Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, April 15, 1904, Zweiter Theil, Image 10

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ssHJO-OOUJJY«JUO Oxsssss «p1»·uyss»ssowoooi t«dd:
Yag Dotirait in meines Onkel
· Hpeisezimmer.
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Nach dem Englischen. mci ijeIttaqm von O Oa.kkug
)OQOOOOCOOOOOOOOOOO
· Escoxrgssst
1. Kapitel.
Dom Gerusasund sein
Landbaui
Während meines Colleglebenö vor
mehr als 40 Jahren brachte ich jedes
Jahr einen Theil meiner Ferien bei
einem Onkel meiner Mutter zu, der in
einem,hiibschen Landbause der oberen
Provence, wenige Meilen von der pie
montesischen Grenze entfernt, wohnte.
Dies-er Onkel, ein ehemaliger Benedik
liner. war ein hochgelebrter und ganz i
senetr Büchern hingegebener Mann.
Aligelnein wurde anerkannt, daß er ei- »
ne Zierde der berühmten Genossen-— I
(
i
säast von St. Maurus geworden wäre,
hätt: ihn nicht die Revolution, gerade
als sein Noviziat beendet war, aus sei
nem Kloster vertrieben. ·
Dorn Gerusac, wie er seiner pyanrilie
noch stets genannt wurde, zählt-e erst
25 Jahre, als das Deckel, das alle re
iigiöfen Genossenschaften in Franl
reich unterdrückte, erlassen wurde. Doch
benutzte er dieses Ereigniß nicht« um
wieder in die Welt zurückzukehren noch
satte er, wie so viele seiner Genossen,
Aufnahme bei einem der spanischen
ozstr italienischen Klöster seines Or-·
dens. Sobald der Sturm der Revo
lrriion sich einigermaßen gelegt hatte,
rafste er die Ueberbleibsel seines väter
lizcrr Vermögens zusammen und flüch
tcte in einen entlegenen Erdenkvinlel
dein er zur Erinnerung an das be
rijlsbrnte Haue-, wo er sein-: Studien
sagt-.- zugebracht, den hochllingenden
Namen St. Pierre de Corbie beilegte.
Die klein-: Besitzung lag versteckt in ei
nein Einschnitte der Alpen auf dem
siåklichen Avhange der Berglette. die
sich allmählich Hur Mündung des Var
hiiats Lin. Es war eine wilde. aber
einer ltiimlich arizvolle Lage. Das
hatt-s war aus einer lleinen Anhöhr er:
baut; im Hintergrunde ragten both
Felsen empor, deren Seiten theils von
Gruppen spanischer Kastanien belebt,
theils von tiefen Schriinden durchzogen
wars n. Ein von Weiden und Pappeln
eingesaßter Weg schjngelte sich· rn viel
fachen Windung-en zum Hause herauf;
- Zwist-: den Baumreiben hin erblickte
man die Felder, Olivenhaine und
Söeingärtem deren reiche-l Grün cha
-«tteristisch von dem weißen Kaltboden
der Provence abstach. «
Wenn ich zum Onkel reiste, verließ
lich stets, noch eine kleine Meile von des «
«· n hause entfernt, die Diligence und
Linnean mit immer neuem Entzücken
einsamen Weg hinauf. Je näher
ich kam. desto heimischer ward mir die
Seen-e, bis ich zuletzt das aHus selbst
in seiner wildliblichen Umgebung, mit
seinem spitzen rothen Dache and seinem
ausgedehnten Obstgarten vor rnir sah.
Mein guter alter Onlel empfing mich
mit offenen Armen und seine erste
Frage war unveränderlich: »Mein lie
ber Junge, kommst Du mit akademi
, schen Ehren geschmückt-« Und wenn ich
ihn vori meinen Fortschritten unterrich
tete, verfehlte er nie, rnir in wohlge
seßter lateinischer Rede zu gratulieren.
Dann bemerkte er mein erhitztes und
ethistes Aussehen, bat mich, mich nie
derzusetzem und rief seiner alten Die
, nerin Marion, mir ein Glas Wein zu
bringen und mein Gepäcl hinauszu
« trag:n.
Der Anblick dieser Marian war der
einzig-e dunkle Punkt in dem Vergnü
gen, ctelches ich bei meiner Ankunft
an diesem lieblichen Orte empfand.
Sie war sicherlich das häßlichfte Ge
schöpf, das mir je vor Augen gekom
Mn ist. Es lag etwas so Miitrische6,
Uebeilaunisches und unangenehm Altes
in isten Zügen, was ich nicht beschrei
äen kann, was sie aber jedenfalls äu
Orest abstoßend machte. Nie konnte ich
keine Abneigung gegen dieses Frauen
»L-—.å-h- II II-;
Ickcssuis Ussssvrnsvui « ask-»so
s Surfche von 8 oder 9 Jahren wagte ich
es gar nicht« Marian in’s Gesicht zu
blicken; ·und später konnte ich sie nie
miseåexr. ohne an Charaktere aus Höl
ImlIgerrden zu denken. Jhre steife
Figur, ihre langen. knochigen Hände,
ihre zahlloien Runzeln und blutuntev
; Tausean Augen erinnerten mich stets
" Irr die Gefchichten von Vampyren und
Wrrwölfem Jedoch war sie eine tüch
-« cis-Dienerin: aufmerksam thötig und
« kchsrsanh nnd nicht im Geringsten zum
cexträsen geneigt.
Mein Onkel hatte feine Bäume siit
der Einfachheit und solider
, semlichkeii eingerichtet Außer Ma
M hatte Alles um ihn herum ein hei
Jieks Aussehen Der kleine Solan, in
« k- wir gewöhnlich losem war mit
irr nnipruchilosen Eleganz ausge
; ..e-"f Die das Auge reicht blendet, aber
ihren eigenthsiimlichen Charakter
- Les-»Er anheirneU Alles war der
Fik- Sebensart eines fleißigen Ge
nug-paßt Cpgforiable Arm
ckkitrren Ich ag- eigenesi Antriebe
c mif ihren Mit-then arl den
Mars-is herangewlli zu habe-.
M Ent- Sepiember an ein
OLS Feuer brannte Vasen den
Es Herz-Ess, die gen sitt in
schen Blumen gesiillt waren, sowie ei
nige ausgewählte Gemälde schmücken
den kleinen Raum. Eine immer ossen
stehende Thüre führte in die Bibliothet,
deren Gestelle wahre bibliographische
Schätze trugen. Das Speisezimmer
enthielt eine tleine Sammlung meet
wiirdiger alter Kupferstiche, die mein
Onkel sehr werthschätztr. Aus dem
Buffet von geschnißtem Rußbaumholz
standen einige alte Silberschiisseln von
ausgezeichneter Arbeit. Aber was mich
mehr als alle diese Merttviirdigleiten
interessirte, war ein Portrait, das Dom
Gerusac iiber dem Spiegel deg Kann
nes in seinem Speisezimnier ausge
hängt hatte. Es war eine Zeichnung
in bunten Stiften, abgedlaßt durch die
Zeit und in einen einst prächtiaen, jth
aber mehrfach beichädigten Rahmen ge
faßt.
Dieses Bildniß stellte eine Frau in
der vollsten Blüthe strahlender Jugend
und Schönheit dar· Jhre Kleidung
war im Stile von Watteaug Schä
ferinnen; statt Armspangen umschlan
gen zwei schwarze Sammtbänder die
nackten Arme, und des gedudeite Haar
hielten lichtblaue Schleier in die Höhe
g,iniipft. Es lag etwas wunderbar
Fesselndez in diesem Gesichte, ein Ge:
mifch von Sanftmutld und Fieckiseit in
diesem zartsn und leicht vorstehenden
blauen Augen. ;
Bei Tisch war mein Platz gerade dckn i
stamin gegenüber; ich tonnte Latier
nieine Augen nicht erheben ohne vie-:
:ntziidende Geschöpf zu sehen dag- mit i
bezaubenoer Anmuth auf mich zu T
Ullllcll IUZPUL ALle gkosfk Will Oel.
Contrast wenn mein Auae auf Ma l
rian sitt. wie sie terzenaerade hinter
Dom Gerusac’5 Stuhl stand um uns-«
aufzuwarten. Was meinen Lnlel an
langt, so betrachtete er solche Dinge mit
der Gleichgültigteit eines Heiligen und
Gelehrten· Unr- als ich ihn eines Ta
ges frug, ob er jemals Marian weni
ger mürrisch und entstellt gekannt hätte,
entgegnete er erstaunt; »Hälst Du sie
für so sehr alt? Sie wird wohl in mei
n:m Alter sein — 60 oder foher. Als
sie vor zehn Jahren in meinen Dienst
trat, sah sie ziemlich ebenso aus. Auf
; jeden Fall ist sie noch so start und thö
"tig rvie ein junges Frauenzimmer.«
Dorn Gerusac lebte von der Nuß-en
welt ganz abgeschlossen und unterhielt
nur mit einigen gelehrten Gesellschaften
und den Mitglied-ern seiner Familie
eine seltene Correspondenz. Der ein
zige regelmäßige Besucher in St. Pier
re de Corbie war der Abbe Lambert,
ein würdiger alter Priester, in dessen
Pfarrei Malt-ein« meines Ontels Be
isttzthum lag. Dieser fromme Mann
war einer der ärmsten Geistlichen in
.Frantreich: seine Pfarrtinber wohnten
izerstreut über einen weiten Raum, ver
; von tiefen Schluchten und oft unpassiri
Jbaren Wilbböchstn durchschnitten war.
ZDas Dorf Malpeire, das ziemlich im
lMittelpuntte der Pfarrei lag, zählte
staunt hundert Einwohner; die Aus
sbehnung der dasselbe noch umgebenben
lMauern und die Zahl der verfallenden
iHäuser zeigte keboch baß diese Bevöl
»terung früher weit bedeutender gewe
’sen. Auch die Kirche, ein usmangrei
ches Gebäude, dessen gothischer Thurm
die ganze Umgebung beherrschte, trug
die Spuren alten Glanzes.
Malpeire lag ungefähr eine Meile
von St. Pierre de Corbie entfernt; um
Sonntags dorthin zur Messe zu gelan
gen. mußten wir einen hohen Berg
riisbn ifbkrfsbreibms nnd mi« so esse
in den Alpen, erfreuten wir uns an
dem südlichen Abhange eineö milden
und angenehmen FilirnaQ während jen:
seit-s an der nördlichen Bergseite heftig-:
Stürme wütheten und vie Kälte sich
sehr fühlbar machte. Steg sahen wir
ung daher vor, wenn wir zur Kirche
gingen. Marias-. mit unsern Män
teln und einem Korbe. der ein gutes
Frühstück enthielt, beladen, gian frü
her als wir ab und erwartete uns an
dem Anfange des Berglatte15, welcher
»Paß von Malpeire« genannt war.
Fast senkrechte Feler stiegen hier zu
beiden Seiten des Saumpfaves empor
nnd ließen nur einen Streifen des kla
»ren, blauen himmels sichtbar. Tier
» Boden der Schlucht war gerade so breit,
kdaß der Weg sich neben einem Bache,
der auf dem höchsten Punkte des Ber
ger-l seinen Ursprung hatte, hinwinven
konnte. Diese schauerlich wilde See
nerie hatte einen besondern Reiz für
mich. Sowie der Sattel überschritten
war, lag das Dorf Marpeire in Sicht,
überragt von den Ruinen ein-es um
fangreichen Schlosieå Reben der Kirche
aber standen zwei Ulrnenbäurne, die
im ganzen Bezirke an Größe und
Schönheit ihres Gleich-In nicht fanden.
Dabei halten sich beider Aefte so ver
fehlt-regem daß nran nur einen Baum
mit zwei Stärkern-en zu sehen glaubte.
Ostern-alt frag ich meinen Onlel
über das Schloß und feine ehemaligen
Bewohner, die eigenean be Malpersez
aber tpemr ich Sees m is- lerrrte, das
die leerte Zenorße ad YI LETTER-II
des Gebäudes aus dem sriihen Mithi
altor stammten. während die beiden
Erkerpavilloni ein verhältnismäßig
modernez Gepräge zeigten. so ersuhs ich
iiber die herren von Malpeire nur, daß
die Geschichte dieser Familie ein wah
res Chaos sei. Freilich gab es in die
ser hinsicht trettltvocte Urkunden, die
mein Onkel selbst in Besih hat; aus
ihnen hatte er ersehen, daß Ferrand.
er 17. Baron von Maldeire einer der
16 vrovencalischen Ritter war, die
Gottfried von Bouillon in’s heilige
Land begleitet-en lieber die Schicksale
des Schlosse-T das vor der Revolution
noch herrlich dagestanden haben sollte,
versuchte ich bei Marian Auskunft zu
sind-en: aber eine abweisende Antwort
oder mürrisches Schweigen war hier
das einzige Resultat. Abbe Lanibert
war erst nach der eRvolution nach Mal
peire g;lominen, und das Landboll der
jetzigen Generation hatte so mühsam
unt das tägliche Brod zu ringen. daß
die Ereignisse vergangener Zeiten sei
nem Jdeenlreise gänzlich sern lagen.
Nur einmal stitß ich aus eine Spur von
Erinnerung, die aber meine Neugierde
nicht befriediate, sondern noch reizen
mußte. Ein Bauer, der mich im Schat
ten der Kirchthüre stehen sah, lenkte
meine Aufmerksamkeit aus die beiden
illmenbäuine und sagte mit unverkenn
bar-m Wohlgefallen: »Zum-i Sie je
schönen Bäume? Ich habe gehört, in
der aanzen Provence ieien lenie ähn
lichen.«
»Sie set-Sitten sehr alt,« entgegnete
ich zerstreut
tveiß.«
.,Vllt3« fragte der Mann. »Wer
tveiß wie langte es her ist, seit sie ge
pflanzt und getauft ivurden.«
»Getaust?« erwiderte ich. »Wie
meinen Sie da5.««
»Ja, Herr, getauft. Tieier eine
beißt Mr. le Marquig und der andere
Mr. le Baumk«
«- P
»unt: swamp nagte tut gewann-.
,O, warum Z« meinte achselznctend
der Bauer; »wer liimmert sich darum.
Ich hab-e nie gefragt: warum; es ist so
Sange her, daß eg wole Niemand mehr
L. Kapitel
Meines Onkel-« Schul
stennd kommt zum Be
s u ch.
Eines Tages betrachtete ich in meines
Onkels Speis-:zimmet dar- Portrait«
das mich so merkwürdig fesselte, als
mein Onkel zu mir trat und mich
fragte, was ich so bewundern den Rah
men des Spiegel-z oder die Tassen von
Seines-Porzellan, die vor demselben
standen. Der alte Spiegel, der über
idem Kamin hing und oa Antlitz jedes
; Hineinblietenden ganz grün zurückscheis
inen ließ, warmämlich in einen werth
zvollen Rahmen gefaßt, und die Tassen
J durfte man wirklich als exauisite Stil
droben des Geschmackes aus dem Ro
eoco-Zeitalter bezeichnen. Um meine
iVerlegenbeii. in die mich dieser uner
Iwartete Frage derseyte zu verbergen,
zsrug ich statt aller Antwort meinen
z nOtel, wie er zu diese-n häßlichen Spie
gel gekommen sei, der die Leute alt und
krank mache.
x «Jch habe ihn in einem Trödlerladen
Izu D»——-- erstanden; es ist ein kleines,
l aber höchst interessantes Maul-strick Du
isiebst ja, daß der Rahmen von Eisen
Jdei mit Silber. und Perlmutter einge
»legt ist« und jene leider zerbrochene
iSchnitzarbeit an der Spihe war sicher
llich das Wappen des«sriil:eren Eigen
sthümere Jn demselben Laden fand
! ich auch das itber dem Spiegel böngende
Hltortrait und diese Tasse-L Wahrschein
Jlich sind alle diese Gegenstände in der
Revolutionszeit ans einem Palaste in»
;den Laden des Trödlers getammen.'
tJhr jungen Leute babt freilich kein Jn
lteresse fiir solche Dinge, die Ihr nur
Halten Kram« nennt.«
! »O nein, Onkel« ries ich, »ich finde
— g. m s t... kJ «-s—0«
Noah Puuum scrir sur-»u.
»Das Portraitk Sicherlich nicht!«
sagte er verwundert; .es ist eine weni-:
aer als mittelmäßiae Zeichnung und
halb vermischt Aber der Rahmen ist·
rverthvoll und schön. Ich werde ihn
gelegentlich putzen und augbessern las
sen, um ein besseres Bild hineinzufas
sen. Marian mag Dann das Portrait
in ihrem Zimmer nn die Wand hän
gen.«
Diese Worte machten mich schnu
dernz aber ich mochte dem Lnlel meine
heimlich-: Verehrung nicht gestehen.
Ging das Bild in Marian’8 Besitz über
so könnte ich es von ihr vielleicht tau
fen.
Jn diesem Augenblick erhielt mein
Onlel einen Brief« der ihn hoch erfreute
und den stillen, lleinen hour-halt ganz
in Verwirrung brachte. Ein distinguir
ter Diplomat, der Marquis von Cham
paubert, französischer Gesandte bei ei
nem fremoen hofe, meldete Dom Ge
rusae, daß er auf dem Wege zu feinem
neuen Posten Toulon passieren werde
und die Gelegenheit beniiken wolle, ihn
zu besuchen und die erite Freundschaft
zu erneuern.
Sogleich versammelte mein Onkel
feinen Staatsrath d. h» er rief Ma
rian herbei, theilte ihr vie Neutgteit
mit und bat fie, ja Alles aufs Beste zu
besorgen und Haus und Küche in Be
reits-haft zu halten, damit der will
kommene Gast am folgenden Tage gute
Aufnahme fände.
»Ich will mein seftei thun.« ertei
deete Martern kurz und ging, ohne
Iseäteee Iaßeutttesen es wette-, is
Ue W Fries-· Mn ..tel M
sieh on mich: »Oie froh hin ich, den
thenern alten Maximin wieder zu se
hen. Er ist mein ältester Freund. Oir
begannen unsere Studien zusammen bei
den Oratorianern; da ich mich aber fiir
St. Maurui bestimmt holte. folgte
mir Champaubert dorthin. Zum Klo
sterleben fühlte er teinen Beruf; aber
er war ein tüchtiger Scholar und hatte
entschiedene Neigung siir tlassische Stu-I
dien. Als sein älterer Bruder starb.
verließ er unser Jnstitut gerade ehe ich
mein Noziat begonnen hatte. Es war
am Allerheiligentage 1787. Jch sehe ihn
noch in seinem blauen Rock und runden
Hut, wie er am Einsahrtsthor von uns
Abschied nahm und zu Pferde stieg. Er
war ein samoser Reiter und von schö
ner Gestalt. Seitdem sinds 35 Jahre
verflossen, und ich habe Ehampaubert
nicht mehr gesehen, noch von ihm gehört
außer durch die eZitungen. Er gehörte
zu den frühesten Etnigrantsen und lehrte
erst nach der Restnutation zurück. Sei
ne Talente und seine Treue haben ihren
Lohn gesunden; der König hat Ehren
und Auszeichnungen aus ihn gehäuft.
Champaubert iit Pair von Franlreich,
Gesandter und hat, ich w:is;, tpie viele
Titel und Würden. Möge Gott ihn
segnen! Er verdient wirklich sein
Glückl«
Am folgenden Tage sah «ich mit
Spannung der Ankunft einer so hohen
Persönlichleit entgegen. Während des
Nachmittag-« rief mich Vabelou, die
lleine Dienerin, die neben Marian
sungierte: »Herr Friedrich! Kommen
Sie! Der fremde Herr wird gleich hier
sein, er ist schon in der Allee.«
«Wo ist sein Wagen ?« srug ich,
»tonnte er den Weg passiren?«
»Seht Wagen Z« lachte Babelon;
»nur-, dem geht’s:« tvie Eures Onleli
Wagen. Beide tomnien ans jedem
Wege fort, auf den ein liiel seine vier
Füße setzen tat-»L«
Und so trsar ek! Der Oleiandte kam
Ins site-Im ern-b VAnhsngHv muss-estim
» »u-» w-»-s-»· - sp)
icn Esel berangerittem nur unbegleitet
von einem Bauer, der den Esel trieb
und des Herrn Koffer trug
Mit jugendlicher Gewandtheit
sprang Herr von Champaubert von fei
nem Thier und schlang feine Arme um
meines Onlels Hals. »Mein lieber
Thonias!« »Mein theurer Mariinin!«
»Ich habe Dich gleich wieder er:
tannt."
»Du haft Dich nicht im Geringiien
vernödert.«
»Nun, etwas Schnee ist inzwischen
doch gefallen,« meinte lächelnd der
Marauis und fuhr mit den Fingern
durch fein graues haar.
»Wenn Dein Brief mich einen Tag
friiber erreicht hätte, wäre ich Dir bis
C——(—— entgegengeiommen. Du haft
wohl den Weg nicht leicht gefunden?«
fagte mein Onkel.
»O gewiß,« antwortete die Excellenz,
»ich ließ den Wagen auf der Cbauffee
und fuchte einen Führer und einen
Efel. Jn einem nabe gelegenen Pacht
bof fand ich, was ich brauchte. Uebri
gens habe ich den Weg fchon einmal ge
macht.«'
»Dadon habe ich nie gehört«
»Es war zwei Jahre nachdem ich das
Colleg verlassen. Du warft gerade zu
St. Pierre de Corbie in der Vorbe
reitung aus die Gelübde begriffen. Und
dann verknüpften sich damit Dinge.
iiber die zu fchreiben ich zu iener Zeit
mich nicht im Stande fühlte.«
Die alten Herren gingen Arm in
Arm in's Haus. Jcb konnte mich nach
der erfken Vorstellung laum erboten von
dem Erstaunen, daß dieser einfach ge
kleidete Mann eine fo bedeutende Per
silnlichteit fei. Seine Haltung war
würdet-am aber nicht fteif; feine Ma
nier leicht und natürlich. Nur in den
Augen und der hoben Stirne thronte
eitan Undefinirbares, was sofort da
ran erinnerte, daß fein Träger eine
maßgebende Stellung im Leben ein
nebme. Dabei fah er viel iiinaer aus -
als mein Onkel. Dom Gerufar führte
feinen Gaft in’5 Bibiliottykziminer.
»Denn,« bemerkte Champaubert, »Dei
ne Bibliothek ift Dir Welt, Königreich
und Familie. Und wir befinden uns
dort n guter Gesellschaft Aber ich
sterbe vor Durst. Willst Du mir nicht
etwas zu trinken geben-Z«
Mein Onkel rief Marian; aber ftatt
ihrer kam Babelon und brachte Wein,
Zucker und ausgezeichnete Früchte
»Herrlich,«« sagte der Marquis; »dies
kluge Mädchen hat errathen, wie fehr
ich diese kleinen gelben Pfirsiche mit
ihrem befondern, bittern Atoma liebe.
Jch habe sie noch nirgends gefunden,
außer in diesem Bergdiftrikte.«
Kurz vor dem Diner rief mich Ba
belon zur Seite und theilte mir bestürzt
mit, daß Marion, die feit gestern au
ßerordentlich viel geschafft habe, un
rvohl fei und nicht bei Iifch aus-warten
könne.
Jch gestehe, ich fühlte mich unwill
kürlich erleichtert.
«Schön, dann warteft Du auf,« sagte
ich der kleinen Magd; «le-ge dein befies
Kleid und eine neue Schürze an. Ma
rian foll ruhig im Bette liegen. Jch
werde meinen Onkel benachrichtigen.«
Als mein Onkel Motiv-MS Krank
heit erfuhr, ging er sogleich, um nach
ver alten Dienerin zu sehen. Jch fähr
te inzwischen M. de Champaubert in
m Speifezimmer, das von den
Strahle n der untergehenden Sonne
giinsti beleuchtet wurde. Der Mar
quis ah ßch wohl-M unr; alt
acht fein VII M das. kd Aber dem
-- i H
... . .«.—.—-,....,..-.W— .-·
Kamin siel drehte er steb plöslich zu
mir und frug hastig: »Wlssen Sie wo
her dieses Portrait stammt?«
Erröthend erwiderte ich: »Ja, mein
Onkel kaufte es zu D———— in einem
Raritiiten-Laden.«
.anleich mit diesem Spiegel und
den beiden Tassenp
»Ich glaube wohl. «
«Dom Gerufac kam herein und bat
den Freund, zu entschuldigen, wenn
Mahlzeit und Bedienung nicht so seien,
wie er es gewünscht habe, da seine alte
Dienerin plötzlich erkrankt sei. Cham
paubert beruhigte ihn, und wir segten
uns zu Tische. Gilicklicherweise war
Marian im Stande gewesen, der Küche
bis zu Ende vorzustehen, und da sie die
auswartende Babelon gehörig instruirt
hatte, war das Diner errellent und die
Bedienung recht ordentlich. Jch tonnte
aber vor Aufregung iaum essen.
Des Marqnig Fragen hatten mir
bewiesen, daß er das Original des
Bildeg, das ich mit solcher Verehrung
betrachtete, gelannt. Aber durfte ich ihn
dariiber befragen, ohne taltlos zu er
fcheinenk Gewiß nicht. Jch war so in
mein Grübeln versunken, daß ich auf
die Conversation der alten Herren
nicht achtete, bis meines Onlelg Frage
an mein Ohr tlana: »Es scheint, daß
dir Staatsanaelegenheitcn Dein aani
Arg Leben in Anspruch genommen lia
ber Daher haft Du auch wohl nie an«i
Seitathen gedacht I«
,’pardon,« war kie Witme »ich
stand sogar nahe vor der Heirath mit
dein schönen Märchen, dessen Bild lsier
iiver dem Fiamine hängt-«
»Wirtlich?« rief erstaunt mein On
tel; welch« seltsame-S Ziiiattiinentref:
fra! Du mußt uns mehr davon erzäh
len.«
tsin bitteres Lächeln glitt iiiser Desl
aqunis Züge; dann erwiderte er:l
»Ich tann jetzt ohne Erregung iiber die
Begebenheiten sprechen; und da Du
es wünschest und Dein Nefse so selbst
vergessen das- Bild meiner eVrlobtnl
anstarrt, als od ihre verhängniszoollcnl
blauen Augen auch ihm etwas von ils
rem Gifte eingeslösst hätten, so will ich
Euch die Geschichte erzählen. Laß den
Kassee hier serviren und sende dann
Badelon weg. Jch will meine tfrlebs
nisse Euch mitttseilen mit diesem Bild
vor den Augen«
Z. Kapitel.
Monsieur le Marauig und
Monsieur le Baron.
»Dieses Bild ist das Portrait des
Fräuleins von Malpeire, der einzigen
Tochter des leßten Baron von Mal
wire-'
»Der dort oben im Gebirge das alte
Schloß besaß,« ries ich aus.
»Jatvohl, mein junger Freund,«
antwortete herr von Champaubert;
»und dort haben die Ereignisse, die ich
erzählen will, stattgefungen. Erin
nerst Du Dich, Thomas, daß ich Dir
von Paris einen Bries schrieb, in dem
ich Dir anzeigte, daß ich nach dein Sü
den von Frankreich gehen würdet-«
»Gewiß,« antwortete mein Onkel,
Jener Bries war der letzte, den ich er
hielt, und war geschrieben vor der Re
volution im August 1789.«
«Welch’ wunderbares Gedächtnis
siir Daten Du hast!'« ries Herr von
Champaubert aus. »Du hast Recht;
ich tam nämlich in dieser Gegend ei
nige Zeit nach der beriichtigten Nacht
des 4. August an. Ader ich muß Euch
zuerst den Ursprung der Freundschaft
auseinandersesem die zwischen den
Chainpaubert’o, einer alten norman
nischen Familie« und den Matpeire’s
aus der Provence existirte. Vor mehr
als hundert Jahren hatte zur Zeit des
Krieges mit Piemont eine Division
unter dem Marschall von Tasse die
Grenze besetzt. Mein Urgroßvater,
Milbe-im von Cizampaubern diente in
UIIU Ilcgllllclll FOUUCIHUI, III VII-l
ebenfalls ein junger Edelmann dieser
Gegend-, der Baron von Malpeire,
eintrat. Beide tvurden balb geschwo
rene Freunde, und da Beide erft turz
verheirathet waren, hielten sich ihre
Gattinnen zu Burg Malpeire, die für
uneinnehmbar galt, auf. Als der
Marquis von Champaubert in einem
ScharmiitzelOnahe der Grenze fchwer
verwundet worden, gelang es feiner
Frau, feinen Trank-spart nach Mal:
veire zu bewerlftelligen, too er aber am
folgenden Tage starb. Kurze Zeit da
rauf fiel der Baron von Malpeire nn
ter den Mauern von C -—. Nach die
fem doppelten Unglück blieben die Da
men zu Malpeire vom Schnee, der ja
dort an sechs Monate liegt, einge
fchlossen. An dernfelben Tage wurden
Beide von Söhnen entbunden, die zu
gleicher Zeit in der Dorftirche die
Taufe empfingen. -Zur Erinnerung
an dieses Ereigniß wurden zwei Ul
men gepflanzt und nach den Mel-gebo
tenen genannt. Zu meiner Zeit be
fchatteten diefe Baume den Platz vor
der Kirche. Exisiiren sie noch?«
»O ja,« rief ich haftig; »und man
nennt sie noch Herr Marauis undhere
Baron, aber Niemand weiß, weshalb«
»Die Witwen blieben das Trauer
jahr noch zufammen. Dann mußten
sie scheiden: aber die durch das gleich
artige Sthickfal besiegelte Freundschaft
flößten sie ihren Kindern und Enteln
ein. Obgleich die Familien an den
entgegengefehten Grenzen des Landes
wohnten, blieben sie in stetem Verkehr.
Der ftets gehegte Wunsch« beide a
milien durch eine Ehe zu vertniip en,
war lange nicht erfüllbar, da während
drei Generationen kein einziges Mild
chen im hause Ehampaubert geboten
wurde und die T« ter der herren von
Malpeire alle als inder starben. Ost
hatte ich während meiner Kindheit zu
hause darüber sprechen gehört; ich
wußte auch, da der damalige Baron
von Malpeire e ne Tochter in meinem
Alter hatte. Daher war mein Erstau
nen nicht groß, als mir mein Vater
ungefähr zwei Jahre, nachdem ich das
Colleg verlassen hatte, eines Tages er
klärte, er habe meine heirath mit
Fräulein von Malpeire verabredet.
»Mein lieber Maximin,« so waren
seine Worte. »diese Dierath vereinigt
alles, was wir wünschen können. Jch
tannte den Baron, als er vor 25 Jah
ren nach Paris lam, um Fräulein
d’Herbelay, eine der reizendsien Per
sone in der Welt, zu heirathen. Er
ist ein Edelniann der alten Schule, et
was unwissend nnd aaneen begrenzt,
aber edelherzig und großmüthig Der
jungen Dame Mitglist ist vollkommen
ausreichend, und der Name Malpeire
spricht siir sich selbst er ist einer der
ältesten in der Provence· Ich habe
mich nicht eingehend iiber die Schön
heit Deiner lijnstiaen Braut erinn
digt, Du wirst ja selbst urtheilen tön
nen; ich weiß nur, daß sie in ihrem
iioanzigsien Lebensjahre steht.« Mein
Vater saate dies mit einem Lächeln,
das inicti schließen ließ, eine angeneh
me Ueberraschung warte meiner, und
Fräulein von Malbeire sei sehr hübsch.
Jbr erselit aus diesem Bilde, bas; ich
mich nicht geirrt l)atte.
»Ich tam hier« wie ich schon vorher
bemertte, gegen tinde August an. Acht
Tage war ich aus staubiaen Straßen
in einer unbeauemen Postime gereist
und i? erinnere mich sehr wohl des
lintiii ec:L—, dass im beim Anblicke die
ser Berge und griinenTbaler empfand,
nnd des Veraiiiigen5, das mir das
Rauschen des nach allen Tiiichtnngen
biniliefzenden Wassers-— gewahrte Ich
ritt dem Saumpsade nach, nnd ein
XUiaitltbiertreilscr solate mit meinem
Geisäck Tief-er Mann, der ein wenig
herumaerejsi irae, nannte mir die Ra
men der versitiiehenpn files-im Hirn
- We HEXE-.
Wien die wir in der Entfernung
sah:n, und wußte von jedem von ihnen
eine Geschichte zu erzählen. Als wir
an den Eingang der Schlucht, die
»Daß von Walz-ein« heißt, kamen,
machte er mich auf einen flachen Stein
aufmerksam der aus dem Felsen her
vorspringt und eine Art Sitz etwas
unterhalb des Weges- bildet. »Dies
ist die Stelle, wo die Tochter des Ba
rons von Malpeire wieder zum Leben
tam.« »Welche Tochter," srug ich.
»O, die einzige, die fest gesund und
munter ist« Als sie gerade sieben
Jahre alt war, wurde sie trank und
starb, wie alle ihre Brüder undSchwe
stern vor ihr. Man legte fie, mit eig
nem Zweig weißer Blumen um den
Kopf und einem Kruzifix in den Hän
den in einen Sarg, und der Begräb
nißzug verließ das Schloß, um sie in
der Gruft der lleinen Kapelle aquße
des Hügel-, dem Erbbegröbnisse der
Herren des Schlosses, beizusetzen Als
die jungen Mädchen, welche die Bahre
trugen, ·an diefer Stelle anlangten,
sehten sie ermüdet den Sarg fiir eine
Weile aus diefen Steinsitz nieder. Der
Herr Pastor hatte gerade aufgehört,
»libera nas domine« zu singen. Nie
mand sprach, und kein Laut war ver
nehmbar außer dem Brausen des
Waldbaches, der sein Felsenbett durch
eilte. Plötzlich tönte eine leife Stimme
aus dem Sarg. Das Kind richtete
sich aus, blickte wie narh Wasser su
chend umher und sagte: »Ich bin so
durstig.« Alle Anwesenden erschra
ken, als sie das Mädchen das Bahr
tuch emporheben sahen; aber der Pfar
rer nahm es in feine Arme und brachte
es lebend und gesund zu seiner Mut
ter.«
lFartsetzungx folgt.)
—,.---·-.-s-s
»Geme! von Blasen-then D
Es ist belannt: die lecke Mart-etw
derin in »Wallenftein’5 Lager« war im
Grunde eine tleine Mali,ze. Der iunge
Schiller liebte es, während er auf dem
Körner’schen Lofchtvitzer Weinberg den
»Don Carlos« schrieb, zugleich aber
auch fein ,,Untertbänigftes Pro Menios
ria an die Konsistorialratb Körner·sche
weibliche Waschdeputation«, —-— mit
der Wirthstochter im Blasewitzer
Sol-enthi, gegenüber, Justine Erge
din, zu scherzen. Die aber war geaen
den sominersprossigen Schwaden nicht
sebr liebenswürdig Es lam zu «Enem
fürchterlichen Rachefchwur, und alle
Welt war ent,iiclt von der Art, tvie
der Port Wort hielt. Nur das »Opser«
mochte nichts davon hören, und sie ver
ziel- ibin, da sie es als Gattin des
Dresdener Senators Nenner zu hoch
ansehnlichen Verhältnissen brachte, nie
inals.- Auf dein alten Dresdener
Eliassriedhos, dem schönsten der Re
sidenz, der leider in nächster Zeit fälli
larisirt werden soll, findet man noch
jeßt das Grab der «Gustel von Blase
nsih« und aus, stattlichem Architrav
folgende Inschrift: «
«Vereint mit ihrem Gatten ruhet
biet Frau Johanne Justine Rennen
geb. Segedin, geb. 5.’Jan. 1763« gefi.
24. Iebt. 1856.«
Um diesen schönen Begräbnißplah
wird es nun bald geschehen sein und
man weiß noch nicht, ob es möglich
sein wird, einzelne Grabstatten wie
diese und die des Urhebers der grossen
segensreichen Gitncschen Stiftung«
ferner Tiedges und seiner Freundin
Elife v. d. Rette zu erhalten.
W
Mo r t schon dadurch, da et
auf so b be be —
Yuiishu wagte-Zion g« « M