Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, July 14, 1905, Sweiter Theil., Image 14

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    Um der Mitgift willen.
Original-Roman von Akthur sapp.
(8. Windung-)
Er legte einen Rachdeuck auf das
,Sie«, der der jungen Frau jedoch
vollftiindig entging. Jhr brannte
der Boden unter den Füßen. Sie
verabschiedete sieh mit einem flüchti
gen händedruck. Auf der Treppe
mußte Clara eine halbe Minute ra
sten und sich am Geländer festhalten,
um nicht zu Boden zu sinken. Kein
Zweifel mehr, ihre Heirath war von
Axels Seite keine Liebesheirath, und
die in ihrem Konto figurirenden 10,
000 Mark stellten den Lohn dar für
Herrn -Haberlorns Bemühungen
Sie griff sich an die fchmerzende
Stirn und stöhnte. Aber dann biß
fie die Zähne zusammen und be
ang mit energischer Willens-an
rengung den Taumel und die
Schwäche, die fie anwandelien. Nun
drauchie sie noch die Beweise und die
unumftiißliche Gewißheit darüber,
wer von Beiden, der KonsuL ihr On
kel, oder Axeh ihr Gatte, die Hilfe
des denn Haberlorn in Anspruch ge
mmen hatte.
Es waren nur wenige Schritte org
zur hauptfiraße. Die Hausnuw
mer erfuhr Clara von einem Vor
iibeegehenden auf der Straße. Das
Fieber glühte ihr in den Adern und
das herz schlug ihr fo heftig, wäh
rend sie die Treppe zur Wohnung des
Herrn Haberiorn hinaufschritt, daß
fee alle paar Stufen Halt machen
mußte. Oben öffnete ihr ein Dienst
mädchen, die sie auf ihr Begehr in
das Gefchäftszimmer des Herrn Ha
bertorn führte.
Clara fah sich einem älilichen ha
geren Herrn gegeniiber. dessen ste
chende, forschende Augen und dessen
lauernde, witternde Mienen ihren un
williiirlichen Widerwillen erregten.
Der Ekel stieg in ihr auf. Aber sie
zwang sich zu der ruhigen Frage:
«habe ich das Vergnügen Herrn
Daderkorn zu sprechen?«
Der Rentier dienerte höflich. Daß
eine vornehme Dame feine Dienste in
Artme zu nehmen kam, war eine
Seltenheit. Jhm schwirrte etwas von
einem großartigen glänzenden Ge
schäft
ifWomit kann ich Jhnen dienen,
Insde Frau?« fragte er zuvorkon1
wend. feinen Besuch zugleich mit einer
freundlichen Handbeioegung einla
deud, auf dem bereit stehenden Stuhl
Pius zu nehmen.
Clara beqchtete jedoch die Einla
dung nicht; ihre Absicht war, ihre
Angelegenheit so schnell als möglich
Du erledigen.
»Ich bin Frau von Düringshofen,«
begann sie ohne eine weitere Einlei
tung. »Sie haben früher mit meinem
Mann in Gefchäftsverbindung ge
Mindenk
Herr Habeetorn blickte überrascht
auf.
»Pardon!« ries er. »Jetzt erkenn
ich Sie, gnädige Frau. Jch stand so
wohl zu Jhrem Herrn Gemahl als
auch zu Jhrem seligen Herrn Onkel,
dem Herrn KonsuL in geschäftlichen
Beziehungen Der Herr Konsul —«
»Sie haben meinem Manne Geld
geliehen?·« unterbrach ihn Clara un
geduldig.
Der Rentier lächelte süsslich
»Nun ja, gnädige Frau. Jch bin
dem herrn Baron einige Male gefäl
lig gewesen. Der Herr Baron hat
Alles gezahlt aus Heller und Pfennig.
O, der Herr Baron ist ein Gentleman
—·—— ein Ehrenmann ——«
Die junge Frau schienen die Lob
preisungen ihres Gatten aus diesem
Munde nicht gerade angenehm zu be
rühren, denn ihre Stirn runzelte sich
unwillkürlich
«Sie haben noch in —- in anderwei
tiyr geschäftlicher Beziehung zu ihm
gestanden,« sagte sie. während ihre
Iassen Wangen sich dunkler färbten.
Der Rentier machte eine Bewegung
der Ueberraschung dann gab er sich
den Anschein, als suche er in seiner
Erinnerung und nun zuckte er mit den
Achseln
«Daß ich nicht wüßte, gnädige
Freud'
Aber Clara sah ihn nun ihrerseits
scharf und durchdringend an. Und so
sehr-sie auch innerlich von Abscheu er
. Æstvairysie brachtees doch fertig, zu
Nin und in leichtern, fast heiterem
Its zu sagen: »Sie brauchen vor mir
M Dei-Wie qupielem Herr habet
M M Wenn hat rair Alles er
M und H weih daß ich mein Gliick
MADE .
s- den kleinen grauen Augen des
-Wmiiileri blitzte es aus;
tier ist nächsten Moment zeigte er
M eine verständnißlose, ungläu
Usi W. ·
M verstehe Sie viehi, gnädige
W« ers-idem er direkte
Mist neu-sie eine Weste der Unge
W ZU M- MS si- M argwöh
Æi W« Mem Zuch- visit
so rasch zu einem offenen Geständnisz
bringen würde. Sie fette sich, und
mit der den Frauen in allen Lagen ei
genen Berstellungslunst fuhr sie fort,
eine freundliche, zutrauliche Miene
heuchelnd: »Ich bin gekommen, um
Sie um Jhren Beistand zu ersuchen,
wie es seinerzeit mein Mann gethan.
Jch habe nämlich eine Freundin —- sie
ist schon vierundzwanzig Jahre, und
ich mischte sre recht bald so glücklich
sehen, wie ich selbst es bin.«
Ueber das Luchsgesicht des Hei
rathooermittlers glitt ein rasches Aus
leuchten. Er neigte sein Haupt, um
sich kein Wort entgeQn zu lassen und
hörte mit Spannung und Interesse
öU "
»Der Herr Baron hat Jhnen also
erzählt —?« fragte er, dennoch vor
sichtig zurückhaltend.
Alles hat er mir erzählt,,« fiel Cla
ra mit trampfhaftee Hast ein, »wel
chen Antheil Sie an dem Zustande
kommen unserer Heirath hatten, und
auch das hat er mir mitgetheilt, daß
Jhre Bemühungen mit dem Betrage
von zehntausend Mart belohnt wur
den und zwar am zwölften November
achtzehnhundertsechsundneunzig.«
Herr Habertotrn saß einen Augen
blick starr vor Ueberraschung- Dann
aber erhob er sich und eilte mechanisch
an seinen eisernen Geldschrant, dem
er sein Hauptbuch entnahm. Er legte
den gewichtigen Folianten aus den
Tisch und blätterte.
»Es stimmt,« sagte er endlich, »am
zwölften November war es, achtzehn
hundertsechsundneunzig.«
Ein Schatten senkte sich plötzlich auf
seine markirten Züge, während er hin
zufügte: »Eigentlich hätten es zwan
zigtausend sein sollen, aber der here
Konsul hat mir die volle Hälfte abge
zwackt, ganz gegen den Vertrag, den
ich mit dem Herrn Baron geschlossen
hatte.«
Ein leichtes Noth stieg in die mage- "
ren Wangen des Heiraihsvermittlers.
Die Erinnerung an den Verlust schien
ihm noch heute, nach zwei Jahren,
großen .- Verdruß zu bereiten. Er
hatte sich ganz in Eifer geredet. Wo
zu hätte er sich auch noch Zwang aus
erlegen sollen, da die Dame ja doch
in Alles eingeweiht hatte. Und so er
zählte er, seinem grollenden Herzen
Lust machend, weiter: »Der Herr Ba
ron war ja ein Kavalier und hätte
mir gewiß von selbst keinen Pfennig
abgezogen, aber der selige Herr Kon
sul war mehr Geschäftsmann, und ein
paar Tage vor der Verlobung ließ er
mich zu sich kommen. »Herr Haber
iorn,« sagte er zu mir, »es ift ein
Sündengeld, das Sie bei der Sache
verdienen, fünf Prozent von vierhun
derttausend Mark. Der Baron hätte
sich nicht zu einer so Unverhiiltnißmä
ßig hoben Provision verpflichten sol
len. Jch bitte Sie, Frau Baronin,
fünf Prozent! Was sollte ich machen?
Jch befand mich in einer Zwangslage,
denn der Herr Konsul erklärte mir
allen Ernsteö, wenn ich nicht minde
stens die Hälfte nachließe, so würde er
nie nnd nimmer seine Einwilligung
zur Verlobung geben Sehen Sie,
Frau Baroninz so kam ich um zehn
tausend Mart.'« I
Herr Habertorn strich mit der zit
ternden Hand iiher die fchweißbedectte
Stirn. Die Erinnerung an die ihm
widerfahrene Unbill hatte ihn tief er
regt. Zehntaufend Mart mehr oder
weniger! Es war keine Kleinigkeit ge
wesen.
Clara athmete schwer. HeißeScham
und würgender Ekel stieg in ihr auf.
Ihr Geschick, ihre Ehre war zum Ge
genstand eines Handelsgefchäftes ge
macht worden. Die Gestaltung ihrer
Zukunft hatte von der Höhe gewisser
Prozente abgehangen. Sie hatte die
Empfindung, als ginge ein Riß durch
ihre Seele und als erfrarre ein Gefühl
in ihrer Brust, das sie bisher mit
Wärme und Luft und Freude erfüllt
hatte. Aber mit übermenschlicher
Willensanftrenqung beherrlchte sie sich.
Aeußerlich ganz ruhig, während sich
keine Muskel in ihrem Gesicht bewegte,
redete sie den ihr Gegenüberstehenden
an: »Ich bedauere, Herr Habertorn,
daß Ihnen vorenthalten worden ift,
was Ihnen nach hrer Erllärung
rechtlich zukam. Al o mein Gatte
hatte Ihnen wirklich fiinf Prozent zu
gesagt?«
Der Heirathsoermittler schlug in
der Erregung mit der Hand auf das
vor ihm lie ende Buch.
«Fiinf rozent Ihrer Mitgift!
Wenn ich Ihnen fage, gnädige Frau
Jch hab-i ja fchwars auf weiß.«
Er eilte abermals nach feinem
Gewfchrant und lramte eine Weile in
feinen wichtigen Geschäft-passieren
Endlich brachte er ein Schriftftäel
W Viertel-ein« mit dein er zu der in
heimlich-r Spannung Berharrenden
suriicktehrte . «
»Sieh Frau Baronrnlk rief er tei
unwhirteäd Jeden Sie selbst; fiinf
Proz-n .
Das Herz fchlus der un lückli en
Frau bis sum hafe hinauf und ie
Buchstaben verschwammen vor ihren
flimmernden Blicken, während sie das
Datument in die band na m. End
lich gelang es ihr, fich zu affen, und
sie durchlas den Vertrag, der einft
zwischen ihrem Gatten und dem geei
rathsvermittler abgeschlossen war n
war, Wort für Wort
Axel verpflichtete sich darin, dem
Heirathsvermittter fünf Prozent von
Iihrem —— Clarcks —-- Vermögen aus
zuzahlen. falls die durch Herrn Ha
dertorn einzuleitende Bekanntschaft
zur Ehe führen würde.
Wunderbar, wie fehr sich die
schlanke, vlasse Frau in der Gewalt
hattet Nur ein klein wenig zitterte
das Blatt in ihrer Hand, wa rend sie
zu Herrn Habertosrn sagte: » ch sehe
Sie haben die Wahrheit ge prochen.
Ihnen ift Unrecht gethan. Ich halte
es für meine Pflicht, Ihnen nachträg
lich den Rest der Jhnen zugesicherten
Summe auszuzahten.«
Herr Habertorn wußte nicht, wie
ihm geschah. Die helle Freude blihte
aus seinen Augen und er schlug die
Hände staunend und bewundernd zu
samtnen
»Wirklich, eFrau Baronin,« ries er
im Ueberschwang des plötzlich unver
mutheien Segens, der sich über ihn er
goß. »Das wollenSie thun? Jch halfs
ja immer gesagt. Herr Baron, habe
ich gesagt, Sie bekommen einmal eine
Perle von einer Frau. Rechten Sie
nicht mit mir um die Prozente! —
Sie sind eine edle, hoch-herzige Dame,
Frau Baronin!«
Clara runzelte die Stirn
- »Ich habe noch eine Bedin ung,«
erklärte sie und sah den ihr gen
iiberstehenden mit strengem. verächtli
chem Blick an. .
Der Heirathsvermittler bekam einen
Schreck.
«Frau Baronin —-«?« lallte er aus
geregt.
»Sie müssen mir das Schriftstiick
hier überlassen. Dagegen verpslichte ich
mich, Ihnen in drei Tagen den Be
trag von zehntausend Mart behändi
gen zu lassen.«
Herr Haberlorn stutzte zwar, aber
er besann sich nicht lange. Sie« wußte
ja doch schon Alles, und ihm konnte
es schließlich aleichgiltig sein. wozu sie
den Vertrag da, der ja längst erledigt
und werthlos war, benutzte
,.Gut, Frau Baronin,« erwiderte er
schnell und machte mit seinen beiden
tnochigen Händen eine zuschiebende
Bewegung, »behalten Sie ihn, nehmen
Sie ihn! Und nun haben Sie wohl die
Gäte, e’frc«u Baronin, und gehen es
mir schriftlich.'«
«Schristlich? Was denn?" sragie
Clara erstaunt.
»Nun, wegen der zehntausend
Mart, die mir der selige Herr Konsul
seiner Zeit abgezogen hat. und die
mir die gnädige Frau ——"
Herr Haberkorn unterbrach sich, als
er sah, daß die Dame eine heftige Be
wegung des Unwillens machte, und
erklärte süßlich, iatzenbuckelnd: »Nicht,
als ob ich an dem Wort der anädigen
Frau Zweifeltr. Bewahrek Es ist nur
der Ordnung wegen-«
Damit eilte er auch schon an den
Schreibtisch und warf ein paar eilige
Zeilen auf einen Bogen Papier, wäh
rend Gara, die sich bereits zum Weg
gehen erhoben hatte, ungeduldig aus
und abschritt und sich mit den Zähnen
die Lippen blutig nagte.
»So, gnädige Frau! Bitte freund
lichst hier zu unterzeichnen!«
Herr Haberlorn hielt der Dame
einen Federhalter hin. Clara unter
schrieb, ohne zu lesen, und wollte zur
Thür.
»Aber, gnädige Frau,« ries ihr-Herr
lHabertorn nach, »Sie wollten ja doch
noch mit mir iiber eine andere Sache
sprechen — von einer - reundin, die
Sie gern verheirathet ehen wollten.
Ich habe gerade jetzt ein paar sehr
gute Reslettanten an der Hand, prirna,
sein, sein!«
Clara hatte sich aus der Schwelle
umgedreht. Daslistige, schmunzelnde,
witternde Gesicht des prositsiichtigen
Geschäftsnsmneö erschien ihrer aus
geregten Phantasie wie eine grinsende
Teufelssraszr. Erst setzt kam ihr die
Erinnerung an den Vorwand, dessen
sie sich bedient hatte, um die Wahr
heit aus dem heirathsvermittler
herauszubeiomnien
»Ein ander Mal,« stieß sie hastig.
voll Etel, hervor, »ein ander Moll«
Ohne besonderen Willensait, rein
mechanisch schlug Clara einen anderen
Weg als den nach ihrer Wohnung ein.
Sie mußte ja zunächst mit sich in’s
Klare kommen über die Fuge, was
nun zu geschehen habe. as freilich
stand in ihr sest als unerschiitterlicher
Entschluß: sie würde teine Minute
länger, als unbedingt nöthig war, in
der Nähe des Mannes leben, den nicht
Liebe veranlaßt hatte, unt sie zu wer
ben. sondern nur gemeiner, materieller
Eigennutz, der sich nichtseschämt hatte,
ihre Zukunft,·ihr Glii um Gegen
stand eines ordiniiren åchachers zu
machen. Auch sie empfand kein wei
ches, wärmereö Gefühl mehr siir ihn.
Jnr Gegentheil, sie verachtete ihn, sie
verabscheute ihn, sie haßte ihn. Nie
in ihrem Leben hatte sie einen so hef
tigen Schiner-. eine so schneidende
Eint-Braun eine so brennende Scham
empsunden wie seht. Bett e»n um
das Glück ihres Leben-, schienst lich be
trogen von dem Manne, in dem ihr
ahnun loseh leicht laubiges Herj
das deal eines annei verehr
hattet Rie, nie wieder wollte·sie i n
sehen, nie wieder die schmeichelte e
eisen- , die so staut-hast zu
M ver and. Was zwischen hnen
nojzti eilediwn war-, das solite it
sen eine seen-de Person des-IV
Ihrr als cis-ro nun nach-u nieu
begann, regte sich doch eine unitbersi
windliche Schle in ihr. Wem solltes
sie sich anvertrauen, wem eingefiehen, »
daß sie das Opfer eines irupellosens
Mit «ftjiigers worden? hre TanteH
die k rau Kon ul wäre die nächste ges s
wesen. Ein he tiger Widerwille jedoch 1
erfallte die G belnde bei dem Gedan
len, ihre Tante in das, was geschehen,
einzuweihen Die alte Dame war so
umständlich. Zudem war sie von
Axel sehr eingenommen und sie witrde (
ihr möglicherweise zureden, die Dinge
zu lassen, wie sie waren. Aber davon
konnte nie — nie die Rede sein. Nie I
wiirde sie Aer vergessen tönnen—, wiel
bitter er sie enttiiuscht hatte. Jhret
Hand streifte unwillkürlich an das in s
ihrer Tasche tnisternde Papier. Besaß »
sie nicht den Beweis seines unedlen,
heuchlerischen, niedrigen Charakters
schwarz aus weiß? Jede Fiber in ihr
empörte sich bei der Möglichkeit, ihm
je wieder unbefangeu, freundlich be
gegnen zu sollen
Noch viel weniger als ihre Tante
mochte sie den Amtsrath ins Ver
trauen ziehen. Sie sah schon im Geiste
die höhnische, schndensrohe, triumphi
rende Miene der totetten Kousine
Arelo. Nein, diesen Triumph wollte
sie ihr nicht gönnen. ileberhaupt Nie
mand sollte von der Schmach wissen,
die ihr widerfahren war. Jhr teufches
Herz bebie davor zurück, irgend Je
mand in ihr anneres blicken zu lassen,
vor fremden Augen die blutende
Wunde ihres Herzens zu enthüllen.
Es mußte sich irgend ein Vorn-and
finden lassen, unter dem man äußer
lich ruhig auseinanderging, ohne daß
man ie einer fremden Seele den siir
sie so demüthigenden wahren Grund
offenbarte. Und darum mußte sie sich
doch dem Schweren unterziehen, mit
Arel selbst Auge in Auge das Weitere
zu berabreden.
Arel war schon vom Dienst zurück,
als Clara zu Hause»anlangte. Er
eilte ihr entgegen und wollte sie nach
seiner Art freudig, zärtlich begrüßen
Aber eine Handbewegung von ihr und
mehr noch ihr Aussehen scheuchte ihn
zurück. Ihr Gesicht war noch bleicher
als gewöhnlich und trug die Spuren
durchiittener seelischer Erschiitternng.
»Was hast Du, Schatz?« fragte er
erstaunt, bestürzt.
Sie athmete tief. Ein schwache-s
Noth belebte die Farbe ihrer Wangen.
Ihre heftige Geniiithsbewegung ver
hinderte sie am Sprechen Wenn nur
erst der Anfang heraus wäre! Dir
Brust war ihr wie zugeschniirt
Mit zitternden Händen legte sie Hut
und Cape ab. Wieder näherte er sich
i ihr, um ihr behilflich zu fein.
»Laß dass« gebot sie mit müder-,
tonloser Stimme nnd mit einer so
leidenden, tummervollen Miene, daß
es ihn unwillkürlich durchfröfteltr. Er
fah sie cvortlos, aus starren, weit ge
öffneten Augen nn.
Jetzt wandte sie sich zu ihm herum;
sie guckte heftig zusammen bei seinem
Anblicks es war ein vlötzlicher Krampf,
der sie ergriff, und sie litt innerlich so
unendlich, daß ihr der Schweiß auf
die Stirn trat.
»Aber was-—was iit denn vorge
fallen, Clara?« rief Axe1, erschreckt
und ernstlich beunruhigt.
Sie hielt ich mit ihrer linken Hand
an der Leh eines ihr nahestehenden
Stuhles. Jhr Gesicht neigend, um
ihn nicht anblicten zu müssen, bra te
sie mühsam, aus gurgelnder Ke le
hervor:
»Ich wollte Dir niittheilen, daßieh
morgen mit Reinhold nach Carlähagen
abkxisczä —
Er sab sie versiändniszlog an, zwei
selnd, daß er recht vernommen habe.
»Noch CarlshagenZ Aber meine
Uebung dauert ja noch drei Wochen.
Warum willst Du denn voranreisen?«
Sie hefteie noch immer ihren Blick
aus den Fußboden und that ein paar
hastige Athemziige.
»Ich will Dir nicht boranreisen,«
entgegnete sie, »ich will in Carlåhagen
leben mit Reinhold ohne Dich.«
Er that unwillkürlich einen Schritt
nach vorn und griff mit beiden Hän
den an seine Stirn.
IV· verstehe Dich einfach nicht,
Claras Was soll denn das Alles
l,eis;en?«
Sie erhob den Blicl zu ihm. Kalt
und seft sah sie ihm jetzt in die Augen.
»Das soll beißen, daß ich nicht mehr
mit Dir leben will, daß ich nicht mehr
mit Dir leben tann.«
Er taumelte zurück und starrte
schreckensvoll nach ihr hin, als fürchte
er, sie habe plötzlich den Verstand ver
loren.
»Aber warum — warum aus ein
mal?« stiesz er euchend hervor.
»Weil —-—,« te sentte unwillkürlich
wieder ihren Blick, und ihre Stimme
sont zum Flüsterton herab, —,,weil
ich erfahren habe, daßTu mich gehei
rathet hast nicht aus Liebe, sondern
um meines Geldes willen.«
Er stand einen Augenblick sprachlos,
wie gelähmt. Sein Gesicht wurde
todtenbleich.
»Wer —- wer sagt dast« brachte er
endlich stammelnd hervor.
Jhre Stirn zog sich in tiefe Falten,
ihre Nasenfliigel vibrirten, ihre in
ger griffen nervös an ihrem N eide
herum. Jede Miene in- ihrem Gesicht
drückte deutlich aus, wie peinlich ihr
diese Erörterung war.
»Ich weiß e5," antwortete sie, ihn
noch immer mit ihrem Blick vermei
dend. »Du weißt ei auch. Wozu eine
Thatsaehe weiter erörtern, die feststeht
und die- ztr leich sitt uns Beide so we
nig-wen g schtneichelhast ist?«
Ein hefti r Ruck ging durch seine
habe, elast sehe Gestalt. Das Blut
schoh i wieder tr« Gesicht und
laut, l denschaftlich rief er:
»Es ist nicht wahr, sage irh Dir.
Es i niGt wehe. Man hat Dich ge
änan man hat übertrieben.«s—
» te gri tn ihre Tasche; ein ver
aehtliehej ächeln guckte dabei um ihre
Mundwinleh Sie entsaltete das
Schriftsttich das sie zum Vorschein
brachte, undxhielt es ihm hin.
Er nahm es, sah es an und er
bleichte. «
«Wie?« ——· stammelte er betreten
—- «ivie kommst Du dazu?«
Sie zuckte mit den Achseln, ohne zu
antworten.
Plötzlich tam ein Wnthansall iiber
den Mann. Er zerriß das kompro
inittirende Dotument in Stücke .
»Der Schust, der FallnnteN
knirschte er. »Er hat eine rpressnng
gegen Dich verübt, eine schändliche
Erpressnng.«
Sie schüttelte mit dem Kopf.
, »Du irrs entgegnete si'e, und niit
einer stolzen. zurückweisenden Hand
bewegung und einem leiten Klange
von ätzender Ironie fügte sie hinzu:
»Uebrigen«5, es lommt jetzt gar
nicht daraus an, welche Motive den
Herrn Habertorn bewegten, mir das
interessante Dotument anszuhändiqm
Die Thatsache selbst kannst Du jeden
falls nicht mehr leugnen.«
Und als er nichts erwiderte, sons
dern nur schweigend sein Haupt senkte,
schlug sie, von tin-willen, Empörnng
und schmerzlichem Schamgesiihl über
wiiltigt, ihre Hände vor das zuckende
Gesicht und brach in ein heftiges:
»ani! Psuit Psnil« aus.
Der große breitschnltrige Mann er
bebte, und eine dunkle, slammende
tslicgthe ergoß sich über sein ganzes Ge
i t.
»Ich gebe zu,« sagte er langsam,
fast zögernd, »daß es nnschön von mir
war, ein solches Schriftstücl zu unter-s
zeichnem mich überhaupt mit diesem
Menschen einzulassen, aber —« «einc
Augen erhoben sich zu ihr und keine
Stimme nahm einen festeren, lauteten
Klang an —,,Du bist ungerecht, Dn
legst diesem Menschen nnd dem Datu
ment, zu dessen Unterzeichnnng er mich
zwang, eine zu große Bedeutung bei
Es handelte sich siir mich damals nur
darum. Dich kennen zu lernen. Die
volle Freiheit meines Handelns hatte
ich mir ausdrücklich vorbehalten.
Ueberhaupt, in der ganzen Angelegen
heit that dieser Herr nichts weiter, als
drsis er meine Bekanntschaft mit Dei
neni Onkel veremittelte. Das war Al
les. Alles liebrige hing von dem Ein
druck ab, den Du aus mich machen
würdest nnd ich aus Dich."
Entsetzung folgt.)
Am deutschen Kaiser-hob
Ein Zufall fügt es. daß in den
Tagen der Kronprinzewhochzeit der
Pariser Gaulois aus den bisher
nnveröfsentlichten Lebenserinneruw
gen des Generals Caillot einen Ab
schnitt wiedergiebt, der von der
Hochzeit des jetzigen Kaiser-s- han
delt. Caillot befand sich damals
— in den Februartaaen des Jahres
1881 — als Mitglied der französi
schen Spezialgefandtschaft in Berlin
und schildert seine Eindrücke am deut
schen Kaiserhofe in folgender Weise:
Ende Februar 1881 -— ich war da
mals Kommanedeur der zweiten
Chasseurbrigade in Luneville — wur
de ich durch eine Depefche nach Paris
berufen, um dort einen der angenehm
sten Aufträge zu empfangen. Ich Ivar
bestimmt, unser damaligen«Bot
schaster in Berli herrn von Samt
Vallier bei den hochzeitsfeierlichteiten
am Berliner Hofe zur Seite zu stehen.
Jch freute mich sebr über diesen
Auftrag, denn ich hatte nun Gelegen
heit, den Berliner Hof in seiner gan
zen Pracht nnd auch ein bischen von
der deutschen Armee zu schen, die uns
Zehn Jahre vorher geschlagen hatte.
it mir reisten der Komsnandenr
Falsch Ordonnanzoffizier des Präsi
denten Grevn, und Konnnandant Rau
vom großen Generalstab.
Vor meiner Abreise empfing mich
Barthelemy Saint-Hilarie, unser Mi
nister des Auswiirtigem Er unter
richtete mich iiber die schwebende-i po
litischen Geschäfte fiir den Fall, daß
man mit mir iiber iie reden würde,
Am Z4. Februar kam ich in Ber
lin an. Jch erfuhr, daß vorn 25. Fe
bruar bis zum 1. Mär-I ununterbro
chen Diners, Galavorstellungen, Fest
tonzerte stattfinden würden. Außer
dem hatte ich viele Besuche bei Mini
stern, Fürstlichleiten und den Ge
sandten anderer Länder zu machen.
Empfangen wurde ich nur vorn
Feldmarschall Grasen Moltte. Er
wunderte sich, dasz ich, der aus der Jn
fanterie hervorgegangen war, eine
Kavalleriebriaade tonunandirtr. Jn
der That toar das ein seltener Fall,
aber ich war 47 Jahre alt, und harte
noch viel zu lernen. Dann sprachen
wir von unseren Versuchen, südaineri
tanische Pferde zn verwenden. Moltte
ist 80 Jahre alt und in den vorigen
Herbslmanövern machte er noch seine
50 Kilometer zu Pferde. Bisntarct
war nicht in Berlin.
Bei verschiedenen Gelegenheiten
lernet ich die Generale Bronsatt von
Schellendorss, von Lee, Verdy duVen
noij kennen« mit denen ich über ihre
ausgezeichneten militärischen Werte
sprach. » »
Nach den Visiten tamen die Vorstel
lungen bei Dose. Ein Geile-wagen
anz aus Glas, a la Daumont be
nannt, mit Sofszenreiter und Lakeien
nahm de Saint-Vallier und mich aus«
Das erste und. letzte Mal in solcher
Cauipage durch die Straßen Berlinöt
Wir fuhren über die Linden durch
eine dicht aedriingte Menge, die stch
nicht genug wundern konnte, daß ein
Mann in französischer Untsorm in
einein solchen Wagen saß.
M«
Jm Palaiz macht eine Eis-entom
pagnie die Honneurs. Was find M
fiir Soldaten! Wie handhaben sip
die Waffen! Und die Kann-tande
jtimme des hauptmannesz streng
charf, befehlihaberifch. wie irn Horn
. . . und die Dannan foiz eeet
Wir gehen durch glänzenden
Salons5 ohne warten zu milfo
werden wir der Kaiserin und »Unse
rem Fris« vorgeftelli. Ader an der
Schwelle des Saales, in dem der
Kaiser uns empfangen will, giebkt
einen Aufenthalt. herr von Pers-on
chek ist da und späht durch die Thür
spflte Endlich öffnen sich die Flüs»
ge . :
Der Kaiser hat den Großkordon det
Ehreniegion angelegt, groß, stattlich
und machtvoll steht er da, trotz feiner
84 Jahre. Saint-Vallier hält seine
Ansprache. deren Text er in fernen
Botschafterhut trägt. Ernst hört der
Kaiser zu, er antwortet mit einiqen
offiziellcn Werten. Dann wechselt er
Ton und Haltung:
»Ich habe Sie warten lassen, meine
Herren. Sie sehen, ich habe den
Großiordon angelegt, um Sie hier zu
empfangen Dort in einein Neben
zimmer steht mein Stammerdiener.
Auf seinem Arm hat er die Großin
dong aller Länder, deren Gesandt
lchasten ich heute empfange. bei jeder
muß ich ein anderes Band anlegen.
Als ich eben das spanische Band ab
iegte, hat mir der Kammerdiener die
Epanlctte abgerissen, und nun muß
ten wir sie erst mit einer Stecknadel
wieder fest machen. Das ist eine
schwere Sache. Sie sehen nun selbst,
warum ich Sie warten lassen mußte.«
Und der Kaiser driictt uns die
Hand. Die Kaiserin ist sehr liebens
würdig. »Unser Fritz« ist zeremw
nielier nnd ein bißchen kurz angebun
Bei Gelegenheit eines Cercles is
dem berühmten Weißen Saal wurde
ich dem »rothen« Prinzen Friedrich
Karl (er trug die Hixsarenunisorm)
dargestellt Ein echter ReitergeneraL
der Sieaer von Meg und Orleanä
Er sagte mir u. A·:
»Sie langweilen sich hier-, General.
Sie müssen uns mal bei den Maus
Vern besuchen, da werden Sie sich bes
ser anriisiren.«
Der Prince os Wales -—- König Ed
tvard Ul. ——— ganz Pariser, ganz
Satonplauderer, sagte zu mir:
»Was, diese Preußen find Kerlet
Hier amiisiren sie sich und tanzen.
Aber diese Leute arbeiten den ganzen
Tag. Am rijhen Morgen sitzen sie
bereits im r-attel. Was ich am mei
sten beivundere --—— das ganze Volk
steckt in der Unisarm. Jeder hat einen
Hean aus dem Ropi. SoIar ich« —
er deute-te aus seinen preußischen Gr
neralghelm den er unter dem Arr
hieli —- »ich würde mich bier nickt
wohl fühlen ohne diese Uniform.«
Der Kriegsminister vouftamete rief
mich zu sich, um mir eine Legitimatrs
siir einen Kasernenbesnch zu gebet
Um 10 Uhr Morgens aing ich zu ils
Der Minister ist in llniform, um if
herum liegen Hausen von Zeitung
»Sie sehen, ich lese gerade all’ d
Schlechte, was man von mir sagt.
muß das- Alles verschlingen, weil
Reichstag gerade mein Budget bes
then wird. Und ich muß wissen, I
man mich angreisen will.'« Dann
er mit die Erlaubniß, die Kaserne
l. Garde-Draganer--Regiments I
besichtigen.
Alle Völle, Diners u. s. w. glitt
sich. Man muß eine Unisarm habe-«
um zu Hase zu kommen.
Jch erhielt den Rothen, der Bot
schasier den Schwarzen Adlerardern
Am Abend nach der Bermählunn sand
als Ueberraschung eine militiirisehe
Ceremnoie, die der greise Kaiser selbst
arrangirt hatte, statt. Der Kaiser
skagte mich, wie die Sache mir ge
fiele. Jch drückte ihm meine Bewun
derung aus und dankte ihn: auch sitt
die erhaltene Auszeichnung
»Das ist ein keines Andenken, Sie
werden an mich de;:ten!" -
Als ich im Brei-Eise war nach Pa
ris zurückzukehren lud mich die Kai
ferin zu einem Hoflonzeet Jch faß
zu meiner Ueberraschung neben einer
Franzdsim es war Frau von Tollen
rand-Perigord, Herzogin von Sa an,
Tochter des Marschallg non Catel
lano. Auf der anderen Seite saß ihr
Schwager. der Prinz von Ratibor in
Generalsuniforrm er fagte n. A.:
»Ich bin gar tein General, ich seh
nur fo aus« Jn meiner Jugend wat
ich natürlich Leutnant wie jeder an
dere. Dann aber bin ich zur Di lo
cnatie übergegangen Mit der eit
le älter ich wurde, rückte ich auch in
li: höheren Offiziersarade Mein
Reife l·)ai;feldt, der Mafor da, ift auch
kein co.dat.«
Wähieud ccouperpaufe fragte mich
die Kai serin:
»O eben Si e die M:«fit?" «
Ich mußte gestehen daß ich Laie
fei und nur die Malitftiiele liebe, die
ich Tenne, z. B. das Stückchen »Car
inen«, das man eben gespielt hätte, be
griffe ich, ich liebe auch die alten ita
lienischen Opera adee die gelehrte
Musik fei nicht Meine Stätte.
»Zum Beispiel Wagner, « fa te die
Rai erin. »Ich liebe feine Mu it and
nichts aber man darf das hier nicht
fageih weil alle heute ganz vernatrt
in itm findt«
Das war mein letzten Abend in
Berlin, meine Mission war beendet.
Jch fuhr nach Frankreich zurück. Die
alsnzendestilafnatfmåy die Lapi gefunden
aeil wa ich een ge riund
lernt habe, hinterließ einen tieng
- nachhaltigen Eindruck in mie.
-