Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, March 31, 1905, Sweiter Theil., Image 10

Below is the OCR text representation for this newspapers page. It is also available as plain text as well as XML.

    Das Ratt-sei hdickikiäksthij
Roman von Yeinhocd Ortmanw
IOOOGOPOOOOOF
(8. Fortsetzung)
Neuntes Kapitel.
Jn ftraffer dienstlicher Haltung
stand der Förfter Fabian dem jun
gen Baron v. Linderode in seinem
Arbeitszimmer gegenüber Sein Ge
hilfe hatte ihm bei der Heimlehr mit
getheilt, daß der Gutsherr ihn in ei
ner dringenden Angelegenheit zu spre
chen wünsche, und unverzüglich hatte
er sich daraufhin nach dem Schlosse
begeben. Erwin war eben beschäftigt,
einen Brief zu schreiben, aber er schob
das Blatt lsofort zur Seite und wand
te sich mit freundlicher Miene dem
Beamten zu. ,
»Ich habe Sie bitten lassen, lieber
Fabian —- aber setzen Sie sich doch!
Es ist eine Angelegenheit, die sich nicht
mit zehn oder zwölf Wörten abthun
lassen wird.«
Der Förster murmelte irgend eine
respektvolle Erwiderung in feinen
schwarzen Bart, aber er blieb steif und
unbeweglich stehen.
»Es handelt sich nämlich um einen
freundschaftlichen Vorschlag, den ich
Jhnen zu machen habe,« fuhr Erwin
fort, nachdem er ein paar Verlegen
heitsrsauchwolien aus seiner Cigarre
« geblasen hatte. »Einer meiner nähe
ren Bekannten, der Gras Römer auf
Rogallen in Ostpreufzen, hat sich an
mich mit der Anfrage gewendet, ob
ich ihm nicht einen tüchtigen Forst
.mann für die Pflege seiner ausge
dehnten Waldungen nachweisen könne.
Es wäre ein sehr angenehmer Posten,
und ich dachte natürlich »in ersier Reihe
an Sie.«
»An mich, Herr Baron?«
»Ja, denn ich war der Meinung,
daß Sie sich doch wohl nach einem
größeren Wirkungskreis sehnen, als er
Jhnen hier offensteht. Und ein Mann
von Ihren Fähigkeiten, Jhrer Umsicht
und. Energie wäre meiner Ansicht nach
dort gerade an feinem rechten Platz.«
»Der Herr Baron sind sehr iitig,
ich sage meinen unterthänigften ni.
Aber ich bin mit meiner jetzigen Stel
lung vollkommen zufrieden«
»Sol! das eine Ablehnung fein, noch
ehe Sie auch nur die Bedingungen
kennen gelernt haben, unter denenGraf
Römer Sie engagiren will? Einige
lieberlegung —- meine ich —- wiire die
Sache immerhin werth.«
»Wenn ich ganz offen sprechen darf,
Herr Baron —- ich möchte nicht von !
hier fort, am wenigsten in eine so weit
entfernte Gegend.«
Erwin hüllte sich aufs neue in dichte
Wolken. Die Erfüllung des Verspre
chens, das er Editha gegeben, erschien
ihm wahrhaftig nichts weniger als be
quem. »Nun ja,« meinte er nach eini
gern Zaudern, »das ist ja recht gut und
macht Jhnen als ein Beweis Jhrer
Anhänglichkeit alleEhre. Jch fiir meine
Person wurde Sie auch nur ungern
zerlieren.» Aber wie die Dinge einmal
Er hielt unwillkürlich inne da erf
fah, mit einem wie schmer lich finste
ren Blick die Augen des Figan auf
ihn gerichtet waren.
»Sie wünschen also meine Entfer
nung. Herr Barurt?«
»Hm! Es thut mir leid, Fabian
daß ich Ihnen daraus nicht rundtveg
nein antworten kann. Aber die fatale
Geschichte — Sie wissen ja, wag ich
meine-das Gerede der Leute tommt
nicht zur Ruhe, und Sie selber müssen
doch auch darunter leiden.«
»Ich türnmere mich nicht um das
Gerede und lomme niemandem zu
nahe. Als ich freigesprochen worden
war, stellte ich es Jhrem Großvater
frei, mich sofort zu entlassen. Aber er
wollte daoon nichts hören. »Sie haben
nur Ihre Pflicht ersiillt,« sagte er,
»Und jetzt bleiben Sie erst recht in mei
nem Dienst, solange es Ihnen darin
gesällt.«
»Mein Großvater glaubte Ihnen
diese Genugthuung schuldig zu sein,
und ich hätte an seiner Stelle genau so
gehandelt. Daß ich Jhnen das aller
beste Zeugniß ausstellen und Sie aus
das tvärrnste empfehlen werde, dürsen
Sie als gewiß annehmen Wenn Sie
Gründe haben, die Anstellung bei dem
Grasen Römer auszuschlagem werde
ich eAhnen schon etwas Anderes, Pas
senderes :7erschassen.«
»Ich habe das sür eine Kündigung
Zu nehmen, nicht wahr?«
» »Wohlverstanden: in aller Freund
. scheit, lieber Fabianl Und vornehm
lich in Ihrem eigenen Interesse. Spä
terhin, wenn erst einmal Gras gewach
E sen ist über die alten Geschichten, und
« Ein-eng Sie dann noch Lust haben, nach
»Weil-säh zuriielzutehren —'· »
« - Der nunngenehme Blick des Mannes
M ihn immer aufs neue in Ver
Manns Er sing an zu begreifen,
Wen Editha den Förster einen un
» n Menschen genannt hatte.
doch vergaß Fabian nicht siir
M Moment seine ehrerbietige Hal
» »Beste-g lässt bis zum er
Hes Messe-, zik »We- Dem-in
Its-, die Endigst-g an. here
OOOPOPPPGOOOI
seinem Rechtlichteitsgesiihh denMann
noch tieser zu kränken. Dann aber
dachte er daran, daß Editha seine Zu
sage in aller Form erhalten hatte, und
toie er sie kannte, wußte er, daß er mit
dem halbersüllten Versprechen eine
einigermaßen klägliche Figur in ihren
Augen machen würde. Einzig die
Furcht vor ihrem wohlbekannten spöt
tischen Lippenzuclen brachte die Be
dentlichkeit seines Gewissens zum
Schweigen.
»Ich hoffe, daß Sie mein-e Beweg
gründe richtig beurtheilen, Fabian!'«
sagte er, ohne den Förster anzusehen.
»Und da wir uns nun in der Haupt
iache verständigt haben, wie wäre es,
wenn Sie nicht erst zum Herbst, son
dern jetzt Jhre Stellung verließen?«
Es war heraus; und nie in seinem
Leben war Erwin v. Linderode so un
gehalten über sich selbst gewesen. Dem
aesiirchtetsten Vorgesetzten gegenüber
hatte er sich nicht so llein und besan
gen gefühlt als hier vor diesem Unter
gebenen, deiner mit vollem Bewußt
sein eine abscheuliche Ungerechtigkeit
zusiigte. Und warum, zum Henker,
mußte ihm der Mann nun obendrein
wohl eine Minute lang die Antwort
schuldig bleiben? Wandie Situation
denn nicht ohnedies unbehaglich ge
nug? «
»Daß ich Ihnen Jhr Gehalt bis
zum ersten Oktober zahlen werde, ist
selbstverständlich Und in Anbetracht
Ihrer ausgezeichneten Dienste halte ich
es sogar fin meine Pflicht, Jhnen eine
angemessene Gratifikation —"
»Ersparen Sie sich Jhre Verspre
chungem Herr Baron!« fiel ihm plötz
lich der Förster ins Wort. »Wie ge
ring ich auch in Ihren Augen sein
mag, so ein unehrlicher Schust bin ich
doch noch nicht, daß ich mich mit einer
Handvoll Geld absinden lasse. wenn
einem vornehmen Herrn die Lust an
kommt, rnir meine Braut zu stehlen.«
Er hatte seine Stimme taum merk
lich erhoben, und er stand noch immer
so bescheiden da wie vorhin; nur die
Adern an seinen Schläfen waren hoch
ausgeschwollen, und die tiesliegenden
Augen unter den buschigen schwarzen
Brauen schienen Blitze zu sprühen.
Jn grenzenlosem Erstaunen starrte
ihn Erwin an.- »Was reden Sie da,
Fahian? Haben Sie den Verstand ver
ihren? Wer ist es, der Ihnen- Jhre
Braut stehlen will ——— diese Braut, von
ceren Existenz ich bisher auch nicht die
leiseste Ahnung hatte? Was berechtigt
Sie. Mensch, mich siir einen gewissen
losen Möcchenjager zu halten?"
»Jch spreche nicht von Ihnen. Aber
ich frage Sie aus Ehre und Gewissen,
Pierr Baron, oh Sie mir aus eigenem
Antrieb den Stuhl vor die Thüre
setzen, oder oh irgend jemand aus Ih
rer Familie es von Ihnen verlangt
hat?«
Erwitis Verwunderung wuchs im
mer mehr. Aber er war gerecht ge
nug, sich zu sagen, daß der Mann trotz
seiner untergeordneten Stellung eine
Antwort verlangen dürfe, wie unange
messen auch immer die Form seiner
Frage sein mochte. Und es reizte ihn
überdies, den Ding-en aus den Grund
zu kommen, die sich hier ganz unver
kennbar hinter feinem Rücken abge
spielt hatten
»Ich sollte Ihnen wohl eigentlicher
widern, daß Sie sich darum nicht zu
liimmern baben,« sagte er ruhig, »aber
ich will Ihnen Gelegenheit geken, Ih
ren Jrrtbum einzusehen und sich Ihrer
unsinnigen Beschuldigungen zu schä
men. Ja, es ist Fräulein Editba o.
Linderode , die Ihre Entlassung
wünscht —— aus Gründen, die mir
aleichgiltig sind und die Sie vermuth
iich besser kennen als ich.«
Der Förster fuhr sich mit beiden
Händen durch seinen langen Bart. Er
ichs-elend zuckte und arbeitete es in
seinem hageren Gesicht.
»Das qniidige Fräulein also! Ja
freilich-nun begreise ich’s erst recht,
oaß ich fort muß. Dem Herrn Prosper
zuliebe, damiter freies Feld bat —
und dann, weites dem gnädigenffriius
lein unbeauenr ist, nIir zu,begegnen.
Natürlich-es muß ihr wobl unbe
auem sein —— man sagt ja, sie sei Jhre
Braut.«
Erwin hatte sich erhoben. Jetzt war
er in Haltung und Stimme nur noch
ler Gebieter und der stolze herrische
Aristokrat.
»Sie muss-en betrunken oder verrückt
sein« daß Sie sich unterstehen, so birn
verbranntes Zeug zu schroa en. Ja,
Fräulein v. Linderode i meine
Braut, und ich werde jeden die Reit
peitsche kosten lassen, der ei- roagt, ih
ren Namen asders als mit dem Aus
druck unkeg ·nzter hochachtung zu
nennen. Sie wünscht Ihre Entfer
nung, weil Sie ihr widerwärtig sind·
Jst das nicht Erklärung genug?
»Ja, gewiß, und ich wundete mich
ja auch gar nichts Ich bin dem Fräu
lein widerwärtig —- so widerwiirtig
rrie der See und die Bäume, die ja
wohl auch Miglien halten« was ich sah.
Aber decSee und diesänme können
nicht reden. darum diiksen sie bleiben
wp sie sind. Nur ich muß beseitigt
werden — nur ich!«
Der Baron v. Linderode war sich
Mit-muten darüber tlae, das ee den
MÄIM « i bitt M M
LIMqu . ins " ohne chm
W
nur noch ein einziges Wort zu gestat
ten. Er selbst fügte Editba eine uner
hörte Beleidigung zu, wennet si seht
noch dazu herbeiließ, eine Frage a ihn
zu richten. Seine band war denn
auch bereits nach dem Drucktnops des
Telegraphen erhoben, aber der furcht
bare Zweisel, den Fabians räthsel
haste Andeutung in ihm wachgerusen
hatte, machte sie wieder sinken. »O
Die Arme über die Brust verschrän
tend, sixirte er den Förster mit einem
durchbohrenden Blick. Er schämte sich
seiner unwiirdigen Schwäche, aber r
tonnte dennoch der Versuchung ni t
widerstehen, in drohendem Tone zu
fragen: »Was wollen Sie gesehen ha
ben? Wägen Sie Jhre Worte wohl,
denn Sie könnten rascher im Gesäng
niß oder im Jrrenhause angelangt
sein, als Sie denken.«
»Sie sind es nicht, der mich dahin
bringen kann, Herr Baron — Sie
nichts« fuhr der Förster hastig aus.
»Noch gilt es hierzulande nicht sür ein
Verbrechen, leichtsertigeFrauenzimmer
beim rechten Namen zu n-:nnen. selbst
wenn sie ein-e siebenzaclige Krone im
Wappen sühren."
»Hund —— vernial-.sdeiter!« schrie
Crwin aus, und ehe der Förster sich
dessen versehen konnte, schlu er ihn
Itnit der geballten Faust ins sicht.
) Jrn nächsten Augenblick aber sasz
ihm eine Faust, deren Sehnen und
Muskeln aus Eisen geslochten schienen,
kan der Kehle, und trotz seiner Stärke
Isiihlte er sich von einer überlegenen
Kraft in die Knie niedergezwungen.
Er sah Fabians wuthdskrzerrtes Ge
sicht dicht vor dem seinen, und in Lau
:en, die kaum noch etwas Mens liches
hatten, zischte es an sein Ohr: « unde
ihr selbst, die ihr in Eurem Ueber
muth zertretet und beschmutzt, was
uns iheilig ist!——Ja, daß Du es weißt:
Deine Braut ist eine Dirne wie meine!
Uns setzt sie hochmüthig den Fuß aus
den Nacken, Dich aber läßt sie ihre
kostbare Gunst mit dem ersten besten
biibschen Maler theilen, der sie im
stillen Wald herzen und litssen dars.
Ich habe-is gesehen, und weil Du
mich geschlagen hast. soll es jetzt die
ganze Welt erfahren —- die ganze
Welt!«
Er schüttelte den Baron so heftig,
daß Erwin, schon halb erstickt, nahe
daran war, das Bewußtsein zu verlie
ren. Mit einer berzweifelten lehten
Anstrengung suchte er sich von dem
furchtbaren Griff seines Peinigers zu
befreien, nnd bei diesem Ringen ielen
beide gegen den schweren Schrei essel,
der unter der doppelten Last trachend
umstiirzte. Das laute Gepolter rief
yden im Vorzimmer wartenden Ober
linspettor herbei, sund es war ein
l Glück für den schwer bedrängtenGuts
! herrn von Elverghöh dasz sein Groß
inater es aeliebt hatte sich mit beson
trrs träftiaen Männern zu umgeben.
Die derben Fäuste des handsesten
Mannes rissen den Förster von seinem
Opfer zurück, und schwer athmend,
mit dunkelrothem Gesicht, raffte sich
Erwin auf.
; »Um Gottes willen, Herr Baron, ist
tenn der Mensch tobsüchtig geworden? -
Soll ich ihn binden und einsperren :
lassen, bis wir den Gendarm geholt ;
haben?« rief der Oberinspettor. l
Der Gefragte der mit abgewand-;
stem Kopfe an seinen Schreibtisch ge
jtreten war machte eine verneinende
I Gebärde. »Ich will mich mit dem Bur- -
s ichen nicht aufhalten —- er mag ficht
packen! Laßt er sich aber morgen früh l
noch auf meinem Grund und Bodenl
betreffen, so soll er festgenommen und
. der Polizei übergeben werden. Vorher z
brauchen Sie über das, was hier ge- I
schelten nicht weiter zu reden.«
’ Der Beamte konnte nicht im Zwei
fes sein, daß seine Gegenwart dem
Baron trotz des Dienstes den er ikm
eben geleistet, sehr wenig angenehm er, ;
Jund er war tattvoll genug, sicho net
Iweitere Frage zurückzuziehen mi
jTreppenhause stieß er an einen Die
ner der ganz verblüfft über das Ge- (
Länder hinabstarrte.
; »Was war denn da mit dem För- J
;ster Fabian, here berinspettor?«
ssragte ihn der Mann. »Er stürzte an -
Imir vorbei, daß er mich beinahe über «
jden hausen gerannt hätte, und ein«
Gesicht hatte er—-—na, ich möchte im
seinsarnen Walde teinem begegnen, der
! so aussieht « «
i »Ich glaube, der Herr Baron hat
» Fabian seine Stellung getündigt,« er
widerte der Oberinspettor dem Diener
ausweichend »Und vielleicht ist es in
Fabians Kopfe wirklich nicht ganz ge
heuer. Wenn er sich etwa an diesem
Abend noch einmal im herrenhause
blicken lassen sollte, so weisen Sie ihn
kurzer band hinas. «
E EinGloctenzeichen aus dein Arbeits
zimmer des Gutsherrn machte ihrem
Gespräch ein Ende, denn der Diener
beeilte sich, dem Rufe Folge zu leiften.
Als er eintrat, saß der junge Baron
knickt-einend ruhig am Schreibtisch.
Nur die duntle Röthe war noch immer
nicht von Stirn und Wangen gewi
ck-en. Er ertheilte dem Diener einige
gleich-gültige Aufträge und schüttelte
verneinend den Kopf, als jener nach
kurzem Warten fragte, ob der anädige
Herr noch weitere Befehle für ihn habe.
Aber als der Mann dann schon den
Fuß über die Schwelle gefeyt hatte,
rIef er ihn doch noch einmal zurück.
«Sagen Sie —— da fällt mir eben
ein, baß ich neulich von einem Maler
sprechen hörte, der sich vor Kurzem
hier aufgehalten habe. Jst Ihnen da
riibek etwas bekannt?«
" Der Diener besann sich eine Weile,
aber er brachte aus den Tiefen feines
Gdächtniffes offenbar nichts zu Tage;
tenn als er fah, daß des Baron un
geduldig mit demFederhalter zu te m
meln be ann, teeilie er XI Heu e lä
rem « ter apr Ebere- '· lt jeden
«falls keiner ewesen, gnädigei rr.
Und daß die nftreicher aus Neu tadt
Zum letten Mai hier waren, ist min
destens vier oder fiins Monate her.«
Ansinnl Jch rede nicht von den An
streichernz sondern von einem Künstler,
der Porträts oder Landschaften malt.
. Ader ich dachte mir gleich, daß es ein
: Jerthum sein müsse. Sie können
gehen.'«
Sobald er sich allein wußte, sprang
kraus und begann mit der Ruhelosig
leit eines eingesperrten Löwens das
Zimmer In durchwandern. Die entsetz
liche Ungewißheit, ob er die Aeußerun
gen des Försters sii.r das sinnlose Ge
fchwätz seines Wahnwitzigen zu neh
men habe, oder ob etwas Wahres an
ihnen sei, brachte ihn sast uin den Ber
siand. Daß Edttha v. Linderode, die
schöne, stolze, unnahbare Editha, die
cr jahrelang hatte umwerben müssen,
el,e es ihm gelungen war, ihr das Ja
iivort zu entringen ——— daß sie sich so
itveit erniedrigt und weggeworfen ha
ben sollte, ihn aus die schniachvollste
Tit-Teile zu hintergehen, das war ja im
J Grunde eine ganz undentbare, unmög
I liche Vorstellung. Er hatte als lebens
instiger Kavallerieosfizier seine Erfah
rungen mit den Frauen gemacht, und
er hegte im allgemeinen lein allzu
großes Vertrauen in ihre Beständigs
trit. Wie hoch er auch den Werth
seiner eigenen Person einschähtet daß
seiner schönen Base eines Tages ein
andrer besser gefallen haben könnte als
er, lag seiner Meinung nach keines
wegs außerhalb des Bereiches der
M"glichkeit. Aber daß sie es ihm der
sch iegen habe, daß sie nicht davor
ziiriiclschrecien sollte, sein-e Ehre zu
besudeln, indem sie trotz des begange
i.en Trenbrnchs seine Gattin würde —
nein, das tonnte er nimmermehr glau
ben: Das sah ihrer geraden, uner
schrodenen Natur zu wenig ähnlich,
als daß er es nicht weit hätte von sich
abweisen sollen.
und doch! nn er sich an ihr seli
sames Jntere für die sofortige Ent
lassung Fabians erinnerte, wenn er
daran dachte, dasz sie selbst von einein
Geheimniß gesprochen, dessen Ofsen
barung erst nach ihrer Hochzeit erfol
aen dürfe, und wenn er sich die Worte
des- unseligen Förfters ins Gedächtniß
zisrückries: es war mehr als genug,
um selbst einen felsenfesten Glauben
Zu erschüttern, und jedenfalls fast zu
viel sür seinen in der Lösung tief
aründiger Räthsel sehr wenig geübten
Verstand.
Nun that es ihm beinahe leid, daß
er Fabian nicht auf der Stelle als
einen Verriiaten hatte einsperren las
sen. Dann hätte sichs ja bald heraus
siellen müssen, ob der Mann bei Ber
stand war oder nicht. und diese qual
volle Ungewißheit, die sür die Dauer
einfach uneriräalich war, wäre nicht
bis in’s Unendliche verlängert worden
Daß der Diener nichts von der Exi
stenz eines Malers wußte, wie ihn Fa
dian mit Editha gesehen haben wollte,
gewährte dem von grausamen Zwei
feln Gemarterten ja immerhin eine ge
wisse Beruhiaiina, ein unansechtbarer
des Mannes war es aber nicht, und
irenn Erwin die Ehre seines Namens
inens ?chssss; süchäbMchqullRFm
nicht unbedacht gefährden wollte,
mußte er bei dem Suchen nach besseren
Beweisen mit einem Geschick und einer
Vorsicht zu Werte gehen, die er sich
niemals weniger zugetraiit hatte als
in seiner gegenwärtigen, ausgeregten
Stimmung.
Allmählich erst lam ihm wieder iii
ten Sinn, wag deriFörster in allerlei
dunllen Andentiingen von seinerBraut
rnd von Prosver geredet hatte. Wenn
Erwin ihn nicht volltoinmen mißver
standen hatte, und wenn es wirllich
kein Vetter Vrosper war, der den
leichtsertigen Mädchenjäger gespielt
haben sollte, so war allerdings jeder
» Zweifel ausgeschlossen. daß es sich le
diglich um die Wahnvorstellungen
eines Verrückten handle. Und hier
war die Stelle, wo Erivin mit seinen
Nachforschungen einsehen zu täniien
meinte.
Er nahm sich also vor, noch an die
sem Abend Erlundigungen einzuzie
hen, und qriibelte noch über ein beson
terd diplomatisches Verfahren, als der
Diener wieder erschien. Er hatte ir
gend eine belanglose Meldung zu er
statten, aber nachdem er sich ihrer er-«
ledigt hatte, zögerte er, wie wenn ihm
Poch etwas anderes auf dem Herzen
rege
. »Nun?« fragte Erwin ungeduldig.
» »Was giebt es weiter?«
. »Der Herr Baron wollen gnädigst
sverzeiherh aber wegen des Malers —
Hich habe inzwischen hernmgesragn Es
; kann doch wohl seine Richtigkeit haben
siåiqiäedeim was der Herr Baron gehört
; n." -
I Erwin grub die Fingernägel in die
lHandflächen Es war ihm, als hätte er
inoch einmal di-: eiserne Faust des För
j stets an feiner Kehle gespürt Durch
einen gebieterilchen Blick nur bedeutete
er dem Diener, weiterzureden.
«,,Hier im Schlosse ist der Herr frei
tich nie gewesen, denn sonst hätte ich
es natürlich gewußt. Aber drüben im
Dorfe Eichfelde hat toochenlan einer·
gewohnt —- es soll ein Schwe oder
ein Nortveger gewesen sein —, ein
schöner, großer Herr. Und er soll alle
Tage im Forli gemalt haben. Die gnä
diglte Baronesse wird ihn vielleicht
lannem Der Reittnecht Friedrich meint
wenigsten, er habe das gnädigeFriiu
leite einmal mit dem Maler sprechen
lehen.«
Erwin empfand ein unwiderstehli
ches Verlangen, den armen, ahnun ö
losen Burschen niedergulehlnkxem ie
Blnttvelle, die ihm siebenle ß um
M le drängt-. lehtvemmte alle eine
Ue rlegnng hinweg
«
»Hiiren Sie-auf mit Ihrem Ge
ickwä t« schrie er den Erichroctenen
M- ». ch habe so treni verlangt, daß
Sie im ganzen Schlo e herumfragen
sollen, als ich geneigt hin, mir von
Ihnen lange Geschichten erzählen zu
lassen. Scheren Sie sich hinauss«
Als der Diener hinaus war, fuhr er
sich mit Heiden Händen in das sauber
aescheitelte Haar. »Herr im Himmels«
stöhnte er. »Wenn es wahr wäre —
tvenn es doch wahr wäre,!«
Mit einem Ruck richtete er sich end
lich empor, und er»versäumte nicht ein
mal, mit der Taschenbiirste feine be
schädigte Frifur wieder in Ordnung
zu bringen, bevor er sich aus den Weg
:·ach dem Schlößchen machte.
Zehntes Kapitel.
Auch als die ichmächtige Gestalt
ihres Bruders in der Dämmerung des
Bartes verschwunden war, hatte Edi
tha ihren Platz am Fenster nicht ver
lassen. Sie war nicht mehr gestimmt,
in ihren Reisevorbereitungen fortzu
sahren. denn der Austritt mit Prosper
hatte sie viel mächtiger erregt, als sie
is ihm gezeigt hatte. Sie wußte, daß
er durch die Grausamkeit, mit der sie
seine Jllusion hatte zerstören müssen,
tief unglücklich geworden war, und be
mitleidete ihn um so mehr, als der
Blick seines Schmerzes auch in ihrer
Seele alles ausgewählt hatte, was sich
an Bitterkeit und dumpsem Weh darin
verbarg. Er tonnte ja taum elender
sein als sie selbst, und wenn sie mit
ihrem Leide besser fertig wurde als er,
to war es die größere Widerstands
sahigleit ihrer Natur, nicht die gerin
gere Bedeutung ihres Herzen-stum
viers, die ihr dazu verhals. Sie wiire
freilich zu stolz gewesen, irgend einem
menschlichen Auge den Einblick in ihr
zerrissenes Jnnere zu gestatten; aber
sie litt wahrlich nicht weniger, weil sie
im Verborgenen litt
Wenn nur Erit Hallagers Antwort
dagewesen wäre, diese heiß ersehnte,
fruchtlos erwartete Antwort, die sie
wenigstens von der unwiirdigen Angst
vor den Ereignissen der nächsten
Stunde befreit hätte! Fühlte sie doch
schon jetzt, daß die Flucht, die sie be
absichtigte, nur eine neue Thorheit war
sund daß die lähmende Angst nicht von
ihr weichen würde, auch wenn viele
Meilen zwischen ihr und dem Schau
plaß ihres kläglich zerronnenen Früh
lingstraumes lagen!
Die Dunkelheit nahm zu, und un
deutlich nun gewahrte Editha die Um
risse einer aus dasSchliißchen zuschrei
tenden männlichen Gestalt. Sie
glaubte, daß es Prosver sei, der wieder
heimkehre, und lehnte sich weiter iiber
he Fensterbriistung vor, um ihn anzu
rusen. Nun aber, da die Gestalt lang
sam näher kam, wurde sie inne daß
ihre Vermuthung irrig gewesen war.
Das war nicht die schmalschultrige Fi
aur ihres armen Bruders, sondern ein
stattlicher, hochgewachsener Mann der
groß und wohlgebaut schien tro? sei:
ner gebeugten Haltung und eines
iuiiden Ganges.
Sein Gesicht blieb unter dem breit
randigen Hute verborgen, und die
abendlichen Schatten waren überdies
Zu dicht, als daß sie eg von ihrem
Standorte aus noch hätte ertennen
tönnem aber wenn nicht dieser schlep
tende Gang und diese gebrochene Hal
tung gewesen wären —siirwahr sie
würde sich versucht esiihlt haben, an
ein beiingstigendes -piel ihrer erreg
ten Einbildungstrast zu glauben Nur
irre- thörichte Furcht wg r es, die ihr
ten abenteuerlichen Gedanten einge
geben hatte, dessen war sie ganz sicher;
aber troß der Gewißheit, daß es nicht
Erii Halläger sein tonnte der da mit
einbrechender Nacht ihrem Hause zu
strebte, neigte sie sich doch verhaltenen
Athems weit hincirs um den Augen
blick nicht zu verlieren, daer aus dem
unbestimmten Duntel in den schwachen
Lichtstreisen treten würde, der aus der
frlleuchteten Thiir über den Nie-weg
re.
Und nun-—il)r Herz hörte aus zu
schlagen! — nun war es geschehen. Er
hatte das tief gesentte Haupt erhoben,
urn zu den Fenstern des ersten Stock
werls emporzusehen, ·und wenn sie
nicht an der Schwelle des Wahnsinns
stand, wenn nicht die ganze Erschei
nung nur ein Trugbild war, so hatte
das unbekannte Schreckliche, vor dem
sie seit Tagen zitterte, urplii lich Le
ben und Gestalt ewonnen. enn die
erste, halb instinttive Ahnung hatte
sie nicht betrogen —-— es war Erit Hal
lager, der da lam.
Noch hätte sie vielleicht durch ein
rasches bittendes Wort seinen Eintritt
verhindert, hätte ihm zurufen können,
daß er sie unten erwarten möge, wo
sie im Duntel der Laubgänge unge
sehen und unbelauscht miteinander
svrechen konnten, wenn diese grausame
Aussprache denn nun doch einmal
unvermeidlich geworden war; aber
nicht um den Preis ihres Lebens hätte
sie einen Laut über die Lippen zu brin
aen vermocht, und sie stand in statuen
haster Unbeweglichkeit an der nämli
chen Stelle, als si-: draußen schon die
Stimme rZose hörte, die im Be
atiii schen. den späten Besuchkk ab
Zuweisem Sie rührte sich nicht, denn
sie wußte ja, da Crit Hallaaer sich
nicht abweisen l en würde, wenn er
einmal bis hierher gekommen war, und
ed war seltsam genug, daß sie in die
sen Auaendlicken höchster. ang tvollster
Spannung sich keiner anderen umfin
duna deutlich bewußt wurde, als eines
Dank esiihls sitt den Zufall, der sie
weniatens von der Gegenwart ihrer
Mutter befreit hatte, indem er die be
dauernswertheIrau v. Linderode mit
ten in den schönsten Reisevorbereituw
aen mit eine-n desti en tätigriineansall
ketmaesuchi. Sie Perledte nicht, wag
sie dem verrathenen G- ebten sage
i ,
i
-— .-.-» --.-MM«--»-·»-. »—· wom- --»-«-.«- «-. --.--,... »
trsie sie sich gegen seine Anllagen und
Vom-Tiefe vertheidigen wiirde —- sie
wartete mit einem gen-i en ftump n
Fatalismus, der bereit st, dem n
rermeidlichen zu begegnen, wie immer
es sich gestalten möge.
J Und sie wartete nicht lange. Mit,
einer Handdewegung schnitt sie der
’verlegen eingetretenen Zofe die feig
haft Meldung ab, und ihr Kopfn cken
bedeutete dem verwunderten Mädchen,
iem Fremden den Zutritt nicht länger
tu verwehren. Mit leisem Klappen
fiel die Thür hinter Erit llager zu,
nnd Aug’ in Auge standen te einander
gegenüber.
Editha wiirde entsetzt ausgeschriecn
Kalten wenn sie sich nicht innerhalb
ter letzten Setunden das unverbriich
liche Gelöbniß abgelegt hätte, seine
Anrede zu erwarten. Das war der
selbe Mann nicht mehr, der sie vor
einer turzen Reihe von Tagen in seine
Arme geschlossen hatte. Wohl mochte
scinGesicht noch edler und durchgeistia
ter erscheinen in dieser fahlen Bliisse
nnd mit den todt-nähen Linien um
Augen und Wnd; aber es war ein
fremdes Gesicht, das sie nicht kannte,
so wenig als diese mühsam sich auf
recht erhaltende Gestalt und die matte,
llanglose Stimme, die wie aus weiter
Ferne an ihr Ohr tönte.
»Da bin ich mein Lieb! Ziirne mir
nicht, daß ich Dich hier suche und um
solche Zeit. Aber ich mußte Dich heute
noch sehen ——— es litt mich nicht länger
»ich hatte eine so närrische Angst.
iaß ich Dich nie mehr sehen würde,
wenn nicht beute.«
Eis-kalt griff es bei-seiner seltsamen
Anrede in Edthas Herz. Er nannte
sie, wie er sie einst genannt hatte, und
er tam, wie wenn während seiner
Abwesenheit alles unverändert geblie
ben wäre. Er wußte also nichts-, und
sie sollte die furchtbare Aufgabe ha
ben, ihm von Angesicht zu Angesicht
Zu wiederholen, was sie ihm Unter
Qualen geschrieben!
Mit beiden Händen aus die L-:hne
des Sessels gestutzt der ihm am näch
sten war. stand er ihr gegenüber, um
die halbe Breite des Zimmerö von ihr
getrennt, miide und in sich zusammen
gesunten, anscheinend ohne jedes an
dere Verlangen als das, sie anzusehen.
Underwandt waren seine Augen ans
ilir Gesicht geheftet. Nicht die fröhli
chen, lachenden Augen, die sie so sehr
geliebt hatte, sondern starre, heiße,
aliisern glänzende Augen, vor denen
sie sich fürchtete, weil sie ihres-gleichen
noch nie gesehen.
(Fortseßung solgt.)
-.--—....- .
cchteuenwandeeung.
Jm Aachener Bezirtsverein deut
scher Ingenieure hielt JngenieurDorp
müller einen Vortrag irrer eine von
ihm tonstruirte Vorrichtung, um die
Längsdewegungen der Eisenbahn-ge
leise, die iogenannte Schienenwande
rung, zu beseitigen. Die Vorrichtung
bietet speziell eisenbahntechnisches Jn
reresse, von allgemeinerem Jnteresse
aber dürften die Ausführungen des
Genunnten iiker Ursache und Wesen
Jener merlwiirdigen, den Nichtsachleu
ten wenig betannten Erscheinung sein.
Die Längsbewegung der Eisen
bahnschienen, die bei zweigeleisigen
Bahnen fast nur in der Fahrtrichtung,
selten in der umgetehrten Richtung
beobachtet worden ist, wird durch die
tleinen Spielräume ermöglicht, die
man bei dem Stoß zweier Schienen
srei lassen,muß. damit die Schiene bei
großer Wärme nicht an ihrer Ausdeh
nung behindert werde. Das Wandern
führt große Uebelstiinde in der Geleit
lage herbei; häufig ist es an dem Ver
wersen der Geleise an heißen Som
nrertagen schuld, weil sich dieSchienen,
wenn die Wörmeliicten geschlossen
sind, mit den daran hängenden
Schwellen seitwärts schieben oder nach
oben heben. Ganz besonders wird
aber dadurch die Bahnunterhaltung
dertheuert, indem das Zurückholen
und die Jnstandseßung der Schienen
zum mindesten 30———40 Prozent der
Kosten siir die Geleiseunterhaltung
ausmacht
Die Ursachen dieser Längsverschieg
bung sind recht verwickelt. Zunächst
sind es die Schläge der Räder an den
Schienenstoßlücten, welche die Schie
nen in der Fahrtrichtung vertreiben,
besonders bei Sch ellziigem und wenn
infolge Vetfchleiße von Lasche und
Laichentantmer der Stoß seine Stei
sigteit schon theilweise einKbiißt hat.
Ferner verstärkt die rollen Reibung
der Wagenräder und besonders die
Reibung der gebremsten Räder aus
den Schienen das Wandern. Auch die
Kegelsorm der Radreisen hat wohl
einen Antle an der Wanderung«
weil insolge etwaiger Spurerweiterun
gen und des Verschleißeg am Rand
slansch die beiden Laustreise derselben
Achse ungleichen Umfang haben und
das eine Rad notwendigerweise glei
ten muß. Dazu lommt noch, daß in
Kriimmnngen durch das Anstreisen
der Spurtränze der äußeren Räder die
Schienenmitgerissen werden. Jn der
geraden Linie wie in Krümmun en
macht man die Beobachtung daß ast»
durchweg der eine Schienenstrang
stärker wanderi als der andere, wo
durch sich die Stoßschtvellen schräg
stellen und Spurverengungen ent
stehen. Jn Strecken mit scharfen
sitiimmungen und starken Steigsmgm
lommt es sogar vor, daß die eine
Schiene vorwärts und die unt-ermüd
wärts wandert. Bei eingeleisigen
Bahnen, wo dasselbe Geleite in beiden
Richtungen besahren wird, tritt das
Wandern in geringerem Maße ans; es
kommt jedoch auch hier besonders tu
Gesälien und Kritmmungen vor, und
die-Bewegung bangt zwei ellos von
der Groß-: der Lasten ab, ie in derk
einen oder anderen Richtung befördert
werden.
-