Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, June 09, 1905, Sweiter Theil., Image 14

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    Um der Mitgift willen.
Original-Roman von Attlmt sapp.
(3. Fortsetzung) l
»Es wäre noch ——«, erlaubte er sich
W bemerken, »der äußere Modus zu
dersbveden, unter dem Herr vdn »
Reingshosen sich bei Ihnen einfüh- :
ten soll, ohne den Argwohn Jhres
Fräulein Nichte zu erregen.« -
»Ja —- ja freilich!« Der Konsul «
legte seine Hand an die Stirn und;
sann nach. Er schien etwas gefunden «
fes haben, denn sein Gesicht erhellte ;
i . l
»Der THerr ist Kavallerieofsizier — J
meine Nichte erzählte uns neulich, daß !
tie während eines Besuches bei einert
ihrer Pensionatssreundinnem deren I
Eltern auf dem Lande wohnen, reiten ’
gelernt und daß sie viel Geschmack an
diesem Vergnügen gefunden habe. Ich
werde meiner Nichte vorschlagen, ihr
ein Pferd zu tausen. Jhr Leutnant
versügt vielleicht über einen passenden
Gaul oder verschafft sich einen solchen
von einem seiner Kameraden. Jch
erwarte Ihre Nachrichten in dieser
Hinsicht, Herr Hadertorn.«
Der alte Herr reichte dem Geld
leiber und Adams-Vermittler ver
adschiedend die Hand und noch ein
mal machte sich sein Hang zur beißen
ders Ironie geltend: »Es würde mir
sehr leid thun, mein lieber Herr Ha
derkorm wenn sich Jhr schönes Pro
Irkt nicht realisiren sollte, sehr leidl«
BiertesKapiteu (
Schon drei Tage später erschieni
Leutnant von Düringshofen in Be- I
gteitung seines Burschen, der ein Reit- i
pferd am Zügel führte, vor der Billa »
des Konsuls. Der alte Herr hattet
klüglich-erweise Niemand, nicht einmal i
seine Gattin eingeweiht. Dagegen !
hatte sich Clara Wenk über den Vor- l
schlag ihres Dunkle ihr ein Reitpferd s
anzuschaffen, erfreut gezeigt. Auch i
dem jungen Offizier gegenüber aab
sich der Konsul weder mit einem
Worte, noch mit einer Miene der An
s in, von dem pfiffigen Plane des
stellen Heirathsverxnittters auch nur
die geringste Ahnung zu haben. Für
ihn schien es sich nur darum zu han
deln, seiner Nichte eine Freude zu be
reiten und mit dem Leutnant einen
Pferdehandel abzuschließen.
Zwischen der Ban und dem Part
befand sich das Stallgebäude und hier
auf dem Hofe führte der Leutnant
seinen Gaul vor. Dem Thier war ein
Damensattel aufgelegt worden und
der Bursche des Offiziers mußte sich
nach Damenart aussetzen und das
Pferd vorreiten.
Während Clara Weni, neben ihrem
Onkel stehenb, mit Interesse den Be
wegungen des Thieres folgte und den
Leutnant nur während der Vor
llung mit einem flüchtigen Blick be
t hatte, musterte dieser die junge
Dame jest mit eindringlicher Auf
merksamkeit, wenn auch verstohlen.
Ihre Erscheinung war nicht übel. Ph
re hohe Figur —- fie war wohl aft
einen Kon größer als Ada —- gab
ibr besonders in dem dunklen, langen
Reitkleide etwas J.mponirendes. Ihre
are ware tief schwarz, ebenso wie
Augen. Jbre Gesichtszüge wa
ren nicht unfchön, aber ihr Ausdruck
befremdete den jungen Ofäfizier. Es
K etwas Freudloses und bei einem
Wehen von neunzehn Jahren ganz
ungewöhnlich Ernsteö in ihren Mie
uen Jn der Art, wie sie dem Konful
Wie und seine Bemerkungen er
.-tviderte, lag etwas Berfchüchterteö
nnd ZuriikllfaltendeL
Nachdem sich das Pferd in verschie
denen Ganaarten gezeigt hatte und
seine erste feurige Hitze ettvag ver
raucht war, forderte der Konsul seine
Nichte aus, sich auszusetzen.
Clara Wenl folgte, ohne sich erst
zu sträuben, aber auch ohne eine be
sondere Lust und Begierde an den
Tag zu legen. Es lag etwas Unent
psindliches und Apathisches in ihrem
ganzen Verhalten. Der Leutnant
war ihr beim Aufsteigen behilflich
und gab ihr die Zügel in die Hand.
Sie ritt ein paar Mal aus und ab,
siarr, fast unbeweglich, wie ein Stein
bild aus dem Gaule thronend.
Der Ossizier hielt es siir angemes
sen, der Neiterin ein paar Artiakeiten
u sage-n über ihre gute Haltung und
die sichere Führung des Psetdes.
W sie nahm gar keine Notiz von
seinem Lob, und er war im Zweifel,
ob sie überhaupt aus seine Worte ge
achtet hatte.
Aus die Frage des Konsuls, ob ihr
der Gaul gefalle und sie ihn zu besi
Ien wär-sche, antwortete sie mit einem
lautern »O ja!«
Der Leutnant biß sich im Ställen
auf die Lippen, und die angenehm an
Ieseude Spannung der Erwartung,
M ihn anfangs durchschauert hatte,
» immer steht einem seöstelnden
« n.
« sich die junge Dame
, «Æzogen hatte, um sich umzukled
. sowie sich dar Geschäfttiche
Its- den herreu sehr rasch ab.
« « sz sich über den Kausmeis
W W Und schloß den htm
M »ti- - drin-drehen ab. Dann
Qee Mal-seinen Gast artig zu
»Hei-et Fuss ein, Der O -
«" « es eine- Statut-IV
at- W be
werden konnte. Doch der ute alte
Rothwein des Konfuls hal feinem
Muth und seiner Unternehmungslufi
wieder auf, und er bemühte sich, feine
Unterhaltungsgabe glänzen zu lassen.
Er erzählte von dem soldatifchen Le
ben und ließ besonders die humoristi
fche Seite desselben gewandt und er
heikerrid hervortreten. Er schilderte
allerlei Manövererlebnisse fo lebhaft
und mit so komischen Pointen, daß die
Frau Konful gar nicht aus dem La
chen kam. Sogar der griesgrämige alte
Herr blickte immer vergnügter drein
und er vergaß neben seinem Gaste
auch sich nicht, indem er sein Glas
zu verschiedenen Malen füllte, was
bei ihm ein untriigliches Zeichen war,
daß er sich wohl fühlte und bei bester
Laune war.
Nur auf Clara Wenl brachte das
Erzählungstalent des Leutnants
nicht die gewünschte Wirkung hervor.
Sie verzog zwar den Mund hier und
da zu einem Lächeln, aber das sah je
desmal so erzwunaen aus, als ob es
lediglich der Höflichkeit wegen ge
schähe. Das blasse Gesicht blickte so
unempfindlich und ernfi drein, als
habe es nie in Heiterkeit geftrahlt, und
der herbe, feligefchlofsene Mund. der
sich nur zu einem Wort öffnete, um
ein-e direkte Frage zu beantworten,
schien das herzbafte, frische. vom Jn
nern heraustommende Lachen über
haupt nie gekannt oder doch längst ver
lernt zu haben. Axel von Düringsho
sen hatte das Gefühl, als ginge ein
Hauch von Kälte von der ernst ge
stimmten Waise aus, und als sei sie
von einer Melancholie besessen. die
auch ein sprudelnder Humor wie der
seine nicht besiegen werde.
Kurz vor der Aufhebung der Früh
ftiietstasel wandte sich der Konful an
seinen Gast.
»Apropos. Herr Leutnani. ich habe
noch eine Bitte, gewissermaßen eine
Bedingung, die ich an uniern Handel
von vorher noch nachträglich knüpfen
möchte. Meine Nichte bat in ihrem Le
sben doch noch so wenig zu Pferde ge
·seffen, daß ich Bedenlen trage, sie ihre
Reitversuche allein wieder aufnehmen
zu lassen.«
»O —- rch fuhle mich ganz sicher
Onlel," warf hier die junge Dame in
ihrer kühlen, ablehnenden Weise ein.
»Nein, mein Kind! Es könnte Dir
doch leicht ein Unglück vassiren. und
ich würde teine Ruhe haben, wenn ich
Dich, besonders in der ersten Zeit,
ohne allen Schutz wüßte«
»Ich bitte, ganz iiber mich zu ver
fügenf lam der Leutnant dem alten «
herrn zu Hilfe. »Ich werde rnir
selbstverständlich ein Vergnügen da
raus machen dem gnädigen Fraulein
meine schwachen Dienste zu widmen.«!
»O, ich möchte Sie nicht bemüan
entgegnete das junge Mädchen mit
einer« abweisenden, fast ängstlichen
Miene.
Aber auch die Frau Konsul legte
sich mit Eifer ins Mittel, ohne daß sie
ahnte, welcher Hintergedanle ihren
Gatten zu seinem Wunsche bewogen
hatte.
Nein, mein Kind, Onkel hat gan
recht. Wenigstens im Anfang brauch
Di wohl ein wenig Unterweisung und
Schus, und wenn der Herr Leutnant
so liebenswürdig ist, Dir feine Beglei
tung anzubieten, so nehmen wir das
mit größtem Dante an.«
Damit war die Angelegenheit erle
digt und es wurde verabredet, daß
Leutnant v. Düringshofen am nach
sten Vormittag die junge Dame zu
einem gemeinschaftlicle Spazierritt
ebbolen follte. ·
Aer von Düringsbofen verließ die
Van »Sorgenfrei« in nichts weniger
cls hossnnnagsrober Stimmung Mit
dein ersten Eindruck, den er auf den
Konsnl und dessen Gattin hervorge
bracht, kannte er wohl freilich zufrie
ocn sein. Doch um so weniger erhei
bend und schmeichelbaft war sein Ers
falg bei der HauptPerson in der Ko
nsödie. die der findige Herr Haber
karn inscenirt hatte, bei der reichen
ckrbin Im Stillen verwünschte der
Dfsizier den listigen Einfall des
Geldmannes. der für ibn ja doch nur
littere Enttäuschungen ieiiigen würde.
Daß er auf die junge Dame, die von
der weiblichen Schwäche der Gefall
sucht und überhaupt von weiche-ten
Empfindungen gänzlich frei Zu sein
schien. jeamls eine bezwingende Wir
kung ausüben könnte, dünkte ihm
völlig ausgeschlossen Ja, er selbst
empfand gar kein Interesse fisr sie
nnd verspürte auch nicht die mindeste
Lust, ibr den Hof zu machen. Er war
Temperamentsmensch und wenn er
säeb sin irgend eine Person oder Sache
interessiren oder gar begeistern sollte,
so mußte irgend ein Anreiz dazu sein, »
irgend ein-as. das ibn in Stimmung s
brachte und ihn warm machte. Wärme
erzeugt Wärme und Kälte wieder
Kälte. Angesichts der Temperament
losigkeit, ia der gletscherlsasten Mitte,
die» der Waise Erbtbeil zu zzsetn schien,
mir te ia jede wärmen Regung. irdee
leb ftere Wunsch im Keim ersticken.
Ei war deshalb auch lediglich das
gegebene Versprechen und die Pflicht
’der höflich-kein die den Ossi ier am
anderen Tage veranlaßten, si viinlts
sei zu dein Spazierritt ein usiellm
Mich diensmdcstung besät erste N
ansangs nur aus die gel liegen1
.ickchlichen Unterweisungen, Die er
Offizier der jungen« Dame gab. Er
Jseigteihy wie sie die Zügel zuführen
shabe, um das Pferd bei allen Gang
arien immer sin der vollen Gewalt n
haben. Er lebrte sie die Vilsenk hie e
dem Gaule zu geben habe, um ihn in
Trab ober in Galopp zu verse en, und
verbesserte hier und da ihren is und
ihre Haltung,
Daß die lebhaste Betve ung des
Neitens in der frischen orgenlust
eine stimulirenbe Wirkung aus« die
Stühle, Unempsindliche ausübte, ließ
sich an ber Röthe, die ihre Wangen
immer dunkler färbte und an dem
glänzenden, freieren Blick ihrer Augen
erkennen. Ja, zuletzt, als sie auf dem
Hcimwegeeiner Schafheerde begegne
tn, die sich ängstlich. zum Theil in
poisirlieben Sprüngen an ihren Mer
oen vorbeidriiclten. ließ sie plötzlich ein
lautes, herzliches Auslachen ertönen
Axel von Diiringsboien blickte ganz
erstaunt aus und der Ausruf »Cha
lsiges Fräulein können auch lachen,«
entfuhr ihm unwillkürlich
»Warum sollte ich nicht lachen tön
nen?'« fragte sie. seinen Blick ebenso
Verwundert zurückgebend
»Pardon! Aber ich hatte gestern den
Eindruck, daß Sie noch nie in Ihrem
ganzen Leben gelacht haben —«
Sie wurde mit einem Male ernst;
auf ihrer gewölbten weißen Stirn er
schienen drei senkrechte Falten und
mit ihrer leisen, unislorten Stimme
entgegnete sie: »Freilich, ich- habe
wenig Freude gehabt in meinem Le
geize seit ich meine Eltern verloren
l a .« ,
Es regte sich in dem jungen Offi
zier zum ersten Male eine wörmere
Empfindung in ihrer Gegenwart
»Ich theile das Geschick mit Ihnen
Waise zu sein," sagte er und sah ihr
mit einem ernsten Blick in’s Auge.
»Auch ich stehe allein in der Welt.«
»Aber Sie sind ein Mann,« ver
setzte sie fast lebhaft. »Sie haben
Jhren Beruf, der Sie in Anspruch
nimmt und entschädigt, nnd Sie ha
ben Ihr eigenes Heim, während ich
Mich Jahre lang bei Fremden aufhal
ten mußte und nun meinen Verwand
ten zur Last salle."
Es lag ein so wahrnehmbarer
Klang Von Bitterkeit in dem Ton
ihrer Stimme, daß es dem Leutnant
auffiel.
»Aber gnädiges Fröuiilein,· beeilte
er sich, höflich einzuwenden, »daoon
kann ja doch wohl nicht die Rede
sein. Jm Gegentheil, der Herr Kon
sul und seine Gemahlin werden es
gewiß mit großer Freude begrüßt ha
Tben, in Jhnen eine erwünschte, ange
nehme Hausgenossin zu erhalten«
EZ zuckte gar eigen um die Mund
wsintel des jungen Mädchens, malt-i
rend sie schweigend den Kopf ienltej
und den Gefühlen, die still in ihr ern- l
sporquollen,« nachhing. Wenn ihre!
Verwandten es auch an äußerlicheri
Freundlichkeit und Rücksichtnahme
nicht fehlen ließen. mit ihrem seinen
Empfinden hatte sie wohl gemerkt,
daß sie die alten Leute genirte, des
halb tonnte auch ein wahres Heim
gefühl nicht in ihr aufkommen. und
das Bewußtsein, daß ihre Anwesen
heit eher als eine Störung, denn als
etwas Angenehmes empfunden wür
de, machte sie noch scheuer und ver
schlossenen als sie es in den unter
fremden Menschen verlebten Jahren
ohnedies geworden war.
Freilich, dem jungen Mann gegen
über; der an ihrer Seite ritt und sie
verwundert beobachtete, hütete sie sich
wohl, ihre innersien Empfindungen
bloszulegen, und schweigend legten sie
den Rest des Weges zurück.
Fasi täglich. wenn es das Wetter
erlaubte, holte- der Leutnant die
Nichte des Konsulö zum Spazierritt
ab. In den verschiedensten Richtun
gen wurde die Umgegend durchtreu ;
durch Wald und Fe d, über Wiesan
und Aecker wurde geritten, und zu
weilen waren zwei volle Stunden ver-'
strichen, ehe der Leutnant feine
Begleiterin zur Ban «Sorgensrei«i
zurückbrachte. Jn natürlicher Folge
·eses Æafigen Zusammenseins er
gab sich allmählich eine gewisse Leicht
tigteit und Ungezwungånheit im Ver
kehr-Zwischen ihnen, «e Aer von
Dsiungshosen selbst noch vor Kur
iem siir eine Unmöglichkeit gehalten
hatte- s
Er selbst hatte ganz feinen frischen, "
unversiegelichen Humor und die Heiter
teit und Lehhaftigieit feines Natu
rells wieder gefunden, die anfangs vor
der kühlen Zurückhaltung der reichen
Erbin nicht hatte aufkommen wollen.
Und er hatte die ftille Genugthuung,
zu sehen, daß unter der Einwirkung
feines Wesens auch Klara Went an
fing, aus sich herauszugeben und ihre
unempfindliche, unnahbare Haltung
mehr und mehr aufzugeben. Sie blick
te nicht mehr so düfter und in sich ver
sunken vor sich nieder und beantwor
tete feine Fragen und Bemerkungen
nicht mehr nur mit einem kurzen
gleichgiltigen »ja« und »nein.« Auch
sie ließ fich von feiner Lebhaftigteit
und Mittheilungsluit hinreisen» von
ihrem Leben zu erzählen, non ihren
Erfahrungen im Pensionat. und hie
und da flocht fie fogase eine humori
;ftifche,Epifode in ihre Erinnerungen
sein«
« Freilich, sobald fie wieder zu hause
war, fant sie wieder in ihre stille
Wdlosigteit und ihre worttarge
u zurück-— und der Ksnfuldind iet
ne Gattin fahen lediglich die äußeren
Wirtungen der täglichen lebhaften
körperlichen Bewegung ihrer N te,
die sich in dem besseren Appetit. er
gefunden Gesichtifarbe und ihren fri
Eicheln elastischen Bewegungen tundgai
n. «
Der Konsul war übrigens ·in der
Zwischenzeit im Interesse seines
JMiindels nicht unthiitig gewesen. Er
l ttte älter den- iLentnant mengte
r un ·gungen- e z n. s e
sultat war nur Knoxhäl befriedi
end. Herr von Ditringshosen war im
e iment außerordentlich beliebt, er
gal als tüchtiger Ofsizier. der das
Wohlwollen seiner Vorgesenten und
die volle Sympathie seiner Kameraden
besaß. Freilich, eine ziemliche Dosiö
Leichtlebigleit sagte man ihm nach. Er
hatte sich nie von einem Vergnügen u
riielgehalten und wohl weit iiber seine
Mittel gelebt. Jni Uebrigen war sei
ne Ehrenhastigteit ohne Hineisel Man
rühmte an ihm einen o senen, gera
den Sinn. Konsul Rehseld war von
alledem nicht erbaut. Jhm als gutem
Kaufmann war jedes Mißverhältniß
zwischen Einnahmen und Ausgaben
ein Greuel und er meinte, ein ordent
licher Mensch müsse zuerst aus Ord
nung in Geldsachen halten, und wer
Vertrauen beanspruche, müsse sich vor
Allem ans eine gesicherte materielle
! Lage stützen. Vielleicht hätte der Kon
Isul, so sehr ihm auch Herrn von Dü
Eringhosens gewandte5, liebenswürdi
ges, erfrischendes Wesen behagte, dein
jungen stizier dennoch sehr bald
wieder den Stuhl vor die Thiir ge
setzt, wenn ihm nicht eines Tages ein
listiger Gedanke gekommen wäre. Wie
wenn er den slotten, als Gesellschafter
sehr schätzbaren, als Heirathstan « a
ten jedoch weniger erwünschten Le t
nant dazu benutzte, aus den stillen,
zurückhaltean Proluristen anseu
ernd einzuwirken! Vielleicht regte
sich auch in dem sischbliitigen Herrn
Guntermann das Temperament des
jungen Mannes, wenn er den — lecken
iLeutnant Klara umschmeicheln und
ihr den Hof machen saht Vielleicht ent
wickelte sich in weiterer Folge ein
»Wettstreit zwischen den beiden jungen
Leuten um Klaras Gunst.
Die köstliche Idee, daß es am Ende
vielleicht dem gediegeneren Gunter
mann gelang, dem Bruder Leichtsuß
den Rang abzulausem und daß, wenn
fes zuletzt doch zu einer Verlobung
IKlaras mit dem Prolurislen lam,
der schlaue Heirathslommissioniir Ha
berlorn um den ersehnten Profit tam,
bereitete dem alten Herrn ein außer
ordentliches Vergnügen. War Klara
nicht ein ernstes, ftilles Mädchen, und
war deshalb nicht anzunehmen. daß
ihr Guntermann schließlich sympa
tischer sein mußte wie der oberslöch
liche Leutnant?
Ganz von dieser Hoffnung erfüllt,
lud der Konsul am nächsten Sonntag
nicht nur Herrn von Düringshofem
sondern auch Herrn Guntermann zu
Tisch. Und nun war es sein Bestre
ben. eine Unterhaltung in Fluß zu
bringen« die den Prokuristen interes
sirte und ihm ermöglichte, sich von sei
ner besten Seite zu zeigen. Er sprach
von der Bedeutung des Handels fiir ’
den Wohlstand des Volkes und hatte
nun allerdings die stille Genugthuung,
zu sehen, daß die Geister der beiden
jungen Leute heftig auseinander
platztem
Herr Gunterrnann legte sich wirt
lich mächtig in’s Zeug. War er das
Thema, das ihn anregte, oder war es
seine Einenliebe, der Wunsch. sich vor
der jungen Dame dem Ofsizier gegen
über keine Blösze zu geben, er verthei
digte mit großer Wärme und Beerdi
samieit den Satz, daß der Kaus
mannästand nicht nur der an Mitglie
demszahlreichste. sondern auch der
wichtigste Stand im Staate sei, wäh
rend Axel von Dürinashofen nicht
minder lebhaft die Ansicht versocht,
daß zuerst der Wehrstand käme. der
allen anderen Berufen an Wichtigkeit
fiir die Wohlfahrt des Landes voran
«nge, denn wenn eine starke, tüchtige
rmee dem Volke nicht den Frieden
Whrleifttete. könnten sich auch die
friedlichen Berufe: handel, «ndustrie
und Ackerham nicht segeni ch ent
falten. · »
Ueberhaupt, es schien sich zwischen
den beiden jungen Leuten, die ja aller
dings nicht nur äußerlich, sondern ih
rem ganzen Charakter und Wesen nach
die ausgesprochensten Gegensätze bil
deten, von vornherein eine gewisse An
tipathie zu entwickeln. Der Konsul
glaubte die Beobachtung gemacht zu
haben, daß« sie schon hei der Vorstel
lung einander mit tühler Reserve be
grüßt und sich gegenseitig mit nichts
weniger als sreundlichen Blicken ge
messen hatten.
Die späteren Zusammenliinfte, die
der Konsul im Interesse seines listig
ausgesonnenen Planes in der Folge
zeit ziemlich häusig veranstaltete, ga
hen ihm recht. Es war kein Zweifel,
der Prokurist und der Lentnant
sahen einander mit mißgünstigen Au
gen an und wenn es auch keiner von
Beiden an der äußeren höflichteit seh
len ließ, dem schars heohachtenden al
ten Deren entging es nicht, daß sie
einander nicht mochten und sich gegen
seitig mit seindseliger Geringschähung
hehandelten.
Ei schien wirklich, als oh die Ge
genwart des Leutnants einen anfert
ernden Einfluß aus den Prokuri
sten hervorgebracht habe, und als oh
beten von Diirin Dhosens Bemü
hungen, sich Klara enl an nehm zu
erweisen, in dem stillen, stei i Vers-n
sGuntermann ein ähnliches Bestreben
ertveckt hätten. Das Seltsame, Wun
derhare geschah, der Proturist wurde
galant nnd bemühte sich« bei der Waise
Dank und Anerkennung zu ernten.
Bald überreichte er ihr mit einigen
verlegen gestannnetten Worten einen
haftenden. geschart-etwa gewundeuen
i
Blumenstrauß. bald brachte er ihr
neue Rote-n, mit denen er Mara als
pas ronirte Klavierspielerin eine be- :
Links Freude zu bereiten hassen »
ie. I
Doch die Wege des kleinen Schel- i
mes Amor find wunderbar und dies
Regungen eines Mödchenherzens las- »
sen sich nicht mit derselben mathemati- »
chen Sicherheit vorausbestimmem wie ;
etwa das Resultat eines Ruhme-sem- ;
pelz. Klara Weni nahm die Aus-«
merlsnmleiten des Proluristen ihres
Onlels mit ruhiger Gleichgiltigleit
ent egen und schien-sie lediglich als
Höelichleiisbezeu ungen anzusehen.
die ihr als der ichte des Chefs der
Firma erwiesen wurden. Der Konsul
aber hatte falsch speiulirt, als er ge
glaubt hatte, der stillen Klara Wenl
werde der gesetzte Charalter des Pro
kuristen sympatisch sein. Gerade der
Gegensatz seines Charakters zog Klara
Wenl zu dem Leutnani hin. der
dem röhlichleitsbediirsniß ihres jun
AM zens ganz anders entgegen
lam, als der ernste, etwas steisleinene
Herr Guntermann. Wie ein warmer. ;
belebendet Sonnenstrahl aus die bis
her im sonnenlosen Winkel verdor
rende Blume wirkte das frische. stobe
Temperament des slotten Osfiziers
auf das seelisch verdüsterte und ver
liimmerte Gemiith des jungen Mäd
chens. Dazu lam, daß die gemeinsa
men Spazierritte, die nun einmal
eingeführt waren und die der Konsul
nicht aut plötzlich wieder abschassen
konnte, die beiden jungen Leute sast
täglich stundenlang ungestört zusam
mensührte, sie seelisch einander immer
näher brachte und die gegenseitige
Sympathie erweiterte und verlieste.
sFortsetzung solgt.)
-»-,—.-—-.- — —
-s——’
Vertrages Eindrücke.
Ewige Beständigleit, das ist der
Kern aller Gedanken, die die Chinesen
iiber ihr Reich und ihre Hauptstadt
haben, das erste Wort, das sie dem an
tommenden Fremdling zurufen wie
eine Mahnung, sich auch bewußt zu
werden, was es heiße, Peting,
die Hauptstadt der Welt, be-(
treten zu dürfen. Und wirtlich, das
doppelte Thor, durch das man sich zwi
schen all den Karten und Reitern,
Fußgängern und Pacttreibern mit
Mühe seinen Weg ins Innere der
Stadt bahnt, sieht schon ganz nach
Ewigkeit aus. Ungeheure Mauern,
aus gewaltigen Quadern aufgetürmt,
schützen den Eingang, als ob sich dahin
ter etwas befande, was nicht in seiner
erhabenen Ruhe gestört werden dürfe,
etwas Unnahbares, Göttliches, das
von der Aufzenwelt geschieden werden
müsse durch Festungswerte und Mau
ern wie tein anderes Heiligthum der
Welt.
Aber anstatt der stillen Weihe eines
abgeschlossenen heiligthumä empfängt
uns tosendes Leben, und ein Bild thut
sich Vor uns auf, so bunt, so wild, wie
es eben nur Peking bieten kann. Eine
ungeheure Straße öffnet sich, unabseh
Ebar, sich wie in die Unendlichkeit dek
tierend, ohne sichtbare feste Grenzen
nach denSeiten. Man wüßte gar nicht,
daß man sich auf einer wirklichen
Straße befindet und nicht einfach in
mitten eines planlosen überwältigen
den Gewimmelö von Menschen und
Thieren, wenn nicht die mächtigen
Steinfliesene die unter den Hufen un
serer Pferde erklingen, daran erinner
ten, daß wir auf einer der Kaiserstras
szen des Landes sind, die nicht einfach
geschottert oder gepflastert, sondern zu
Ehren des Landesherrm der sie zuwei
len zu betreten geruht, mit den mäch
tigen Kaltplatten belegt werden. die
bei Anlage des Weges eine Freude für
Mensch und Vieh gewesen sein mögen,
heute aber mit ihrem verunglückten
Unterbau und der verwitterten Ober
fläche, mit ihren Lucien und Löchern,
Rillen und Senkungen Aufmerksam
teit und Geduld des Neisenden und
die Fußsicherheit seines Reitthierö auf
ene harte Probe stellen.
Dabei hat man taum Zeit, aus den
Weg zu achten, den man sich erst er
kiimpfen muß. Denn hier, unmittel
bar innerhalb des Thous, haben sich
zahlreiche Baden fliegender Tini-let zu
beiden Seiten so dicht an n Fahr
danun der Quaderstrasze gedrängt, daß
nothgedrungen der unablässige thorein
thorm flutende Verkehr aus eine·
schmale Mittelrinne zusammenge
schniirt wird, auf der es schwer hält,
auch nur tm lan samsien Schritt vor
anzukonunern tcht hintereinander
»
rasseln die berüchtigten Petinger Kar-P
ren mit ihrem blauen Tuchdach und
den schweren nägelbeschlagenen Rädern
auf dem holprigen Pflafter vorüber-,
Reiter auf tleinen ftruppigen, dick
»bäuchigen Pferden drön en sich durch
die dichte Menge der au ihren zollhoi
hen Filzsohlen dahingleitenden Män
ner, und Laftträger teuchen vorüber
und lassen auf schwantem Bambus
rohr die an beiden Enden hängende
Last zum Takte ihres lauffchrittmäßi
gen Marsches auf und ab schwippen.
Feiner heller Staub steigt vorn Bo
den auf, fällt von oben aus scheinbar
tlarfter Luft herunter und umwirbelt
einen von allen Seiten, dringt beizend
in die Auge-kund le t sich in fühlbar
dicken Schieh n auf leidung und Ge
sicht. Tausend unnenbare und unent
wirrbare Gerüche dringen auf uns ein
und mästen sich rnit hülfe des »dring
lichen Staubes fest in den Bortams
nrern unserer Geruchönerbem und
auch die Ohren haben es nicht leicht in
dem unablässig durcheinander tobenden
Geschrei, das alles rings erfüllt. Es
ist« als ob es in die Schlacht geben
t
sollte, zum rohen dadng tot
sich thierische Leidenschaften, Wirth
»und Rache, Blutdurst nnd Mordgier
messen wollen, so heult alles durchein
ander mit gellenden Stimmen, und den
weit geös neten Mäulern der Schrei
enden ent riimen dichte Schwaden von
etlem Knoblauchgest"ant,s dessen durch
dringende Schärfe das Hauptwert-ital
chinesischer Menschenmengen bleibt«
Rechts und links öffnen sich weite
unangebaute Felder, in deren hinter
grunde die rothen Umsassungtmauern
und die darüber emporragendeu
Baumwipseln der großen Gärten sicht
bar werden, in denen die Tempel des
Himmels und des Ackerbaues versteckt
liegen. Der dichte Strom von Men
schen, Pferden, Maulthieren und Kar
ren wallt inmitten dieser sreien staub
ersitllten Ebene weiter dahin wie eine
Karatoane in der Wüste. Eine nie
drige Brücke wird überschritten Sie
trägt den stolzen Namen Tsenn
Tschjau» Himmelsbrücke, aber anstatt
über Paradisische Gen-Essen wölben sich
ihre Marmbrbogen über eine schleimi
ge, grünlich schimmernde, übeldustende
Flüssigleit, den Abzugsgraben des gro
ßen, im Südosten der Chinesensiadt
liegenden Teiche-Z der Rohrgebiische
(Chui Tang).
Hier beginnt die eigentliche Stadt.
Ohne Unterbrechung ziehen sich von
jetzt an zu beiden Seiten der breiten
Straße die Häuser und Kaushallen
bin mit ihren bunten Aushängeschils
dern, aus denen in dicken goldenen,
senkrecht übereinanderstehenden Zeichen
sich jeder Höndler als den einzigen
wahren Jatob preist. Ein Laden reibt
sich an den andern, ein Haus sucht das
andere zu übertressen durch die Menge
jund Pracht der ausgestellten Waaren
oder durch den Reichthum der üppig
geschnistem dick vergoldeten Holzsas
saden, die wie Theaterkulissen hoch
über das Dach des einstöckigen Hauses
bintoegragen. Selbst aus der Straße,
unbetiimmert um den ununterbrochen
vorüberlvallenden Strom der Fussgöni
ger, haben sich Höndler niedergelassen
und an den Seiten, mitten im Staube
und dem Schmutz der Wege ihre Waa
ren ausgestellt, von den kostbarsten
Seidenzeugen und Porzellanen herun
ter bis zu dem alten Eisen und Haus
haliströdelltam Jn jedem Hause
wird irgend etwas verkauft oder ver
schachert, selbst in den zahlreichen
Speisewirthschaften, die überall auf
offener Straße ihre dann-senden Ge
richte ausbieten, geht es laut zu wie
auf einer Bersteigerung. Ein einziger
Gedanke scheint dies ganze Voll zu be
seelen: Geld verdienen um iedenPreis,
aus irgend eine Weise und sei es mit
dem bescheidenften Erfolg. Alte zer
rissene tausendfach gestickte Kleider,
zersprangene Ist-frommem verbeut
tes durchlöchertes Kochgeschirr und zer
brochene Hufeisen scheinen noch ihoe
Liebhaber zu finden. Nichts ist zu
gering, als daß es nicht mit Nu en
noch zum Verlauf ausgeboten wer n
tönnte, Geschäft ist Geschäft, anch
toenn es nur den Bruchtheil eines
Pfennigs einbringt. Derselbe Händ
ler, der einem reichen Mandarinen ei
nen kostbaren Zobelpelz fiir eini e
hundert Tael verkauft, hält es ni t
unter seiner Würde, durch einen seiner
Angestellten dem ärmsten Lasttriiaer
für ein paar Kupfermünzen ein altes.
vielleicht schon von hundert früherer
Besitzern getrageneö Kleidungöstiick
darlegen zu lassen, bei dessen Verlauf
nicht mehr als ein Pfennig verdient
werden kann. Aber Handel schändet
nicht und Arbeit noch weniger, das
sind die beiden großen Grundsähe der
Chinesen. soweit er nicht literarisch
gebildet und deshalb Beamter oder
ochAnwörter für denStaatsdienst ist.
Es liegt ein Zug von Größe in
dieser Kleini leit. Es ist der letzte
Niederschlag s verxhrenden Thiitigs
leitsdranges, der n wimmelnden
Ameisenhaufen jeder chinesischen
Stadtbeviillerun belebt« der die
Handwerker bis spät in die Nacht hin
ein in ihren«engen Werkstätten fleißig
sein läßt und den Schülern und Stu
denten die Ausdauer verleiht, lange
Jahre sich dem aualvoll unfruchtbaren
Studium chinesischer Klassiler zu wid
men.
Der Verkehr von starren und Men
schen scheint immer dichter zu werden«
je näher man dem mächtigen Thore
kommt. das schon lange durch die weh
enden Staubtvolten am fernen Ende
der Straße wie eine unbesiegbare
Zwingburg sichtbar wird. Es ist
Tfchönn Mönn worden-s Thor). in
feiner Art wohl das wuchtiafte Bau
werk der Stadt, das den Bezirt der
Chinesen von dem der Mandfchuren
trennt. -
Und immer wieder ist« es der Stand,
der sich als das bezeichnendste Mertmal
Petings a fdrängt. Die Luft ist aa
und für ft von töstlichet Klarheit
und « rische, aber fetten ruhig, immer
tebhat bewegt von stärtern oder ge
ringern Luftzii en, die sich vom ge
mächtichen Söufetn zum Sturmwind
steigern. Jede Erregung der Luft,
sei sie schwach oder heftig, setzt diese
tiber dem ganzen Nordlande lagernden
Staubxnaffen in Bewegung, den in
ginfte Theitchen aufgetitften Deiritui
r Berge. deren entwatdete hänge den
zerstörenden Kräften von Wind und
Wasser seinem Widerstand entgegen
fan können. So erscheint die Stadt
fa immer wie halbverweht, vermischt,
vom Samum bewältigt, aus dessen
tollen Staubtvirbeln nur undeutl·
die unendlichen Straßenziiae und die
hegenan Menschen-nassen mit nann
un Sanften, Pferden und Maulthtes
ren und its-treten hervoesehtvimmem