Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, January 02, 1903, Sonntags-Blatt, Image 10

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    n--v-sfv-s-v--s--s.
(17. Fortsetzung)
Da ließ sich eines Nachmittags Bo
tho oon Eckharbt bei ihr melden.
Eine tiefe Depression überiam sie.
Sie mußte sich jener beiden Begegnun
n mit ihm, die in diesem selbenHause
attgesunden hatten, erinnern.
Das eine Mal war Johannes selbst
Mc aetvesen — und in welch qual
ooiier Verfassung er damals lauschte!
Sie besaß nicht die Kraft, ihn zu
Eisingen und ließ sich verleugnen.
her Cobatdt kam wieder-, folgenden
Tages. zweimal. Und immer dring
licher beaehrte er, gehört zu werden.
Was wollte er?
Stand er doch wieder im Dienste
M Siaatsanwalts — kam er in
Diersiätter’z Auftrag? Handelte es
äch vielleicht um die Truhe, deren
ebersenduna sie erbeten hatt-ei Es
war ja aussällia, daß man so um
gändlich zöqerte ihr diese harmlose
itte zu erfüllen.
Vielleicht ste,te sich der junge Frei- »
here aber auch in persönlichen Ange- ;
kegenheiten bei ihr ein. Sie waren da
mali in tiesem Groll auseinander ge- -
ngen — auch von Lidoi hatte er sich ;
u großer Vetstimmung getrennt. Be- l
rente er nun etwa wirklich seinen
Uebereiseri Kam er, um zu versu
chen, ob ein paar ruhige Worte diesen
Ab rund, der sich zwischen ihnen auf
ste« n hatte, überbriicten konntean
lch oage Hossnungl
Schließlich überwand si edas Miß
behagen und ließ ihn eintreten. Da
der kleine Salon im Erdgeschoß als
Operationssaal einaerichtet worden
war, mußte die Begeanung in ihrem
e« enen Zimmer stattfinden. Justus
s lief zum Glück fest. Sie hatte wie
der lange an seinem Bett gesessen, sich
trüben Gedanken widmend. Der
Kranke rührte sich nicht, als sie jetzt
lei e die Stube verließ.
otho vonEahardt hatte sich äußer
lich wirklich start verändert. Er
Ren beträchtlich gealtert. Seine Ge
ssarbe war bleich, seine Züge
chärfer markirt, die Augen waren ein
wenig urkränderr - ’
»Ich bin Jhnen von Herzen dani
dat, Fräulein Spener,« begann er in
"eine große innere Ertraung heraus
kla , »daß Sie’s endlich doch über
M rachten. mich zu emoianaen.«
Martha war stehen geblieben. EH l
kostete sie große Ueberwindung, auch i
nur die äußeren Höflichkeiigworie zu 1
sagen. l
»Begraben wir — dasVergangenel« l
flüsterte sie endlich.
Es war dämmeria im Zimmer. Nur
über dem kleinen Tisch, der in der
BibliotheksEcke stand, brannte eine
der Glühbirnen, deren grelles Licht ein (
seidener Schleier milderte. Eckharot
sah sich beunruhiat um und sagte ge- j
dämpft: ·
»Ich bin aber gekommen, Fräulein l
Spener, um gerade über Vergangene-E
su sprechen — über nichts tlnreres1
als den grausamen Fall, der uns Alle :
beschäftiat hat. Und da Niemand-I
Listen soll; was ich Ihnen zu sagen (
ahe.... i
»Ach mein Gott,« sliisterte Martha
seufzend. «wozu auch heute wieder die I
alten Wunden aufreiszen! Sie stehen !
also noch immer als Johannes An- l
tliiger vor mir? Jch hoffte schon . . .. «
Man hat nämlich wissen wollen« daß
Sie in Berlin auf Ihrem Urlaub
fremde Sorachstudien getrieben ha
ben — vermuthete, Sie wollten um
satteln!« ,
« »Ich bleibe Jurist, e’5riiulein Spe
ner. Aber ich wende mich allerdings
ein-ein anderm Gebiete zu innerhalb
dieses weiten Feldes. Und meine
Studien. über die Ihnen berichtet
worden ist, sollten nur dazu dienen,
mir die Bearbeitung eines höchst
dringenden Falles zu ermöglichen, an
dem ich ohne Austrag —- ganz freiwil
lig, vorläufig auch ohne jedes Amt,
denn mein Urlaub währt bis zum
Mai —- rneine Kräfte erproben will.
Ich gedenke die Laufbahn einesRech:3
anwalts ein uschlagen. Und wenn
hannes rate auch einen anderen
theidiaer, als gerade mich wählen
wird, ich bofse doch, ihm helfen, ihm
TI. sähen —- fa, ihn befreien zu tönneni«
»Ihr- — —- befreien?! Herr von
schardt —- Sie, der Sie einer der
Migsten waren, um ibn zu verfol
- m —- Jnn ihn in Fesseln zu wer
Ost
»Ich that meine Pflicht als Beam
he Stett hoffe ich, meine Pflicht als
Densch thun zu ist-um«
M ver sich noch immer
II . . ,tvas-—wasist
. » . l Sie oaetoandelt hat
sit einem Sälen-irr
’ M Ist wieder lte
s« r achselzsckaeuik »Das anu
Den Groll gegen Inei
Manuskripte, die ich in der Mansarde
des Russen gefunden, die-sich beschlag
nahmte und zur Durchsicht in meine
Wohnung habe brinaen lassen, unter
meine Papiere aerathen. Jch über
legte mir, daß ich sie schleunigst zu
sammenpacken und mit ein paar Ent
schuloiaunqszeilen an das Landge
richt schicken müßte. Das ist nun aber
doch erst jetzt geschehen, als ich Karls
ruhe passirte, auf der Fahrt zu Ihnen.
Das Werk Wassiliewö hat mich die
-a:nze Zeit über zu lebhaft gefesselt«
Martbcks Hoffnung war schon
iibertrieben hoch gestiegen; allmählich
sant sie nun wieder, als der Freiherr
sich so weis von der Person Johannes
entfernte. Da die Nähe des Kranken
sie heunruhigte, schlich sie hastig an
die Thür, öffnete sie und lauschte.
Juftus hatte sich nicht gerührt. er
schien sanft und fest zu schlafen.
»Sie glauben, daß die Arbeit Was
siliews irgend eine Aufklärung geben
tönnte2« fragte sie, zurückkam-neun
»Ach, er war ja selbst so weltsremd,
beschäftigte sich immer mit mhstischen,
iibersinnlichen Dingen. Und hier liegt
doch die arausige That in furchtbarer
Wirklichkeit vor: Niemand außer Jo
hannes weilte im Hause — Wassiliew
ist hier qemordet worden von einem
Unbeiannten — wir wissen nicht ein
mal, ob er sonst irgend welche Feinde
besaß.
»Und Sie wissen Meint-Indem der
Ihnen oder Wassiliew oder Brale
feindlich gesinnt sein könnte?«
»Sie fragen so seltsam. Jn mei
ner allerschrertlichsten Vereinsamung
und Rathlofigteit habe ich ja alle
Möglichkeiten und Unmöglichkeiten in
Erwägung gezogen. Die Leute, die
sonst im Hause lebten, waren ehren
werthe, einwandsfreie Menschen. Nicht
einmal vorübergehend tonnte die
Dienstboten ein Verdacht treffen:
denn sie haben sich ja vom Abend bis
zum Morgen nicht von einander ae
trennt. Ein einziges Mal habe ich
mit einem Menschen in Disharmonie
gelebt: das war Miß Eveline, meine
Gesellschafterin. All das sagt’ ich ja
damals dem Kommissarius. Der er
fuhr hernach, daß auch die Miß nicht
der Schatten eines Verdachts treffen
konnte, denn sie hat Berlin, wo sie ei
ne Stellung gesunden hat, in jenen
Zagen-»m« seinem Schritt verlassen.
WCS yCllc Ilc all-F Jlk einem iVLIQUi
Verbrechen treiben sollen, und wie
hätte sie überhaupt in das verschtossene
Haus, in die oersckilossene Wohnung
hineinkommen können?«
,,Zeber: Sie, Fräulein Spenen all
das sagte ich mir gleichfalls- —— zum
hundertsten, zum tausendsten Male
Und immer wieder lam ich zu der
Ueberzeugung: kein Anderer als wie
Braie kann :er Thiter gewesen sein.
Da brachte mich aber vie Lettiire die
ses Wertes von Waisiliero selbst, des
sen Veröffentlichung sein jäher Tod
verhindert hat, auf eine ganz neue
FäBteK
» arthas Herz begann nun doch
wieder lauter zu klopfen. Aengstlich
forschte sie in Eckhardts Zügen· »Und
diese neue Fährte —- weist — wohin?"
Der Freiherr zögerte mit einer be
stimmten Antwort. »Es ist nicht mei
ne Absicht, Fräulein Spener, Sie mit
Willen hinzuhalten Jhre Spannung
aus die Spise zu treiben. Vor Allem
also lassen Sie sich sagen, daß ich per
sönlich, verstehen Sie wohl, der ich
die Anklage gegen Brote seiner Zeit
erhoben, seine Verfolgung seine Gr
greisang und Verhastung durchgesetzk
habe, von der Schuldlosigteit des Un
glücklichen nunmehr vollkommen über
zeugt bin!«
»Eckhardt!« entsuhr es ihr lauter,
als sie gewollt. Sie starrte ihn an
mit unsicherer-D suchenden Blick. Altes
Blut war aus ihrem Antlitz gewichen.
Tastend griff sie um sich, um nch fest
zuhalten. .
,.Ruhe —- Ruhe!« beschwichtigte der
Referendar. »Ich habe Ihnen da das
Facit langer, quälender, ernster Un
tersuchungen, Studien und Gewitte
lungen verrathen. Aber ich bedars
IJhres Beistandes, um dies Ergebnisz
i auch dem Gericht vorzusühren . . .«
’ »Sie können Alles von rnir verlan
gen, ich würde ja mein Leben hin
apfern, um ihn zu erlösen. Aber wie
— wie wollen Sie ihn retten-ON Wie
wollen Sie’s ertciirent«
»Fräulein Spener, dac ist nicht mit
ein paar kurzen Worten gesagt. Bor
läusig soll Ihnen das Eine genügen,
da ich überzeugt bin, den un liicks
li n state entlasten zu können. der
ein weiter We ist noch bis dahin. Ei
darf Nichts it ilt werden. Sie dür
fen ge en Niemanden —- lIII-en Sie,
Mo« iemanden —- Ettoat verlanten
rtha athmete hastig nnd erre t.
Es wird mir taschtver fallen, nigch
in bezwingen Die Nachricht, die Sie
nei- da bringen« sprengt mir ja fast
die seiest. Das Sie es sind, Sie
MAT- Kcchkha über-einget- taäen F
- me m
W Hex sit-e itng ei
s- wiss-tell mratw t· e
«M WMUHÆZW
i
»Riemandem.« Wieder ging sie zur
Isr, um ängstlich zu lauschen. Er
regt kehrte sie dann zurück.
.,Riso hören Sie, Fräulein Speisen
erwähnte da die Auszeichnungen
assiliews. Sie wissen, was sie ent
hieltenlm
«Juftus sprach früher öfters davon.
Es sei eine Art philosophisch-rnedizi
nischen Glaubensbekenntnisses saate
er. Wasfiliew trete in diesem Wert
mit neuen, kühnen Thesen über das
Wesen des Hopnotismus iiber die Be
deutung und Wirkung der Suggeftion
in der thnose hervor. und er dro
phezeite seinerArbeit ein edochemachen
des Aufsehen· Jch selbst konnte mich
nie siir diese Theorien so recht erwär
men Als Laie verstand ich ja nur
wenig davon. Das aber. was ich ber
ftand, flößte mir nur ein seltsames
Grauen ein.«
Der Freiherr nieste ernst und düster.
»Auch ich konnte mich anfangs mit
dieser räthseloollen Lehre nicht be
freunden. Jch durchblätterte das »
Wert Wassiliews zuerst ziemlich in-’
terefselos: mehr und mehr fesselte mich «
aber die glänzende Darstellungsart des
Verfassers. Wassiliew hat« wie er in i
dem einen besonders aufreaenden Ka
pitel schildert, die Probe auf seine
Theorie des Oefteren auch praktisch
durchgeführt. Und die Beispiele, die
er angiebt, sind wohl dazu angethan,
auch einen nüchternen, kritisch prüfen
dn Leser mitfvrtzureißen. Es sind
Fälle, die keineswegs den Anschein der
Erfindung haben. Er hat der Schil
derung seiner Versuche gewissermaßen
urtundliches Material beigegeben: Be
glaubigungen von Behörden in seiner
heimath u. s. w. Und jedes Mal hat
er Name, Stand, Wohnort seiner Me
dien angegeben, die Fälle tlar und
sachgemäß dargelegt. Jch muß sagen,
ich bin ganz und gar davon zurückge
kommen, ihn der Charlatanerie zu be
zichtigen.«
Martha lauschte voll Spannung.
Es drängte sie, endlich wieder Etwas
zu vernehmen, was auf Johannes Be
zug hatte. Aber Eckhardt wich von
dem angeschlagenen Thema nicht ab.
»War es Ihnen bekannt, cFräulein
Spener,« fuhr er nach kurzer Pause
fort, »daß Wassiliew auch mit Jhrem
Bruder hypnotische Versuche ange
stellt hat?«
Betroffen blickte Martha nun auf.
.Tazu lam es nicht mehr!... Ge
wiß. er vermaß sich, Justus zu luriren,
ihm in der Ohdnose den Willen zu sug
aeriren, zu leben und sich zu erhalten.
Aber- ioii imst- sein Wesens-en an sei
lner Lehre. Aber ich vertraute ebenso
wenig feiner mir unheimlich geworde
nen Person. Das war ja mit der
Hauptgrund, daß wir die unaiickselige
Flucht damals in Scene setzten«
Wieder schwieg Ectharot, der sich
offenbar in gesteigerter Erreauna be
fand, eine lurze Weile, während deren
es tramvfhast in ihm zu arbeiten
schien. Endlich versetzte er:
»Sie sind sicher, das-, Wassiliew nicht
mehr dazu kam, Ihren Bruder zu
hypnotisiren?«
»Ich wüßte nicht. . Weni astens
wäre es nicht mit meiner Einwi lliauna
geschehen. Gleich nachdem Wassiliew
mir seine Pläne auseinaderaesetzt
hatte, vertraute ich mich Johannes an.
Er war gleich mir sehr beunruhigt . ..
Wir verabredeten, Justus dem Ein
slusz Wassiliews sobald als- möglich zu
entziehen.«
»Und Jhr Bruder selbst — alaubte
er an die Lehre seines Freundes?«
»Ja, er glaubte daran.«
»Sie sprachen öfters darüber mit
Justus?« »
»Nur fliichtig, ein paarmai. Jch
wich seinen mystischen Erörterungen,
die mir unheimlich waren, geflissentlich
aus«
»Und hat Justus nicht einmal — in
einer ganz besonders eindringlichen
Weise — Jhnen zugekedet, gewisser
maßen im Austrag seines Meisters, an
dessen Theorien zu glauben, seiner
Kraft und seinem Willen zu ver
trauen?«
Martba guckte die Achsel, mehr und
mehr befremdet. »Er sprach schon
damals immer müde und grämlich . . .
Daß er in besonders eindringlicher
Weise die Lehren Wassilietos verthei
digt hätte, kann ich nicht behaupten.«
»Ich meine nicht nur den Ton, in
dem er einmal — gerade das eine
Mal, zwei Tage vor Jhrer Abreise,
also am 24. November, zu Jhnen ge
sprochen hat, sondern auch sein gan
zes sonstiges Gehabe.«
»Sie wissen ja selbst: Justus lag
immer apathisch da. Er brauchte Un
terstützung, um sich von der linlen aus
die rechte Seite zu wenden, so toie’s
noch heute ist. Und hatte man ihn
aufgerichtet und ließ ihn auch nur fiir
eine Setunde ohne Stütze, so brach er
haltlos in sich zusammen. Wenn er
sprach, bewegte er sogar die Lippen
nur wenig, und sütetrn mußte man
ihnDer wie ein Kind.«
DerFreiherr hatte ein Bündel
Olatier aus der Tasche gezogen. »Was
silieto hat seinem Wert einen Anhang
geben wollen, der leider ewig unvoll
endet bleiben wird. Dieser Anhang
sollte eine wahrheitigetreue Schilde
rnn der Krankheit seines Freundes
Ja us Spener und seiner detlnng
durch den Watte-nu- bilden«
»Sie halten gelesen, was er darüber
«·Dieser Theil toat in rassischer
Sprache abgefaßt Vielleicht wollte er
dadurch verhindern. daß infolge ir
gend einer Jnditkretion die Umgebung
vertritt-i erfahren Mante, was er
blanke. seleW beherrsche die Spra
änichx eha ich.denn, seit das
lWiei seines settes aaM
.
geschrieben hats« stagteMartha hastig-«
l
—l
lich aus diesen Anhang hinweist. rnich
in Berlin mit einein russischen Stu
denten zusammengethan, oon dein ich
mir den Wortlaut Eber-sehen lie.
Was ich da erfuhr, schien mir von so -
cher Wicht· leit, daß ich mich sosort
entschloß. Ifeil-it russischen Unterricht
zu nehmen« unr mich von der richt’ n
Uebersetzung der hauptsächli en
i Punkte überzeugen zu können Meinen
Urlaub verwandle ich aber gleichzeitig
dazu, bei dein Prosessor Vogt, der ei
nige freie Vorträge vor setzten, Ju
risten, Naturwissenschaftlern und an
deren Gelehrten über seine Erfahrun
gen rnit dein hhpnotisnruö hielt, mich
als Hörer anzurnelden. Und ich kann
sagen. was der deutsche Gelehrte da
vortrag, hat mich in Verbindung rnit
dem, was ich aus dem Werte des Rus
sen ersahren hatte, geradezu zu einem
Gläubigen dieser Lehre gemacht.«
»Unlvilliiirlich wich Martha einen
Schritt zurück. »Sie?! Einen sonst so
ausgetlärten, verzeihen Sie dae Wort,
last zu skeptisch und nüchtern urthei
lenden Menschen?!«
Eckhardt hatte die Blätter vor sich
aus cden Tisch gelegt. Unstet schweif
ien seine Blicke über die enggeschriebe
nen Zeilen. Sein in dem kleinen
Lichtlreis grell beleuchtetes Antlitz sah
dabei so düster«und sremd aus, daß
Martha ein sröstelndes Empfind-m
nicht los wurde.
»Noch habe ich eine letzte Probe dor
zunehmen, Fräulein Spener. habe
ich aber ergründet, worüber nur Sie
mir Ausschluß zu geben vermögen. . ."
.Nur ichs fragen Sie! Urn
was handelt sich’s?"
»Es-sen um Justus. Hier habe ich
die Auszeichnungen Wassiliew’s in der
wortgetreuen Uebersetzung Sie be
trefsen eine Thatsache, über die ich Sie
bitte, mir rückhaltlos die Wahrheit zu
sagen.«
Er schob ihr das Manuskript hin.
Sie las in höchster Erregung.
Der Eingang schilderte in sachlicher
Weise. als trockenen Kraniheitsbericht,
das etaenthiimliche Leiden des Bild
hauers Justus Spener. der nach einer
gewaltigen Gemüthgdepressiom her
vorge.uten durch den jähen Tod sei
ner Braut, die das Opfer einer Eisen
babniatastrophe geworden war, einer
allgemeinen Apathie verfiel, die sich
im Ansana blos in Platzsurcht und
Ruhebedürfnisi äußerte, allmählich
aber bis zu schmerenLähmungserschei
nunaen augartetr.
Tr. Gabriel Wassiiiew batte genau
Bttm Geflian Udcc ch L«L«?Ql’r?cktlllgcll
im Itrantheitghild, auch über Die zur
Anwendung aeiommenen Kurverfus
risse, die ohne Erfolg geblieben traten.
Tag Journal stellte fest, daß Justus
Spener am lit. Iluaust zum letzten
Mal sich selbständia im Bett ausge
richiet hatte. Am 20. August schritt
die --—- scheinbar-, oder thatsächliche —
Lähmung so weit fort, dasz der Pa
tient auch die Schultergelenle nicht
mehr zu rühren vermochte. Nach seiner
Uedersiedeluna nach Karlsruhe war
von Woche zu Woche das Journal un
ter Angabe aenauer Daten, Mai-H und
Gewichtsveränderungen, gemissenhaft
weitergeführt Viele Aleinigteiten« die
Martha längst vergessen, tauchten mit
einem Male vor ihrem Geist wieder
aus und erinnerten sie daran, wie
schwer sie damals unter diesen neuen
Leidenserscheinungen selbst mitgelitten
hatte. Der Parient hatte von diesem
Tage an nicht mehr die Ouerarme, von
jener Stunde an nicht mehr die Un
terarme selbständig bewegen können.
Er magerte ab, er verlor die Fähig
teit, mehrere Stunden hintereinander
während der Nacht zu schlafen, mußte
Schlafmittel belommen, die aber auch
nur unvollkommen und nach langer
Pause wirkten. Magenbeschwerden
stellten sich ein« der Patient oegetirte
nur noch, antwortete mürrisch, sein
Interesse war blos damit wachzuhal
ten, daß man ihm von seiner Braut
erzählte und ihn erzählen lies-»
Martha hatte das Martdrium der
Arantenpflegerin dieses unsgliicklichen
Patienten lange genug durchtostet. Es
war ihr eine Qual, den ziemlich ge
nauen Bericht des Rassen zu lesen. Als
sie aber endlich fragend aussah, begeg
nete sie dem fast fiebernden Blick des
Freiherrn.
«Lesen Sie weiter!« gebot er mit
Flüsterftirnme, sich hastig im Zimmer
umschauend.
Jm ganzen Haus war’s still. Die
Mehrzahl der Kranken schlief seit der
Abendvisite, die Dr. Mathieu mit sei
nem Asststen arzt um acht Uhr den
Patienten ab attete. Man hörte von
Zit zu Zeit nur eine Uhr schlagen oder
den Coneierge unten in seiner Loge
husten. Das Rauschen der tief unten
zarn Abhang des schrossansteigenden
» Felshiigels vorbeiströrnenden Arve, ein
äundebetlen in der Nachbarschaft, das
»ollen eines Wagens, das Klingeln
ecrreilSchlittens auf der einsamen, be
schnerten Billenstraße bildete die ein
zige Unterbrechung des Schweigenp.
It trat nebenan aber die Wär
tern ein« Da sie rein Wort deutsch
verstand, störte ihre Anwesenheit nicht.
Martha trat aber leise ein und ers ach
te sie, ihr sofort zuaeeiden, wenn ihr
Bruder sich riihrte.
Ihre Stimme bis um Flüstern
dampfend. las dann Kakiba, erregt
wieder zurücktehrend, die Sitte Ga
briel Wassilietoi aus den leiten Sei
ten des «Anhangs.«
,...Jch bin überzeugt, daß stut
Spencr auf anderem Wege als-»den
des Vhpnrtismus nicht zu helfen R
SeineUsr ebnnaist mit me P
nen n einoee Ende-us
erst-Moc- semfir setz-re "
cis-u
W
welch ungeheures Machtmittel die Ra
tur uns in der richtigen Anweisung
der Dypnose in die Hand gegeben hat,
werde ich Justus Spener heute Abend
suggeriren, daß er die Kraft befißt,
wie jeder Gesunde, sich von seinem
Lager zu erheben. Trotzdem dieser
Unglückliche seit Monaten darnieder
liegt, siech. gelähmt, unfähig ein Glied
zu rühren, soll er frei, ohne irgend
welche hüle sein Bett verlassen, soll
vor seine Schwester hintreten und ihr
die Worte ausrichtem die ich ihm he
fehlen werde ihr zu sagen: »Martha,
ich siehe hier im Auftrag nnd aus Be
fehl Gabriels. Du siehst, daß er Al
tes vermag. was er will. Glaube an
ihn, wie ich an ihn glaub-. Er wird
mich heilen. Vertraue ihm!«
Schaudernd brach Martha ah.
»Aber das ist —- griißlich!« ent
rang es sich ihren blutäeer gewordenen
Lippen.
Eckhard: ftarrte sie ängstlich sor
schend an. »Fräulein Spener, Sie
missen« was davon abhängt —- oder
vielmehr... Nun, Sie werden mir
die lauterste Wahrheit sagen: Entsin
nen Sie sich einer solchen Szene?«
Martha schüttelte den Kons: »Me
mals hat Justus diese Worte zu mir
gesagt.«
»Und Sie entsinnen sich auch nicht«
daß er trotz feiner Lahmungserschei
nungen, iie Uns Alle schon für ihn
fürchten machten. sich von seinem La
ger erhoben hat?«
»Nein, Herr von Eckhardt, das ist
ausgeschlossen. Es war anfang No
vember, als er nicht einmal mehr ein
Buck» ein Glas halten konnte. Wir
sollte er da die Kraft gesunden haben,
sein Bett zu verlassen?«
»So lesen Sie weiter. Tag Jour
nal bat nur noch wenige Aufzeich
nungen. Dann entriß ein jäher, un
erwarteter Tod dem Chronisten den
Griffel.«
»2-1. Novemehr Abends. Julius
Spener hat mir in der thnose Wort
fiir Wort von seinem Austrag wieder
holi.«
»22'·.. November Morgens. ilw zwei
Uhr fünfzehn Minuten hörte ich in
der Wohnung unter rnir ein Geräusch.
Jch schlich auf der Treppe bis zur
Glasthiir. Der Lichtschein aus mei
ner Manfarde heleuchtete den Vorfaal
der Soener’schen Wohnung hell genag,
sodaß ich ihn überschritten konnte. Ju
stus Zorner stand bereits in der ge
öffneten Thär seines ZimmergZ
Zetterspenk zog er, als er ten Ver
saal überschritt, die Füße nach. Er
breitete die Arme nrsicher tastend aus,
ging aber ohne Stütze aus die gegen
überliegende Thiir iu. Jch hörte ihn
die Klinke tastend erfassen —- er drück
te sie nieder . . .«
.—-.- k-Zk-- t-.—-I-k----— N.-Z
JJksL ciltcell LLII(I;« si LWUUILU ilus
schrei brach Martha Die Lettiire ab.
»Barmher3iaer Gott!« entsubr es
ihr. Sie faßte sich nach der Brust «
ihr Herz schien ihr laut vernehmbar
zu schlagen.
Eckhardt suchte von ihren Lippen,
ihren Augen abzulesen
»Es ist -— wahr ?« forschte er.
Marth-: nidte mit aroßer isrreattna
»Sie entsannen sich aber vorhin
nicht . . .?«
»Ich glaubte, das sei . .. Jch habe
Johannes- dasnalå Alle-: gesagt» "
»Er-reckten Sie, sprechen Sie!"
drängte Eckhardt sast flehend.
»Ich glaubte, das sei damals Was
stliew selbst genesen Furcht und
Scham hatten mich abgehalten, mehr
zu sagen, zu Anderen darüber zu
sprechen.«
»Also waren Sie wach in jener
Nacht?« »Ja — ja —- ich war wach
Ich hörte es plötzlich unheimlich
schlürfend durch die Wohnung schlei
chen. Jch zitterte in meinem Bett —
ein solches Grauen vor Wassiliew be
herrschte mich. Und da kamen die
schweren, langsamen Schritte aus
meine Zimmerthür zu. Jch hörte eine
hand an der Thürsläche entlang
streichen —- die Thürtlinte streifen -——,
und da sprang ich aus« stürzte mit
ziternden Knien zur Thür und schob
den Riegel vor.«
«hiitten Sie den nächtlichen Eins
dringling ungehindert passiren las
sen, er wäre vor Sie hingetreten und
hätte Jhnen zweifellos den Beseht sei
nes herrn und Meisters ausgerichtet.
Und Sie hätten erkannt, daß es Ju
stus war, daß der scheinbar Lahme
aus Geheiß seines Meisters stehen
und gehen tonnte!'«
Martha war aus die Bank hinge
sunten. Sie preßte sich mit Rücken
und Schultern gegen die breite Fläche
der Bibliothet, ihre Arme verschränk
te treuzweiö aus der Brust, angstvoll
spähte sie um sich, als sei sie von
Spukgestalten umgeben.
Auch der Freiherr befand sich in
athemroser Spannuna. Er griss mit
zitternder hand nach dem Manuskript
und las an Marthe« Stelle wettet
«...Die Thitr war verschlossen.
Spener drückte die Klinke dreimal
nieder. Dann wandte er sich zurücks
und ging, wie er gekommen, ausrecht,.
schlilrsend, aber ohne zu schwanken, in
sein Schlasgemach zurück Die Zim
merthiir machte er hinter sich zu.« ,
« ch wagte mich erst eine geraume
Weie später aus meiner Stube he
ran-f sagte Marthen als Eckhardt
geendigt, »du durchsireiste ich die
ganx Wohnung, bemerkte auch, daß
die hilr zu JustW Schlasraum nicht
mehr, wie den Abend zuvor, essen
stand.«
Und von all dem haben Sie state
."«««d«e«rn case« Mittbeilung semachts«
, , »- i«
M
«Ja.«
»Und Brake war gleichfalls der
Meinung,d aß es sich urn Wafsillep
selbsi handelte, der da nächtlicherweile
ein drungen seis«
« llerdings. Und er erklärte, daß
er nicht dulden würde, daß ich unter
diesen Bedingungen noch eine weitere
Nacht in der Wohnung zubriichtr. So
xkam’s, daß ich bei Winter’s über
Nacht blieb, und daß Johannes sich
beim Kranken einguartirte.«
«Eckhardt athmete ties aus. »Und in
Pult Nacht war’s, daß Justus sich
schließlich nach langen, innerlichen
Kernpr freilich, dem stärkeren Wil
len Brake’s beugtei«
»Ja dieser Nacht,« bestätigte Mar
tha. »Johannes hatte mir und dann
auch dem Medizinalrath Wort sitt
Wort von ihren Unterredungen da
mals mitgetheilt. Es war in wahrer
Verzweiflungstampf, der sich zwischen
ihnen entspannen hatte.«
Der Freiherr wies wieder auf das
Journal des Rassen »Wassiliew war
von Allem unterrichtet, trotzdem er sich
im Laufe des 25., in der folgenden
Nach-i und am 26. November selbst
den ganzen Tag über nicht in der un
teren Wohnung einfand.«
Martha sann und griibelte. Wie oft
schon hatte sie Minute um Minute von
jenem verhängnißvollen Abend vor
ihrem geistigen Auge Revue vassiren
lassen. Nichts hatte sie verschwiegen,
auch die Darreichung des Schlafhau
kes nicht. Sie hatte damals sa in ei
ner solch wahnsinnigen Aufregung ge
handelt, sie begriff jetzt noch nich-, wo
her sie den Muth zu einer solchen Ei
sgenmiichtigkeit in jener entscheidenden
Stunde genommen hatte.
»Was Wassiliew über die Vorgänge
bei uns gewußt hat. tann er nur durch
das Dienstmädchen erfahren haben,
das er ausstagte, als es ihm den Sa
mowar brachte.«
«26. November Abends,« las Eck
hardt der pochenden Herzens Lauschen
den vor. »Der Kranke hat sich in der
vergangenen Nacht nicht mehr gerührt.
Vielleicht ist der nächtliche Vorgang
vom Lit. November in Spener’s Um
gebung nicht unbemerkt geblieben.
Man hat dem Patienten einen neuen
Wächter beigegeben, Herrn Johannes
Brate, einen Freund des Hauses,
gleich der Schwester des Kranken ein
Gegner der Lehre vom annotismus.
Die instinktive Abneigung Justus
Even-Ins der sich noch immer unter
en! Zwang meines Willens befindet,
bat es inzwischen zu einem harten
Kampf des Kranken mit diesem kom
men lassen. Spener verlangte die
Entfernung seines Hüters Dieser
machte sie davon abhängig, das-, der
Patient sich» seinem Willen fügte —
Je ixziii izuiqsriirsrrnirrne Mahlzeit zu
sich nahm. Jch werde noch heute
Aben: einen unbe. «chien Augenhiirt
wahrnehmen um den liatier ten auf
zusuchen und den incinein Einfluß
durch solche Geivaltmitlel tsiir,iogenen
wieder meinem Willen zu unterwer
fen. Ich werde ihm liefen-leih seinem
Peiniczer feinen ganzen Haß fühlen zu
lassen und ihm durch seinen Trotz zu
beweisen, das-, mein Wille stärker ist,
als der seiner Umgebung. Wenn ker
ihm verhaßte Wächter von seinem La
ger wiederum nicht weicht, soll er sich
wie vorgefiern Nacht erheben, vor ihn
hintreten und ihm antündigen, das; er
im Austrag eines Mächtigeren jedem
Zwang seiner Umgebung die Stirn
bieten wird. —— Ich schreibe diese Zei
len trotz törperlicher und geistiger Er
müdung. Dies theile ich den Anhän
gern meiner Lehre mit für den Fall,
daß meine Kraft der Suggestion heute
nicht ausreichen sollte, um einen voll
ständigen Siea zu erreichen. Wieder
um versichere ich auf Ehre und Ge
wissen-, wie be! all diesenAngaben iiber
vie von mir vorgenommenen Experi
mente, daß ich selbst für den Fall, daß
mir die hhvnvse des Mediums wegen
eigener Ermattung nicht in vollem
Umfang gelingen sollte, nur die wirk
lichen Geschehnisse, ohne jede Aus
schmückung. vorgetragen habe und
vortragen werde, lediglich zu dem
Zweck, unserer grossen Wissenschaft zu
dienen. —- Es ist acht Uhr zwzülf Mi
nuten. Man scheint dar Krankenzim
mer verlassen zu haben. Jch versüge
mich hinunter, um das Wert —- durch
die Ueberzeuguna auch dieser hart
näckigen Unglaubiaen » zu tränen.«
Marthas Blicke tlammerten sich an
die Lippen des Lesenden, auch noch als
dieser geendigt.
»Meine —- weiter!« drängte sie in
höchster Aufregung.
(katiehung folgU
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Eine unerwartete Uterus-.
EineI.Tage5 bat ein Dramatiier,
Namens Boule, den Theaterdireltor
Roqueplan in Paris, ihm ein Stück
vorlesen zu dürfen, was dieser ihm
auch gestattete. Der Vandevillist, der
natürlich sehr erregt war, las sein
Stück unter vielem Stottern vor. Und
der Direktor lachte bei allen Phrasen
Als sener zu Ende war, fragte er Ro
guevlam »Nun, wie finden Sie mein
Stück Der Direktor antwortete
»Mein Lieber, ich habe sehr gelachti
Das ist reizend. Alle diese Leute« die
da stottern! Das ist sehr originell und
wird viel Erfolg haben. . . .« — »Aber
sie stottern ja gar nichtl Ich
ibin es fa, der it . . ottert . . . .« Da war
iskoqueplan wie verwandelt und sagte
kühl: »Ach, sie stottern nichtl Das ist
etwas andere-. Dann i et Mgar nicht
sehr lustig . . .. thut mr lieber
Freund, ich kann Jhr sitt-m nicht an
nehmen.« · -