Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, April 14, 1905, Sweiter Theil., Image 9

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    —
« -- « Kinder.
Kinderaugem klar und hell,
Gleichen warmen Sonnenstrahlen,
Die das Grau des Alltags schnell
Wie mit goldnern Glanz umnmlen.
Kinderiippem hold und rein,
Sind wie Blüthen zarter Rosen,
Können trösten wundersein,
Sinnig plaudern, lieblich tosen.
Kindethiinde, schwach und klein«
Wissen sest das Glück M halten,
Streicheln sanft dem iiiterlein
Aus der Stirn die Sorgenfalten.
Kinderherzem warm und weich,
Machen leicht das schwerste Leben.
Und dein Haus wird sreudenreich,
Wenn ein Kindlein dir gegeben.
Die Schwestern
Von A. v. Hedenstietna. Uebersetzt
von H. Fick.
Dem Rechnungsrath Ball und sei- ;
net Frau war, nachdem Noth und!
Sorgen den Frühling und Sommer-!
ihres Lebens getrübt, ein i öner Le- I
benöhekbit beschieden gewe en. Sie
hatten sich sehr jung verheirathet, und
Sorgen Und Entbehtnn n waren die
Folge gewesen« Die bete Zeit igres
Lebens war in diesem ampf da in
gcgangen, aber jetzt war es ausge
tämpft gewesen, und sie hatten Frau
Some über die Schwelle gedrängt,
während die Herbstsonne ihnen milde
auf die ergrauten Häupter schien. Ehe
man sich jedoch von dem Kampf mit
Noth und Mangel erholt hatte, kam
der Tod. Er holte Rechnungstath
Beit, ohne sieh um die Verzweiflung
feiner Frau und seiner beiden Töchter
Aanes und Btva zu kümmern.
Läßt sich detSensemnann auch nicht
dazu bewegen, seinen einmal erhobe
nen Arm zurückzuziehen, io sieht man
ihn doch zuweilen Mitleid zeigen. Er
führt dann statt eines Sireiches mit
det Sense deren gleich zwei, wenn er
sieht, daß ein Menschenpaak sich auf
Erden foiheuek gewesen ist, daß es
sich nicht mehr zu trennen vermag.
Datum holte der Tod Frau Anna
Ball gleich ihrem Wilhelm nach, nnd
Agnes nnd Viva blieben allein auf
dieser Welt zurück.
« Agnes, die älteste Schwester, war
ein hochgewachsenes, schlantes Mäd
chen mit schönen, edlen, wie aus Mar
mor« geschnittenen Zügen, dunklem,
lockrgetn Haar und prachtvollen,
schwarzen Augen. Diese Augen blick
ten aber meistens ernst, denn sie hatte
die sorgenvollste Zeit ihrer Eltern
miterlebt, und in ihrer Kinderzeit
hatte sie selten etwas anderes ehört
als Klagen über unbezahlte iethe
nnd über vertragene Kleidungsstijcle,
die man nicht durch neue zu ersetzen
vermochte.
Von Biw, der jüngsten Schwester-,
wußte niemand in der ganzen Nach
barschaft, loie sie in Wirklichkeit hieß.
Wenn ihre beiden niedlichen Fäßchen
die tleine. zierliche, graziöse Gestalt
über das Trottoir nach derSchule tru
gen, blickten ihr wohl die Mütter aus
den Fenstern nach und sagten freund
lich vor sich hin: »Viva, tteine Viva.«
Zeigte sich aber aus dem Spielplatze
der Kinder ein goldigerLockentops und
ertönte dort eine,Stimme, die melodi
scher war als alle übrigen, so riefen
die Knaben jubelnd: »Biva———Viva ist
da!« Als aber der Engel des Todes
ihre Mama in den Himmel getragen
hatte, als die tleinen Füße ruhten und
die blonden Locken über ein betrübtes,
verweintes Gesichtchen fielen, nahm die
große Schwester ihren tleinen Liebling
sest an ihre Brust und sliisterte:
»Meine süße, geliebte Dido-"
Obwohl sie nicht Viva getauft war,
hieß sie doch so.
Agnes zählte zwanzig Jahre uno
Viva vierzehn, als ihre Eltern sie ganz
allein in der Welt ließen.
Als Frau Ball gestorben war, tam
Tante Ulrite und wollte Viva zu sich
nehmen. Sie wollte damit eine
Pslicht, eine saure Pflicht, ersiillen.
Agnes würde dann wohl eine Stelle
als Erzieherin finden, meinte sie.
Schwester Agneö aber lehnte Tante
Ulritens Anerbieten mit Dank ab und
schloß die weinende Viva in ihreArme.
Sie sagte ihrer Taute, daß sie zusam
men bleiben und arbeiten und, wenn
es nöthig wäre, Sorgen und Mangel
mit einander theilen wollten.
Tante Ulrile reiste mit dem ange
nehmen Gefühl ab, aus gewissenhaste
und billige Art ihre Pflicht gethan zu
haben. Kurze Zeit daraus saud man
vor einem hause in der besten Gegend
der Stadt ein lleines Schild mit der
Aufschrist »Agnes Balk. Putzmache
rin.'· Agnes war keine Anfängerin in
dieser Kunst, sonst wäre wohl nichts
aus ihrem Unternehmen geworden.
Sie hatte der ersten Puymacherin der
Stadt schon seit mehreren Jahren ge
holfen, wenn diese viel zu thun hatte,
und sie hatte einen ausgezeichneten Ge
schmack und sehr geschickte Bände. Jhr
Erwerb reichte vollständig siir den Le- :
beniunterhalt der beiden Schwestern
aut. Er reichte auch zum Schulgeldes
und zu Klavierstunden sitr Viva, die
sehr begabt und sleißig war und eine»
vorzügliche Klavierspielerin wurde.«
Sie behielt sogar noch eine Summe
tibrig zu einem hübschen Marmor
lreuze siir das Grab ihrer Eltern. —
Das Allerschsnste aber war, daß sie;
ein sorgenlosei, sicheres heim besagen,
und daß die beiden Schwestern, die
einander iiber alles liebten, zusammen
greismska
Staats- ngnzeiger nnd THAng
JPzgvtth sgv « G Hin-ign- 14up1190 (Zw tThu JIxhkkkg ugszz Jes-. 33
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sbleiben und nach der Tagesarbeit in
; ihrem traulichen Mädchen stiibchen mit
;einander zur Ruhe gehen konnten.
« Agnes lauschte ost den ruhigenAthem
zügen der schlafenden Viva und zün
dete manchmal in der Nacht Licht an,
um das schöne, reine, sonnige Kinder
antlitz mii dem rothen Wangen zu be
trachten.
Dann erschien »Er« auf demSchau
platze.
Er war Gymnasiallehrer, hatte ein
Gehalt von achtzehnhundert Mark und
sehr wenig Schulden. Dazu hatte er
ein gutes, braves Herz, sehr hübsche
Augen und eine wunderschöne Stim
me. Er war immer munter und ver
gnügt, aber besonders vergnügt war
er, wenn er Agnes und Viva in der
Familie des Direktors itas, wo sie viel
verkehrten, oder wenn er Artikel nö
thig hatte, die in Fräulein Balks Ge
schäft zu haben waren. Das aller
größte Vergnügen bereitete es ihm
aber, als es sich zeigte, daß dieses Ge
schäft sich so sehr ausgedehnt hatte,
daß die Anfertigung derXPutzartitel
Fräulein Balk nicht mehr ie Zeit zur
Führung ihrer Bücher und zum
Schreiben ihrer Rechnungen ließ.
Dann kam er jeden Nachmittag, wenn
oe Schule aus war, trug mit seiner
hübschen Schrift die neuen Posten in
Agnes’ Haupthch und schrieb so
schöne Rechnungen, daß die Damen
in der Stadt ganz erstaunt darüber
waren.
Agnes' ernste Züge bekamen einen
immer weicheken Ausdruck, die dunklen
Augen begannen zu lächeln, und ein
fast muthwilliger Zug umspielte ihre
Lippen, wenn der junge Doktor einen
Scherz machte, mit denen et nicht fpak
sam war.
Da ram eines Dages ein uonto, an
das niemand gedacht hatte. Er er-;
schien nämlich an einem Vormittags
wo gar nichts im Hauptbuch einzutrw s
gen war nnd wo es keine Rechnungen l
zu schreiben gab. Er hatte einen freien
Vormittag, weil die Schulzimmer gess
reinigt wurden. Er trug seinen besten I
Anzug und erröthete wie ein junges
Mädchen, als er mit fast heiserer
Stimme sagte: »Fräulein Agneg, ich
möchte Jhnen gern . . .«
»Ach, sieh da, guten Morgen, Herr
Doktor. Wollen Sie nicht Platz neh
men. Die neue Aue-lage im Schau
senster ist doch hübsch, nicht wahr?«
»Ja, ich möchte Jhnen aber gern et
was sagen, was ich schon lange im
Herzen trage, Fräulein Agnes!«
Schweig still, mein Herz. Das
Glück ist endlich da: Die Liebe wird
jetzt die langen Jahre der Trauer und
Sorge mit ihrem vertlärendenSchleier
bedecken. ---— ——-- —-—
»Ich habe eine große ——-- unendlich
große Bitte an Sie.«
Die Hüte nnd Dauben nicken aus
ihren Gestellen, und die Fächer er
glänzen vok Wonne. Sei doch nur
ruhig, Herz. Jetzt kommt das Glück!
»Herr Dottor, Sie wissen doch, daß
ich gern für Sie thue, was mir mög
lich ist . .
»Das weisz ich. Es ist aber eine
ungewöhnlich große Bitte, die ich an
Sie richten will, ich begehre das Beste,
Höchste und Schönste der Welt von
Jhnen — -—— —«
Wie kannst Du nur so blind sein,
Geliebter meines Herzens. Fühlst Du
denn gar nicht, wie Dir mein Herz
entgegenschlägt, weiszt Du nicht, daß
Du nur Deine Arme zu öffnen
brauchst. Daß Viva nun auch gerade
kommen muß. Sie ist ja aber noch
ein —- so unüberlegtes Kind. Warum
konnte sie nicht noch einen Augenblick
warten. Wie glücklich werden wir
drei sein« wenn wir erst aus immer
vereint sind.
»Aber was, um Gotteswillen, soll
ich Jhnen denn eigentlich geben, Herr
Dottor?·' fragte sie, indem sie einen
schwachen Versuch machte, zu lächeln.
Da stand er auf, ergriff ihre Hand
und flüsterte mit tief erregterStimme:
»Geber: Sie mir Viva!« —- —— —- —
Eö ist Sommerzeit, und diehunds
tasgsferien haben begonnen. Der jun
ge Dottor hat Gehaltserhöhung be
kommen, und aus dem ersten Hotel der
Stadt weht eine Fahne. Die Sonne
blickt lächelnd auf die Erde herab, wo
die große Schwester ihrer tleinen Vioa
die Dochzeit giebt, eine große Hochzeit
mit allem Zubehör, mit Prämienm
;fern und Trausiihrern. Agnes selbst
iwill aber nicht Brautjungfer sein, weil
- sie findet, daß es sonderbar sein wür
de, weil sie sechs Jahre älter ist als die
Braut. Sie sagt lachend, dass sie
»Brautmutter« sein will. Darum er
scheint sie auch in einem schwerseide
nen schwarzen Kleide mit einem Dia
mantenschmuck und sieht wunderschön
und vornehm wie eine Fürstin aus.
Ja, sie trägt Diamanten, ihre Mittel
i
erlauben es ihr. Jhre Mittel erlauben
ihr auch, die Wohnung des jungen
Paares hübsch und geschmackvoll ein
zurichten. Obgleich Biba die Tochter
armerEltern ist, hat sie doch eine wun
derschöne Aussteuer bekommen.
Wie sonderbar, sagen gewiß manche
!Damen, mit vierundzwanzig Jahren
schwarze Seide am Hochzeitstage der
Schwester zu trage.
Agnes Balk aber hatte sich nicht aus
Koletterie älter gekleidet. Sie hatte
es gethan, weil ihr an diesem Tage ei
ne jugendliche Kleidung widerstrebt
hätte. .
Sie machte auf isehr gewandte, an
muthige Art die Wirthin, obgleich sie
es zum ersten Male in ihrem ganzen
Leben that. Sie wurde von den Gä
sten fast noch mehr bewundert, als die
Braut, die in ihrem duftigen weißen
Kleide unendlich reizend und lieblich
aussah. Der Oberlehrer der Mathe
matit, ein Junggeselle in den höheren
Semestern, dachte daran, das; Agnes’
Hauptbach einen hübschen Ueberschuß,
gezeigt hatte, und faßte den Vorsatz,
recht ost im Hause ihres Schlvagers,
seines Collegen, zu verkehren.
Die Hochzeit war sehr lustig. Es
herrschte Jubel und Freude. Reden
und Tasellieder wechselten mit einan
oer av. Der gtucrnche Oraurigam er
griff sein Glas und hielt eine tiefem
pfunde«·e Rede auf die edle, großmü
thige Schwester seiner theuren Viva,
der er für alles dankte, was ste akl ih
nen beiden gethan hatte. Er versprach,
sich ihr dadurch dankbar zu erweisen,
daß er ihrem Liebling das Leben so
hell und sonnig machen wollte, wie es
in seiner Macht stände.
Agnes lächelte, umarmte und küßte
Viva zärtlich und klopfte ihremSchwa
ger freundlich auf dieSchulter. Wahr
haftig, eine »hin1mlischeSchwiegermut-—
ter,« murmelte der Oberlehrer der
Elstathematih der in seinen Mußeftun
den auch Philosoph wFr.
si
Auf dem Hotel weht keine Fahne
mehr, und der Festsaal ist wieder dun
tel und leer. Der Nachtwächter allein
geht mit bedächtigen Schritten in den«
Straßen der Stadt umher. Die Uhr
auf dem Kirchthurm schlägt die Mit
ternachtsstunde. Alle Fenster sind dun
kel, und die Leute schlafen hinter den
herabgelassenen Vorhängen. Nur ein
Fenster ift noch hell. Es gehört zu der
Wohnung des jungen Ehepaares. Der
junge Doktor sitzt ans dem Sosa und
hält Nina, die tief erröthend ihren
Kopf an feine Brust birgt, während er
zärtlich ihr blondes Lockenhaar strei
chelt. Zwischen zwei Gräbern auf dem
Friedhof, der die alte Kirche umgiebt,
kniet eine. dunkle Gestalt, die Arme
um das Marmortreuz geschlungen,
welches den beiden Schläfern gemein
sum gehört. Sie hält die brennende
Stirn gegen den kalten Stein gedrückt.
»Vater, Mutter, jetzt ist Euer Lieb
ling glücklich,« flüstert sie, »die große
sowwener yar ihr aues gegeben, wag
sie zu geben hatte.«
Als sie endlich in ihr Heim zurück
kehrt und dasBett ihrer tleinenSchwes
strr sieht, welches seit achtzehn Jahren
zum ersten Mal leer steht, fühlt sie sich
zum Tode einsam und traurig. Da
birgt sie das dunkle Haupt, in dessen
stolzen Zügen Menschenaugen nie verv
nichtetes Glück nnd getäuschte Hoff
nungen lesen würden, in die weißen
Kissen des leeren Lagers und stöhnt:
O Viva, mein Liebling, warum
nahmst Du mir alles, alles in dieser
Welt!«
- .-—««-—
Ein neuer Gannertrick.
Von Philipp Berges.
Ein unheimlicher Mensch, dieser
Gast, der an einem schwülenJuliabend
ir. dem vornehmen »Fifth Avenue Ho
tel« zu New York abgestiegen war.
Aeuszerlich merkte man ihm sreilicti
nichts an. Aber dies ist ja gerade das
Schlimme, daß die Hochstapler großen
Stils nicht nur wie gewöhnliche. son
dern sogar wie außergewöhnliche
Sterbli e aussehen. Mr.Jesserson— -
mit die em Namen hatte der Gast sich
in’s Fremdenbuch eingeschrieben——i1)ar
cin etwa vierzigjähriger, hochgewachses
»ner Mann ohne »besondere Kennzei
»chen«. Aussallende Merkmale des Ver-·
« brecherthpuö waren jedenfalls nicht
»vorhanden. Eins hätte dem geübten
; Menschenbeobachter allerdings nicht
ientgehen können. Der Fremde besaß
ein großes, wachsames, tauerndes Au
ge, in welchem Verschmihheit und Ko
mediantenthum Versteck spielten.
Der Herr Obertellner, welcher dem
Gaste die Zim r anwies, war kein
Psychoiog Er pr te die Fremden nur
auf ihre Trinkgeldsähigteit Leider
hatte er auch Lombroso nicht gelesen.
Jnsolge dieses Mangels hielt- er Mr.
Jesferson sitt einen vornehmen Mann.
Hätte er indeß gegen Mitternacht in
das Zimmer Mr. J.’s sehen können,
so würde er schleunigst zur Polizei ge
schickt haben
Nur mit einem langen Nachthemde
lselleidet, stand der unheimliche Mensch
vor seinem Koffer und entnahm dem
selben folgende verdächtige Gegenstän
de. Zuerst einige für sich selbst spre
chende Bücher: »Die Kunst des Ta
schendiebstahls, für Anfänger und
Meister, mit Uebungsstücken« (dieses
illustrirte, schwer zu erlangende Wert
ciriulirt nur in Gaunertreisen); »Be
rüchtigte Einbrecher beider Continente«
von F. McDonald; und schließlich ein
kleines »Handlexilon der Gaunerspra
che«. Diese Bücher wurden auf den
Nachtiisch gepackt, um als Leitüre zu
dienen. Aus einem tieferen Fache des
Koffers entnahm Mr. J. einen alten
schäbigen Anzug von urväterlichem
Schnitt, einen schwierigen Schlapphut
und einen falschen Bart. Ohne Zwei
sel eine Banditenvertleidung für den
nächsten Tag.
Die schlimmsten Befürchtungen, die
irgend Jemand hätte haben können,
trafen ein. Am nächsten Morgen stieg
Mr. Jesferson in den schäbigen Anzug,
beseitigte lunstvoll den eisgrauen
struppigen Bart, stülpte den schmiert
aen »Westerner« auf den Kopf und
glich im Nu einem alten Former aus
Einen oorsintfluthlichen Reisesack in
der einen Hand, in der anderen einen
derben Knotenstock, trat der unheimli
che Gast auf den Corridor hinaus,
ging vorsichtig und schnell die Treppe
lkinunter und gelangte unangefochten
: auf die Straße.
» Zur Zeit, in welcher dies Vorkomm
Jnisz spielt, grassirte in New York ein
ineueiy geheimnißvoller Gaunertrick,
J welcher ins Fach des Taschendiebstahls
; schlug. Ein noch unbekannterApparat
war erfunden worden, der mit bei
spielloser Sicherheit arbeitete. Täglich
sbrachten die Polizeiberichte unzählige
»Anzeigen über gestohlene Taschenuh
»ren, die ihren Besitzern ganz fein und
getäuscht-IS abgetnipst waren. Einen
Hianderen Schutz gegen diese unheimli
chen Ueberfiille, als den, die Uhr zu
Hause zu lassen, schien es nicht zu ge
ben. Polizeirichter Dan Wattins, mit
dem Beinamen »Sharp«, d. i. »derGe
s:renge«, erlebte das folgende ärgerli
ehe Stückchen. Während einer Hoch
lahnsahrt wurden ihm Uhr und Kette
entwendet, und ftatt ihrer fand er in
der Westentasche einen Zettel, auf dem
der anonhme Dieb seinen Dank ang
driicltr. Der Polizei war übrigens der
Meister des neuen Gaunertricks wohl-—
l-etannt. Es war kein anderer als der
reriihtnte Bill Crooley. Aug der
Sphäre des Kassenschrant-Einbruchs,
in welcher er unter dem Ehren-Spitz
namen »der Geldspindtnacker« weltbe
tannt wurde, hatte er sich seit einigen
Monaten heimlich der feinenKunst des
Laschendiebstahls zugewandt und ent
Vcll VIII lckwctldch
f
ialtete nun auch in diesem neuen Fache
seine Genialitiii. Jn den maßgeben
renGaunertreisen sprach man von ihm
bereits als von dem großenMeaeneras
tor des Tafchendiebftahlg. Natürlich
war Bill Crooteh auch der Erfinder
des verwirrenden Apparates-. Alles
dies war der Polizei, wie gesagt, wohl
!:etannt· So lange es ihr aber nicht
vaclungen war, den schlauen, in aller
liand Vertleidungen auftretendenMei
ster durch einen noch fchlaueren der ih
rigen zu iibermeistern und den großen
Epitzbuben in flagranti zu fassen.
tonnte sie nichts machen, denn gegen
Bill Crooteh lag ,,offiziell« augenblick
lich nichts vor.
III Il- st
Jn der Bleeter:Street, einer etwas
finsteren und versteckten Straße der
unteren City, befindet sich die zumeist
Tan Gaunern besuchte Kneipe ,,« um
llechernen Hirntasten«, der ZufluchtS
ort und Rendezoougplatz aller »Oui
mstg« der Welt. Der Unkundiae geht
freilich achtlos an dem unauffälligen
stellerlolal vorüber, denn der humor
rolle und berühmte Name der Kneipe
. rristirt nur im Munde ihrer Gäste und
I- — in den Listen der internationalen
: Polizei.
( Vor dieses feine Lotal trat Mor
aeng um 9 Uhr der Fremde aus dem
»Fifth Avenue Hotel«. Nur wenige
Leute waren anwesend, ein paar ziem
lich rauh aussehende Zecher, der hinter
der »Bor« stehende Wirth und ein bes
ser gekleidete Gentleman. Alle, der
Wirth mit seinen sämmtlichen Gästen,
wurden aufmerksam, als der alteFar
mer in der Thür erschien; eine solche
Gestalt schien hier zu den Seltenheiten
zu gehören.
»Nichts fiir ungut, Gents«, sagte
der alte weinerlich, »aber giebt es hier
Keinem der einen alten Mann auf den
richtigen Weg bringt?«
»Wohins wollt Jhr denn?« fragte
der Wirth.
»Na, auf den Broadway, aber ich
habe mich in diesem vermaledeit gro
ßen Dorf verlaufen!«
»So kommt doch hereins, alter Bier
säugling,·' tief der an der Bar stehen
de Gentleman. »Ich gehe nachher den
selben Wegl«
Der Alte zögerte. »Nee, nee,« sagte
e: mit schlauemSchmunzeln, »in New
York muß man vorsichtig sein. Rin
tommen thU’ ich nicht. Da ham se jetzt
so ne neue Art-en, Einem die goldene
Uhr zu stibitzen. Nec, nee, mit rem
den lasse ich mich nicht ein« Al o wo
gehgenstz der Weg nach dem Broadway
Der Gentleman gab dem Wirth ei
nen Wink, warf einen Vierteldollar
auf den Schenktisch und ging laut la
chend zur Thür.
»Na, Onkel Hiram, oder wie Jhr
sonst heißen mögt, dann will ich mich
nur gleich aus den Weg machen, und
Jhr könnt mich begleiten, sonst erzählt
Jhr vielleicht in Kalamazoo, woher»
Ihr wahrscheinlich kommt, die New ;
Yorker seien unhöfliche Leute.« ;
»Seht gut!« lachte der Alte und’
hielt dabei seinen falschen Bart fest.
»Ihr seid ein Spaßvogel. Jch komme s
nicht aus Kalamazoo, sondern von
weiter, aus Frisco!«
»Was Jhr sagt!«
Der New Yorker Gentleman muster
te den fremden Alten mit einem schnel
len Blick, als ob irgend ein Argwohn
in ihm rege geworden. Jn tiefem Sin
i:en, dann und wann den Greis ange
hend, als ob er nach einer fremden-, e
stimmten Erinnerung suche, ging der
Mann neben dem Alten her. Er ach
tete nicht mehr auf das Geplauder des
Dörflers, machte einige Male eineVT
wegung, als wolle er ohne Gruß i
Seitenstraßen, die man treuzte, ver
schwinden. Und endlich, an der Eele
der Broadway, geschah etwas ganz
Seltsames. Der Mann aus dem Kel
ler blieb plötzlich stehen und schlug sich
mit der Hand vor den Kopf, dann
brach er in ein triumphirendes Lachen
aus.
»Was habt Ihr, guter Freund?«
sngte der Alte.
»O, nichts für Euch,« lachte der an
dere. »Mir fiel nur etwas Komisches
ein. Uebrigens ist meine Zeit zu En
de. Hier ist der Broadwah. List
tvohl!«
Der Alte streckte dein Scheidenden
mit biedeken Abschiedsworten dieHand
entgegen, doch laucn hatte der andere,
schon halb weggewendet, die seine hin
eingelegt, als er sich. mit eiserrirm
Griffe festgehalten fühlte. Zugleich
legte ein Arm sich auf seine Schulter,
und eine kräftige Stimme schrie laut
um Hilfe nnd nach der Polzei. Der
Festgehaltene versuchte sich mit einem
gewaltigen Ruck loszureißen oder we
nigstens seine Hände freizumachen —
umsonst, der Alte hielt ihn wie in ei
nem Schraubstock, bis sich mitten im
Gewühle des Broadway eine Jnsel
von Neugierigen gebildet hatte, die
schnell einen Polizisten herbeilockte.
»Holloh! Gebt Raum! Was ist los
hier?«
Der Gauner hat mir meine goldene
Uhr aestohlen,« briillte der Alte.
»Der Narr ist wahnsinnig,« sagte
der andere dagegen. »Ich ersuche die
Polizei, mich zu befreien.«
»Das soll geschehen!« lachte der
Blaue, wars im Nu Handschellen um
die sinöchel des Beschuldigten, nahm
den Alten unter den Arm und führte
beide zur nächssctenszlizeiwache
Jm Volizeigericht des sechsten Pre
cincts sitzt Richter Dan Wattins, ge
nannt ,,Sharp« und mustert die lange
Reihe der Trunkenbolde, Wegelagerer,
Diebe und anderer dunklerEhrenmän
ner, die er »vertnacten« soll, Auf
einmal erhebt er zweifelnd den Kopf,
setzt den Kneiser aus die Nase und
Jwintt einen Polizisten heran, der
, schleunigst sorteilt und mitten aus der
stseihe einen der Hästlinge vor den
» Richter führt ----- keinen anderen, als
Iden Man-n aus dem Verbrecherteller.
»Mensch,« rust der Richter-, und
sein Gesicht beginnt zu strahlen, »Ihr
seid kein anderer als Bill Crookeh ——s
HHerr Gott, haben wir Euch endlich
senmal gepackt?! Seid Jhr’s oder seid
! Jhr’s nicht?«
»Ich bin’s!« erwiderte der Gauner
und auch seine Miene strahlt vor Vers
gniigen. »Mir ist’s heute nicht leid,
daß sie mich gepackt haben, Richter ——
haha! Jhr werdet Euer blaues Wun
der erleben!«
»Na, was habt Jhr denn ausgesres
sen? Doch nicht etwa ——— ——« i
»Natürlich! Eine Uhr! Es ist EuchJ
ja längst bekannt, daß ich mit dem
neuen Trick arbeite. Habt Jhr nicht
auch Eure Uhr eingebüßt, Richter?
Jch las es in den Zeitungen.«
»Schweigt!« donnert der Gestrenge.
»Sergeant, hat man ihm die Uhr wie
der abgenommen?«
,,Jawohl, Euer Ehren· hier ist sie.«
»Und ist der Beraubte hier?«
»Hier ist er, Euer Ehren," entgegne
ter der Alte. »Die Uhr ist meint«
»Also, Ihr seid derBestohlene,« sagt
W -
der Richter und mißt den Alten mit
einem getingschiitigen Blick. »Ich -seh’
Euch’s an der Nase an, daß Jhr ein
Fremder seid.«
»Ihr habt Recht, Richter-. Jch bin
keins New Yorker!«
»Nun, und woher kommt Jht denn
gesegelt, alter Mann?«
»Aus San Franciscv!«
»Sieh, sieh’, aus San Franciseoi
Hm —- tennt Jhr dort vielleicht mei
nen Collegen, den Polizeirichtet Co
nan?«
»Seht genau, Euer Ehren, sein
Büreau liegt dem meinigen gegen
übert«
»So? Das ist doch—hm—wo
ist denn Euer Büreau?«
»Im Central - Polizeiamt!«
,,Waaas! Jhr seid Polizeibeam
ter?«
»Ja!« und der Alte nimmt Per
jriicle und Bart vom Kopf. »Ich bin
sder Polizeichef von San Franeiscv!«
Der Richter ist stumm geworden.
Offenen Mundes sieht er Bill Crootey
an, der das Gesicht zu einem breiten
Grinsen verzicht.
»Ich kannte ihn,« sagte er, ,,kannte
ihn verdammt gut, und dieser Streich
msacht mich, trotzdem ich selbst mit
hineinfalle, zum berühmtesten Spitz
buben der Welt.«
,,Still!« herrscht der Richter ihn an,
und es ist, als ob er aus einemTraum
erwache. ,,Dieser Fall gehört vor die
Großjury ——«
,,Oh nicht doch«, fällt hier Mr. O’
Reilly, der wegen seiner Schlauheit im
ganzen Lande bekannte Polizeimann
aus SanFrancisro ein, ,,laßt ihn doch
eins-ach auf die Strafinsel gehen. Und
wegen meines Rufes seid unbesorgt.
Jhr mögt wissen, daß ich mit der Ab
sicht nach New York kam, mir von Bill
Crookey die Uhr stehlen zu lassen. Jch
habe genau zugesehen, wie er’s machte,
und etwas von ihm gelernt. Es ist
das Neueste in der Kunst des Taschen
diebstahls Er glaubte, mich zu rupsen,
als ich mich ihm in der Maske eines
alten Landonkels naherte, und nun ist
er der Geleimte. Seht hier, das ist der
neue Knipsapparat, den ich unserem
Bill stahl, während er meine Uhr räu
berte. Seine Collegen drüben in Fris
co sollen schon merken, daß die Polizei
mit allem, selbst mit dem neuesten
Trick, bekannt ist!«
,,Berdammt!« murmelte Bill Croo
leh, während man ihn hinausfiihrt,
,,nun ist’"5 mit dem neuen Trick vor
bei!« —- —— —
Und am Mittag, als der New Yor
ker Richter nnd der Polizeimann aus
dem Westen miteinander tafelten, zog
der letztere dem ersteren mit Hülfe des
neuen Apparates die Uhr so kunstge
recht ans der Tasche, daß er ihr Feh
len erst eine Stunde später wahrnahm.
107 Jahre alt und noch arbeits
willig.
Von einem 107 Jahre alten Bete
ranen, der noch immer arbeitswillig'
iji und in kein Jnvalidenhaus gehen
will, weiß der Odessa Listot zu erzäh
len. Vor einigen Tagen, so meldet das
Blatt, erschien im Odessaer Hasenamt
ein Bootgmanngmaat in Unifo-rm,die
Brust mit Medaillen geschmückt, und
tat um eine Unterredung mit General
Perilischin. Er sah aus wie ein rüsti
ger Sechzigen Groß wsar aber das
Erstaunen des Generals, als der
Mann seine Papiere vorlegte, aus de
nen hervorging, daß sein Besuchen
Alexander Jvanewitsch Jvanow aus
Wischnego-Bolotschka, nicht weniger
als 107 Jahre alt war. Jm Alter
von 14 Jahren war er als Trommler
in die Armee getreten, später lebte er
einige Jahre in ArchiangeL und 1886
war er in die Flotte einaetreten. in
der er ununterbrochen bis 1903 Dienst
gethan hatte. Er hatte die Schlacht
von Sinope mitgemacht und war einer
der Vertheidiger Sebastopols. Bei
seiner Entlassung war er in seine Hei
math zurückgekehrt, da er dort aber
keinen seiner Verwandten mehr am
Leben sand, kam er nach Kronstadt,
um eine Pension zu beanspruchen.
Diese wurde ihm versprochen, er sollte
dann aber in ein Jnvalidenihaus
gehen. Da zog er es vor, nach Odessa,
wo er jahrelang gestanden hatte, zu
reisen, und sich um einen Posten im
Zollamte zu bewerberu Man legte
ihm auch dort nahe, in’s Seemanns
heim zu gehen-, er aber antwortete,
das fei für Invaliden, er aber wolle
im Dienste sterben. Der General ver
sprach ihm einen Posten, sandte ihn
aber einstweilen doch in das See
niannsheim
Ein Ring Lineoluss an Radie
velr’6 Fingern
Als Präsident Lincoln nach seiner
ttidtlichen Verwundung aus Ford«·s
Theater in Washington nach dem be
nachbarten Hause des deutschenSchuei
dirs Peter-sen getragen und dort zu
Bett gebracht worden war, nahm man
don einem seiner Finger einen altmo
bischen goldenen Ring mit einem
-Opal. Frau Lincoln schenkte den
Ring dem damaligen Privatsekretär
ihres Mannes, John Hah; und durch
diesen, den jetzigen ersten Minister
Roosevelts, wurde bewirkt, daß der
Ring am diesmaligen Jnaugurations
tage die erwähnte Verwendung sand.
Das Manisest des Zaren hat in
Ruszland Eindruck gemacht. Sso wird
von dort gemeldet. Nur ist der Ani
druck dieses Eindrucks recht zweifel
l haster Natur-.