Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, October 28, 1904, Zweiter Theil, Image 12

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    Gelühnt
Erzählung von M. Schmied.
- Jener Morgen wird mir, so lange
K les-. unvekgeßtich visit-m Jch ek
insere mich. obwohl bereits viele
, seither verftrichen sind, noch
genau, daß ich, als die Uhr eben
. sechste Stunde anschlag. erwachte.
R Stille herrschte augenblicklich
in allen Räumen des Boarding
IM, das ich damals als Jungge
se bewohnte. Behaglich wendete ich
— IN auf die andere Seite und befand
m bald wieder in jenem angenehmen
» halt-schlummer, der so vielen Leuten
spdes Morgens ein angenehmer Gast ist.
Rath einer Weile drangen schlür
sinde Schritte an mein Ohr, welche ich
· Fisch nicht weiter beachtete. da fie täa
M um diese Zeit vorüberlamen, und
» Zwar rührten sie vom Aufwärter her,
welcher Schuhe und Kleidunggftücle
der Gäste zur Reinigung holte.
Die Schritte hielten, wie gewöhnlich
auch vor meiner Thür; ich hörte das
« Geräusch, welches durch das Abnehmen
meiner Kleider vom Haken entstand,
dann schlürfte-n dieschritte tveitcr, um
» an der Thür mein-IS Nachbars zur
f Rechten innezuhaltenx darauf folgte
ein undeutlichrs Murmeln, und diesem
« wieder leises Klopfen an die Thür.
’T Dann abermali- tiefe Stille.
Ich drückte die Auan eben wieder
fester zu und den Kcvf tiefer in die
Kissen, als plötzlich«ein lauter Schrei
von draußen ertönte, einer jener
furchtbaren Laute, welche das Blut
erst erstarren machen, um es im näch
ftcu Augenblick mit rascher Geschwin
digkeit durch die Adern zu peitfcken
.Mord!!!« schrillte es von draußen
herein und hallte in meiner Seele, wie
in tausendfachem Echo wieder.
Ein-en — zwei thbemzijge lang,
herrschte dann »wiederGrake5stille, ähn
lich dem abnungsvollen Schweigen der
Natur-, eb: der Orkan mit vollerWucht
seine Schwingen entfaltet, dann aber
brach es los! Thüren wurden aufgerifs
sen und zugeschlagen, und hunderte
von Stimmen schienen iaut zu werden,
wenngleich die Zahl sämmtlicher
Dausbewobner die Zwanzig nicht son
dertich überstieg.
Mit einer Behendigieit, welche ich
Mir selbst in meinen jungen Jahren
wohl niemals zugetraut hätte, warf
ich mich in die unentbehrlichsten Klei:
dungsstiicke. riß die Tbiir auf und
stürzte auf den Korridor hinaus, mit
kn unter die, denselben füllenden,
schreiendem erregt gestitulirenden und
nur notbdlirstig bekleideten Menschen
»Was ist geschehen?! Wer ist ermor
det?« Das waren die Fragen, welche
immer wieder aufs neue an den mit
fchlotternden Gliedern und todtenblei
chern Antlitze dastebenden Aufwärter
gerichtet wurden.
Noch immer unfähig zu sprechen,
wies derMann nur mit stummer Gefte
nach der weitgeössneten Thür meines
Nachbarzimmers.
Jch war der erste, welcher sich end
lich ermannte und die Schwelle dessel
ben überschritt. Und ich über-sah nun
seit einem ein igen Blick das furcht
bare Geschehni , das sich im Laufe der
Nacht abgtipielt baben mußte: Jn der
Mitte des Gemach-es lag, mit dem Ant
tis nach oben, meinNachbar Joe Bart
letz, lang ausgestreckt aus dem Boden
Sein Gesicht zeigte den Ausdruck höch
sten Entsetzens, den die bereits einge
trtene Leichenftarre in unheimlicher
Weise festgehalten hatte. Die rechte
Hand rubte trampfhaft geballt auf der
Brust neben einer Wunde, in welcher
ein dplchartiges Messer bis zum hefte
Mie. und über die Füße des offen
bar Ermordeten weg, lag ein Stuhl,
den er jeden-falls im Fallen mit um
gerissen hatte.
- Ringsherum hatten sich die mittler
wseile ebenfalls eingetretenen Hausbe
Mr gruppirt und umstanden nun
in fcheuern Schweigen die Leiche. Nur
- Mstet Datosom der hausbesitzer,
lenkte in einer instinktivenAufwallung
M Ordnungsgefübl den Stuhl ent
und auf die Beine stellen, als
ipt in den Arm fiel und mit ge
er Stimme bedeutete, daß alles
, wie wir es vorgefunden, zu belas
T Bitte, bis der Korvner mit der
Wktommisston eingetrean sei.
- III-tosen gehorchte, da er einsah, daß
I in meiner Eigenschaft als Advotat
tät wissen mußte, was in solchen
f W zu thun, und was zu lauen feI,
III hoff mir schließlich auch, die an
Leute zum Verlassen des ZinI
Mk zu bewegen. Dann sandten wir
sit-Ich nach der Polizeimachftube und
M bis zur Ankunft der Gerichts
ifston, im Flüstern-ne alle Even
Gästen des grauenhaften Ereignis
bespkechend, vor der wieder gefchlof
Thüre Wache
M etwa halbftündigem Harten
Heu die Etwakteten ein und machten
K gsfagxeich an die Arbeit.
W Kote-net stellte var allem fefj,
der Tod durch das Eint-ringen der
Rockffe in’s Herz, und zwar sofort
. seit-I sei Während nun hierüber
, Staats-U aufgenommen wurde
fä- ein Keines bedendes
n eifring un Zimmer zu schaf
, Hi feinen lißig funkelan An
belåe Etsch des Mifnntesien Win
Medic-. maGte ek zsanz der-.
eikxs assch dem Wizdc fes
stspätßendez
Zuge-Kre- otfs dafän daß fut
kj TM M Meist-es »Es
it Mndekåm saß-abi
M et B M stei
I »Dan! der Anordnungen dieses
Herrn,« erwiderte derselbe, aus mich
weisend» «ia".
»Was-l auch mit vom Preuss« frag
der Kleine, rnich mit sein-en hellen Au
gen schars anblitzend
»So halb und halb,« erwiderte ich;
und dann mich darstellend, mit turzer
Verbeugung: »Nechtsanwalt Hoptins.«
«Detektioinspettor Marlow,« gab
der andere zurück. »Sie wohnen im
Hause?«
»Gewiß, seit einem halben Jahre.«
»Kannten Sie den Ermordeten?«
»Ob ich ihn kannte? Mein Gott. wie
man sich eben in einem Boardinahause
f tennen lernt —- wir sahen uns täglich.
» grüßten einander, und damit waren
s wir auch schon sertig.«
l Waben Sie aus irgend jemanden
! Verdacht?«
: »Nicht, daß ich wüßte.«
; »Hm — ein Raubmord scheint nicht
- vorzuliegen,« murmelte Marlow; da
siir sprechen sowohl der Zustand der
Zimmereinrichtung als auch diewei
» der des Mannes-, welche durch keinerlei
Durchsuchung der Taschen in Unord
nung gebracht erscheinen —- wie groß
ist Ihr Personal?" wandte er sich dank-.
an Dawson.
»Ich beschäftige gegenwärtig insge
samnit vier Leute.« berichtete dieser,
»und zwar den Aufwärter, der den
Mord entdeckte, eine Köchin, ein Stu
benmädchen, und dann noch ein zwei
tes, das ich vor einigen Wochen zur
Ausdilfe annahm-"
»Kann man die Leute sehen?« srug
der Jnspettor.
»Gewiß,« erwiderte Dawson, sich
umsehend, ,,hier sind sie ohnedies alle
—dieser ist mein Aufwärter Jack,
Diese die Köchin hie-r seh-n Sie ha
Stubeninädcknn und — ah! Nelld ist
nicht hier!« unterbrach er die Vorstel
lung, »Nclln ist nämlich das c«tlushilfs3
miidchenf wandte er sich dann erläu
ternd wieder an ten Jnspettox
»So —- und von den Miethern ver
missen Sie niemanden?"« inauirirte
dieser weiter·
»Nein, meine Miether sind alle an
wesend,« bemerkte Dawson, sich aber
mals im Kreise umblickend
»Hm ——« machte Marlow, »e5 würde
mich ungemein interefsiren, diese ein
zige, trotz des durch die Entdeckung
des Mordes jedenfalls entstandenen
Lärmeå, nicht anwesende Person ten
nen zu lernen! Wo schläft das Mäd
chen?«
»Ich wies ihr ein Kämmerchen unter
dein Dachboden ari.« entgegnete Daro
son, .will übrigens gleich nachsehen
lassen, was eigentlich mit Nella los ist
denn von rechtswegen hätte ihr Dienst
schon begonnen — heda —
.,"Lassen Sie das!« unterbrach ihn
Marlowz wir wollen dem Fräulein
selbst einen Besuch abstatten, wenn —
n: —- wenn der Vogel nicht etwa
·ngft ausgeflogen ist!«
Sie meinen doch nicht etwa —«
stotterte Dawson.
»Ueber meine Meinung wollen wir
später sprechenf brummte der Inst-et
tor, »haben Sie vor allem die Güte
uns nach dein Logis dieser Nellh zu
führen, das Weitere wird sich darin
- wohl finden. Sie begleiten uns doch
l Herr Dottor2« wandte er sich dann an
finish, »m:in tann nie genug Zeugen
F und hauptsächlich rechtklundige
haben!«
l Jch bejahte und schloß mich derKom
mission an, welche nun, von Dawson
geleitet, ihren Weg nach deinDachboden
nahm. Vor einer niederen Thür machte
tiefer Halt; eh: er jedoch noch die Hand
auf die Klinke zu legen vermochte, tarn
ihm der kleine Jnspettor Zuvor, indem
Ier die Thür mit einein raschen Ruck
weit ausstieß und so einen unt-erwache
ten, insafseiiden Ueberblick des ganzen
Gemaches ermöglichte.
» Unsere Blicke fielen unwillkürlich vor
E allem auf das Bett, auf welchem in der
That Nellh, iii anscheinend tiefem
s Schlaf versunken, ruhte.
i Jnspettor Marlow legte uns durch
eine Gebärde Stillschweigen auf und
schritt allein an die niertwiirdigerweise
völlig angetleidete Schläfer-in heran.
Sein Blick glitt prüfend über sie hin
» weg, dann nickte der kleine Mann wie
in äußerster Befriedigung vor sich hin
lund rief nun ariz unvermittelt. und
; seine Rechte aus die Schulter des Mäd
J chens legend, mit lauter Stimme dessen
Namen
: Mit einein plöjlichen Ruck Fuhr
Nelly auf und starrte wie geistesabwes
send aus unsere Gruppe.
«Nelly,« fuhr.Marlow in gebieteri
Dem-Tone fort, zweihalb erfiachen L
me Mutes Damen-:- -
Nelly etdleichte bei diesen Worten
und stammelte einige its-zufammen
hängende Worte.
Antworten Sies« gebot Marion
energisch. Jedes Leugnen wäre nutz
Elos denn wir haben sämmtliche Be
Iweise in der Handl«
; Nun Lethe das Blut wieder allmäh
klich in die Wangen der anuitirten
tüel und sich erhebend sprach sie mit
Efester - Stimme: »Ich leugne es nicht!«
E Ein Murmeln des Staunens und
der Ungxänbiqfeit uniee den vor der
Thäe hakt-enden Hausbewvhnetn folgte
« diesen Wo sten. Jnipekioe Matlow
aber wendete sich mit triumphikender
Miene an unt. »Ich wußte es ja!«
sprach et zufrieden, nnd das Lächeln,
wäcka diesen Ase-Stuf begleitete, tsor
des freundlich-beengeer eines Kin
Iez ähniickz das ein vermißtes Spiel
zwg Sein-den haf.
.FEI—eD ift xe sichs möglich!«
rief Wem nachdem et, ßch von sti
W etth W, m da
CIW Its-sage
—
sbeltor, fast möchte ich tro des schier
unglaublichen Gesiiindni s meine
Hand fiir die Unschuld dieses Kindes
— denn ein solches ist Relly ia beinahe
noch —- legen. »
Thun Sie das lieber nicht!" erwi
dette der Deteltivinspeltor sartastisch.
.denn, wenn sie auch nicht sofort ge
fianden hätte, früher oder später ware
ihr doch nichts anderes übrig geblieben
—- hier ist das »Gott-us delicti«, wel
chesm ich gleich von Anbeginn auf die
richtige Tabrte brachte!" Damit hielt
er nu sein langes, blondes Frauen
haar entgegen, welches dieselbe Farbe
wie jene auf Nella s Kopfe aufwies.
Ich fand ej hinter einem Finger
nagel des Todten eingetlemmt,« fuhr
Marlow fort, »und wußte nun ali
bald, daß nur ein Weib die Thäterin
fein konnte, umsomehr aber. als kch von
der Abwesenheit der einen der beiden
Mägde hörte. Das eine überrascht mich
zwar, ganz offen gestanden, daß ich die
Mörder-in, statt ihre Flucht lonstatiren
zu müssen, im besten Schlafe hier an
traf!«
Bei dem Worte »Mörderin« war
Nelln zusammengezuckt, und wie fle
hend wanderte ibr Blick von einem zum
andern der Umstehenden Auch mich
traf er, und sonderbar! Statt daß ich
Abscheu empfunden hätte, stieg ein
nnendliches Mitleid in mir ans —
diese klaren, blauen Augen konnten
leinek gemeinen Mörderin angehören!
Irgend ein geheimnißoolles, absonder
liches Motiv mußte ihrer Hand!ungs
weise zugrunde liegen, das sie dazu
bcwogem eine so gräßliche That zu
vollführen Und, einem plötzlichen Jms
pulse folgend, trat ich vor Nellv hin,
während ich mit lauter Stimme iu den
übrigen Anwesenden mit den Worten
mich wandte:
»Was auch immer der Beweggrund
aewesen sein man, ich übernehme die
Vertheidigung! Sie sind doch damit
einverstanden?« frug ich alsdann das
Mädchen, welches nun völlig apathisch
vbr sich binstarrte. Aber erst meine
wiederholte Frage riß sie aus ihrem
Brüten, und rnit tonloser Stimme li
spelte sie endlich:
»Bei-ruhen Sie sich nicht. meine Her
ren —- ich bin bereit, meine Schuld zu
sühnen, und ich wünsche nichts sehn
licher als den Tod!«
»Ah. ob Sie den verdienen, wollen
wir denn doch erst sehens« rief ich
eifrig.
»Das zu untersuchen, wird Sache
des Gerichte-J sein,' bemerlte hier
trocken der zur Kommission gehörige
Untersuchungsrichter, welcher bisher
nur ein stumtner, aber desto aufmerk
samerer Zubiirer gewesen war. »Sie
alle,« fuhr er fort. »waren Zeugen des
freiwillig abgelegten Geändnifses.«
»Das war lein sreiwilliges Ge
ständniß!" unterbrach ich ihn. »Es
war eine Ueberrumpelung!«
»Ereifern Sie sich doch nicht zur Un
zeit, here DottorI erwiderte ironisch
der Untersuchungs-richten »Sie werden
vor der Jury Gelegenheit genug zu
Einspriichen haben —- das sent Nabe
liegendste ist die Verfassung des Pro
tololls, welches ich alle Anwesenden
mit zu untersertiaen bitte.«
Selbstverständlich hatte ich lein
Recht, mich dem nun einmal vorge
schriebenen Gange der Justiz zu wider
sehen und ließ daher den Dingen
ihren Lauf.
Bald waren alle Formalitiiten er
füllt und durch ein dichteö Spalier Von
mittlern-eile vor dem hause angesam
melten Neugieriaen wurde Nella zu
dem Wagen aeleitet, der die Mitalieder
der Kommission gebracht hatte, und
der sie nun dein Unersuchunasgefäng
nisse zufiibrte.
Am nächsten Tage fand ich mich
doetselbft ein und erbielt auch, nachdem
ich in aller Form erklärt batte, dieVer
iheidigung zu übernehmen, Erlaubniß,
die Jnternirte in ihrer Zelle aufzu
suchen.
Jch and sie in einem völlig Mathi
schen Zustand. Aus alle weine Fragen
gab sie nur kurze, ausweichende Ant
worten, denen absolut nichts Positier
für die Bertbeidiauna Günftiges zu
entnehmen war. Schon wollte ich da
ber für heute den Versuch sie umzu
stirnrnen, aufgeben und stellte als leite
Frage nur noch die, ob sie teine Ber
wandien besäfze, denen ich eventuelle
Mittheilungsen von ier zukommen las
sen könnte.
Und da war plohlich das Eis ge
brochen! Ein lonoulsivisches Schluch
zen erschüttern miteinennrkale den
zarten protoer. uno nm oem schmerz
lichen Aufschrei: »O, meine arme Mut
ter!« sank Nelly, das Antlitz in den
händen bergenv, auf den einzigen vor
handenen Stuhl.
Trotz meiner Ueberraschung über
diesen elementaren Gefühlsausbtuch
Sant- ich alsbald berubiaende Worte,
welche die beabsichtigte Wirkung denn
auch nicht verfehlt-en
,Jhte Mutter lebt hier?" frua ich
schließlich. Zur Antwort schüttelte sie
heftta den Kopf.
»Als-s nicht in der Stadt-— weiter
draußen, auf dem Landes« forschte ich
wester.
Aberrnals verneinte sie durch eine
Kopfbewegunz dann aber stieß sie die
Worte hervor:
»Sie lebt nicht mein-, vie Gute, die
Ein-Ege— He ift todt!«
»Waru- starb lief«
Besten-«
h Käf-e ; gestern-; tgich auf das
s et un un ei itig tauchte
f- este die WM auf, daß dieee
Todesfall nett des Weide-so se
»i- srk spa- Mse ess. sei-spal- ich
M W laden- nPt a sin
U—Wssee· Eis-Zeigt
snhr ich spri, »und um welcheStundei«
»Weiß ich’si« iru sie zurück. »Seit
gestern habe ich die «trechnung iiberg
haupt verloren —- ach, und nun wird
man sie zur lebten Ruh in’s Armen
grad betten —- allein —- Iiemand wird
sie leiten —- o, du, mein Gott!"
-in abermaliger inten ver Schmer
zensauihruch sol te die ern Ausrufe.
Dann aber faßte re sich und hat mich
mit fliegenden Worten, ihr nur den
einen Wunsch zu erfüllen: Dem Lei
chenbegängnisse der Mutter beiwohnen
und ihr dann Bericht zu erstatten.
Weiter begehre sie nichts, schloß sie,
und wolle dann gerne sterben, ja, sie
iehne vielmehr die Stunde der Verei
nigung mit dem Wesen, das sie allein
auf der Welt geliebt und fast wie eine
Heilige :erehrt, herbei.
Tem alten Sprichtvorte: »Schmiede
das Eisen. io lange es warm ist!«ge ge
mäß« versprach ich. ihre Bitte zu er
füllen, aher nur unter der einen Be
dingung, daß sie mir vorher den Be
weggrund zu ihrer gestrigen Hand
lrsngsweise mittheile.
Und nun entrollte sie vor meinen
Augen ein düstereg Lebensbild, welches
sich mit all seiner Tragit nur allzu oit
inden verschiedensten Variationen ab
spielt.
Nellys Großeltern waren reiche
L,eute deen größter ctolz nach ihren
Geldsäcken die einzige Tochter gewesen
Große und ehrgeizige Plane hatten sie
ickon lange geichmiedet eh-: das Miid
chen auch nur an die Grenze des hei
rathssiihigen Alters gelangt war. Ein
Herzog war noch einer der mindest
tsedentenden Gatten, welcke sie fiir ihr
Kind in Aussicht genommen. Aber es
sollte anders kommen, als si: sich’s
ausgemalt hatten.
Auf einem Ball lernte das junge
Möbel-en den Mann rennen, dem ihr
Herz vom ersten Augenblick an gehörte.
Ihm war ihre liebreizende Erscheinung J
Iusuu einig-sauern unu um getuiegmu -
Menschentenner auch ihre offenbare
Zuneigung nicht entgangen. Leider war
es jedoch tein Ehrenmann. dem sich die
bisher unberührte Blüthe in aller Un
schuld zuneigte, sondern eine jener
tluchroiirdigen Existenzen. welche mit
talter Berechnung von Minute zu Mi
nute auf den Moment lauern, der ib
nen ohne größere Anstrengung ihrer
seits, ein Vermögen in den Schooß
wpirft. Die Frage, ob die Mittel,
welche sie, wenn sie schon selbst dem
säumig-en Glück dabei ein wenig «na:b
helfen«. auch lautete sind, tommt da
bei für sie nicht in Betracht. »
Und einer jener strupellolen Aben
tiurer war auch Isoe Bartlen. Ueber
die vetuniäiren Verhältniss-: der Eltern
ron Nellhs Mutter war er bald im
Materi, ebenso wie über den von ihm
einzuschlagenden Weg, nachdem er zur
Kenntniß gelommen, daß man ihn auf
reauläre Weise niemals als Schwie
gersohn anertennen würde, was so
ziemlich gleichbedeutend mit der Ver
weigerung der reichlichen Mitaist war,
nach welcher doch in erster Linie sein
Trachten ing.
Er wu te daher das arglose, ver
liebte Mädchen dazu zu bereden, daß
er mit ihm floh, da er mit größter
Sicherheit daraus rechnete, daß man
ihm, um einen Etlat zu vermeiden, so
dann ihre hand in aller Form bewil
ligen würde. Sein Opfer wäre ihm
aber trohdem nicht gefolgt. wenn er
nicht gefchworen hätte, aus der ersten
Station die Trauung vornehmen zu
lassen.
Er hielt auch Wort — dem Anschein
nach wenigstens — denn in Wichtch
teit spielten nur einige Spieszgesellen
des Ruchlosen, welcher sich auf teinen
Fall aufs Geradewohl binden wollte,
die Rollen des Geistlichen und Frie
densrichters.
Bartlen hatte sich jedoch griindlich
rerrechnetl Statt den angeblich Ver
mählten zu verzeihen· oerstießen die
Alten das «entartete« Kind und über
liißen es dem Schicksal und dem ge
wissen-lasen Versuhrer, der sich dann
einfach aus dem Staube machte, nach
dem er noch hohnlachend den gespielten
Betrug geofsenbart. Mildthätige Leute
nahmen sich der Aermftem sowie des
Wesens an, dem sie einige Zeit später
das Leben schentte.
Recan Mutter besaß eine überaus
fromme Natur, und nachdem sie iiber
die ersten und hettiasten Seelentiimpse
hinaus war, suchte sie in ist-erschütter
lichem Gottvertrauen sich und die
Meine durch ihrer hände Arbeit fort
zubringen, was ihr denn auch recht
und schlecht gelang. Mit dem zuneh- -
menden Alter schwand jedoch ihre Ar- "
beitjiiihigleit dahin, und Nellh mußte
nun wacker Initverdienen, um die Mut
ter so viel als möglich zu entlasten.
Der nunmehr bejahrten gottesfürchti
gen Frau fraß aber der Kummer da
rüber, baß sie als »Mutter« mit ihrem
Möbchenncmen sterben sollte, unabläs
sig am herzen und brachte ihren ge
ichroächten Körper von Tag zu Tag
dem Grabe näher.
Nellh hatte mittlern-eile den Posten
als Anshilsemäbchen bei Damian an
getretem Vor wenigen Tagen fühlte
sieh ihre M fier dem Tod-e nahe und
enthüllie Nein das Geheimnis ihrer
Geburt, dabei als lebten Wunsch
äußern-, daß sie wenigstens im Tode
unter dem ihr gebührenden Namen
ruhen wolle. An dieser firen Jdee
hielt sie nnausgeseht fest und gab ihr
schließlich in den später eingetretenen
Fieberphantasien ununterbrochen herz
vergreifennen Ausdruck.
Rellh war rathloj. Da erkannte sie
kriege-Kern mii eitrnh ais-Freude und
san-see gemischt-:- Gesiihc is Js
ssrtleh ihres Beitr-er Mit Leicht er
SW MM trntsie. vorn Lager
W
der Sterbenden toinrned, vor den
Mann. gab sich ihm zu ertennen nnd
beschwor ihn, fein Vergehen gegen die
arme Frau wenigstens fest theilweise
gutzumachen, indem er sie im letten
Momente zu seiner legitimen Gattin
und ihr la das Ende leichter machte.
Der Schrift abvr lachte ihr geradezu
in’e Gesicht und belegte ihre Mutter
mit einem Namen, der das ohnehin
iiber Gebiihr aufgeregte Mädchen in
direkte Raserei versetzte. Das aus dem
Tische liegende Brodmeffer ergreifen
und Bartley in die Brust stoßenAoar
das Wert eines Augenblicks-. Röchelnd
bracher zufammen, während Nelly, wie
vrn Furien gepeitscht, nach der Woh
nung ihrer Mutter eilte. Sie fand aber
nur mehr eine Todte! —- lb von
Sinnen lehrte sie da in un er haus
zurück, begab sich auf ihre Kammer
und itarte dort regungslos vor sich hin,
bis sie in jenen lethargischen Schlaf
verfiel, in dem wir sie antrasen.
Tief erschütttert sprach ich der Ar
men Muth zu, als sie ihre Leidensge
schichte beendet hatte. Dann sorgte sie
aus eigenen Mitteln fiir ein würdiges
Begräbniß ihrer Mutter nnd dant
meiner flammenden Vertheidigungs
rede fällte die Jury vier Wochen später
ein freisprechendes Urtheil.
Sie dankte mir mit mildem Blick
i.nd wies jede weitere Hilfe sanft, aber
bestimmt ab. Ich verlor sie dann aus
den Augen. Als aber nach Beendigung
des Sezessionstrieges die Verlustliiten
publizirt wurden, fand ich in einer
derselben ihren Namen. Sie war als
Krankenpflegerin auf dein Felde der
Ehre gefallen und hat so tausendfach
geflitmt, wag sie in einem Momente
tier Verwirrung fast unbewußt ver
brachen.
Friede ihrer Asche!
H
Die Kosaken und die Kriegs
lckkcspcllccllchL
Eine heitere Episode aus PortArthur.
Von Adolf Hölleri.
Es war vor einem Vierteljahrr.
Port Aethur bot ein Bild der Ruhe
und Sicherheit. Jeder ging seinen ge
wohnten Geschäften nach. und nur das
rege Leben und Treiben der russischen
Soldaten. die fieberhaft an der Be
festigung der Stadt arbeiteten, erin
nerte, daß ein Krieg zwischen Nuß
iand und Japan im Gange sei.
Mittags lonnte man aus dem
Marltplatze Militärmusit hören, und
Abends tönte Gesang, Instrumental
und Streichmusit aus jedem Vergnü
gungslolaL
Die Kriegslorresponbentem die da
mals noch in Port Arthnr gut gelitten
waren, konnten ihren Zeitungen nicht
genug iiber bas schöne Leben in der
mächtigen Festung berichten und sie
wurden nicht müde, der Welt in allen
Sprachen zu vertiinden, daß Port
Arthur uneinnehmbar sei.
Die Zeiten und Ansichten haben sich
inzwischen allerdings ganz wesentlich
geändert. Die meisten Kriegstorre
spondenten mußten Port Arthur ver
lassen, und hinsichtlich der Einnahme
der Festung äußert man sich heute
skeptischer.
Jn einem großen Biergarten, der
zwischen der Stadt und den Festungsi
mauern liegt, war großes Konzert,
Volksbelustigungem Tanpergniigum
gen und Scheibenschießen, und der
Garten wimmelte von Kosaten,
Tschertessen, Kavalletisten undsnsaw
teristen, Pionieren und Train. Alles
trant nnd tauchte, sang und schwatzte,
lachte und scherzte, lolettirte und
tanzte. . . «
Jn dem bunten Wirrwarr siel be
sonders eine Gruppe Kosalen aus, die
russische Vollslieder zum Besten ga
ben, und ihre Gesangdstiiete mit Si
cherheit und Geschmack auösührten.
Das gab sitr die dort anwesen
den Kriegstorrespondenten prächtigen
Stoff, und so lam es, baß sich nach
und nach eine kleine Gesellschaft dieser
herren in her Nähe der Kosaten nie
verließ und ihren halb muthwilligen
und heiteren, halb traurigen und von
unendlicher Wehmuth durchwehten
Gesängen lauschte.
Unter ben Kriegslorrespondenlen
sielen besonders wegen ihrer grund
verschiedenen äußeren Erscheinung
zwei Franzosen aus. Der eine, lang
und dürr wie eine hopsenstanae. mit
blassen, leidenden Zügen und schwar
zen haaren, der andere dick und tagel
rund wie ein Biersaß, mit rothem,
-..t--L.«.-c--«- -t-«..-t:-a-.- m-k«t«s .
uuuquusuuuuy Heu-· ask-«- uu Visite-s
und dünnen, blonden Haaren Der
schlanke here hieß Utiabosse, der dicke
Montbtison.
Als die Kosaien zum Schluß die
russische Notionalhmnne sangen,
siihlte sich Urlabossr. dek damit seiner
Vetbkiiderung mit den Rassen Aus
druck geben wollte, veranlaßt, sich siik
den Genuß. den ihm die Kosoten be
reiteten, erkenntlich zu zeigen.
Mit dem den Franzosen eigenibiiw
iichen tempekanienivollen und theatra
lischen Wesen ging Urlabosse zu dem
Ditigenien und drückte ihm zwei Ru
bel in die händr.
Aber dieser hatte die beiden Silber
siiicke kaum gesehen und in die Taschen
qleiien lassen, oli seine Kosalenbrnsi
von dein Gefühle der Dankbarkeit
übersieötnte.
Er etsaßte den geneeiisen Spendek
bei den seinen and schlenderte ihn in
die Lust. singof ihn ans med, nntersiii i
von sei-III est-fischen Gewisshe
detiy werde der französisc- riesi
,
korrespondent Urlaliosse genöthigt, sich
6—8 Mal ln die Dishe swrrfen und
wieder auffangen zu lassen.
Vor Erstaunen und Einsehen völlig
verwirrt, fiihlt Urlahosfe endlich wie
der Boden unter den Füßen nnd dankt
seinem Schöpfer von bergen, denAiw
druch der losalischen Dankbarkeit
uverftanden zu haben.
Mit zerlnittertem hul, zerzaustem
Bart und wirrein haar lommt er bei
seinen Kollegen an und wird von die
sen mit einer wahren Lachsalve be
grüßt. .
Die Kofalen hatten sich von ihren
Dankbarkeitsaefühlen laum erholt,
als sich ein sei-mächtiges gelbesMänn:
chen, mit schwarzem haar und in der
Tracht eines Chinesen, an sie heran
schlich, dem Gesangsdirigenten drei
Nubel in die Hand drückte und ihm in
schlechtem Russisch zu verstehen gab,
daß dieses Geld von jenem wohlbe
leibten Herrn mit den blonden. dün
nen Haaren herrühre, der gleichfalls
von dem Wunsche beseelt sei, dieDanl
barleit und Ehrerbietung der Kosalen
in gleicher Münze zu empfangen wie
sein Kollege.
Jm nächsten Augenblick stürzten sich
die dankbaren, losalischen Seelen auf
den nichtgahnenden Montbrifon und
machten ihn —-— nolens volens —-- zum
Luftschiffer.
JedesmaL wenn der Ungliiitliche
wieder zur Erde lam, hörte man fein
Aechzen und Stöhnen, aber die Danl
barlcit eines Koialenherzens schließt
bekanntlich jede-:- andere Gefiihl aus«-,
und so mußte sich denn der dicke Fran
zose in’s Unvermeidliche schicken.
Als Montbcison die losalische Höf
lichleit überstanden hatte nnd ganz er
ichiittert, schweißtriefend und pustend
über feine Luftfchifffahrt nachdachte,
lam er auf den nngliicllichen Gedan
len, daß ihm die von seiten der Ko
falen bewiesene Ehre wohl nur deg
halh widerfahren sei, damit auch er,
wie sein Kollege llrlaboffe diri- gethan,
ihnen ein Trinlgeld gehe.
Um sich nun nicht geizig zu verhal
ten, und zu zeigen, daß er ein vierfach
größeres Gehalt von seiner Zeitung
beziehe. als sein ausschneiderischersioli
lege Urlabosse, schenkte er dem Diri
genten einen Zwanzigrubelschein . . .
Aber jetzt bra die Freude der Ko
saten rnit wilde Macht hervor. Sie
ergriffen das unglückliche Opfer ihrer
Dankbarkeit und warfen es immer
wieder von Neuem in die Lust, so daß
der in dieser Weise geehrte und ge
ängstigte Montbrison lieber eine Fahrt
in den Taktart-s, als diese unfreiwil
lige himmelfahrt gemacht hätte.
« Als er spät Abends nach Hause ging
und diesen Vorfall in der richtigen
französisch-russischen Beleuchtung sei
ner Zeitung schrieb, tonnte er es doch
nicht unterlassen. am Schlusse seinem
Artikel beizufügen:
«Liindlich, schändlich!"«
Das Schönste aber iomrnt noch. Die «
damals in Port Arthur erschienene
und und auf Packvapier gedruckte Zei
tung machte zu dieser seltsamen Bege
benheit die Vemertung: »daß man
noch nicht positiv davon überzeugt sei,
ob sich die tosatische Höflichkeit und
Dankbarkeit tm Allgemeinen wkctlieh
in dieser ttlrt äußere, oder ob sie nicht
vielmehr von russischtn Ossizieren ver
anlaßt worden sei, urn den nicht allzu
sehr beliebten Kriegstorresvondenten
einen Schabernack zu spielen.«
»Daß aber,« schrieb das genannte
Blatt, »der kleine schwarzhaarige, get
be Chinese tein solcher, sondern ein ja
panischer Spion gewesen sei, möchte eg
mit sicherer Gewißheit behaupten....
-
Der ättette des-steter des Orde.
Vor einigenJahren hatte derSchwies
aersohn Karl Hagenbecks von einer rie
sigen Schildtröte gehört, die auf einer
der Sehchelleninseln bei Madagaolar
von den Eingeborenen verehrt wurde.
Diese ehrfiirchtige Anbetung brachten
die Leute dern Thiere dar, nicht nur«
weil es ungeheuer groß ist ——-ett wiegt
970 Pfund —- sondern anch, weil es
dotumentarisch erwiesen ist« daß die
Schildtriite schon wenigstens 150
Jahre lebt, wahrscheinlich aber noch
100 oder 150 Jahre älter ist; denn
wenn die Eingeborenen vor 150 Jah
ren zuerst die Schildkröte wegen ihres
Alters verehrten, so muß sie doch
schon sehr betagt, also wenigstens 100
Jahre alt gewesen sein-. Das läßt sich
auch aus dem gewaltigen Panzer des
Thieres schließen. Nach großen Mühen
gelang es Dagenbeet selbst endlich, das
Thier auf die Weitausstellitna von St.
Louis at- briuaen. doch muckte den
Eingeborenen die feste Zusicherung gei
geben werden, diese Heilige Sehen
würdigtest wohlbehalren nach den
Seychellen wieder zurückzubringen
Als Hagenbeck das Thier feind wuchs
ein Nein-r Paimenbaiitn auf feinem
Rücken. Die Schild-trink liebt den
Schlamm und fo ist es wahrscheinlich,
daß Erde in eine tiefe Narbe ans ih
rem Rücken hineinkam, in der sich auch
Samen eines Brunnens-Damms befand,
und daß in diesem Erim-ich der Baum
wuchs, Wurzeln same und zu einer
Zwisfcn Große gedieh. Das Thier
sitt beirs Stiche streift-. Jn feinem
starken Käfig. ir- dem ee auf die
Weltaussreilung gebend-i wurde, ward
ei un ebuidig und zerbrach dabei mit
Leicht gkeii die sehr festen Dolzfiöbh
—-—-- b-—
. Rauche Menschen haben ein-as von
M Sei-Meinte- , : Es kommt nie
M West pen.