Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, May 26, 1905, Sweiter Theil., Image 10

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    H Das Rathiel von Etvekshiih.
Roman von Fieinhokd Ortmantn
I v v - - -
(16. FortfehungJ
» »Ja. Es war etwa fünf Minuten
nach halb zehn, als ich Fabian aus
der Richtung von der Försterei her
auf unser Haus ulommen sah.
winkte ihm vom nster aus, daß er
eintreten möge, weil ich uns im Hause
an- besten gegen jede Ueberraschung
gesichert glaubte. Jch hatte die Lampe
un elöschi, aber ich sah trotzdem daß
et urchtbar aufgeregt war Er fing
nicht damit an, mir Vorwürfe zu ma
chen, wieich es erwartet hatte, sondern
erzählte mir in abgerissenen hastigen
Worten, daß er soeben seine Entlas
sung erhalten habe, und daß es dabei
szu eine-m heftigen Streit, ja sogar zu
Tbätlichteiten zwischen ihm und dem
Baron Erwin gekommen sei. Er war
entschlossen, Elvershöh noch an dem
selben Abend oder doch in der Frühe
des nächsten Tages zu verlassen, und
er verlangte von mir, daß ich ihn be
leiten solle. Erst als ich ihm vor
ellte, daß es mir ganz unmöglich sei,
einem solchen Verlangen zu willfah
ren, brach er mit seinen eifersiichtigen
Anllagen los.«
»Mir eine Frage, Fräulein Redlich,
ehe Sie weitererziihlem der eifersiich
ticke Argwohn des Försters richtete sich,
wie Sie selbst vorhin angedeutet ha
ben. und wie aus seinen Aufzeichnun
gen llar hervorgeht gegen eine be
timmte Person. Es ist da von einem
Baron die Rede, den er einmal einen
elenden Krüppel nennt. Wollen Sie
»uko nicht sagen, wer damit gemeint
l ·«
»Ich möchte Sie bitten, es mir zu
erlassen«
»Ich weiß nicht« mein Fraulein, ob
ich im Stande sein werde, Ihnen die
sen Wunsch zu erfüllen. Jch möchte ja
Ihre Empfindungen gern schonen; ge
rade dies aber ist von besonderer
Wichtigkeit, und es würde überdies
siir Sie vielleicht noch Peinlicher sein,
nenn ich den Namen der betreffenden
Persönlichkeit auf anderem Wege zu
ermitteln suchen müßte. Sie thaten
in ihrem eigenen Interesse besser da
ran, ihn mir zu nennen.«
»Wenn es denn sein muß —- der
Herr, auf den Fabian ohne jede Ur
sache eisersiichtig war, ist der Baron
Prosper v. Linderode.«
»Der jetzige Majoratsherr von El
"kerkhöh«?«
« a.
»Ich danke Ihnen. Wollen Sie nun
Ihre Erzählung vollenden?«
»Ich kann mich nicht mehr aller
Einzelheiten des erregten Gespräche
erinnern, das wir miteinander führ
ten. Ich weiß nur noch, daß mir seine
wilde Leidenschastlichteit Furcht ein«- .
siiißte, und daß ich alles that, was ich H
vermochte, um ihn zu beruhigen. Aber
es gelang mir nicht, denn er war von
dem Wahn beherrscht, daß seine Ent
l.:ssung auf das Betreiben des Barons
Prosper und mit meinem geheimen
Einverständniß erfolgt sei. Nur wenn
ich enwilligte, unverzüglich mit ihm zu
gehen, wollde er daran glauben, daß
dieser Verdacht ein Jrrthum sei. Und
weil ich diese Einwilligung nicht geben
wollte, blieben wir mit allen heftigen
Anöeinandersetzungen immer aus dem
nämlichen Fleck."
»Stieß der Förster dabei auch
Drohungen »gegen irgend jemanden
aus? Bei sein " leidenschaftlichen
Temperament is doch wohl anzuneh
men, daß er es gethan hat.«
»Nein. Er sprach nur immer da
vor-n daß er nicht weiterlcben würd-,
wenn ich bei meiner Weigerung ver
harrte Mein Ja oder Nein bedeute
sin ihn die Entscheidung über Leben
nnd Tod«
«Und nahmen Sie die Drohungen
. mit einem Selbstmorde ernst? Thaten
- Siq nichts, ihn von einem so verzwei
.feite"n Vorhaben abzubringen?«
»Ach, ich that alles, was in meinen «
Kräften stand! Jch beschwor ihn unter
These-rein mir zu vertrauen und zu
warte-, is ich ihm als seine Gattin
s« Isede lgen können. Aber er wollte
— nichts « ören. Er war blind und taub
in seinem verhängnißvollen Wahn.
Akt et endlich sah, daß es ihm nicht
Zins-en würde, meinen Widerstand
sie-In die von ihm beabsichtigte Ent
jii eng zu brechen, ries er mir noch
einer-at za- ,,Gut denn, Du willst es »
ist andere! Lebe wohl auf ewi, !«;
d käute wie ein Rasender in ie I
« acht hinan-X l
7 ».IWnnen Sie mir rnit einiger Be- !
Rumtheit angeben, wie spätes war, !
FrFZester Sie aus solche Art ver- 4
si
,,Ss mag woos sumny oder zwan
zig Minuten nach elf gewesen sein.
Mk die Uhr im Wohnzimmer meines
Oheimö elf schlug, hatte ich ihn gebe
M, sich zu entfernen, weil in jedem
Angel-blies einer der Hausbewower
Wckkehren könne; aber er war trotz
«, « noch eine Weile geblieben, um«
Mich mii feinen Bitten umzustin1men·«
f »Und wie viel Zeit braucht man
Ists-h Ideer Schäßung, um von dem«
Minneehfeufe bis zum Steinbtuch zu l
en «
» »F jemanden, der des tünefieni
is I kundig ist« sind es vielleichtj
Iesk Merieißnnden.«
speisen Sie bemerkt, daß Fabianj
ist Waffe bei sich ten-if« 1
»M, et hatte eine Flinte umge
hängt, die er auch nicht ablegte, wäh
rend wir miteinander sprachen.«
»Und Sie würden bereit sein,
Fräulein Redlich, alles, was Sie so
eben erzählt ben. besonders auch
die Angabe ber den Zeitpunkt und
die Dauer Jhrer Unterredung mit
dem Förster, durch ihren Eid zu er
hätten?:
« a.
»Nun denn, so stehen wir hier vor
einem Räthsel. Der Schuß, der den
Baron Erwin v. Linderode getödtet
hat, fiel nach der bestimmten Aussage
dreier Zeugen genau«um zehn-Uhr,
Der Förster Fabian kann somit der
Mörder nicht gewesen sein. Wer aber
ioar es dann?«
»Duran habe ich keine Antwort.
Jch verbrachte, nchdem Rudolf Fabian
mich verlassen hatte, eine schlaflose
Nacht. Als ich am nächsten Vormittag
hörte, daß man denBaron Erwin todt
im Park aufgefunden habe. und als
alle Weit den Förster als seinen Mör
der bezeichnete, da glaubte zuerst auch
ich an seine Sälzlulo Aber je deutli
cher ich mir a e Einzelheiten jener
Abschiedsszene ins Gedächtniß zurück
rief, desto mehr wurde ich wieder an
diesem Glauben irre, und als ich dann
vollends erfuhr, derSchuß sei um zehn
Uhr von verschiedenen Personen ge
hört worden, da mußte ich wohl inne
werden, daß Fabian gar nicht der
Mörder gewesen sein konnte. Wäre
ich damals vernommen worden. so
niirde ich natürlich die Wahrheit ge
sagt haben wie heute. Dazu aber,
mich durch mein Jeugniß freiwillig an
den Pranger zu stellen, fehlte mir der
Muth.« «
Der Untersuchungsrichter hegte in"
der Stille seines Herzens- zwar nicht
den geringsten Zweifel, daß sie auch
heute schwerlich alles gesagt haben
wurde, wenn sie nicht durch die Auf
zeichnungen des Stett-enden dazu ge
zwungen worden wäre; aber er fühlte
so viel menschliche Theilnahme sür
ihre wenig beneidenewerthe Lage, daß
er nichts von solchenGedanten äußerte
sind sich beeilte, ihre Vernehmung zu
enden.
»Was ich sonst noch von Ihnen zu
erfahren wünsche, rrerden Sie später
taan tönnen,« erlliirte er. »Aber es
wäre mir lieb, wenn Sie zu anderen
Personen von den Dingen, die wir er
örtert und festgestellt haben, vorerst
noch nicht sprechen wollten«
Um Käthes volle Lippen zuckte es
schmerzlich. »Der Mahnung hätte es
wohl kaum hedurst. Jch habe wahr
lich teineJreude daran, davon zu
reden.«
»Nun denn, so bitte ich Sie, das
Protokoll zu verlesen, Herr Referen
kar!«
Der junge Rechts-he lissene, der mit
großem Eifer seiner flicht als Ge
rtchtsschreiber obgelegen hatte, tam
dieser Weisung nach, und Käthe fand
an seiner Niederschrift nichts zu he
rictstigen Ohne zu zaudern nahm sie
die von dem Landgerichtsrath darge
botene Feder und setzte mit festem
Tenge ihren Namen unter das Atten
Fück, das die Rechtfertigung des un
glücklichen Försters in sich schloß·
»Ich danke Jhnen, mein riiulein!«
sagte der Landgerichtsrat höflich
.,Sie sind bis auf weiteres entlassen.'·
Todtenbleichen Antlitze-, doch in
sicherer Haltung, verließ Käthe das
Zimmer-.
Zwanzigstes Kapitel.
Der Wagen, der die Herren vom
Gericht nach der Station zurückkam
aen sollte, hielt schon seit einer halben
Stunde vor dem Schlosse, und noch
immer wurde Editha v. Linderode des
Fragens nicht rniidr. Mit all der pe
dantischen Umständlichteit, die ihm in
seiner langjährigen Thätigteit als
eintersuchungsriehter zur Gewognheit
geworden war, hatte ihr der and
gerichtsrath die Thatsachen ausge
zahlt, die nach den letzten Feststellun
gm rnit geradezu übermältigender Be
iveistrast für die Unschuld des För
sters sprachen. Nicht allein die in der
Gewißheit des nahen Todes versa ten
Betenntnisse des unglückseli en « an
nen und die Aussageik der athartna
RedlichEgalten ihm als solche iider eu
ende ntlastungsmomente, son rn
n nicht geringerem Maße auch der
durch satt-verständige Untersuchung
tonstatirte Umstand, daß die im
Schädel des erschossenen Baroni aus
gefundene Kugel nicht aus der Büchse —
kkabians qetommen war. Eine andere
Weise aber als das doppelläufige
Jagdgewebr hatte der Förster offen
bJr nicht bei sich ger rt, denn es
wäre eine sehr gesuchte und unwahr
sgheinliche Erklärung gewesen, wenn
man hätte annehmen wollen, daß er
sich derselben unterwegs entledigt
shabe, um den Verdacht der Thaler
schaft von sich abzulenlen.
»Ein Menfch, der so fest entschlossen
ist, sein eigenes Leben zu enden, wie
dtesser Fabian, denkt sicherlich nicht an
derartige raffinirte Kunst riffe,«
meinte der erfahrene Richter. « für
meine Person habe die unums ößli
Gewi beit, daß er mit dem Tode J -
us etters nicht das mindeste zu.
schaffen hatte, und daß wir uns durch
ein Zusammentreffen von Zufällig
rat-u. vie dem wirklich-u Mem « H
new ges-rann- ge
er al
fürchte, et wir uns recht sch
len, den einmal degangenen Fe ler
wieder gut W machen.«
disk-, e während der Gganzenl
Unterhaltung bald mit ha a
wandtem Gesicht am Fenster gestan
den hatte, bald mit einer Unruhe. die -
seitsam von ihrem sonstigen kalten
nnd gemessenen Wesen abstach. aus
nnd nieder gegangen war, sragte ha
stig: »Sie haben also keinen Verdacht?
Tie heutigen Vernehmungen haben
Sie nicht aus eine neue Spur ge
sührt?«
»Leider nein! Die Leute waren hier
don allem Anbeginn so selsensest von
der Schuld des Försteks überzeugt,
das; sie allem, was aus eine andere
Fährte wies, nicht die geringste Be
achtung geschentt haben. « ielleicht
wird sich der eine und der andere mit
der Zeit noch aus diesen oder jenen
1-erdächtigen Umstand besinnen, wie es
Sn solchen Fällen gewöhnlich zu gehen
pflegt, und ich werde jedenfalls Sorge
tragen, daß die weiteren Nachfor
schungen von unseren tüchtigsten Po
iizetdeamten ausgeführt werden; in
dir Hauptsache aber müssen wir aus
irkfrnd eine glückliche Fügung hoffen,
dif uns dies merkwürdige Räthsel
lo« 1.«
«Sie gedenken also einen Deieltive
hierherzusenden, Herr Rach«
»Vielleicht sogar deren mehrere,
denn wir müssen mit Hochdrucl arbei
ten, um das Bersäumte so rasch als
möglich wieder einzudringen Fürchten
Sie indessen nicht« mein gnädiges
Fräulein, durch diese Leute irgendwie
belästigt zu werden. Ich bin sicher, dasz
Sie von ihrer Anwe enheit überhaupt
nichts bemerlen.'«
»O, ich möchte im Gegentheil das
rtzm bitten, den Herren Gastsreunds
schaft gewähren zu dürfen. Werde ich
dann doch um so eher in der Lage
-
jun, ihre Bemühungen nach jeder
Richtung hin zu unterstützen.'
»Ich danke Ihnen siir das freund
iiche Anerbieten, aber es steht nicht
h-i mir. es anzunehmen oder abzuleh
nen. Wir nciissen unseren Geheimpoli
zisten in so chwierigen Fällen volle
Freiheit lassen, nach ihren eigenen
Jdeen zu arbeiten, und dabei spielt
das Jnkognito oft eine sehr großeRolle.
Sobald die Leute nach irgend einer
Richtung hin Jhres Beistandes be
dürfen, werden sie ja ohnedies nicht
verfehlen, sich an Sie zu ivenden."
Endlich schien Ediiha keine weitere
Frage mehr an ihn zu haben, und
er machte Miene, sich zu verabschieden.
Aber mitten in seine höfliche Empfeh
iung hinein sagte sie dann doch: »Ich
hörte, daß Sie meinen Bruder vor in
zu sprechen wünschten. Sollte denn
auch er vernommen werden?'·
»Ich kann es dem errn Baron
nicht ersparen, und es t ut mir leid,
daß sein Gesundheitszustand ihm auch
lxeute nicht gestattet, mir einige Fra
gen zu beantworten. Denn eg- rvird sich
nunmehr kaum vermeiden lassen, daß
er sich im weiteren Verlauf der Unter
suchung zu mir in mein Amte-total
bemühen muß.«
»Sollte ich nicht selbst vielleicht diese
Fragen, mit denen Sie einen Leiden
den durchaus nicht verschonen können,
zu beantworten im Stande sein«-«
»Wohl schwerlich. Und ich möchte
außerdem Bedenken tragen mein gnä
diges Fräulein, sie Ihnen vorzulegen,
denn sie beziehen sich aus gewisse deli:
a e —«
»Ah, rch glaube zu errathen, um
was es sich handelt. Sie wünschen
über sein Verhältniß zu der Nichte
Les Gärtners Auskunft zu haben,
nicht wahr?«
»Mir insoweit, als es siir mich das
raus ankommt, die Glaubwiirdigkeit
des jungen Mädchens seitzustellenJch
terkhle nicht, daß sie im großen und
ganzen einen recht günstigen Eindruck
aus mich gemacht hal, obwohl sie an
fänglich aus begreiflicher Scheu mit
der S rache nicht recht'heraus wollte.
Sie i , wie man mir gesagt hat« eine
durckåaeuö anstiindige und achtungs
wert Person«
»Nein, here Rath, sie ist eine ge
wissem-ist« gefährliche Kokette, die erst
diesen Förster in ihre Nefe gezogen
hat« und die sich allerdings ogarn
entblödete, ihre Schlin en nach m -
nein in ketzenssachen ehr unerfahre
nen Bru er auszuwerfen Jch bedaure
aufrichtig, daß wir nicht langsk Geke
genheit genommen haben, sie von El
oerchiih zu entsetnen.«
,,So--—jo!" meinte der Landgr
ri.htsrath nachdenklich. »Das llint
allerdings anders als die Urtheite,die
ich vorhin nber das Mädchen vernahm.
Nun, es wird mir ja möglich werden,
sie noch etwas eingehender aus die Zu
verlässigkeit ihrer Aussagen hin zu
prüfen. Für heute, mein anädiges
Fräulein, muß ich mich Ihnen nun
wirklich empfehlen, wenn nur nicht Ge
silyr lausen sollen, unseren Zug zu
versäumen.«
Sein Schritt war noch nicht tm
Vorzimmer verhallt, als Editha mit
einer ungestümen Bewegung das sen
ster ausrrß und die tuhl herein trö
mende Lust in tiesen At emztigen
einsv , wie jemand, der na daran
gerne en ist, zu ersticken. Es war ih
rem schönen Antlitk nicht anzusehen,
was sitt wilde Ge anten hinter der
hohen weißen Stirn arbeiten mochten,
aber ihr Blick richtete sich mit seltsam
heiße-n, verlangendem Ausdruck dort
b·n, wo sie jenseits des Bartes von
Elyershöh den has des Bauern heu
ning in Eichselde wußte.
Daö Rollen eines Wagens erst ver
anlaßte sie, die Augenseitrvärts nach
der Aussahrt vor dem herrenhause zu
tandem Es war der wohlbekannte
Einskönner yet Doktors armsenJ
de-J ort Jieitgtmdcineriptlö lih Egge
; eng u , nege a
smaut «qu ein Wort, Herr Dot
:t-tr.. wenn Jhre Zeit es Ihnen gestat
e.« . -
- Wenige Minuten später trat der
Arzt in das Zimmer. Guten Abend,
Ytironesset Ich stehe zu Ihrer Ber
jugung. ,
»Sie wollten zu meinem Bruder,
nicht wahr? Er ist wie immer drüben
im Schlößchen auf seinem Zimmer,
und ich fürchte, Sie werden heute we
niger mit ihm zufrieden fein als in
den letzten Tagen. Aber das werden
Sie ja selbst sehen, und es geschah nicht
»deshalb, daß ich Sie zu mir herauf
remiihtr. Jch möchte Sie vielmehr
fragen: Halten Sie es fiir möglich,
Zdaß ein Mensch von völlig gesundem
Geiste jede Erinnerung verlieren tann
san etwas, was er im Zustande und
unter dem Einfluß törperlicherKranl
Brit gethan hat?«
"· Der Arzt machte ein verwundertes
IGesicht und schüttelte den grauen
iist-pf. »Das ist eine sonderbare Frage,
sBaronefte auf die man bei so allge
s meiner Fassung unmöglich mit ja oder
srein antworten tann. Jst es etwa
eine bestimmte Persönlichkeit, die Sie
im Auge haben —- jemand, den ich
renne?«
»Nein! Jch wurde durch eine Ge
schichte, die ich in der Zeitung las,
darauf gebracht und hatte mir vorge
t«cmmen, Sie zu befragen, weil sie
mir gar zu unwahrscheinlich vorkam.
Es solle Jemand im Fieber einen
Todtschlag begangen ha en, und es
solle ihm später nach seiner Genesung
jede Erinnerung daran entschwunden
sein bis auf die dunkle, unbestimmte
Vorstellung von etwas Schrei-lichem
des sich um jene Zeit mit ihm zuge
tragen. Dergleichen tann sich in
Wirklichkeit nicht ereignen, nicht
;rabr?«
»Mir persönlich ist es allerdings
sioch nicht vorgekommen: fiir unmög
lich aber möchte ich es darum nicht
erklären. Es kommt eben auf die
Titatur der Krankheit an und auf die
Umstände, unter denen die That er
folgt sein foll. Jn der Geschichte der
gerichtlichen Medizin gibt es Fälle, die
mit dem von Jhnen erwähnten große
Aehnlichkeit haben.«·
»So war ich also im Jrrthum,als
ich nicht daran glauben wollte. Jch
danke Ihnen fiir die Alighian Herr
Tiottort Und ich will Sie nicht länger
-:nfhalten. Uebrigens —- wie steht es
uni den Patienten drüben in Eich
felbe"s«
»Um unseren Norweger — meinen
Eie? O, es geht ihin vortrefflich. Jch
zuerde Herrn Hasager morgen bereits
aestattem aus eine Stunde das Bett zu
iserlassein Unter Beobachtung der
nöthigen Vorsicht tann er in acht oder
sehn Tagen reisen.«
»Erista!so, wie es scheint, sehr un
ixeduldig vcsn hier fortzutoinmen?«
»Er tann den Zeitpunkt der Abreise
Zaum erwarten. Zwischen ihm und
seinen Damen wird von gar nichts
anderem mehr gesprochen.«
»Dann sollten Sie ihn allerdings
nicht länger zurückhalten, als eb· in
seinem Jnteresse geboten ist. Werde ich
göie noch auf einen Augenblick spre
chen, wenn Sie meinen Bruder ge
sehen haben?"
»Meine Zeit ist tnavv bemessen,
doch wenn Baronesse es wünschen, bin
i.r- gern zu Diensten."
Er ging, und Editha trat in das
Jiebengeniach, das jetzt ihr Arbeits
zimmer war, wie es zuvor das Ar
beitszimmer des Barons Werner v.
Linderode und nach ihm das seines
unglücklichen Entels gewesen. Sie
setzte sich an den Schreibtisch und warf
mit hastender Feder einige Zeilen auf
ein Briesblatt, dessen Umschlag ge mit
der Adresse des Fräuleins h ra
Jensen versah. Dann nahm sie izre
ungeduldige Wanderung durch das
Zimmer wieder auf, bis Dotter
garmsen zurückkam. Er schien in der
hat nicht sehr zufrieden mit dem,
was er inzwischen gesehen hatte. denn
er machte ein recht ernstes Gesicht.
»Ihr Bruder gefällt mir nicht,
Baroiiesse.«· sagte er aufrichtig. »Die
see fortdauernde Erregungszustand
muß nothwendig zuletzt auch seine
törperlichen Kräfte aufreiben. Alle
jJne Gedanken bewegen «sich, offenbar
nach immer ausschlie lich um das
Schickfal feines unglli lichen Vetters,
und lo lange et durch die Untersuch
ung stet- aufs neue an diese trauri
aen Dinge erinnert wird, ist kaum auf
Die Wiederkehr einer normalen Ge
muthsversassung zu hoffen. Ein bal
riger Wechsel der Umgebung erscheint
nur deshalb dringend eboten. Sie
sollten mit ihm auf Rei en gehen, und
zwar je eher, desto besser.'«
»Ich bin vorläufig hier unentbehr
:"·.ch: aber meine Mutter tönnte sehr
wohl mit ihm gehen, und ich habe ihm
niesen Vorschlag schon wiederholt ge
macht. Er wollte bisher nichts davon
hören, weil er sich vor jeder Berüh
rung mit den Menschen fürchtet, lvie
sie sa auf der Reise allerdin g unver
meidlich ist« und weil außer m wohl
auch ein anderer· feindseliger Einfluß
insgeheim meinen Bemühungen ent
gegenatbeitet Aber ich werde es
nichtsdestoweni er durchsehen. Noch
var Ablauf die er Woche muß er fort
»Sie werden damit das einzige
Heilmittel zur Anwendung bringen,
von dem ich mir noch einigen Erfolg
verspreche. Denn mit Pillen unthän
len ist da nichts auszurichten. Jeh
kenn ihm nichts geben als Morphium
araen die Schlaflosigteit, unter der er
offenbar am meisten leidet. Der Bur
sche des Apothelers wird Ihnen nach
her die Pulver bringen. Jeh empfehle
Ihnen dringend, Baronesse, sie selbst
J
in Verwahrung zu nehmen und deini
Patienten niemals mehr als die sur «
»die jedesmalige Anwendun vorge
Jicktriebene Dofis u geben. ei Kran
jten dieser Art mu man sich vorsehen
Teenn sie sind unberechenbar. Wiinschsg
Sie mich sonst noch etwas zu frageni
T ,.Rein. Aber ich möchte Sie um eine
jGesälligteit bitten, NeroltortWep
den Sie Herrn Hallager heute nach
; besuchen?«
s »Ich spreche regelmäßig des Abends
lbei ihm vor.«
s »Sie werden natürlich bei dieser
fGelegenheit auch seine Pflegefchwester
sehen. Wollen Sie ihr einen Brief von
mir übergeben —- doch fo, daß kein
anderer etwas davon bemertti Es
handelt sich um wichtige Dinge, die in
dessen weder Herrn Hallager noch sei
ner Mutter belannt werden dürfen.
Ich würde Sie nicht mit einer so son
derbaren Bitte behelligen, wenn ich
mir auf andere Weise zu helfen
wußte.«
Wenn auch ihr Anliegen den Arzt
l"efremdete, so waret doch zu höflich,
iie etwas davon merten zu lassen. Be
reitwillig sagte rr die Erfüllung ihres
Wunsches zu und nahm das zierlche
schwarzgeranderte Briefchen entge en.
»Aber versäumen Sie ja nicht, dem
Fräulein bei der Uebergabe zu sagen«
daß ich auf ihre Verschwiegenheits
rechne. Jhre wichtigsten Jnteressens
seien es, die dabei ans dem Spiele
ftehen.« ’
Der Doktor versprach noch einmal,
alles gewissenhaft auszurichten, und
mit einem Danteswort reichte ihml
Editha die hand. Am offenen Fen
ster stehend, blicktesie seinem davon
rotlenden Wägelchen nach, nnd nie
mals war sie ihrem Großvater ähn-«
Lieder gewesen als in diesem Augen
L-’.icl, wo die harten, grausamen Züge
um Mund und Nase alle Schönheit
ihres tlasfifchen Antlitzes auslöfchten.
Einundztoanzig«stesKa
Pitel.
Trübe und melancholisch war« der
Morgen herausgedämmertz ein dichter
tiihler Sprühregen büllte die Land
schast in seine Nebelschleier, und» ein
liedriiclendes, gebeimnißvolles Duster
herrschte unter den Baumwipseln des
uralten Hochwaldes von Elverslsoh.
Da, wo ein vom Dorf herübersübren
der Feldtveg sich in die Dunlelheit des
Forstes verlor, stand Editha von Lin
derode« in einen schwarzen Regen
muntel gehüllt, wartend schon seit
mehr als einer Viertelstunde. Sie war
ungeduldig, aber sie verließ ihren
Platz nicht; denn sie wußte, daß die
andere tonimen würde, dasz die Zau
kersormeL mit der sie sie beschworen
l,atte, zu erscheinen, ihre Wirlungun
möglich versagen konnte. Und nun
othmete sie ties aus wie jemand, der
sich zu schwerem Kampfe bereit macht,
kenn zw:sctxn Wiesen und Aeelern
drüben bei den letzten Häusern von
Eichselde hatte sie eine schlanke weib
liche Gestalt erspäht, die unvermin
bsir dein Walde zuitrebtr.
Sie zog sich etwas tiefer in den
Schutz der mächtigen Vuchentronen
zurück und schob den Schleier, der ihr
Gesicht verhüllt hatte, empor. Bei dem,
was sie jetzt vorhatte, brauchte sie ihr
Antlitz nicht vor der verbaszten Neben
bublerin zu verbergen; es gab nichts
mehr zu heucheln und zu verstellen
zwischen ihnen. Was auch immer die
andere in ihren Zügen lesen mochte-—
wie die Dinge jetzt lagen, galt es Edi
tya vollkommen gleich.
Nur eine kleine Weile ungeduldigen
Hattens noch, dann standen Fie einan
der'gegeni.il:er! Thyra blii end und
rosig, doch rnit einem Ausdruck ängst
lxcher Erwartung aus dem Gesicht
die Baronesse v. Linderode stolz und
unnahbar wie in dem Augenblick, da
sie si zum letzten Mal von der jun
gen orwegerin verabschiedet hatte.
«Jch bitte um Verzeihung, wenn ich
Sie warten ließ,« begann Mikro-,
,aber ich konnte mich nicht früher os
inachen. Es ist etwas so Ungewiibns
licheB, daß ich ein Geheimnis vor inei
ner Pslegentutter habe, und ich bin
sehr ungeschickt. wenn es sich darum
handelt, Vomände u ersinden.«
,Daran wei le i nicht« denn tch
tret , daß -ie r verlörperteT be
ari aller Tugenden sind. mein räu- -
I
l
leiii,« unterbrach Editha kalt und
scharf ihre mit naivzr Lebhaftigleit
vorgebrachte Entschuldigung »Und die
Genugthuung, Ihren neulich ausge
fvrocherien Wun ch erfüllen zu tönnen,
ist inir wohl das Opfer einer halben.
Stunde werth. Lassen Sie uns jenen »
Fußpfad dort einschlagen Wir findt
da gegen den Regen ivie gegen unlieb
iamr lieberrafchungen besser geschith
als hier-«
Der hochmüthige, ja unverhohlen
icindfelige Ton ihrer Rede wandelte
SU) ras Befangenheit in Bestiirzun .
Leise und zagt-alt nur wagte sie, wag
rend sie an bit-pas Seite weiterging
u Jugen: » ch ühle mich Jhnen «e
en allö zu anle verpflichtet, Frau
!eiii v. Linderode, daß Sie alle die-se
Unbeguernlichteiten auf sich genommen
baden, nur urn meinen Bruder und
mich von einer Sorge —«
»Mnlen Sie mir noch nicht! Es
könnte Sie später gereuen.« fiel Edi
rlia ein. »Wenn es ist nichts Erfreu
liches, das Sie hören werden. Sie
wissen, daß ich mit Herrn Crit hallas
e-, den Sie so beharrlich Ihren Bru
er zu nennen belieben, verlobt war.
Irgend jemand hat es Jhnen gelegt,
ox er Sie haben es doch errathen?«
Thyra hatte das blonde Köpfchen
gesenkt, und ihre Augen hgfteten an
dein grünen Moosteppich vor ihren
Füßen, whärend sie erwiderte: »Nein,
ich wußte es nicht. Frau hallager
allein war eb. die etwas hekatt i
verntulhete, nachdem sie re Bi r
in Eriti- Slizzenbuche gese en.« .
»Nun wohl, so vernehmen Sie et
ntio je t aus meinem Munde. Jch
lernte hren Pfledebrude durcheinen
Zufall kennen. r gesi mir, und
schon bei unserer zweiten Begegnung
tam es zu einer Erklärung. Von da
un sahen wir uns täglich hier im
Walde von Elvershöh Was wir er
lenken, war wie ein Märchen, und-da
rnm mußte es auch aussehen wie ein
«.«--iiirchen. Jch tonnte ihm nicht in seine
noewegische Heimath folgen, wie er es
immer und immer wieder verlangte,
denn ich war bereits an einen anderen
gebunden«
Thnra erhob mit ungestümen Bewe
gungen den Kopf. Jhr Gesicht war
wie mit Blut übergossen. aDass konn
ten Sie thun? Und Erit wußte es
nicht? Sie hatten ihm nichts davon
gesaFtW
» ,. teint Und Sie werden hoffent
lich nicht verlangen, daß ich mich biet
vor Ihnen deswegen rechtfertige. Ich
iiebte den anderen nicht, und vielleicht
hegte ich im Stillen die Hoffnung. daß
ich durch ein Wunder von ihm los
kommen würde. Aber das Wunder er
eignete sich nicht, und so schrie-b ich
Erithallager jenen Scheidebries, den
er mir durch Sie zurückgeyn ließ.
Diese ganze Auseinandersetzung wäre
mir erivart geblieben, wenn Sie die
kleine Jndislretion begangen hätten,
ihn zu lesen."
»Und warum —- warum erzählen
Sie mir jetzt dies alles, was ich nicht
zu wissen begehrte?«
CFortsetzung folgt.)
W—
Johauutödeerem
Die Münchener Jugend bringt ol
gendes hübsches Geschichtchem sin
·unger Mann besuchte einmal seinen
gerund. Der war ein Dichter. Der
ichter war nicht zu Haufe. Auf dern
Tische aber las ein Gedicht, das er just
geschrieben. as las der junge Mann
und dachte, es sei doch ein eigenes
Ding um die Poesie. Denn der junge
Mann war sehr gebildet . . . Als er
den Dichter traf, fragte er ihn, wieso
ihm der Einfall gekommen, jenes schö
ne Gedicht zu schreiben. . . . Und der
Dichter erzählte ihm, er babe am Mor
gen eine Johannisbeere gefunden aus
der Gasse. Eine einzige tleine Jo
hannigbeerr. Die habe er mit heim
genommen. und plötzlich seien ihm
Verse eingefallen. . . . Einige Tage
danach besuchte der Dichter den jungen
Mann. Der saß in seiner Stube, und
rings um ihn herum, da standen viele
große und lleine Schüsseln und Korbe
voll herrlicher roth-er Johannisbeerern
Es waren wohl hundert Pfund und
mehr. »Willst du Johannisbeeren
einrnachen?« fragte der Dichter, und
der junge Mann errdrliete und sagte
nein und war lies gelriinlt. Der Di -
ter aber lächelte und sagte: »Gib mir
die Johannigbcerem ich werde Gelee
davon bereiten« Der junge Mann
aber schüttelte eigensinnig den Kopf.
—— Nach ein paar Tagen sajz der junge
Mann immer noch inmitten seiner Jo
hannisbeeren Die Johannisbeeren
waren schon faul geworden. . . .
» —--.-—-—
; Die Temperatur der Rat-ums.
s Am zurrüglichslen sind uns Spei
jsen, deren Temperatur der des Kör
Jpers entspricht, die also ungefähr 36
this 37 Grad Celsius warm sind. Zu
stieiße oder zu talte Speisen führen
steicht u Schädigunan dersähne und
,de5 agens und lonnen auch auf
sdie Verdauung ungiinslig einwirlen.
sAllerdings besitzt unser Körper selbst
sgewisse Eigeichtungem um sich gegen
,derartige « emperaturschüdigun en zu
schützen. Diese Einrichtunen end so
s beschaffen, dasz sie allzu hei Speisen
schlühlen und allzu kalte ermärinem
lJn diesem Sinne wirlt bereits die
Mundhöhle, in noch höherem Maße
aber der Magen.
’ Die Temperatur ausgleichend
!Wirlung des Magens tritt se r rasch
ein. Wenn man z. B. lalte , lüssi -
lert in den Magen einführt und ie
« später wieder auspreßn so ergiebt sich,
aß sie bereits binnen sechs bis acht
Minuten auf Körperteinperatur er
wiirmt ist« Der Magen funktionirt
so geradezu als Schutzvorrichtung siir
den Darm. Uebermasrig talte oder
heiße Speisen und Getränke wirken
außerdem verlangsamend auf die
Thätigteit des Magens-. Flii siglei
ten von Körperkemperatur werden
rascher nach dem Darm zu entleert als
talte und beiße·
Kalteö Wasser übt teine Wirkung
aus die Verdauung, es ist ohne Ein
fluf aus die Absonderung des Ma
gen astesx setzt man dem Wasser da
gegen etwas Altobol zu, so wird die
Absonderung deutlich nachweisbar
hervorgerufen. Dadurch erklärt sich
auch die allgemein verbreitete Touri
steositte, einen kalten Trunt nur mit
etwas Cognae oder Rum versegt u
nehmen. Kleine Mengen Altobol, rn
den Magen gebracht, steigern ja be
kanntlich die Absonderung des Ma
aensastesz starke Mengen heben sie
allerdings aus. Die Temperatur der
Speisen und Getränke soll im all e
meinen nicht unter neun Grad l
sius und nicht über 45 Grad gehen;
ausnahmsweise dars die Temperatur
der Getränke — wenn sie erwärmen
sollen — 50 Grad betragen.
W
»Die ganze Welt gerätlz in Aus
regun wenn ich mal reise.« hat der
druts Kaiser gesagt. Aber wenn
er einmal ein ganzes Jahr lan da
m bliebe, das würde erst re t der
teubeit der Sache wegen eine Aus
teaung geben.