Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, July 07, 1905, Sweiter Theil., Image 14

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    ..«.sxj«c«f«t willen.
griginabRoman von Tit-thut sapp.
J
k ortsetzuan
sen unendlich demüthigendeH bren
MS Gefühl der Scham erfüllte die
JOHN Grübelnde. So vernichtekld Und
" beschämend es auch für sie war, sie
konnte sich der Erkenntnis nicht«ent
siehem daß sie weder ihren körperli
chen noch ihren seelischen Eigenschaften
Ihren Gatten oerdanltc, sondern al
leinihrem Gelde. Er hatte immer
nur Ada geliebt, und er liebte sie noch
heute. Darum Adas häufige plötzli
cheBesuche, darum dieses beständiae
Suchen und Sichfinden. Das Wieder
sehen hatte das Gefühl der alten
Sympathie rasch wieder in ihnen ent
mt, und wenn sie sich auch nicht
angehören durften, ihre Herzen schlu
gen immer noch lebhaft fiir einander.
Es war fiir Klara eine fast uner
trägliche Marter, still auf ihrem
Stuhle aushalten zu müssen inmitten
der heiteren, lachendem plaudernden
Geiste, und dem Geschioiitz ihres ah
nungslosen Nachbars ein aufmerksa-«
mec Ohr leihen und auf seine Fragen
Antwort geben zu müssen. Endlich,
als die Tafel aufgehoben war und die
Gäckt sich in die Nebenzimrner ver
theilten, während die Dienerschaft
rasch die lange Tafel abtrug, um im
Saal für den von dem jungen Voll
heiß herbeigcsehnten Tanz Platz zu
schaffen, konnte sie sich ein wenig zu
rückziehen; ihre Stirn brannte, das
Herz klopfte ihr zum Zerspringen Es
war wie ein Fieber in ihr.
An die beiden neben dem Saal be
findlichen großen Gesellschaftszimmer
schloß sich Axels Arbeitszimmer und
daran als Letztes in der Vorderfront
ein kleines Gemach, das in ein
Schlafzimtner mgewandelt worden
war. Hierher s lich sich Klara, dem
MvvGetümmel der Gäste entfliehend; hier
ließ sie sich in einen Stuhl sinken,
ihre fchrnerzende Stirn mit beiden
Händen pressend, und sann düster vor
sich hin, bis plötzlich der Klang einer
lauten Stimme sie aufschreckte. Es
war Axel, der in Begleitung eines
Freundes sein Arbeitszimmer betre
ten hatte, um« wie es schien, hier un
gestört bei einer Ziaarre plaudern zu
können. Klara hatte auf ihrer Flucht
die Thiir nur leise anqeleqt, und so»
konnte sie einen großen Theil dessen,
was im Nebenzimmer gesprochen wur
de, verstehen. Schon die ersten Wech
felredem die sie vernahm, veranlaßten
fie, aufzustehen, sich an die Thüre zu
schleichen und ihr Ohr an den offenen
Spalt zu legen, um sich kein Wort der ;
Unterhaltung entgehen zu lassen. «
«Sage einmal, Durtngshosen,’ »
fragte Axels Freund, »Die kam es ei
gentlich, daß Du damals den Abschied
nahmst, Du, der Du immer mit Leib
nnd Seele Soldat getvesen?«
Axel ließ ein lautes Auflachen hö
ren, bevor er antwortete.
»Es geschah auch durchaus nicht
seeitvillig,« sagte er.
»Nicht freiwillig? Wer in aller
Welt hätte Dich zwingen können?
Dein alter Herr hatte sich doch schon
längst zu seinen Vätern versammelt.«
»Mein Schwiegeronlel.«
»Dein Schwiegerenkel?«
»Der Onkel meiner Frau, Konsul
Reisfeld, zugleich ihr Vormund. Der
machte es zur Bedingung, daß ich den
Dssizierssäbel in die Ecke stellen und
mich ins die ländliche Einsamkeit von
Carkzhagen zurückziehen sollte.«
»Ab!" Axels Freund lachte. »Der
kannte Dich, Dürinashosen Alle Ach
tung. Der Herr Honsul war, wie es
scheint, ein gewiegter Menschenken
ner.«
»Das war er auch,« pslichtete Axel
gemiithlich bei. »Na, schadet nicht,
hab-s nicht zu bereuen gehabt. Zuerst
freilich erschien’s mit hart, kolossal
hart, und ich wollte schon Nein sagen.
Ich mußte mich siigen.«
»Versiche. Deine Frau hat Dir
wohl einen höllischen Mammon mit
.gebtachti« »
- Axel»ließ einen Ton tiefsten Beha
geni boten. »
»Ich danke,« beschied er. »Bin zu
geben — so ziemlich eine halbe Mil
. sp»
»Donnerwetter! Amor-as sag’ mal
Reingshosem kannst Du mir. nicht
karg« solch einen Goldsisch nachwei
en
Der Gesragte lachte.
»Bist Du auch schon so weit? Willst
Du Dir auch durch eine heirath aus
« Nisus Na, ’s ist ein probates Mit
Spannung. Sie vernahm jetzt ein
Musch. wie wenn der Eine seinen
Sessel näher an de des Andern her
mückte. GleichHsarauf ertönte wie
oer ANY Stimme, diesmal im Flü
stern-m »Wil! Dir was sagen, aber
sieh mit zuvor Dein Ehren-vorn daß
Du nicht davon sprichst.«
»Gut! Ehrenwort!"
»Kennst Du den sogenannten Ren
iker Habetkoth Ja der Hauptstraße
wohnte et.«
»Der Biedermann soll ja wohl
« Mib äusleiben gegen zwanzig Pro
« satt und auch mehk!«
k·
»Mir-mus« Aberinals erfolgte ein
zjjskuckmkt dem Sessel und Axels Stim
Klara horchte in fieberhaftet
m- Umpsik sich noch mehr zum Flü
sterion. »Aber der Machinäer thut
noch mehr als das. An den wende
Dich mal, der hat vielleicht für Dich
ein reiches Mädel — hahaha — auf
Lager.«
»Auf Lager —- ift gut. Ah! Nun
verfteh’ ich. Darum also! Wir waren
damals alle basf, wie Du plötzlich zu
der Bekanntschaft kamft. Das erklärt
Alles. Also durch die gütige Vermitt
lung des Herrn Haber —«
Mitten im Worte brach der Spre
chende plötzlich ab, als wenn ihm der
Andere seine Hand aus den Mund ge
legt hätte. Dann ertönte wieder Axels
Stimme: »Pst! Davon spricht man
nicht« Uebrigens —- lomm’, laß uns
ein bischen das Tanzbein schwingen.
Wir gehören ja doch noch zur Ju
gend.'·
Die Herren entfrenten sich. Klara
stand hinter der Thür wie betäubt.
Jhre Pulse hämmerten zum Zer
sptingen. Jn ihrem Kopfe wirbelten
die Gedanken durch einander. Reder
und Gegenreden waren so schnell ein-;
ander gefolgt, daß sie noch nicht recht»
klar zum Berständniß alles dessen«
was sie auf ihrem Laufcherpoften ver- »
nommen hatte, gelangt war. »Haber- »
korn —- sogensannter Rentier ——-J
Hauptstraße — Geldausleihen -—.
iztvanzig Prozent ——« Und dann kam ;
ldag unverständliche unfaßbake. Dek
PMann hatte Mädchen auf Lager.
’ Was sollte das heißen? So hatte Axel s
esagt, im Anschluß an feinen dem?
reunde gegebenen Rath, sich ani
kHerrn Haberkorn zu wenden. i
? Klara preßte beide Hände an ihre
jStirn und sann nach Plötzlich durch
fuhr es sie wie ein erhellender Blitz.
Mit einem dumpfen Aufstöhnen brach
sie in ihre Knie zusammen und mit
dem Obertörper warf sie sich iiber das
in der Nähe stehende Bett. Jhre Er
lschiitterung war so start nnd die Knie
zitterten ihr so heftig, baß sie sich mit
beiden Händen an der Bettlante fest
halten mußte, um nicht zugleich um
zusinten nnd mit dem Gesicht auf den
Fußboden aufzuschlagen . . .
Als Klara zehn Minuten später
sich wieder unter die Fröhlichen misch
te, äußerlich ruhig und gleichmiithig,
wenn auch ein wenig blasser als vor
her, schien Niemand ihre Abwesenheit
bemerkt zu haben. Nur Herr Gun
termann, der an der Thiir des Saa
les stand, trat mit der Frage auf sie
zu: «Sind Sie nicht wohl, gnädige
Frau? Sie sehen leidend aus und —
ich habe den Eindruck, als wäre Ih
nen die Einsamkeit lieber, als das
Gewühl ihrer heiteren Gäste.«
»Sie irren, Herr Guntermann,« er
widerte die Gefragie munter, aufge
räuint. »Sie verleumden mich. Jch
habe mich nie wohler gefühlt und rie
hat mich der Anblick lieber Gäste freu
diger gestimmt als heute. Aber wa
rum tanzen Sie denn gar nicht, Herr
Guntermann? Da drüben sehe ich
zwei junge Damen, die sehnsüchtig
nach einem Tänzer ausblielen. Wol
len Sie sich nicht ihrer erbarmen?«
Sie nicht ihm lächelnd zu und
ging, ohne eine Antwort abzuwarten,
weiter.
herr Guntermann sah ihr nach-«
deutlich, mitleidsvoll nach und in sei
nem Herzen, von dem Niemand wußte,
wie tief und innig es empfinden konn
te, zuckte es schmerzlich. Aber als jetzt
sein Blick zu den Tanzenden hinüber
schweifte und zufällig auf Axel traf,
der rnit strahlendem Gesicht, in seinen
Armen seine schöne Kousine Ada hal
tend, sich heiter im Dreivierteltait des
Walzets drehte, da verzerrten sich seine
Mienen voll haß, Erbitterung und
Verachtung. -
Er hatte es ja in Erfahrung ge
bracht, was außer ihm, sei t der Kon
sul gestorben Niemand wußte: nur
um der Mitgift willen hatte Aer von
Ditringshvsen die reiche Erbin gehei
rathet nnd nnn machte er die Ah
nungslvse undankbar, ehrvergessen,
unglücklich und frischte die leichtsinni
gen, lockeren Beziehungen aus seinen
Junggesellenjahren wieder auf.
Neuntes Kapital.
Klara verbrachte eine schlaflofe
Nacht. Unaufhörlich rief sie sich das
Gespräch, dessen Zuhörekin sie zufäl
lig geworden, in die Erinnerung zu
rück. Jedes Wort, das zwischen Axel
und seinem Freunde gewechselt wor
den, überdachte sie wieder und wieder
und den Namen Habertorn sprach sie
wohl hundertmal vor sich hin, um ihn
ihrem Gedächtntß fest einzupägen.
Aber zu einer klaren, überzeugten An
sicht lam sie trosdem nicht. Zu viel
Aufregung war noch in ihr, zu viel
Schrecken und Verwirrung. Freilich
das, was sie bereits nach ihrem Tisch
gespräch mit Amtsraih Kattenbusch
hatte vermuthen müssen stand jetzt in
ihr unumftößlich fest: ihr Vermögen
war es, das Axel mit ihr erstrebt hatte,
und wäre sie nicht eine reiche Erbin
gewesen, hatte sie auch niemals Axeks
Interesse auf sich gelenti Welche Be
deutung aber dieser ihr änzlich un
belannte, geheinnißvolle gar Haber
torn für ihre Beziehungenu h
habt hatte, darüber sehn-e e
Ziemlich im Untlaten Gerade
iesem letzten Theil des Gespräches
zwischen Axel und seinem Freunde
war ihr manches entgangen. Zu stark
war ihre Erregung, ihre Bestiirzung,
ihr Entsetzen gewesen« zu laut hatte
»ihr das Herz in der Brust gehäm
»mert.
Z Und nun hatte sie keinen anderen
Gedanken, als sich völlige Klarheit
über den Antheil zu verschaffen, den
ider niysteriöse Herr Haberiorn be?
ihrer Eheschließung gehabt hatte.
Zum Giück rief der Dienst Axel
frühzeitig von ihrer Seite. Sie stellte
sich schlafend, bis sie seinen Schritt
aus dem Flur vertlingen hörte um
nicht seinem Blicke begegnen und seinen
Ahschiedsgruß empfangen und erwi
Jdern zu müssen. Dann kleidete sie sich
Frosch an und ging zu ihrer Tante hin
z unter, denn ihre Seele lechzte nach vol
; ler Gewißheit.
: Die Frau Konsul war nicht wenig
erstaunt über den friiben Besuch.
»Daß Du schon auf bist, Kindl«
sagte sie verwundert »Die Jugend
pflegt doch besonderes nach einem Ball
Jlange zu schlafen.'«
J »Mit mir ist’s anderå,« versekte
;Klara, vor Ungeduld innerlich glü
Jhend, »ich habe nach einem Ball nie
recht schlafen können-"
.Sieh. sieh! Js- is- Du siehst noch
recht übernächtig und angegriffen aus.
Uebrigens, es war recht schön. Axel
ist doch von hinreißender Liebenswüv
digteit. Ich habe nie einen aufmerk
sameren Gastgeber gesehen,«
Klarcks Stirn umwöltre sich; .sie
that einen tiefen Athernzug und dann
kam ihr mit mühsam verhaltener
Spannung die Frage über die Lippen:
»Sage mal, Tantchem « kennst Du
herrn Habertorn?«
»Habertorn?« Die alte Dame
forschte eine kleine Weile in ihrem Ge
dächtnis, dann schüttelte fre ihren
grauhaarigen Kopf. »Den Namen
tenne ich nicht, Kind. Ich erinnere
mich nicht« den Namen je gehört zu
haben.«
Klara sah ihrer Tante forschend,
prüfend in’s Gesicht. Die gutmüthi
gen blauen Augen der alten Dame
blickten fo frei und ehrlich, daß ein
Zweifel an der Wahrheit ihrer Werte
nicht aufkommen konnte.
»Wer ist es denn. Kind?« fügte die
Frau Konsul ihrem Bescheide hinzu»
»Ich glaube, Herr Haberlorn hat
mit Onkel in geschäftlicher Verbin-«
dung gestanden.«
»So? Jch habe mich nie um mei
nes Mannes geschäftliche Angelegen
heiten gelämmert und tenne seine Ge:
schäftsfreunde nicht. Woher kennst
Du denn den Herrn?«
Klara hüftelte, beer sie erwiderte:
»Ich hörte gestern auf der Gesellschaft
von ihm sprechen. Jch glaube, man!
erzählte sich, daß er Geld ausleihe
und daneben Hei —'« das Wort blieb
ihr fast in der Kehle fterten — »hei- «
rathen vermittle.« T
Die Frau Ronful blickte überrascht
und indignirt. Jn ihrem runden,
behäbigen, von vielen Falten bereits
durchsogenen Gesicht malte sich un
geheuchelter Abscheu
,,Ja, ja," sagte sie, »e-; soll ja wohl
solche Leute geben, die sich geschäft
lich damit abgeben. Unter uns: ich
finde es geschmactlog, häßlich und ge
miithsroh, die Dienste eines Mannes
in Anspruch zu nehmen, der ein Ge
schäft daraus macht, Eben zusammen
zubringen. Jch begreife nicht, wie
gebildete Menschen sich dazu verstehen
tönnen. Meinst Du nicht auch?«
Klara Wangen färbien sich blut
roth und in ihren dunklen Augen
leuchtete es blitzartig auf.
»Ja, Tante,« pflichtete sie aus vol
Qr Seele bei, »etwas- Ordinäreres und «
Abscheulicheres tann ich mir gar nicht
denken.«
Ihr banget, bedrücktes Herz oth
meteauf und eine Hoffnugsfreude
durchglühte sie. Eine so heftige Ge
müthsbeweaung ergriff fie, daß sie sich ;
Gewalt anthun mußte. um der ah
l
nungsloien alten Dame nicht um!
den Hals u fallen· Jhre Augen
wurden feu t und ein sichtbares Zit
tern durchlief die fchlante, hohe Ge- ;
statt.
»Aber was ist Dir dem-« nistdr«"
fragte die alte Dame besor t.
»Nichts, Tantchen, ni si« rief.
Klara und zwang unter Aufbietung «
aller ihr innewohnenden Willensiraft
ein sorgloses Lächeln auf ihre Lippen
»Nur ein bischen müde bin ich noch.
Jch will mich nun gleich noch ein we
nig niederlegen.«
Damit sprang sie auf und eilte mit
kurzem Gruß davon. Daß die Tante
nicht die - Unwahrheit gesagt und
nichts verschwiegen, hatte sie an ihren
Mienen gesehen, und nunX war sie
froh. daß sie wieder Hoffnung schöpfen
durfte. Wenn ihre heirath mit Aer
wirtlichdurch die Vermittelung diese
Herrn habertorn zu Stande gewins
nren wäre, dann hätte doch die Frau
Konsul es wissen müssen, Aber als
sie wieder oben in ihrer Wohnung war
und in ihrer Einsamkeit abermals zu
grübeln begann, tam doch die Unruhe
und der-Zweifel von neuem über tie.
Hatte Axel seinem Freunde nicht den
Rath gegeben, sich an Rentier habet
torn zu wenden, um zu einer rei n
geirath zu gelangen? So lange r
tachel des Argwohns in ihr saß,
wurde sie nicht mthr glücklich Mus«
nicht mehr frei aufathnren, Uxel nicht
g; hegt dießkiugfn fragt tönnfemsskteh
mu e : ver en,
Gewißheit um jeden Pest-. che .
Sie kleidete sich zum Ausgehem Es
i
s
l
litt sie ni in der Stille ihrer Woh
nung. Se um te irgend etwas un
ternehmen, um her die Frage, die sie
unablässig quälte, die sichere Wahrheit ;
in Erfahrung zu bringen. ;
Herr Guntermann, der langjährige
Vertrauensmann ihres Onlels, der
Verwalter ihres Vermögens. wiirdel
vielleicht etwas wissen. Sie eilte ins
das Geschäftslotal und wurde auf
ihr Verlangen sogleich nach dem Pri
vatlomptoir geführt. Herr Santer
mann erhob sich sehr überrascht. Er
schob seinem unerwarteten Besuch ri
nen Sessel zu und lud höflich zum
Sitzen ein.
»Was versafst mir die Ehre,«
sagte er geschästsmäßig um gleich da
raus, noch ehe Klara in ihrer Verwir
rung eine Antwort gefunden, fortzu
fahren: »Ah, die gnädige Frau lom
nen gewiß wegen der Rechnungsw
legung und Uebernahme Jhres Ver
Inögens.«
»Ja —— jawohl«, versetzte Klara
mechanisch, im Stillen ausathmend
daß nun ein-: Erklärung ihres Be
such-Z gefunden war, denn erst jetzt
empfand sie die ganze Peinlichteit
ihrer Lage, an die sie in ihrer Aufre
gung bisher nicht gedacht hatte. Das
Anliegen, das sie hierher geführt, war
so delikater Natur, daß sie in Berle
genheit war, wie sie nun davon begin- i
nen sollte. Wenn sie Herrn Gunter-·«
mann auch oft im Hause ihres Onlels
begegnet war, so war er ihr doch hei
nahe ein Fremder geblieben, ums-»
mehr, als sie ihn die lehten jwei Jahre
fast gar nicht zu Gesicht bekommen
hatte.
Wäre Klara nicht so sehr mit ihrem
eigenen Gemiithzustand beschäftigt
gewesen, es wäre ihr vielleicht nicht
entgangen, daß in dem ganzen Wesen
und in der äußeren Erscheinung Herrn
Guniermanns etwas Gehodenes lag,
gleich, als wenn ihre Gegenwart ins
s einem Bureau erhebend auf ihn«
wirtte. Jeßt brachte er aus dem
großen eisernen Schrank, der in einer ’
tscle des Zimmers stand, ein großes
Gesetzöftsduch herangeschleppt, daß er
vor Klara auf den Tisch legte. Und
während er dicht neben Klara stand
»und mit zitternden eFingern das Buch
durchblätterte, strahlte ein eigenthiim
licher Glanz aus seinen Augen nnd
eine feine Röthe stieg in die von der
Etubenlust gebleichten Wangen.
Das Kontr »Klara Weni« war
bald gefunden und nun deutete er mit
seinem Zeigesinger auf die einzelnen
Posten, die Klara still nachlas. Das
,,.Kredit« auf der einen Seite enthielt
die einzelnen Posten gute Hypotheken
und sichere Papiere, in denen ihr Ver
mögen angelegt war, während aus der
andern, im »Del)et«, die Zahlungem
die vom Kapital und den Zinseneiw
gängen geleistet worden, verzeichnet
waren. Da standen vor Allem vier
große Hauptposten, die alle im ersten
Jahre ihrer Ehe gezahlt worden wa
ren, unter dem Titel: »An Hmn von
Diiringshofen zur Meliorirung von
Carlshagen«, die den Gesammtbetrag
von 40,0()0 Mart ausmachten. Eine
andere Eintragung aber war es, aus
die Klara’s Blick jeht siel, und die be
wirkte, daß ihr das Blut heiß in’s
Gesicht schoß, daß hre Augen plötzlich
sausbligten und dasz eine Erschiitterung
durch ihren ganzen Körper ging. Da
stand in den großen, klaren, deutlichen
Buchstaben der kaufmännischen Hand
schrift Herrn Guntermanns: »Für
Rechnung des herrn von Mittags
"hosen an herrn Haberlorn zehntau
send Mari.«
Als Datum war der zweite Tag
- ach Klarcks Trauung mit Axel an
egeben.
Klar-a beherrschte sich mit großer
Mühe, um sich nicht einen Schein der
Ueberraschung des Schreckens ent
schlüpsen zu lassen. Das Jucken in
ihrem Gesicht und der schnelle Wechsel
ihres Teints, der bald roth, bald blaß
wurde, entging herrn Guntermann,
denn er stand hinter ihr-. Nur der hei
ssere, tlanglose Ton ihrer Stimme
verrieth die innere Erregung, die sie
beherrschte, als sie fest nach tiefern
.Athemholen fragte: »Was bedeutet
dieser Posten? Woher hatte herr Da
ibertorn diese Forderung an meinen
-Mann?«
Herr Guntermann zuckte leise zu
fammen, und mit einer unwillkürli
Ichen Bewegung richtete er sich aus fei
ner gebückten Stellung in die Höhe.
Ein bitterer Zug spielte um feine Lip
pen, und in seinen Augen blitzte ein
Ausdruck ingrimmiger Genugthuung.
Er öffnete den Mund, aber er schloß
ihn wieder, ohne einen Laut hervor
gebracht zuhaben Jn seiner Brust
vollzog sich ein heftiger schwerer
Kampf. Sollte er ihr zur Antwort
geben: »Das ist der Preis, um den
Sie an den Verschwender vertuppelt
wurden, der vor dem Ruin stand und
der zu dem gefchäftsmiißigen Hei
jrathsvermittler seine Zuflucht genom
; men hatte, um sich zu retten?«
; Sie saß leicht vorniibergeneigt und
k starrte noch immer mit slirrenden Au
,gen, die nichts mehr unterscheiden
konnten, auf das Buch. Herr Gunter
mann sah auf sie hernieder und ein
unendlichei Mitleid regte sich in ihm.
zSie liebt-diesen Mann, der sie kalt
;herzig, nur aus materiellem Vortheil
Egewiihlt hatte. Sollte er ihres Man
Hrei lrassen Egoist-ins schonungsloö
Ha feiner ganiktzr "rmlichleit vor
Lihr euthilllezii , re hat ihm leid,
kunendlich leid, «--Ie, deren ernste-;
slchtiehtet, natüriiifies Wesen längst
seine inntsfte Sympathie gewonnen
Fhattn Und noch etwas Anderes war
in thin, da- thn adhiel, das, was« er
als Vertrauensmann des Verstorbe
nen in Erfahrung gebracht hatte, zu
verrathen Es widerstrebte seinem
geraden, ehrenhaften Sinn, den De
nunzianten zu spielen. Clara wandte
sich jetzt voll zu dem hinter ihr Sie-I
shenden herum und sah oerwundertJ
sragend zu ihm aus. Er mußte ihr
endlich Rede und Antwort stehen.
; »Dariiber bin ich nicht insormirt,«
»sagte er ausweichrnd. »Der Herr
! Konsul gab mir seiner Zeit den Aus
ltrag, den Posten zu buchen und den
FVetrag an Herrn habertorn zur
Auszahlung zu dringen. Vielleicht
stellte der Betrag die Summe der
Verbindlichkeiten dar, die Herr von
-Diiringshosen seinem Gläubiger aus
früheren Jahren her schuldete. Diej
Erträgnisse von Carlshagegn waren,
soviel ich weiß, nur gering, und sie1
reichten wohl nicht hin, die Ausga-«
ben des Herrn Leutenants zu decken.«s
Clara sah den vor ihr Stehenden:
mit sorschenden, durchdringendens
Blicken an. Er fühlte, wie ihm unterj
ihrem Blick das Blut in’s Gesichtl
stieg, und es war eine instinktive Ve-.
wegung, mit der er ihr seht denf
Rücken wandte und an den Geld-;
schranl trat, dessen Thür er ossenge-;
lassen hatte und. die er nun langsam;
schloß. Noch ehe er zurückkam, hatte;
sich Clara erhoben. T
i
Herr Guntermann war sehr erJ
staunt, daß Frau von Diiringshuseni
sich schon anschickte, zu gehen. s
»Wollen Sie nicht die Esselten undj
hypotheteninstrumente übernehmen«
gnädige Frau,« fragte er, »in denan
der Herr Konsul JhrVermögen an-«
gelegt hat«-« s
Sie wehrte mit einer flüchtigenl
Handbewegung ab. !
»Ein ander Mal, Herr Gunter
mann,« sagte sie. »Es eilt ja nicht.
Sie haben wohl die Freundlichteit,
die Papiere einstweilen noch n Jhrer
Verwahrung zu behalten.«
Er verbeugte sich.
»Seht gern, gnädge Frau, wenn
Sie es wünschen.«
Fortsetzung solgt.)
—
Frühling tu Peter-Odium
Petersburg, Ende Mai. Das La
doga-Eis hat seinen Lauf beendet und
ist in dem finnischen Meerbusen ver
schwanden. Die während des Eis
ganges ausgefahrene Schloß-: lPons
ton) Brücke ist wieder eingefahren
und der Verkehr mit den außer
sriidtischen Vergnügungsorten sowohl
über sie, wie auch mittels der klei
nen Newadampfer der linnischen
Dampfergelellschaft eröffnet· DieNa
tut prangt im jungen Grün. dessen ,
würziger Duft alt und jung hinaus
lockt ins Freie. Auf der herrlichen
Newa liegen unterhalb der Nitolai
briicke bereits zahlreiche Frachtfchiffe,
deren Wimpel auf Deutschland, Eng
land, Schweden, Dänemakl. Frank
reich, Holland und andere Länder als
heimathland hinweisen Die Perso
nendampfer der deutschen, englischen
und finnilchen Gesellschaften haben
den regelmäßigen Vertehr aufgenom
men. Da liegt auch schon der Ober
bürgermeister Haken im hafem der
große, stattliche, mit allen Bequem
lichkeiten eingerichtete Dampler der
Neuen DampferRompagnie in Stet
tin. Stromauf- und abwärts ächzen
die Schleppdarnpfer mit einer mehr
oder minder großen Zahl-von Höhnen.
die mit Gütern aller Art, Kohlen.
Holz, Steinen und Sand bealden sind
und zum Theil auf dem Marienlanal
lhitern weit aus dem Jnnern Nuß
lands, zum andern Theil von den Ge
staden Finnlands und der baltilchen
Küste ihre Frachten in die Residenz
bringen.
Am Kai längs der Newa zeigt sich
jetzt ein reges Leben. Man ist noch
nicht auss Land ge ogens oder in die
westeuropiiischen adeorte gereist.
Zabllose Fuhrwerie vom einsachsten
Jstvostschit bis binaüs zu den von
edelsten Orlowtrabern gezogenen
Eauidagen russischer Granden und
den schon von weitem durch die schar
lachrotben Livreen der Dienerschast
lenntlichen Hostvagen tummeln sich
hier entlang. zwischendurch von pru
stenden und tössenden Automobilen
oder lautlos dahin rasenden Zwei
riidern überholt. Die meisten von
ihnen eilen über die großartige neue
Troihtibriickh deren Grundstein im
Jahre 1897 der sranziisische Präsident
Felix Fanre legte, hinaus nach den
Inseln. Die gewöhnlichen Sterbli
chen, die Fortuna weniger mit Glücks
giitern gesegnet bat, und die, denen es
kein sonderliches Vergnii en bereitet,
sich in den meist recht un auberen Js
wostschilis oder Pserdebabnwagen mit
ihrem Schneckengang nach des Tages
Miib und Arbeit noch die Glieder zer
martern zu lassen, endlich die zahl
reichen Natursreunde benuyen mit
Vorliebe zu demselben Zwecke die san-:
beren, slinten Newadampser der sinn
liindischen Gesellschaft.
Die weiß-en Nächte haben begonnen.
An diese eigentbiimliche Erscheinung
des Man elö an Nacht muß der
Fremde si erst gewöhnen. Am dun
lelsten ist die Zeit zwischen els und
zwei Uhr Nachts, und diese ist noch
so bell, daß man. wenn man nicht ge
rade schreiben oder lesen will, ganz
gut obne Licht austommen kann. Na
türlich regelt sich das ganze Leben
biernach, und da der Sommer weilt
sebr heiß und schwül ist, so sammelt
ich das Leben nnd Treiben aus die
Stunden von 7Uhr Abends bis 2
Uhr, siir viele s r bis 4, 5 auch S
Uhr Morgens, nn erst eht man
schrqu Da ixxs nani Ich keine
Ruhe und Er lung des Körpers sein
kann, ist tlar.
Wie Petersburg selbst nur durch
das Machtwott eines großen Herr
schers trotz allerlei Hindernisse ins
Leben gerufen und zum Emporblühen
gebracht wurde, so ist auch die ganze
nächste Umgebung von Petersbur
nur ein Kunstproduit, erzeugt durtä
Kapital, Genie und Ausdauer. cis
entstanden um die Stadt herum Erisich
tige Gärten und Partanlagen, illen
und Lustschlösser, so daß. wenn alles
schön belaubt dasteht und im Blüthen
fchmuck des Sommers prangt, wenn
eine geputzte Menge zuFuß und zu
Wagen die Anlagen belebt, der Ein
dr uck uberaus freundlich rn. Crne sehr
anziehende Eigenthümlichleit der Re
sidenz sind die versichedenen Inseln,
welche die Arme der Newa bilden. Sie
bieten mit ihren schönen Anlagen dem
Petersburger das, was die Pariser
in ihrem Boulogner Wäldchen, die
Berliner rm Thrergarten und die
Wiener im Prater besitzen. Die Ber
bindung mit ihnen wird durch lleine
und große Dampfer, Ruderboote.
Pserdebahnlinien, Omnibusse und
szostschiti unterhalten. Hier kann
man, wenn auch nicht eine wirkliche
Erholung von der Arbeit so doch we
nigstens eine Ablenlung der Gedan
ten, einige ZerstreuungnsindenÆ
vornehmste Punlt der esrden tdie
kaiserliche Jnsel Jelagin DieseIt nsel
schiebt ihre Spitze, die Pointe, am
weitesten hinaus in den Finrrischen
Meerbusen, und an llaren Sommer
abenden versammelt sich hier ans
Peter-Murg um die Aussicht au das
Meer zu genießen und den Sonnen
untergang zu bewundern Aus der
Jnsel befinden sich ein laiserliches
Lustschloß das im Sommer Graf
Lanrsdorss, der Minister der Auswiirs
tigen Angelegenheiten bewohnt, die
Datsche des Finanzministers und sei
nes Gehülfen, eine Meierei u.s.w.
Dei Anlagen sind in sauberster Ord
nung. nnd es ist eine Freude, sich in
ihnen ergehen zu können.
Die Pointe bleibt natürlich stets
das Ziel aller Besucher der Jelagin
Insel, bildet sie doch den Sammel
purrlt der vornehmen, der bürgerlichen
und der Halbwelt der Residenz. Hun
derte von Eauipagen, Miethfuhrwer
ten, Droschlen, ngostschili ziehen da
in langen Zügen gleich mächtigen
Schlangen durch die Anlagen nach der
Pointe, zahlreiche Reiter und Fuß
gänger zu Tausenden erstreben das
selbe Ziel. Alle wollen sehen und ge
sehen werden. Tag Meer und die
Sonne sind sehr hiiusig nur der Vor
wand, um die schönen Toiletten zeigen
zu können, die hier in prächtigen
Equipagen, von feurigen Trabern ge
Zogen, spazieren gefahren werden
Da sieht man u. a die Fürstinnen
Drlow und Bjeloselstix sie zählen zu
den schönsten Frauen und ele antesten
Erscheinungen unserer Ge ells st.
In bescheidener Kalesche erscheint
sere belannte PrimasBallerina Marie
Kieschiiiflaia, eine ierliche Brünette,
eher pilant als tlassischsschörn Linn
Cavalieri, die während der Saison
der italienischen Oper heuer wiederum
die Herzen und Sinne aller jungen
und alten Lebernänner entflammt und
Triumphe iiber Triumpheäeseiert hat,
wohl weniger durch die unst ihres
Gesangeg als vielmehr durch die schö
nen Formen und das Ebenrnaß ihres
Körpers sowie die Kunst der auserle
senen Toilettem lehnt nachliissig in
ihrem Wagen und läßt sich bewun
dern. Eine andere Eguipage fällt
rnir noch aus. Jn ihr sitzt A.
Wialzewa, die sich durch die oft pri
ckelnde feurige, oft müde, melancho
lische Art des Vortrags, besonders
ihrer Zigeunerlieder, in etwa vier
Jahren vom einfachen Waschermiid
chen zu der von allen Russen vergin
terten Bretteldiva, grande dame und
mehrfachen Hausbesinerin emporge
sungen hat. Außerdem ergehen sich
zwischen dieser Gesellschaft noch un
zählige Männlein und Weiblein aller
Stände, die hinausgezogen sind, um
Gottes schöne Natur zu Fenießen und
sich zu erholen von des ageil Müh«
und Arbeit. Auf beiden Newaarrnen
fliegen die flinken Rennboote, blähen
sich die Segel der Yachten der Mit
glieder der beiden Newa-Yachtllubs,
liegen still oder lassen sich vorn Strom
treiben, rufsifche Burschen und Mäd
chen in ihren Einbäumen oder hoch
fchniibeligen, schwerfälligen Booten.
Schwermiithiger Gesang, begleitet
von den Klängen der Harmonita, tönt
vom Wasser herüber nach der Pointe
und verbollltändigt wirksam den Ge
lammteindrucl dieses Bild-s. Die
Gorodorvuiie und Gendarmen zu
Pferde, in ihren gefällig-In Uniiormen,
haben scharfe Wacht zu halten« Bei
allzu ftarlem Ver-lehr werden diese
Polizeibeamten noch durch Kofaten
unterstützt So bilden Jelagin mit
feinen herrlicljen Anlagen und die
Pointe mit ihrem prächtigen Ausblick
auf das Meer, in das amHorizont
der mächtige, glühende Feuerball der
Sonne nich-erlaucht. ins-Frühjahr und
Sommer die atuiehenditen Puste von
Petersburg und Umgegend. Segen
10 Uhr lehren dann die Wagean »
mit ihren Jnfassen wieder heim nach "
der Stadt, oder richtiger, sie vertheilen
sicb in die zahlreichen Vergniiaungis
anftalten, wo meist um 9 Uhr dieVors
itellungen und Quinte beginnen, um
gegen 2 Uhr Zu enden. Dann trinkt
man seinen Thre. ioupirl und macht
wohl noch eine Rudernartie ans der
Newa hinaus auf das Meer, nm dort
die auiarhende Sonne m beariifiep