Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, July 29, 1904, Zweiter Theil, Image 14

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W W -»WW ,
goldene Blumen.
crimtnalroxjtan von CIIZMWOL
(17. FortsejungJ
»Nein, allerdings nicht«, gab Bin
·«eent zu, dein noch die Namen der ver
schiedenen Vettern und Basen aus der
heimath, um die sich die Sonntags
gespriiche im hause Dulaurier ge
wdhnlich drehten, in den Ohren summ
ten.
»Jenaer ist Fräulein Chaperon jetzt
gestorben, ohne daß ihr Tod auch nur
den geringsten Einfluß auf Frau Du
laurier’s Schicksal gehabt hätte. Sie
hat ihr nichts hinterlassen, ich bürge
dafür. denn ich kenne die Erben per
sönlich.'·
»Wer sind sie?'«
»Nun, erstens einmal die schon er
wähnte hundert Kilogramm miegende
Nichte mit ihrem Gatten und einem
häßlichen kleinen Bengel, und dann der
Nesse von Hinterindien, den ich zwar
niemafs sah, von dem die alte Dame
aber häufig sprach.«
»Wie heißen sie?"
«Chaperon wie sie, es sind die Kin
der ihres Bruderö.«
Wieder mußte sich Vincent sagen,
daß zwischen Shlvie und Fräulein
Chaperon jeglicher Zusammenhang
le
»Warum also so bestimmt anneh
men«. fuhr der Doctor gelassen fort,
daß Frau Dulaurier diejenige sei, die
Du hinter ihr vermuthestT Die Mög
lichkeit bestreite ich allerdings nicht«
denn was ist schließlich nicht alles
möglich in der Welt! Jm Grunde aber
kann es uns doch vollkommen gleich
iiltig sein, ob sie es ist oder nicht. So
ange uns solche Geschichten nicht per
sönlich berühren, ist es am gescheitesten,
man schenkt ihnen keine Beachtung,
und da sich das Räthsel nun doch ein
mal nicht· lösen läßt, wollen wir die
Sache einfach ruhen lassen, und uns
dafür um so eingehender mit der
Kranken beschäftigen, damit ich meine
«t hier doch nicht ganz unniitz ver
ringe.«
12
Zu früherer Stunde als am Tage
vorher begaben sich die Freunde in’s
Krankenzimmer, wo der Doctor schon
fast wie ein alter Bekannter aufgenom
tnen wurde, und wo er eine Nach iebig
keit und Liebenswürdigteit entfalten,
tiber die sich Vincent nicht genug wun
dern konnte. So wenig Interesse er
litt Shlvie Dulaurier an den Tag ge
egt hatte, so viel zeigte er fiir seine
kleine »Ferienpatientinn«, wie er sie
nannte, und bald wurden fast die gan
zen Nachmittage in jener hellen Stube
verbracht, wo Lepage das große Wort
führte und Estelle lächelnd zuhörte,
während Germaine anscheinend ruhig
und Vincent in sich versunken dabei
saßen.
Diese Stunden oertraulichen und
doch so wehmüthigen Beisammenseins
brachten fiir Vincent nach dein, was
sich zwischen ihm und Germaine zuge
tragen hatte. eine neue, hartePriifung
mit sich, und doch war selbst die trau
rige Stimmung von einem gewissen
auber umwoben. Jn der friedlich
chönen Umgebung der Kranken, unt
die sich die Gedanken nnd Sorgen aller
drehten, konnten andere, selbstsüchtige
Ge ühle, Wünsche und Leidenschaften
ni t aufkommen. Hier, wo sich Vin
cent im Geiste kaum mit Germaine zu
beschäftigen wagte, wäre es ihm auch
adezu als ein Unrecht erschienen, an
hlvie Dulaurier zu denken.
Lepage erst erinnerte ihn an sie.
«Denke Dir,« sagte der Doctor zu
Vincent. der au) dienstlichen Gründen
-- LLJ— E--- Ost-. las-ess- fis-Ost Ins
Ist Ists-is- « sue za- -------
Estelle verwe: sen können, iie hat mich
nach der Geschichte von den »Goldenen
Blumen« gefragt Wie kamst Du
eigentlich dazu, sie ihr zu erzählen?«
Vincent wunderte sich selbst darüber
und wich dem Vorwurf mit einerFrage
aus. »Was hast Du ihr gcaicttvortet?«
»Was man Kranken antworten
sollt einige schlechte Wide. Schließlich
selan es mir auch, die arme Kleine
sum acben zu bringen, was-, nebenbei
sgt. ihr alle anstreben solltet, an
tt sie zu betrüben oder aufzuregen.«
Will sie Dich denn noch immer nicht
als Arzt empfangen?«
»Nein; nächstens bin ich sog-r so
weit, dasi sie den Arzt in mir vergißtf
»Wie willst Du dann aber...?«
»Nun, ich muß ihren Zustand eben
aus andere Art zu ergründen suchen,
eine Ari, die vielleicht nicht einmal
schlechter ist als die sonst übliche. Un
tvilliiirlich zeigt sich nämlich ein Kran
hr während des iirztlichen Besuches
anders als sonst. Jrh habe zum Bei
W Patienten gelannt bieallein schon
Anblick des Doktors in Fieber
iethen, andere, die sein Besuch be
e. und so Weinen wir Aerzte aus
und o können wir Aerzte uns
Mund her wenigen Minuten unserer
Insesenheit häufi- nur zusleicht über
stand unserer Patienten tän
Ei tlich sollte man einen
nienEsErli It studiren, unb da
Maikäeit t nnd Gelegenheit zu
udium bietet will ich sie
JIicht unbenust vorbeigehen lassen."
diesem Ausspruch ertanntLe Bin
envtrch siebet den alten Lepage,
Use-Leben seit mir um Studi
II M se be- gebrehi hatte.
s- «’.--7---—--s-v-s-----s-----s- -
»Nun er Esielle unter die Rubrii seinerl
Patienten reihte, brauchte man sich
auch nicht mehr iiber seine eifrige Be
mühung um das junge Mädchen auf
zuhalten.
f s i e
; Das Ende von Lepage’s Aufenthalt
I nahte indeß heran, und noch hatte er
keinerlei Heilverfahren versucht.
) »Es ist zu arg,'« sagte er eines Vor
mittags zu dem aus der Kaserne korn
menden Vincent. »Sie sang vorhin
wieder, nachdem sie die ganze Nacht
hindurch gehustet hatte. Sprich doch
Du einmal mit Fräulein Ramel da
riiber.«
»Willst Du das nicht lieber selbst
thun?«
»Es ist besser, Du über-nimmst es,
da Du Fräulein Ramel doch schon län
ger kennst und gut mit ihr ftehst.«
Vincent war es, als ruhe der Blick
seines Freundes scharf heobachtend
auf ihm.
Ein gewisses Zartgesiihl tvegen des
jungen Mädchens aber auch das We
sen seines Freundes, das durchaus
nicht zu vertraulichen Mittheilungen
ermuthigte. hatten Vincent abgehal
ten, mit ihm über seine Beziehungen
zu Germaine zu sprechen. Ueberdies
war die anfängliche heitere Laune des
Doktors längst wie ein Strohfeuer
verflackert. und der kleine Rest, der
vielleicht noch davon übrig war, wurde
in Estelle’s Zimmer verbraucht. Be
fand sich Lepage mit seinem Freunde
jallein so tauchte er eine Pfeife um die
Iandere, schien sich ohne feinen Beruf
l
Lfiirchterlich zu langweilen und dem-·
ljenigen fast ein wenig zu grollen, der
ihm diese Verbannung auferlegt hatte. »
So lam es sogar daß dem Haupt
mann der Gedanke an seine Abreise1
nicht unangenehm war.
»Ich werde bei der nächsten Gelegen
heit mit Fräulein Ramel sprechen,«
sagte er, um eine Erörterung abzu
schneiden.
Diese Gelegenheit bot sich ihm bei
dem Abschiedsbesuche, den sie zusam
men machten, da beide am darauffol
genden Morgen bei Tages-grauen Tou- ;
louse zu verlassen gedachten: der Doc
tor, um nach Paris zurückzukehren, der
Hauptmann, um sich in’s Lager von
Lannernezan zu begeben. wohin seine
Abtheilung aus drei Wochen komman
Dirt mar.
Schwer lag diese bedarstehendeTren
nung aus Vincent. Als er dann aus
tdem Wege zu Estelle in dem langen
Gange neben Germaine herging und sie
einen Augenblick zurückhielt, während
Frau Lancelot mit dem Doctor im
Zimmer verschwand, fiel ihm sein leh
tes Alleinsein mit ihr im Kreuzgange
wieder ein. Auch Germaine schien da
ran zu denken, denn wie damals wollte
sie ihm eilig entfliehen. Seine ersten
Worte bannten sie jedoch fest, und nun
hörte sie ihm mit wachsender Auste
gung zu.
»Mein Gott« mein Gott!« rief sie,
nachdem er geendet. »Und ich hatte
ieine Ahnung davon. Sie bat mich so
dringend, auszugehen, daß ich fürchte
te, es würde sie ausregen, wenn ich mich
ihren Bitten widerletzte . . . .«
»Sie blieben ja stets nur ganz kurze
Zeit aus.«
»Im-mahnt zu lange,« suhr sie ver
zweifelt fortx «jeder Augenblick war zu
viel. Bedenken Sie doch, jedesmal
nach dem Singen speit sie Blut. Nichts
ist gefährlicher als das Singen, und
sie weiß das sehr gut denn unser alter
Doktor bat ganz underbliimt zu ihr
—k--A- E-- I- L-- --- h-« II- -s-- tx
HIIUHdo Vu- USE-bit II rsuqsksl ZIUIILOPU
der Musti und dem Tod«
»Auch Lepage sagt . . ·
»Daß sie sich umbringt,« vollendete
Germainr. Und von Schmerz über
wältigt, brach das sonsk se starke, so
vernünftige Mädchen plöhlich in herz
zerreißendes Schluchzen auc.
Das war aber mehr, als Vincent
ertragen konnte, und von seiner Bewe
gung übermannt, begann et, ihre
Wünsche vergessend:
»O Fräulein Germaine . . . .
Noch immer weinte sie, als seien die
allzu lange schon zurückgehaltenen
Thränen nicht mehr zu hemmen Wie
sollte er diesen Schmerzensausbruch
Denken? Würde sie wohl so trostbos
uno verzweifelt weinen, wenn sie sich
nicht neben ihrem Kummer um Estelle
auch noch recht einsarn und verlassen
gefühlt Mtei Floß nicht eine Dieser
Tbriinen wenigstens um ihn und um
ihre Liebei
Vergessen, versunken war all’ das,
was ihn von Germaine hätte trennen
können, all’ das. was nicht zu dieser
reine-. wahren Liebe gehörte. die im
mer in seinem setzen geschlummert
und sich seht unter einem leisen hoff
nimgsschimmer neu belebt hatte
»Wir-« begann er von Neuen-,
»ich weiß wohl, es ist jest nicht der
Zeitpunkt, mit Ihnen von etwas ande
rem, als oon Ihre-r Kummer zu re
den. Jeb werde warten. Und doch,
setrnainu ich liebe Sie so innig!«
Auch feine Stimme brach und in
abgerissenrn Sähen subr er spri
.MMig aber iß fest der Zeit
punkt su einer Lüge, und auch das
engelha te Geschiin dort drinnen ift
sicherli die leste, die Lüge und Ver
stellung von uns verlangen würde. Jch
verstehe Ihren Schmerz ja vollkommen
und will nicht einmal verfu Sie
zu trösten, aber das Recht - be ich
doch, Ihren Kummer wenigstens mit
ishnen zu theilen. Nicht wahr, biefes
Viecht lassen Sie mirs«
»Nein.«
Er wollte ihre Hand ergreifen, iber
heftig, ja ganz außer sich wich sie vor
ihm zurück.
»Nein lassen Sie mich, Sie versie
hen mich ja doch nicht. Es ift zu
fchrecklicht Sprechen Sie kein Wort
weiter, und vor allem sagen Sie nicht
daß Sie warten wollen. Warten
woraqu Auf ihren Tot-W
Noch ein leidenschaftliches Auf
schluchzem das Vincent bis in’s Jn
nerfte traf, ertönte in dem dunklen
Gange, dann öffnete und schloß sich
eine Thüre. Verlassen, und im Unna
ren über das, was sie hatte fagen wol
len. blieb Vincent zurück, aber doch mit
dem klaren Bewußtsein, daß er nicht
gegenGermaine’s Gleichgültigkeit, fon
vern gegen einen unbekannten und
deshalb um fo stärkeren, unerbittlichen
Gegner anzutämpfen habe . . . .
»Vi,ncent Deine Gegenwart wird
gewünschtl«
Es war die Stimme Lepages, die
ihn feinem Grübeln entriß Angesichts
des Todes, der finster und drohend das
Haus umfchwebte, mußten alle irdi
schen Sorgen und Kümmernisse schwei
gen und fo gelang es auch Vincent
Gerbault, die Schwelle des Kranken
zimmers mit feiner gewohnten Miene
und haliung zu überschreiten.
Mit ihrem halb fchelmifchen, halb
kindlichen Lächeln, das sie sich noch
immer zu bewahren wußte, begrüßte
ihn Eftelle von ihrem Rubefopha aus«
das sie jent kaum mehr verließ. Sie
hatte sich zu diesem Abschiedsempfang
befvnders hübsch machen wollen. Das
wundervolle haar hoch aufgesteckt,
:rug sie heute an Stelle ihres Haus
ileides eine weiße Mullblufe zu einem
most-n bit-»von Wes-s tw- Ninkene m
kennen glaubte.
»Mein Kleid vorn Mastendall.«
sagte sie. seinem Gedächtnifz nachha
fend. »Ich wollte es so gern noch ein
mal anziehen.«
Sie schien lehtere Worte ohne die
xBedeutung zu meinen, die man ihnen
hätte geben können; denn heiter fuhr
sie fort: »Gleiche ich noch immer
Ihrem Miniaturbilo von der Prinzef
sin Lamhalle herr hauptmann?«
»Mehr denn je,« antwortete er, von
Neuem von der großen Aehnlichkeit he
iroffern
.So besihen Sie also mein Bild,
ohne dasz ich es Ihnen geschenkt habe?
Sie sollten es fiir Germaine copiren
lassen.«
Diese war soeben eingetreten und
hatte sich auf den Rand des Sophas
gesetzt. Auch ihr Aussehen verrieth
nichts mehr von dem stattgehabten
IAnftriti. Wie jetzt so häufig, ergriff
Estelle die Hände Germaine’s, sei es,
um sich zu wärmen, sei es, um dieses
Freundschastsband, das so halo zer
rissen werden sollte, noch enger zu
knüpfen.
»Und finden Sie, daß auch Ger
maine noch immer der kleinen Schä
ferin ähnlich sieht?«
»O ja, gewiß!«
Zärtlich ruhte Esiellcks Blick au
ihr, dann sagte sie träumerisch: »So!
eine kleine Schäferin war doch besser
dran; denn sie hätte man während der
Revolution sicherlich nicht« getöpr wie
die arme Prinzessink
Ein leichter Schauder schüttelte sie,
und leiser fügte sie hinzu: «Ob man
wohl mehr leidet, wenn einem rasch in
wenigen Augenblicken der hals abge
schnitten wird, atoer wenn man lang
s-— -. I- ---- I---I-— -- -----
IUOII, III-, JI Busls IIlIvfIIII Its klslsks (
Krankheit stirbt?« ;
Vincent und Germaine schwiegen;
unter demselben qualvollen Eindruck,
abers on hatte Lepage in heiterem
Tone as Wort ergriffen:
»Wenn von Scheioen gesprochen
wird, dann will ich auch dabei sein,
das schlägt in mein Fach. Noch kurz
ebe ich Paris verließ, habe ich einem
alten Geizhals, der ein Sousftiick ver
schluckt hatte, den Leib aufgeschnitten,
und ich glaube wahrhaftig, er hat es
nur ungern wieder hergegeben.«
»Ach pfui! Schweigen l-.-ie, Sie sind
ein entsetzlicher Menschl« rief Estelle,
aufs Neue durch Lepage’3 Späsze be
luftigt.
Er hatte die Gelegenheit beniiht,
näher zu ihr hinzutreten, und sagte
nun, ihr gegenüberstehend:
»Doch nein, allen Ernstes, gnädiges
Fräulein, Sie haben eben die Frage
ausgeworfen: »Was ist besser, sich den
hals abschneiden zu lassen oder an ei
ner Krankheit zu sterben?« Laffen Sie
mich also auch darauf antworten. We
der das eine noch das andere. Das
Beste ift, weiterzuleben, und warum
sollte man das nicht, wenn man sung
ist, non den Seinigen geliebt wird uno
wenn man die Kräfte dazu hat's«
Diezmal sprach er nun wirklich im
Ernst, und diese unvermittelte Rede
überraschte alle ebenso sehr wie Estelle.
»Wenn man die Kräfte edazu hat,«
wiederholte sie in zweifele Tone.
»Jaioohl, in Ihrem Alter und in
Ihrem Zustande hat man sie; voraus
esest freilich, das man das thut, was
giefe Kräfte hebt·«
Wie Trompete-Höhe klang diese
tiihne. entschiedene Behauptung dur
die dumpfe Stille des großen Zins
mer-, und ohne eine Antwort abzu
warten, fuhr Lepage mit jene-n Ge
misch von Ernst uno Ironie, das seinen
Worten den Stempel der Wahrheit
verlieh, fort:
»Ich bin zwar ein Arzt und ein
schrecklicher Mensch- der die Leute um’s
Geld in Stücke schneidet, das gebe ich
zu; aber trotzdem lann ich doch zu
etwas nüse sein. Wenn wir Aerzte
auch nicht sür alles ein Mittel haben,
mie man es ungerechterweise von uns
verlangt und wie wir es unrichtiger
weise ost selbst behaupten, so gibt es
doch Fälle, wo wir unseres Erfolgs
ziemlich sicher sind. Ein solcher Fall
aber ist der Jhrige.«
Alle, außer Estelle, hörten Lepage’s
Worten roie einem Oraiel zu und wag
te: nicht, ihn auch nur durch eine
Silbe in seinem Gedankengange zu stü
ren.
»Schon tenne ich lSie genug, um
mir, in großen Zügen wenigstens, eine
Ansicht über Ihren Zustand zu bilden.
Dennoch wären aber einige Einzelhei
ten noch unumgänglich nothwendig,
und so müssen Sie mir eben oor mei
ner Abreise durchaus noch eine Unter
suchung gestatten.«
»Ha, ich wußte es ja, daß es daraus
hinaus sollte!« ries Estelle verächtlich.
»Mein Gott, warum mir auch noch
diesen letzten Besuch verbittern?«
»Von Berbiitern lann keine Rede
sein,« entgegnete Lepage mit unge
wöhnlicher Wärme. »Im Gegeniheil,
ein schöner, freudiger Tag wird es sür
Sie, wie sür uns alle sein« denn ich
wiederhole es Ihnen, ich habe die feste
Ueberzeugung, Jhre Genesung durch
ein Heilversahren zu beschleunigen, das
ich brieslich mit Jhnen fortsetzen wer
de und das vollständig von dem bis
herigen, meiner Ansicht nach gänzlich
versehltem abweicht.«
»Ja, ja, ich weiß es wohl, wenn
man einen Kranken nicht mehr über
seine Leiden hinwegtäuschen kann, be
schuldigt man das Mittel und schlägt
ein neues, unseblbares nor. O, ich
Cis-m des-T- Hvssfssksn Ins-Its«
Bom Zorn hingerissen, verrieth
Eis-eile jeht endlich unfreiwillig, swie
tlat sie selbst ihren Zustand kannte.
Anstatt sich von den anderen anführen
zu lassen, war sie es, die ihre Umge
bung getäuscht hatte, indem sie that,
als glaube sie ihren Worten.
·Nun denn,« —- Lepage hatte sofort
einen anderen Ton angeschlagen —
,,von mir dürfen Sie überzeugt sein«
daß ich Sie nicht anliigr. Wollen Sie
die Wahrheit wissen, spie unverhüllte
Wahrheit, die Jhnen bis jetzt noch
Niemand gesagt hat?«
Zum erstenmal sah sie ihn, eine
leichte Erregung verrathend, voll
Spannung an.
.Die Wahrheit ist, dasz Sie trank
recht lrant sind. Sie sehen, ich um
gehe das Wort nicht, und dasz sich Jhr
Zustand unter den obwalteriden Ver
hältnissen nur verschlimmern kann.
Aber Gottlob ist es noch nicht zu spät,
dem Uebel zu steuern, um es schließ
lich ganz zu heben. Jch bitte Sie, mir
zu erlauben, dasz ich Sie untersuche,
dann mache ich Ihnen eine Einst-ric
ung; in fünf Minuten ist alles gesche
hen.«
Auch er lannte die Kniffe der Kran
ken. Wahrscheinlich hatte ste, in der
Hoffnung, auf einen Widerspruch zu
stoßen- splch schwskziehetische Ansichten
ausgesprochen. und nun verursachte ihr
diese sderbe Bestätigung einen augen
blicklichen Schrecken, den man benühen
mußte.
) Schon machte er einen Schritt auf
Estelle zu, ohne daß diese mit einer
Wimper gezuelt hätte. Da sagte sie
entschlossen:
»Nein, ich werde mich nicht unter
suchen und mir auch reine Ausnutzung
machen lassen.«
Es war ihm also nicht gelungen, sie«
einzuschiichtern.
»Ehe Sie eine solch bestimmte Wei
gerung aussprechen, sollten Sie aber
doch wenigstens wissen, was ich mit
Jlfnen varhabe,« suhr Lepage mit un
er chiitterlicher Geduld satt. Sein
; vorhin noch so strenger Ausdruck hatte
sich gemildert, und aus seinem häß
Jlichen Gesicht strahlten Klugheit und
Ueberzeugungslrast. Vincent Ger
hault, der seinen Freund noch niemals
in der Ausübung seines Beruses beoh
achtet hatte, stand diesem neuen Men
schen, der sich da Vor ihm enthüllte,
voll Bewunderung gegenüber.
Mit glühender Beredsamteit und ei
ner Sanstmuth, die man bei seinem
scharfen, eckigen, zur Spottsucht ge
neigten Charakter niemals vermuthet
hätte, äußerte er seine Ansichten und
versucht sie mit einer Klarheit und Ue
berzeugung, daß Vincent ein Mißer
tala bei der Kranken unmöglich er
schien.
War es nicht natürlich, daß dieser
leise hoffnungsstrahL der sich all-mäh
lich in sein herz einschlich, längst auch
das der drei armen Frauen ersiikltet
Estelle lächelte, Germaine stieß einen
tiefen Seufzer der Erleichterung aus«
während Frau Lancelat, unfähig, ihre
Freude zu bemeistern, aus Lepage las
stürzte.
»Aber sa versuchen Sie doch Ihre
Mittel, aus was warten Sie denn
nach-P
»Aus Fräulein Ost-IN Sinn-illi
guna.«
»Ich gehe Ihnen aber diese Ein-IM
assa nicht-' sagte SM- wlsiis Obs
W
daß das Lächeln von ihrenltippen wich.
»Vol! W, Lepage’s Vorgehen zu
stören, hatten die anderen sich dts fett
1eglicher Einmischung enthalten; nach
diesem unerwarteten Schlage aher
wandten sie nun alle thre Ueber
redungskunst an, ihm zu Hiilfe zu
lomrnen.
In allen Tonarten flehte und befahl
die arme Frau Lanrelot, den Rath des
Jllrztes zu befolgen, während Germaine
ihren silrm um Estelle’s widerspensti
«ges Hopfchen geschlungen hielt und sie
mit ihren Küssen zu erweichen ver
suchte.
»Nein, nein,« wiederholte indeß
We hartnäckig. Und als Lepage
ron Neuem den Mund öffnete, spra
sie von ihrem Nuhesopha auf, stellte si
zitternd, die hände an die Ohren IM
tend, vor ihn hin und rief außer sich:
(Fortseßung folgt·)
W
schwirrt s Lasset-IV
Die hundertste Wiederkehr des Ge
burtöjahres Morris von Schwind’s
bot in Berlin erst jeßt den Anlaß zu
einer Aussiellung von Werten des«
Wiener Meisters-, die noch kurz vor
Schluß der Saison dort ihre Pforten
in der National-Gallerie öffnete und
nach dem Urtheile des Referenten
ter Neuen Freien Presse alles über
trisft, was an Malerei während dieser
Saifon in Berlin zu sehen war, denn
weder die offizielle Kunstausstellung
noch die oppositionelle Sezessionsaus
stellung lonnen sich mit diesen vier
Sälen der NationalGallerie messen,
in denen die Werke eines großen Ma
lers zur Schau stehen, der zugleich ein
großer Dichter war. Durch ihre Bir
anstaltung hat sich der ausgezeichnete
Direktor der deutschen Nationalgalle
rie, Hu o v. Tschudi, ein neues großes
Verdienst erworben. Bescheiden sagt
das Vorwort zum Katalog, daß die
Berliner SchwindiAusstellung über
das Maß der anderen ähnlichen Ver
anstaltungen hinausgewachsen sei.Jn
Wirklichkeit ist wohl seit Jahrzehnten
keine Augstellung dagewesen, die einen
so umfassenden Ueberblick über das
Schaffeanoritz v. Schwind’s ge
lvllylh Stils suupc Uslpuqs Furc
berrlichsten Bilder sind im Original
vorhanden. Vor allem hat das groß
herzogliche Museum in Weimar seine
berühmteste Schöpfung hergeliehen:
»Das Märchen von den sieben Naben«,
das aus drei großen Aquarellbildern
dar estellt ist, die selbst wieder in
zah reiche einzelne Felder zerfallen
Das Entzücken an diesem Meister
werte deutscher Märchenmalerei wird
no gesteigert, wenn man es in der
heu igen Zeit wieder-sieht« wo die Ma
lerei sickk nur mehr mit den Problemen
der äu eren Erscheinung der Dinge
beschäftigt und es ganz verlernt Tat,
um Herzen zu sprechen. Jm er ten
lde des ersten Gemäldes sieht man
die Familie versammelt, der das
Märchen erzählt wird, und die die
Gesichter der nächsten Angehörigen des
Malers erhalten hat. Von den übri
An Feldern ist es schwer, eines zu
seichnem das schöner wäre als die
anderen. Köstlich ist dasjenige, aus
dem der junge Königssohn das Mäd
chen, dessen Nacktheit von der Fülle
des Blondhaares teusch bedeckt wird.
aus dem Baume hebt, in dessen höh
lung die Schwester sür die in Raben
verwandelten sieben Brüder sieben
hemden gesponrren hat. und nicht min
der töstlich ist das Schlußseld, aus
dem die entzauberten sieben Brüder
aus weißen Rossen einherstürmen, um
die Schwester vom Scheiterhausen zu
retten.
Ein anderes MeisterwertSchwind’s,
das Oel mälde »Die Symphonia«,
hat die eue Pinatothek in München
esandt. Es ist ein Zytlus von Dar
stellungem die den Liebesroman der
Sängerin Fräulein hegenecter erzäh
len. Unten ist ein Concert vornehmer
Dilettanten abgemalt, bei dem ein
junger Mann aus ein junges Mädchen
aufmerksam wird. ads ein Lied sinat.
Der Diri ent des Orchesters hat die
Züge Laegner’s erhalten. Schubert
und sein Freund, der Sän er Vogel,
ehen im Männerchor. us einein
asienball lernen sich die jungen
Leute näher kennen. Man sieht sie
in einer von Rosen umwundenenNische
ein ernstes Gespräch führen, während
um sie herum das Mastentreiben
wogt. Jrn oberen Theile des Bildes
hiiit die Lostchaish welche die hoch
ei tsreisen n heimsiihrt, vor einer
ldlichtiing, und der junge Ehe
niann umschlingt seine Frau und zeigt
ihr unten in einem sonnigen Thale
M Schloß, in deni sie wohnen wer
Aus der Bildergallerie in Karls
ruhe stanimt «Ritter Links Braut
sahrt«, aus welchem Bilde nach der
Schilderung der Goethe’schen Balle-de
die Bedriingnisse vorgesiihrt werden,
die der Ritter zu erdulden hat« ehe
es ihm Felingt die Braut heimzuhrins
gen. us dein Maritplahe des rnit
telalterlichen Städtchens, hinter dem
sichaus grünem Berge die Burg er
Tht spielt sich der uptheil des
anias nd. Die G ubiger bestür
men den Ritter unter großem Zulaus
von Voll. Die Braut, welche heimi
sche Redenhuhler herbeigeführt haben,
siillt vor Schrecken in O ninacht. Vor
einer Büchertiste sth nau, hinter
ihm steht inan die Kopfe von Bauern
seld Grillparzer und Anastasius
Griiin Ganz im Dintergrunde zeigt
Schwind selbst dem rothgetleideten
Eorneiius einesei seichnunsK
Ein großes Bild des eisters äat
die National-Galerie elbsi herge
M; es heißt «Die ose« und zeigt
W
)
vier Musitanten. die einen Berg n
aufstei n. Oben aus dern S«ller
harrt te Prinzessim von ihren Da
nien umgeben, des Bräutigams, und
einein der Schloßfräulein ist eine
Rose entglitten, welche gerade vor
den Füssen des mageren Flötisten nie
derge allen ist, der sie mit nachdentli
chem Ge chte betrachtet.
Zwei r xchönsten von den kleine
iren Bildern at die Moderne Galerie
Iin Wien der Ausgellung überlassen.
s Das eine ist »Der esu . DteBraut,
s zu Besuch bei der Schwe ter des Bräu
stigarnL sucht auf der Landkarte den
» augenblicklichen Aufenthaltsort des
;Geliebten. Das andere Bild beißt
HGHellschaftsspielc Vor einem Land
’ hau e pielen junge Damen und Der
sten. en Mittelpunkt der anmuthig
»benJegten Gruppe bildet ein junges
T Mädchen, dern mit einem Taschentuche
sdie Hände auf den Rücken gebunden
sind. Dem Settionschef Wrba in
Wien gehört ein wundervolles kleines
Gemälde, das den Titel führt »Die
Geister beten den Mond an«. Ueber
einer im nächtlichen Dämmerlicht lie
sgenden Gegend schweben drei weiß
umschleierte Nebelgestalten. Eine
Tungfrau und zwei Greise, die mit
rehrung zum Monde aufblicken.
Professor Dr. E.Freiherr vonSchwind
in Wien und Statthaltereirat Dr.
W. Freiherr v. Schwind in nas
bruck, die Beide zur Familie des"Mei·
sters gehören, haben Porträts von
Schtvind und seinen Angehörigen ge
sendet. Aus der Privatbibliothetdes
Königs von Bayern ist der Opern
Riklus entnommen, das heißt, eine
eibe von Aquarellen, welche die
Hauptscenen aus betannten Dpern
wiedergeben.
Von den berühmten Wandgernälden
der Wartburg sind die farbigen Ent
wiirfe zu sehen. Auch Entwurfe zu
den Malereien fiir das Wiener Opern
haus sind vorhanden. Es ist nicht
möglich, auch nur das künstlerisch
Werthvollste im Einzelnen au zuzähs
len. Die Aussiellung ist, wie gesagt,
von seltener Vollständigkeit Sie füllt
vier Säle irn obersten Stockwerl der
»National-Galerie, umfaßt 488 Num
mern und enthält Oelgemälde, Aqua
Frelle, Zeichnungen und sogar einige
’ Oriainalbrief des Meisters. Unter den
TZeichnungen fehlt auch nicht eine vor
I ziigliche Reproduktion der vielgenanm
kteii und vielbelachten Lachner- Rolle,
Ideren Original sich im Besihe
IFrau Dr. R. Riemerschmid in Mün
chen befindet und aus der das Leben
ides Tondichters Lachner, des intimen
Freundes von Schwind von der Ge
urt an bis zum 25jährigen Kapell
meisterjiibiläum in Mannheim, mit
vielen Federzeichnungen von ausge
lassenem Humor vereinigt ist.
; Das Deutschland, in dein die Kunst
HM v. Schwind’s heimisch ist, kennt
teine sinsterenWälder mehr, sagtWillh
yiiiostor in der Täglichen Rundschau.
Freundlicheö Sonnenlicht dringt über
all hin. Die schicksalsschweren Bal
J laden sind verstummt, und helleVoltss
i lieder erklingen. Es ist das Deutsch
land der Romantiker, jenes wunder
same Land, das eine so tlare, thaus
frische Morgenlust ausathinet.
Die Geschichte der Romantik ist
noch nicht geschrieben. Gelehrte ha
ksen sich wohl drangetva t und auch
Artisten, doch noch tein ensch. Diese
geistige Bewegung, rein als elemen
tare Erscheinung auf esaßt, ist eines
der stärksten Ereigni e unserer Kul
turgeschichte. Jst es nicht ruhte-»so
mit welchem Eifer man damals
Deutschland, noch ehe das Neh der
Eisenbahnen uns hineinvetivebte (oder
einschmiedete) in die »sich bildende gei
stige Republik aller Bewohner unserer
Crdrinde«, mit welchem Eifer man
das atse Land absuchte, ablauschte
nach seinen versteckten Schönheiteni
Eine mächtigere Schönheit als je vor
her strahlten die Nuinen der Vergan
genheit aus, tiese Weisheiten sand man
in den Liedern und Märchen, die bis
dahin die Bettelliridet durch das Land
gezogen waren.
Von allen Künstlern, Dichter und
Musiker miteingerechnet, isi leiner ge
eigneter, um romantilche Kunst ge
fund, so recht-verbauertyselund em
pfinden zu lassen, als oriy von
Schwind. anuar wurde
Schwind’i undertter Geburtstag
mit viel schönen Reden gepriesen. Nun
hat der Leier mindestens in Berlin
eine prächtige Gelegenheit, sich ein
eigenes Urtheil zu bilden. Was
Schwind alles nicht kann, haben die
Atelier - Adoolaten ja häufig genug
auseinandergeseht Es Wäre unehri
lich, Schwind ein feines Farbenems
pfinden nachzuiagen Wenn er die
Farbe als das Beberrichende in den
Vordergrund stellt. verunglückt er fast
immer. Seine schweren Oelfarben
legen sich wie ein lähmender Albtraum
iiber feine Erzählungen
Am besten ist er, wenn er die Far
benmelodie nur gerade eben vor sich
hinsumnit. Seine leichten, andeuten
den Aquaeelltöne passen herrlich zu
feiner Frühmorgenstimmung« su den
Lerchenliedern seines Linienspeils.
Wie kläglich haben wir doch heute die
ses leichte, lachende Tempo. das
Schwind fasi immer angiebt, die s
Tempo sa dn verlernt! Wagner at
doch nich echt, wenn er nur as An
dante das deutsche Tempo nennt. Jn
der Literatur seufzen sie heute nach
neuen Lustspieldichtern Ach, die
Theater sind an Luftipielen nicht iirq
mer alt die Kunstaussiellungen Und
wie ein Bad erfrilcht es einen. wenn
man nach all der pai illchen Wi tigs
thuerei in Oel und mpera sen
anspruchslofen Romantiler siebt.