Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, January 20, 1905, Sweiter Theil., Image 12

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    Durch Zufall
jener-ins eines nximimrdeamtms
Wen von Paul Andre
- » der Dämmerstunde eines lang
« .-«" Winterabends, während
heftiges Schneetreiben die
· . « in eine dichte, weiße Decke hüllte,
die Glieder der Familie des
ehemaligen Geheimpolizisien Schmidt
tunlich im mollig durchwärmien
Mhnzimmer ihrer etwas außerhalb
set Stadt gelegenen Villa. Während
die weiblichen Familienangehörigen die
’«t mit Stricken und Häteln ver
suchten, bemühte sich der behaglich im
Polsterstuhle zurückgelehnte alte Herr.
die Pfeife gemächlich rauchend, durch
interessante Erzählungen aus seiner
friiheren, oft nicht ungesährlichen Kri
minalpraxis die Langeweile zu ver
kürzen.
herr SchrDYVt war ein kleiner, un
ter-fester Mann, dessen unansehnlickes
Aeußere wenig die Intelligenz und den
Scharssinn verrietb, der zeitweise aus
den blitzartig ausleuchtenden scharfen
Aug-en unter den weißen breiten
Augenbrauen hervorschoß.
»Mit ist thatsächlich in vielen Fäl
len, die dem Laien unertlärlich erschie
nen, der Zufall der beste Weaweiser
gewesen,« begann Herr Schmidt. der
einstmalige, wegen feiner Kaltbliitig
leit. Verwegenheit und Schlauheit be
rühmte Justiabeamte dieilnterhaltuna.
»Ja, der Zufall sage ich, lenkte mich
des Oefteren auf die verborgensten
Spuren des Verbreckens und dieend
liche Uebersiihrung des Thäters an
Ort und Stelle.«
Ella, seine älteste Tochter· ließ das
Strickzeug sinken und schaute den
Sprecher-- mit weitgeöffneten, furcht
samen Augen an. »Aber nicht wahr.
Papa, Du erzählst nickst wieder so
sckauerlicke Dinge. wie kürzlich? Mir
wird seitdem in d-n Dämmerstunden
so unheimlich zu Muthel«
»Ich glaube auch. es ist besser, das
List-E anzünden Wert-astean der Kin:
der wegen!« sekundirte ihr Frau
Schmidt. legte die Näharbeit bei Sei
te und ließ den Worfen die That fol
grn. »So bei Licht zuhörend, nehmen
sich die Abenteuer weniger gruselig
aus«
Ob dieser allgemein bekundeten .
Schüchternheit und Furchtsamteit sei
ner Umgebung lächelte der alte Herr
und beruhigte sie mit dem tröstlichen
Hinweisr. daß der zu errählende Fall
doch wohl nicht allzu gefährlicher Na
tur gewesen sein könne, dieweil sie sich
Balle noch zur Stunde seines Da
·ns erfreuen dürften.
»Nun so hört mich an. Eines Ta
ges, es war im Frühjahr 187.., als ich
mich in früher Morgenstunde auf dem
Bureau meines Chess, des Kriminal- !
direktors H» meldete, kam mir der
selbe mit dem überraschenden Austra
ge entgegen:
»Hier eine Devesche aus der Pro
vinzialstadt B. Unter geheimnißvol
len Umständen ist gestern daselbst ein
Mord begangen worden. Man hat ei- «
nige derdiichtige Individuen verhafte!,
aber natürlich wegen mangelnder Be: »
weise laufen lassen. Die dortige Po- E
lizei steht vor einem NäthseL Jch be- «
traue Sie mit der Aufgabe, uns des s
Räthsels Lösung Zu bringen. Jn ei
ner Stunde sind Sie reisefer:ig.«
»So schnell, Papa?« unterbrach der
ngere Kurt erstaunt: denn aus
Pannender Neugier pausirte er längst
sei Erledigung seiner lateinischen
cxerzitiern
Ein ernster Blick strafte den wori- ’
W Sprecher, und unbeirrt fuhr
K Schmidt in seiner Erzählung
»Ich ordnete daheim unverweilt
seine Obliegenheiten und kehrte in
kürzesier Zeit zum Kriminalbureau
iurriei. Hier ließ ich mir die erforderli
chen Legitimationen und Vollmachten
wsstellen, prüfte vorsichtshalber auch
den kleinen Revolver in meiner vers-or
enen Seitentasche aus seine Zuverläs
tzfleih orientirte mich in dem Fahr
pone über die schnellsten Anschliisse
und eilte zur Bahn.
Mit tnapper Noth iam ich zum Zu
se urecht, löste den Fa"hrschein, wars
wich in ein vom Schaffner noch offen
ltenes Wagenabtheil: hinter mir
chlng die Thiir zu und fgrt dampste
ich —- rneinem neuen, noch unbekann
ten Arbeitsfelde entgegen.
Die Langeweile der Eisenbahnfahrt
Urtiirzte ich, unbekümmert um die
Mäsendem durch Schlaf oder zeit
Wpeikigeci interåsselgxgaszetraclhxn der
n an , we wir
W eile-in
Nach mehr-stündiger Fahrt am Be
stimmung-Horte endlich angelangt, mel
dete ich mich unverzüglich auf dem
Dienstzirnmer der Polizei des Städt
chens B. Ein alter, wackeliger Poli
Dist, dem der viel genossene »Geis «
schon malerisch die Nasenspitze ver
klärte, berichieie mit großer Umständ
lichkeit die Einzelheiten des Thathe
standes, so weit er ihn befunden und
wies mir unter genauer Beschreibung
M haus der Mordthat an Seewols,
del-he die gewohnte Ruhe und Einsti
tigieit des Landstädtchens in außer
cewöhnlichen Aufruhr versetzte.
Seine angebotene Begleitung lehn
te ich vorsiehtshalber entschieden ah,
Wie ihm vielmehr ein Geldstück in
Wie hand, damit er auch weiterhin die
Kuß-ten Symbole seiner »Geistesga
ist« in noch hellerem Lichte leuchten
lesen könne.
- Msam, wie ein ewiihnlicher
HGB-ängstigen leichgilth wie ein
, tloser Hirten-sanken schritt
« but-eh die magern engen und sast
Mienen Stegs-sei des Städt-Ki
«IIII- M gelangte endlich außer Il
desselben zu einigen von schennelen
Gärten umgebenen einzelstehenden Ge
bäuden.
Eines derselben war nach der mir
gewordenen Beschreibung das durch
den Mord verrufene Unglückshaus. Jn
Wahrheit waren es zwei, sdie so eng
neben einander gebaut und in ihrem
Aeußeren sich so ähnlich sahen, daß ein
flüchtig darüber hinschauender Mensch
beide nur als eines aufzufassen. sich
täuschen lassen konnte. Sie trugen
gleich große Fenster, die gleiche Facade
und dieselbe Bedachung; nur die Roll
jalousien des einen und die alter
thümlichen großen Schalterladen des
anderen, sowie die an der mittleren
Scheidewand abwärts führende Dach
gusse, deuteten auf einen äußerlichen
Unterschied.
Jch betrat den Vorplatz des mir am
nächsten gelegenen Hauses; ein breiter
Gang führte an wenig gepfleaten Blu
menbeeten und blühenden. dustenden
Strauchwerk entlang zu einer Treppe,
die an der Giebelseite in’s Haus führ
te. Unaussällig schlenderte ich in den
Hosraurn, wo ein Kehrichthausen un
weit des Brunnens lag. Den Hin
tergrund des Hoer schloß ein niedri
ges Gebäude ab, dessen unterer Theil
als Wogenremise diente und in dessen
oberes Dachgeschosz zwei kleine Stäb
chen als Wohnung siir einen dem
Trunle ergebenen Schuhmacher einge
richtet waren, dem zugleich die Pflege
des Gartens oblag. Die Fenster eines
Mädchens-zeigten aus den Hof.
Diese unauffällig anaestellten Un
tersuchungen boten mir naziirtich we
nig oder gar teine Anknüpfung-Spani
te und dienten vielmehr zur vorberei
tenden Orientirung. Ich machte Kehrt
und schritt nachdenklich, die Hände aus
dem Rücken, dem Gartenthore Zu;
mein Spiirsinn und berechtigte Wiß
begierde ließen dem griibelnden Geiste
aber keine Ruhe. Jch blieb stehen, sah
Jn der Seite des zweistöcliaen Hauses
empor, überieate und wendete mich
iuni zweiten Male um. Du kannst ja.
sagte ich mir, das Haus auch einmal
von Jnnen besehen.«
Vorsichtig stieg ich die steinernen
Treppenslusen hinan, tlinaelte: eine
alte, vermeinte Frau öffnete zögernd
und ließ mich eintreten.
Jn gelassenein Tone fragte ich, ob
die Hauswirtbin Marianne zu spre
chen sei. Erschrocken und furchtsam
gab sie Bescheid, sie sei selbst die ge
suchte Haushälterin.
Freundlich bat ich weiter, mir. falls
ich nicht ungelegen erscheine, die Zim
mer und Räumlichkeiten des hauses
iu zeigen, da ich nicht abgeneigt wäre,
hier zu miethen.
»Oh, oh!'« jammerte die schwächliche
Person plötzlich und ihr Himmel-mäß
durchfurchtes Gesicht beneyten einige
Tbränen.
»Hier, in dem Haufe desSchreckens,
wollten Sie wohnen? Hier, wo der
givrd geschehen? Unmöglich, undenk
r «
»Wie? Ein Mord?« fraate ich mit
der unschuldiaften, zugleich aber be
stürztesten Miene von der Welt, als
höre ich das erste Mal in meinem Le
ben von einem Verbrechen.
»Hier, hier sehen Sie, neben diesem
Treppengeländer fand ich die Leiche
friih morgens, als ich durch ein Ge
räusch erweckt, nach der Ursache dessel
ben nachsehen wollte. Das Gesicht auf
dem Fußboden, die Arme schlaff aus
gebreitet, lag der Ermordete, mein
Hauswirth Seemolf, vor mir."
»Liebe Frau, den Schmerz theile ich
vollkommen; der Vorfall darf uns
aber nicht beunruhiaen oder erschre
geni Die Todten kehren nimmer wie
er."
»O, nicht doch; wenn das Verbrechen
ungesühnt, detThiiter unentdeckt bleibt,
dann kehrt der ruhelose Geist bestimmt
aus seinem Grabe wieder.'«
«Seien Sie darüber ohne Sorge»
Lange wird jener Schqu die Justiz;
nicht täuschen.« «
Jn Folge dieser meiner tröstlichen
Zusage, welche aber augenblicklich bei’
mir noch ganz hypothetisch und ohne
jeglichen realen Hintergrund in der
Luft hing, schien sie sich .in’s Unver
meidliche zu fügen und bald öffnete sie
die Schleusen ihrer Beredsamkeit um
so mehr. als ich fogar darum bat, mir ;
den Schauplas der That zu zeigen.
Nebenher zog ich Erkundigungen
über die übrigen Bewohner des hau
sses ein und erfuhr dabei, daß es seit
langem außer ihr und dem Ermorde
ten gänzlich unbewohnt fei; nur nn»
hinterhaufe lebe ein Schuhmacher, na
- mens Zobel, ein dem Tranke erriet-mer«
Titbelbeleumdeter und streitsiichtiger
iMenfch, der sich jedoch seit dem Tage
J des Berbrechens, am Montag, nur fel
’ ten sehen lasse.«
Still dachte ich, diese wehenbei hin
geworfene Bemerkung will ich festhal
ten.
E Jndessen traten wir in das Zimmer.
Ring-Zum herrschte peinliche Ordnung
und SauberleiL Die Dielen waren
glänzend rein und verriethen den un
geüblcn Augen nirgend ein Fleckchen.
Oder nein, befanden sich nicht dort ne
ben Tisch und Stuhl einige Spuren
von einer Farbe, die trotz angewende
ter Mühe nicht völlig ungesehen ge
macht werden konnten? Einstweilen
prüfte ich weiter. Das geräumige
Wohnzimmer wurde von einem aus
den has hinaussührenden Fenster er
hellt. Gerade neben demselben stand
ein eichener Tisch und Stuhl davor.
An der Wand entlang hatte eine alter
thümliche Kommode ihren Plas; dar
aus ruhte eine kunstvolle. aus vier wei
en Marmorsiiulchen schwebende Uhr,
ie, unbekümmert um die wechselnden
Dinge der Zeit, ihr einsörmi ei Zick
tackneiier pendeltr. Ge uil e führ
te eineWenlhür in e Alkm, den
ehemaligen Schlasraum Seewols’5.
Jn Ver rechten Ecke ein Kachelofen.
»Ist in diesem Zimmer Alles noch
so unberührt geblieben, wie am Tage
des Berb nöt«
»Nichtsi verändert! Selbst nicht
die Wasserflasche vorn Tisch entfernt,«
antwortete die alte Marianne schluch
zend und hob ihren Schürzenzipsel an
die Augen. »Ach Gott, er war ein gu
ter Mann, wenn ihn auch die anderen
Menschen als geizig verschrieen. Er
lebte eben in seinen Eigenthümlichkei
ten fort, wie manch’ Anderer seines
gleichen. Er hielt sein Geld zufam
men; man mußte ihn nur verstehen ler
nen. Er war gewiß nicht geizig.
Manch bedürftiger Wittwe, manch’ ar
men Waisenlindern und manch’ hun
gernder Arbeiterfamilie sandte er durch
mich im kalten Winter Gelt-spenden
Kleidung und reichliche Kost, ohne sei
nen Namen verrathen zu dürfen.'·
»Er pflegte wenig Verkehr?'«
.,.Daß ich nicht wüßte, mit wem er
überhaupt Umgang hätte halten sollen;
er war menschenscheu. Vor einem
Vierteljahr besuchte ihn sein kleiner
Neffe. Da schien er wie umgewandelt
Er unternahm täglich Spaziergange
mit ihm, lachte, scherzte, freute sich der
lustigen Streiche, kurz, ich kannte den
Herrn nicht wieder. Hin und wieder
mußte auch der Schuhmacher Zobel
von drüben herüberlommen, wenn er
neue Anordnungen,im Garten treffen
wollte. Sonst aber lebte er still siir
sich-«
»sobel? Zobel?«
»Ja, Zobei. derselbe, den ich bald
nach der That zur Polizei schickte, des
Vorfalles ir·:gen.«
»War der gleich zur Stelle?«
»Ach nein, er schlief und es dauerte
geraume Zeit, bis ich den Träumer
aus seinem Rausch erweckte.«
»Wann besuchte denn der Zobel sei
ten Hauswirth das- letzte Mal?" fragte
ich so beiläufig, als erwarte ich hier
fur keine besondere Antwort und fügte
sogleich hinzu: »Auch der lleine Neffe
ist fort und nicht wieder gekommen?«
»Der Neffe? nein! Aber Zole
Warten Sie mal, als er die lenke Mie
the bezahlte, das geschah am Sonntag
Abend.«
»Und das Geld bewahrte Seewolf
bier in diesem Tischfchub?«
»Ja, fiir gewöhnlich!«
Während dessen trat ich wie von un
gefahr an das hohe, weite Fenster, das,
niedrig gelegen, bequem mit der klei
nen Gartenleiter zu ersteigen war. iDie
gegenüber befindlichen Fenster des
Hintergebäudes lagen meiner Wahr
nehmung nach thatsächlich höher und
liefzen bei der geringen Entfernung die
Möglichkeit zu, alle Vorgänge im Zim
mer genau zu übersehen.
»Fanden Sie die Scheiben nach der
Mordthat zerbrochen?«
»Nein, nein, und dann hätte ich sie
auch sofort wieder ergänzen lassen,«
gab die propereFrau eilfertig zur Ant
wori. »
»Die Wohnung ist doch aesund?
Seewolf bedurfte wohl bei Lebzeiten
selten eines Arztes?«
»J- wo hätte der!« fuhr sie rasch da
zwischen. »Der Naturmensch, der
Feind von Arzt und Apotheke!«
Diese Antworten befriedigten mich.
Nachdem ich genau den Ort der That
in Augenschein genommen und mich
die Frau zum Ueberslusse noch in an
dere Zimmer umhergefiihrt hat:e, ver
abschiedete ich mich mit dem Verspre
chen, morgen früh sie ein zweites Mal
zu besuchen.
2
Was hatte ich erreicht? Die Glieder
meiner Jdeentette schlossen sich immer
enger um den Einen zusammen, und
doch hinwiederum gähnten mir in det
selben eine Menge Lücken entgegen.
War der Verbrecher durch das Fenster
gelange? Leider plagte mich die Un
gewißheit, ob es geschlossen oder offen
gestanden hatte in jener Nacht. Hin
wiederum tonnte es wohl bei der schö
nen, warmen Witterung geöffnet ge
wesen sein; der alte Seewolf war doch
Naturfreund; er schlief im Nebenzim
mer. Warum fand man den Todten
nicht im Zimmer-, sondern im haus
flur am Treppenaufgang2 Weshalb
vermißte man Blutspuren? Wie
war es möglich, daß die Frau keinen
Lärm vernommen, vielmehr erst dann
etwas Verdachtiges vernahm, als der
Todte da unten im Flur lag? Schwie
öige Fragen zermarterten mein Ge
trn.
. Indessen, mein Magen Berlangte
energisch nach einer ftiirtendenBeschöf
!tigung, was man auf gut Deutsch »Es
» sen und Trinken« nennt; denn seit dem ;
IMorgentaffee war ihm noch nichts zu
gekommen. Deshalb lenkte ich meine
Schritte in’s Städtchen zurück und ge
willt, den am Markte gele enen Gast
hof aufzusuchen, welcher. seinem pro
peren Aussehen nach u schließen. der
bessere und von den onorationen der
Stadt wohl am besuchteste sein mochte.
Vor dem breiten Portale blieb ich
stehen, unschliissig, unentschieden. ·
ine sonderbare Ahnung beschlich
mich, ein gewisses Etwas rief in mei
nem Innern: gez nicht hinein! Was
thun? Sollte i einen anderen Gast
hof aufsuchen, wo mir Essen undTrinss
ten und Ruhe ward?
Dieser leßtere Gedanke siegte. Wirk
lich bog ich um, in eine längere Quer
sttaße und fand xvirklich am Ende der
selben einen gewöynlichen Gasthof, ei
ne sogenanne Kui chertneipe, in die ich
turz und entschlossen ein tat.
Schon vor der Gastst tönte mir
ein wüsieö, wirres Getöse, wie von vie
len Stimmen, Gläsetanschlagen und
Stühletücken, entgegen. Beim Cin
tritt in die niedrige, tiese Stube ver
—
mochte man laum die Gesichter der
nii ftstehenden Gestalten zu erkennen,
so icht strömte der Tabatiaualm
ent gen.
s Städtchen stand am Vorabende
des Jahrmarktes, welcher viele Krä
mer und handelswagenführer,
Schwarzviehhiindler und anderes
teiiendes Geschäfsvolt bunt zusam
menwiirfelte.
Fast unbemerkt wand ich mich durch
die stauende Menge und erspähie
glücklich an einem der hinteren Tische
einen freien Stuhl, auf dem ich mich
sofort niederließ, müde und matt. ;
Es dauerte eine Weik bevor ein
dienstbarer Geist meiner aufmerksam
wurde; deshalb ließ ich prüfende Blicke i
über die Gäste an den Nachbartifchenl
schweifen. ;
Das schien wahrhaftig eine netteGe- «
fellschaft. in die ich hineingerathen
war; ihr Lärmen, dazu der Dunst und
Rauch von verschiedenen Tabackssortem «
die man aus kleinen holzpfeifchen
qualmte, hätte mich nerviis machen
können, wäre ich nicht von Mutter Na
tur mit einer starken, abgefeiten Kon
stitution ausgestattet worden. Des
halb hielt ich es ein Weilchen aus.
Da saß schrii über ein verwegen
dreinschauender schwarzbiirtiqerManm
mit rothem Fez auf dem Kopfe; ein
Marttbuden-Ausschreier oder Winkel
sänger schlon ich. Daneben erblickte
ich das runzelige, wettetzerzauste
braune Gesicht einesScheerenschleifersx
an seinem Ledergut trug er Scheeren,
Klingen und allerlei Metallwaaren.
Diesem zur Rechten hockte ein Dritter,
mit aufgedunsenem Kopf, kurzem
struppigen Haar und abstehenden Oh
ren. Er stützte sich auf die Arme,
stier:e stumm und sinnend in’s Men
schengewühl hinein und sprach von
Zeit zu Zeit der vor ihm stehenden
Branntweinflasche emsig zu, so daß sie
immer wieder von Neuem gefüllt wer
den mußte. Ein kleines, verschmitzt
augsehendes Männchen, das nur eine
Hand, die linke, zur Bewegung frei
hatte, während der rechte Arm schein
bar verstümmelt in einer Binde hing,
stieß ihn hin und wieder an. sprach
verstohlen, aber doch noch so laut, daß
ich’s hörte, auf ihn ein und ermunter
te den Träumer wiederholt zu rasche
rer geistiger Stärkung.
»He, Schuster, trink lieber. Stu
dier’ nett die Predigt! Du bist doch
sonst nicht so schweigsam!«
»Las; mich!« antwortete der Andere
kurz und gab den erhaltenen Rippen
stoß zurück. »
Doch dieser, dem Aussehen nach ein
Professionsbummler, ließ nicht locker.
noGeht Dir Dein Seewolf zu Her
zen.-«
»Was-? Mein Seewolf?«
Betroffen wandte im selben Augen
blicke der als Schuster angeredete
Mensch den Kopf, so daß ich nun sein
breites. derstürteg, vom Fusel gerüthe
tes Antlig in seiner ganzen Deutlich
leit betrachten tonntr.
Wahrlich teine vertrauenerweckende
Erscheinung! Ein halb schielender,
halb blitzender, kurzer und unsicherer
Blick streifte seinen Nachbar und ein
verlegeneö, mühsam erzwungen gleich
gültiges Lächeln verzog seine Lippen.
,,Thut Dir das viele Geld vom See
wolf leid? höhnte der Bummler.
»Hm teins!" gab er barsch zur
Antwort, taute an seinem Cigarren
stummel und blickte in die andere Ecke.
der Zufall in die Nähe jenes Schuhma
chers geführt, welcher das Hinterhaus
des ermordeten Seewolss bewohnte?
Sollte mir ein unerkannt belauschtes
Gespräch in der Wirthsstube etwa die
fehlenden Jndizien zur Aufklärung
des Verbrechens herbeischaffen helfen?
Das wäre ein seltsames Spiel des
Zufalles.
»Hab« Dich nicht gefragt, ob Du’s
jetzt verwaltest!« sprach der Jnvalide
halb beleidigt.
»Was? Du meinst, ich hätte dem
Seewolf das Messer gegeben?« briillte
erregt der Schuhmacher und versetzte
zugleich dem armen Burschen einen
soichenStofz, daß er augenblicklich vom
Stuhl zur Erde glitt. Aber schnell
erhob sich dieser, fo gut es ihm seine
Linie erlaubte, und wiithend, von ;
Zorn überwiiltigt, drang der Kleine!
auf den Schuster ein: ein David gegen ?
Genau-! (
»Das weiß Niemand! Du Hvä- ;
nenbrut!« !
Was bedeutete-i diese heftigen Wor- ?
te. Jch horchte genauer. s
»Du — Du —- wart’, ich will
Dir’s nageln!« brüllte der Einarmigr. l
Ein allgemeiner Auflan entstand.
Die Beiden schlugen mit Fäusten, mit
Schnapsflaschen Die Aufregung
wuchs, mehr, immer mehr Menschen
drängten herzu, der Kreis um die
Kämpfenden schloß sich dichter zu
sammen; unartitulirte Laute drangen
:aus dem liirmenden Knäuel.
s Die Ahnung mußte mir zur Gewiß
heit werden. Der Zufall hatte mich
unzweifelhaft auf die richtige Fährte
gelenkt. Der Eine oder Beide wußten
Genaueres von der Sache. Hier galt
sein weiteres Zaudern, tein Ueberle
gen, nur Handeln, rasches Zugreifen.
Jch wurde aufmerksam. Hatte mich
l
Jm Nu durchbtach ich die Menge,
ein Ruck und Schlag aus die Brust
des wüthenden Gesellen; er taumelsr.
Ein Griff und Zug —- und meine
blitzschnell aus der Tasche nezogenen
Handschellen umpreßten fest und eng
die Gelenke des Schatten, des Schu
machers.
Jcp hatte gewonnenes Spiel. Ei
Rntltch unnöthig, daß ich ries: —,,Jm
amen des Gesetzes Du bist verhaf
tet!« aber« der vielen Zuschauer wegen,
die um nn der standen und die sogar
eine drohen «M1ene annabmen, ob
der außergewshnlichen Störung eines
Hie belusii nden, nicht selten vorkom
imenden Frthshausstreites that ich’s.
’ Unbetlirnmert um diese, nahm ich
die hülfe des Wirthes in Anspkuch,
sum den Delinauenten abzufühkm
Zitternd und bleich stammelte dieser:
’ »Ich-—ich ——habenicht——weiß
nicht-— Seewolf’s Geld! —«
»Das Weitere wird sich morgen fin
deut« fuhr ich ihn barsch an. »Du
bist der Mörder Deines Hauswirthes!«
Fort ging s mit ihm, unter sicherer
Begleitung des Stalltnechts, Haus
wirthes und meiner Person, in das
Gewahrsam des Städtchens.
Auch der Einarmige theilte dasselbe
Schicksal.
B.
Daß der Thiiter entdeckt, war meine
feste Ueberzeugung Viele Andachts
momente sprachen dafür. Wie aber
brachte ich ihn zum Geständnißi
Schon in frühester Morgenstunde
des nächsten Tages riiitelte ich den
Hüter der stiidtischen Ordnung, den
Polizisten, unsanft aus seinem Bett.
Er mußte unweigerlich mit. An Ort
und Stelle sollte der Gefangene ieW
Schuld bekennen.
Wieder zog ich die Glocke am Hause
des ermordeten Seewolf; wieder off
nete die alte Marianne, die Haushal
term.
Wie erstaunte sie aber als ich nicht
allein, sondern in Begleitung des Po
lizisten, des gefesselten Schuhmachets
Zobel und eines Gefangenenwärters
vor sie hintrat.
Nachdem ich mich legitimirt, sowie
mitgetheilt hatte, in welcher Mission
ich tomme und wegen der augenblickli
chen, ungewöhnlichen zeitigen Störung
um Entschuldigung gebeten, schritten
wir sofort in das Wohnzimmer des
Ermordeten.
Noch einmal examinirte ich die zum
Tode erschroeiene Marianne, wie ge
stern, über oen ehemaligen Stand aller
Gegenstände im Zimmer. Und wie
gestern gab sie ihre Erklarung ab.
Zobel schien trotzig und zuversichct
lich dem Gange der Untersuchung zu
folgen. Seiner Meinung nach waren
die Spuren seines srevelnden Verge
bens so tunstvoll verwischt und die
Vorsichtsmaßregeln so tlug getroffen,
daß sich auch das geübte Auge eines
Deteetivs täuschen lassen und von sei
ner Unschuld überzeugen müsse; aber
ich errieth trotzdem seine Schliche und
wollte ihn in Kürze erbarmungslos so
iiberfiihren daß bald das böhnische
Fikcheln um seinen Mund verschwinden
o e.
»Sie sagten, liebe Marianne, daß
der Tisch so neben dem Fenster gestan
den habe, daß man rotz des Stuhles
bequem zum Fenster gelangen tönne.«
»Jawohl!« antwortete die alte
Hauswirthiw
»Nun denn,« wandte icb mich an
ZobeL »ich rathe ihm, jegliches Zeug
nen, welches nur die Strafe verschar
sen tann, zu unterlassen. Der Gang
Deines Verbrechens liegt llar zu
e. ·
Zobel horchte mit Erstaunen und
Crschrerten auf.
»Es befindet sich nämlich in diesem
Zimmer enin gewisses Etwas, eine Ne
bensächlichteit, wenn ich den Ausdruck
gebrauchen dars, eine Geringfügig
it die bei Ausübung der That wenig
beachtet worden ist, aber unleugbar
den Namen deg Verbrechers verrath.
Der Tböter hat dort drüben im Ne
bengebäude am Fenster gelanert. bis
hier am Tische der seine Gelder
ordnende Seewolf die Lampe verlöscht
und sich in die Nebenstube zu Bett be
eben bat. Alsdann verliefe er seinen
imlichen Beobachtungspoftem legte
eine bereitgebaltene Leiter an dieWand
unter’m Fenster, und stieg ein, mit
Leichtigkeit, weil es bei der warmen
Nachtternperatur nicht geschlossen wur
de. Seewols aber befand sich erst im
Halbschlummer. —- Der Dieb batte es
zu eilig. Eine Unvorsichtigleit, nicht
wahr, Zobel?« fragte ich ganz unver
mittelt den Gefangenen.
Doch dieser verzog teine Wimper.
Jch fuhr unbeirrt fort:
»Seewolf ist durch irgend ein zu
fällige. beim Einsteigen unbeabsichig
tes Geräusch gestört und aufmertsam
geworden, ist aus dem Bette gesprun
gen und herüber geeilt. Hier überrasch
te er den Einbrecher beim Leeren der
Schublade. Urspriinglich beabsichtigte
der Räuber nur einen Raub aber da
er sich ertappt sah, ging er aus seiner
Bahn des Verbrechen-? einen Schritt
weiter. Es entspann sich ein Kampf,
über dessen hergang wir vor der hand
keiner weiteren Auseinandersehung be
:dt.irsen. Das Ende vom Liede: Zobel
hob die erkaltende Leiche auf und beab
ssichttgte, sie die Treppe hinab in das
IFrete zu tragen, um sie irgendwo zu
verschonen Sie wurde ihm zu schwer. I
Am Treppenabsasz entsiel die Last sei- »
nen Mörderhänden. Da zu seinemz
Unglück die Thür von der hutsamen I
Marianne verschlossen gewesen. ließ er
den Leichnam liegen und schlich in’s
Mordlolal zurück, wischte vorsichtig
und seiner Meinung nach-recht sau
ber alle Blutspuren weg, war des siche
ren Glaubens-: »Nun erröth’s Nie
mandl« und nahm die Beute im Tisch
an sich, um aus demselben Weg durchs .
Fenster zu verschwinden. Er eilte
heim und legte sich zu Bett, vertrauend
aus seine scheinbare Vorsicht: »Nun er
räth’s Niemandl·« I
Der heuchlerl Er stellte sich schla
send, als die arglose Marianne nach
Auffindung der Leiche sogleich zu ihm ·
geeilt lam.
Der Bösewicht! Er selbst, der Thä
ter, ist bereit, Mariannens Wunsch zu
etsiillen, der Polizei die Mordthat an
zusagen. hoben wies ähnliche Bei-»
spielei Ich s e es ihm auf den Kopf;
nur fo nnd n cht anders hat fich die
chez etragen.
Aus obel's ltung mußte der
Troß wechenz a wie ein Ertrini
tender klammerte er si am schwim
menden Valme fest. r wollte spre
chen; seine Stimme versagte jedoch.
»Nun will ich noch genauer .eigen!'f
fuhr er weiter fort, »daß nur ier, an
dieser Stelle, der Mord begangen
worden ist.«
ch erhob den Arm und nahm vom
Ti che die volle Wasserflafche.
»Die Erfahrung ha gelehrt, daß,
wenn man Blut auf die holzdtele
versprihh dieses so tief eindringte daß
sich seine Spur nie mehr verwischen
läßt, sondern immer wieder zum Vot
schein kommt, sobald Wasser darauf
egoffen wird. Das Wasser folgt der
elben Ausdehnung, und leine Linie
weiter, wie das Blut vorher eine Fla
che innegehabt hat und an der Stelle,
wo dieses den Erdboden benetzte, wer
den wir die sichersten Beweise des Ber
brechens finden." « ·
Da —- was war das? Zobel ließ
sich plötzlich auf einen Stuhl nieder.
Seine Beine wantten; die Hände zit
terten; sein Körper bebte; das Antlih
nahm eine wachsbleiche Farbe an; er
schöpfte tief Athem; seine weit geöff
neten Augen ftarrten mitsSchrecken auf
jenes Wasserglas, welches ihm wie ein
schlangendurchwebtes Medusenhaupt
erschien.
Jch schüttete auf die verschiedensten
Stellen der Diele einige Tropfen Was
ser.
Sogleich bildeten sich in ganz be
stimmten Richtungen einzelne sonder
bare Ringe, die eigenthiimliche Figu
ren annahmen. Hie und da hingel
ten sich die Wassertropfen auf ihrem
flüchtigen Laufe und suchten wie eine
Natter, die einem früheren Zufluch:s
orte entgegen eilt·
Was ich eben vorausgesehen gr
fchah. Neben dem Tische, unweit des
Stuhles und auf dem Gange zurThiir
entstanden eine Menge Flecke, in denen
das eingetrocknete Blut auf's Neue
Yim Vorschein lam. Die blutigen
bsiitze schmollen innerhalb der Streife
allmählich mehr und mehr an und die
Blutmenge, die man in der Zeichnung
erblickte, zeigte mir, daß der Leichnam
zerstochen worden war, während er
noch warm gewesen.
Zum Ueberflufz machte ich auch noch
auf verfchiedene andere P:ntte des
Zimmers Ringe: aber nur an den re
gelwidrigen Stellen lam das Blut zum
Vorschein.
Das war fiir Zobel zu viel. Ein
heftiges Zittern durchbebte seinen
Körper. Mit fast erlöschender und
bittender Stimme rief er:
»Genug » nicht weiter — ich hab’s
ethan —- ich will Alles gestehen —
hnen allein —- aber nicht hier —
fiihren Sie mich fort, schnell, fort von
diesem schrecklichen Ort -«—— ich fühle
dasz ich falle —- Lqu -—-- ich erftielet«
Er fiel in der That. Die alte Ma
rianne holte schnell ein Glas Wein und
seichte es mir. Jch hielt es Zobel
in.
»Trinte; das wird Dich zu Dir
bringen. Wir wollen sort gehen!«
»Nein, nein —-- nicht dies!« mur
melte er. »Das ist roth ———· Wasser!«
Jch erfüllte seine Bitte, während ich
die alte Marianne ersuchte, einen Wa
gen zu-bestellen.
»Das ist nicht nöthig,« sagte Zobei.
»Ich stihle mich wohler.'«
Den gestöndigen Mörder in der
Mitte, der Gesängnißwärter links, der
Polizist rechts, ich und die alte Ma
rianne hinten nach, verließen wir nun
rasch den Schar-blaß der That
Marianne schloß die Tbiir ab und
überließ mir. aus Wunsch, den Schlitt
sel, den ich dem Gericht übergab
Meine Mission in dem tleinen Pro
vinzialstädtchen B. war erfüllt. Die
Bewohner athmcten bei der Kunde
der Entdeckung des Mörders erleich
tert aus.
Nachdem ich vor dem Gericht die
üblichen nöthigen Erklärungen abge
geben und sonstige Fornmlitöten erle
digt hatte, fuhr ich erleichtert und
wohlgemuth wieder zu den Meinen.
Gott sei Dant!« rief autathmend
die älteste Tochter Ella, »daß der Fall
so rasch und gesahrlos verlaufen ist.«
Beruhigt griff sie zu ihrem Strick
zeuge, während sie wohl in Kurts
Geiste alle Augenblicke Bruchstücte
dieser Erzählung mit seinen lateini
schen Botabeln vermischten.
Ein bekannterLondoneeUmter
war auch Vorsitzender einer Geogra
phischen Gesellschaft. Als vor Kur
zem nun ein herr, der viel in Argen
tinien gereist war, in dieser Gesell
schaft einen Vortrag hielt, ereignete es
sich, daß der Vorsiszende, der einen an
sirengenden Tag in seinem Berufe
hinter sich hatte, sonst einnickle, ob
gleich der Reisende mit viel Geist und
Win vortrag. Bei einer besonders
scherzhaslen Clelle brach das Publi
lum in lautes Gelächter aus« Bei die
sem Geräusch erwachte der Richter aus
seinem Schlaf, aber nur unvollkom
men. Man sah ihn plötzlich eine stren
ge Haltung einnehmen, zornige Blicke
um sich Iversen und mit drohender
Stimme ausrufen: »Ich erinnere
das Publikum, baß jede Kundgebuns
verboten ile wenn icses unanständi
ge Lachen sich wiederholen sollte. wer
de ich den Saal räumen lassen.« Ei
nen Augenblick lang herrschte nach die
ser Anteile lautloses Schweigen, dann
brach das Publilmn in eln noch viel
heezhasleres Lachen aug.