Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, April 01, 1904, Zweiter Theil, Image 13

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    Mc
Sein erster Ball.
humoreile von A. L y n n.
Doktor Willibald Aengstlich kannte
von der Welt und ihren Gebrauchen
nicht viel, desto mehr aber von seinen
Büchern mit ihrem Inhalt. Ein früh
reiser Schüler, hatte er die Befürchtun
gen, daß die Frühreise einen späteren
Umschlag bewirken würde glänzend
widerlegt. Aus der Universität war er
ein Büchern-arm fleißig bis zur letzten
Anspannung seiner Kräfte. Mit 22
Jahren machte er sein Eramen mit der
Nr. l cum lande, vier Wochen später
promovirte er und jetzt, zwei ahre
später sehen wir ihn als ob einer
Fähigkeiten hochgeschähten Gymnasial
lehrer in einer größeren deutschen Pro
vinezikalsiadt leben und wirten.
an nannte den jnnaen Gelehrten
menschenscheu und hatte nicht so ganz
unrecht mit dieser Bezeichnung Allein
es war weniger die Scheu vor den
Menschen als die vvr der »Gesell
schast«, ihren Sitten und Anforderun
gen. Willibald hatte fast gar leinen
Verkehr, die Einladungen, mit denen
er in erster Zeit reichlich bedacht wor
den war. hatte er, Arbeit an einem
größeren wissenschaftlichen Werte vor
schützend, abgelehnt nnd allmählich
hatte man es denn auch nchselznckend
ausgegeben, ans diesem junaen Bücher
ivnrine ein brauchbareg Mitglied der
«Gefellschast«, d. h. einen neiitreichen
Wanderer, guten Tänzer nnd sonstigen
Zchl renöther herangznlsilden
Ists-Wahrheit, Willibaid nat ein
seltener Mensch! irr war noch nie ver
net-n gewesen« su, ev sum-u nun zu gr
hen wie manchem alternden Gelehrten,
der die Weiber fiir Geschöpfe niederer
Art höll. Gwisz ist, daß unser junger
Freund und Gelehrter nie sich ertijhnt
hatte, in ein junges und holdes Mäd
chenantlisz zu sehen.
Es war nicht schwieria. zu prophe
seien· das-« Ioenn ihm dies einmal ras
siren würde, er seltsam davon betroffen
sein werde. Und so geschah es. Eines
Tages lehrte er aus dem Schulgebönde
heim. wie immer, die Blicte abwärts
aelehrt, langsam seinen mit pedanti
scher Genauigkeit eingehaltenen Weg
dahinschreitend. Da stiesz er plötzlich
mit einem Wesen zusammen. das
gleichfalls in Gedanken aetvesen sein
mochte. Eine Entschuldigung niur
melnd, wollte er zur Seite treten, da
gewahrte er aufsebend bar sich ein rei
sendeQ jugendfrisches Antlitz. das; er
fast erschral und den Hut in der Hand
eine Selunde unbeweglich stehen blieb
und dann in iiberhasteten Worten eine
neue Entschuldigung stammelte.
»Aber, ich bitte, Herr Vlengstlich,"
sagte das junae Mädchen mit süßer-,
alockenreiner Stimme und mit einer
zierlichenVerbeuaung schritt sie davon·
Willibald schaute ihr nach. Die
zierliche, in einfache. aber gesehm-tel
volle Tailette getleidete Gestalt ent
fernte sich von ihm riel zu schnell, wie
ihm düntte. Und dann aina auch er
weiter, aber se«n Studierstiibchen er
schien ihm heu e zum ersten Male in
seinem Leben unbebaalich Und indem
verfolgte ihn ein toller Sp.!t· Jn den
Heften seiner Schüler sah ee die brau
nen lachenden Augen wieder, aus- sei
nen Büchern lachte ihn das liebe Ge
sichtchen an und als- er gar mertte. daß
er aus den Rand eines Schulhestes
mit rather Tinte ein Sonett zu schrei
ben begonnen hatte, da ward er amer
lich und ging zu Bette, zum ersten
Male vor Mitternacht.
Und dao Gesichtchen lies: ihm teine
Ruhe mehr. Eine seltsame Regung
war über ihn gelernt-ken, vie ihn fast
trank machte, seinen Schlaf und sei«
nen Appetit raubte und ihn aus sei
ner ganzen gelehrten lleinen Welt auf
scheuchte.
Seine Namen hatte sie genannt,
also kannte sie ihn! Woher? Das
wußte er nicht. Iatale Angemohnheit,
den Menschen, denen man vorgestellt
wird, nicht in«s Gesicht zu sehen, schalt
er sich und dann versuchte er, sie zu
vergessen das gelang ihm erst recht
nicht.
»Sie sehen blaß nur-, lieber Herr
Dolior,« sagte eines Tages der Herr
Direktor zu ihm. »Sie arbeiten zu
viel und gönnen sich nichts. Man soll
den Weg naih oben nicht im Galopp
hinansteigen, junger lieber Freund
werden Sie mehr Mensch nnd Sie be
halten vom Gelehrten immer noch ge
nug — hören Sie!«
Ja, das waren gute Worte nnd er
mußte iiber sie nachdenlen Wahrhei
tig, er war nicht so nsie seine Kollegen.
Sein Leben war monoton. ohne wei
tere Freude. als ihm dag- Etnisisnn ac
toiihrtr. Als er an denk Nachmittage
heim lam, schlug er kein PM- exer
sondern setzte sich aus iein Sopha nnd
griiisiellr. Der Direltor ins-See Its-Im
er kannte noch so viel wie nisjcne Inn
der Welt nnd doch fühlte er. sonder
bar, ersi seit einigen Tagen« cht i-::-.-k
Stunde, in der er in die lehr-»den
Augen geblictt, naß eins-as ihn in jene
»Mir Welt der Fregiden««, wie er. sie
in seinem stolzen lsielehrimdlåniel ne
nannt, rnit Macht hineinzie! e.
Moll war mitten in ker Zeiss-Jst der
Balle imd Gesellscijnfken Williksald
merkte nichts davon, denn die Gesell
schaft nahm leine Noiiz mehr von ihm,
nnd-dein es keiner Familie aelemqen
war, den jungen Lehrer zum Korn-neu
zu bewegen. Unr so nrehr wnr Dieser
überrascht. als er an einem Mittage
ans seinem Tische ein Briefchen fand,
M eine Einladung zum Ball bei dem
reichen Kausrnann Schönborn enthielt.
War's ein Wink des Schicksals, in
jene selt, hie er bisher sich selbst ver
- --.-.--..»-.—-....-sp-.«« .-... «
schlossen hatte, einen Blick zu thun?7
Willibald war unschttissig und legte
die Karte zurück. Am Nachmittag
aber trat sein Direktor an ihn heran.
»Hm Schönborn Ihnen eine Ein
ladung zu seinem Ball zugehen lassen,
deryam nächsten Sonnabend stattfin- «
bei « s
Willibald bejabte. j
»Sie werden doch gel;en?«
»Ich weiß noch nicht recht —- — -—«
zögerte unser Freund
»Gehen Sie!« rief der Direktor,
»und wenn es Ihnen um die Einfüh
rung zu thun ist, schließen Sie sich an
meine Frau und mich an und torninen
Sie mit uns. Versprechen Sie mir,
zu loinmen?«
Willibald gab halb willenlos seine
Zustimmung, und lächelnd entsernte
sich der Direktor.
Zwanzigmal verwars Willibald bis
zum Sonnabend seinen Entschluß, und
zwanzigmal saßte er ihn von neuem.
lind als der Abend berannabte und er
in Fracl und weißer Binde vor dem
Spiegel stand und sich darin musterte,
da war es ihm, als solle er geradewegs
zum Hochgericht schreiten.
»Sieh’ da,« sagte die Direktorin lä
chelnd, als er die Wohnung seinesVor
gesetzten betrat —- ,,wie nett Sie sich
berausgeputzt haben! Sie machen or
deutlich Figur, Herr Doktor. Die
jungen Schönen unserer Stadt werden
Augen machen!«
ilOchIl.-."« eins-Jus -»Jl. »Um Ja
wes-Iro- v «- UU t-« , so- r- kos
ges Mädchen das zum erstenmal den
Ertoähltett seines Herzens kiißt.
»Vertoirr’ ihn mir nicht vorher,
Liebe!« mahnte der Direktor, »und
sorg’, daß wir bald gehen können, ek
ist Zeit!«
Die schönen und großen Gemächer
in dem stattlichen Hause des reichen
SchönbornLäntten in sestlicherPracht
Die Geladenen waren fast vollziihlig
schon erschienen als rek Direktor the-d
ne: mit dein von einem bestiaen Herz
klopfen besallssnen Willibald das zur
Ausnahme der Garderobe einaericittete
Zimmer betrat.
Lichtermeer, geputzte Herren und
Damen --- Willibald sah, hörte und
fiihlte nichts als die gefährliche Gliitte
rieo partxttirten Fiißbodens. Worte,
Namen schlugen an sein Obr. Er
schloß die Augen krnd machte eine An
zahl von Verbeugung-tm bis et eine
Hand aus seinem Arme fühlte und die
Stimme des Direktors ihm leise zu
raunte: »Kommen Sie doch -«— jun
ger Freund!«
Willibald roiire am liebsten davon
gelaufen; umsieh zu sehen, getraute er
frrh erst nach längere Zeit. Die jun
gen Lwe tanzten. ihm wurde schon
wirblich vom stricken- Und da lach
ten see denn. die blühenden Gesichtchen
Unter dtnFächern halb verborgen, und
lachten und plauderten, strahlend vor
Glück und Ballwonnr. Willibald ge
traute sich gar nicht hin zu sehen.
Ja, trtnn plötelicb die lieben braunen
Augen, das reizende Gesichtchen mit
dem schxlntischen Lachen vor ihm aus
getaucht wäre! Das lnnnte er schon,
vor dem wäre er nicht mehr scheu zu
riickgeirickkem aber das tauchte nicht vor
ihm auf.
Er hatte sich in einen Winkel hinter
eine Gruppe iiiterer Herren d:r Gesell-—
schast gedrückt und suchte das Gewirr
des Saales zu ergründen. Da trat ein
würdevoll aussehender älterer Herr aus
ihn zu:
»Ab, here Doktor (— da sind Sie
ja. Jch sreue mich, das; Sie meiner
Einladung Folge leisteten. Man
kaccyk slcl kklllcs Voll JUUUL Wukcscll
Sie ein Glas Wein init mir nehmen ?«
Willibald ftamtnelte tief erröthend
einige nnzufanimenhängenoe Worte,
allein fchon hatt-e der alte here Schön
born den Arm in den seinigen gescho
ben nnd zog ihn nah dem reichbeftell
ten Biiffet.
Jrn nächsten Moment hatte Milli
bald ein Glas feurigen alten Port
meins in der Hand. Der Gaftgeber
findt-: ihm mit freundlichem Lächeln
das feine entgegen um anzntlingen
Willsilznlds Hand zitterte dabei. nnd
er verichiittete einig; Tropfen feines
Weines auf die Manfchetten keg alten
Herrn. Tief unglücklich darüber wollte
er fein Glas leeren, nerfchinckte sich da
bei und rang teucknnd nach Nil-end
während Herr Schönlsorn fich einer an
derm thstirt zuwandte Willibald
wollte in feine Ecke zuriidfchleiebem ra
traf er nnf den Diretton
»Meine Frau inclt Sie schon seit
geraumcr Zsih sie toi Sie einigen
Tonnen vorstellen, kommen-Sie schnell!«'
Willilxnlo hatte Die Kraft nicht, zu
:pponiren. Wieder tönten ilnn Na
men :nt,1-·nen« wieder nmrfite er feine
QietLeuqlttthett nnd plötzlich, kaum
wußte ek, n«i: ei- zuging lag eine fein
belnnkichnlzte Hand auf feinem Arme,
unr er ficmD mit einer jungen, ian
völlig unt-nennan Dame in Den Rei
lien dei- TLit-,ier. lsin Polta mar’s s
friiber, ists chsiiler hatte er ein Dam-v
Mal diefenTanz geweint - — jetzt ging's :
los ---- fer Saal tanzte um ihn herum
— erwirbelte berum - er- wirbelte
hinein in das tolle Treiben de —--—
fein Fan rutfchte nnf dein glattenPar:
tett --s sein Fall «:in paar Herren
sprangen hinzu nne richteten feine
Tänzerin auf, während er fetbe hinter
den tanzend-en Poeten mit der-Schnel
ligkeit eines verfolgten Wiefels dem
Ausgange des Saales zuftrebtr.
Eine offene Thiir — hier! Ein
mäßig erleuchtetes Getnach war ci. Tief
Iusatbmend wars er fich in einen Ses
sel. Einen Augenblick Ruhe und dann
fort —-— nur nicht wieder in den Ball
saal.
Da öffnete sich eine zweite Thür,
nnd eine junge Dame betrat das Zim
iner, in der offenbaren Absicht, durch
Dasselbe hindurch in den Bollsaal zu
schreiten. War’s ein Spuk, täuscht-en
ihn seine aufgeregten Sinne, das war
ia seine Unbekannte, das waren die
treuen Augen, das reizende Gesichtchen,
die zierliche Gestalt, die heute in der
schneeigen Balltoilette doppelt reizend
sich präsentirte.
Willibald war anfgesprnngen und
hatte dadurch der jungen Dame seine
Gegenwart verrathen.
»A « Herr Doktor!« meinte diese
überrascht, — »so sern dem Ball, so
einsam hier!«
»Ich war nie auf einem Balle«, ge
stand Willibald, der im Banne dieser
Augen seineSchiichternheit faft schwin
den fühlte — »mich trieb’s hierher in
dies stille Gemach s-— ich Passe nicht
dort hinein —--—«
»O ——« lächelte das schöne Mädchen
— »dagegen proteftire ich nnd alle
meine Freundinnen. Geschwind, lam
men Sie, gehen Sie mit mir in den
Saal, ich will Sie führen. Ihren
Arm, Herr Dottorl«
Hatte er denn diesen Augen gegen
iiber seinen Willen orrlorenf Fast
schim es so, denn er erfüllte ilkr Be
achr. iig durchschauert-: iim fo eigen,
als er rie schlanke, clastisehe Gestalt an
seiner Seite fühlte, und doch fühlt e er
sich so muthiger und selbstvewnfzter.
Die Thiir flog aus. und er betrat an
der Seite seiner schönm Untietannten
den Saal. Der Tanz war zu Ende,
die Paare hatten Platz genommen oder l
standen plauoernd umher. Alle Augen
richteten sich ans das Paar. In Wil
lihald leimte die alte Scheu mächtig
empor, da wandte sich stine Dame zu
ihm, plaudernd und ihn auf dies und
jenes aufmerksam machend. So iiihrte
sie ihn zu einer altenDamen: Tit-eine
Mutter — Herr Doktor ?lenqstlich.«
Und dann nahm sie Platz, und ehe er
sich versah, saß Willibald zwischen
Tochter unr- Mutter und ptauderte,
als sei er ein wahrer Gewohnheitgbalb
gänger.
Herr Schönborn kam in diesem Au
genblicke quer über den Saal anf die
kleine Gruppe zu.
,,O«, sagte Willibato erröthend,
»kennen Sie jenen Herrn, gnädig-.
Frau!«
ererrascht sah Qie wiirdiae Dame
ihn an. »Allerdings!«
»Ich muß mich seinen Blicken ent
ziehen —- ich war so ungeschickt, ich
begoß ihn mit Rothwein --—'« klagte, in
seine alte Schiichternhcit zrtriicksallenr,
Willibald.
»Nein, nein, Sie bleiben,« lachte die
junge reizende Dame an seiner Linien
belustigt aus. »Auch ich kenne jenen
Herrn — - er ist nicht so bös-, ich ver
sichere Stet«
Und richtig—--init lxcimlichemtfijrauen
sah Willibalv jenen Herrn dirett auf
sich zuschreiten
»Das ist recht — Herr Dotter, das-,
Sie sich hierher gefliich:et - Llennchein
nimm Dich seiner an. und Du,« wank
te er sich an rie alte Dame, »be.-nuttere
ihn. hörst Du?«
Mit ossenem Munde hatte Willihald
zuaeljöri. Erbleicheno trank-re er sich
an seine schöne Unbktannt:.
»Sie --—- Sie —- Fräulein Friin
lein Schönborn —---« ftamntelte er ganz
sammng
»Ei, ei!« drohte biete, während ihre
Eltern in ein herzlicheg Lachen augbra
chen. »Si-:»treiben vie Verstellunggs
lunst zu weit, mein Herr! Freilich bin
ich AennchenSchönborn, die Sie an ein
gewisses Zusammentreffen erinnern
liinnte.«
»Q« sagte Willibalv trunkenen Bli
ckes und halblaut s--- Jetzt bin ich gliick
licht«
Da glitt auch ein leises Noth über
die Züge des schönen Mädchens und
Und? Ja, ber Ball ging zu Ende,
wie all-: Balle
»Sie sind ein Schwereniithr, lieber
Dottort« sagte der Direttor beimNach
hansegehen, und die Direttarin fügte
hinzu: »Wen! Aennchen Schönborn
einmal bescheert wird, der ist glückliche«
Schade, daß ich die Stadt nicht nen
nen dars, in Der die lleine Ballae
schichte Pasfirtr. Dort wohnt heute
ein noch junger, aber sehr gerichteter
Gymnasialprosessor mit einein ganz
reisenden Flatschen Man sagt, der
erste Ball des Herrn tttrofesfarz bat-:
die Beiceu zusamniengefiinrk M « —
Vor-haft
Moderner Dichter: ,,Det:1n«cichst
kommt ein neuer Band Gedichte von
mir t)erau-Z.«
Bekannten »Schon wieberk Saa«
mal, wie viele Kilometer Gedanken
striche sind denn nuu schon von Dir
gedruckt?«
Nur nebel.
Hauslehren »Der junae Heer Ba
ron ist sebr unartig.«
Neugeabelter Protz: »Er trieb so
fort von mir Prügel empfangen·
Fühtren Sie ihn in’s Empfangszim
met «
Im rechten Moment.
Novellette von Agnes Gräfin von
silinckowström
,,Mertwiirdig!« sagte der Gerichts
rath und fingerte in seinen Taschen
herum, »die Wissenschaft schreitet im
mer weiter vor, nnd es giebt zwischen
Himmel und Erde kaum noch etwas,
was sie nicht schon entschleiert hätte,
doch die Erklärung für einen geheim
nißvollen Vorgang, der uns täglichen
Aerger bereitet, ist sie uns noch schul
dig qeblieben."
»Da wäre ich aber begierig!« ent
gegnete der Professor nnd richtete sich
lampsbereit und lebhaft aus·
»Warum oerlriechen sich Dinge, die
man stets bei sich trägt und die einem
wenn man sie nicht sucht, bereitwillig
unter die Finger gleiten, gerade in
dem Moment, in dem man sie drin
gend braucht, in die nnbewufztesten
Falten unserer Kleidung?«
Die anderen Herren am Stamm
tisch lachten, nur der Professor sah be
leidigt aus, wie jemand, der gefoppt
wurde.
»Das ist nicht etwa Zufall, das
wiederholt sich täglich mit tödtlicher
Sicherheit. Jch suche z. B. im Augen
blick meine Eigarrenspitzr. Sie sollten
nur wissen, wie aern mir das schadet
nadscbc Dina in die Hand fchliipst,
wenn ich Nachtg- bor meiner Tliiire
stehe nnd in der Elioettasche nach dem
Haukschliissel trabbte! Biber jetzt, - —
nicht um die Welt!« «
,,Vielteicht suchen Sie einmal in der
Tltcstentasche!« schlua der jnnae Tot
tor tacnelnd wr.
Der Gerichte-roth wandte sich und
sal) den andern durch die Brillengliiser
mit bumoristischem Ernst an.
»Das war ein erleuchtender Ge
danke-. « Wahrhaftig! Da ist sie
anels. Allen Respekt vor Ihrem Wis
sen! Wo linken Sie Ihre Studien
alisolvirt?«
»Das sage ich uicht,« scherzte der
junge Mann. »Aber eines möchte ich
bemerleu: Jet) glaube nicht an den
blinden Zufall, denn gerade das, was
Sie Naturgesetz nennen möchten,
wurde einst siir mich zu einer Hand
habe des Glücks. die das Geschick mir
Lust im rechten Moment entgegen
ielt."
»Das miissen Sie uns erzählen«
»Er- Ioird die Herren vielleicht lang
lveilen."
»Im Gegenthcil! Sie sind erst seit
so kurzer Zeit in unserer Mitte, daß
wir von Ihnen wenig mehr wissen,
als daß Sie ein vielbeschiiftigter jun
ger Modearzt und angenehmer Gesell-—
schafter sind. lieberdieg sind wir alle !
neugierig, wie die Nachtigallen,
allerdings- dag einzige, roas toir mit«
diesem Vogel gemein haben, s- also
schießen Sie nnr lo5.«
»Es stillt mir schwer, meine Herren, ;
Ihnen einzugestelsen, daß ich nicht im- :
mer der solide, vertrauenerweckendet
sziinglinq lear, als der ich mich setztl
meinen Patienten präsentire. Jch war
sogar recht :!nsolide, gründlich ver
bnnnnelt, eine Spielratte ersten Ran
aes.«
Der Gerichte-ratl) lachte still vor sich
liin. Jlsm mochten ähnliche Jugend
erinnernugen in den Sinn kommen.
»Wenn ich im verschlviegeneu Hin
terzimmer irgend eines Nestaurants
mit meinesgleichen beisammen saß, ein
paar Gläser Seit im Leibe, die Kar
ten in der Hand, so gingen mir regel
mäßig Vernunst nnd Besinnung stö
ren. zuweilen yatre im rote-nettes- I
Glück, dann pointirte ich drauf los
wie verrückt, bis ich wieder alles ver
lor nnd bis iiber die Ohren in Schul
den itetittn Ilevrigeng will ich michl
nicht schwärzer- schildern, alg ich wirt- l
lich war, denn gerade in der Zeit, in
der ich ant tollen spielte, versuchte ich,
durch den Rausch eine Herzenswunde
zu heilen, mindestean ihren Schmerz
zu betäuben. I
Meine Verlobung toar zurückgegan
aen. Jeh hatte meine Braut leiden-—
schriftlich geliebt, ein Gefühl, dass- von
ihr in gleichem Mas-, erwidert wurde.
Aber ihr Vater sand, daß ich nicht die
leisesten Garantien siir die Zukunft
bieten könne, weder als Arzt noch als
Mensch, nnd aab mir den Laufpaß. l
Seitdem waren Monate vergangen, i
ohne daß ich etwas von der Familie i
qehört hatte. Ich litt uniäalich dar-un l
ter und wußte, daß auch meine kleine ·
Mathilde unglücklich sei, aber Stolz
und Trotz verbindet-ten mitn, auch nur
den leisesten Anniiherunagversneh zu
machen. Seit nnd Hazard sollten ntir l
darüber hinweahelien, und da tatnl
dann plötzlich ein Tag, an dem ich vor
der Thatsacne stand. einen aiinzlich
leeren Beutel nnd keinen sit-edit mehr
zu haben.
Ich lief stundenlang wie rasend in i
den Straßen herunt, bis der Abend
heteinbrach nnd der Hunaer mich zu
plagen begann. Da kam mir ein glän
zender Gedanke-. Ich besas; aus der
Erbschaft meiner lfltern noch ein
werthvollecs altholläindiielseis Bild, fiir
das ein linnsthändler mit sicher ans
der Stelle ein Paar l,undert Mart ar
ben würde. Damit lonnte ielt mein
Glück im Spiel aan neue versuchen
Besliiaelten Schrittes eilte ich heim.
Ich wohnte in einem sogenannten
Gartenhause. Jm Thortoeg leuchtetei
elettrisches Licht, aber im Hase i
herrschte Dunketheit. - I
Hastia suchte ich in meiner Tasche
den Thürdrücker, konnte ihn nicht sin
den, brachte statt seiner selbstverständ
lich Messer, Bürste nnd den Schlüssel
zum Vorschein und fluchte, bis ich die
Entdeckung machte, das das Futter «
meiner Tasche ein Loch habe und der
Ausreißer tiefer hinabgeglitten sein
mußte. Richtig! Da hatte ich ihn
endlich! Jch zündete ein Streichbol
an, um ihn ins Schloß zu stecken, —
er paßte nicht! Staunend betrachtete
ich ihn. Ja, was war denn das siir
ein Schlüssel? .
Jm Augenblick durchzuckte mich die
Erinnerung mit sast schinerzhastem
Weh. Jn der ersten Zeit meiner Ver
lobung hatte man ihn mir gegeben, um
durch den Garten aus dem iiirzesten
Wege das Haus meiner Schwieger
eltern in spe erreichen zu können. Er
war mir später nicht abgefordert wor
den und bei mir selbst in Vergessenheit
gerathen
Jene ganze Zeit stand niir mit
einem Mal greisbar deutlich vor
Augen: das süße unschuldige Kinder
gesicht meiner Braut, die Stunden
reinsten Glückes, die ich in ihrer Nähe
verbrachte, das köstliche Vertrauen,
mit dein sie zu mir aussah und daJ
Höchste von mir erwartete, alle die gu
ten Vorsatze, die ich damals gefaßt
Und wag war nun aus mir geworden?
——- Ein verbununelter Lump, dem
Recht geschah, wenn ihm der Vater
das Geschick seiner- Kindeg nicht an
vertrauen wollte!
Da stand ich vor meiner Hausthiir
und heiße Thriinen schossen mir in die
Augen Eine verzweifelte Sehnsucht
nach dem verlorenen Paradiese stieg in
mir auf. Das, was mich vorher nach
meiner Wohnung getrieben, war ver
gessen· Wie von einer unsichtbaren
Macht aelentt wandte ich mich zur
Straße zuriict nnd schlug den tuohlbe
t-.--4-.. Un-- -:.- te un ist-k-«
sutllllkll SUCH cllls Jus Inaan JJILIIUIIUI
wiedersehen, wenn auch nur von wei
tern, nnd wenn ich mich in den Garten
schleichen und um das Haus irren
sollte, in dem die Geliebte wohnte.
Das Schloß der kleinen Pforte war
nicht geändert worden. Der Schliissel
pasxte noch immer. Lautlog öffnete sich
das Gitter. Aus lichtlosen Fries-wegen
gin» ich zur Villa hin, aus deren obe
rer Fensterreihe sonderbarerweise Licht
in den Garten fiel. Jch wußte, daß
sich im Oberstock nur die Schlafzini
mer der Familie befanden. EI- fiel
mir da aum ein unruhiges Oinnndher
von Schatten hinter den hellen Vor
bängen ans. Und auf einmal kam der
Diener hastig aus dein Erdgeschoß
und lief so rasch nach der kleinen
Pforte, daß er beinahe mit mir zu
samtnenvrallte.
,,.L)erraott, der Herr Dottor!« stam
melte er.
»Sagen Sie niemand, daß Sie
mich hier »etroffen haben, Friedrich!«
sagte ich leise und packte ihn beim
Arm.
»Sie müssen gleich hereintommen,
Herr Doktor!« rief er.
»Sind Sie tol1?«
»Der Himmel hat Sie hergeführt!
Unser Fräulein «
»Was ist mit ihr?«
»Es lam so schnell und wurde
aleich so schlimm. Wir telephonirten
nach dem Herrn Geheimrath, der ioar
aber nicht mehr zu Hause, und nun
soll ich den ersten Aer bringen, den ich
austreiben tann.«
»Friiulein Mathilde ist trant3«
»Gut-Fische Frau sagt, es sei Diph
theritig, und Fräulein Mathilde sei
am Ersticken.«
Ich verlor lein Wort mehr. Mir
zitterten die Kniee, und mein Herz
klopfte zum Zerspringen, aber mit
äußerer Ruhe und Sicherheit betrat
der Arzt das Hang-, das sich dem Meu
ieyeu oerfauoueu harre.
Die Angst und Aufregung ließen
Mathildens Eltern auch nur den Ret
ter nnd Helfer in mir sehen, in dessen
Han« sielleielit dass Leben ihres Kin
des litt-» .
Jch stellte bei der ersten Unter
suchuna fest, daß ich noch zur rechten
steit gekommen sei. Jede weitere Ver
säumniß wäre verhängnißboll grinse
den. ——- — - -- —
Run, was soll ich noch viel Um
schweife machen. - - Es Ivar meine
erste glänzende, gerader geniale Kur.
Der noch in der Nacht vorsprechende
Geheime Medizinalrath schien von
meinen Anordnungen betroffen, aber
sehr befriedigt zu sein. Er wurde auf
mich aufmerksam; eg trat ihm jemand
entgegen, der selbstständig dachte und
energisch eingrisf. Solche Leute lonnte
er brauchen.
Jetzt bin ich sein erster Assistent,
und Mathilde ist seit vier Jahren
meine Frau; ieh aber neige der Ansicht
zu, daß ein günstiges Geschick mirin
jenem Augenblick tiefster Erniedrigung
den kleinen Schlüssel in die band
spielte, der mir die spsorte zum Glück
erfchlosk.«
-—s——-. (- b-«
Amtvdeutfelp.
Von einer Stilbliithe, die auf dein
Schreibader einer behördlichen Korre
fpandenz ihren heitereu Kelch entfalle s
te, wird die ,,Bregl.«j.liargenzta.« durch I
einen Freund in Kenntniß gesetzt. tssin l
tliiiriugischeg Arius-gerieth terrestr-Jn
dirte mit einer anderen Behörde Neuen
der Befchiiftiaung von Strafgefanae
nen mit Idol-spaltete Die letztere Be .
hörde antwortete: »Auf die außer ges s
langte hohe jenseitige Versagung wird l
diesseits beschlossen, daß die jenseitis '
wen Gefangenen auf dem diesseitigen
Hofe zuni Holzsvalten verwendet wer:
den dürften-« Es toäre wirklich ein
mal an der Zeit daß das »diegseitige«
Amtsdeutsctz dem man in Deutschland
nur zu oft begegnet, in das bessere
Jenseits befördert würde.
-- . --..«-..---. H--·
Ver Vorspann.
Ein Sekundiir«bahnidyll.
Es war an einem August Nachmit
tag, als ein Mönnle das Wegle zuk
Stationshänsle des Aktien -» Vizinads
bähnle daher kam. Das Stationnki
meisterle, das gerade in dem Vorgärtdt
aus dem Bänkles saß und sein Pseisre
schmauchte, erschrak allmächtig, nahm
sein Stationsmeistei - Käpple vom
Kövsle und sagte zum Männle: »Ei
grjißGott, Männle, seid Jhr auch wie
der da?«
Das Männle aber erwiderte: »Nix
da, griisz Gott. Jch möchte endlich mei
ne siinfnndztvanzig Märtle für das
Vorspanle das ich im Monat Januar
mit meinem Nößle geleistet hal)’, als
Euer Ziigle vor lanter Schnee nicht
mehr vom Plötzle kam.« Das Sta
tiongmeisterle zog verlegen sein Dsöele,
nalnn ein Prigle nnd sagte: »Ja, mit
diesen fünsnndztoanzig Märtle, dass ist
so ein Sächsle, es ist halt im Käßle noch
immer nicht soviel beisammen. Jhr
miiszt halt ein vißle warten, vielleicht
daß dac- Bälpnle ein Passagierle bringt,
mit dem seinem Billette wir dann die
siinsnndzroanzig Märtle vollmachen
können.«
Nachdem die beiden Herrle so etliche
Stündle gewartet hatten, erschien am
fernen Horizont ein schwachess Dampf
le, dann ein kleines Schornsteinle und
endlich tani ein ganzes Lotomotivle
zum Vorschein. Mit einer Geschwin
digkeit von drei Metern in der Minute .
brauste Das Trainle heran. Schon von
Wcllclll lVillllc UUL Uuylcllc lllU Uclll
Taschentiichle, zum Zeichen, daß das
bewußte Passagierle im Wägele sitze.
Dann stieß er in’S Pfeifle, zog die
Vrenise nnd mit einem Ruckerle stand
daz- Ziigle wie ein Mäuerle vor dem
Bahnhöfle. Grüßeno faßte das Füh
rerle an’5 Mühle, dann fuhr es mit
dein Händle in’S Töschle und brachte
das fehlende Märtle heran-Z. Das-Sta
tionsineisterle ging hierauf in sin
Bureaule, entnahm seinem Kiißle ie
übrigen vierundzwanzig Märkle und
händigte sizd em Mönnle ein. Dem
schwand sofort sein ganzer Groll vom
Gesichtle, hocherfreut steckte es die fünf
nnozwanzig Märtle in fein Beutelc,
machte dein Stationsmeisterle, dem
Loto-tiiotiosii-hrerle und dem Zügle ein
Dienerle und ging heim.
Das Stationgmeisterle aber seufzte
erleichtert auf und sagte: »Wald wärkss
ung mit dem lati-sigen Vorspannle anhö
ganze Betrieble gegangen!«
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Der einzefehmfene Hat-richten
Die seit dein Jahre NOT-, bestehende
s«eibgarde der F)artsctiiere, 100 Mann
fiarl, mit einem (-Heneral-.Kapitän, 1
tttreuniierlentnanh 1 Setoudeleutnant,
Hirten-et 2 Exemten, 1 Adfutant, 4
Vreniier Brigadierg u. s. w., ist eine
Spezialität des Münchner Hofes und
wird wegen ihrer alterthiiiitlichen.
glänzenden Tracht von den Fremden
nnd bon der Münchner Jugend nicht
wenig angestaunt Die Mannfehaft
setzt sieh zusammen aus den ältesten
nnd schönsten Unteroffizieren der Ar
mee. Ver einiger Zeit hatte nun bei
eener inilitärischen Trauerfeier auf
dein Friedhof ein Hartfchier das- Miß
arset)irt. das-. ihm beitn Priisentirendas
Gewehr ans den Händen glitt nnd zu
Bist n fiel. Der Vorgang wäre wohl
i-— der LUiehrheit der Leidtragenden
«eacbtei geblieben, wenn nicht eine
i.·.: dein Ernst deg Leben-J offenbar
i.o-.t) unberiibrte Vjiiinchener Pflanze
die feierliche Stille mit dem lauten
Rufe unterbrochen hätte: »Jessas, a
ZJartseyier ig eing’schlasen.« Trotz des
ernsten Momentes hatte die Trauer
versammlnng eine schwer zu bekäm
pfende Deiterleit erfaßt, während der
at me vistsartschier dem hofsniinggvollen
Zungen wilthende Blicke znwars
Jagd-glück.
—
Studiosus Lehmann ist vom Onkel
Ritterautgdesitzer zur Jagd nach Wal
denthal eingeladen worden. Voller
Spannung warten Abends die Kom
militonen in der Kneipe aus Lehmann.
et soll ihnen von seiner Beute erzählen.
Endlich tritt der Erwartete iibet die
Schwelle. »Du strahlst ja förm
lich! Hast wohl gar etwas geschos
seq".’« wird er gefragt. - — »Da-J nenn’
iet) eine Jagd!« jubelte dieser. .,Eine
solche Sau hab’ ich in meinem Leben
nocti nicht nehabtl« -- »Was hast du
denn nesetioiten'.’" Einen Relioocl .’« —- —
»He tsewal)re!« - s »Dann vielleicht ei
nen Hirsch3« -- »Nicht doch!" -- s
,,.t««)alt, ich liab’:s, eine Wildsau hat er
knsctiosien!' »Unsinn! Wildsanen
aibt g in in; Lisach nttmler Revier gar
iiiit)t!« Wo, «;illii"’se11sel, was hast
dn denn eia.ntlid) geschossen ."· »Ge
sdiossen tiat)’ in) Aar nichts. alter Ren
tiei Sänger-i hat einen Huer getrofer
nnd war darüber so erfreut, daß er
mir sofort fiinszia Eljiart pnmpte
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set-leiste Netto-mer
Tone-its Heim Wirth, der einen gro
s;cu, prächtig-In Hund hatts »So ein
arofke s Thier isnxsk aber viel an Futter
toiten «
Wirtin »L- neinl Die Gäste ge
lsen ihm in meistean ihre Speisen!«
Mit-til der Gewohnheit
ttiedntteiirt »Ich bin doch schreck
lirls ·,erstreutl Mach’ ich da siir meine
Liebste ein lyrisches Gedicht, les es
noch einmal durch und —- werfes «
dann in den Papietlokb!«