Image provided by: University of Nebraska-Lincoln Libraries, Lincoln, NE
About Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918 | View Entire Issue (June 30, 1905)
Die Grafen von Yaclgenkm Roman von K. Z. (2. Fortsetzung.) »Musik« mein lieber Herr Börner,«' erkliirte er ahnungslos, »Graf Buche nan ifl mein Schwager.« Das Staunen des Hofroagenfabri ianten erreichte seinen höchsten Grad. Sprachlos ftarrte er - bald auf den einen, bald auf den andern. Erst die Frage des Kammerherrn weckte ihn ans feiner Betäubung. «Hat Graf Buchenau Ihnen einen Auftrag gege ben?« Herr Börner fing an u begreifen. Seine Eitelkeit fühlte ich durch die unerwartete Entdeckung, einen hoch geborenen Hauslehrer zu haben, außerordentlich gefchmeichelt, und feine Freude über die seiner Familie widerfahrene Ehre verwirrte ihn, so daß er sich in seiner Antwort ver hafpelte und mit einem hochrothen Gesicht, ftotternd und sich wiederholt verbessernd, entgegnete: »Herr Graf von Buchenau hat die Ehre, wollte sagen, die Gewogenheit, ich meine, meinem Sohn Alfoed Unterricht zu ertheilen.« Dem Kammerherrn entfiel das Monoclr. Fragend fah er feinen Schwager an. »Wie, Du ertheilst Unterricht, Dietrich? Was denn für einen Unter richti« Graf Dietrich machte sich endlich von feiner Befangenheit los und erwi derte in ziemlicher Haltung: »Noch hulfeftunden in den Schulwissenschaf ten.« Und nun ergriff er feinen Hut. »Ich will die Herren nicht ftören.« Er verbeugte sich vor dem Hofma genfabritanten und wollte feinem Schwager die Hand reichen. Der aber sagte: »Ich begleite Dich, Dietrich— Adren, Herr Börner, ich spreche ein andermal vor.« Der Hofwagensadrjtant gab natur lich den beiden Herren das Geleite. An der Thiir nabm er Gelegenheit, sei nem Hauslebrer zum ersten Male den ihm bis dahin aus Unlenntniß vor enthaltenen Titel zu geben: »Wir dür sen doch den Herrn Grasen morgen erwarten?« Es kam etwas ängstlich heraus und ckatbmete ordentlich auf, als die in ruhigem, bestimmtem Tone gegebene Antwort des Reserendars erfolgte: »Gewiß, Herr Bis-ener. Um fünf Uhr, wie gewöhnlich.« Vor der Thür des Etablissements stand die Eguipage des Kammerherrn. Dietrich wollte sich hier von seinem Schwager verabschieden, aber der Kammerherr nöthigte ihn in seinen Wa en. » ch fahre bei Dir vorbei, Dietrich Steige nur ein!« Als die Pferde angezogen hatten und der Wagen dank der Grimmi räder geräuschlos aus dem Pflaster dabinflog, machte der Kammerherr seinem erregten Herzen Lust. »Nun sage mal, Dietrich, ist es denn möglich, Du ertheilst dem Bengel des Plebejers Nachbiilfestunden?« Der Sprechende schlug, um seiner l Gemüthsstirnmung noch deutlicheren ’ Ausdruck zu geben, seine Hände laut zusammen. Graf Dietrich ließ aus seine Ant wort nicht lange warten. Ohne auf das von seinem Schwager eingeschla gene Thema-einzugehen erwiderte er mit einem sarkastischen Lächeln: »Ble beiers Wenn das der Herr Hofwagen fabrikant hörte, der sich so viel zus gute thut aus seine Verbindung mit m Hbfe!« »Ei) —- Plebejer bleibt Plebejer,« gab der Kammerherr verächtlich zu rück. »Und darum ist es mir unbe greiflich wie Du Dich herabla en annst, dem Sohn dieses-Wiens n Unterricht zu ertheilen.« Der Reserendar verlor seine Ruhe nicht. Die Befangenbeit, die ihn an fänglich bei dem unerwarteten Zusam mentreffen mit seinem Schwager er faßt hatte, schien völlig von ihm ge wichen. »Das Unterrichten ist eine wissen schaftliche Thätigkeit,« erwiderte er, »und ich finde, sie steht nicht im ge ringsten unter der eines Protokollsiib rerö,- als der ich zur Zeit aus dem Amtsgericht sungire.« eDer Kammerherr schüttelte entschie den mit dem Kopf. »Das ist denn » doch ein wesentlicher Unterschied, lieber Dietrich,« erklärte er überlegen, »als Reserendar siehst Du im königlichen Dienst. Hier aber arbeitest Du siir einen Menschen, der sozial tief unter Dir steht. Erkennst Du denn nicht das Entwürdigende, das darin liegt?« Gras Dietrichs Stimme nahm nun noch einen etwaslebhsasteren Klang an, während er erwiderte: ,,Angenehm ist es ja nicht, mit einem Menschen, dessen Tattgesühl und dessen Bildung mancherlei zu wünschen übrig läßt, in tägliche Berührung zu kommen, aber etwas Unwürdiges kann ich in meiner Thätigkeit als Lehrer seines Sohnes nun gerade nicht erblicken. Uebrigen-s —- der Sprechende lächelte ironisch — es ist nicht meine Schuld, sondern die Deine, daß Herrn Böser-er gesenäber mein Jnkognito gelüstet IMM« «Dein Inb- nitoi« «Lun ja. hatte mich als-ein- . M r suchen-I bei ihmj Der Kammerherr ließ einen Aus rus des Erstaung und Begreisens vernehmen; daraus sagte er: »Nun aber, da herr Bösrner weiß, wer Du bist, wird es Dir wohl peinlich sein, Deine Thätigleit bei ihm fortzu setzen.« ,,Peinlich? Ja, das ist eö mir eigentlich immer gewesen, nicht gerade das Unterrichtgeben. sondern lediglich die Berührung mit ihm. Aber ich habe mich damit abgesunden, und ich denke, ich werde mich auch in Zu tunst —« - ,,Wie?« unterbrach der Kammer herr und drehte sich mit heftigem Ruck zu seinem Schwager herum. »Du denkst doch nicht im Ernst daran, jetzt da der Mensch weiß, daß Du Gras Buchenau, daß Du mein Schwager bist, noch weitere Bezahlung Von iiäm in Empfang zu nehmen sür Dien e, die Du ihm leistestl« »Daß ich seinen Sohn umsonst un terrichte, kann doch Niemand von mir verlangen,« entgegnete Gras Dietrich mit sarlastischem Lächeln. , Der Kammerherr war in diesem Augenblick ganz und gar nicht siir Humor empfänglich. »Du wirst überhaupt keinen Unter richt mehr ertheilen, Diettich,« sagte er eifrig. »Am wenigsten bei diesem Menschen, der sür mich und sast sitt den ganzen hos arbeitet. Der Plebejer ist im Stande, sich damit zu brüsten und uns Beide scheußlich zu kompro mittiren.« Der Referendar zuckte mit den Achseln. »Ich würde das Deinetwegen auf richtig bedauern,« entgegnete er mit einer ganz leichten Niiance von Spott. »aber unter zwei Uebeln soll man doch das kleinere wählen. Das größere Uebel wäre es in diesem Fakle für mich, wenn ich die Stunden aufgeben müßte, denn ich glaube nicht das-»ich sobald Ersatz fände-« »Bist Du denn so sehr darauf an« gewiesen?« fragte der Kammerherr ein wenig ungeduldig und indignirt. Graf Dietrich entgegnete ernst: »Du kennst Papa’s Verhältnisse Jch halte es für meine Pflicht, ibm zu ilfe zu kommen, so viel in meinen rasten steht.« Der Kammerherr räusperie sich und spielte mit seiner Monocleschnur. »Ist denn das so wesentlich, was Dir der Mensch, der Börner, be zahlt?« fragte er geringschätzig liclzHundertundfiinfzig Mart monot i .« »Hm, allerdings, das ist teine Ba gatelle.« Der Kammerherr versank in ein stummes Nachdenken. Plötzlich ließ er einen Seufzer hören, wie Jemand, der sich nach löngerem, inneremliampf einen nicht eben angenehmen Ent schluß abgerungen bat. »Ich werde Dir einen Vorschlag machen, Dietrich,« sagte er, seine Hand auf den Arm des Schwagers legend. »Ich zahle Dir monatlich, sagen wir, hundert Mart, wenn Du Dich verpflichtest, Deine Privatstun den bei dem Hofwagenfabritanten, so wie überhaupt das Unterrichtertbeilen und dergleichen aufzugeben« Graf Dietrich richtete sich auf und fah bei dem Schein der Straßenlater nen seinem Schwager staunend ins Gesicht. »Deine Freigebigkeit überrascht mich,« sagte er mit einem Anjlug von Spott. »3wingst Du mich nicht, Dir das Geld vorzuschießens Wenn Du ein mal in der Lage dazu bist, wirst Du es mir selbstverständlich zurückzalp len.« Ein bitteres Lächeln zuckte um des jungen Grafen MundwinteL »Ich bedauere,« erwiderte er, »ich kann nicht Verpflichtungen aus mich nehmen, von denen ich nicht weiß, ob ich ihnen sobald genügen kann.« Der Kammerherr machte eine aus sahrende Bewegung und stieß är erlich heraus: »Nun, dann schenke i Dir Zdas Geld eben, was bleibt mir denn weiter übrig. Du stellst mich ja in unleidlicher Weise bloß vor dem Dingsda, dem Plebejer. Jch kann doch nicht zugeben, daß mein Schwager bei den Kindern meines Wagenbauers den Hofmeister spielt.« Ein zorniger Bli schoß aus den Augen des jungen rasen. Er ballte die Fäuste im Stillen, während bit tere Gedanken in ihm ausstiegen. Damals, als es sich darum gehan delt hatte, eine Bitte seines greifen Schwiegervaters zu erfüllen und sür die wirkliche Ehre der Familie ein Opfer zu bringen, damals hatte der Kammerherr kaltherzig und egoistisch seine hilse versagt. Jetzt, wo seine Eitelkeit im Spiele war, erklärte et sich unt eines Voruktheils willen zur Zahlung bereit. »Ich danke,« sagte-er laut. kühl, ablehnend. »Ich halte es siir e ren hafter, mich sur eine anständige hä tigkeit bezahlen zu lassen, als ein Ge ;schenk, ein Almosen anzunehmen« Der Kammerherr war. im ersten Augenblick sprachva Er starrte sei nem Schwa er ans sajsu los in’j Gesicht. En its machte si sein Er staunen in dern Ausruf Lust: »Ich begreift Dich nicht, Dietrich. Von mir, oon Deinem Schweigen weisest Du das Geld zreeiiet »und von dem fremden Menschen, von diesem- Pie bejer, nimmst Du es an! Das verstehe ich einfach nicht!«.« Schaudernd schlug er die Hände zu fammen. »Du übersiehst,« erwiderte der Jüngling ruhig, »daß ich in dem einen Fall fiir die Leistung eine Ge genleistung biete, in dem anderen nicht« . Aber dieses Argument machte wenig Eindruck auf den Höfling.« ’ »Bedente doch,« rief er aufgeregt, ,,bedente doch Deine soziale Stellung! Wenn man Graf ist, kann man nicht handeln wie ein beliebiger Schutze oder Müller. Dein Stand legt Dir odch Verpflichtungen auf, Du hastdas doch selbst gefühlt, als Du Deinen Rang verbargst und Dich bei dem Wa genbauer als simpler Referendar Bu chenau einführtest.« Dem jungen Grafen schoß das Blut in’s Gesicht. »Du irrst," entgegnete er, »nicht deshalb habe ich meinen Grafenåitel verleugnet, weil ich mich schämte, in terricht zu ertheilen und Geld dafür in Empfang zu nehmen« sondern des htab, weil ich mir die Chancen, Schü ler zu finden, erleichtern wollte. weil ich den Leuten, denen ich meineDienste anbot. vielleicht ein peinliches Empfin den ersparen wollte, und auch um dem Vorurtheil, das man eventuell dem Grasen entgegengebracht habet-. würde, aus dem Wege zu gehen. Wenn mich meine soziale Stellung als Angehöri ger des Hochadels verhindern würde, meiner Pflicht als Sohn zu genügen, so würde ich ja meinen Titel als Last. als eine unleidliche Fessel em pfinden müssen. Jch denke, Tassilo, die Zeiten sind vorüber, wo der Adel jeden Beruf außer dem eines Krieger-s ioder höheren Staatsbeamten als sei zner nicht würdig betrachtete und das ! produktive Arbeiten dem Bürger über ; ließ. Jch glaube, höher als Standes Fehre steht die rein menschliche Ehre. s und diese gebietet mir zu arbeiten und iGeld zu verdienen, um meinem alten HVater sein herbes Geschick nach Mög Hlichteit zu erleichtern. Das ist meine iMeinung Tassilo, und-—da hält der TKutscher. Adieu! Besten Daan ’ Grüße Erita und die Rinden« T Er war aus der Kutsche hinaus, jnoch ehe der Kammerberr Zeit gefun den, sich von der Ueberraschung zu er iholen und die eben gehörten wunder Hbaren Ansichten geistig zu verdauen. Fünftes Kapitel. » Als sich Graf Dietrich am anderen lNachtnittag zum Unterrichten in das ! Haus des Hofwagenfabritanten begab, empfing ihn dieser in feierlicher schwarzer Kleidung Auch seinen Ors den, den Rronenorden vierter Klasse, hatte er im Miniaturforniat angelegt. Als Dietrich eintrat, machte Herr Bor ner tiefe Büdlinge und fing an,sehr gewunden zu sprechen. « »Es ist mir ein Bedürfniß, Herr Graf, Sie um Verzeihung zu bitten, daß Sie bisher in meinem Hause nicht in der Jhreni Range entsprechen den Weise ausgenommen und estimirt worden sind. Unsere Entschuldigung ist, daß wir nicht wußten, mit wem wir die hohe Ehre hatten. Zugleich, Herr Graf, gestatte ich mir, hnen meinen unterthänigsten Dank dafür auszusprechen daß Sie die Gnade ha ben und es nicht verschmähen, meinen Alfred zu unterrichten, den Sohn eines einfachen, bürgerlichen Hof rvagenfabrikanten, und Sie können versichert sein, daß wir aufs Tiefste durchdrungen sind von der hohen Ehre, die —« Graf Dietrich, den der Wortschwall des Hoftvagenfabrikanten anfan»ö förmlich betäubt hatte, unterbrachisn hier etwas unwirsch: »Bei-en Sie doch nicht solch’ dum mes Zeug, Herr Börner!« sagte er. »Von einer Ehre kann hie-r gar keine Rede sein. Jch unterrichte, weil ich eine Nebenbeschäftigung suche, die mir etwas Geld einbringt. Für den Auf wand an Zeit und Mühe, die ich Ih rem Sohne widme, bezahlen Sie mich. Weiteren Dank sind Sie mir nicht schuldig. Daß ich zufällig Graf Bu chenau heiße, davon haben weder Sie noch Jhr Sohn einen Vortheil.« Der Hofwagenfabritant hatte das Gefühl, als wäre et plötzlich mit einem lckinieic talten Wassers begossen wor en. »Aber, Herr Graf!« wollte er pro- » teftiren. Doch Graf Dietrich ließ ihn nicht ausredem » «Wollen Sie mir einen Gefallen er- ; weisen, Herr Börner?« fragteerfehr’ ernft. ; »Mit dem größten Vergnügen« Herr : Graf. Der Herr Graf haben nur zu befeblen.« Graf Dietrich lächelte. »Alfo dann bitte ich Sie, Herr Bör ner, vergessen Sie den Grafen und lassen Sie es bei dem Referendar wie bisher. Eine Hauslehrerftellung ift doch immerhin eine befcheidene und wenn ich mich ihrer auch keineswegs schäme, fo paßt der Grafentitel doch nicht recht dazu, wenigstens nicht nach den allgemein üblichen fozialen An fchauungen.« Der ofwaaenfabritant machte ein etwas enttäufchtes Gesicht. —,,Abe·r das thut mir leid, Herr Graf —- herr Referendar. Jch dachte doch, Ehre wein Ehre gebührt, und der Ti tel«tonimt Ihnen doch nun einmal zu. « Graf Dietrich runzelte feine Stirn und fab etwas är erlich drein. Und nun nei te er sich ·niiber zu dein ihm Gegenii rftebenden und faste «Ksnnen Sie sich denn nicht in meine Lage bineinversetzem Herr Bör ner? CI muß mich ja doch selbstver ständlich peinlich berühren, wenn Sie mich immer daran erinnern, daß meine Verhältnisse mich zwingen,des Erwerbs wegen eine Tbätigteit aus zuüben, die ja an und fürsich ehren voll, aber doch nicht das Gewöhnliche ist für einen jungen Mann meiner Hertunft und sozialen Stellung. So Und nun, bitte, schicken Sie mir Ih ren Sohn, damit wir mit dem Unter richt beqinnen.« Herr Börner zeigte eine etwas ver blüsste Miene. Aber er zögerte noch. Etwas tleinlaut saate er: »Ich wollte Sie noch bitten, Herr —- Herr Referendar, wenn Sie uns nachher die Ehre schenken wollten zum Abendbrod unser Gast zu sein Ek-« Graf Dietrich überlegte nicht länger und entgegnete lächelnd: · »Recht gern, Herr Bärner. Aber Sie müssen mir versprechen, daß Sie mich nicht anders behandeln werden, als bisher.« »Gewiß doch, Herr Referendar,« beeilte sich der Hofwagenfabritant»zu versichern. »Freilich -——". ein verqnug tes Grinfen zog das Gesicht des Spre chenden in die Breite —« wenn nnr manchmal im Gespräch doch der »Herr Graf« herausrutfehen sollte, dann müssen Sie mir’s nicht übelnehmen·« Alfred Börner erwies-sich heute während der Unterrichtsstunden er streuter als sonst. Ja, es lam vor, aß er zu antworten vergaß und seinen ihm gegenübersitzenden Hauslehrer mit offenem Munde anstarrte, als habe er plötzlich eine bei ihm nie wahrgenom mene Eigenschaft entdeckt. Zu dem Abendefsen waren besondere Anstrengungen gemacht worden. Das fah Graf Dietrich auf den ersten Blick. Anstatt der einfachen Flaschen Bier, die sonst auf dem Abendtisch der Fa milie Börner üblich waren, zierten stolze Weinflaschen die Tafel, und zwar war es eine auserlesene Rhein weinrnarle, die die Etilettes aufwie sen. Es schien, als ob Herr Börner eine Art Festmahl für den heutigen Tag geplant habe zu Ehren seines Grafen Hauslehrers. Und in der That hatte diese Absicht den eitlen Hofwagensabrilanten gelei tet, ja, er hatte sich sogar am Vormit tag in seinem Rontor eine lleine Rede ausgearbeitet, in der er am Abend den Grasen hatte feiern wollen. Aber nun hielt er es doch. eingedenk seines dem Grasen gegebenen Versprechens, für besser, den einstudirten Toast zu nnterdrüelen. Freilich, daß er sich hie und da in der Anrede vergaß und den Referendar, besonders wenn das servirende Deinftmädchen im Zimmer weilte, »Herr Graf« titulirte, lam im Laufe des Abends wiederholt vor. Auch Frau Bärner, eine so ver nünftige Frau sie auch sonst war, lonnte es sich nicht versagen, ihren Gast mit der an ihm neuentdeckten Titulatur zu nennen. Es lag doch etwas Beraufchendes darin, das Ei nen in den eigenen Augen hob und beglückte, einen Grafen an seinem Tisch zu wissen. llnwilltiirlich, ohne das; sie es Vielleicht beabsichtigte oder auch nur empfand, legte die Gattin des Hofwagenfabritanten etwas be sonderes Verbindliches, ja fast« Ehrer bietiges in ihre Mienen und in ihre Haltung, so oft sie an den jungen Grafen das Wort richtete. Fräulein Franziska war die ein zige, die mit dem Gast ganz in dersel ben Weise plauderte, wie sonst, und die ihn auch heute mit der bisher ge brauchten Anrede »Herr Referendar« ausnahmslos bedachte, überhaupt in ihrem ganzen Verhalten gegen den Neferendar mit zartestem Takt ver mied, die geringer Veränderung gegen ihn sichtbar werden zu lassen. Sechstesliapitel Monate vergingen. Der Frühling lam. Herr Börner vernachlässi te neuerdings seinen Sohn und de en Lebrer in einer auffallenden Weise. Sebr selten ereignete es sich, daß er das Unterrichtszimmer betrat, und dann immer nur für ein paar kurze Minuten. Es lag jetzt überhaupt et was Unruhiges, Haftiges, Nervöseg in dem Wesen des Fabrikanten, das ihm früher nie eigen gewesen. Einmal kam ers-es war kurz vor Beendigung des Unterrichts ———freu dig erregt in das Zimmer gestürmt. Sein Gesicht zeigte eine intensivere Röthe als gewöhnlich, und seine Au gen leuchteten in jenem feuchtenGlanz, der von einer starken Gemüthsbewe gang, aber auch ebenso gut von der Einwirkung feuriger Getränke ber riibren konnte. Er war sehr flott, fast dandymiißig gekleidet. Ueber dem kur zen bellenlleberzieher trug er in einein Lederfutteral einen Krimftecher arti ten Formats. Jm Knopfloch ste te eine stark duftende Tuberose, und die in einem bellbraunen Handschub fteckende Rechte schwang ein zierliches Spazierstöckchem Seine « unge lallte ein wenig, während er au geregt ber vorstieß: · »Biltoria! Habe beute sein abge schnitten, Herr Graf· Komme direkt aus Hat-begatten Ich sage Ihnen, ein interessanteres Rennen habe ich nie gesehen. Es geht doch nichts über den Turf. Etwas Aufregenderes, Packenderes und Jntereffantereö kann ich mir gar nicht vorstellen. Meinen Sie nicht auch, herr Referendar?« Graf Dietrich lächelte über die un gewiihnliche Begeisterung des hof . wagenfabrikanten. »Ich habe nicht viel Interesse für Iden Sport iibrig, here Börner,« ent igegnete er. « : «Wirklich nicht? Das ist schadet Aber hinausfahren miltsen Sie nun Fittich einmal mit mir. Das müssen Sie Ifeheth Ich sage Ihnen, heute wat’s großartig. Jm Preis von Kaulsdorf sieate ein Outsider —- Husch husch -— svom Blitz aus der Fee Rennen Sie das Pferd Herr Grafs« »Nein, here Börner. Jch habe we nig Pferdebetanntschaften.« »So! Na, sehen Sie, ich hatte fünf jhundert Mark gefeht auf Busch-hasch. jWiffen Sie, wieviel gezahlt wurde?« ; »Keine Ahnun , herr Börner.« E Der Hofwagen abritant fchlug in sfeinem Enthusiasmus mit der flachen HHand auf den Tisch. - »8ehnfaches Geld, Herr Graf! Meine baaren fünftaufend Mart fäclelte ich ein. Das läßt man sich doch gefallen, wie?'« »Allerdings. Aber leider pflegen auf dem grünen Rasen die Verluste häu figer zu fein, als die Gewinne.« Doch der Hofwagenfabrilant wehrte mit einer überlegenen Handbewegung abfund schlug eine weinfrohe Lache au . »Verlieren! So war giebt’s nicht mehr, Graf! Jch bo««r jetzt immer die feinsten Tit-T ils-: wissen Sie von wem?« Der Hofwage snt beugte sich über den Tifch . ceer dem Leh rer feines Sohne-.- ..n wichtiges Ge heimniß anzuvertrauen. »Ich habe da nämlich,'« fuhr er ge fchwiitzig fort, »eine famofe Bekannt schaft gemacht. Die halte ich mir warm. Der kennt sich aus, sage ich Ihnen. Ein Sportsman vorn Scheitel bis zur Sohle. Kennt jeden Stall und jedes Pferd in Deutschland und England und Franlreich ja sogar in Amerika. Leutnant Baron von Let ting. Kennen Sie ihn?" Graf Dietrich hatte eine aussah rende Bewegung gemacht. Von Oct ting, das war der Familienname fei ner Mutter. Rennen Sie den Baron?« wieder holte der Hofwagenfabriiant. »Ich glaube nicht,« entgegnete der Gefragte nachdenklich »Der Name ift mir zwar bekannt, aber die betref fende Persönlichkeit —th der Herr attioer Offizier?« »Nein, außer Dienst. Jung ist er ja freilich noch. Aber es gefiel ihm nicht mehr beim Kommiß. Zu viel Dienft, sagte er zu mir, und zu viel Disziplin. Das paßte ihm nicht mehr. Na, er fcheint’s ja nicht nöthig zu haben. Uebrigens-, ein fideles Haus. Dabei Kavalier vom reinsten Wasser, den müssen Sie einmal lennen lernen, Ref’rendarchen!« Es war ein paar Tage später,als Gra Dietrich, der sich auf dem Nach hau ewege befand, der Equipage des Hofwagenfabritanten begegnete. Der Wagen war ein fogenannter Selbst fahrer oder, wie er im Berliner Voltsmund auch genannt wird, eine »Svinne« —- ein hohes, leicht gebautes Gefährt. Herr Börner thronte auf erhöhtem Vordersitz. Sein hellgrauer Zvlinder leuchtete fchon von Weitem. Neben ihm faß ein ebenfalls elegant gelleideter Herr von noch jugendlichem Aussehen. Jn fchnallfter Ganaart rollte die »Svinne« heran. GrafDiets rich erfchrat heftig, und es war eine instinttive Bewegung, daß er sich ab wandte und sich mit dem Rücken gegen die Straße an die Schaufenster stellte. War dac- nicht fein Bruder Bodo ge wesen, der da neben Herrn Börner Hauf-dem Kutschbock faß? - Aber arg er dann seinen Weg fort sfetzte, erschien ihm diese Möglichteit : doch völlig ausgeschlossen Es war nur Dein flüchtiger Blick gewesen, mit dem ier den Begleiter des Hofwagenfabri ! tanten gestreift hatte. Sicherlich hatte ihn eine Aehnlichkeit getäuscht. Die letzten Nachrichten von feinem Bruder waren von New York datirt gewesen, und Bodo hatte in seinem Briefe auch nicht mit einer Silbe angedeutet. daß er nach Deutschland zurückzutehren gedeute. Ja, er hatte sich seinem Va ter gegenüber schriftlich ausdrücklich verpflichtet, ohne seine --— des Vaters -— Einwilligung überhaupt nicht wie der nach Deutschland zu kommen. Nur unter dieser Bedingung hatte ihm sein Vater zur Auswanderung dreitausend Mart bewilligt. Seitdem waren taum fünfzehn Monate verstrichen. Es war ja nicht denkbar, daß Bodo von Neuem sein Wort gebrochen und alle Warnungen in den Wind geschla gen hatte. Am anderen Nachmittag erlebte Graf Dietrich eine Ueberraschung, von der er im ersten Augenblick nicht wußte, ob er sie als eine freudi e oder als eine peinliche betrachten so te. Es war kurz vor dem Schluß des Unter richts, als Herr Bis-mer« wieder von einem Rennen zurückkehrend, eintrat. Ihm folgte ein ftutzerhaft getleideter junger Mann, sein Begleiter von ge stern. Dietrich ertannte ihn auf den ersten Blick und fuhr lebhaft von sei nem Stuhle in die höhe, aus weit ge öffneten Augen seinen Bruder anstar rend, der ebenfalls ein Zeichen ftarten Staunens nicht unterdrücken konnte. Der hofwagenfabritant aber strahl te, nichtsahnend, vor Stolz und Ver gniigen. »Geftatten Sie,« nahm er -breitfpu rig, sich in die Brust werfend, das Wort, »gestatten Sie, meine Herren, daß ich Sie mit einander betannt mache; mein Freund Herr Leutnant Baron von Oetting —Herr Referen dar, Graf von —- Der Name blieb ihm in der Kehle stecken, als« er sah, daß der Herr, den er mit vielem Selbstgefithl als seinen Freund bor gestellt hatte, lächelnd, mit au e ftreckter Hand an den hauslehrer ssei nes Sohnes herantrat und ihn wie einen alten Bekannten begrüßte «Na, Dietricht Wie gehtM Das nenn' ich aber eine Ueberraschun tDu ertheilft je t Privatunterrichtt ert cwitrdiaer port!« W ,,Die Herren kennen sichs« fiel Herr Börner erstaunt ein. »Na freilich,«' ernzjderte der Leut nant rasch, noch ehe Dietrich —- der seine Hand befangen und von wider streitenden Empfindungen durch schauert in· die feines Bruders gelegt hatte —- ein Wort hervorzubrinen vermochte. »Wir sind alte Freun Graf Buchenau und ich. Eigentlirö sind wir sogar verwandt. Nicht wahr, Dietrichs Schade, daß wir in letzter Petri so ganz auseinander gekommen m .'« Der Leutnant sah seinem Bruder etwas spöttisch in’s Gesicht. Dietrich rang nach einer Antwort. Bodo’ö ermi sche Art und Weise berührte ihn ab stoßend. Der Hofwagenfabrilant schien dagegen aufs Angenehmste überrascht ·,,Na, dann haben ja die Ketten jeßt die» beste Gelegenheit, wie er anzu tnupsen,« sagte er, und, den Lehrer feines Sohnes sanft am Arme as send, forderte er auf: «Kommen Sie, Ref’rendarchen! Da müssen Sie uns heute schon noch ein bischen die Ehre Ihrer Gesellschaft schenken. Jch zeige Ihnen den Weg, meine Herren-« Er ging voraus. Dietrich mußte wohl oder übel folgen, um so mehr, als Bodo ihn untersaßte und ihm lä chelnd in’s Ohr wisperte: »Na, alter unge, bist ja ordentlich erschrocken; ho sentlich nur angenehm. Weißt Du, ich war ja auch im ersten Augenblick ganz hass. Wie geht’s denn dem Alten? Na, wir sprechen uns noch . -—— nachheri« Den Damen gegenüber zeigte sich der ehemalige flotte HusarensLeut nant von seiner anziehendsten Seite. Er besaß eine außerordentliche gesell schaftliche Gewandtheit, die ihn he fähigte, Jedem etwas Angenehmes und Verbindliches zu sagen und sich in jeder Gesellschaft schon nach weni gen Minuten heimisch zu fühlen. Die Damen hörten seinen Schilderungen mit Interesse zu. Er verglich die ver schiedenen Nationen hinsichtlich ihres Interesses siir den Pserdesport und fiir die Wettrennen. Dabei vergaß er nicht, hier und da eine Artigieii ein zuslechten tFortsetzung folgt-) ---—— Bierverhrtmch tu eure-peitschen Ländern. Europas Bierproduttion hat im Jahre 1904 sast 200 Millionen Hekto liter erreicht. Diese Gesammtprodut tionszisfer läßt einen richtigen Schluß auf den europijischen Biertonsum zu. Hierbei sind nur noch die Größenver hältnisse der einzelnen Staaten und ihre Bevölkerungsdichte zu berücksich tigen. Danach rangirt Deutschland mit einer Bevölkerungszahl von 56, 40(),00() auf 540,748 Quadrattilo meter Landfläche hinsichtlich seines Biererhrauchs keineswegs an erster Stelle, obwohl es mit fast 19,000 Brauereien, die insgesammt 70 Mil lionen Hettoliter Bier erzeugen, die größte Biervroduttion hat. Auch die größten Brauereianlagen hat es nicht; diese sind-vielmehr in England zu finden, wo in nur 5600 Betrieben rund 60 Millionen Hektoliter Bier gebraut werden. Großbritannien ver meilt aber nur eine Bevolrerung vors 42 Millionen auf kaum mehr als Bitt-txt Quadrattilometer Land, so daß, wenn man den geringen Export englischer Biere abzieht, immer noch rund 50 Millionen Hektoliter Bitt im Lande getrunken werden. Jndessery auch England konsumirt und produ zirt durchaus nicht am stärksten Bier Es durfte überraschen, in dieser Be ziehung das kleine Belgien zu sehe das bei einem Flächeninhalt von n nicht 30,0s)() Quadrattilometer abet beinahe sieben Millionen Menschen zählt, in rund 3300 Brauereien 14 Millionen Hektoliter Bier erzeugt, zu dem aber noch über ein Drittel der Eigenproduttion aus Deutschland, England und Luxemburg einführt, also rund 20 Millionen Hektoliter Bier im Jahre vertilgt, denn Belgien selbst sührt gar kein Bier aus. lus deutsche Verhältnisse übertragen,ton sumirt Belgien, das etwa 18mal klei ner als Deutschland ist, aber nur 8 mal weniger Einwohner hat, Zmal so viel Bier als Deutschland und schlägt Frankreich als Biertrinker um das 15sache, Italien, das sast genau 10 mal größer ist und auch 4lxzmal mehr Einwohner hat, sogar um das 40 sache; denn Italien konsumirt ein schließlich Jmportbiere nur 600,000 Hektoliter Bier. Belgien schlägt im Trinken überhaupt den Weltrekord. Ja, siirchterlicher als der Biergenuß ist dort das Schnapstrinken und der Schnaps ist es auch, der dem Belgier das Biertrinken verleidet. Zwar ist Belgien zugleich das Land, wo man in der Kunst, die manni salti sten Biere zu brauen. am weite ten Port geschritten ist« allein alle die Gueuze lamboc und saro, Krique lamboe etc» aus denen zweifellos der Leipzi er seine ,,Gose", der Berliner die »Weige« imitirt hat — durch die vlämischen Einwanderer im 13. Jahrhundert in der Gegend von Magdeburg — stellen Getränke dar, die selbst dem einheimi schen Geschmack nicht mehr munden, weil sie von den eigenniitzignBrauern mit allerlei verdächtigen ·urrogaten verfälscht werden. So müssen seiner auch die saden, minderwerthig berei teten obergährigen Biere immer mehr den banerischen weichen, obwohl auch diese gern mit den schlechten belgischen vermengt werden. Bemerkenswerth ist, daß man in Belgien allgemein eine Tonne von 100 Liter Bier site 6—-8 Frei. srei ins Haus haben kann! " Jm Sommer beklagen sich die Meu lchen über den Staub, und se sind rie- voch sum