllte, während er Fräulein Fran
zistas Mitiheilungen iiber feines ehe
Hmaligen Schülers treue Anhänglich
ieit durchlas. Als eråu den Sätzen
Ham in den-n die riefschreiberin
il---n eigenen Gedanken und Empfin
dungen Ausdruck gegeben, da rötheien
Tsich die Wangen des Lesenden, und
ldas Interesse, mit dein er bis dahin
den Zeilen gefolgt, steigerte sich zu
warmer Bewunderung Wie lebhaft
sie empfand und wie naiv-ideal und
ichwärmeriich sie dachte! Zweimal
hintereinander las er diese Stellen,
: in denen das junge Mädchen aus sei
inem eigenen Empfindungsleben her
aussprach Zum Schluß, während
der Nachrichten iiber herrn Börner
und iiber Bodo, furchte er feine Stirn,
feine Mienen vediisierten sich mehr
und mehr und ein quälendes Unbe
hagen ver-drängte die freudige, erhe
bende Siirnung. Unruhe und Furcht
vor dein Kommenden fchlich in feine
Seele. Wenn er nur ein Mittel aes
wufsi hätte, um Bodos unheilvollen
Einfluß auf den Hofwagenfabriian-;
ten und auf Frau Börner unschädlich
zu machen, die fich von den äußerlichen !
besteknden Eigenschaften des ehema-:
ligen Offiziers blenden iießen Selbft
Franziska Dornen die doch Bodon
Einfluß auf ihren Vater beklagte, sahj
seinen Genileman in ihm, und wer;
Iweiß, ob sie ihn nicht schließlich mit
jden Augen ihrer Eltern betrachten;
lernte? Und von Neuem bekla te er
Heine Zwangslage, die ihn hi erte
Bodos Treiben durch eine offene, ehr- -
! liche Warnung der Bedrohten ein Ende
lzu machen
Nth an demselben Abend fchrieb
»Dietti:h eine lange Erwiderung auf
iFräuiein Franziska-Z Brief. Er be
Fdanfte sich für die Liebenswürdigieii
lder Brieffchreiberin, die fo freundlich
ifüt den Bruder eingetreten war, ver
lsicherte den Kranken und die ganze
Familie feiner wärmsten Theilnahme
Und beeichtete schließlich über feine
Tbätigleit und feinen Umgangsireiö.
Von da ab entwickelte sich ein reger
Briefroechfel Iwifchen dem Referendar
und Fräulein Franziska Regelmäßig
einmal in der Wache empfing und
schrieb jeder einen Brief. Und mit der
zunehmenden Anzahl wuchs auch der
Umfang der Briefe. Oft entwickelten
sich förmlich liiierarifche Debatten
zwifchen den beiden Korrespondentery
wozu eine gelegentliche Anfraqe Fran
zitlai nach Titeln von Büchern, die
Dieirieh für Alfred zur Lettiire geeig
net halte, die Anregung geFebkern Und
auch in der Fol zeit, als wieder
genefende Seiten ·ne-r die» Beantwor
tw von Dietnchs Brieer felbfi
iibernahnh blieben der Referendar und
bat junge Madchen in beständigem
Gedankenausts«". Die Einleitung
fvrmel »Frau isia meint« war stereo
ivp in Alfre Brieer nnd ganze
Seiten bestanden offenbar in der Wie
gergabe vonlgedaåteensänd stEin n
ungen, we tve et
Bruder foufflitt hatte.
Für Dietrich npwrde diese Korre
spondenz zu einer interessanten, Geist
nnd Gemütb « anregenden Unterhal
tang. Es gewährte ihm einen eigenen1
Reiz, Einblick zu gewinnen in das
Gefühls-leben einer unverdordenen,
rein und tief empfindenden Mädchen
ssaele Leider erhielt der geistige und
i trelische Genuß, der für ihn in diesem
brieslichen Verkehr lag, zuweilen einen
bittren Beige chmacl durch die Mit
theilungen ber Herrn Börner und
ziiber »Baron Oetting« , die Alfreds
Brieer gelegentlich beigefügt waren
Da hies; es einmal: »Noch immer lei
nen Sieg erfochten «Papa wird schon
rrnaeduldig Er ist oft verdrießlich
und schlechter Laune. Ia nenli ch hat
er sogar mit Baron Oetting einen»
kleinen Streit gehabt.«
» »Geftern war ein großer Unglücks
Etag fiir Papa. Uncle Tom ist in
boppegarten an der Steinmauer ge
I stürzt. Das edle Thier mußte auf dem
sfclecl erschossen werden, weil es den
jFusz gebrochen hatte. Papa ist un
i tröstlich Der Renner hatte sechzigtau
z send Mart getoftet.«
« »Pava hat eine neue Erwerbung siir
seinen Stall gemacht. Herotd hat sei
nem früheren Besitzer schon drei erste
Hund vier zweite Preise gewonnen. Er
"tostet nur zwanzigtausend Mart. Ba
ron Oetting sagt: g- lein Geld fiir
den Rennen Michite Woche soll Fre
rold im Großen Preis von Hat-negat
ten starten. Baron Oettina erklärt
. den Sieg für sicher. Auch Papa hofft
sicher aufP eieg und will Herotd start
l sehen se
« »Derold hat sich lcheußlich blamirt.
Er lam als Vortetzter ans Ziel. Papa
ist außer sich und hat mit Baron Oct
ting eine scharfe Auseinandersehung
gehabt. Mit-a meint, der Baron habe
ihn übervortheilt. Herold sei lein
ersttlassiges Pferd mehr, sondern in
valid und sei überhaupt nicht mehr im
Stande, im Rennen als erster zu lan
den. Papa hat große Stimmen der
loren.«
»Papa wollte schon seinen Stall
auflösen. Aber Baron Oetting, mit
dem sich Papa wieder ausoesiibnt bat,
stellte ihm vor, daß das eine furcht
bare Vlamage wäre. In den Sport
btättern ist viel von Papa die Rede
und vom Börner’schen Stall. Neulich
stand eine Notiz in der Sportwelt,
daß der Börner’sche Stall vervoll
ständigt würde, um in der nächsten
FrithjahrssCantpagne niit Ehre be
stehen zu können· Papa weiß nicht,
wie diese Notiz, an der lein wahres
Wort ist, in die Zeitung gekommen ist.
Aber sein Ehrgeiz ist von Neuem
mächtig erwacht und er hat nun wirt
lich beschlossen, neue Antäuse zu ma
chen. Baron Oetting hat ihm meh
rere Renner von Rus vorgeschlagen.«
«Papn hat aus Anrathen Baron
von Oettings eine Anzahl von Pfer
den vertaust und vier neue Renner
eingestellt. Er sieht dem Frühjahr
mit großer Hoffnung entaegen.'«
»Gestern war Frühjahr-s - Gröss
nungs - Rennen. Beinahe hätte die
schöne »Helena«, Papas Favorite, den
großen Preis von Hoppegarten gelan
det. Aber an der letzten Hürde tanr
die schöne »Helena'« zum Sturz und
wurde mit Mühe und Noth dritte.
Papa ist sehr niedergeschlagen. Aber
Baron Oetting tröstet ihn: Schicksals
Tiictr. An dem nächsten Rennen wer
de die schöne «Heleno'« sicher als Sie
gerin hervorgehen.«
»Die Geschästssreunde von Papa
rathen ihm dringend, sich vom Sport
zurückzuziehen und seinen Rennstall
aufzulösen. Das Geschäft soll sehr
gelitten haben. weil Papa nicht mehr
Zeit hat, sich selbst um Alles zu küm
mern. Er soll schon viele Kunden
verloren haben. Aber Baron Oetting
sagt, es wäre ein Wahnsinn, jest zu
rückzutreten, wo die Chancen so gün
stig ständen. Wenigstens müsse Pa
pa noch die Ergebnisse der Saison ab
warten —«
Graf Tsietrich wurde durch diefe
Mittheilnngen, die sich über den Zeit
raum von ungefähr einem Jahre er
fireclten, immer mehr beunruhigt. Bo
do erschien ihm als der böfe Dämon
der Familie Börner, und es wurde
ihm klar, daß der Hofwagenfabri
tant dem sicheren Nuin zufteuere,
wenn nicht bald eine Umtehr erfolge.
Es war ein furchtbar quälendes, nie
derziehendes Bewußtsein fiir ihn, sich
fagen zu müssen, baß es sein Bruder
fei, der mit seinem Leichtsinn und fei
Tner Spielleibenfchaft, wenn es nicht
noch Schlimmeres war, die ihm be
i freundete Familie, der er sich zu Dank
Toerpflichtet fühlte, ins Verderben
iftiiezen werde. Ganz von seinem Un
I willen gegen Bodo erfüllt und von sei
nem Eifer beseelt, die Familie Bör
)ner zu retten, setzte er sich hin und
fehrieb einen langen Brief an Podo,
beschwor ihn. den hofwagenfabritanss
ten nicht zu weiteren toftfpieligens
Ausgaben nnd Wagnissen zu verlei
ten nnd drohte ihm schließlich mit
Entwertung- -
Vergebens wartete er auf eine
Antwort von Bevo. Der Ex-Leut
nant antwortete einfach mit Still
sMeigem Daß die Ermahnungen
feines Bruders wenig Eindruck auf
den Gewissenlofen hervorgebracht hat
ten, bewiesen Alfrebz weitere Mit
theilnngeie
«Papa hat auf Baron Oeitingi
Zureden einen neuen Joceh engagirt
Mr. Glowe heißt et und ioll die fchiine
«.delena« im Kaiser - Rennen zum
Siege führen. Mr. Glanze bezieht
ehe Gehalt, das hoher ift als das ei
nes Ministeri. Wir alle sehen dem
Kaiser-Rennen mit Spannung ent
gegen.«
»Pech über Pech. Mr. Glowe er
klärte, daß die schöne »Helena« die
Fvlgkn ihres Sturzes noch immer
nicht ganz verwunden und gar teine
Aussicht habe, Sieg zu machen.«
»Vorgeftern war das Rand-Ren
nen. Papa hat nicht einen einzigen
Preis bekommen. Er hat sich mit
Baron von Oetting ftark entzweit.
Papa ist wiithend auf ihn und nennt
ihn einen Betrüger.«
»Papas Geschäftssreunde haben
ihm dringend gerathen, seine Betheili
gung an den Rennen aufzugeben und
sich ganz dem Geschäft zu widmen.
Sie wollen ihm sonst leinen Kredit
mehr-gewähren Papa ist sehr erbit
tert und will nun erst recht nicht sei
nen Stall auflösen. Er lafse sich keine
Vorfchristen machen."
Nun trat eine große Pause in der
Korrespondenz ein. Monate waren
vergangen, ohne daß Dietrich aus sei
nen letzten Brief eine Antwort erhielt.
Er selbst war start in Anspruch ge
nommen von seiner Vorbereitung zum
Afsefsorenexamen, dessen Termin im
mer näher heranrücltr. Schließlich
erreichte seine Unruhe über das Schick
sal der Familie Börner einen so un
erträglichen Grad, daß er auf die Ge
fahr hin, aufdringlich zu erscheinen,
ein paar Zeilen an Alfred richtete,
mit der Anfrage, warum er keine Ant
wvrt erhalten habe. ob denn Krank
heit in der Familie oder sonst etwas
dorgesallen fei
Die erbetene Aufklärung lam. Sie
wirkte wie ein Donnerschlag aus’
Dietrich.
»Verzeihen Sie, daß ich so lange
nicht geschrieben habe. Jch hätte nur ,
Trauriges melden tännen Darum ;
schwieg ich lieber. Bei uns sieht es
schlecht. Krankheit ist es freilich nicht,
von der wir heimgesucht sind. Aber
vielleicht ist es etwas noch Schlimme
res. Denn aus Krankheit folgt doch
in den meisten Fällen Genesung. Ob
sich aber Papa von dest Schlag. der
uns bedroht, je wieder erboten wird,
ist sehr fraglich. Papa ist nämlich in
Zahlungsschwierigteiten gerathens Er
hat geschäftlich viele Verluste und
Ausfälle gehabt. Die Fabrik ist ganz
zurückgegangen Der Rennstall aber,
den Papa nun allerdings ausgegeben
hat, und die Weiten haben Unsinn
men verschlungen. Es ist wahrschein
lich, daß Papa wird Konturs anmel
den müssen.«
Dietrich war wie betäubt, als er die
Hiohsbotschaft las. So Schlimmes
hatte er nicht erwartet, wenigstens
nicht in so turzer Zeit. Der Angst
schweifz stieg ihm auf die Stirn, und
aus seiner Seele drang wie ein
Angstgebet der Seufzer heraus:
»Mir das nicht! Nur nicht der völ
lige Ruth«
Folternde Selbstoorwiirfe wurden
in ihm laut. War er nicht Mitschul
dieger seines Bruders? Hätte er die
Ahnungslosen nicht warnen müssen,
wäre es nicht seine Pflicht gewesen,
sie über Bodo’s Charakter aufzuklä
ren und ihnen zu sagen, daß seine
Vergangenheit ihn irgend eines Ver
trauens nicht würdig erscheinen
lasset
Mit geheimern Zittern durchstog
er täglich die geschäftlichen Mittheti
langen der Zeitungen, eine Rubrik,
die sonst sür ihn überhaupt nicht exi
start hatte. Er erschrat bis tief in’s
Jnnerste seines herzens, als er ei
nes Tages unter den Kontursnach
richten die Notiz fand, dasz die Fir
ma »F. Börner, boswagensabri
tant" ihre Zahlungen eingestellts
habe. (
Diese Nachricht wirkte auf ihn wie«
ein Schlag, der ihn persönlich be
troffen. Er tam fich wie ein Ver
brecher vor, als hätte er an Bade-?
schändlicher Handlungsweise Antheil
genommen. Wie follte er den so
schwer Geschiidigten noch je vor die
Augen treten? Hatte er nicht eine
große, unfühnbare Schuld auf sich
geladen? Ein heißes Mitleid über
tam ihn mit der Familie Börner,
besonders mit Alfred und Franziska
Börner, die im Wohlleben und Ile
berfluß ausgewachsen waren und die
nun eine sorgenvolle, diiftere Zü
tunft vor sich hatten. Bitter und
qualvoll war das Bewußtsein, nichts
thun zu können, um den so schwer
Betroffenen zu helfen und ihr har
tet Geschick zu erleichtern.
Es waren bittere, an inneren
Kämpfen und Qualen reiche Wochen.
die nun für Dietrich folgten. Schreck
liche Phantasiebilder quälten ihn bei
Taae und im Traume. Mehr als
einmal wandelte ihn das Verlangen
an, nach Berlin zu reisen, und nur
da- Bewusztseim daß feine Gegen
wart den Un liicklichen nichts nüsen
könnte, hielt i n ab, diesem Antriebe
zu folgen. Er mußte seine ganze
Willenstraft aufbieten, nrn seiner
amtlichen Pflicht nachzukommen und
seine Arbeiten zum Examen nicht
ganz in vernachlässigen
Elftes Kapitel.
Endlich kam der Zeitpunkt, wo
Graf Dtetrich am legten Stadiumj
des juristischen Vorbereitungsdienss
stes angelangt wart feine Verfekuns
an das Kammergertcht Sobald er
sich in Berlin wieder eingerichtet«i
M
i
war es sein Erstes, die Familie Mir
ner aufzusuchen Um die Adresse zu
erfahren, mußte er die hilfe des Ein
wohnermeldeamies in Anspruch neh
men, denn ihre ehemalige prächtig-e
Wohnung im eigenen hause hatte
die Familie des Bankerotieurs nas
iiirlich aufgeben müssen. Es war
seine bescheidene Wohnung in der
dritten Eiage einer der einfachen
Mieihskafernen in der Wöriherftras
ße im Berliner Norden, die der ehe
malige Hofwagenfabrikani mit den
: Seinen bewohnte. Dieirich fand nur
Fräulein Franziska . vor. Alsted
war in der Schule, Herr Börner ar
Hbeiteie bei dem Konkursrnassenvep
waltet und Frau Börner war aus
gegangen, um Einkaufe für die
Wirthschaft zu besorgen.
Graf Dietrich war tief erschüttert,
als er nun zum erfienmale die äußeren
Merkmale des jähren Umschwung-es
fals, der die Familie Börner seit sei
nem letzten Besuch betroffen hatte.
Nur die einfachsten Stücke ihres Mo
biliars schienen sie behalten zu haben.
Der Korridor war eng und dunkel,
die ganze Wohnung klein und nur
dijrstig ausgestattet Auch an Fräu
lein Franziska war der Wandel der
Zeiten nichi spurlos vorübergegangen.
Sie fah blaß und schmalwangig aus;
die charakteristischen Eigenschaften
der Jugend, das Frische, Heitere,
Sorglofe war einem ernsten, resignir
ien Wesen gewichen. Es war ein mü
der, freudloser Zug in ihrem Gesichi,
ein Ausdruck von Abgefvanntbeii, der
bewies, daß sie viel Schmerzliches und
Unerfreuliches erfahren, daß viel Leid
und Kummer, viel Aufregung nnd
Mühe über sie gekommen war.
Nrfchüitert fiand ihr Dieirich ge
genüber und rana vergebens nach
Worten. Sie war es, die ihn zuerst
begrüßte
»Herzlich willkommen. Herr dreie
rendat!« sagte sie und reichte ihm mit
einem schwachen Lächeln die Hand
»Sie finden leider Vieles bei uns ver
ändert-"
sFortseßung folgt.)
Ierieneotonten und Geldscha
len in Deutschland
Aus Berlin wird uns geschrieben:
Eher, wie in den Vorgahrem be
aann diesmal die Abreise er Ferien
tindet, von denen schon ein gut Theil
Berlin verlassen hat. Das war wie
der ein Gewidbel und Getribdel bei
der Abfahrt und eine helle Freude
bei den Kleinen, Berlin entweichen
zu können und hinaus zu diirfen in
die ferne, schöne Gotteswelt, welche
ja fiir die meisten von ihnen bisher
ein Buch mit sieben Siegeln war
Darauf darf die Reichshauptstadt mit
Recht stolz sein, daß sie auf Grund
freiwilliger, stets gern gegebener
Spenden in von Jahr zu Jahr wach
sendem Maße den Kindern der Anm
sten einen längeren Aufenthalt an
der See, im Wald, im Gebir e er
möglicht, damit nicht nur-die örper
gesunden, sondern auch die jungen
Seelen neue, wohlthätige und nach
wirkende Eindriiete empfangen-dass
ist soeiale Nächstenhilse in der schön
sten, nacheifernswerthesten Weise.
Und das gute Beispiel hat f on in
anderer Pensrcht wichtige Frir te ge
stutzt, o hat u. a. der Verband
erliner Specialgeschiifte ein in
schonster Gegend gelegeneö Grund
stück und Landbaug erworben, wel
ches zunächst den weiblichen An
stellten als Ferienheim dienen wir «
und man darf wohl annehmen, dalk
unsere großen Waarenhäuser ba
ghniiche Einrichtungen treffen wer
en.
Mit den Waldichulen aing aleichs
falls Berlin den übrigen Weltsiiidten
voran. Die im lesien Herbst eröff
nete erste derartige Schule auf
Eharlottenburger Gebiet, mitten im
Forst gelegen, hat sich derart be
währt, daß man in Kurzem an die
Errichtung mehrerer solcher Schulen
gehen will. Vorläufig erfreuen sich
120 Kinder, den ärmsten Klassen ent
ftamniend, des »freien« Unterrichts,
der, in leichten Holzbauten ertheilt,
nur zwei Stunden täglich uin asztx
aber er zeitiåt dieselben Ergebnisxf
wie in den eineindeschulen. da je e
Klasse nur 20 Kinder enthält, denen
sich die Lehrer selbstverständlich ein
gehender widmen können, als wie bei
der drei- und viersachen Zahl. Die
iibrige Tageszeit wird mit gemein
samen Spielen, Spaziergängen etc.
ausgefüllt, die Verpslegun ig eine
gute und träfti e, der täin e etrag
dafür ward an 50 Pfenni an esest,.
da aber die Mehrzahl ger ltern
der tranken Kleinen hierzu ni t in
der Lage ist, begnügt nian si mit 20
und 10 Pfennig oder verzi tet auch
völlig daran . Eine tleine Bade
anstalt mit tause- und Soolbiidern
ergänzt die muster ilttge Einrich
jtuna, und besondere gen der elek
trischen Stra enbahn sorgen site die
hin- und R cksahrt nach deni Kin
Jder-J»dull unter den würzigen Tan
;nenbauinen.
—.—
Es iebt doch noch echte S d ,
die beti let er Reibung fehcizenze eifn
Feuer gerat n.
si- s
«Willy, dn bist aber wirklich ein
lieber«Junge«, sagte der junge Mann,
der die Familie zum ersten Male be
suchte. »Ach, das sagt jeder, wenn et
meine Schwestetr tennen lernt.«
I til
i Es ist besser, ein Ko llo ,f« ( - ,
Wohllon zu sein« h Pf a s ein