Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, September 30, 1904, Zweiter Theil, Image 14

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MI----"--s—-s-- fss -— . - . -
« lso dak isi Ihr Töchterchen, Frau
Ustroivstyl Komm doch näher. mein
kleines Mädchen, gib mir die Hand!
So! Möchtest du mir auch einen Kuß
,geben?«
n9"tein!'« entgegnete Hanna leise,
aber sehr entschieden.
Sie war kein zärtliches Kind —
nnd gar sich von fremden Leuten tits
sen zu lassen, war ihr ein entsetzlicher
Gedanke.
Die um den Kasfeetisch versammel
ten Damen lachten. Frau Piotrotosty
sah verlegen aus und wurde roth im
Gesicht.
»Aber, Hanna, Oanna!« mahnte
fie. »Schictt sich denn das?«
»Ich —- ich soll doch nie lügen,tvenn
mich einer fragt!« murmelte das Kind
gesenkten Hauptes. Auch die Augen
waren gesenkt, die Oände zupsten an
der blaßrosa Schaum
»Nun laß nur, Klein, es schadet ja
nichts!« sagte die Dame, die um den
Kuß gebeten hatte. .Die Wahrheit
muß man immer sagen, das ist schon
richtig!«
»Geh’ ins Kindertimmer zu Fräu
lein —- geh’!« gebot Frau Piotrotostn
Hanna that das ganz gern. Sie
hatte sich eigentlich aus «Mamas Da
menlasfee «und auf das Gutentag
sagendürfen gefreut, aber die Wirklich
teit fiel gegen diese Vorsreude merklich
ab« Es war gar nicht schön, sich von
io vielen Auaenvaaren —- manche von "
ihnen waren sogar mit Brille oder.
Kneifer bewaffnet —- mustern und sich J
so viel ausfragen zu lassen. Nuns
wollte man sie .gar noch tüfsent Und
so fremd waren ihr die Damen alle!
Kein einziges bekanntes Gesicht! Han
na’s Eltern waren erst vor turzer Zeit
nach München gekommen, der Bekann
tentreis war ganz neu.
»Wenn Frau von Helldorf kommt,
lasse ich dich wieder rufen —- ihr mußt
du jedenfalls guten Tag sagen!«
Frau o» Helldorf war die Gattin
des technischen Direktors, in dessen
abrit Herr Piotrotvsty vor Kurzem
beringenieur geworden war.
Hanna tnickste mit gesenttem Blick
und zog sich zuriick — sie lief mehr,
als sie ging.
»Aber die· Kleine sieht Jhnen gar
nicht ähnlich. liebe Frau Piotrowsly!«
bemerkte eine der Damen in verwun
dertem Ton. »Weder Ihnen, noch
Ihrem herrn Gemahl!"
Diese Aeußerung hörte das Kind
noch, nicht aber die Antwort seiner
Mutter. ,
Jm sogenannten »Qinderzinimer«
saß «Fräulein«, noch aus Dortmund
mit herübergetommen, blaß, bleich
siichtig, engbriistig, indifferent aus
sehend. Fräulein sollte der Hausfrau.
die häufig trank war, in der Wirth
schaft helfen, sollte Eintiiufe besorgen,
Dandarbeiten machen, ein wenig vor-’
lesen, außerdem sollte sie Hanna de
aufsichtigen.
Leßtgenanntes Amt wurde ihr leicht
gemacht. Das achtjährige Kind war
ruhig und verständig, es verstand sehr
gut. sich allein zu beschäftigen und
war selten ungehorsam. Jn sich gekehrt
und nachdenklich, oon ausgesprochen
grüblerischer Eigenart, war Hanna
Piotrowsty fiir ihre Umgebung das,
was man »ein bequemes Kind« nennt
—- es mußte sie nur nicht die Lust zum
Fragen anwandeln geschah das,
s- knnnts si- nnslmd word-n
Fräulein saß da und häkeltr. Fräu- i
lein häkelte eigentlich immer. sie nahm
es mit ihren übrigen Obliegenheiten
nicht genau. Wozu war denn das
Dienstmädchen da? Und Frau Pio
trowsky that auch gern allerlei in der
häuslichkeit, wenn sie sich einigerma
ßen wohl fühlte. Jeder Mensch hat
sein Steckenpserd, seine stille Leitm
schasi ——— vei Fräulein rvar es das Hä
leln.Neue Muster auszuprobiren, aus
zwei oder drei alten Mustern ein vier
teö zusammenzustellen, die verzwickte
sten Dessins nachzuahmen, das war ihr
Lebenselement. Was in ihrer eigenen
Garderobe, in der von Frau Pio
trowsty und von Hanna, was in
Tisch-, Haushaltungs- und Bettwäsche
mit Väteleien versehen werden konnte,
das hatte Fräulein redlich zustande ge
bracht —- es war das einzige Feld der
Jhäiigteit. aus welchem sie Mariens
mrthes leistete, und in Dortmnnd
hatte man sich allgemein gewundert,
weshalb Frau iotrowsly diese Sä
lelmaschine irn anse behielt und be
soldete. Thatsache war, daß Fräulein
Lilie arm. sehr kränklich war und in
Welt ganz allein dastand —- sie
that ihrer Prinzipalin leid. »Wi- soll
P hin, was soll ans ihr werden. wenn
ich sie entlasse?"
Fräulein hatte eine Nummer des
Fast-K aufgeschlagen oor sich liegen
M bliebe Felegentiich hinein. hanna
Ists einenkaschenBliel aus dies wohl
, Man-te Bild, ging in die entgegen e
« Leb Ecke des Zimmeri, öffnete Ihr
,Wseckchen und kniete davor
M irr-va- skis M ka- sk
s seid-Juki sei-W
kjtisiss III-MS
Gleich den meisten kleinen Mädchen
hatte auch Hanna eine große Vorliebe
sitt hochtiinende Namen, ihre Puppen
hießen niemals Marie oder Anna.
Mit seinem eigenen Namen war das
Kind sehr unzufrieden. Hanna — das
war gar nichts! Hanna konnte jedes
beliebige Mädchen heißen!
»Mama hat rnir Kuchen mitgeben
wollen, und das hat sie ganz verges
sen!« bemerkte jetzt das Kind halblaut.
«Acht —- neun — zehn — els!« kam
es vom Fenster zurück. Nach ein paar
Minuten hieß es plößlich: »Was hast
; du gesagt?«
I »Daß Mama meinen Kuchen ver
s gessen hat! Und deinen auch! Wir soll
i ten alle beide welchen haben."
.Sechs Stäbchen — drei Lustwa
schen — du wirst ihn schon bekommen!
Mama ruft dich gewiß noch einmal
- herein! Acht Stäbchen —«
»Ja, wenn Frau von Helldorf
kommt, soll ich noch mal hereingeholt
werden! Ob ich Arabella das blaue
Kleid anziehe oder das weiße?«·
Es erfolgte keine Antwort. Hanna
wunderte sich weiter nicht darüber.
Wenn sie Fräulein bei sich hatte, war
sie eigentlich immer nur aus sich selbst
angewiesen —- beim Lernen, wie beim
Spielen- Sie plaudekte leise zu ihrer
Puppe —- getrost hätte sie laut spre
chen dürfen, Fräulein war sür die
Außenwelt nicht zu haben Eben war
Uraveua in das weiße Kleid gesteckt"
und ihr üppig gelocktes Flachshaar
mit einem großen Federhut getrönt
nämdem als die Thür sich hastig auf
t at. «
«Komni jetzt herein, Hannm Frau
von helldorf ift da! Steh still, ich
muß erft dein Kleid und die Schleife
glatt zupfenl Wie das alles wieder
zerdrückt ift! Sie hätten doch nicht lei
den sollen, Fräulein, daß Hanna im
mer am Boden kniete!«
Die Mutter war mit dem Kinde
an der hand fchon zur Thür hinaus,
als vom Fenster her eine erfchrockene
Stimme ertönte:
»Was haben Sie gesagt, gnädige
Frau?«
Jm Salon faß Frau v. Helldorf
groß und breit auf dem neu ange
fchafften Sammtfopha. Die Dame
trank mit Behagen Kaffee mit sehr
viel Schlagfahne datin und hatte ver
schiedene Kuchenforten auf ihrem Tel
ler liegen. Zwischen dem Essen .und
Trinken fand sie immer noch Zeit« fehr
lebhaft zu plaudern und den Anwe
senden gute Lehren zu gehen, wie sie
alles einrichte, wie ihr Verfahren das
befte fei und so weiter. Sämmtliche
Damen hörten ihr mit einer gewissen
bewundernd-en hochachtung zu.
Hanna wurde präsentiri. Der Vor
trag wurde unterbrochen.
Frau v. Helldorf hob ihre perlmut:
tergestielte Lorgnette an die Augen«
»Komm daher, kleines Mädel, laß
dich anschauen! Einziges Kind alfol
a, da wirft du schön verwöhnt fein!
Bei mir gibt’s das nicht —- ich hab’
fechfel Sechfe hah’ i S« Sie lachte be
haglich. »Da heißt’s gehorchen! Wie
ift doch schon dein Name?«
»Dann«
»Nun, Hanna, du wirft bald einmal
lornmen und Elsa und Frida und
Gretchen besuchen, was?«
»Wenn ich darf!«
»Ah, was denn! Darf! Zu Hell
dorfs Kindern darf jedes Kind zu Be
such kommen —- jedest Nein aber
meine liebe Frau Viotrowstn. laaen.
Sie mir blos schon, wie kommen Sie
eigentlich zu dem Mädel —— was? Das
ist ja weder der Vater noch die Mut
ter!! Aber auch keine Spur! Total
ein anderes Gesicht! Was sagen Sie,
meine Dame-ji«
»Frau Wolff hat es auch schon be
merkt!« —- ,,Jch auch!« —- «Jch auch!«
Eifrige Stimmen wurden laut, die es
alle auch bemerkt haben wollten·
Die kleine, rundliche, hlonde Frau
Piotrowsky war ganz roth geworden,
sie erröthete überhaupt leicht.
»Ja — das ist — das ist ——« stot
terte sie verlegen, »das hat man mir
schon «manchmal gesagt. Hanna ist
wirklich — sie hat wirklich ihr Gesicht
ganz für sich —«
»Wenn sie denn noch wenigstens
ihrem Vater gleichen möchte!« Frau v.
helldorf blickte immer noch durch ihre
Lorgnette vorwurfsvoll und mißbilli
gend auf das Kind« »Aber auch das
nicht! Kein Gedanke dran! Wo hat sie
die Augen her und den Mund? Und
braune haare hat sie! Just braune!
Sie sind doch ganz hellblond, und der
here Gemahl, der isi pechschwarz!«
«Man findet das doch« zuweilen,
daß Kinder nicht ihren Eltern glei
chen.« nahm Frau Wolss in hegiiti
gendem Tone das Wort. »Ich weiß
von Fällen. wo irgend eine Seitenlinie
—- eiae Tante oder —- oder —
»sch, was denn —- Seitenlinie!«
Iran v· W fette sich entrüstet
auf M Sophaplas zurecht. »Ein
Mhat satte und Mutter ahnlich
M Saaten und Sei
AMIe Elsa und Frida und
W. H N III-es- Jeise De
;-.,-- DLYYHM Z -- -- . · - , » »»,U«» .
men: das isi alles ein Oesichti Alles
ein Gesicht! Und mir wie aus den
Augen gerissen alle drei Mädels —
a «
Es erbob sich tein Widerspruch wei
eir, nur ein dämpftes Gemurmeh
das vielleicht wunderung einer so
derdiensivollen Dame, die ein solches
Kunststück zuwege gebracht hatte, aus- .
drücken sollte.
»Mein Mann ist immer anz ge-;
rührt, wenn er die drei Mädels an-?
schaut. «Alturat wie wenn ich dich im
Spiegel seb’, Aloisia,« pflegt er zu sa
gen. Wie alt bist du denn, Hanna Pio
trowsty?«
»Acht Jahre und acht Monate!"
»Just so alt wie meine Fridai Aber
die isi kleiner — heb’ mal den Kopf
hoch, Kind! Ja, meine Frida ist wirt
lich kleiner! Das Mädel. das wächst
Jhnen noch mal über’n Kopf, Frau
Piotrowsly. mein Wort darauf!"
,,Schon möglichs! Hanna schießt
unglaublich schnell in die höhe. Die
vorjähtigen Kleidchen hab’ ich alle
wegfchenten müssen, so gut manche
noch waren. sie reichten ihr nicht ein
mal bis zum Knirs«
»Ach, was denn —— wegfchenten!«
tadelte Frau v. Helldorf. »Das gibt«s
nicht bei mir! Was rser Elsa zu lurz
ist, trieth halt die Irida, und was die
Frida auswächsi triegt halt die Gre-—
tel —- immer hübsch die Reihe herun
ter!«
Sie nahm einen großen Schluck
Kaffee mit Schlossaan lachte, fah
sich selbstgeiöllig im Kreise herum und
wischte sich bebaalich den Mund mit
der Serviette.
»Wenn man nur ein Kind bat, kann
man nicht die Reihe beruntergelien!«
erlaubte sich Frau Piotrowsty zu be
merken —— sie fand Frau v. Helldorf
entsetzlich einfältin met- instin
»Lieber Gott« ja! Ein einziges Kind
ist immer ein Unglück! meinte die
Dame im Brustton der Ueberzeugung.
»Nun lauf’ nur spielen, du Möbel mit
dem wunderlichen Gesicht!«
Hanna war glücklich endlich vor.
der Tortur dieser Fragen und Blicke
erlöst zu fein. Sie nahm sich taum d«e
Zeit, den Kuchentellen den die Mutter
ihr jetzt mitgab, auf seinen analt zu
prüfen — wie der Blitz war sie aus
dem Zimmer.
Fräulein fah verwundert von ihrer
hälelei auf, als Hanna ungestüm in
die Kinderftube gelaufen lam, den Tel
ler mit dem Kuchen achtlos beiseite
ftellte, und«auer über die Diele zum
Spiegel stürzte, oor welchem sie Posto
faßte, um angelegentlich bineinzufehen
»Iiinfmal umtchlagen —— fei doch
nicht so eitel, Hanna! Sieh doch nicht
in einem fort in den Spiegel! hat dir
vielleicht eine von den Damen, Mama
zu Gefallen, gesagt, dasz sie dich hübsch
findet?«
Fräulein fand es fiir gut, auch ein
mal piidagogisch zu wirten, sie hatte
aber tein Glück damit.
»hiibfch? Ach wo, ist leinem einge
fallen! Aber — aber —- Fräulein, sag’
du mir: hab’ ich denn ein wunderliches
Gesicht?"
»Wunderlich? Vier Stäbchen. zwei
mal umschlagen ——"
»Du sollst nicht immer zählen, du
sollst hören, was ich dir fage!«
»Ich höre ja! Vier Stab-«
»Leg’ doch einmal dein dummes Hä
telzeug weg und sieh mich an.«
»Dummes Hätelzeug — wie paßt
sich das fiir dich, hannas Warum bist
du so aufgeregt? Wer hat dir etwas
gethan?«
«Weil sie doch alle sagen, ich feb’
ganz anders aus wie Papa und
Mama!«
Dem Kinde waren die Tbränen
nahe, es starrte immer noch mit
schmerzlicher Miene in den Spiegel.
»Na, das schadet doch nichts! Wenn
ein Kind nicht trant ift und nicht häß
lich —« I
Ell-! ei will in missen-n mis
meine MEmss Jch will so aussehen- I
Hanna rief es mit leidenschaftlicher
heftigteit und stampfte mit dem Fuß
auf den Boden; sie war sehr selten er
regt, kam es aber einmal dazu, so
wurde ihr ganzes Wesen bis in seine
Tiefen durchgeriittelt.
Fräulein zuckte zu diesem kindischen
Ausspruch die Achseln und hätelte wei
ter.
«Findeft ——— findest du auch, daß ich
aanz anders bin wie Mama und
Papa?« fragte das Kind nach einem
Weilchen in etwas gemäßiateremTonr.
»Ja, das finde ich! Du hast andere
Augen, einen anderen Mund, anderes
Haar, eine andere Figur — einund
zwanzi —- zweiundztvanzig —«
cha du so wag oft gesehen » ich
meine, daß die Kinder anders sind wie
die Eltern?«
»Oft nicht -—— nein —- aber es
kommt schon zuweilen vort«
»Und —- und —— wie kommt es, daß
ei vorkommt?«
»Ja —- tvie tann ich das wissen?
Drei Schlengmaschen, neunzehn Stäb
n —«
Das Kind seuf te ungeduldig; hier
gab es keine Aufklärung, das hätte
man irn Voraus wissen können! Wie
der blickte hanna Pietrowsty auf
merksam in den Spiegel.
Was sah sie dort?
Sie sah eine schmächtige, eckige«
schlank aufgeschofsene Gestalt in einem
eleganten rosa Meidr. Arme und
Schultern waren entblößt, mager,
aber sehr weiß. Weiß war auch das
kleine Gesicht mit den rohen, intensip
W IM- die sei n« sehr ernst
ihn-me Dur naschen km fein ge
formt, der Mund. mit fehe kurzer
Obeerpe, fast immer wie fragend ein
wenig geöffnet. Sehr dichte-, weiches
braunet Zank fiel, der Damengefell
ichaft zu hren, auf eliift und in leich
ten Locken auf die ltern herab.
Vanna war nicht ohne Eitelkeit. Sie
wäre gern sehr hübsch gewesen. Jn
Dortmund hatte man sie zuweilen ein
hübsches Kind genannt — sehr oft
war es nicht geschehen, und sie selbsi
war gar nicht von der Wahrheit dieses
Ausspruchs überzeugt. Mama war
hübsch — ja ganz gewiß! So blond
und so rosig und so freundliche helle
Augen! Papa? Wie sah der eigentlich
aus? Tief brünett —- »polnifcher Th
pus« sagten sie immer, er war ja auch
aus Polen zu Hause — mit feurigen
schwarzen Augen Hanna fand ihn
nicht hübsch, aber Männer brauchten
auch gar nicht schön zu fein, sagte die
Mama immer.
Ach, was alles ging dem Kinde
durch den Kopi! Wenn es nur erst
seine Mama wieder hätte, alles mit ihr
bereden, sie fragen, ihr klagen könnte
— Würden denn diese »schrecklichen
Damen« mit den Augenglöiern und
den neugierigen Blicken noch lange
bleiben? Würden sie niemals fortge
hen?
O
»Mein Mamachen? Mein’5? Mein·2
ganz, ganz allein, ja, du? Ja?«
»Meine Schmeicheiiatze. die du bist!
Aber gewiß! Weisen Mama denn sonst
noch? Jch hab’ teine Elsa und teine
Frida und keine Grete außer dir ——«
»Und sollst auch keine haben! Und
sollst auch nicht!«
Hanna schlang beide Arme um den
Hals der Mutter und preßte sie unge
ftfim nn Heft .
Das Kind saß inr langen weißenl
Nachtlleid auf Frau Piotrowsirfs
Schooß. Jeden Abend hatten die bei
den ihr halbes Stündchen so fiir sich.
bevor Hanna einschlief, oft wurde auch
eine ganze Stunde daraus. hanna
freute sich in aller Stille den ganzen
Tag darauf. Das war so wonnig, eng
umschlungen von Marnas Armen auf
Mamas Schooß zu sitzen oder im wei
chen Bettchcn zu liegen und Mamn saß
dicht daneben, des Kindes Hand in der
ihrigen. Da konnte man sich alles vorn
Herzen herunterplaudern und fragen
—- fragen, so viel man wollte. Da saß
tein Fräulein mit einer ewigen hätelei
in der Nähe, tein Dienstmädchen steckte
den Kopf zur Thür herein und wollte
etwas wissen höchstens iam Papa
siir ein Weilchen ins Zimmer, um sei
ner Tochter einen Gutenachtlusz zu ge
ben. hanrm war sehr stolz daraus,
daß sie hier in München allein schlafen
durfte; in Dortmund hatte sie mit
Fräulein das Zimmer getheilt. Hier
schliefen die Eltern nebenan, das war
auch solch ein hübsches Gefühl, Mama
so nahe zu wissen.
»Komm, HannasWeibchem laß dich
jeßt von mir ins Bett stecken! Du er
tälteft dich sonst!«
»Ach, noch nicht! Jst ja ganz warm!
Sitzt sich so schön! Du, Marna« nicht
wahr, Frau von Helldors ist ganz
dumm?«
»Kindckfen, es schickt sich gar nicht
siir dich, erwachsene Menschen so zu
beurtheilen!«
»Und wenn es sich schon nicht schickt
wahr ist ed doch! Und zu Elsa
und Frida und Grete will ich nicht!«
»Das können sehr liebe, nette Kin
der seini«
»Na, wenn sie so sind, wie ihre Ma
ma, dann schon nicht! Und sie sollen
ja alle drei ganz egai aussehen und
ganz wie ihre Mutter. So was Lang
weiliges und Dummes -— immer ein
und dasselbe Gesicht!«
Eingehen wirst du müssen,Mensch
ieinl Du weißt, Herr von helldorf ist
Papas Vorgesetzter, da miissen die Ia
milien Umgang haben.«
»Na ich denk« immer ich werd’ de
nen gar nicht gefallen dann laden sie
-:1-4 ca J
IIIIW III-» llkujl VII cul« Du "·"- »IU«IU:
chen« « Hanna verbarg ihr kleines
Gesicht an Frau Piotrowskh’s Bruft
und sprach fo leise, daß die Mutter
fich tief herabneigen mußte. um sie zu
verstehen —- »das -— das fchadet doch
nichts, daß ich fo anders ausfrhe wie
du und wie Papa?«
»Schaden? Was heißt das? Was
meinst du?«
»Weil doch alle die Damen heute
sagten, ich hab' mein Gesicht ganz fiir
mich, und weil Frau voll Helldorf ge
rade fo that, als tönnie ich was da
fiir darum!«
»Mach’ dir nur teine Gedanken da
rüber, Kätzchenl Wenn du artig und
fleißig bift —«
»Ach, das hilft mir gar nichts zu
meinem Gesicht! Du — Mamachen —
lann ich vielleicht mal später, wenn ich
größer bin. fo aussehen wie du oder
wie Papa?«
»Warum wünfcheft du dir das fo
fehr?« «
»Weil ich nicht haben will, daß da
fo fremde Menschen kommen und fa
gen, ich feh’ wunderlich aus! Wunder
lich. das ift fo viel wie häßlich— hrn ?«
»Aber nein, du dummes« kleines
Ding! Häleich ift doch meine hanna
nicht! Kein Gedanke dran! Frau von
helldorf nennt dein Gesicht deshalb
wunderlich, weil es ihr auffälli, daß
du uns Eltern nicht ähnlich siehst, wie
die meisten Kinder --«
«Siehfi dul Siehst du! Die Ineifken
Kinder thun es! Warum blos ich
nichts« ,
-.« »Es-E isz «-- HI
i t I til
its-M- QFXÆ XII-»Er «
»Wollen lieber von was anderem
reden, jai Wie hat dir denn der Ku
chen geschmeckt, den ich dir mitgahi
»Ach, danie, sehr gut!«
»Was hat denn Fräulein dazu ge
sagti«
»Gut nichts! Sie hat gehätelt!«
hanna antwortete mechanisch —
ihre Gedanlen waren nicht bei dem,
was sie sprach.
»Guten Abend, Weib und Kind!«
lam eine tiefe, sonore Männerstimme
plöhlich von der Jhiir her. »Ich stehe
hier schon eine ganze Weile und lau
sche, aber kein Mensch tiimmert sich
um den Hausherrn. Alles gut abge
laufen. Dota, mit deinem e«Damentas
see? Nicht zu viele Klaischgeschichten
erzählti Seid umschlungen, Millionen
— diesen Kuß der ganzen Weltt«
here Arnald Piotrowstn war so
groß und start, dasz et seine kleine,
zierliche Frau wie ein Püßßchen hätte
aufheben und davontragen können,
was er, beiläufig gesagt, auch wirklich
zuweilen that. Aus dem pechschwarzen
Haar- und Bartgestriipp schimmerten
ein paar grundgute, meist schelinisch
blickende Augen, lachten zwei Reihen
blintender weißer Zähne hervor.
Herzhaft küßte der Hausherr die
beiden ab.
»Es ist alles ganz gut gegangen,«
berichtete Frau Dota. »Die Ti;eres’
bat sehr nett servirt, alles Eß- und
Trinibare war wohlgeratben —«
»Na —-—- und die Weiber Pardon
—— die Damen wollt’ ich sagen wie
gefallen dir die?«
Die Gattin warf einen sprechenden
Blick aus das Kind und schüttelte ab
mahnend den Kopf.
»Staat«-, Arnald, später!«
»Mir gefallen sie gar nicht s— keine
einzige!« rief hanna sehr energisch
dazwischen.
»Nun hör’ einer den Getbschnahel
an!« rief der Hausherr aniiisirt. »Der
Menschentenner in der Westentasche!«
Entsetzng solgt·)
Op-— —
Use-users delete Zittern-.
Deutschland war in Noth, die Na
tion war tathlosJ es fehlte eine natio
nale haartrachU Sollte man den
chinesischen Zopf acceptiren? Nein, das
ging doch nicht an; das WortspieL
daß noch so Manches ,.«z·o"psifch« sei im
Deutschen Reiche, läge zu nahe. Die
Annahme des französischen Knebel
dartes aber hätte seitens Frantreichs
als gar zu weitgehendes Entgegenkom
men aufgefaßt werden tönnen uns
diplomatische Schwierigkeiten wären
die nächste Folge gewesen! Vielleicht
gar den Etwa-Bart topiren?! Nein,
das wäre wieder zu spanisch gewesen.
Biele Gründe sprachen auch gegm die
Einführung der »Qld Fashion« des
ofterreichischen Raiserbartes. —Kurz:
Deutschland war in Notht Da tam ein
Beseht »von oben« tin Deutschland
tommt Alles, das Gute sowohl als das
Schlechte »von oben«) nnd die Weisen
les Landes sedten sich hin und sannen
uber eine deutschnationale Haar: oder
Barttracht. Und sie sonnen und san
i.en und tranken dazu viet Bier und
hielten viele schöne und geistreiche Re
den und endlich hatten fie’s gefunden
. . einen schönen lateinischen Na
r: en siir die künftige Barttracht und
auch eine sieben Zoll lange Formel
i-czu, aber die Fashion selber fehlte.
Da faßte Gerinania ein namenloses
Weh: eine Nation ohne eigene Bart
tracht tonnte doch unmöglich zu den
Ersten gezählt werden. Fortuna hatte
ein Einsehen! »Es ist erreicht« wurde
in Francoiö Hadifs Gehirn geboren,
,«es ist erreicht«, die uniibertroffene,
himmelwärts starrende, deutschnatio
nale Schnurrbarttracht. »Ach Vater
land magst ruhig sein, Hahn schloß
die Noth und Peini«
Und hady se te sich hin und täniinte
Bärte iind er and Haarioiisser und
Zomadem und der Erfolg war groß.
- as Land aber segnete ihn mit Ge
richten und baareni Gelde und es be
t---z- Il-- h-- ts-ta- h-- D-—i--- —:« J
IUVIUI »Hu Use usin. sur- OUIIWI still
LIJiedaillen und dem Titel »Hossriseur
Seiner Majestät des Kaisers«. Man
dente »Hoffriseur«! «- Welch’ Ver
trauen ist doch nothwendig, um diese
Stellung zu belleideni «Hossriseur«
—-- ein Mann, der Krakt seines Amtes
berufen ist« dem Kai er hie und da
den Kopf zu waschen!
»Doch des Lebens ungemischte
- reude ward teinem Sterolichen zu
heil«: Habh sollte wohl das kaiser
liche Haupt «behandeln'« diirsen, aber
er sollte dies schweigend thun. Unser
Inoderner Figura, der sich nicht zum
Schweiger berufen fühlte. brach eines
Tages dies iaiserliche Gebot. Der
Inhalt seiner Frage diirste fürchter
lich, sein Gespräch aeeignet gewesen
sein« das politische Gleichgewicht Eu
ropas zu stören; dementspreTend wa
ren auch die Konsequenzen: adh —
kin Opser von Fürstengunst und Fitt
stenhuld —- wurde aus dem Tempel
gejagt. .
Der Soldateniaiser hatte später ein
Einsehen und nahm den sallengelasse
nen Günstling wieder in Gnaden aus.
Wie mogen sich wohl andere geirönte
Häupter ihren Fi atos gegenüber be
nehmeni Diex rage beantwortet
ter Nester der oi seure, der dur den
Aufenthalt in den Metropolen urp
pag Gelegenheit gehabt hatte, vers ie
dene Fürstlichteiten u bedienen. « ie
hauptsache ist,« sagt der redselige
Alte, »daß die hohen herren Zutrauen
Zewlnnenx es dauert allerdings lange,
is man das erreicht, aber ist man
tinmal so weit, dann ist Alles gewon
.W40
nen. Die Fitrstli leiten, im vollen
Vertrauen auf die istretion des Fri
seurs, ftellen uweilen« Fragen und
lassen sich in T men ein« in demen,
age ich Ihnen, von eminenter politi- ,
cher Bedeutun . Man sieht ei so
einem ein axn Frifeur gar nicht an.
daß er ot« enntniß besiit von den
oerzwickte en diplomattfchen Verwirk
lungenx aber. mon Dien. sprechen darf
man nicht davon, fonft wäre Allei,
"Titel, Stellung und Neputation ver
loren. Das erste Gebot ist also Dio
lietion.
»Natürlich läßt man sich bei derar
tigen Herren Zeit, um Alles so Lots
fältig als nur möglich durchzufii ren;
Schwierigkeiten in dieser Hinsicht stel
lin sich dem- Coiffeur bei der Bedie
nung Kaiser Wilhelmö von Deutsch
land entgegen, der niemals Zeit hat.
Bei ihm müßte Alles im Handuw
drehen fix und fertig sein, und erfüllt
man nicht diesen taiferlichen Wunsch.
so fällt vielleicht sogar ein hartes
Wort.
»Viel gemiithlicher, was das sich
Zeit lassen betrifft, war der Großvater
des gegenwärtigen Königs von Ita
lien, König Viktor Emanucl; das ver
hältnißmiißig sehr große Gesicht diefes
Monarchen und sein mächtiger
Schnurrbart bedingten es, daß der
Frifeur nnd Barbier an ihm eine gute
Weile zu arbeiten hatten; hierbei pfiff
.:nd sang der König und stellte wohl · sj
auch fehr tomifche Fragen. Jedenfalls l
war er viel heiterer als fein Sohn,
König Hinnbert, der, während man
ihn bediente. absolut lein Wort sprach
nnd seine Wünsche nur durch Hand-be
izegungen tundgab.
,,Eduard Ul» der gegenwärtige
tiönig von England, ist, was seine
Bartfacon betrifft, nicht gerade leicht
zu befriedigen. Besondere Sorgfalt
Es
-
»Aha- sag-»o- usw-J
« .
« »Das-« — -
- —-.«!
kordrrt auch der Ronlgdon Griechen
land bei Behandlung seines Kopfhaas
res, dessen feideniveiche Beschaffenheit
nicht nur die schärfsten Scheeren und
milde Kämine und Bürsten, sondern
cuch eine sehr fertige Hand erheischt.
Der lihedide hat eine sehr empfindli
che Haut, verlangt daher niilde Sei
fen, sehr scharfe Messer, kurze »Rasir
3iige'« und nachträgliche Behandlung
mit lindernden Essenzem Höchst ori
ainell ifi das Verlangen König Chri
stian-l von Däiieniart; dieser Monarch
will stets ,,natur« erscheinen, das
heißt, der Coiffeur muss sich anstren
gen, daß, nachdem des Königs Haupt
liaar getiirzt worden ist, tein getün
ftelter Zug in das Arrangement der
Haare komme, welches geeignet sein
könnte, den greifen König dandyhaft
erscheinen zu lassen.
»Die Behandlung des Gesichtes
nach dem Rasiren, Anlegen der
Schnurrbartbinde etc. pflegen sich die
Monarchen mit wenigen Ausnahmen
erft nach Abgehen des Coiffeurs durch
die eigenen Franinrerdiener besorgen
zu lassen; mein Gött, da dürfte wohl
noch die persönliche Eitelteit mitspie
ren, denn die meisten Menschen sehen
mit angelegter Schnurrbartdinde nicht
eben geistreich aug. Als ich den Prin
zen von Siam fragte, ob ich ihm eine
«Kaiserbinde« anlegen dürfe, that er
im ersten Augenblicke ganz entfe t,
wußte er doch nicht, um wag es ich
l,andle. Doch, nachdem er »das Jn
ftrument« gesehen und seine ivohlthäs
tige Wirkung erprobt hatte, kaufte er
gleich drei Dutzend »diefer töftlichen
Bandaaen«.
»3chliefzend, möchte ich noch einmal
hervorheben, daß die Wünsche, welche
gelrönte Häupter an den Choiffeur
stellen, viel leichter zu erfüllen sind,
cls die oft maßlofen Forderungen an
derer Sterblichen ich, fiir meinen
Theil, bediene lieber zwei Kaiser als
eiiien Flügeladjutanten!«
—.--·
Die »in-one Pfeife ver Königin-«
Mit der Erhöhung der Tabatsteuer
in England hat auch der Schniu el
von Tabat wieder zu eiioiniiien. ie
Steuerbehörde ater it ziemlich wach
sam, und wo der Zoll nicht eingezogen
werden kann, wird der Taf-at consid
irt. Was aber wird aus dem con
fiszirten Tabak? Jn früheren Zeiten
wurde der confiszirte Tal-at einfach
verbrannt. Das aber schien eine unver
«-is—--CIZ·III- assobsnosufnsss nnd fis-I
WMU A.—Its«-s--. « .
entschlon sich, den Tabat unter die
Mannschaften der Reieggmarine zu
vertheilem Jedoch die gute Absicht be
wahrte sich nicht, und unter Königin
Viktoria lam man wieder auf das
Verbrennen zurück: man stopfte den
Tabal in die »große Pfeife der Köni
giiri«, wie der Verbrenn - Apparat ge
nannt wurde, der viele tausend Kilo
Tabal in einigen Stunden in Asche
verwandelte. Aber wieder lonnte man
nicht über die Thatsache der Verschwen
dung hintvegtocnmen. Man schritt zu
den anderen Extremen und warf den
Tabat auf den Marti. Darob Ent
sxefken des Handelt-; nun wurde die
afzregel wieder zurückgenommen Jn
der Bedriingniß und da man auf leine
neuen Jdeen lam, nahm man wieder
zu der alten Methode seine Zuflucht
und vertheilte den Tabal t.nter die
Marine, jedoch nur unter vie Mann
schaften, die sich im Ausland im Dienft
befanden. Warum sich auch das-« wieder
nicht bewährte. ift nicht klar, «den
allc er ing es diesem Versuch o wie
nsrii ren, das Verfahren wurde
nämlich eingestellt. Hieran gab man
den Tabal den Jena, die ihn auch
heute noch genießen. Ob sie freilich
allen ein ezogenen Tabal zu lonsurnii
ren itn tande sind, erscheint zweiiseli
haft, und was aus dein Geigen w rd,
das scheint sich in lene undurchdring
liche Rauchwalle u hüllen, die von
der verbrannten Bienge des confissirs
ten Tabak- autsebb ·