Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, December 23, 1904, Sweiter Theil., Image 9

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    Yeöraska
StaatI-3n2e1ger nnd Yerold
— JPdehH usgeinF Gm udJsumWeb Tez.1904 (Zw MtTht) Jmhgug25 No.17 ·
zum echt-Weste
Don PaulPasig
Nun senlt aus leisen Engel-schwingen
Sich nieder die geweihte Nacht,
Und Iriedenstvorte hör’ ich klingen
Und Lust und Freude sind erwacht,
Das herz, gebeugt von Alltagssorgem
Stimmt froh in solche Klänge ein;
Es ahnt: Ein rechter Weihnachtsmor
gen
Muß auch ein Fest des Jubels seinl
Und ob des Kummers leichte Zähre
Der Armuth von der Wange rinnt:
Daß es die Leidensnacht verkläre,
Erschien des Höchsten Weihnachtskind.
Es scheucht hinweg die trüben Sorgen
Und läßt den Wethnachtsstrahl herein,
Fürwahr, ein rechter Weihnachtsmot
gen
Muß auch ein Fest des Lichtes sein!
O ew’ge Liebe, einst geboren
Jn Armuth und in Niedrigleit,
Du suchst, was elend und verloren, (
Und wandelst es in Herrlichkeit!
Kein Hüttchen bleibt vor Dir verbor
gen,
Nicht ungehört die stumme Pein;
Du lehrst: Ein rechter Weihnachts
morgen
Muß auch ein Fest der Liebe sein!
So lehre denn in trauter Stille
Auch heute wieder bei uns ein, (
Und spende Deiner Gaben Fülle s
Und Tannenduft und Kerzenscheint
Jn Deinem Schooße trägst verborgen 4
Ein Kleinod Du für Groß und Klein, »
Wir ahnen’s wohl: Ein Weihnachtg- !
morgen !
Muß auch ein Fest des Segen-J sein!
Schutzengel und Chrtsttind.
Eine Weihnachtsgeschichte - von L.
M ö n i tz. i
Der Winter trieb es diefes Mal mit ;
seiner Gewaltherrfchaft gar arg und
die Menschen mußten alle Mittel an- »
wenden, um feinen Grimm ertragen zu -
tönnen. Den armen Thieren, die sich
nicht in die Ferne gesliichtet oder in ir
gend einer sicheren Kammer zu mehr- I
monatlichen Schlafe sich hingelegt hat- ;
ten, erging es nur zu jämmerlich; denn
die Barmherzigkeit derMenfchen, wenn
sie auch daran gedacht hätten, den noth
leidenden Thieren Hilfe zu bringen,
hätte keineswegs ausgereicht; überdies
mußten diejenigen, welche sich des Ue
berslusfes erfreuten, doch vor Allem
dessen inne werden, daß die Menschen
briider in ihrer Nähe nicht allein in der
Lage sind, sich gegen das harte Regi
inent des Winters ausreichend zu schli
tzen. Hunger und Frost sind gar arge
Quälgeister, denen die besitzlofen Men
schen ausgesetzt sind, besonders wenn
sich ihnen noch Mangel an Arbeit zu
gesellt. Denn die Arbeit ist allezeit
und in jedem Stande ein Segen; nicht
nur daß fie die Mittel zur Erhaltung
und Berschöneeung des Lebens herbei
fchafst, sie erhält auch das Gemiith
frisch, froh und zufrieden.
Draußen am Saume des Waldes
ftand eine armselige Hütte, bewohnt
von einem Arbeiter und feiner Frau
und drei Kindern. Das sind fünf
Personen, die zu ernähren waren. Da
zu kam noch der Großvater, der schon
seit Jahren sich nicht mehr von dem
dürftigen Lager erheben konnte.
So lange die schöne Jahreszeit war,
gingen Mann und Weib in die Arbeit
und verdienten Tag für Tag, so viel
eben gebraucht wurde, aber auch nicht
mehr; doch als der Winter einzog und
der regelmäßige Verdienst aufhörte,
kehrten alle Schrecken der Arbeitslosig
keit in dieser Hütte ein· Der Mann
ging täglich einige Stunden weit in die
benachbarten Ortschaften, fand hie und
da etwas Arbeit und armseligen Lohn;
aber fo wie der Winter vorrtickte, wur
den Beschäftigung undLohn immer sel
tener und dasElend immer schrecklicher.
II if If
Die vierte Dezember-wache war her
angekommen. Trotz der grimmigen
Kälte, die andauernd herrschte, schlu
gen unzählige Kinderherzen in freudi:
ger Crregung dem schönen Abende ent- s
egen, der ihnen der liebste im ganzen
Fahre ist. Um diese Zeit kehrt doch im
mer in die Kreise der lieben Jugend ei
ne Unruhe ein, welche den Eltern und
Lehrern viel zu schaffen macht. Man
denlt und spricht, ja, man träumt so
gar vom Christkind und seinen Gaben.
Wir belauschen ein solches Gespräch im
Hause des Dr. Grosser. ,,·Ob denn das
Christlind auch wirklich selbst lomtnt,«
sagte am 23. Dezember der aclitiiihrige
Ernst Grosser zu seinem zehnjährigen
Schwesterchen Elsa. Sie saßen Beide
in der Dämmerung des Abends bei’tn
genster und sahen dem Treiben des
indes mit den jetzt nicht gar zu reich
lich fallenden Flocken zu.
Die beiden Kinder sliisterten nur;
denn sie dachten, die Mutter wolle
schleifen. Frau Dr. Grosser war seit
einiger it leidend und mußte sich öf
ters au das Ruhebett legen, was sie
denn auch eben jetzt gethan hatte.
»Ich glaube nicht,« sagte Etsch »daß
es selbst kommt, aber ich weiß doch
nicht, tvte es die Geschenke in jedes
Haus u den Kindern bringt«
»Un warum glaubst du’s nicht«-»
fragte Ernst wieder.
»Etgentlich,« sagte Elst, ,,iann es
doch totnrnens nur kommt es so, daß
wir esnicht sehen können; denn schau,«
segte sie einziger und darum auch lau
ter fort« » D ist gerade so. wie mit
dem SchuhengelY Jch habe ihn schon
oft gebeten, daß er sichtbar zu mir
komme. Gestern Nachts habe ich zu
ihm wieder gebetet und ihm gesagt, daß
ich ihm zu Ehren ein weißes Bett und
schneeweißes Hemd habe, auch fromm
sein will, und da habe ich lange hin
ausgeschaut durch das Fenster auf den
Mond und zum Himmel — er aber
ließ sich nicht blicken und ich schlief
ein.«
Darauf sagte Ernst:-,,Er ist vielleicht
doch zu dir gekommen und hat dich be
schützt, aber wie du schon geschlafen
hast« Vielleicht lann er sich nicht sicht
bar nrachen, denn er ist doch ganz ge
wiß sehr ütig und thäte es sons .« —
Ietzt wur zum Nachtmahl gerufen:
«e Mutter erhob sich und ging, jedes
ihrer beiden Lieblinge an einer Hand
führend, in das freundlich erleuchtete
und behaglich erwärmte Speisezimsmer,
wo der Vater, von Krankenbesuchen zu
rückgekehrt, schon am Tische Platz ge
nommen hatte. «
Nach der Mahlzeit setzte Herr Dok
tor Grosser seiner Frau auseinander,
daß er am folgendenNachmittage in die
Hauptstadt reisen und wohl bis zum
heiligen Abend dort verweilen wijrdr.
»Ihr. liebe Kinder,« sagte er, ,,werdet
gewiß sehr brav sein, damit sich dann
das Christkind mit schönen, reichen
Gaben einstellen kanni«
»Gewiß!« sagte Elsa, indem sie den
Vater umarmte und ihm einen herzhaf
ten Kuß versetzte; Ernst aber sagte,
daß doch der Vater ja sicher schon am
Nachmittag des heiligen Abends zu
riicktäme, weil das Christlind vielleicht
durch feine Hände ihm und der Elsa
Gaben schicken wolle.
Der heilige Abend kam. Die Nacht
brach herein. Jn allen Häusern der
Straßen waren deleuchtete Stuben, in
denen Christbäume prangten, und in
den meisten waren auch glückliche Kin
der zu finden, die sich an den Lichtern,
an der Pracht und an den schönen Ge
schenken freuten. Nur in dem Hause
des Doktors Grosser fehlte noch der
Festglanz des erleuchteten Christbau
mes.
Mutter und Kinder saßen irr der
nur von einer Lampe erhellten Stube
und harrten in Sorge und Ungeduld
des Hausvaters. Die Schlafzeit rückte
immer näher-, auf der Straße war es
ganz still. "
Endlich, endlich vernahmen sie das
Vorfahren eines Wagens, unter wel
chem der hart gefrorene Schnee knirsch
te. Die Kinder rissen die Thiir aus,
stürzten die Treppe hinab, und o Ju
bel! der Vater kam ihnen wohlvehalten
entgegen.
»Bist Du über mich recht böse, Ernst,
daß ich das Christlindlein nicht zu
Haufe erwartet habe?« fragte Doktor
Grosser. Er wartete aber auf die Ant- l
wort des Knaben nicht und eilte dies
Treppe empor, um die Mutter zi: beru- »
higen. I
,,Ehe ich euch denGrund meiner Ver- i
spätung erzähle, lasset uns den Christ- s
baum anzünden,« sagte der Vater, und ;
einen festlichen meiß nehmen, aber
zugleich den Himmel preisen, das-, ers
uns mit seinen Engeln schützt.« »
»Warum bleibt aber der Chrisibaum s
leer, Väterchen!« sagte jetzt Frau Gros
ser, ,,hat dir das Christiind in der
Stadt nicht« wie wir alle gehofft, Ge
schenie für unsere Kinder mitgegeben?«
»Geschenie gab es mir wohl, aber ich
glaubte, dasz dieselben dieses Mal an
eine andere Adresse gerichtet waren. Jch
will euch das genauer bei Tische erzäh
len,« sagte derDoltor und so ging man
zum Essen.— Als das Mahl zu Ende
war, erzählte der Vater: »Im wohlbe
packten Wagen machte ich mich heute
nach Mittag auf den Heimweg. Jhr
wißt wohl, wie sehr lalt es draufsen ist.
Mir konnte der Frost nichts anhaben
in dein verschlossenen Gefährt. Desto
größer mußte natürlich mein Schrecken
sein, als ich auf offener Straße ein
Mädchen sah, das beiläufig so alt wie
unsere Elsa war und in leichten Klei
dern halb erstarrt sich miihselig fort
schleppte. Jch ließ den Wagen halten
und redete das halb erfroreneWesen an,
indem ich sie sogleich einsteigen ließ.
Sie brauchte lange, ehe sie sich im Wa
en erwärmt hatte und zu sprechen fä
Fig war. Jch entnahm ihrer schluch
zend vorgebrachten, unzusarnmenhäip
genden Rede nur, daß demVaier etwas
zugestoßen, daß sie etwa eine halbe
Stunde unterwegs sei, um Hilfe zu su
chen. Der Kutscher erhielt sogleich die
Weisung, nach der Richtung zu fahren,
wo die Eltern des Kindes wohnen.
Das Elend, das ich in der Hütte am
Waldesrande draußen sand, will ich
nicht beschreiben. Ich traf den Vater,
der einTsaglöhner it, in einer schweren
Ohnmacht. Der Wein, den ich zur heu
tigenFestseier mit heimbringen wollte,
half mir, denArmen wieder zuBewuszt
sein und Kraft zu bringen. Auch das
Mägdelein, das-beinahe das Opfer ih
rer kindlichen Liebe geworden wäre,
mußte vondein Weine trinken. Der
auövater, das war mir klar, hatte
elbst hunger gelitten, und wäre auch
Hungers gestorben, um die lehten Bis
, sen seinem alten Vater und seinen Kin
dern zukommen zu lassen. Die Ver
zweiflung über die Noth, aus der er
eine Rettung sah, that das-Uebrige, ihn
aller Kraft zu berauben und «-— sagt,
Kinder, hat nicht das Christkind mich
selbst zu diesen braven Leuten ge
führt, daß ich sie rette? Der Schinlen,
den ich in einer Auslage der Stadt ap
petitlich herauslugen gesehen hatte, der
in unsere Speiselammer wandern
sollte, hat ihnen nag; langen Wochen
wieder die ersten Bi en Fleisches dar
geboten! Und damit diese bedauerns
werthen Kindlein das erste und viel
leicht das einzigemal in ihrem Leben
auch die Freuden der Christgeschenle
losten können, ließ ich ihnen Alles dort,
was für meine guten Kinder bestimmt
war. Jch kann Euch ja nach dem
Feste anderes kaufen, was Euch freut.«
»O nein,« riefen beide Kinder zu
gleich, »wir wollen keine anderen Ge
»fchenle! Wir sind schon ganz froh.
daß du nur wieder bei uns bist,« setzte
Ernst hinzu. Und Elsa bemerkte: »Es
soll gewiß nicht das letztemal sein, daß
diese armen Kinder Weihnachtsge
schenke bekommen! Wir werden jedes
Jahr auch wieder an sie denken!«
»Das sieht meiner kleinen Elsa ähn
lich!« sagte der Vater. »Dich segne der
Himmel, daß du uns ein so gutes Eng
lein bleibst, wie du jetzt bist.«
Am folgenden Festtage, als die Kin
der ihren Eltern den Morgengruß
gaben, sagte Ernst zu seinem Vater:
»Wir, Elsa und ich, möchten dich um
ein Weihnachtsgeschenl bitten. Dürer
wir?«
,,Selbftverständlich!« versetzte Dr.
Grosser, neugierig auf das, was da
kommen wird. »Ich habe es doch euch
versprochen; wünschet euch nur etwas!«
»Wir möchten gerne selbst diese Kin
der und ihre Eltern und die Freude
sehen, welche sie mit den Sachen
haben. Auch wollen wir ihnen von
unserem Weihnachtskuchen bringen!«
Der Vater erfüllte gerne diesen
Wunsch und zu seiner Frau sagte er
später, als die Kinder aus der Stube
waren, mit Freudenthränen in den
Augen: »Von unseren Kindern gilt der
Spruch: »Selig sind die Barmherzigen
und seliger im Geben denn Empfan
gen!«
Frühzeitiger Weihna chts - Ein
kauf.
Humoreste von Eugen valani.
—-—-« l
Tante Aurelie ist eine ungemeins
praktische Dame; wenn alle anderenf
Leute noch gar nicht an Weihnachten(
denken, dann wendert sie bereits von
Geschäft zu Geschäft, um Weihnachtsi
einläufe zu machen. Erstens, »so er
klärt sie allen Bekannten, bedienen
mich dann die Leute viel aufmerksa
mer, wenn in den Geschäften noch
nicht so viel Gedränge ist, und zwei
tens findet man auch noch Alles, was
man kaufen will; die Lager sind noch
nicht so ausgesucht.
Und dann, so fügt der neckluftige
Onkel Gustav hinzu, kann man, wenn
man im Oktober seine Weihnachtss
einkäufe macht, bis zum December
noch mancherlei umtauschen, wenn
man an der Taufchfucht leidet.
Tante Aurelie ist bei allen Ge
schäftsleuten der Stadt wegen ihrer
Kaufluft bekannt, aber nicht gerade
sonder-lich gefürchtet, denn die Herren
wissen aus Erfahrung, daß sie nach
dem Austaufch sich stets die ältesten
Ladenhiiter ausreden läßt, weil sie
dann in einer gewissen Zwangslage
sich befindet und kaufen muß, was
man ihr vorlegt. Und gangbare Ar
tikel legt man ihr dann einfach nicht
Vot.
Indessen würde man Tante Aurelie
Unrecht thun, wenn man behaup
ten wollte, daß sie, wenn sie in Ge
schäften Waaren umtauschen muß,
immer nur einer krankhaften Nei
gung folgt. Manchmal ist sie auch
nur das Opfer eines ganz ausgesuch
ten Pechs, und das ist z. B. in dem
Fall die Ursache gewesen, den wir hier
erzählen wollen.
Tante Aurelie hatte für ihre Au
guste, die schon ein paar Jahre lang
als Köchin in ihren Diensten stand,
einen Winterpaletot zu «Weihnachten
gekauft. Das war um die Mitte des
October geschehen.
Da Tante Aurelie recht zufrieden
mit ihrer Köchin war, so hatte sie sich
nicht lumpen lassen wollen, hatte Au
guste mit in’s Geschäft genommen
und sie selbst sich einen Winterpaletot
auswiihlen lassen. »Den bekommen
Sie natürlich erst am heiligen
Abend«, hatte sie dann zu Hause zum
Mädchen gesagt, »Sie wissen, was er
kostet. Es ist ein gutes Stück. Den
können Sie eine tleine Ewigkeit ha
ben! Na; ich hoffe, Sie werden ihn
s«
bei mir austragen.
« Natürlich wollte sie zu dem Pale
;tot, daß das Mädchen auch zum
»Weihnachtsfest überrascht werde, noch
einige Kleinigkeiten taufen, die ein
Mädchen immer gebrauchen kann.
. Tante Aurelie freute sich ordentlich
über den Einkauf, und Abends, als
der Gatte aus dem Geschäftslomptoir
heimtam, zog sie den Paleiot selbst
iiber und stellte sich dem Gatten mit
den Worten vor: »Sieh’, Männe,
was ich für die Auguste zu Weih
nachten gekauft habe. Ein feiner
Winterpaletot, was! Solcky feinen
habe ich selbst beinahe nicht.
. »Na. wenn wirst’n denn umtau
schen Rel’chen?« antwortete der
atte
, »Ach, neck’ doch nicht immer! Ich
hab’ Auguste mit in’s Geschäft ge
nommen, und er paßt ihr, als wenn
ver für sie gemacht wäre.«
»Na, umtauschen wirst’n aber doch,
Rel’chen!«
»Weshalb denn?«
»Na, liest«
Und mit diesen Worten reichte der
Gatte ihr einen Brief, der in unleser
licher Schrift geschrieben war und
also lautete: »Fererre Hehrschaftenl
Da Jch doch die Auguste, welche bei?
Sie dinnt, nach Weihnacht heuratent
ill, so frage ich Ihnen höfflich an,t
b die Auguste würklich, wie sie sacht,
ohb Sie auch würklich nicht zänkschs
ißt. Denn dahn nehm ich Sie nicht
Aber Jch bitte sehr, nichts fon dies an
Auguste zuh sagen. Jch verbleihbes
in Ahchtunl ihr
Georg Hofmann, Kleinpner.
Müllerstraße 23 im Keller.«
Als Tante Aurelie diesen Brief ge
lesen hatte, was sie sehr ärgerlich.
Nein, das hätte sie denn doch nicht
geglaubt von der Auguste, die nun
schon zwei Jahre bei ihr war. Daß
ein Mädchen an’s Heirathen denkt,
ja, das konnte sie keiner verargen,
aber daß Auguste so hinterlistig sein
würde, sie bald nach Weihnachten
sitzen zu lassen, das war ihr, der
sTante Aurelie doch noch nicht in ih
rem Hause vorgekommen Das wollte
«sie sich durchaus nicht gefallen lassen.
»Noch heute werde ich ihr kündigen
und morgen trage ich den Winterm
letot zurück! Jch packe ihn schon wie
der sauber ein Und zu mir sagt die(
Augusie, daß sie einen Bräutigam hat, i
der jetzt in ihrer Heimath bei den Sol
daten steht und den Sie erst nach zwei
Jahren heirathen könne. Nun, von
ihr hätte ich’s nicht geglaubt. Zeig’
doch noch mal den Brief her,
Männe!«
»Ich gab ihn Dir ja, Rel’chen!«
»Aber ich habe ihn Dir doch zurück
gegeben!«
»Nein, Rel’chen, ich hab’ ihn nicht!«
»Du wirst ihn eingesteckt haben,
Männet«
Während Onkel Gustav nach dem
Brief in allen seinen Taschen suchte
und Tante Aurelie in den auf dem
Tisch liegenden Zeitungen herum
kramte, kam Auguste herein, um den
Tisch zum Abendessen zu decken. Da
fuhr es denn der noch sehr erregten
Tante Aurelie heraus:
»Sie können zum ersten gehen,
Auguste!«
»Was sou Ich, gnaoge Frau-« ant
wortete ganz arglos die Köchin, die
nicht recht zu verstehen glaubte.
»Sie können den Dienst verlassen
zum ersten.«
»Warum denn, gnäd’ge Frau?«
,,Denken Sie denn, ich werde war
ten, bis Sie mir den Stuhl vor die
Thür setzen und Sie sich verheira
then? Jch denke nicht daran: anstän
dige Mädchen ziehen nach Weihnachten
nicht. Da würde ich schön hineinfallen.
Da werde ich mich wohl hüten, Jhnen
noch erst zum Weihnachtsfest ein so
kostbar-es Stück, wie diesen Winterpa
letot, zu schenken. Den trage ich mor
gen zurück!« »
Auguste wußte zwar nicht, was
plötzlich in die Herrschaft gefahren
war; daß der Herr vielleicht plötzlich
entdeckt habe, daß sie die kostbare
Meißner Vase, deren Henkel sie kürz
lich abgebrochen, habe titten lassen,
konnte sie nicht glauben, denn davon
war ja nicht die Rede gewesen. Und
was sonst die ,,Gnäd’ge« gesprochen,
das verstand sie einfach nicht« Jn
dessen Augufte gehörte nicht zu jenen
Mädchen, die um eine Stelle betteln.
Erstens war sie stets brav und or
dentlich gewesen und hatte vorher ein
sehr gutes Dienstbuch und dann hatte
sie auch Eltern, die in guten Verhält
nissen lebten und sich sicher freuen
würden, ihre Tochter wieder einmal ein
paar Monate bei sich zu sehen.
So schwieg sie denn voll Troy zu
der Kündigung -
Anderen Tages hatte Tante Aure
lie am Vormittage nichts Eiligeres zu»
thun, als den gestern gekauft-en Pale- i
tot wieder zurückzubringen Natürlich
kannte man sie dort im Geschäft gut
genug, um ihr sofort zu willfahren
und einen Umhang dafür umzutau
schen, den sie selbst tragen wollte, wenn
sie ihn auch nicht gerade gebrauchte.
Auguste aber hatte die Frau mit
dem schönen Weihnsachtseinkauf wie
der fortgehen sehen; das wurmte sie
denn doch nicht wenig. Sie hatte
sich fchon so sehr auf den Winter
paletot gefreut.
,,Nun,« so dachte sie, »so arm sind
wir ja auch nicht gerade; da kaufe
ich ihn mir selbst zu Weihnachten von
meinem Ersparten!«
Und damit sie denselben Paletot
nur ja auch wieder bekomme, bat sie
Nachmittags die ,,gnäd’ge« Frau, ,,ob
sie ausgehen dürfe; sie müßte sich doch
’ne Stelle beschaffen.«
,,Meinetwegen, gehen Sie!« sagte
Tante Aurelie ärgerlich. »Sie haben
ja das Recht, zweimal wegen einer
Stellung auszugehen; denn Sie wer
den doch nicht wegen der paar Mo
nate in einen Dienst treten!«
Das verstand nun zwar Auguste
auch wieder nicht, aber sie war froh,
gehen zu dürfen, und so ging sie di
rett nach dem Mäntelgeschäft, in wel
chem sie den Tag vorher mit ihrer
Herrin gewesen und ließ sich denselben
Paletot wiedergeben, bezahlte ihn aus
ihrer Tasche und ging damit heim.
Jn ihrer Küche hatte sie dann
nichts Eiligeres zu thun, als ihn von
Neuem anzuprobiren und sich in dem
schönen Kleidungsstück zu drehen und
zu wenden. Natürlich griff sie dabei
auch in die Tasche, und da hielt sie
plötzlich ein Stück Papier in der
Hand. Sie nahm’s heraus, entfaltete
es und las den Brief des Klempners
Georg Hoffmann.
Und der Jnhalt dieses Schreibens,
das der Leser kennt und das Tante
Aurelie gestern aus Verschen in den
Paletot gesteckt hatte, den sie gerade
angehabt, interessirte Auguste so leb
haft, daß sie nichts sah und hörte,
was um sie vorging, sondern ganz
vertieft in die Lektüre war, bei deren
Beschluß sie nun ganz laut ausrief:
»Na s’on Ochse!«
»Wer ist ein Ochse?« fragte Tante
Aurelie, die plötzlich hinter Auguste
stand.
»Na der kleine, schiefe Klempner!«
»Welcher, den Sie heirathen wol
len?«
»Was?! Jch!! J’ ich denk ja gar
nicht d’ran! Jch werd’ doch meinem
Willem treu bleiben, der zum Herbst
von’s Militär frei kommt und sich im
Jahr später selbstständig macht!«
»Dann heirathen Sie also nicht nach
Weihnachten?«
»J wo werd ich denn?«
»Na, warum haben Sie denn das
nicht gestern gleich gesagt!«
»Na, das konnt’ ich doch nicht, denn
Sie haben ja gar nicht darnach ge
fragt!«
So tam’s denn durch den frühzei
tigen Weihnachtseinkauf heraus, daß
sich der kleine, schiefe Klempner
Schwachheiten eingebildet hatte, zu
denen ihm Auguste niemals Berechti
gung gegeben.
Natürlich wurde die Kündigung so
fort riickgängig gemacht. Den Pa
letot konnte Auguste natürlich nun
nicht mehr zum Weihnachtsfest be
kommen, daß aber Tante Aurelie
gleich andern Tages andere kostbare
Geschenke siir Auguste besorgte, das
kann ich verrathen, ebenso, daß sie
auf demselben Wege auch den Um
hang wieder in das Geschäft zurück
brachte. Sie hatte es sich überlegt,
sie könnte ihn doch nicht gebrauchen.
Sie tauschte ihn gegen eine Jacke um,
welche vielleicht ihre Nichte Klara ihr
abnehmen konnte, als Weihnachtsge
schenk für deren Dienstmädchen
Als sie mit dieser Jacke nach Hause
ging, dachte sie so bei sich: es ist doch
gut, wenn man die Weihnachts-Ein
läufe recht zeitig besorgt. Da kann
man noch immer die Dispositionen
ändern, wie man will.
-
Weihnachtswanderung.
Hörst auch Du die leisen Stimmen
Aus den bunten Kerzlein dringen?
Die vergessenen Gebete
Aus den Tannenzweiglein singen?
Hörst auch Du das schüchtern-frohe
Helle Kinderlachen klingen?
Schaust auch Du den stillen Engel
Mit den reinen weißen Schiviiigen?. .
Schaust auch Du dich selber wieder
Fern und fremd nur wie im Traum?
Grüßt auch Dich mit Märchenaugen
Deine Kindheit aus dem Baum?
Ein Freundschaft-bewen. .
Der Pariser Atademiter oisenon
war einst vom Prinzen Co ti zum
Mittagessen eingeladen. Wer aber
nicht erschien, war Boisenon, und
zwar einfach deshalb, weil er den« Tag
vergessen hatte Er begegnete kurz
darauf einem Freunde, der ihm mit
theilte, daß der hohe Gastgeber sehr
ärgerlich auf ihn sei, belehrte ihn über.
den begangenen Verftoß.
Der gelehrte Herr aber wußte sich
.zu helfen Ruhig, als wenn nichts
vorgefallen wäre, fand er sich an ei
nem der nächsten Empfangstage als
ungeladener Gast bei Seiner Hoheit
ein, in der Absicht, den erzürnten
Gönner wieder auszusöhnem
Sowie der Prinz den anscheinend
so unhöflichen Akademiker auftauchen
sah, wandte er ihm mit nicht mißzu
perstehender Deutlichkeit, als Zeichen
seiner Ungnade, den Rücken zu.
Doch Boisenon ließ sich nicht ver
blüffen. »O, mein Prinz,« rief er mit
offenbarer Freude aus, »wir froh bin
ich, und wie sehr danke ich Ihnen!«
Erstaunt drehte sich Prinz Conti
um und musterte mit sichtlichem Be
fremden den sonderbaren Gast.
»Man hat mir nämlich gesagt,«
fuhr mit der gleichen Unbefangenheit
der Gelehrte fort, »daß Sie mir
zürnten, doch, wie ich eben jetzt zu
meiner großen Freude sah, ist das ja
gar nicht wahrl«
»Woraus schließen Sie denn das?«
fragte Conti verwundert.
»Weil Eure Hoheit mir den Rücken
zeigten!« erklärte, sich verneigend, der
geistvolle Gelehrte. »Das thut ein
Conti niemals —- einem Feinde ge
genüber!«
Der tapfere Conti war versöhnt
und reichte seinem Gaste lachend die
Hand.
—
Weihnachten.
Die Tage der Berheißung sind nun
vorüber, und die Erfüllung tritt in
ihr Recht. Was wir in wochenlangem
Fleiß mit stiller Freude gesäet, ernten
wir jetzt im Kreise unserer Lieben,
die uns unser Mühen mit leuchtenden
Blicken und freundlichen Worten dan
ken. Heute verstehen wir das Wort:
,,«Geben ist seliger, denn nehmen«;
heute empfinden wir die Weihe dieses
Festes, das anders geartet ist, als die
anderen Feiertage. Denn Weihnachten
ist nicht blos ein tirchliches Fest, wie
Ostern und Pfingsten, es ist ein Fa
miliensest im schönsten Sinne des
Wortes; es weckt die edelsten Gefühle
in unsern Herzen und sacht den gött
lichen Funken in unserer Seele, wo er
das gtnze Jahr hindurch halb erstickt
unter der Asche der Selbstsucht ge
glommen hat, zu neuer Gluth an. Es
knüpft die Familienbande fester, und
Dankbarkeit, die schönste aller Tugen
den, findet reichliche Gelegenheit, sich
zu bethätigen. Weihnachten )ist nicht
bloß. das Fest der Geburt Christi, son
dern auch die Feier des Wiederer
wachens der Menschenliebe in unserem
Gemüth, des Erblühens schöner Em
pfindungen in unserer Seele.
Wer kennt nicht Dickens Märchen
»Die Weihnachtsglocken«, wer kennt
nicht Scrooge, den hartherzigen Filz,
den Menschen ohne Gefühl und edlere
Empfindung, wer hat sich nicht an
den Visionen des Einsamen ergötzt,
dem in der heiligen Nacht sein verstor
bener Compagnon, mit einer langen
Kette belastet, jammernd erscheint,
und wer hat sich nicht an der Wand
lung erfreut, die mit dem alten
Scrooge vorgeht? Es ist ein Märchen
nur, der Phantasie eines Dichters ent
sprungen, und dennoch enthält es Viel
Weisheit. mehr Weisheit als manche
dickleibige Foliantenx denn es predigt
die Menschenliebe und zeigt, wie we
nig dazu gehört, unsere Nebenmen
schen zu beglücken, sie zu erheben und
fromm zu stimmen nnd ihnen wenig
stens einmal im Jahre zu zeigen, daß
wir alle Brüder sind.
Wie Pfingsten das Fest der erbuh
ten Jugend, Ostern mit seiner Aufer
stehunggseier der Trost des Alters,
das aus ein zukünftiges Leben hofft,
fo ist Weihnachten das Fest der Kin
der; ihnen gilt die schöne Feier, und
sie stehen im Mittelpunkt unserer
Sinnens und Trachtens. Wir theilen
ihre Freude, ergötzen uns an ihren
Spielen; wir selber werden wieder zu
Kindern, und die leise Wehmuth lie
ber Erinnerungen beschleicht uns. Wir
sehen uns selber wieder als Kinder,
wie wir angesichts des strahlenden
Weihnachtgbaumes gejubelt haben.
Mag es auch draußen stürmen, in un
serem Gemüth lebt der Frühling, und
aus den Augen der Kleinen strahlt der
helle Sonnenschein. Und wenn die
Kleinsten der Kleinen die Händchen
fromm falten und ihr mühsam erlern
tes Sprüchlein hersagen, dann über
tommt selbst das verhärteste Gemüth
andächtige Rührung; aus dem Kin
dermunde spricht eine höhere Macht zu
uns, und wir verstehen die Botschaft:
Ehre sei Gott in der Höhe und Friede
aus Erden und den Menschen ein
Wohlgefallen!
NO
Sollt’ ein schönes Glück mich tränken,
Weil es allzu rasch entfloh?
Kurz begegnen, lang gedenken
Macht die Seele reich und froh.
Geibel.
«- - si
Du bist in Gesellschaft gewesen?
,,Wären’s Bücher gewesen,
Wir hätten sie nicht gelesen!«
Goethe.