Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, April 21, 1905, Sweiter Theil., Image 14

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Metrenloses Gut.
Roman von OZkie Bernhard
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(29. Fortsetzung) ’
Später. Mein Paul ist todt —
allcm Anschein nach ohne besonderen
Kampf. Er liegt da wie schlafend,
aber er ist hinüber. -————-—
Jch habe neben meines Weibes
Bett geknieet, ich habe ihre ertaltenden
Hände geküßt, ihr tausendmal ge
dankt, sie tausendmal um Verzeihung »
angefleht Sie hat mich angesehen
und hat noch zu lächeln versucht. Auch ;
sie hat nicht viel leiden dürfen. ;
Ich sreue mich aus den Tod-—ja, s
ich freue mich « jetzt, da ich sie ster- !
ben sah! i
Hildegard ist todt-Herbert ath
met noch—.n1ein-Fkiva muß sich am (
längsten quälen.
Unserer süßen kleinen Hanna hab’«
ich das Gift in die Milchslasche gegos- i
sen; ich wollte ihr zu trinken geben,(
aber sie drehte schlastrunten das (
Köpfchen beiseite und schlummerte i
weiter· Sobald sie erwacht, wird sie i
trinken. Wenn ich kann, warte ich es (
ab. Weil das Kind seiner Schwester ’
Hildegard jetzt schon ähnlich sieht und
auch seiner Mutter! Das einzige Mit
Lied meiner unglücklichen Familie,
s ganz bewußtlos, ganz schuldlos
sstirbt Wird es ein Engel werden,
der für die Seinigen bittet an Gottes
Throns
Was —- wsas erwartet uns dort im
Jenseits? Gibt es ein Jenseits?
Geben wir ein zum Allerbarmer in
das lichtdurchströmte Land der Ber- E
heißung —- der Berllärung —- oder
tauchen wir hinab ins Nirwana —
ms ewige Nichts?
Ich habe nun meinen Becher auch
getrunken und will mich niederle en.
Klein-Frida lebt immer noch. ein
Kind, mein Kind, berzeih’ deinem ar
men Vater, daß er dir, wider seinen
Willen, das Sterben so schwer macht!
Jch vergebe allen, die mir Uebles
Eidam seh bitte alle um Vergebung,
«e ich ge chädigt oder getränkt habe.
Meine ledte Bitte ist die, man möge
mich mit den Meinigen zusammen be
ewiger-, wo es und wie es auch sei!
Frida ist endlich todt —- Hanna
hat noch nicht getrunken-» aber sie
wird... sie muß...
Ich lege mich nieder. Gott sei uns
allen gnädig!«
Die engbedtuclten Zeitungsspalten
waren zu Ende. Mechanisch wendete
Damm das Blatt um. Es enthielt
nichts weiter.
Sie blieb sitzen, ohne klares Be
wußtsein, ohne besondere Gedanken.
Einmal war eH ihr, als liefen kalte
Schauer über sie bin, und sie fragte
sich voller Staunen: »Fkieten? Aber
es ist ja Frühling!« Dann spürte sie
ein trockenes, stechendes Bohren im
halfe, als wärge sie da drinnen et
txasF sie griff mit der Hand an die
seichte, aber die Hand sank schwer
herab und laa wie todt auf dem
schwarzen Kleide. Das schwarze
Kleid, das trug sie um die Frau, die
lange Jahre hindurch Mutterstelle an
ihr vertreten hatte —aber ihre rechte
Mutter, die war schon lange todt-—
und ihr Vater auch —- und alle ihre
Geschwister . .. und sie selbst war auch
dem Tode geweiht gewesen . .. aber sie
lebte!
Von neuem ein Frösteln — dann
ein verwundertes Umsehen: wie kam
sie doch eigentlich hierher? Was wollte
site hier? Ja so! Sie hatte lesen wol
len—iiber die bildende Kunst! Sie
hatte ja auch gelesen — nur war es
eine Leltiire anderer Art gewesen!
» Ihre Eltern! Und vier Geschwister!
Hildegard —- Herbert —- Paul ——.,,und
Irida — so hießen sie! In ihren Ge
danken wiederholten sich immer die
vier Namen: Hildegard — — Herbert —
Paul —- Frida — und die hatten alle
sterben wollen — und waren auch alle
siege-them jung, gesund und lebens
Vp .
Hilde ord! An dem einen Namen«
blieben chließlich ihre holb gelähmten,
langsam wandernden Gedanken hän
gen und hielten sich daran fest. Hildes
gardl Das war die älteste Tochter ge
wesen — ihre erwachsene Schwester,
die da aus dem Bilde war, mit dem
lachenden Kindchen aus den Armen —
und die hatte besonders gern sterben
wollen« weil es sür sie im Leben doch
sent Glück mehr aah —— die war die
heimlich verlobte Braut eines jungen,
aCen Künstlers gewesen, und des
Bater, Herr C . . . ., hatte seinem
Ingliicklichen Freunde, dem Vater der
see-re nicht mer helfen wollen, da
M Sohn ihn große Summen ge
na schlug beide Hände pos« Ge
sz —- die Zeitung fiel mit leisem
s cis-ein von ihren Knieen herab aus
« Teppich zu ihren Füßen. Sie
lls lesen? Sie wußte alles —
«In also! Darum hatte Will
- s. « der « Frauen
der gefeiert- Miustler, der
Mäs- tiibelt und ge
wv ski
T· den-u nich-. Was spat- sie;
ti- ist seiner Sams- Wchkz .
« se s- ich-« «an «
. X I ZU A I « II
M widrig-M
Wes
Staunen untergegangen. Ein Mann
wie er . . . unsd sie dazu! Sie, die
keine sieghafte, blendende Schönheit
war, keinen hervorragenden Geist be
saß, nicht reich war, keine Rolle in der
Gesellschaft spielte — sie, die nichts in
die Wagschale zu werfen hatte, als
grenzenlose, anbetende Liebe! Sie
hatte versucht, sich halbwegs mit der
Erklärung zufrieden zu geben, daß
eben diese unendliche Liebe ihn gerührt
haben müsse. Freilich. es hatten ihn
wohl viele Frauen geliebt —- aber
doch keine, teine auch nur annähernd
so wie sie . . . und das hatte er sicher
ebenfalls herausgefunden . . . darum
war sie seine Frau geworden!
halbwegs nur hatte ihr diese Er
klärung genügt —- aber es war die ein
zige, die sie fand, und sie mußte ver
suchen, an sie zu glauben und an die
Macht ihrer Liebe, die es vielleicht,
vielleicht erreicht, daß auch er mit der
Zeit mehr siir sie empfand, als dies
brüderlich warme Gefühl, das, gegen
ihre Leidenschaft gehalten, wirkte, wie
ein winziges Lichtfiinlchen im Ver
gleich zu einer himmelhohen Flalrnme.
Jetzt — jetzt wußte sie es besser,
was es gewesen war, das ihn zu ihr
geführt, ihm den Entschluß eingege
ben hatte, sie zu seinem Weibe zu
machen. Eine Art von Sühne hatte
es sein sollen — es hatte ihn ein
Schulldgefiihl gedrückt, zugleich im
Sinn seines toten Vaters. Sie kannte
ihn ja — er war großmütig und vor
nehm esmnt, nichts Kleines, Niedri
ges ha tete ihrn an. Jhre verstorbene
Schwester Hildegard, die hatte er ge
liebt — um sie, die jener ähnlich fah,
urn die einzig Ueberlebende der un
glücklichen Familie, hatte er aus Edel
sinn, aus Mitleid geworden . . .
Mitleid! Es war hanna, als öge
ihr Herz sich zusammen wie ini he tig
sten Krampf —- aus Scham, aus Ein
piirung und Jammer! Wie —- wie
war’s doch gewesen, als er um sie
warb? Was hatte er doch gesagt?
Sie durfte nicht suchen in ihrem Ge
dächtnis —- namenlos erregt wie sie
war — die Worte waren in ihre Er
innerung gegraben wie in glühendes
Erz. »Wie sagten Sie doch neulich,
asls ich Sie fragte, wem Sie ähnlich
sähen? Als was bezeichneten Sie
sich? « Sie hatte geantwortet: »Als
herrenloses Gui!'« und da war es über
seine Lippen gekommen warm und
überzeugend: »Das sollst du nie mehr
sagen dürfen! Wenn du es willst, so
hast du deinen Herrn jetzt gefunden!
Sag’ mir, Hanna —- Melusinie —
willfi du mein eigen sein?«
Nicht ein Wort von Liebe, nicht
ein Wort von seinen eigenen Empfin
dungen! Sie aber hatte Ja gesagt
weil sie ihn unsagbat liebte, nicht
wußte. wie sie sich ein Leben ohne ihn
denten sollte, hoffte, sein Gefühl für
sie werde an dem ihren erstatten und
erwarmen. Siemußte ihm ja doch
gefallen —- warum sonst hätte er sie
zu seiner Frau begehrt?
Auf eine Lösung« wie die jetzige,
war sie nie, niemals gekommen, ob
schon sie zuweilen gedacht hatte, er
müsse etwas von ihrer Hertunft, ih
rer Familie wissen, mehr als sie selbst;
er hatte sie oft so eigentümlich ange
sehen, seine Rede mitten im Satz ab
gebrochen, er war manchmal sichtlich
verlegen geworden. Sie hatte dann
stets gedacht, die Pflegeeltern hätten
ihm Eröffnunaen über sie gemacht,
die ihr verborgen bleiben sollten.
Sie sah ihn im Geist deutlich vor
sich, den geliebten, so aualvoll geliebten
Mann! Sie hörte seine Stimme, sah
seine Augen aus sich erichtet mit die
sem eigentümlich be iitenden. ernst
mitleidigen Blick, über den sie so oft
nachgesonnen hatte.
Sie verstand ihn jetzt gut genug,
diesen Blick
Und bei dem Gedanken daran, wei
terleben zu sollen neben diesemManm
der sie ohne Liebe geheiratet, der der
Vergangenheit ein Sühnopfer hatte
bereiten wollen durch die Ehe mit ihr,
der sein Gewissen zu beschwichtigen
wünschte und sonst nichts, der für sie
nichts weiter übrig hatte, als die lau
warme, mitleidige Empfindung eines
guten Freundes, kam ein so milder,
leidenschaftlicher Gram über sie, daß
sie aufsprang von ihrem Sitz und mit
verstörten Augen um sich sah.
- War sie noch länger zu hause hier?
Konnte sie hier bleiben, nachdem sie
dies —- dies Unglaubliche erfahren?
Gehörten die Mö l, die Bilder, all
die Din , die sie utn sich her sah, ihr
noch? rfte sie noch das stolze, si
chere Gefühl der Eigentümerin haben,
das sie vor kaum einer Stunde noch
so glücklich gemacht? Und sie selbst?
Wem gchörte sie? Doch nicht dem
Marm, der sie halb aus Mitleid, halb
aus Gewissenhastigteit geheiratett
»Zum-Moses Gatt« Das war sie ge
wesen, das blieb sie. Es war niemand
da aus der weiten Welt, der ihrer be
durfte.
Wie see sieh das sagte, recht aus ih
rer in tief E resu , im bittersten
Schmerz · Derg- tigrmg steernden
»Sa!ehervus,dahehthefs3
; rasch Ists dem Zimm, o
· M Blick zuräetiwsep. a
’ J Ist-MS tun « du
»p- eis- «- s
—
hellfchimmernde Biisie, die auf hohem«
Sockel stand, und ging auch da vor
über. Das war ja nicht sie! Wirt-fu«
die sie ewefen, zu denken, er hätte
ihre Büfte aus dem Gedächtnis ge
macht! Er hatte sie das freilich glau
ben lassen, ihm war diese fptechende
Aehnlichkeit bequem gewesen. Jm Ge
hen wandte sie den Kopf zurück und lä
chelte bitter. Dort war sie, dort blieb
sie, ihre Schwester Hildegard, die er
geliebt hatte! Sie aber, Hanna, war
»herrenloses Gut« —— sie konnte hier
nicht bleiben, sie hatte zu gehen!
Wohin? Sie wußte es noch nicht,
während sie weiterschritt —- aber fort
bestimmt, ganz bestimmt.
Jn ihrem kleinen Antleide immer
fand sie Gusta mit dem Handtoffer be
schäftigt, den sie soeben erst aufge
schlossen. Das Mädchen war unge
mein verlegen.
»Bitte tausendmal um Verzeihung
gnä’ Frau, daß ich jetzt erst . . . ich
habe noch kein Stück ausgebaut Aber
— aber — der Zenzi ihre alte Mut
ter ist ganz unerwartet gekommen —
aus Starnberg daheim, gnä’ Frau,
wo auch ich daheim bin —- und da
haben wir halt so viel zu reden ange
fangen — und da —««
»Sie hatten den Koffer vergessen
eö schadet nichts -— nein, nein, ich
bin nicht böse. Lassen Sie ihn nur,
wie er ist — wirklich, es eilt gar nicht,
und gehen Sie ruhig zurück zu Zenzis
Mutterl«
»Ach nein, gnä’ Frau, ich kann ja
doch auspacken!«
»Sie sollen nicht auspacken, ich
wünsche es nicht, Sie hören ja! Ge
hen Sie nur erst einmal!«
»Ach, gnä’ Frau sind doch wirklich
gar zu viel gut!« Gusta küßte ge
rührt die Hand ihrer Herrin. »Dant’
auch vielmals. Und wie ich gebraucht
werd’ — gnä’ Frau dürfen eben nur
läuten!«
Wie Panna altem war, entnahm
sie rnit hastigen Händen einemSchrant
und einem Komodenfchud noch ein
paar Sachen, die sie in den lleinen
Koffer legte. Nun öffnete sie mit
einem Schlüssel ein besonderes Fach
ihres Toilettentifches, darin lagen die
Schmuckgegenstiinde, die sie von ihren
Pflegeeltern her besaß: die gediegene
goldene Uhrtette, ein hübscher Schmuck
von Perlen und Saphiren, den sie zu
ihrer Konfirknation erhalten, eine rosa
Korallenschnur und noch einige Klei
nigkeiten Die steckte sie zu sich, aber
es toar ihr nicht um diese Andenken
allein zu thun. Ganz zu untersi auf
dem Boden des Faches lag eine kleine
Geldbörse, die ihr Frau Dorn Pilz
trowsky extra gehätelt hatte, damit sie
ihr selbstverdientes Geld hineintun
könne. Wenige Tage vor dem Tode
der gütigen Geberin hatte Hanna ih
rem Gatten noch dies Beutelchen ge
zeigt, durch dessen Maschen es goldig
blitzte, und er hatte gelacht und ge
fragt: »Wozu hebst du dir dies Geld
eigentlich auf, Mausi?« —- ,,Wei( es
selbstvetdientes ist« hatte sie ern-Wem
und halb fchetzend hinzugefügt: »Und
wenn du mit mal einen Wunsch ver
sagst, dann äteicc ich in meinen ver
borgenen Schatz.«
Nun noch eine kleine Manne, die
ihre Papiere, ihre Zeuanisie enthielt.
Sie hüllte sich in den langen. dunkeln
Mantel. den sie sich zur Trauer hatte
anfertigen lassen, setzte ihr Häkchen
auf und griff nach Schirm und Hand
kosser. Alles ijbrige ließ sie stehen
und liegen, wie es stand und lag·
Auf den eleganten kleinen Lederkasten,
der ihre kostbaren neuen Schmuckstiicke
barg, warf sie nicht einmal einenBlick,
als sie den Toilettentisch verschloß
und den Schlüssel an seine gewohnte
Stelle legte.
Angestrenqt lauschte sie hinaus, ehe
sie ging. Alles still, ganz still. Wie
sie durch den Korridor huschte und die
Tür zur Hintertreppe öffnete, hörte
sie vom Dienstbotenziminer her lau
tes Reden und Lachen. Geräuschlos
drückte sie die Tür ins Schloß.
Aus der Straße lagerte bereits die
lichte Dämmerung des Frühlings
abends. Wenige Spaziergänger nur
kamen des Weges, ein paar elegante
Eguipagen rollten fast lautlos durch
die vornehme Strarße. Hanna hätte
es nicht nötig gehabt, den schwarzen
Schleier so sorgsam til-er ihr Gesicht
zu ziehen. Niemand achtete aus sie.
An der Biegung der Straße karn
ihr ein Mietwagen entgegen, ein leich
ter Einspännm sie winkte ihn hastig
zu sich heran.
»Nach dem Zentralbahnhos.«
Die Fahrt ging rasch. Ein lindeö
Abendliiftchen suhr’schmeick,elnd iiber
das junge blasse Gesicht unter dem
Trauerschleier. Am westlichen-— Him
mel stand ein lichtgriiner Streif über
einem breiten rosafarbenen Strahlen
giirtel. Schwalben schossen mit hel
lem Zwitscherlaut durch die warme,
stille Lust.
24.
Jn der Tauenpienstraße in Bres
lau war es um die Mittagszeit ziem
lich lebhaft. Die alte, korpulente
Dame, die im Wohnzirnmer ihrer im
ersten Stock gelegenen Wohnung saß,
hatte ihre Strickaebeit in den Seht-s
sinken lassen und sah anscheinen
voller Teilnahme auf das Leben und
Treiben unter ihren Fenstern
Anscheinendt Denn ei war ein
trüber-, abwesend-er Blick, der unter
den saltigen Lidem hervorsalpsmchts
von Lebens-nat und Frohsinn stand
darin u lesen. Kein Wunder frei
li ! ’ alte Frau trug tiefe Trauer
dtmg- sit IMU GIVE WI
futcheu tm W- und Ko mit am
glitt-. ,
»Du-Ists- M M i
I
I
i
i
s
; nicht mehr!'«
« melte dieGescholtene mutlos und nahm
; mechanisch ihr Strick-Jena zwischen
"»Reisen kann ich nicht mehr, sonst
ausgestatteten Zimmers tat sich sachts
eine Tür auf und eine andere alte
Frau erschien —- zwar noch nicht so
bejahrt, wie die am Fenster, aber si
cherlich auch nicht weit von den Sieb
zigern entfernt. Sie trug eine breite
dunkle Schürze und eine tleine haube
von schwarzem Band und Spihen aus
dem dünnen grauen Haar.
Die am Fenster rührte sich nicht.
Die andere tonnte dicht an sie heran
kommen, bei ihr stehen bleiben, ohne
daß sie ihrer gewahr wurde. Nur wie
sie sie jetzt leise am Aermel zupste, fuhr
sie zusammen, wie ein Kind, das
Schelte fürchtet. s
»Na ja, begann die mit der Schürze
nud nieste gewichtig ein paakmat mit1
dem Kopf, ,,da haben wir’s ja wieder!
Stricken tun Sie nicht, und lesen tun
Sie auch nicht« und zum Fenster her
aussehen tun Sie auch nicht
»Ich sehe ja zum Fenster heraus!«
entgegnete die alte Dame tleinlaut.
»Ja . . . aber wie! Das Heraus
sehen kenne ich! Jch sollte Sie bloß
eaminieren, wer hier jetzt die halbe
Stunde vorbeipassirt ist —— nicht einen
Menschen würden Sie mir nennen tön
nen —- nicht einen! Bloß immer da
sitzen und die Gedanken bei dem ha
ben, was doch leider Gottes nicht
mehr zu ändern ist . . . nein, Frau
Graditzer, alles, was recht ist, aber
das geht nicht mehr «—— und das geht
»Was soll ich denn bloß tun?« mur
die gichtischen, runzeligen Hände.
wör’ ich ja wohl nach München ge
fahren —«
»Ach — reisen! Wer spricht da
von? Und aar nach Miinchent Da
wären Sie auch gestorben vor Gram
und Kummer, in dem Trauerhaus —«
. »Und das wär’ das beste für mich
gewesen, Nanny. Was soll ich alte
einsame Frau noch auf der Welt?«
»Ja, das wird mancher Menfch
fragen, und die Antwort darauf müs
sen wir unserem ftherrgott überlassen,
der mufz schon wi en weshalb er den
einen früher abruft, wie den anderen.
Müssen doch lernen, uns zu schicken.
Alt und einsam haben Sie gesagt?
Ja, gegen das Alter« da gibt’s leider
lein Mittel, aber gegen die Einsam
keit, da gibt es mehr wie eines —
und wie oft soll ich es Jhnen noch sa
gen: nehmen Sie sich was Junges ins
haus —- ’ne Gesellschaftsdame.«
,, hah’ doch dich, Nannh!«
» , mich! Da haben Sie auch
was Rechtes! Bin ich jung? Bin ich
eine Dame? Kann ich Sie unterhalten
und Jhnen pläsierliche Gedanken bei
bringen?«
»Du guter Gott!" sagte die Alte im
Lehnsessel tummervolL »Den Men
schen möcht’ ich mir ansehen, der mir
ietzt noch pläsierliche Gedanken bei
bringen lönnte.«
»Sie brauchen auch nicht jedes
Wort, das ich rede, auf die Goldwage
zu legen,« brummte Nanny, halb är
gerlich, hallb mitleidig. »Ich will
bloß sagen: was Gebildete5, was
Bergniigte5, was Junges gehört hier
her ins Haus . . . und ich bin unge
bildet, mißvergniigt und alt.«
»Aber du haft mich lieb und hältst
treu zu mir —— rechneft du das für
nichts? Und haft meine Dora ge
kannt als Kind und als junges Mäd
chen —«
»JatVohl —- und als Braut auch!
Was mußte der schwarze Polael kom
men und ihr den Kopf verdrehen und
sie uns wegnehmen! hats sie nicht ge
heiratet, dann wäre sie überhaupt
nicht trank geworden und iäß' jetzt
feelenvergniigt hier bei uns!«
.Meine Dora ist fehr glücklich ge
.wesen mit ihrem Manni«
»Ach was wollt’ ich doch! Glücklich!
,hat nicht mal ’n Kind mit ihm ge
habt! Und ’ne Ehe ohne Kinder. ich
weiß nicht, die tommt mir bloß so
: halb vors«
; »Sie haben sich doch die lleine
! Hanna angenommen!«
« »Und wag haben Sie von der klei
i nen Hanna gehabt? Jetzt, wo sie an
fangen tonnte, was zu taugen und
was zu nützen da läust sie hin und
heiratet auch, als wenn aus der weiten
Gotte-weit kein Heil und rein Glück zu
sinden wär’ ohne die Männer!«
»Du bist immer gegen die Ehe ge
wesen ——«·
»Bist ich! Hab meine guten
Gründe dafür· Wer 'nen Stiefvater
gehabt hat, wie ich, und ’ne Schwester.
die an einer schlechten Heirat zugrunde
gegangen ist, und ist selbst berlobt ge
wesen und sitzen gelassen worden, mir «
nichts dir nichts « von dem tanni
man keine Lobgesänsge aus die Ehe vers s
langen. Die Kerls sind alle zusam- ;
men keinen roten Heller wert, die tau- J
gen zu nichts, einer, wie der andere!« s
»Du gehst zu weit — viel zu weit;
gehst du, Nannht« Die alten Augen?
unter den saltigen Lidern be nnen,s
sich zu beleben. »Ja unserer z milieI
sind keine schlechten Männer gewesen«-— ;
nein, gewiß nicht! Was war mein:
Großvater lfiir ein feiner, vornehmer »
herr; ich eh’ ihn noch vor mir in
blaue-n Tuchrock und Essarpins, in
gesölteltem Jabot und gepudertem
daar —- und immer so galant noch »
zur Großmutter-, trotzdem sie schon
eine alte Frau war dazumal! Und
mein Vater —- wie hat der meine gute
Mutter in Ehren gehalten! Meine
eigene Ehe, so kurz, wie sie dauerte-—
tote schön war biet«
Sehr g priichig wurde die alte »
Etat-. Ver-ji des Seli en
wurden ins beste L t gerückt i-j
mer-»Im Demn- Zeiim Undene-«
ket« r Wisseundtseueansl
gesiihrt. Nannh stand, beide hände
iiber der breiten Schürze ge altet, und
hörte zu, ein kleines, ganz leines Lä
cheln der Befriedigung um die Lippen.
Pas hatte sie ja gewollt, dazu war sie
Ia nur ins Zimmer gekommen —
»ihre Frau« herausreißen aus den
trostlo en Gedanken, sie zum Reden
bringen, meinetwegen zum Streiten!
Sie kannte all die Geschichten, die die
Alte ihr mitteilte, Wort fiir Wort;
die« Vorzüge und Eigenschaften des
seligen radißer, des Vaters und
Großvater waren ihr geläufig. wie
am Schnürchen-sie hätte sosort nach
helsen können, wen-n die Rednerin je
mals ins Stocken geraten wäre.
Schadete nichts! Frau Gradider
sprach, ofrau Graditzer ereiferte sich!
— Jn einer tnappen halben Stunden
war es Essenszeit —— die Sache wurde
mit großer Umständlichteit betrieben-—
danach bettete sie die Herrin auf das
mächtige Sosa im Schlaszimmer, legte
Decken und Kissen zurecht, verdun
telte die Fenster. Frau Graditzer be
schwor zwar, daß sie nach Tisch nie
mals schlafe, und Nanny erwiderte
seit Jahren jedesmal aus eine derar
tige Behauptung: »Das ist recht scha
det« obgleich sie wußte, daß »die
Frau« stets eine ganze Weile ties und
fest schlummerte, oft sogar schnarchte.
Dann kam der Rassen eine Weile
später die Zeitung —- und für den
Abend mußte schließlich auch Rat
werden!
Es wurde Rat, und zwar aus völ
lig unerwartete Weise.
Gerade hatten Herrin und Dienerin
den Kasfee eingenommen, gemeinsam,
wie alle Mahlzeiten, als drunten aus
der Straße ein Wagen vorsuhr. Dies
war nun gerade nichts Seltenes-, aber
unbeschästigten alten Leuten ist jedes
kleinste Ereignis wichtig, und so trat
Nanny zum Fenster und stattete ihrer
Gebieterin, die wegen gichtischer Füße
sehr unbehilslich war und am Kassee
tisch sitzen blieb, Napport ab.
»Ein! Dame steigt aus — scheint
jung zu sein, hat aber ’n Schleier
vorm Gesicht — bei der Wärme! Hat
’n Handtofser bei sich und geht in
Trauer!«
(Fortsetzung solgt.)
--
Brei-see Kaiser-rede.
B r e m e n, 23. März.
Die Rede, die der Kaiser beim Fest
essen im Ratt-hause gehalten, hat fol
genden Wortlaut:
Mein verehrter Herr Bürgermeister!
Wollen Sie Mir gestatten, daß Ich
tiefbewegtenherzens zunächst eineSoh
nespflicht erfülle, indem Jch meinen
von Herzen kommenden Dank Ihnen
ausspreche, daß Sie Mir den Wunsch
Jhrer Landsleute übermittelt haben,
Theilnehmer zu sein an dem heutigen
festlichen Tage und beizuwohnen der
Enthüllung dieses einzigartigen herr
lichen Standbildes, das die Freie
Hansestadt Bremen Meinem seligen
Vater gesetzt hat. Jch kann wohl sa
gen, daß es Mich aufs Tiefste bewegt
hat« wie Jch heute die Menschenmas
sen mit Meinen Augen überflog, da
ran zu denken, daß der frühere preu
ßische Kronprinz und nochmalige erste
Kronprinz des Deutschen Reiches und
schließlich der zweite Hohenzollernkai
see so in einer freien deutschen Stadt
gefeiert werden konnte, gleichsam als
ob er hier zu Hause wäre; ein Beweis
dafür, wie seine Gestalt, ebenso wie
die seines erlauchten großen Vaters,
Gemeingut unseres gesammten deut
schen Volkes geworden ist. Jch danke
von herzem daß die Stadt Bremen
Meinen Vater und sein Andenken in
dieser herrlichen Weise geehrt hat. Sie
haben ein Kunstwerk geschaffen, wie
wenige in deutschen Landen stehen und
ich bin fest überzeugt, dasz noch in
späteren Generationen die ganze
machtvolle Persönlichkeit, dann schön
vom Glanz der Sage umwoben, durch
dieses Standbild dem herzen des-Vol
kes näher gebracht werden wird, daß
die vom Vater aus Sohn sich folgen
den Generationen der Bremenser nie
mals des zweiten Kaisers vergessen
werden« dessen erhabene Siegsriedgge
stali die deutschen Heere zu den Sie
gen führte, denen wir die Einheit ver
danken. Und so stehen nun Mein
Großvater und Mein Vater in herrli
chen Standbildern in dieser treuen
deutschen Stadt und bilden Mart
fteine für die Geschichte unseres Va
terlandes sowohl, wie siir die Stadt
Bremen. Wahrlich, der geschichtliche
Rückblick, den Sie die Güte hatten.
uns eben zu geben, zeigte uns in groß
artiger Weise die Fiigung Gottes und
die Gnade, die die Vorsehung mit un
serem-Volk und Land gehabt hat. Der
Zeitabschnitt, den die beiden hohen
Herren vertiirpern. die hier in ler ge
gossen aus ihren Plagen stehen, ist
nun gelchichtlich sestgelegt und es ist
an der nachfolgenden Zeit und deren
Generationen, sortzubauen aus der
Grundlage, die hohen Herren gelegt
haben. Sie haben die Güte gehabt,
die Gedanken zu erwähnen, welche-Sie
bewegten bei früherer Gelegenheit in
diesem selben Raume. Sie entspre
chen in jeder Beziehung vollkommen
dem, was Jch auch damals gedacht
habe. Jch habe, als Jch als Jüng
ling vor dem Modell des Brornrnh
Schiffes gestanden habe, mitJngritnrn
die Schmach empfunden, die unserer
Flotte und unserer damaligen Jlagge
aus-than worden ist« und vielleicht, da
doch mal von Meiner Mutter Seite
ein Stils Seel-litt in Meinen Ideen
Entllvlits ist« M VII M Wes Wim
W
der fiir Mich die Richtschnur geben
sollte für die Art und Weise, wie Jch
die Aufgaben aufzufassen hätte, die
nunmehr dem Deutschen Reiche bevor
standen. Jch habe Mir damals den
Fahneneid geschworen, als Jch zur
Regierung lam nach der gewaltigen
Zeit Meines Großvaters, daß, was
an Mir liegt, die Bajonette und Ka
nonen zu ruhen hätten, daß aber die
Bajonette und Kanonen scharf und
tüchtig erhalten werden mußten, da
mit Neid und Scheelsucht von außen
uns an dem Ausbau unseres Gartens
und unseres schönen Hauses im Jn
nern nicht stören. Jch habe Mir ge
lvbt auf Grund Meiner Erfahrungen
aus der Geschichte, niemals nach einer
öden Weltherrschast zu streben, denn -
was ist aus den sogenannten Welt
reichen geworden? Alexander der Gro
ße, Napoleon 1., alle die großen
Kriegsheldem im Blute haben sie ge
schwommen und unterjochtc Völker
zurückgelassen, die beim ersten Augen
blick wieder ausgestanden sind und die
Reiche zum Zerfall gebracht haben.
Das Weltteich, das Jch Mir geträumt
habe, soll darin bestehen, daß vor Al
lem das neu erschaffene DeutscheReich
von allen Seiten das absoluteste Ber
trauen als eines ruhigen, ehrlichen
und friedlichen Nachbarn genießen
soll und daß, wenn man dereinst viel
leicht von einem deutschen Weltteich
oder einer Hohenzollernweliherrschaft
in der Geschichte reden sollte, sie nicht
aus Eroberungen begründet sein soll
durch das Schwert, sondern durch ge
genseitiges Vertrauen der nach glei
chen Zielen strebenden Nationen, kurz
ausgedrückt, wie ein großer Dichter
sagt: Auszen hin begrenzt, im Jnnern
unbegrenzt.
Sie haben hingewiesen auf die
Schiffe, die hier erinnerungsreich von
der Decke des schönen, alten Saales
herabhängen. Die Zeit, in der Jch
grofz geworden bin, war trotz des gro
ßen Krieges fiir is.seren seefahrenden
Theil der Nation teine große und
glorreiche. Auch hier habe ich die Kon
sequenzen gezogen dessen, was Meine
Vorfahren gethan haben. Jm Jnnern
war militärisch so viel geschehen wie
nothwendig war. Jetzt mußte die
Seerüftung d’rantommen. Jch danke
Gott, daß Jch hier in diesem Rath
haus keinen Nothschrei mehr auszu
ftoßen habe, toie einst in Hamburg.
Die Flotte schwimmt und sie wird ge
baut und das Material an Menschen
ist vorhanden. Der Eifer und der
Geist ist derselbe wie der, der die Os
fiziere der preußischen Armee bei ho
henfriedberg und Königgrätz und bei
Sedan ersiillt hat und mit jedem deut
schen Kriegsschiff, das den Stapel
verläßt, ist eine Gewähr mehr für den
Frieden auf der Erde gegeben und um
so viel weniger werden unsere Gegner
-rr.it uns anzubinden suchen, um so
werthvoller werden wir als Bundes
Tgenosien sein. Als ich an dem heuti
jgen Tage die Bürgerschaft Vremens
s iiberflogen habe, sah Jch die Alten
i und die Jungen nebeneinander stehen,
Idie Alten mit ihren Medaitien und
"Kreuzen, die Mittiimpfer und Mit
thäter unter den beiden großen her
ren, deren Standbilder in dieserStadt
stehen« vor ihnen die Jugend, die hin
einwachsen soll in das neue Reich und
seine Aufgaben. Was werden ihre
Aufgaben «sein? Stetig auszubauen,
Streit, Haß, Zwietracht und Neid Hi
meiden, sich zu erfreuen an dem deut
schen Vaterland, wie es ist, und nicht
nach Unmöglichem zu streben, sich der
festen Ueberzeugung hinzugeben, daß
unser Herrgott sich niemals so große
Mühe mit unserem deutschen Vater
lande, seinem Volke gegeben, wenn er
uns nicht noch Großes vorbehalten
hätte. Wir sind das Salz der Erde,
aber wir müssen dessen auch würdig
sein. Darum muß unsere Jugend
lernen, zu entsagen und sich zu versa
gen, was nicht gut thut fiir sie, fern
zuhalten, was eingeschleppt ist von
Völkern und Sitten, Zucht, Ordnung, «
Ehrfurcht und Rellgcosttat zu bewah
ren. Dann möge über das deutsche
Volt einst geschrieben werden, was an
den Helnien Meine-is ersten Garde-Re
giments steht, »Se-chr taiis«,
»Stets derselbe«. Dann werden wir
von allen Seiten mit Achtung. theil
weise auch mit Liebe, als sichere und
zuverlässige Leute betrachtet werden
und können stehen, die Hand am
Schwerttnops, den Schild vor uns auf
die Erde gestellt und sagen: 'l’amen,
»Komme, was wolle«. Jch bin sest
überzeugt, daß Meine Worte hier in
Brernen aus einen guten Boden fallen
werden. Von Herzen wünsche ich, dass
der goldene Friede, der bisher mit
Gottes Hilfe erhalten worden ist, uns
weiter erhalten bleiben wird, und daß
Bremen unter dem Frieden grünen,
blühen und gedeihen möge. Das ist
Mein innigster Wunsch. Es lebe Bre
men! Hurrahl hurrahi hurrabt
W
Russland will die Friedensbedings
ungen schreiben. Fragt fiel-I nur«
wer sie dittirt.
II I If
Der anma ende Künstler sieht nur
das, was er ann; der bescheidene sieht
auch das, was er nicht kann.
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Unter den Bildern, die wir im her
en tra en, erweisen sich manche mtt
er Zei als unwerth aufbewahrt z
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