Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, April 01, 1904, Zweiter Theil, Image 14

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E r st e r1 B a n d.
sie kam es nur« daß Vincent Ger
itut sich einer solch allgemeinen Be
"t er«-reute? Verdantte er sie sei
It Gutm-iithigkeit, seinem liebens:
Urdigen Character nud jenem heiterm
Humor, der ein Zeichen körperlicher
und seelischer Gesundheit ist? —- sei
nem offenen, natürlichen Wesen, oder
Hauern äußeren Vorzügen? —- seinem
ndlich geivandten, vornehmen Auf
treten, oder seinem duntlen, aus-—
drucksvollen und regelmäßigen Gesicht,
dem echten Typus eines französischen
Officiers? Ohne Zweifel all diesen Eis
gessehaften zusammen, in erfter Linie
aber wohl dem ihm ganz besonders
eigenen Talent, sich beliebt zu machen.
Als er sich nach beendigtem Abend
essen im militiirifchen Club erhob, ein
Zehnfrantstück als Trinkgeld neben sei
nen Teller legend, fragte ihn der Kell
ner besorgt:
«Werden der Herr Lieutenant nicht
wiederkommen?«
»Vorläufig nicht, mein guter Au
gust. Jch bin zum Hauptmann beför
dert worden und reise noch heute Abend
nach Toulouse."
Au ust hatte ehemals den Rang ei-:
nes nterofficiers bekleidet nnd ver
stand eine Beförderung recht gut zu
wilrdigen » er wußte aber auch einen
summel auf der Avenue de l’Opera zu
fchähem und so fügte er mit einem mit
leidigen Seufzer hinzu:
.Toulouse ist weit fort und kann
Yersailles jedenfalls das Wasser nicht
UlcchL
Mit einem traurigen Kovfnicten
stimmte ihm der Hauptmann bei. Dag
selbe hatte er auch schon gedacht nud
ganz besonders heute am letzten Tage
vor seiner Abreise. Versailles, seine
erfte Garnison nach seinem Abgang
von der Kriegsschule in SaintiCnr.
die sieben, in der alten Königsstadt
verbrach-ten Jugendjahre, seine Lebens
. gewohnheiten, der ihm so lieb gewor
dene aesellschaftliche Verkehr sowohl
hier als in Paris —- nicht ohne Web
Inuth vermochte er sich von all dem zu
trennen. mit io stolzer Freude ihn auch
die unverhoffte Beförderung erfüllte,
die ihn zu einem der jüngsten Haupt
leute des französischen Heeres machte. »
Bei dem ihm am Mittag von seinen s
Cameraden in Versailles gegebenen»
Abschiedsmable war er von einer
lächerlichen Rührung übermannt wor
den, und diese Stimmung quälte ihn
auch fest noch, während er in einer
herbeigerusenen Droschte durch die
Straßen von Paris fuhr und hin und
wider zum Fenster hinaussah nach ir
snd einem strahlenden Schausenster,
einer erhellten Straßenecke, oder den
sich in der Seine spiegelnden Lichtern
—- kurz nach dem Wenigen, soas man
eien durch den Nebel eines trüben No
vemberabends sehen tann.
Der Abschied von Paris lag ihm
schwer aus der Seele, —- der Abschied
von dem schönen Paris, wo er den
Osten Theil seiner freien Zeit. vers
cht hatte, von diesem lebensvollem
lustigen Paris mit seinen Theatern,
seinen Ansstellungen uno feinen man
ni altigen Vergnügungen. von diesem
al , tratuen Paris mit seinem groß
artigen. malerischen Aeuszern und sei
nen, von der Geschichte des französi
schen Volkes redenden Dentmälern.
von Paris, der gemeinsamen Heim
siütte aller derjenigen Franzosen, die
keine andere Heimath mehr ihr eigen
nennen.
Diese allgemeinen schmerzlichen Ab
schiedsgesühle des jungen Officers
nahmen jedoch eine bestimmtere Form
an, als der Wagen über eine Brücke
rollte, dann längs der Quais hinfuhr
und aus der Rue des SaintiPeres
-4.—
cllllwsh Um vol kluklu get-Heli, cuou
diisteren Hause zu halten. Vincent
Gerbault sah auf seine Uhr und dachte
an die Abgangszeit seines Zuges.
»Mir bleibt tauni eine halbe
Stunde zum Abschiednehmen.'
hastig war er in’S Haus getreten
und zog nun an einer Thüre des Erb
geschosses die KlingeL An der Thüre
war ein glänzende-Z Kupferschild ans
gebracht init der Ausschtift: Bernhard
Lepaae, Dr. med. u. chir., Sprechftuw
den täglich von 12 bis 2 Uhr.
Die zwischen Doctor Lepage und
Vincent bestehende Freundschaft war
inniger, alk- man sie gewöhnlich zwi
schen fFreunden findet. Die beiden
betrachteten sich wie Brüder — ja fast
Die Zwillingsbriider« denn sie waren
is der gleichen Woche zur Welt gekom
sen vor etwa dreißig Jahren und in
demselben alten hause einer Straße
II Diian Bernhard hatte das Licht
let Welt im Erdgeschoß erblickt, neben
tun sueeau seines Vaters, eines Geo
- Dems. Vincent dagegen im vierten
Mele, wo sich das .Atelier des
- Wetö Gerbault besand.
- Ver xveiß ob nicht dieser Unter
in der Lage ihrer Wohnungen
G entgegengesehten Einfluß aus
, charaktere und Schicksale ausge
» hatt Als ischstes Kind einer zahl
in eine kleine Wohnung u
driingteu Familie war sitt
L- eid Mäi steld ge
, UHTHAMKUVMAI
reichliche Gelegenheit bot, sich eine
praktische, nüchterneLebenianschauung
onzueigncn. Vincent dagegen, der als
einziger Sohn in dem lustigen, ruhi
gen Atelier seines Vaters ausgewach
sen war, von wo aus man iiber die
Dächer hinweg nichts als ein großes
Stück blauen Himmels sehen konnte,
hatte dort seinen Hang zur Träumen-i
und zu hochfliegenden Plänen unge
hindert entwickeln können. Nach Waf
senruhm vor allem dürstete der jugend
liche Schwärmen und so war er in die
Rriegsschule von Samt-Chr eingetre
ten, während sich sein Gespiele dem
Studium der Medizin zuwandte.
Bedie aber brachten zur Verwirklich
ung ihrer iri verschiedenen Richtungen
liegenden ehrgeizigen Pläne einen gro
ssen Vorrath von jener thatträftigen
Ausdauer und strengen Rechtlichleit
mit, die dem burgundischen Volls
stamme eigen ist«
So wenig sich die beiden Freunde
nun aber auch glichen, so hingen sie
deshalb doch nicht minder aneinander,
ja vielleicht liebten sie sich gerade aus
diesem Grunde um so mehr, wenn auch
jeder aus seine Weise. Vincent fand
später viele gute Kameraden, aber
Bernhard blieb doch sein liebster
Freund, während dieser außer Vincent
ikberhauvt keinen Freund hatte...
Die Thüre mit dem Kupferschilde
Efsnete sich, und das Gesicht des alten
Tienerz mit weißem Coteletiebarte
bellte sich beim Erkennen des Besuch-ers
sichtlich aus« -
»Wv’.·len der herr Hauptmann die
Güte haben, einzutreten?·'
Dieer war bereits, ohne die Auf
s--h---«-.- -l--..---t-- -;lå--- stA-;O«
..«.-......., »»,,.«»......., . ...,.. v-,
tes durch den eleganten Wartesalon
ins Sprechzimmer eingedrungen wo
er schon von der Schwelle aus in sei
ner lebhaften Art dem Freunde ent
gegenrief:
»Ich komme spät. nicht wahr? Du
hast mich wohl kaum mehr erwartet,
aber weißt Du . . .«
Vincent hielt erstaunt inne. Was
war denn das? Der Doetor saß ja
nicht an seinem gewohnten Playe vor
dem Schreibtischet Er stand am Fen
ster, starrte in die Dunkelheit hgnaus
und fuhr beim Ton der bekannten
Stimme leicht zusammen. Während er
sich dann umwandte und auf seinen
Freund zuging. murmelte er, in Ge
danken verloren, ein paarmal vor sich
hin:
»Sonderbar, sonderbar!'
Bernhard Lepage gehörte mit seinem
im Verhältnisse zu seiner Magerkeit
Hetwas zu hoch ausgeschossenem leicht
Hvorn übergebeugten Körper, mit den
feinen, doch infolge angestrengter Ar
beit schon etwas durchfurchten Zügen
und dem blonden Vollbart, der sein
sommersprossigee Gesicht umrahmte,
zu jenen Männern, die sozusagen gar
tein Alter haben —- ein Vorzug. den
er in umgekehrter Art ausniitzte, als es
gewöhnlich geschieht. Mit seinem .ge
setzten Wesen und seiner ernsten Miene
hofste er. der jede seiner Bewegungen,
ja selbst den Ton seiner Stimme in
der Gewalt hatte, mindestens für einen
Vierziger gehalten zu werden.
Um diese Eigenthümlichkeit zu be
greifen, mußte man allerdings den ei
genartigen Lebensplan kennen, den sich
der junge Arzt vorgesteckt hatte. Je
denfalls lag es im Interesse seiner
ärztlichen Praxis, seine Jugend zu ver
heimlichen. Dabei lautete sein Wahl
spruch: Begniige Dich fiir den Anfang
mit Schwarzbrod, wenn Du Dir für!
die Zukunft den Genuß non weißem
sichern willst und während der kurze-H
tosibaren Jahre, die andere mit Izu-I
gendthorheiten vergeuden, arbeitete erj
ohne Unterlaß und gönnte sich tein
Vergnügen Auf diese Weise hoffte er ;
mit seinem sünsunddreißigsten Jahre
als ein gemachter Mann beizustehen»
Dann erst wollte er das Joch einer
selbst auferlegten Mäszigteit und Ar
beit abschiitteln, seine Jugend wieder
an’s Tageslicht holen und sie lange
und voll und ganz und in ruhiger
Sicherheit genießen. Freudig leuchte
ten des Doctors kühle, blasse Augen
aus, wenn er sich diese Aussicht vor-s
stellte. ;
Dieser Lebensplan, der er mit uner- I
müdlicher Hartnäckigteit verfolgte, war
ihm bis jetzt vollständig gelungen Die
Collegen spotteten zwar über seine ein
fache Lebensweise, die Patienten aber
saßten allmählig Vertrauen zu diesem
vorwärtssirebenden Manne, der ihnen
mit dem Benehmen eines alten, ersah- «
rcnen Arztes entgegentrat. Sein Rus s
verbreitete sich mehr und mehr, undf
sein Wohlstand wuchs von Tag zu!
Tag Reben den mit gediegenem Luxus
auswatteten Warte- und Sprechzims z
mern, die seen wohlberechneten Ein-I
druck auf Ue Patienten nicht verfehl- (
ten, hätte niemand die bescheidene
Schlasstube ihres Wes mit der?
schmalen eisernen Vettstelle oder deui
geheimnisvolles Weinen Winkel ver-;
mutbet wso der Doctor seine grobe Kost
Pseka km ihm sei- ner-i see-esse !
jed- Wuch- Wiicheeie des-i
auseren Anstand zu opfern und sichi
würdevoll zu geben, derart zur zwei
ten Natur geworden, das Vincent Ger- l
bautt aufs höchste erftaunt war, seinen l
Freund fett in nachliifsigeralinti cher
haltung mit einer alten halb au ges;
gangenen Pfeife in der hand auf sichi
zukommen zu sehen.
»Du rauchft? Da muß etwas nichtk
in Ordnung seini« rief Vincent. I
Da der Doktor feine tleine Leiden
schaften auf das geringste Maß be
schränkte, so gestattete er sich auch das ·
Rauchen nur in Stunden der Mißstim
mung zur Beruhigung. Vincent tannte
diese Eigenthümlichteit seines Freun-«
des sehr wohl und fuhr bestürzt fort:
»Ist Deine Operation mißgliickt?
Die Operation, die Du heute an dem ;
alten Fräulein in Bougioal vorneh-«
men solltest?«
»Ich habe sie gar nicht unternom
mens«
»Wiefo? th ein anderer dazu beru
fen worden ?«
»Nein, ich selbft habe sie auf morgen
verschoben. Jch war heute nicht dazu
aufgelegt.«
Daß Doktor Lepage sich nicht in der
Stimmung befinden sollte, eine ihm
dreitausend Franten eintragende Ope
ration zu unternehmen, war höchst un
glaubtoiirdig. Launen, Stimmungen
und dergleichen bildeten bei ihm einen;
Luxus, den er sich nicht erlaubte.
Was ift Dir denn Unangenehmes
zugestoßen?«
»N .cht5 Schlimmes« nur etwas ganz
Seltsame5. Ein schändliches Frauen
Instituts o
»Wie?!«
Die Sache wurde immer wunderba
rer. Vincent ließ sich, die Cigarette
im Munde und seine Abreise, seine
Eile und seine beabsichti gten Herzens
ergießungen vergessend, aus dem Sofa
nieder um seinem Freunde zuzuhören.
«Erzähle!«
»Es ist ja alles nur dummes Zeug,
und das Allerdiiminfte ist. daß ich den
seltsamen Eindruck meine-«- Erlebnis
ses nicht los werden tann.«
Noch ganz unter dem Banne dieses
Eindruckes zögerte der Doktor zwischen
einer gewissen Scheu vor der Mitthei
lung und dem innerlicheannsche nach
Aussprache. Vincent jedoch seine Ge
danten anvertrauen, hieß ja fast nur
mit sich selbst reden.
»Die Geschichte ist eigentlich ohne
Hand und Fuß«, begann er mit plötz
lichetn Entschlus, indem er seine Pfeife
wieder anzündete und im Zimmer auf
und ab ging· »Doch wenn Dieb«-Z in
teressirt . . . Es war also heute Mittag
gegen Schluß meiner Sprechstunde. Es
hatten sich nicht viele Leute eingefun
den, denn es ift eine schlechte Jahres
zeit jetzt: die Sommertrantheiten ha
ben aufgehört, und siir die schweren
Catarrhe ist es noch zu früh . . . Wa
rum lachst Du? Diirfen wir Aerzte
denn nicht mit dem gleichen Rechte an
eme Epidemie denken, wie Du an einen
Krieg? Wenn man sich auszeichnen
will, muß man doch auch Gelegenheit
dazu haben!
.Doch zur Sache. heute war mir
meine Freiheit ganz erwünscht, da ich
utn zwei Uhr mit Sautrot nach Bon
gival zu gehen beabsichtigte. Jch hatte
ihn gebeten, bei der Qperation zu assi
stiren, da ich wegen jener Beinamputas
tion, zu der er mich im vergangenen
Monat zugezogen, noch in seinerSchuld
stand.
»Und dann war es unter den obwal
tenden Umständen auch besser, zu
zweien zu sein, nicht daß die Qperatiou
besonders schwierig wäre-is handelt
sich nur um die Entfernung einer klei
nen Geschwulst —, sondern weil die
Dame fünfundsiebzig Jahre alt und
Besitzerin von zwei bis drei Millionen
ist.«
Nun der Doktor bei seinen liebsten
Fingern Geschwulstem abgeschnittenen
Oklucll uIlU Dlluillllcll, Ullgclllllgk 1W1,
lehrte auch seine gewohnte Stimmung
zurück. Er bemühte sich, die Sache auf
die leichte Schulter zu nehmen und fuhr
fort: »Gegen halb zwei Uhr nun meldet
mir mein alter Kittel-, daß sich nur
noch eine Person-, eine unlergeordnele
Patientin, im Wartezinimer befinde.
Da ich eilig bin, gehe ich von meinem
gewohnten Grundsatze, die Patienten
etwas. warten zu lassen, ab und lasse
sie sogleich zu mir fiihren . . . Herein
tritt ein junges Mädchen . . . .'
»Hübsch.2« unterbrach der haupt
mann.
«Geduld . . . nicht hübsch beim Ein
treten.«
»Und beim Fortgehen?« .
»Geduld, Geduld; warte doch! Jch
sitze dort drüben . . ." — dabei zeigte
der Dortor auf feinen Schreihtiich sp
»nnd sie setzt sich auf Deinen Mal-,
während ich sie prüfend betrachte. Eine
l-eine, blasse, nichtöfagende Briinette
in schwarzer Jacke und einfachem han«
erne jener unbedeutenden Erscheinun
aen, wie man fee alltäglich trifft. Gut,
denke ich mir, eine unbemittelte bleich
iiichtige Ladenrnanrfell, und nehme
mir vor, ihr zu verordnen, daß sie eine
band voll Nägel in ihre Wasserslafche
legen folle... denn, weißt Du, man
darf den Leuten irnrner nur ihren Ber
böltniffen entsprechende Mittel ser
schreiben. Da sie indess noch tin-er
schweigt, so beginne ich mein Dahin
»Nun, mein Fräulein, wo fehlt ess«
wKeine UntmrtJ Z enbteiben
fentt. Eine fussugfmn
ich mit nnd Wie is erinn
dcs Ist-:
...-.-s.— —..---...-. —-.- --—-x--.-«
»Nun, inein Fette-lehr
»Da endlich entfchlte fie geh sum
Sprechen und sagt mit efter imme:
»Entfchuldigen Sie, here Ddetdtz
es handelt sich nicht um meine Gesund
heit.'
.Wahrhaftig, zu den Schüchternen
zählte fie nicht! Jin Gegentheil lag in
Zaltung und Ton sogar eine gewisse
teiftgteit, die mich fdfort ftuhig
machte. Sehr förmlich frage ich:
»Um was- handelt es sich denn dann,
mein Fiaulein?«
»Um eine Frage, die ich mit Jhnen
erörtern iniichte.«
»Dicsinal glaubte ich nun aber be
stimmt, das Richtige getroffen zu ha
ben. - Eine Nervenleidende, dachte ich;
is wimmelt ja heutzutage davon. Da
bei iehe ich sie mir näher an. Aeußere
Anzeichen einer Geistesftörung sind
freilich nicht zu bemerten, weder net
vöse Bewegung, noch tranipfhaftes
Auf- sind Zuschlagen der Augenlider,
noch die geringste Morphiumspur. Es
ist das Gesicht eines jungen Bürger
rsädcheiig, wie es einem alle Tage ent
gegentritt. Allein man tann ja nie
wi en.
tellen Sie Jhre Frage.«
»Nicht wahr, Sie sind der Arzt, der
Fräulein Ehaperdn dperiren solls«
fragt iie niit ihrer ruhigen Miene.
»Paran war ich nun aber am we
nigsten gefaßt· Ein Arzt muß dor
altem verschwiegen sein, und ich tann
sagen. daß ich dieser Pflicht bis zur
Uebertkeibung nachtdmuie. Dich und
Sautrot ausgenommen, hatte ich bei
teinem Menschen etwas von dieser
Operation verlauten lassen, und die
alte Chaperdn, die seit Monaten an
ålire Stube gefesselt ist, wird wohl auch
teine Luft zum Plaudern derspiirt
t.aben.
»Vorsichiig antworte ich: Meines
Wissens stehen Sie in teineni ver
iiiundtssixatitichen Verhältiiiß zu der
Familie, welches Interesse kann dann
diese Angelegenheit siir Sie haben?«
»Ich sagte es Ihnen ja schon, Herr
T-octor, vom menschlichen Gesichts
tkintte aus. Es handelt sich um eine
schwere, schmerzhafte Operation, bei
der das Leben eines Menschen in Ge
sabr steht.«
»Es wäre mir nun ja ein Leichtes
gewesen« dieses entweder halb verrückte
oder ebgeseiinte Frauenzimmer mit
einer tnrten Antwort abzuspeisem
cilein Die Neugierde hatte mich gepackt
i in seiisainer Ausdruck war uber ihre
siiige gehuscht, den ich mir nicht zu
deuten vermochte und den ich gern noch
einmal beobachtet und ergründet hätte.
»Plö«ich erhebt sie sich, macht einen
Schritt aus mich zu und steht dadurch
ganz nahe vor mir. Es wird mir rin
willliirlich unbehagiich. J
»Fräiileiri Chaperon’o Leben steht
in Gesahr,« wiederholt sie mit völlig
verönverter Stimme.
»Wie ein halb unterdrückter Aus
schrei tlang es, von dein man nicht
wußte, ob er aus Angst oder Wuth,
aus Furcht oder Ungeduld hervorge
gangen war. Ein nur mühsam unter
drückteä Geheimnis hatte damit aus
der Tiefe ihrer Seele hervorgezittert,
und ich hätte es gern vollends an die
Oberfläche gezogen und ergründet.
Aus diesem Grunde sagte ich:
»Ehe leichte Operation bringt das
Leben nicht in Gesahr.«
«Doch, im Alter von sünsundsiebzig
Jahren taiin jede Qperation verhäng
nißvoll werden«
I .- ch bürge Ihnen dasiir.«
. »- as tönnen Sie nicht. Aber selbst
;aiigeiiommen, dasz Ihnen die Opera
tion diesmal gelänge, so kann sich die
» Geschwulst doch von neuem bilden."
»Da hatte sie recht. Und weil eine
Geschwulst häufig nur die Aeußeruiig
einer verborgenen Krankheit ist so war
F eine Reubiidung sogar wahrscheinlich- «
I »So weit sind wir noch lange nicht "
I cntwort ete ich ihr.
i »Aber in sechs YJionatem höchstens
kin einem Jahre werden Sie so weit
; ikin. Dann müssen Sie die Qperation
; von neu-in vornehmen, das arme
E Fräulein ein zweites Mal quälen, nnd
; das alle-«- nur, um ihren Todestampi
- zu verlängern und zu erichweren Jm
i Interesse der alten Dame tann man
zwirtlich nicht wünschen, daß sie noch
länger am Leben bleibt-"
»Sie sprach mit verblüfsender Un
; virstorenheit. Jm Grunde hatte sie ja
E rielleicht eine Wahrheit ausgesprochen,
kdie man freilich als Arzt nicht aner
i tennen darf. Was mochte sie mit dem
E allemv ezwecken2
. »Sie näherte sich noch mehr, und
i mein Unbehagen wuchs. Es war mir,
! als durchzucke mich ein elektrischer
! Strom, wie ein Druck lag es mir aus
; den Nerven.
E »Sie aber fuhr ieise fort: »Es wäre
s mithin wünschen-Zweig daß die Ope
l cation niiszliinge.«
i .Jch wollte« Du hättest den Ton ge
Ihdrt, womit sie das sagte. Entiegt
» wich ich zurück. Dann kam mir sofort
wiedre mein erster Gedanle: Es ist
eine Verruckte, und gewohnheitsmäßig
suhlte ich ihr den Puls. Er ging ganz
regelmäßig und trästig, auch nicht wie
det einer Bleichsiichtigen.
«Schrveigend lie sie mich gewähren,
dann tagte sie: « ie sehen wohl, ich
tin bei tlarern Verstande, dazu jung
und gefund. Ein langes Leben steht
mir bevor. nicht wahr, das ist doch auch
hre Ansicht? Sprechen Sie, here
oetor.«
»Die Geschichte wurde mir noch-J
räthselhaster, doch begann dieser
Krankheit-toll mich sehr zu interessi
Us
Nua s Sie mac. Ia- bezwecken
ec esse-n mit de- somi
i
i
i
—.--.---.- -.- « —-- M —
.Und was glaubst Du, das sie mtr
antwortetei »Ich möchte Ihnen llar
n.achen, das es ein Unrecht wäre, mich
un« Leben zu bringen.«
«UnaushFltsam floß nun ihre Rede
und ihre Stimme llan jekt ängstlich
bittend, als hielte ich sie chon unter
dem Messer, und sie lehte um eine
Etnadenfrist.
»Denn Sie werden meineii Tod zu
dirantworten haben. Täglich ereignen
sich solche Unglückssälle, ohne daß man
etwas von deren wirklicher Ursache
ahnt, Sie aber sollen diesmal einge
wiiht werden. Aus Jhr Mitleid und T
aus Jhre Klugheit, die Sie über die i
allgemeinen Borurtheile erheben, habe
ich gebaut. Gewähren Sie mir we
nigstens die eine Bitte, daß Sie mich
ruhig, ohne vorgefaßie Meinung an
hören wollen... Wenn Ihnen diese
Operatian gelingt, wenn Sie dein
clten Fräulein noch eine lurze Lebens
srist verschaffen —- mehr können Sie
ja doch nicht erreichen W nun, dann
bin ich verloren. Zwischen ihr und mir
müssen Sie wählen. Jhr Leben, die
wenigen Tage, die Sie ihr möglicher
weise noch verschaffen, bringen mir den
Tod. Durch die Verlängerung ihrer
Leiden.vernichten Sie mein Lebens
glück. Mich stürzen Sie in’s Verder
ben, ohne sie zu retten, denn sie lann
nicht mehr gesund werden, das müssen
Sie selbst zugeben, nicht wahr? Ob
ins Ende ein wenig früher oder später
eintritt, was schadet das ihr oder an:
dein, da doch niemand sie braucht, nie
mand sie liebt? Fargen Sie sich aus
Ihr Gewissen, als Mensch und Arzt:
welches Leben ist mehr werth, das ih
rige oder das meinige? Wer hat mehr
Vellllnxgung, voll Jqllrrt gern-re zu
werden? Alles hängt von Ihnen ab . . .
o haben Sie Erbarmen!"
(Fortsegung folgt.) i
-—-——-·
»Aus-e Räuber-« tn citattem
Jn jüngster Zeit brachten Depeschen
vom Kriegsschaar-las Meldungen, daß
Tichuntichuien die Rassen in der Um
gegend von Haichen und Liaoyang an
der mandfchurischen Eisenbahn,
belästigen. Es wurde tonstatirt,
daß diese« Briganten wohl orga
nisirt und reichlich mit Vorräthen
an modernen Gewehren und Munition
tersehen sind. Eine 500 Mann starke
Bande, welche mit Mannlicher Geweh
ren bewaffnet, griff einer Meldung
zufolge einen fünfzig Mann zählenden
russiichen Vorposten bei Paleihecze, in
der Nähe einer rufsischen Garnison,
an.
Die Chineien, die jetzt in der Mand:
fchurei die überwiegende Masse der
Bevölkerung sind, obwohl erst vor
vierzig Jahren die Masseneinwandes
rung aus der Halbinfel Schantung
begonnen hat, gehören zur mongoli
schen Rasse. Auch zählt man dazu die
Bartiitem Tungusem Oftjaten, Kal
nriiclem Kirgifem Samojeden, Mand
fchuren und Mongolen irn eigentlichen
Sinn, von Koreanern und Japanern
anz zu fchtvei en. Was sind aber die
.schuntichuien Diefe .rage ist poli
tifch and im augenbli lichen Kriege
fogar strategifch so wichtig« daß einer,
der dort gewesen ist. die Pflicht hat,
ein Wort davon zu fa en.
Die Ischuntfchusen Find tein eigener
Volksstamm, selbft keine geograplfifch
bestimmbare Bevölkerungsgruppe, on
dern ganz einfach organisirte Räuber
banden von Chinesm Der Name be
deutet ,.RotheRiiuber«, weil ein rothes
Abzeichen bei Banden, die sich den
Nimbuo der Zugehörigteit u einer
weitverztoeigten geheimen Gesellschaft
geben wollen, in China Mode gewor
den ist. Noth war ja auch das Band,
das die sogenannten Boxer um den
Leib schlangen. Die Wahl gerade
tiefes Farbenfyrnbols hängt mit den
chinesischen hochzeitsgebriiuchen zu
sammen, bei denen eine rothe Laterne
eine ähnliche halbmhstische Bedeutung
-------- las-c Isa-- L-- cis-A Dass sy;v-'
HIIUUIUIIJO VII Ists III un- s--- fivuvo
wechsel.
Jn den Tschuntschufen, die seit
einigen Jahren in der Mandfchurei
ibr Wesen treiben und oft den Russen
Veranlassung gaben, kleine militäri
sche Expediiionen zu unternehmen und
ten Gedanlen der Evatuation felbsi
der abgelegeneren Theile des entwir
ien Gebietes weiter hinauszufchiebem
laben wir also eine ähnliche Bildung
eines unrechimäßigen Machtfaltorö
zu erblicken wie in der Mafia in ta
lien oder den Röuberbanden im al
langebieir. Hier wie dort dient der
Deckmantel der großen Zusammen
gehörigteit auch ofi dazu, um ein paar
Banditen, die vorn Braudschatzen der
Dörfer und Landftädte leben, den nö
thigen Respekt zu verschaffen und den
Gedanken des Widerftandes und der
Ueberwältigung durch die Ueberzahl
ter Gebrandschatzten im Keime zu er
sticken. Man erlauft lieber die Ruhe
vor ihnen durch eine mäßige Abgabe
von Hirsc, Reis-, Bohnen, Sesam,
Bauwotlengeweben und Silbergeld
oder Käseh aus Bronze und Eisen, als
fah man sieh ihren Gewalithaien aus
est.
Der Verwand, gegen die Aussen zu
iiimpfen und diese fremden Teufel rnit
ibren Eisenbahnen, Tele raphen und
Soldaten sernzuhalien, it das Argu
ment, mit dem die gutwilligenLeistun
gen von der friedlichen Bevölkerung
verlangt werden. Eigentlich sollten
ja die Eisenbahnen, da ihr Bau loh
nender Verdienst und ihr Betrieb ma
terielle Annehmliehleiien bringt« den
praktisch denkenden C inefen sehr will
kommen sein. Blutee lst in dem dünn
tevsllerten hauvti ie der Mand
Eäirei die Sorge um die Gräber auf
Feldern und die See-M der
Taoisten nicht so groß. Aber da die
site ter. Schienen eine ebenso bequeme
aFenstütze und die Schwellen eine
sauber-e Unterlage für das Mittags
chliifchen der ermüdeten Feldarbeiter
bieten, so erzählt man sich, wie vor 40
Jahren bei uns auf dem Lande von
den Kesselexplosionen der Lotomoiiven«
so in der Mandschurei von den Feuer
wagen, die ohne Federlesen schla enden
Menschen die Köpfe abschneiden, wie
die Sichel die Oalme des Fiedergrases
möht. .
Nun giebt es unzweifelhaft auch in
den Kreisen der chinesischen Mandat-i
nen, die wieder zurückgekehrt sind, und
der Literaten, die unter russischer Vet
waltung stellenlos geworden sind, vo
litische Köpfe, die durch Vereinigung
der Räuberbanden eine Macht bilden
wollen, die den Rassen die Ottupation
streitig machen iann. Daß durch Zer
störung deerisenbahn selbst wohl or
ganisirien Truppen die größten Verle
genheiten bereitet werden können, wis
sen sie aus den Berichten über die
Schicksale der niiszgliickten Expeditio
nen des Admirals Seymour von
Tientsin nach Peiing im Sommer
1900. Auch haben diese Ideen ihre
Versechter in höheren Beamtenkreisem
besonders in Mulden, wo die Gräber
der regierenden Dynasiie zum herze-n
der lonalen Unterthanen sprechen. Die
Wiederbesetzung Mulden-s durch die
Russen vor einigen Monaten war
durch die Verbreitung solcher chinesi
schen Agitationen als Sicherung-Sinnb
regel geboten.
Ein Hauptreiz dieses politischen Ge
dankens-vieles ist die geheime Hoff
meng, daß der neue Geist, den Japans
Vorbild und Beistand im eigentlichen
China zu erwecken beginnt, die vatrio
OZTJU cis-n·s«»-«- Os- M- hflf)«-’).T·I»---;
q-» -«-«· ssusus us --· «-su « »so-just
erkennen und belohnen wird. Geeigi
nele Lierbindungsglieder nach Peting
hin möchte man gern als Führer auf
den Schild erheben. Den Neffen des
resormsreundlichen Vicetönigs in
Tientsin des berühmten Yuan Schi
Kai, den Mandarinen Yuan in An
tung, dachten die gebildeten Freunde
und Anhänger der Tschuntschusen für
ihre Zwecke augzunuhem Rußland ver
langte deshalb seine Versetzung aus
weniger erponirtes Gebiet. Jnsosern
die Japaner als Retter der Jntegritiit
Chinas im weitesten Sinne austreten,
sind ihnen bei ihrem Landseldzuge die
Shmpathien der Tschuntschusen sicher.
Die Tichuntschusen sind deshalb im
Augenblick mehr wegen ihrer geheimen
Agitation politisch wichtig als wegen
ihrer Räubereien und Brandschahun
gen gesährlich. Namentlich die Wa
chen der ostchinesischen Eisenbahn von
Mandschuria nach Eharbin, vonChars
hin nach Wladiwostot und von Char
hin nach Port Atthur müssen vor
ihren Sprengversuchen des Bahntörs
pers aus der hut sein.
Die Kosaten aber, die als Wächter
der Ordnung in die entlegenen Ge
biete gesandt werden, brandschahen die
Bewohner zwar nicht in so geregelter
Form wie die »rothen Räuber«, aber
im einzelnen, wie Laune und Brannt
weindurst es ihnen eingehen. Ein rus
sischer Eisenbahningenieur, mit dem
ich eine Woche lang zusammen reiste,
sagte mir immer wieder beim Anblick
von diesen OrdnungswächternJ »Das
sind unsere Tschuntschusen,« und wenn
ich ihm einwars, daß er wohl zu sehr
verallgemeinere, schüttelte er denKops:
»Ich bin fest vier Jahre hier und sehe,
was ich sehe.«
Dr. L. Ries.
W
Aue »setbteeetnndeue« Sprach-.
Unlängst ging durch die Zeitungen
die Nachricht, daß von irgend einer
Seite der Versuch gemacht werden solle,
die lateinische Sprache, und zwar das
mittelalterliche handels- und Ver
tehtslatein, zur Weltsprache zu erhe
ben. Weltsprachen sind ja schon ost ge
- - -..t. ...L-- .
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neuesten wird es wahrscheinlich ebenso
gehen, wie mit allen sriiheren: außer
dem Erfinder wird sie tein Mensch
verstehen oder sprechen.
Die Anliindigung der neuen Welt
sprache erinnert ein sranziisisches Blatt
an ein hübsches Geschichtchen, das der
Schriststeller Benjamin Conftant de
Nebecque zu erzählen pflegte. Con
tant war in seiner Jugend sehr saul,
und die meisten seiner Lehrer mußten
den Versuch, ihm nützliche Kenntnisse
beizubringen, als aussichtslos ausge
ben. Einem ist es aber doch gelungen,
ihn zum Sprachstudium zu veranlas
sen. Der Lehrer, der ein Schlautopf
wor, machte eines Tages seinem unge
lehrigen Schüler einen eigenartigen
Vorschlag: sie wollten beide eine Spra
che zu ihrem eigenen Gebrauch ersin
den! Diese Sprache tönnte später
vielleicht eine Weltsprache werden,
meinte der Lehrer. Das leuchtete dem
jungen Constant ein und er war bald
Feuer und - lamme sür die interessan
te Sache. an ging ans Wert und
begann das Alphabet zu «erfinden«.
Der Lehrer malte die seltsamen
Schrist eichen hin und Constant malte
sie nass. Nach den Buch toben »er
sand« man ein ganzes örterbush
und bald hatten Lehrer und iiler
ihre ei ene Sprache. Beniamin on
stant brach die Jele erfundene«
S rache wie eine Muttersprache. und
er viel, viel piiter erfuhr er zu feiner
Ueberraschung, daß »seine« Sprache
auch die Sprache meri war. Dem
Lehrer war es e ungen, ihm das
Griechische beizu ringen, indem er es
Lihn ,ersinden« liest -