Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, March 17, 1905, Sweiter Theil., Image 14

Below is the OCR text representation for this newspapers page. It is also available as plain text as well as XML.

    Herrenloses »Gut.
Roman von Oäkie Beknbäde
(24. Fortsetzung)
hätte hanna ihm freilich nicht ge
fallen. wäre sie ihm unsympathisch ge
wesen, dann, das mußte er sich ehrlich
gestehen, wäve diese »Sühneheirath«
sicher nnterblieben. Wie die Dinge
jehi aber standen, sagte er sich innerlich
ost, tvenn er sie in all ihrer Lieblichkeit
und schranlenlosen Hingebung betrach
tete: »Ich habe, wenn auch absichtslos
dazu beigetragen, daß du verwaist im
Leben dastehst, daß du als herrenloses
Gut in die Welt geworfen bist —- in
direkt trifft mich die Schuld, daß du
Eltern und Geschwister, mithin einen
ganzen großen Schatz an Liebe und
Zärtlichkeit verloren hast dasiir
habe ich dir mich selbst gegeben . . . den
Mann, »den du über alles liebst, der dir
hundertmal mehr ist, als dir Vater
und Mutter, Brüder und Schwestern
jemals sein könnten, wie du mit oft
gesagt hast« « ,
So spannten die Gedanken der ber
den Eheleute sich ähnlich — und doch
wie unendlich verschieden —- zueinan
der hinüber, während die junge Frau
regungslos saß und Willsried Cotta
sie als Pfhche modellitte. «
Während in dem nach der warten
seite gelegenen Atelier derartig ge
" schafft wurde, öffnete der Portier auf
ein gegebenes Glockenzeichen die schwie
ren Thürfliigel des Vowerhaufes für
einen Gast. Das junge Ehepaar hatte s
»einfttveilen« ein elegantes Quartieri
in der Richard Wagner - Straße bezo- »
gen, einige Zimmer »provisorisch«
msblirt und die Hinterräume als Ate- T
lier herrichten lassen, weil Cotta das
Wobtren im Hotel unerträglich fand..
Wenn man früher oder später nach
Rom übersiedelte, konnte man ja die
besten Stücke, fowie die Ateliereinrich
tung nachkommen lassen, das übrige»
in Mund-en verfteigern oder verschen- «
ten... völlig nutzlos, sich dieser-halb
jetzt schon den Kopf zu zerbrechen! Auf
die paarhundert Thaler, die möglicher- »
weise dabei verloren gingen, tam es
doch wahrhaftig nicht an. Frau Dora .
Piotrowsty hatte nachträglich ihrens
Willen bekommen und Möbel, Tep«
piche uns Leinmzeug anschaffen tön
nen —- reilich alles nach Cottas An
gaben, er wollte in einer Umgebung
hausen, die den Stempel seines eigen
ften Geschmacks trug —- die sogenann
ten «ftilvollen Einrichtungen«, die
man überall antraf, waren ihm ein
Greuel. ;
Der Gast, dem der Portier das i
Haus öffnete, war eine dunkelgetlei
l
dete weibliche Gestatt, teine Frau aus
dem Polt, aber auch teine Dame der
großen Welt. Sie schritt zögernden
Fußes, wie jemand, der zum erstenmal
ern haus betritt und nicht weiß, wo- »
hin er sich wenden foll, über die dicken, »
roth und weißgeblümten Sammtdecken J
der imposanten Doppeltreppe und »
fuchte mit ungewissemBlick bald rechts, ;
bald links, bis sie die kleine Kupfer
vlatte mit der Aufschrift W. Cotta
entdeckte.
Noch stand fie, ohne den Knan der
elektrischen Glocke zu berühren, athem
fchöpfend still. als der Hausdiener
etnem zwetthesuch das Thor öffnete.
Dreimal war es unverkennbar eine
Dame der besten Gesellschaft, die rasch
nnd nnbetummert die Treppe empor
schrttt Sie war in einem Wagen e
ntw, trug ein etwas extravagan es »
« aller sehr kostbare-Z Frühjahrstoftüm,
einen gewagten, himmelstiirmenden
Hut aller-neuester Mode und in der -
Hand ern Bubett lose zusammen-Maß
tee auserlesener Rosen, champagner
farbig, «·th«auperlend, eben berlüht,
einen tostlrchen, frischen Duft aus-J
Wir
» Ein weni verwundert überflogen
die dunkeln , der eleganten Dame
Ue fchwar leidete Frauengestall s
sehen der T r. Wie eine Bittftellerin :
sah die da nicht aus« durchaus nicht!
-·-aber konnte fie zum Umganthreife ?
WANT-Ums oder feiner jungen E
Foc- gehorent s
Wieviel-Sie schont« fragte die i
thjeßt hoflrch« mit etwas fremdem ;
-.«- s
,.nc-em «- nocn nrcor —Icy yaoe —
--— ich bin soeben erst gekommen!«
»Es ist nicht nöthig, mich anzumu
den, ich werde erwartet!« Damit
rauschte die elegante Dame ohne wei
teres an dem össnenden Bedienten
vorüber; kaum behielt dieser Zeit,ihr
mchzustiirzen und die Thiir zu dem
zunächstliegenden Zimmer sür ste aus
zureißen
»Sie wünschen?« wandte er sich
dann mit fühlet Herablassung an die
Frau in Tranertleidung.
»Ich wünsche, Herrn Professor
Eos-ten oder seine Frau Gemahlin,
oder beide zu sprechen —es ist gleich
falls unnük mich anzumelden!«
Alte-irre rdmccnn, die angesichts
der Unwissenden Bedientenmiene ihre
Ruhe nnd Fassung sofort wiederge
« starben hatte,« folgte der vorangegan
M Dorne m das geöffnete Zimmer
M, Akt müßte es so sein.
users-XIan mit der gegess- Llioxee
· W zogenen ite m
Js» edel-it gekämmten l kratzen or
ji w ganz verblüfft Z fiel km
« dieser —- vieser —Person ein? Konnte
Be W warten, bis er ordnungs
tmäßig ein Verhör mit ist angestellt
Thattse und wußte, was e eigentlich
! von den Herrschaften wolltest
Lange dauerte seine Berblüsfung
aber nicht. Er diente nicht umsonst
schon seit acht Jahren in hochherr
schastlichen Häusernt —- Auf leisen
Sohlen ging er den beiden Besucherin
nen in das von ihm geöffnete Zimmer
nach, zog sacht die Thiir hinter sich zu
und büstelte disiret und vorbereitend.
»Es ist nur... ich muß sehr be
dauern . .. die Herrschaften sind süsz
erste noch nicht zu.sprechen.. . beide
nicht! Herr Professor arbeiten drüben
im Atelier, gnädige Frau sind eben
falls drüben, und ich habe strengsten
Befehl, niemanden vorzulassen, auch
niemanden zu melden!«
Selbstredend richtete der Gescheitelte
seine woblaesetzien Worte nur an die
legante Dame, die »zweite Sorte« exi
stirte für ihn nicht. — Die Angeredeite
zog für einen Augenblick hochmüthig
und erstaunt die Brauen empor, dann
ging ein flüchtiges Lächeln über ihre
Züge. Das war wieder einmal Will
fried Cotta, wie er im Buch stand,
selbstherrlich, egoistisch, unbekümmert
Lud sich Besuch ein, saß zur gegebenen
Stunde im Atelier und modellirte, er
ließ strenges Verbot jemanden zu mel
den oder vorzulafsen und· überließ den
Besuch einstweilen seinem Schicksal.
So hatte er es mit ihr ——-Cilly von
Sczolobiedsta —- so hatte er es mit
Ungezählten in Rom hundertmal ge
macht; tpateren Vorwurfem Anna
gen, entriifteten Bemerkungen ftand er
vollkommen verftiindnileos gegenüber:
wie konnte man ihm fo etwas übel
nehmen-s- ES war doch kein Vergnü
gen, was ihn zurückhieltt Er arbeitete
ja, und die Arbeit ging doch allem
vor! Wer das nicht verstand, wer ihm
das ernstlich iibelnahm«. gut, der
war eben nicht sein Freund, der liebte
ihn nicht, der mochte fern bleiben!
Jetzt freilich hatte er eine ·unge
Frau, die ihn vertreten, ihn entschul
digen ionnte! Wenn er sie aber zu
feiner Arbeit nöthig hatte, ließ er sie
nicht los... und er hatte sie nöthig
—wollte er sie doch modelliren!
Heiß und ftiirmifch wallte es in der
Gröfin auf. Ach, sie kannte sie so
gut, die köstlichen Stunden in feinem
römischen Atelier, wenn er fo selbst
vergessen schaffte und sie ihm selbst
rcrgeffen faß, keine Müdigkeit, keine
Erschöpfung kennend . . . diente sie doch
ihm und feiner Knnftt Ob sie es
zehnmal wußte, daß er seit Jahren
nichts mehr in ihr fah, als die ver
ftlsindnßvocle Freundin. den treuen
Kameraden . . . immer wieder hatte sie
in diesen verfchwiegenem stundenlan
aen Sitzungen die fortglimmenoen
Funken ihrer Leidenschaft angefacht
mit vagen Hoffnu «en, mit Zweifeln,
mit kühnen Phanta ten . . . ach, es war
doch Glück gewesen —- doch Glück!
Und jetzt! Wie aus den giimmenden
Funken die helle Flamme schlug und
gierig um sich fraß und loderte in
aliihender Eifersucht! Da drinnen bei
ihm saß fth feine junge, reizende
Frau. . . nnd sie, die ehemalige al
ternde Geliebte, hatte draußen zu
stehen und zu warten, bis die Sitzung
beendet war! Es trampfte Kch etwas
in ihr zusammen . . . neben r ersten
Flamme schoß eine zweite in ihr empor
in dunkler trüber Lohe —- das war der
baß gegen die Nebenbuhlerim Jhr
Blick senkte sich auf die Roer in ihrer
Hand, die hand ballte sich um die
Stiele zufannnen... daß der süße,
fchmeichelnde Rosendnft zu Gift wer
den möchte . · . zu Gift, das rasch töd
tete . . . auf der Stelle!
»Es ift ant!« Mit einem hochmüthi
gen Kopfnicken entließ fie den Bedien
ten. «Jch werde warten! bin eine
Ante sfreundin des Herrn ofessorst«
»He wohl! Und-und Sie?«
, Der Gefcheitelte wandte sich voll
Fitgdeert höflichieit an die Schwarzac
et e.
»Auch ich bin eine sehr alte Freun
din des Herrn Professor-Z und gedenke
zu warten!«
Der hochberrschaftliche Bediente
biitte ihr gern eine vernichtende Ant
wort gegeben, aber die andere, die vor
nehme Dame gen-im ihn, der sprühten
die Augen so eigentbümlich, der konnte
man zumuthen, daß sie womöglich die
,.Person« ihm gegenüber in Schutz
nahm! Außerdem — so tin-wahrschein
lich ihm die Freundschaft seines rrn
mit dieser alten schwarzgetlei eten
Frau erschien . . . solche Künstler sind
unberechenbar J- die holen sich An
hang aus allen Schichten der ell
scvast, das war Thatsachet Mo ten
sich denn diese beiden ungleichen
,,Freundinnen« mit einader zurecht
iinden, wie sie wollten! Er, der Ge
scheitelte, wusch seine hände in Un
schuld!
Mit einer devoten Verbeugung
« huschte er aus dem Zimmer
« Zunächst herrschte Stille zwischen
den beiden zurückgebliebenen rauen·
HDie Griisin hatte gez nachlassig in
Feinen Sessel beim k ster geworfen
i und starrte unter zusammen ezvgenen
Brauen finster vor sich hin. rau Al
l tmne»Erdmann ging leisen Schrittes
jdie eine immerwan entlang, fehtdie
zweite; betrachtete mit verwunder
ten und interesfrten Blicken die son
derbar geschwe ten in roth und kriin
gehaltenen Möbel, die mit hochstie igen
w
Blumen dekorirten Tapeten und Fen
stervarhänge, die in schmate griingob
dene Rahmen gefaßten Bilder an den
Wänden. Also das war modern!
Das war der neue Stil, von dem auch
sie schon soviel hatte sprechen hören,
kein Zweifel!
Ploslich stieß sie einen leisen Ruf
des S aunens aus. Hier, an der
zweiten Längswand des Zimmers, in
einer Ecke stand ein in roth und griin
gehaltenes, mit feinenGoldornamenten
gefchmiicktes Posiament und darauf
eine zart gelblich getönte Büfte, ein
Mädchentopf». und das war... ja,
wer war das? Hanna oder Hildegard?
Die Gräfin am Fenster hatte den
nberrafchten Ausruf gehört, sie war
aus ihrem Brüten aufgefahren sund
fah nun die alte Frau wie gebannt
vor der Bufte stehen. Und da, mit
einem Mal fiel ihr eine Aeußerung
Hannas ein, die sie vor wenigen Ta
»en in Nyinphenburg gethan. Sie, die
Gräfin, hatte die junge Frau gefra«t,
cl) sie ihre Eltern häufig sehe, ob sie
mit ihrem Gatten viele Besuche mache.
Die Antwort, die sie bekam, hatte sie
erwartet: Willfried wären Besuche
feine Last, er selbst mache gar leine,
Ischicke sie, Hanna, zuweilen zu den
Eltern und bringe sie auch verhältniß
Zniäßia selten zu seinem Bruder; er
; sehe es lieber, wenn Richard und Kitty
ldes Abends zu ihm kämen.
F »Einer Ausnahme muß ich freilich
; erwähnen!« hatte Hanna lächelnd hin
szugefügn »Hier in München lebt feit
kurzer Zeit eine alte Freundin Wills,
set kennt sie noch aus feinen Jüng
jlingsjahrem sie ist eine sehr liebe alte
tFrau, die mich mit einer wahrhaft
s riihrenden Zärtlichkeit empfangen hat.
»Die haben wir schon ein Paarmal auf
aesucht, obgleich sie ziemlich weit
s draußen m Schwaving 1vohnt:"
; Diestr Ausspruch Hannas tvar da
smals von der Gräfin nicht sonderlich
; beachtet worden, jetzt fiel er ihr Wort
i für Wort ein.
s Sie erhob sich und tam in ihren
:raschelnden Seidengewändern an die
? alte Frau heran
J »Das ift frappani ähnlich. nicht
znjahr?« fragte sie, mit einer leichten
;ttopfbewegung nach der Büfte hin.
I »Sprechend ähnlich —- zum Erstau
2nen, zum —- Weinen!« Frau Attri
Hnens Stimme zitterte, es granzte ihr
s feucht aus den Augen. »Ach Gott, ich
sbin förmlich erschrocken, das hier zu
ssinden, und doch ist es am Ende so
snatürlich, oh es nun die eine ist oder
jdie andere... Gnädige Frau haben
Isich eine gute Freundin von Herrn
« Professor qenannt . . .?«
»Ganz recht! Die hin ich auch!
Gräfin Sczolohiedsta!«
.,DenNamen tenn’ ich!« Voll naiver
Neugier betrachtete die Frau diefe vor
nehme Dame, von der man ihr so in
teressante Dinge erzählte. »Darf ich
;:nir denn auch erlauben, mich vorzu
j stellen? Alwine Erdmann, Wittwe Al
swine Erdmann —— ich weiß nicht, oh
sVerr Professor Cotta vielleicht einmal
» von rnir gesprochen hat!«
« «Oft! Jch weiß ganz genau Be
scheid!« rsickte die Gräfin lächelnd.
»Sie sind seine älteste Freundin, er
kennt sie noch von feinen Jünglings
jahren her!«
» »Das hat er zu Frau Gräsin ge
jsath Das sieht ihm ähnlich! Ja, ja,
sein treues goldenes Gemüth hat er,
jund teine Spur von Hochmutht JZ
zhab’ ja erst allmählich, erst türle
Ectfahrem was er fiir ein großer, be
, rühmterKiinstler ist und daß die hoch
ften Herrschaften es sich zu einer Ehre
Ffchähem von ihm modellirt zu werden
soder sitr theures Geld ein Wert von
Ihm zu tausen! Damals, wie ich ihn
tannte, da war noch teine Rede von
!Beriihmtheit... in aller heimlichteit
hat er hn und wieder etwas geformt
fund geknetet; sein Vater roar ja so
»ein entsetzlich strenger Herr, der wollte
;von Künstlern und Bildhauer-n nichts
s ;vifsen. Aber ein he abter und ein in
teressanter junger ann ist er schon
lin seinen Jünglingsjahren gewesen,
Hund ich habe mich gar nicht gewun
; deri, daß Hildegard . . . Frau Gräsin
i wissen doch von ihri«
»Alle« Jch habe te nicht gekannt,
aber ich bin von a m unterri iet
War denn die Aehnltchteit wirtli so
groß?«
»O, Frau Gräfin machen sich teinen
Begriff davon! J hab« mich do seht
eben, in diesem ugenbtick ge ragt,
und ich frag’ mich »Bist das nun
'-ildegard oder ift das una, diehier
ht? Er hat das hast ein wenig
verändert — hildegard trug es a
ders, und Hanna trägt ei auch ni i
so—aher die « Use-und der Aus
druet... ich ha es ja nie site »J
Eich gehalten, das- ztbet Schwestern, e
doch keine willi sind, einander so
täuschend ähnlich ein tönneni«
Ja,« sagte die Gräsin, wie aus
tiefe- Gedanken heran-, »wer, wie
Sie, den Berateich Ziehen kann. wer in
glänBerhsltn sse e agetoeiht ist« gleich
J u... «
»Wie sollt’ ich nicht, wo ich doch
durch lange Jahre im Elternhaus der
beiden Kinder gelebt hab’?« unterbrach
Frau Alwine die Redner-in lebhaft.
»seiner lann das alles besser wissen,
wie ich! Ein schönes und ein vorneh
mes Haus ist’s gewesen, und Frau
Gräfin dürfen um Gottes willen
nicht schlecht von meiner armen herr
schast denken, weil öpäter alles so
schrecklich gekommen i ! Frau Direk
tor war eben eine adlige Dame und
sehr oertoiihni, sie hat rch nicht ei u
richten verstanden, un i re Kin
hat sie sehr geliebt -——die ollten eben
so sein erzogen werden, wie sie selbst,
es durfte ihnen an nichts sehlent
Wean es dann —-—«
Frau Alwine unterbrach sich und
horchte angstvoll nach dem Korridor
lzin. Auf den Fußspipen zur Thür
schleichend, öffnete sie diese handbreit
und lauschte hinaus.
»Was haben Sie denn?" fragte die
Gräsin.
»Ach, es war mir nur so, als ob
jemand käme, und Frau Gräsin wis
sen doch, daß die junge Frau keine
Ahnung hat, auch keine haben soll,
woher sie stammt und aus welche
Weise ihre An ehörigen zugrunde ge
acngen sind! Zerr Willfried — Pro
scssor Coita meine ich! —- hat mir’s
immer wieder brieslich und mündlich
auf die Seele gebunden, sie dürfte
nichts merken, sie griibelt ohnehin
schon darüber soviel, daß sie ein an
acnommenes Kind ist —-—- das ist alles,
was sie weiß! Armes, liebes Herzchem
·sich darüber schon aufzuregen! Wenn
sie je die Wahrheit erführe —— ich
glaube, das ertriige sie gar nicht! —
Auch Frau Piotrowsln hat mir schon
ein vaarmal geschrieben und mich be
sclsworen ich soll die junge Frau
nichts merlen lassen, sie ist immer in
Blnast, ich lönnte etwas verrathen! Da
kann sie aber ruhig sein —- jetzt, wo
ichHanna schon mehrmals gesehen habe
—-—er hat sie«mir ja bereitgein paar
mai georachtx —- oa yaoe ich schon er- »
was Selbstbeberrschunn gelernt; aber
das erste Mal, als ich sie zu sehen be- ;
lam, da hab’ ich selbst gezittert und;
gebebt, daß ich in Thränen ausbrechen
müßte. Wie sie fort war, bekam ich
solchen Weintramvf, und die ganze
folgende Nacht hab’ ich kein Auge zu
tbun können. Dann. natürlich, so
unvernünftia es scheinen mag, ich hab’
mir nicht helfen tönnen — denselben
««lbend noch hab' ich mir die Bilder und
die Briefe, die ich noch besitze, und den
;teitungsbericht, den mir eine Freun
tin damals verwahrt hatte, hervor
aeholt und habe alles betrachtet und
gelesen!«
Die Gräfin legte der Sprechenden
mit einer lebhaften Gebärde die Hand
auf den Arm
»Das müssen Sie mir einmal ge
legentlich anzusehen erlauben, ja —
bitte-— wollenSie? Sie glauben nicht,
wie mich dies alles interessirt —- er
spricht so ungern davon, trotzdem er
mir seinerzeit alles anvertraut hatt«
»Ja, ja!·' nickte Frau Alwine ge
dankenvoll. »Er mag nicht darii r
reden, und wer könnte es ihm verdeu
len, wie die Sachen einmal liegen?
Sein Vater hätte helfen können, wenn
er, der Sohn, ihn nicht gerade damals
dies unmenschlich vieles Geld gekostet
hatte-— ich weiß, der Professor hat sich
Jahrelang Vorwürfe gemacht —- und
mer kann sagen, ob —«
»Ob wass« forschte die Grösin.
»O —- ich ——— ich weiß nicht! Es war
vielleicht ein ganz dummer Gedanke!
Wenn aber Frau Gräfin einen Ein
blick haben möchten... mir ist es
zwar jedesmal ein neuer Schmerz,
diese traurigen Andenken hervorzu
skichen, aber andrerseits spreche ich
auch gern von den schönen, vergange
nen Zeiten -«-— und zu wem darf ich
das hier? Frau Piotrowskn hat mich
in ihrem irtzten Brief gebeten, ich solle
sie lieber nicht mehr aufsuchen, sie sei
zu trank, um meinen Besuch zu er
tragen, der Professor will auch nichts
von der Vergangenheit hören, ich seh’
rlcn ja auch nie ohne seine junge Frau,
und wenn eine Dame wie Frau Grö
sin diese Theilnahme haben —«
»Können Sie zweifeln? Alles, was
n:it dem Schicksal meines —- meines
Freundes zusammenhöngt, was be
deutsam in sein Leben eingegrifsen
hat, ist vom höchsten Interesse iir
mich. Wollen Sie mir Jhre Wohnun
nennen und eine Reit angeben, da its
Sie daheim antresfe?«
»Frau Gröfin wollen sich in Person
zu mir bemühen? Jch könnte ja
auch . . .«
»Jn einem hotel bespricht und be
trachtet man dergleichen nicht gern
Dies ist Jhre Adresse? So! Jch danke
anen.«
Sie standen beide eine tleine Weite
stumm neben dem Postament rnit der
Miste
«Ob sie —- i meine seine Frau —
nicht ahnt, tven ses Kunstwerk dar
stellt?« fragte die Gröfin leise.
,,Ach, wie soll sie, wo ich es nicht
einmal genau sagen kanni« Frau
Alwine fah von neuem mit bewun
derndem Kopfschütteln zu der Büste
empor. »Ich weiß nicht, wann er dies
geschaffen hat, mir hat er nichts da
von gesagr... wenn die junge Frau
vielleicht irgend etwas befremdet,
braucht er ihr ja nur zu erzählen, er
habe den Kopf aus dem Gedächtnisz
gemacht. Ach nein, sie ahnt nichts,
meine süße Hanna, Gott sei Lob und
Dant, ich hab’ es aus verschiedenen
Aeußerungrn, die sie gethan hat« ent- E
i-«ommn. Ich werde nur immer nog «
verlegen, wenn sie mich bittet, ihr do
recht viel und recht ausführlich aus
ihres Mannes Jugendjahren zu er
Ziihlen —- das geht doch natürlich nicht
--—— ich muß immer bloß allgemeine
Redensarten machen und darf leinen
Namen nennen... jedes Wort will
bedacht sein, und das stillt mir schwer.«
«Run, mir gegenüber haben Sie das
nicht nöthigt« Die Gräsin lächelte
freundlich, und es lag ni ts herab
lassendes weder in ihren ugen, noch
in ihrer Stimme. »Wenn ich zu Ih
nen komme, sollen Sie mir recht aus
führlich voRallem erzählen —- meines
Mitgesühls önnen Sie sicher sein.«
»Und rn will ich das thun, Frau
Gräsiin ehr gern!«
Froii Alwine odesaß ziemli viel
Jiliiabhcingigleitssinm die große nie
imponirte ihr durch-aus nicht deshalb,
weil sie Titel, Adel nnd Reichthiiin
soeso߻aber ein wen schmei lte es
doch » ihrem Selbst ühl, da eine
Grasin sie besuchen und ihren Erzäh
W
Ilungen aus früherer Zeit so aufmerks
sani lauschen wollte.
«Sehen Frau Gräsin, chon aus
dem Grunde, damit eine me wie
Sie meine lieben, verstorbenen Herr
schaften richtig beurtheilt und keinen
Stein aus sie wirft; denn das darf
man nicht thun, das ni t! Sie sind
nicht ohne Schuld geween und sehr.
sehr unglücklich, aber nicht schlecht!
llnd ihre Schuld, die haben sie schwer
»aebiißt, denn was siir Qualen müssen
sie ausgestanden haben, ehe sie ich
dazu entschließen tonntenl'«
»Sti« machte die Gräsin, den Fin
ger leicht an die Lippen hebend. »Ich
höre ein Geräusch aus dem Korridor, l
Hmöglicherweise sind sie das!«
Sie waren es. Cotta in seiners
Bronnen Samrntjoppe, Hanna, eilig
und erregt, in einem weich nieder
siießenden Kleide von elfenbeinsarbe
rem Wollstosf, bis zur Knieehöhe mit
schlank ausstrebenden Jrisblüthen ge
stickt. Das Haar war geblieben, wie
sie es als Pshche gehabt, ihr Gesicht
r.«ar blaß, die Lippen tiefroth, die Au
gen verrätherisch leuchtend; mehr denn
je traf heute Ellh Rodes Ausspruch
zu: »Hanna sieht ost aus, ols ob sie
das Fieber hat!«
»Ah, zwei gute Freundinnen auf
e«;nnal!"
Cotta ries es im heitersien Ton, er
streckte seine beiden Hände aus und«
lachte fröhlich. ,,Vorstellung unnöthig,
nicht wahr? Wie ich Sie beide kenne,
haben Sie längst Bekanntschaft mit
einander gemacht —- also richtig? Jch
dachte mir’s!"
»Bitte. Frau Gräsin, wollen Sie
uns giitigst entschuldigen, daß wir
nicht rechtzeitig zur Stelle waren,« be
eilte sich Hanna, einzuwersen »Sie
sind unserer Einladung so pünktlich
nachgetonimen, und wir, die Gast
aeber, haben auf uns warten lassen,
das sieht sehr ungezogen aus . . .«
Mortsetzung solgt.)
Die Frau in der Musik.
Wenn man das Glück hat, als An
gehöriger des schönen Geschlechte-s ge
boren zu fein, hat man auch die
Pflicht, das köstliche Geschenk der mit
geborenen Grazie und Anmuth in al
len Lebenslagen und unter allen Ber
hältnissen bis zur Vollendung auszu
bilden und auf die möglich höchste
Stufe zu bringen. Diese Pflicht setzt
sich in der Wirklichteit zu keiner be
sonders schwierigen Arbeit um, denn
den Frauen fällt es im allgemeinen
leicht, vorhandene Anlagen anszunü
sen, sre in die richtige Bahn u lenten.
Der Schick, mit dem sich die Frauen
in fast jede ihnen entgegentretende
Aufgabe zu sinden verstehen, hilft ih
nen über so manche Fährlichkeit hin
weg, über die die Männer straucheln.
So unzweifelhaft richtig aber diese
Erkenntnis ist, so muß andererseits
hervorgehoben werden« daß den Frau
en doch nicht immer die Aufgaben klar
sind, deren Erfüllung sie ihrer eigenen
Natur und Art näher bringen tann,
durch deren Lösung sie zur ästhetischen
Selbstzucht sehr wesentlich beizutra
gen imstande sind.
Frauenschänheit und Anmuth ver
tragen sich sehr gut auch mit den Be
griffen, die wir uns im Laufe der
Jahre von der modernen Frau gebil
det haben. Auch die Frau, die nicht
nur auf den Mann wartet, der sie »er
löst«, muß schön sein in dem Sinne,
daß ihre Bewegungen, ihr ganzes äu
ßerlicheö Thun mit den weiblichen Ei
genschaften der Zartheit und Grazie
im Einklang stehen. Die Frauenfrage
hat gottlob einen wesentlichen Punkt
nicht aus der Welt-ordnung gestrichen:
die ewige Wahrheit, daß die Frau
das Prinzip des Schönen im Leben
verkürpert, daß ihr Einfluß aus die
Geschicke des Einzelnen und der Fa
milie nicht zum geringsten Theile sich
auf den von ihr ausgehenden Zauber
gründet. Dieser Zauber wirkt auch
unter der Hülle von Gelehrsamkeit
fort, er schafft Wunder auch ioahrend
der gewissenhaften Erfüllung einesBe
rufes, er wird fortbestehen, auch wenn
das soziale Verhältniß der beiden Ge
schlechter dereinst vielleicht eine gründ
liche Veränderung erfahren sollte.
Auf Selbstzucht beruht die letzte
Wirkung der weiblichen Anmuth Die
Selbstzucht ist bei vielen Frauen viel
leicht eine angeborene Gabe, im gan
zen und großen jedoch bedarf es einer
sicheren Schulung und Uebung, um
die natürlichen Anlagen zu stets sicher
wirtender Aeußetung zu vervoll
lonimnen. Nicht der Unnatur sei das
Wort geredet, wenn man derlangt,
daß die Frau sich Rechenschaft geben
könne iiber ihr äußeres Auftreten. Zu
ihren vornehmsten Aufgaben gehört
eben die Pflicht, als körperlicher Aus
druck der feelifchen Ausgeglichenheit
zu erscheinen, durch ihre Persönlichkeit
allein schon die wohlige Atmosphäre
feelischen Gleichtlanges zu schaffen.
. Die Frau in der Musik wirst na
« tiirlich in erster Linie durch ihre lii ft
jlerischen Eigenschaften, je nach er
äFertigleit und dem liinstlerischen Er
kkenntniß die sie auf dem betreffenden
Sondergebiet zu bethätigen imstande
ist« Wie viel aber die äußeren For
men, unter denen sich die künstlerische
Bethätigung der Frauen abspielt, zur
Erzielung eines erfreulichen Ergebnis
feö beitragen, das wird leider immer
noch shiiufig unterfchätzt. Unsere Mu
siklehrer konzentriren ihre Aufmerk
samieit beim Unterricht naturgemäß
auf den hauptzioech auf die Erzie
hung zur möglichst hohen Kunstw
stiing. Und doch ließe sich mit dem ei
«gmtncheu unt-nicht auch vie Antei
tung dazu verbinden, in welcher Weist
das SchönPHthesiihl mit der eigent
lichen Kun tleistung tn Einklang ge
bracht werden muß. Es ist für ästhe
tisch empfindende Menschen nicht
gleichgültig, ob sie beispielsweise ein
weibliches Wesen am Klavier erbli
cken, das, vornilbergebeugt, mit aus
wärtsstehendenEllenbogen, imSchwei
ße seines Angesichtes den Flügel be
arbeitet, oder ob eine Sängerin vor
uns steht, die den Mund übermäßig
öffnet und nur mit Hervorbringung
häßlicher Mundverzerrungen den Ton
produzirt. Die echte Künstler-in wird
es auch immer verstehen, nicht mehr
von den unerläßlichen äußeren Bewe
gungsmitteln anzuwenden, als der
Zweck der Kunftijbung wirklich erfor
dert. Das künstlerische Gleichmasz er
streckt sich eben auch aus das Aeuszere
der musizirenden Frau. Selbst in den
Augenblicken höchsten künstlerischen
Asfektes wird eine weiseZurückhaltung
angewendet werden müssen, wenn nicht
die letzte ästhetische Wirkung zerstört
werden soll· Unsere großen Bühnen
tiinstlerinnen haben es im Lanse ihrer
Tbätigkeit gelernt, auch die krassesten
Mittel aus der Bühne noch mit dem
Schimmer des Schönen zu verklären.
Eine schreiende Briinhilde in der To
dentlage um Siegsried ist ebenso un
denkbar wie eine unbändig kreischende
Leonore in ihrem Schmerze um den
geliebten Gatten, eine Ortrud darf
niemals, selbst in den Momenten des
keidenschaftkichen Hasses die Schön
heitskinie überschreiten. Und im Kon
zertsaal, wo der musikalische Ausdruck
in den einzelnen Gesängen so häufig
wechselt, ist die wohlerwogene Zurück
haltung gewiß noch in erhöhterem
Maße erforderlich. Wenn Lilli Leh
mann in ihrem weitgespannten Pro
gramme alle Stufen des menschlichen
Empfindens im Gesange veranschaus
licht, so verlangt diese Mannigfaltig
teit eine fast ebenso große Kunst, wie
die technische Durchführung der Ge
sänge selbst· Teresa Carenno, deren
leidenschastdurchgliihtes Klavierspiel
mitteißt und in Spannung erhält,
läßt sich niemals zu unschönen Bewe
gungen verleiten; sie weißes gut, daß
gerade die äußere Ruhe iin Gegensatz
zu dem geistigen Gehalt der Stücke,
die sie interpretirt, mit die größteWir
tung ihres Spiels hervorbringt. Alle
großen Pianistinnen unserer Zeit be
wegen sich in dem Rahmen abgestimni
ter und ästhetisch schön wirkender Hak
tung am Klavierr. Sie unterscheiden
sich hierin erfreulich von ihren männ
lichen Berussgenossen, deren Mehrzahl
ohne wallende Haarmähne und häßli
che Grimassen ihre künstlerische Aus
gabe nicht beivältigen zu können
glaubt. Auch die tkassischen Gei -
rinnen streben nach thunlichster Arzt
aus dem Podium. Ein ebenmä ig
geformtes Bild der Abgetlärtheit lie
fert era Saenger-Sethe, wenn sie,
technisch und seelisch über ihrem Jn
strumente stehend, den Bogen ansetzt.
Die Unrast des Körpers beeinflußt
die künstlerische Wirkung bei den re
produzirenden Künstlern oft in so be
denklicher Weise, daß in vielen Fällen
der Schritt vom Erhabenen zum Lä
cherlichen in nur zu beilagenswerth
greifbarer Weise in die Erscheinung
tritt.
Das Haus und die Schule muß in
dieser Beziehung rechtzeitig das Amt
des Hüters vor Sorgkosigteit undVers
flachung übernehmen. Der Gemen
tarlehrer in der Musik muß den ästhe
tischen Sinn in die Unterrichtsstunde
mitbringen, der ihn befähigt, schon in
den ersten Stadien des Musikanten
richtes sein Augenmeri auf die sich
etwa einschleichenden üblentzlngewohm
heiten seines Zöglings zu richten. Das
Geradesitzen vor dem Klaviere allein
thut es nicht. Die Elastizität des
Körpers muß soweit ausgebildet wer
den, daß er davor bewahrt werde, alle
technischen Schwierigkeiten unwillkür
lich gewissermaßen durch unschiine Be
wegungen anzudeuten. Und das
Gleiche gilt vom GesangunterrichL
Das verzerrte Antlih bei der singen
den Frau ist immer die Folgeerschei
nung einer vernachlässigten Lehrdiss
ziplin, ein Beweis für den Unverstand
des Lehrers, der beim Unterricht nur
sein Ohr, nicht aber auch sein Auge
arbeiten ließ, und einem wichtigean
ment der Kunstiibung nicht die erfor
derliche Aufmerksamkeit zugewendet
hat. Die musitalische Massenerzies
hung, wie sie heute im Schwung ist,
übersieht neben vielen anderen wichti
gen Anforderungen auch die Ausbil
dung des Schönheitssinnes hinsichtlich
der Körperhaltung während derikunst
übung. Sie vergißt, daß derjenige.
der Schönes hervorbringen soll, in er
ster Linie sich selbst bemühen muß,
schön in ästhetischem Sinne szu erschei
nen. An den Frauen mit ihrem leb
haft ausgeprägten Gesiihl für das
Schöne-auch in seinen letzten Aeuszei
rungen, ist es, in ihrem Rahmen zur
Erreichung dieses erftrebenswerthen
Zieles beizutragen Wenn sie irn Hause
die musikalische Kunst pflegen, so sol
len sie immer dessen eingedenk sein,
dasz die schöne äußere Stille dem We
sen der Kunst nicht so unentbehrlich
ist, wie sie in ihrem an sich so lodernd
werthen Jdealijmus filr die Kunst
anzunehmen gewillt sind.
J. C. Lußtig.
Wh
Der Diamant iit einer der gefähr
lichste- Don Inans.