Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, February 06, 1903, Sonntags-Blatt, Image 11

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    Dummste san J. Cassiur. «
1
»Du alter Dummstepr ch weiß
Kein was Du willst. Jch ab’ mir
s deuten können. Noch nie V et
was dabei betansgetommen. enn
wir das gonie Geld hätten. das Du
artige eben haft, um »Dein Glück zu
ver-tu n«, wiirde ein hübsches
Stimin n zusammenstimmen und
iest wi Du es doch noch mal pro
btrenl Glaube es mir. wir gewin
nen ja doch nichts, und jeder Pfennig
Geld wäre binausgeworfem Für
Leute« die Geld baben und damit
spielen wollen, ist die Lotterie recht
gut« aber nicht für uns, denn wir ba
ben tein übriges Geld. Bei dieser
Gelegenheit muß ich Dich leider ein
mal wieder belästigen und um etwas
Geld bitten. Jch habe nämlich ver
schiedene Rechnungen zu bez-1hlen,:
achtzig Mart werden mir jedoch ge
wägen-«
»Stebe wie immer mit Vergnügen
zu Diensten, hier hast Du das Geld.
O, da ist ja inzwischen auch die
zweite Post gekommen. Nur zwei
Briefe. und beide fiir Dich. Der
Eine sieht ja so aus, als ob wieder
eine Rechnung drin wäre, und der
andere scheint von Deinem Onkel in
Amerita zu fein. Jeyt muß ich aber
fort. Aber Jenny, was ist Dir denn? ;
Es ist doch hoffentlich mit dem Onkel i
O «.
«-«
nichts rassirt?«
.Ach. lieber Reinhold, es ist zu
schrecklich! Lieb nur felberk«
Herr Betzdorf naan ren Brief und(
las ihn. Der Onte1- feiner Frau !
herr Tuhing schrieb, daß er sein gan- !
ges Vermögen verloien hätte. Nur.
soviel habe er aus dein Schiffbriiche
noch retten tönnen, dasi ihm fiir Zeit
seines Lebens eine kleine Rente bliebe.
Um nochmals bor: Neuem anzufangen.
sei er zu alt, und er harrte Gott, dasi
er nicht verheirathet fei. Jndessen
ohne Beschäftigung und ohne jegli
chen Freund —— denn die Ratten hät
ten schon liiiigit das sinkende Schiff
verlassen —, fühle er sich zu einsam.
Wenn daher Jennh, oder ihre ältere
Schwester Mathilde, ihn gegen Zah
lung von wöchentlich zwanzig Mark
— mehr litnne er nicht geben —, bei
sich aufnehmen wollten, io würde er
mit Freuden nach Deutschland zurück
tommen, um hier seine Tage zu be.
enden. Er habe auch in diesem Sinne
an ihre Schwester geschrieben uno
erwarte nun von ihnen beiden die Ant
wart ab.
Herr und Frau Betzdorf sahen sich
ein paar Augenblicke schweigend an,
dann rief sie aus:
»Der arme Onteit Es musi schreck
lich für ihn sein« nachdem er vorher in
so guten Verhältnissen wart Und
wie großmüthig er sich immer uns
gegenüber gezeigt hatt Ich weisi nicht,
was wir ohne ihn angefangen hätten.
Er muß sich wohl auf eine schlechte
Spekulation eingelassen haben. Nimm
Du Dich nur in Acht, Reinhold.«
»Gewiß, gern, ich tverd' inich schon
in Acht nehmen, Aber nun auf Tei
nen Onkel zurück zu lominen, was
meinst Du? Jch würde es ganz gern
sehen, wenn er zu uns käme. Und
wenn es ja leider wahr ist, basz ioir
selbst nicht biet übrig haben, so wer
den wir es doch fchon einrichten tön
neii, das-. er sich bei uns recht gemiith
lich fühlt, und seine zwanzig Mark
die Woche wollen wir erst gar nicht
nehmen, denkst Du nicht auch so?«
.Du bitt ein Engel, lieber Rein
hotdt Eiii großer, lieber —«
»Fal« Nicht zu nicht« unter
bra er sie, »bevor Du ihm antwor
test, mußt Du Dich erst mit Mathilde
besprechen. Sie ist die Aeltere, viel
leicht will sie haben, daß er zu ihnen
kommen soll.« »
Beide inusiten zu lachen anfangenH
doch sagten sie nicht, warum sie lach- ;
ten. Sie wußte aber recht gut, wa-.’
cum, denn sie konnten Mathilde.
Derr Beidors begab sich in sein!
Bureain Er war ein junger Rechts
anwalt, dessen Praxis noch nicht sehr
bedeutend war. Uni fein Einkommen
zu erhöhen, war er auch schriftstelle
tisch thötia doch brachte ihm diese
Thiitigteit nicht viel ein.
Mathilde war mit einem Herrn
Moormann, einem reichen Kaufmann,
verheirathet nnd lebte rn einem Vor
ort. Tie Moor-nann’s iiihrten ein
großes Hans und legten aus Art-her
lichseiten großen Werth, so entialtete
auch Frau Moormain in ihrer Tois
leite einen übertrieberen Luxus
Noch am Nachmittage desselben
Tages fuhr Frau Moor-traun bei ih
rer Schwester vor nnd erklärte ihr,
daß es ganz unmöglich sei, daß Herr
Tuiing bei ihr sein heim aufschlage.
Sie persönlich hätte dar ja lehr gern
gewünscht, aber es- ginge beim betten
Willen nicht, und dann folgte eine
ganze Reihe von Gründen, die zu er
finden sie den ganzen Vormittag ge
braucht hatte Frau Behdori er
rannte deren Berechtigung sosort an
und nacht-ern isre Schwester sich ent
fernt hatte, chrieb sie einen recht
herzlichen Brief an ihren Onkel, in
dem sie ihm mittheilte, daß sie nnd
ihr satte seinem baldigen Eintresien
mit größtem Bergnttgen entgegen
sehen.
Kurze Zeit darauf kam er auch.
Zirk- Tuhing war ein gebrochener
ann. dem man ei ansehen tonnte,
da er sich von seinen lehweren Schick
Licehliigen wohl taurn jemals wie
e würde erholen können. Herr und
seau sehdorf thaten allei« was in
ihren Kräften stand, urrr ibn zu trit
Mn und aufzuheitern, und er war da
r auch in rli reader Weise dantbar,
aber selten sna en seine Züge einen
steundlicheren usdruck an. Troh ih
res Sträubeni bestand er daraus. daß
er ihnen wöchentlich seine zwanzig
Mart zahlte, es wäre das so wie so
wenig genug stir die viele Mühe, die
er ihrem mache, fagte er.
Bald tanien aber seltsame Tinge
vor. Frau Behdars spielte sehr gut
Klavier, sie besaß aber kein Instru
ment, denn ein gutes zu tausen, er
laubten ihre Mittel nicht, und ein
schlechtes mochte sie nicht haben. Zu
ihrer namenlosen Ueberraschung wur
de eines schönen Tages ein prachtvol
les großes Piano bei ihr abgegeben.
Die Leute, die es- brachten, erklärten,
sie sollten es an Frau Betzdorf ablie
fern, vermochten aber nicht zu sagen,
wer der Absender sci. Aus eine ver
sönliche Anfrage bei den Fabrikanten
erhielt herr Behdorf den Bescheid,
daß es ihnen verboten sei, den Na
nien des Käusers zu nennen, daß aber
Frau Betzdorf es nur ruhig in Benutz
ung nehmen möge, denn es sei ein
Geschenk von einein »Vertvandien«.
Noch zerbrach sie sich den Kopf da
rüber, wer wohl der geheimnißvolle
Gebet sein möge, als ein paar Tage
später ein Möbelwagen vor ihrer
Wohnung vorfuhr. Aus demselben
befand sich eine prachtvolle Bläsch
Garnitur, die sie vor wenigen Tagen
in einem Schausenster der Haupt
straße so sehr bewundert hatte. Au
ßerdem waren noch sechs werthvolle
Oelgeiniilde dabei. Jeder Gegenstand
war sorgfältig verpackt, und an ihnen
befand sich ein Etiquett mit der ge
druckten Aufschrifr: »An Frau Beh
dorf. Mit dem besten Wunsche eines
Verwandten'«. Frau Betzdorf wußte
sich vor Verwunderung nicht zu fas
sen und sie drang in ihren Mann, ihr
doch zu sagen, was das bedeuten solle.
Er aber zuckte nur mit den Achseln
und erwiderte:
»Ich verftehe mich recht schlecht auf
Geheimnifse. Was meinen Sie, On
tel Tutzing?«
Herr Tuhing wußte aber auch wei
ter nichts zu sagen« als über das un
verhoffte Gliick seine Freude auszu
drücken, und nach wie vor zahlte er
wöchentlich seine Hwanzig Mart.
2.
s Vier-sehn Tage später erreichte die
Spannung im Betzdorsschen Hause
ihren Höhepunkt Eine mit zwei
Braunen bespannte elegante Eguipage
hielt vor der Thür und ein Diener
überbrachte einen an Frau Behdorf
»adressirten Brief. Jn dem Briese
stand: Frau Behdorf möge Pferde
iund Wagen als ihr Eigenthum bei
trachten-, und als Bestreitung für die
Unterhaltungstoften aus das erste
sJahr erlaube sich ein »Verwandter«
ssiinftausend Mark in Bantnoten bei
; zu schließen.
» Vor freudigem Schreck war sie koie
igeliihmt, und noch war sie nicht zu
Bewußtsein ihrer selbst gekommen,
als zu ganz ungewohnter Stunde ihr
Gatte aus seinem Bureau erschien:
auch er befand sich in größter Aufre
aung, und als er seiner Gattin an
sichtig wurde, driickte er ihr ein Tele
gramm in die hand:
»Sieh mal, Schuh, was i in mei
nem Biireau vorgefunden e.«
Und sie las: »Sie haben bei der
Handelgbant ein Guthaben von zwei
hunderttausend Mart-. »Ach,« rief
sie aus, »ist denn das möglich?"
»Selbstverftiindlich bin ich sofort
auf der Bank gewesen, um mich zu er
tundigen. Die Geschichte ist in Ord
nung, die Herren durften mir aber
nicht sagen, wer das Geld eingezahlt
hat, Jch bin daher rasch zu Dir ge
laufen, um Dir von unserem Glücke
Mittheiluna zu machen."
Sie erzählte ihm dann von dem
Wagen und den Pferden, und sie hat
ten so Vieles zu besprechen, daß ihnen
der Tag im Fluge verging. Herr
Tußing saß mit sreudig erregtern Ge
sicht da und schien an ihrem Glück in
nigen Antheil zu nehmen. Bevor er
sich aus sein Zimmer zurückzog, legte
er, wie an jedem Sonnabend, zwan
zig Mark aus den Tisch siir Wohnung
und Verpslegung.
Das erste Mal benutzte Frau Behi
dorf ihre Eauipage, um ihre Schwe
ster zu besuchen. Aus das Genaueste
erzählte sie ihr all’»die märchenhasten
Wunder, die sich bei ihr im Lause der
leßten Wochen zugetragen hätten. Mit
immer wachsendem Interesse hörte ihre
Schwester zu und in ihrem Gesicht
ging eine aussallende Veränderung
vor. Sie hatte eine Idee. Sie be
hielt sie aber siir sich; auch dann noch,
als sie ihrer Freude in überschwenglis
chen Worten Ausdruck gab und ihre
»iiebe, tleine, glückliche Jenny« zum
Abschiede recht herzlich küßte-.
Ungeduldig wartete sie,dan:i aus
die Nachhausetunst ihres Gatten, dem
sie alles er ählte. Jhre Neuigkeiten
brachten diesen ganz außer Fassung.
»Ein ganz gemeiner, schmutziger
Streich ist das,« rief er aus. »Du
hach recht, Mathilde· Er ist ebenso
wenig ruinirt wie ich es bin. Wir
haben da eine schöne Dummheit ge
macht· Aber morgen sriih mußt Du
ihn gleich besuchen. Jch würde Dich
ia sehr gern begleiten, halte es aber
siir richtiger, wenn ich nicht mitkom
me; Du tannst dann alle Schuld mir
zuschreiben. Sage, was Du willst
und thue, was Du willst. Sieh’ aber
um immelswillen, daß er zu uns
iibe edelt.«
Tags daraus klagte cerr Beidors
-
über Kgsschmerzen und ging nicht
in sein ureau. - r
Es war laum els, als Frau Moor
rnanir sich anmelden ließ, und Ben
dors hatte Mühe, sein Lachen zu un
terdrücken. herr Tuhing las gerade
die Zeitung und er legte sie sisort
weg, um seine Nichte zu begrüßen; sie
schüttelte ihm herzlich die Hand und
wandte sich erst dann den Anderen
zu. Ihren Sessel rückte sie dicht an
den ihres Onlels heran und ganz
ausschließlich unterhielt sie sich init
ihm. herr Betzdorf bat sie daher, sie
möge ihn und seine Frau aus ein
paar Minuten eiitschuldigen, und gab
seiner Frau einen Wint, ihm aus
dein Zimmer zu folgen.
Kaum draußen angelangt, be
nahm er sich aus eine höchst mertiviir
dige Art. Er wars sich aus einen
Fauteuil, hielt sich das Taschentuch
var den Mund und wälzte sich vor
Lachen.
»Aber Reinhold!« rief sie aus.
»Was ist Dir denn, was —-?«
»Aengstige Dir nur nicht, Schatz,
ich bin durchaus nicht verrückt gewor- «
den« die Geschichte war aber zu lustig
Jch habe das alles so eingerichtet, da
mit sich Mathilde etwas mehr siir un
seren lieben, guten Onkel interessirt.
Weswegen« glaubst Du wohl, ist sie
heute zu uns gelommen2«
»Das weiß ich nicht; mir schien es
so, als wenn ihr Besuch Onkel gelie.«
An nnd si- dmrm auch in ihn. zu
ihnen überzusredeln. Und sie wird
ihn noch öfters besuchen und weiter
in ihn dringen, zu ihr zu kommen
Kannst Du Dir wohl denlen wa
rum?«
»Der arme Ontel bat aber doch
weiter nichts als seine Rente.«
»Der Ansicht ist sie nicht. Sie hat
zwei und zwei zusammengereimt und
in ihm den »Verwandten" entdeckt,
der sich als armer Mann pertleidet
bat, um die Liebe seiner Nichten auf
die Probe zu stellen.«
»Ach, daran habe ich nie gedacht!
Wir müssen sosort zu ihm und ihm
siir seine kostbaren Geschenke danten.
Aber bester Neinhold, was ist denn
dabei Lächerliches, daß Ontet trotz
alledem noch reich ist's-«
»Gerade das ist es. Mathilde
ataubt, er ist reich, und wir müssen
sie bei dem Glauben belassen. Er ist
es aber nicht«
»Wer aber sonst?«
»Nur ein lieber, alter Dnmmtch
der den schlechten Geschmack besitzt,
Dich recht gern zn haben.«
»Reinholh —- DuT —-- Aber ——!«
»Ja« es tst viel Geld, nicht wahr?
Und es tommt noch rrtehr,. denn ich
habe mein Glück beim Schopfe gefaßt,
und was ich einmal gewonnen habe.
auch gut angelegt. Und wo ich es ge
wonnen habe? Ganz einfach, in der
Lotterie. Tr- sagtest doch, Du wüß
test recht gut, ich würde es nochmals
versuchen, und ich habe es versucht,
und zwar mit dem Erfolg, daß auf
mein halbes Loos der Hauptgewinn
·gefallen ist.«
—- - Op»«—
Fasttag.
I
CAUZ dem Französifrlpcu frei nackter-zählt
von Maria Hausen
IIq —1——— .t Ue
Fasttag war ein Spihname, und
zwareiii ungemein treffenden Lang
wie der Tag vor Johanni und oiirr
trie eine herrenlose Katze, sah der arme
Tropf mit seinem afchgrauen Teint,
seinen hohlen Wangen und tiesliegeng
ren Augen wie der personifizirte Hun
ger aus.
Er hatte sich wohl noch nie in seinem
Leben so recht satt gegessen, uno der
Appetit seines fünfzehnjährigen Ma
gens wurde durch das bestänoige Fa
sten nur noch verschiirft
Unser Iasttag war Küchenjtrnge
rnd Lausbursche im ,,Golosenen Fa
san«. Welche Tantalusqual siir einen
leeren aMgent Sein herr, Meister
Shibert, ein hartherziger, geiziger
Mann. maß seinen Unteraebenen aar
magere, tärgliche Bissen zu, und so
verließen ihn denn auch alle feine Die
ner, sowohl zweibeinige wie vierfii
f-«ige, gar bald, die Einen, um vortheil
hastere Dienste, die Anderen, um in
eine bessere Welt einzugehen.
Nur Fasttag allein hielt treulich auf
seinem Posten aus und konnte eH in
seinem dankbaren Herzen nimmer ver
gessen, das; Meister Thibett ihn einst
von der Straße aufgelesen hatte, wag
ihm übrigens ost und hart genug vor
geworfen wurde. Nöthig wäre dies
nun sreilich nicht gewesen, denn der be
scheidene Kiicheniunge war edelsinnig
und glaubte, weder durch die tausend
Dienstleistungen, die er seinem Herrn
erwies, noch durch die reichlichen
Schläge, die ihm dieser verabsolgte,
das tägliche spärliche Brot bezahlen zu
können.
Melancholischen Blickes drehte er
geduldig und ergebn tagein, tagaus
den Bratspieß, an welchem getriisselte
Fasanen, gemästete Kapaunen oder
gestopste Enten sich spreiztem Ein
ander Mal wieder half er dem Koch
die saftigen, tvohlschmeckenden Pastet
chen bereiten, denen der »Gott-me Fa
san« seinen Ruf und die vornehme
Kundschaft der Hoslavaliere ber
dankte.
, I
'
· · « 2. ’ « '
»Schnell, Lümmel, triidle nicht!
irage diese Pastetchen, so slsnk und
sorgfältig Du nur kannst, sum herzog
ron Burgimd, er bewirthet heute sei
Iten Vetter Orleanö, vielleicht erlangen
wir auch dessen Landschaft. Versäume
Dich nicht euntertvegt, denn der Ober
trch wünscht die Pateten zwei Stun
den vor dem Diner!«'
Meister Thibert stellte den kostbaren
Starb dem Jungen eigenhändig aus
den Kopf und folgte ihm mit den
Blicken. War es doch das erste Mal,
dasz er ihin solche w: «icht ge Mission ver
traute, doch blieb ihm nichts anderes
übrig, da die beiden anderen Burschen
Tags zuvor das Haus verlassen hat
ten.
Der arme Knabe mußte gar sehr
Acht geben, denn es war um die Fa
schingszeit, und alle Augenblicke betam
er Piisse von den Maslem die sich jah
lend und lachend in den Straßen
drängten. Bald tanzte und heute eine
Bande Sarazenen um einen Riesen,
bald schivangen Jndianerstiimme die
Fackeln, ganz uneingedeni der entsetz
lichen und noch so neuen Katastrophe
des Ballbrandes, welche drei jungen
Coelleuten das Leben und dem un
glücklichen König den letzten Vernunft
schimnier gekostet. Dann lamen Zau
berer, mit spitzen, hohen Mützen und
sternbesiiten Talaren, Jäger, Fischer,
Gauner-, Narren aller Art. Auch we
niger harmlose Gestalten zogen heran,
die bsesoafsneten Parteigänger derBuri
gunder und Orleans, die sich jedoch
l-, tücklicherrveise mit leeren Drohungen
irgniigten, da ihre Herren Friede ge
« ·.« s ..— '-.
Ithussru uuu uus »i- ocuuiuctuug »k
Herzogs von Berry hin vor den Augen
dir-H Volkes gemeinsam lommunizirt
und dann an derselben Tafel gespeist
halten«
Ganz Paris schwamm in Wonne,
glaubte man doch endlich das Ende
aller Ztvistigleiten gekommen.
Mühsam bahnte sich Fasttag seinen
Weg durch die bunte Menge, und als
er an der Brücke, die zu dem Palast
des Herzogs siihrte, ankam, setzte er,
um einen Moment auszuruhen, seinen
Korb aus einen Stein. Sei es nun,
daß der betäubende sLörm ihn
verwirrte, war es Hunger, Ermüdung,
rker wirkte all dieses zusammen, kurz
e-.«- ergriss ihn plötzlich eine Art Erstar
:i-ng, sei-ne Glieder versagten den
Tienst, nnd er siel ohnmächtig zu Bo
ren.
I I
k
,,Seht, seht, da hat Einer dem Bac
chus zu start gehuldigt!« rief eine la
chende Stimme, und der Besitzer dieser
Stimme versetzte dem armen Jungen
einen FußtritL
»Der Schlummer til-ermannte ilm
bei der Mahlzeit«, meinte ein Anderer,
den verlassenen Korb erblickend.
»Wersen wir ihn in’s Wasser, da
xrird er wohl erwachen!« scherzte ein
Tritten
»Bitte, gnädiger Herr,« nahm re
spettooll jetzt Einer das Wort, »bitte,
der Knabe schläft nicht, er ist ohnrnäch
tigi«
»Ohnmächtig! Nun, Karl, so lasse
ihn zur Ader, wenn Du eine Lanzette
bei Dir hast, das ist ja ohnehin Dein
Geschäfti«
Ein schallend-es Gelächter begrüßte
diesen Witz. Etwa ein Dutzend rother,
gelber, schwarzer, grüner Teufel um
stnnd den armen Knaben, doch Der.
welcher Karl angeredet worden war,
kniete nebn ihn nieder.
»Je! Das ist ja unser kleiner Fast-«
t;-g!·« -
,,«5asttag? Na, das nenne ich einen
passenden Namen!«
»Ja, wahrhaftig, Euer Gnaden,
denn siir ihn ist das ganze Jahr Fast
lag; und wenn wir ihn hier vor uns
aus der Erde ausgestreckt sehen, so ist
dieses sicher ein Zeichen von Noth und
Entlrästung.«
»Zum Kuckuck! Er hat doch die sein
sten Bissen da in dem Korbe, um sich»
zu sättigen!« ries ein rother Teufel,
ten Deckel des Pastetenlorbes lüsteno.
»O, er ist unfähig, zu naschen!«
»Du lennst ihn also, Karls«
»Jeder Student lennt ihn, Herr!
Lis- ist der Kiichenjunge, Bratenwender,
Aschenpuster und Schmerzensreich des
Meister Thibert, Wirths zum ,,Goldei
nen Fasan«, dessen Wirthscbaft in der
Nachbarschaft der Universität liegt.
Der alte Filz, welcher so ausgezeich
nete Küche führt, läßt diesen armen
Tropf fast Hungers sterben und ver
bietet ihm dabei noch aufs Strengfte,
ie etwas von Anderen anzunehmen,
welchem Verbot der arme Junge so
genau nachkommt, daß er bei jeder klei
nen Gabe, die man« ihm aus Mitleid
bietet, »Ich habe keinen Hungeri« ant
wortet.«
»Meiste: Thibert ist ein Zalunte und
Dein Fasttag ein E el! un, er soll
heute satt werdens Wette ihn noch
nicht; nehmt ihn, Jungens-, tragt ihn
in meine Wohnung!«
»Und den Korb-M
»Den auch!«
»Die Pasteten sind siir den Herzog
von Burgund bestimmt sein Wappen
ist darauf!«
«Desto bessert«
-n««..s
X J
4.
Äls Fasttag die Augen öffnete,
glaubte er sich in einem Traum zu be
finden.
Er lehnte in einem weichen Arm
stahl vor einer reich gedeckten Tafel, die
sich in einem lichtfuntelnden, prächtig
geschtnitckten Saale befand. , »
F- :
Tenxel in allen Farben waren um
ihn be chästigt, banden ihm die Ser
viette um« präsentirten ihm Wein,
reichten ihm goldene Wasserlarassem
»heilige Jungfrau! sJch bin todt!«
dachte er.
Und da er dem Blicke eines griinen
Teufels, der ihm gegenüber saß, be
geznete so bekreuzte er sich andachts
vo , um die bösen Geister zu verjagen;
doch der Teufel rührte sich nicht, auch
mischte sich weder Schwefel- noch son
stiger höllengeruch in den Dust der
herrlichen Speisen, die vor ihm stan
den.
,,Jß!« befahl der grüne Teu el.
»Ich habe leinen Hunger!· stam
melte Fasttag pflichtschuldigst, obgleich
seine Miene ihn Lügen strafte.
»Jß!« wiederholte sein höllischer
Wirth gebieierisch.
Was thun? Der arme Tropf war in
größter Verlegenheit. Dem Herrn Sa
tan Trotz bieten, war gefährlich, ihm
gehorchen, war es nicht minder, fürch
tete er doch nicht nur den Zorn Meister
Thiberts, sondern auch den Verlust sei
ner eigenen armen Seele
Die Versuchung aber war groß. Die
Speisen hauchien versiihrejsischen Duft
aus-, die Weine leuchteienxgleich flüssi
gem Rubin in irystallenem Polal. Der
Böse blieb bei seinem Befehl.
Hol’s der Fuchs! Und Fasttag nahm
muthig den ersten Gang in Angriff.
Die Schüsseln drängten eine die an
dere, die Weine flossen· Vorschneider
und Mnndschenk thaten ihre Pflicht,
uno ifanraa asz und tranr wie noch me
in seinem Leben; solcher Schsmauswar
ihm niemals vor den Schnabel gekom
men.
Endlich konnte er nicht mehr.
»Ah! Nun habe ich doch einmal mei
nen Hunger gestillt!«
»Bist Du satt?«
,,-Volltommen, Herr Teufel, oder
Euer Gnaden, oder wer Jhr sonst seid!
Jch werde weder Euch noch EureMahl
zeit jemals vergessen!«
-,,Alfo einen letzten Becher aus mein
Wohl!«
»Auf Euer Wohl!«
Er leerte den Becher bis aus den
Grund.
Bald jedoch wurde sein Kopf schwer,
seine Lider schlossen sich, nnd schlafend
sanl er in den Sessel zurück
c·
t) .
Fasttag erwachte, rieb sich die Augen
und sah un: sich. Er war allein auf
der Brüde, nnd neben ihm stand sein
Korb.
Die Nacht war angsebrochem die gol
denen Sterne funtelten am Himmels
zelt und spiegel-ten sich schimmernd im
tiesblauen Wasser.
»Wie fest ich geschlafen habet Und
wie geträumt! Wie herrlsch geträumt!
O, könnte ich doch oft so träumen,
mein Magen ist voll und ivarm!«
Jedoch fiel ihm ein, daß es spät
sei, daß er lange geschlafen haben
müsse. Er zitterte, die Zeit versäumt
zu haben, und ohne eine Minute zu
verlieren. eilte er nach dem herzogli
chen Palast. «
Endlich kommst Du!« empfing ihn
grollend der Obertoch ,,Schnell, di e
Tafel ist längst gedeckt, und die Geiste
harren!«
Er ordnete die Pastetchen zierlich
aus einer silbernen Platte nnd trug
sie, von einem Diener gemeldet, eigen
händig in den Speisesaai.
Fasttag wollte soeben feinen leeren
Korb nehmen und davon gehen, als
plötzlich der Gastgeber in die Küche ge
stürzt kam, den Knaben beim Ohr
nahm und schrie:
»Schrift! Dieb! Was hast Du mit
meiner Pastete gemacht?«
»Mit welcher Pastete?«
»Mit meiner, welche die herzogliche
Krone trug, nnd die Du gegessen haft!
Taugenichtst Tagedieb, Schust!
Schurke!« ·
Und die Schläge hagelten nur so
t L - -...-- s: -- L-- BI- -:«c.4 -.«
uus UUI uklllki IIIIIU, UUI litt-, sIIUfl du
oertheidigen wagte, denn ein schreck
liches Licht war ihm aufgegangen —
er stand vor dem Herzog Johann von
Burgund selbst, und bebend fiel er
dein Priwzen zu Füßen.
»Hast Du die Pastete gegessen?"
»Ja, Euer Gnaden, aber ich schwöre,
es gefchah im Traum!«
Schluchzend versuchte er feine Erleb
nisse zu erzählen. Johann von Bur
gund jedoch gehörte keineswegs zu den
sanften, leutseligen Fürsten, sondern
tnr Sorte der schwarzen Douglaffe, die
erft hängen nnd dann richten; und fo
unterbrach er denn auch den unglück
lichen Kücheujungen rauh und hart:
»Willst Du Dich vielleicht noch über
mich lustig machen, Kerl? Heda! Nehmt
den Lumpen und hängt ihn an den
höchsten Galgen, ich will ihn träumen
tehren!«
,,Gnädiger Herr, hören Sie mich, ich
Esefchwöre Sie!«
Fafttag rang die Händ-e und erhob
bittend den Blick; da entfuhr ihm ein
Schrei, sein Auge war aus den grünen
Teufel gefallen, der neben dem Herzog
stand. -.
»Das ist er!« rief er. »Ich erkenne
ihn, er befahl mir, zu essen!«
Der Teufel demaslirte sich und
sprach zu Herzog Johann:
»Liebe: Vetter, begnadige diesen
Jungen, ich bin der Schuldige!«
»Dir zu Liebe herzlich gern, mein
Vetter, ich bin froh, Dir einen Beweis
unserer neu geschlossenen Freundschaft
geben zu lännensp
Der grüne Teufel war aber kein Ge
ringeoer als Ludwig Un Orient-h dgl
Königs lieben-wäer senden ed
heiterer junger Prinz, wie die Eisein
berichtet.
Um nun den armen Burschen für den
auggestandenen Schreck zu entssdisem
bat er Meister Thibert, ihm denseiben
abzutreten, was dieser denn, wenn auch
höchst ungern, that; sind die Bitten ei
nes Prinzen doch Befehle!
Fasttag verließ seinen neuen Herrn
nie mehr.
Ein Jahr nach jener berühmten Ver
söhnung wurde Ludwig von Orieans
auf derselben Straße, neben demselben
Palast verrätherisch ermordet (am 23.
November 1407.)
Von all seinen Dienern hielt nur sei-n
jängster Knappe bei ihm Sand und
Vertheidigte ihn, bis er selbst, von einem
Schwert durchbohrt, mit dem Rufe
»Mein guter Herrl« über dessen Leiche
fiel.
Dieser treue Knappe war Fasttag.
Er hatte ein gutes Abendessen mit
seinem Leben bezahlt.
-..—..-.·-..-..—.
Au sesiedetek Fleisches-.
Zu den interessantesten Vögeln, die
im Norden unseres Landes während
.-·»
der Winterszeit zu finden sind,gehor1
wenigstens für den näheren Beobachter,
derWürger, bei uns meistens «Shrike«
oder ,,Butcher Bird« genannt. Sein
eigentliches Heim sind arktische Regio
nen, aber vom November bis anfangs
April hält er sich weiter südlich auf.
Meistens ist er dann auf dem Wipfel
irgend eines Baumes in freiem Felde
zu sehen, scheinbar ganz unthätig, in
Wirklichkeit aber mit der größten
Spannung irgend ein kleines Geschöpf
beobachtend, das ihm zur Mahlzeit die
nen kann. Er ist hauptsächlich von
grauer und schwarzer Farbe, mit eini
gem Weiß an den Federspißem und hat
etwa die Größe einer Rothdrossel; sein
getrümmter, habichtsrnäßiger Schna
bel aber verleiht ihm ein etwas un
heimliche-Z Aussehen.
Von Zeit zu Zeit mag er das Ge
schrei eines Sperlings oder sonst eines
klein-en Vogels nachahmen·, —- plößlich
schießt er aus sirgend ein kleines Opfer
hinab, tödtet es ganz oder halb mit
seinem Schnabel, berspeist es aber sei
ten sogleich, sondern spießt es gewisser
lich an einem großen scharfen Dorn
oder an einemLJ inhtzaun - Stachel u.
s. w. ganz teischermiißig auf Daher
sein Name »Butcher Bitd«. Manche
nennen ihn auch »Neuniiidter«, weil
die Sage geht, da s; er 9 Opfer auf
spieße, resp aushiinge bis er eines ver
zehrt Wahrscheinlich aber fängt er
stets so viele wie er zu einer ge ebenen
Zeit kriegen kann, und häng Alles
auf, was er nicht sofort braucht. Diese
Vorräthe mögen ihm sehr zustatten
kommen, denn oftmals erlegt er tage
lang nichts.
Das ist aber nicht der einzige
Grund fiir diese bemerkenswerthe Ge
wohnheit. Man hat auch bemerkt, daß
dieser Vogel in der Gefangenschaft;
wenn er ein Stückchen Fleisch erhielt,
nicht ruhte, bis er es an irgend einenr
spihigen Gegenstande, z. B. einem Na
gel oder den Zinken einer Gabel, auf
hängen konntet Die Füße dieses Vo
gels find nämlich verhältnißmüßig
schwach und er braucht meistens irgend
einen Haltepunkt für seine Nahrung,l
ehe er dieselbe mit seinem Schnabel zer
reißt. Außer kleinen Vögeln, werden
hauptsächlich Insekten und auch kleine
Säugethiere, wie Mäuse, seine Beute.
Man thut ihm ganz Unrecht, «wenn
man das Aufspießen mit einem beson
ders grausamen Hang seines Charak
ters in Verbindung bringt, da manche
seiner Opfer noch nicht ganz todt sind,·
wenn er sie aufhängt; er behandelt eins
Stückchen rohes Rindfleisch allemal
ebenso, wie gefangene Thiere. Mitw
ter vergißt er im Freien auch seine
aufgehängten Vorräthe völlig und
man kann dieselben noch monatelang
rmkkibns eiifiillin ins-nimm nnf hsm
Felde ausgehaisi findens wenn nicht
schon anderes Gethier sie erreicht hat.
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Jm Rachen des Walfisch-h
Während des Jahres 1842 treuzte
der Walfischsängek »Vie du Harm«
unsern der Insel Na-Mawi in der
Südsee, da gewahrte einer von den
Harpunieren einen Wal. Sosort ließ
der Kapitän vier Schaluppen bemans
nen, Und das Ungeheuer wurde glück
lich erreicht, ehe es niedertauchte. Dem
Hart-unsern welcher die Beute zuerst
gesehen, stand das Recht zu, den Wal
fisch zu harpunieren, und er wars die
Harpune mit solcher Kraft und Ge
schicklichkeit, daß sie dem Fisch tief irn
Rücken sinen blieb. Der Schmerz ver
setzte das Ungethiim in eine solche
Muth, daß es wild mit dem Schwanze
um sich schlug und gerade die Scha
luppe zertrümmerte, in welcher sein
Gegner sich befand. Jm Todeskampf
riß das Thier den Rachen aus und
erschnappte den Harpunier am Bein.
Zum Glück ging es mit dem Riesen
sische aber rasch zu Ende. Aus dem
Rachen desselben befreit, wurde der
Mann an Bord gebracht, wo ihm deo
Wundarzt das Bein über dem Kaie
abnehmen mußte.
Als die Amputation, welche der
Harpunier mit stoischer Ruhe ertrug,
vorüber war, sagte der Kapitiin zum
Patienten: »Nun, Vierte, was dachtest
du denn, als der Walfisch dich im
Rachen hatte?«
»Auf Ehre Kapiiäm « brummte den
harpunien »ich dachte, daß er wenig
stens 60 Faß Tbran neben will-tei«