Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, November 21, 1902, Sonntags-Blatt, Image 10

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Yer Falk YassikieQ
Roman von Paul Oscac Höcker.
swszpuPuW «pMW-WM.MW«- J
Mo · Ofwois sc
ill. Fortsetzung.)
Jn ticser Stille lag das Dörfchen
da. Die Einheimischen schienen ge
rade beim Essen zu sein« denn er be
egnete Niemanden Er wußte, daß
Frau Brate beim Ortöschulzen wohn
te. Desen Häuschen befand sich un
weit des niedergebrannten Schulge
bäudeL Auch aus der Baustelle —d:r
schon im August in Angrifs genomme
nr Neubau war bereits unter Dach ge
bracht — war Alles still; die paar
Arbeiter schienen gleichfalls Mittags
pause zu halten.
Es war Eckhardt ganz erwünscht,
das- er oon Riemandexn gesehen ward.
So trat er, nach turzekn raschem
Klopfen an der Thiir der Lehrers
wittwe, bei dieser ein, ohne daß ihr
seine Anwesenheit in Reßlingen don
irgend Jemandem verrathen sein
konnte.
Er tras die alte Frau bei der Lec
tiire eines Briefes. Sie nahm hastig
die Brillie ab und stand aus, ziemlich
verwirrt durch das Kommen des jun
gen Mannes, den sie bisher stets nur
sliichtig »esehen hatte, wenn er in der
Eckhardt’schen-Gutsequipage durch das
Dorf durchgesahren war.
Jn Ton und Haltuna gab sich der
Staatsanwaltstelloertreter zunächst
möglichst ungezwungen.
»Ich habe Ihren Herrn Sohn ös
terö in Karlsruhe im Spener’schen
Hause aetrossen, Frau Brate. Da
mich derZufall durch Neßlingen führt,
wollt’ ich doch gleich einmal ansragen,
ob Sie neuerdinas Nachrichten von
ihm haben. Er ist augenblicklich auf
Reisen, hört’ ich?«
»Ach, Herr Referendar,« sagte die
gutmüthige Alte kopfschüttelnd, »ich
bin ia selbst ganz confus von all Dem
was sie mir v- verspeisen — nämlich
mein Sohn und jetzt wieder Fräulein
.. ..« Schiichtern brach sie ab. »Hm,
ich weiß nicht. ob ich verrathen darf-—
rd Sie wissen ..... «
Eckhardt hatte auf ihre Einladung
am Nähtisch Platz aenommen, der am
Fenster stand. Prüfend schmeifte fein
Blick über die mitBleistist vollgeschrie
denen Briesbogen.
.O, Sie können ganz offen gean
mich sein. Jhr Herr Sohn hat mich
in’5 Vertrauen gezogen. Er ist ver
lvht mit Fräulein Spener. Sie se
hen. ich bin orientirt.«
Es schien der Alten eine aroße Er
leichterung, daß sie endlich Jemanden
End, mit dem sie sich aussprechen
nnte. -
»Wie ich mich gefreut habe, als mein
Sohn, der Johannes, mir das schrieb
·- ach, das kann ich ja gar nicht schil
Dern. Fräulein Martha ist ja so ein
engelsgutes Wesen. Das Glück —
nein, das Glück, daß sie meinen Jun
en maai Aber die Sache mit
ein Russen, dem Herrn Wassilieio,
verstehe ich nicht so recht. Warum
sollte der don der Verlobung noch
nichts erfahren? Und wes-halb wollten
sie nach Hyeres? Der Professor
Schwartzkovsf ziehe dorthin? Und den
Kranken wollten sie auch dorthin brin
en? Ich werde aus der ganzen Ge
chichte nicht klua.«
Eckhard verharrte in größter
Spannung, trug aber nach wie vor
seine ungezwungenste Haltung zur
Schau.
»Ich glaube, ich kann Sie iiher
Mancherlei in der Hinsicht ausklären.
Jch tras hren Herrn Sohn noch vor
gestern A nd, gerade als er Fräulein
pener und deren Bruder zur Bahn
begleitet hatte. Bloß das ist mir un
bekannt, ob er seiner Braut nach —
hin, nach hherei — gefolgt ist . . . .«
»Nun, das scheint doch nicht der
Fall,« siel Frau Brote ein, »und es
liegt ·a auch gar nicht mehr in Fräu
lein arthaö Absicht, dahin zu sah
ren. Vor kaum einer Stunde erhielt
ich diesen Brief hier. Fräulein Mar
tha hat ihn gestern Abend in Gens
aufaeaeberh Sie ist aanz unglücklich
darüber, daß sie die Adresse von mei
neru Sohn nicht besitzt. Nach Karls
ruhe telegraphiren wollte sie nicht,
Wassiliero’s wegen, wie sie schreibt,
der ihren Aufenthaltsort nicht ersah
ren soll. Sie hat Anast, daß der
Russe ihnen nachgereift käm-. Nein,
ich verstehe nicht, rote das Alles zu
sammenhiingt.«
Eckhardt sah schon jetzt, daß sein
Besuch hier in Neßlinaen fiir die För
deruna der dunkeln Anaeleaenheit sehr
etgiebta zu werden versprach. Aber es
hieß tlua und vorsichtia vorgehen, um
die autmiithige Alte nicht noch mehr
zu verwirren. .
Uns sich vollends ihres Vertrauens
II versicheru, herichtete er ihr möglichst
s unterstle Aber die Verhältnisse im
use Spener bis zur Abreise des
z Y-, titstpaarw Auch iiher Bassi
QI Fug-a im dene- nah-machen
« . us auf den Kranken
. « « M M eine so offene, ehr
- Mr III bis Urasch- hei ihr
werbe, um seine Studien dort beim
Professor Schwartztopif fortzusetzen.
Sein Münstermooell sei verkauft —- er
werde oernnachst vom Gewerbemuseuin
»Den Kauspreis ausaezahlt erhalten
s und bitte sie, das Gelb in Verwahrung
szu nehmen. All fein Glück berausche
ihn derart. baß er ihr noch teinen lan
gen, ausführlichen Bericht schreiben
könne. Sei die Uebersiihrung des
FKranten nach Hyeres aber glücklich
»ersolgt, dann werde er ihr in einem
Tlangen, langen-Schreiben schildern, wie
Fall das aetorntnen sei·
’ »Und seitdem haben Sie keine Nach
) richt oon Ihrem Sohne mehr?« fragte
jEckharbt ein wenia zögernd.
» »Ich glaubte, er sei schon unter
wegs — auf oer Reise mit Speners.
Da tarn nun soeben der Brief von
iFräulein Martha.«
»Darf ich ihn lesen, Frau Brate?«
. Nach kurzem Zögern willigte oie
Alte ein. »P( weiß ja, daß Sie es
sgut tnit den eiben meinen. Es ist
so freundlich von Ihnen. daß Sie so
grobes Interesse an ihnen nehmen.
Vielleicht tönnen Sie mir einen Rath
geben. Denn ich weiß doch selbst
nicht, wie ich’s anstellen soll, um zu
erfahren, wo mein Sohn gegenwärtig
weiti.«
Eckharbts Finger zitterten ein we
nig, als sie die oon Marthe beschrie
benen Briesbogen aufnahmen. Ha
stig und erregt überstog er die Zei
ten, bie ulso lauteten:
»Meine liebe, liebe Mania·Brate!-—
So bari ich Sie doch nennen, nicht
wahr? Johannes hat Ihnen verru
then, wie es zwischen uns geworden.
Ach, vielleicht haben Sie schon ba
rnals, als ich iin Sommer die unver
geßlichen, herrlichen Tage in Ihrem
lieben Neßlingen zubringen durfte,
geahnt, was jetzt zur Gewißheit ge
worden ist: baß eine tiese, ernste, hei
lige Liebe unsere herzen verbindet
Die nüchternen Buchstaben aus bern
Papier sind ja so arrnsetig und ver
mögen io wenig nur zu sogen. Da
mm hoffe ikb ims- kä uns recht recht
bald vergönnt sein wird —- sobald
Juftus aenesen — zu Jhnen zu eilen
und uns Jhren Segen zu erbitten.
Jch habe weder Vater noch Mutter,
und meine ganze Zärtlichteit soll Ih
nen gehören. So hoffe ich, daß es
Jhnen nicht sein wird, als ob Jhnen
Jhr Sohn durch die Ehe geraubt
wurde —- fondern daß Sie die Em
pfinduna haben, eine Tochter geschentt
bekommen iu haben, die Alles aufhie
ten wird, um Jhnen Jhren Lebens
abend recht, recht friedlich zu gestal
ten.
»heute aber schreibe ich selbst in
aroßer Unruhe an Sie.
»Wie Ihnen Johannes mitgetheilt
hat, hatten wir geplant, nach hyeres
überzusiedeln. Unsere Abreise glich
einer Flucht, und ich kann Jhnen
nicht schildern, wie ausregend die
Stunden waren, die wir gestern
Nachmittaa bis zum Abend verlebten.
Wassiliew durfte nichts von unseren
Reifedorbereitungen erfahren. heim
»lich ward gepackt. Nicht einmal den
guten Wirthsleuten, herrn und Frau
IWinten und den Dienstmädchen ver
riethen wir ein Wort von unserem
Plan. Es traf sich, daß alle vier
lauszerm hause waren, als die beiden
»Wärter aus dem hofvital kamen, um
Justus·zur Bahn zu bringen. So ge
langten wir unbemerkt aus der Woh
nung. Auch Wassiliew ließ sich nicht
blicken. Jn meiner furchtbaren Angst
davor, daß er im letzten Augenblick
noch dazwischentreten tbne, habe ich
Etwas gethan, was mich später doch
recht sehr gereut. Jch wagte es auch
gar nicht, Johannes einzuweihen. Als
ich gegen Abend Wassiliew nämlich
den Thee hinaufschickte, mischte ich et
was von dem Schlafvulver in das
Getränk, wovon auch Justus erhalten
hatte. Jch kam mir hernach ganz
grausam vor, und ich wollte lieber, es
wäre nicht geschehen. Wassiliew wird
es mir nie verzeihen, daß ich mit Ju
stus mich so heimlich entfernt habe.
Aber er würde es ja einfach nicht ge
duldet haben, daß wir abreisten; oder«
er wäre uns gesolat, hätten wir ihm
das Ziel unserer Reise verrathen. Jn
meiner Unruhe bewog ich Johannes
noch in letter Minute, zurückzublei
ben, um zunächst Alles im hause zu
ordnen und zu erledigen — mit Win
ters, mit den beiden Mädchen — und
sich mit Wassiliew auseinanderzui
sehen. heute wollte er uns folgen.
Nun denken Sie sich aber, liebste
Mama Brate, was wir mit unserem
Kranken unterwegs auszustehen hat
ten. Als er erwachte, und ich ihm
« sagte, daß wir ihn nach hheres bräch
ten, daß ich mit Johannes überein
zgekommen sei, ihn dem gefährlichen
Einfluß seines Freundes zu entzie
hen, gab er sich einer solchen Verzweif
lnna iu, daß ich noch geht zittern
wenn daran surtitlden . Er fiel
uns sehen-als in Ohnmacht, nnd die
Bärin meinte-, es sei uns ich,
UMM is so Wlststs ZU an
be wettet traust-teurem Das war
W etl- M M s
—
thannes. der dahin dahnlagernd
achricht haben wollte, daß wir nicht
nach Hyenes fahren, sondern in Genf
bleiben müssen. Jn meiner Aufre
gung vergaß ich aber, was mir vor
hin erst einstel. irgend eine Adresse
anzugeben. hier angelommen, fuhr
ich mit dem einen Wärter in das Sa
natorium des Dr. Mathieu (Villa
Monrepos an der Arbe). Jch kannte
ja Niemanden in dieser Stadt und
mußte mich auf die Empfehlung der
Leute verlassen. Zum Glück war hier
Platz, und wir konnten Justus gut
unterbringen.
Schwer fällt mir’s aher aufs Herz,
daß Johannes. wenn er hier eintrisft,
nicht wissen wird, wo er mich suchen
soll. Da meine ich denn, er wird sich
sagen, daß ich ja doch die erste freie
Stunde benutzen werde, urn Ihnen,
uvnserem Miittekchen, Nachricht zu ge
n.
Sobald Sie also von ihm eine Zeile
erhalten, liebste Mama Brate, telegra
phiren Sie ihm sofort, daß ich ihn
hier in Monrepos erwarte.
Justus liegt wieder ganz still und
erschöpft da. Dr. Mathieu hat sich
iiher ihn noch nicht geäußert. Aber es
ist ein Jammer, den unglücklichen jun
gen Menschen so ganz niedergebrochen
und hilflos zu sehen. Ob es unrecht
war, ihn von Wassiliew zu trennen?
Wäre doch schon Johannes da. um
mir zu helfen, auch um mir zu sagen,
wie Wassrliew unsere Flucht aufge
nommen hat. Jch habe Johannes er
mächtigt, ihm jeht zu verrathen, daß
wir verloht sind. Wassiliew wird da
nun doch wohl endlich einsehen. daß
et lein Recht besitzt mich mit seinen
Werbunaen zu verfolgen, die nachge
rade anfingen, mir Furcht anzusagen
»Aber um Wassiliew auch jede Mög
Hlichleit abzuschneiden, uns zu folgen,
haben wir Alles vermieden, um unse
ren Zusluchtsort preiszugeben.
Hoffentlich läßt Johannes bald bon«
sich hören. Sonst würde ich doch lie
ber an KüchenhosL den Medizinab
rath, schreiben. Er war zufälliq
Zeuge unserer Ahsahrt. Vielleicht hat
Johannes ihm einen Anhalt gegeben
habe ich his morgen noch leinr Nach
richt, so depeschire ich nach hyeres, so
zwecklos mir es auch erscheinen mirs-»
Denn wie ich auf meine telephonische
—
Anfrage bei der Bateler Bahnpoft er
fahren habe, ist das Telearamm das
dort auf Johannes wartete, heute
Mittag bereits abgeholt worden«
Morgen lehren nun auch die beiden
Warten die sich als recht umsichtige,
tüchtige, ehrenwerthe Hülfe-tröste auf
der schrecklichen Fahrt hierher bewährt
haben. nach Karlsruhe zurück. Sie
Iroollen mir von dort aus berichten,
»was Wafsilierv vorgenommen bat.
TVon Winter’s, die sie sogleich auffu
chen werden, können sie wenigstens er
fahren, ob er im Hause wohnen ge
blieben, oder ob er abgereift ist.
Ein großes, ehrliches Mitleid mit
dem Menschen werde ich ja nicht los.
Und doch fühle ich eine folche Erleich
terung, eine solche Befreiung, seitdem
wir uns aus seiner Nähe gerettet ha
ben.
Nun ist’s aber genug geplandert,
liebfte Mama Brate. Jch habe noch
nicht ausgepaelt in meinem Stäbchen
hier (das neben dem von Juftus liegt).
So müde ich war nach den lehten
schlechten Nächten und aufregenden
Tagen, ich mußte Ihnen doch zu al
lererst ein Lebenszeichen geben
Und ich hoffe, daß ich bald, recht
bald gute Nachricht Von Ihnen er
halte.
Jch umarme Sie als Jhre aufrich
tig ergebene Tochter·
Martia Spener.«
Der Staatsanwalt - Setllvertreter
schwieg eine geraume Weile, nachdem
er zu Ende gelesen. Eine ungeahnte
Fülle von Material bot ihm dies
Schreiben. Mehr und mehr lichtete
sich für ihn das Dunkel. Johannes
Brale befand sich seit gestern Mittag
Falfo bereits in der Schweiz. Er hatte
»das für ihn nach Basel aufge ebene
ITelegramm auf dem dortigen ahn
khos abgegeben und sich dann zweifel
llos nach Genf begeben.
l »Es tkisft sich ser unglücklich
lnahm Eckbardt das Gespräch endlich
swieder auf, »daß Jhr Sohn nicht coe
nitzstens ein paar Stunden länger am
Jge rigen Tage in Karlsruhe ge
sblieben ist. Ei scheint doch, daß er
lmit Wassilierv eine ernsthafte Aus
-einandersetzung gehabt hat« über deren
f Charakter wir gern etwas Näheres er
ifahren hätten. Er ist nämlich —- wie
isoll tch sagen —- bm, der Lehte, der
f den Rassen gesprochen hat.«
Die alte Frau sah den Freiherrn
forschend an. »Der Letztes Wasfis
lieu-ist also abgereift? Er hat es
sehr übel genommen — sich zu her
zen genommen?«
»Ja, mehr als das. Er —- hm —
nun kurz herausgesagt, er hat es nicht
überlebt.«
«Varmherziger!« entfuhr ei der
Lehrerirvitttvr. »Nicht überlebt? Er
war leidend —- anfälligk
»Das nicht, soviel ich weiß.«
Frau Beute ward plöhltch leicheni
blaß. »Es kann ihm doch nicht ge
schadet haben — was Martha da
schreibt von dein —- von dem Jhee
etwa. dem Schlaftrunti«
»Nein, et ist ein . . . gewaltsamer
Tod gewesen. rau Vease.«
Er hat fi gewde Die alte
ra- nnter ans-·
hart-a
be s Eier ,
MYAWMÆ
a
W
Neu-W
Schwere des Verdachts zu verrathen,
der aus ihrem Sohne lasiete.
»Ja. möglich-es scheint so!« sagte
er answeichend. »Man sand ihn in
der Spenerschen Wohnung gleich sriid
am Morgen todt aus. Das Ungliht
muß geschehen sein, bald nachdem ihr
Sohn ihn verlassen hat. Sie können
sich also denken, wieviel uns daran
liegt. möglichst schnell Jhren Sohn zu
sprechen. Natürlich haben sich die Be
hörden des räthselhasten Falles ange
nommen . . .«
»Wassiliew todt! Wassiliew todt!«
sagte die alte Frau ganz satsun slos
oor sich hin. ,Also hat er sich er chos
sen oder . . . A r Sie glauben doch
nicht« daß mein obannes so grausam
zu ihm gesprochen hätte, daß er in sei
ner Verzweiflung . . . Ach, Du barm
herziger Vater, was wird Martha da
zu sagen. Sie weiß also noch gar
nichts?«
»Nein, sie kann ja noch keine Ah
nung davon haben; sie war abgereist,
unbekannt wohin,und wir konnten ihr
keine Nachricht geben« denn soeben erst
ersnhr ich aus diesem Briese ihre
Adresse. Wassiliews wegen hielten sie
ihr Reiseziel gegen Jedermann geheim.
Wir wußten nicht einmal, daß sie ur
sprünglich dorhatte, nach hheres zu
ziehen.
»Und wie sie sich noch sorgt und
ängstigt in ihrem Pries, was wohl
Wassiliew sagen nnd thun werd-. Und
nun ist er todt! Und Johannes?
Weiß er denn schon davon?«
Eckhardt guckte die Achsel. «,.Das
ist ja eben der Grund unserer Unruhe.
Jhr Sohn hat Karlsruhe gestern in
aller Herrgottssriihe verlassen Wir
bedürfen seiner aber dringend, seiner
—- Zeugenaussage zum Mindesten.«
Die alte Frau vermochte sich noch
immer nicht zu fassen. »Ei, wenn
mein Sohn da schon eine Ahnung da
oon gehabt hätte, daß ein solches.Un
gliiek vorgekommen ist, dann würde er
doch nicht fortgegangen sein. Wam
lieto war sein Nebenbuhler, scheint sich
fa geradezu seindselig gegen ihn ge
stellt zu haben — aber der Tod gleicht
doch Alles aus —- und Johannes wür
de doch auch schon der Soeners weaen
dortgebliehen sein, unt ihnen dann zu
sagen, zu berichten . . .« Sie war er
reat ausgestanden, zitterte aber derart,
daß sie sich wieder setzen mußte.
Es war nicht allein eine Umwand
lung von Humanitiit, die den Frei
herrn auch jetzt noch über den wahren
Verdacht der Behörden schweigen lief-,
— auch die triininalistische Uederle
gung lief-, eg ihm vortheilhafter er
scheinen, cie Mutter des Tlräters in
dessen grausige Schuld vorläufig noch
nicht einzuweihen.
»Die Nachricht von dem plötzlichen
Tode des Nussen, von dem sich Fräu
lein Spener, wie aus ihrem Briese
hervorgeht, noch immer verfolgt
glaubt, tvird natürlich sehr erschüt
ternd auf die junge Dame wirken. Ich
möchte Jhnen also empfehlen, prau
Brate, daß Sie ihr von hier aus kei
nerlei Nachricht zukommen lassen, be
vor sie nicht in schonender Weise über
die furchtbare Thais-rohe unterrichtet
worden ist« Jch werde selbst nach
Genf fahren. Telegravhiren Sie also
nicht etwa — auch nicht« falls eine
Depesche an Sie gelangen sollte mit
irgend einer Anfrage. Nicht wahr,
das versprechen Sie mir?«
Die Aufregung vreßte der guther
zigen Alten Thränen ab. »Ach, ich
weiß mich ja in all’ Das gar nicht
hineinzufinden. Sie sind ja so
freundlich, here von Eckhardt, daß
Sie sich des armen Fräulein Martha
annehmen wollen. Aber wenn doch
mein Sohn dort wäre, damit er Spe
ners gleichfalls beistehen tann. Und
wie es ihn mitnehmen wird, wenn er
hört . . . Nein, die Vorstellung ist ja
so gräßlich: Wassiliew sollte sich aus
Kummer darüber, dasz Speners von
ihm fortgingen, daß Fräulein Mar
tha nichts mehr von ihm wissen wollte,
das Leben genommen haben! Es wird
den Johannes ja ganz außer sich
bringen! Und es bleibt dann immer
und ewig wie ein Schatten auf ihrem
Glück . . . Ach, mein herrgottt Wo
Alles sonst so glücklich und gut und
schön hätte werden können, wenn es
blos mit dem Kranken nur besser ge
worden wäret«
Es war dem Staatsanwaltstellver
treter unmöglich, sich die Verzweif
lungsausdrüche der armen Alten noch
länger anzuhören. Die Pflicht rief
ihn auch, denn er mußte unverzüglich
Schritte thun, um die Fährte oes
Flüchtlings iiber Basel nach Genf zu
verfolgen.
Nachdem er nun diesen Brief des
Fräulein Spener gelesen hatte, der in
feiner naiven Ursprunglichteit ihn(
mehr verrieth als ein ganzes, roßes
Verhör, schloß sich die Kette ichter
und dichter zusammen — und bald
ab es fiir ihn in der Erforschung des
hatbesiandes, seines pfhchologischen
Susarntnenhanges und der äukeren
Feuer lge der Ereignisse iiber aupt
eine iicke mehr.
»Ich habe mich länger aufgehalten
als ch ursprünglich beabsichtigte Nun
heißt es eilen, um noch den Zug zu
erteichen·«
»Und ich bekomme bald Nachricht,
Sen von Eckhardts Wenn Sie Fräu
in Spener treffen -.- Sie thun mir
die Liebe an, ihr in Werg tvie großen
Intheil ich nehme. , wenn ch ihr
dåch wenigßens ein paar Zeilen schrei
toerI ioa stock te J
r re r « a,
noc
scht W Sie ihr « sagte er
sit kurie- cntschlnh »Mir nicht
depeschiren, Frau Brate. Hören Sief
Was auch lomrnen sollte —- tein Wort
depeschiren!«
Er hatte, unbemerkt von der fas
sungslosen Alten —- roie in der Zer
streuung —- die Briefbogen eingesteckt,
die von Marthas hand beschrieben
waren. hastig empfahl er sich nun.
» Wenige Augenblicke saß er wieder
im Wagen, der inzwischen bis zur
Dorfftraße herangekommen war.
« Jn Karriere ging es zur Lohnsta
tron zurück.
Die Einwohnerschaft von Karls
ruhe gerieth in nicht geringe"Aufre
gung, als in den frühen Nachmittage
stunden an allen Ecken der Stadt
Plalate mit einer vom Staatsanwalt
stellvertreter unterzeichneten Bekannt
rnachung prangten, in der dein schon
gestern in weiten Kreisen bestehenden
Verdacht nunmehr öffentlich Ausdruck
gegeben und alle Behörden und Pri
vatpersonen zur Festhaltung und Ein
lieferung des muthmasrlichen Thiikers
—— des flüchtig gewordenen Lehrers
a. D. und Kunststudirenden Johannes
Brate aus Neßlingen — aufgefordert
wurden.
Und die Abendzeitungen brachten
dann ohne Ausnahme den Text des
Steckbrieses, den der Telegraph in
zwischen in alle Kreisstädte Badens
und Vororte der Schweiz hatte gelan
gen lassen.
Achtee Kapitel.
Von feinem Plane, sofort selbst nach
Gens zu reisen, um die erste Verneh
mung des Fräulein Spener persönlich
zu leiten, stand Freiher von Eckhardt
ab. Zum Landaericht zurückgekehrt,
erfuhr er, daß Dr. Dierftiitter, der
Erste Staatsanwalt, in den Abend
ftunden dieses Tages von seinem Ur
laub bereits zurückerwartet wurde.
Er beauftragte also den Eriminal
commissarius Benecke, unverzüglich die
Riese dabin anzutreten, Fräulein Spe
ner aufrusuchen und zu ermitteln, ad
sie eine Auskunft über den Verbleid
des Jliichtlinas zu geben im Stande
fei. Durch Anrufung des Beiftandes
der bereits drahtlich unterrichtete-i zu
ftiindjaen Yehiirde solltle Benecke eine
— k-— II—
gcmlsscllysflc ucsclluuusullg Ue um
gebuna des Sanatoriums Mvnrepos
arganisiren.
Dr. Dierstiitter hatte die Bekannt
machuna seines Zubstituts schon auf
der Heimreise in einem Karlsruher
Abendblatt gelesen, das er ein paar
Stationen vor seinemBestimmungerrt
in’s Couve hatte reichen lassen.
Er schickte gleich vom Bahnhof ans
einen Dienstmann zu dem hinausstei
herrn, um ihm anzuliindigen« daß er
ihn noch denselben Abend in seiner
Wohnung aussuchen werde.
Nachdem er, daheim angelangt,
feine Familie beariiszt und die Reise
tleider rasch gewechselt hatte, machte
er sich sofort auf den Wen.
Dierstatter war sonst ein sehr ern
ster, gewissenhafter, sast zu schwer ver
anlagterBeamter; diesmal aber konnte
er sich’s nicht versagen, mit einem lei
sen Lächeln den jungen Collegen zu
zu apoitrovhirent
»Sie haben Glück, bester Freiherr.
Solange Sie hier mit mir gemeinsam
am Landaericht thätig sind, gab’3
nichts Anderes als langweilige Ur
tundenfiilschungen und verwickelte Hy
pothekenbanlschiehungen zu verfolgen
—- und kaum ich fort bin, können Sie
sich die Sporen bei einer solchen
Haupt- und Staatsaktion verdienen.
Run, lassen Sie einmal hören, wie die
Sache sich entwickelt hat.'·
Eckhardt gab einen erschöpfenden,
sachlichen Bericht. Der ältere Beamte
schien sehr befriedigt von den Maß
nahmen seines Collegen· Der letzte
Rest seines jovialen Gönnerlächelns
verschwand aber, als er vernahm, in
welchem Hause das Verbrechen ge
schehen war. Ueber den Namen Spe
ner batte er in der ersten Betanntma
chuna· die ihm zu Gesicht gekommen
war, binweggelesen. Nun rief er ge
radezu entsetzt:
»Svener — Spner —- das sind
die Kinder vom alten Soener aus dem
Ministerium? hören Sie, das ist ja
eine furchtbare Sache. Jch kenne die
Familie. Der iunae Manan ist ge
lähmt. Sie erzählten mir damals
noch von seiner Krankheit. Ja, rich
tig, richtig, nun entsinne ich mich mit
einem Male an Alles wieder. Und
dieser Brate — wie tommt der in
Berbinduna mit dem hause? Ein
Seminarlehrer, sagten Sie? Stiener
Senior hätte denn doch etwas höher
hinausgewollt, denl’ ich mir, mit sei
ner Tochter. Das ist ja eine ganz
abenteuerliche Geschichte.«
Der Freiherr verließ nun den Boden
der altenmäfeiaen Daritelluna und
gab dem Staatsanwalt einen Einblick
in seine persönlichen Wahrnehmun
aen —- svrach über das Verlöbnis; der
Beiden, Brale’s künstlerisches Stre
ben, die Iwischen diesem und dem Bus
sen entstandene eifersiichtige Span
nung —- und schlose mit dem Bericht
iiher seinen Besuch in Reszlinaem dem
älteren Collegen den Brief Marthcke
zur Leltiire einhändigend.
»Gut — hm — das unglückliche
jun e Weil-P brummte der Beamte,
neiva er zu Ende gelesen, vor sich
hin. Und aufseufzend fuhr er fort:
Ach entsinne mich ihrer noch, als sie
so ein junges Mädchen von zehn,
zwölf Jahren war. Sie war immer
ein stilles, liebes, träumerisches Ding.
OerfMtiVerlu der Futter haitfte
e g ern gema , gere t·
iunfdttebstnsitzt-»des- Fäudört Uer
ene o n n 'u ang,en
selcks miserahlee Abschluß ihres her
—
generdmans.« Er aing unrnht ern
paar Mal aus und nieder. »F bin
ja mit Allem einverstanden, was Sie
in der Angelegenheit unternommen
und angeordnet baden —- aber ich met
ne, humaner wäre es denn doch gewe- «
sen, Sie hätten der junaen Dame nicht
gerade unsern Beneele auf den hats
geschickt. Wohl verstanden — ich schatze
unsern Commissariue als einen tüch
tigen. energischen Beamten —- ader er
hat siir meinen Geschmack etwas zu
Schneidiaes so ein gewisses Yerliners
thum, wissen Sie. Na, nun laßt sich’s
ia nicht mehr ändern.«
Eckharbt gestand dem Borgesentem
daß er schon drauf und dran gewesen
sei, selbst nach Gens zu reisen, um
Fräulein Spener zu vernehmen« und
nannte ibm die Ursache seiner Ent
schlußänderung Den Dr. Dierstiitter
fesselte die Verfolgung dieser sensatio
nellen Angelegenheit derart daß er dem
jüngeren Collegen erklärte, die Bear
beitung persönlich leiten zu wollen.
»Es bleibt siir Sie dabei aber trotz
dem genu» zu thun übrig!« dertröstete
er den Freiherrn. »Bor Allem kommt
es mir daraus an, daß der Ueberwa
chunasdienst in Genf tadellos sunttios
nirt. Sie werden mir morden die
Alten neben, ich werde mich möglichst
schnell einzuarbeiten suchen —- dann
tönnen Sie übermorgen oder in zwei
Tagen Benecke nach der Schweiz sol
gen, um die Sache dort in die Hand zu
nehmen«
Eine Einsprache gab es siir Eck
bardt hiergegen nicht; er war aber
roch etwas enttäuscht. daß er in der
Bearbeitung dieses Falles, der durch
seinen Eiter sd schnell in eine grelle
und scharfe Beleuchtung gerückt wor
den war, nun plötzlich an zweite
Stelle rücken sollte.
Mit so brennendem Interesse sich
Dr. Dierstätter des »Falles Wassis
liew« aber auch annahm, er tonnte es
nicht verhindern, daß in den folgenden
Tagen eine gewisse Stagnation in der
Yersdlgung der sensationellen Assaire
cllllllll.
Ein sehr verwieleltes Wiederauf
nahme-Verfahren in einem langjähri
gen Strafprozefz, dessen Ausarbeitung
dem Freiherrn übertragen ward, ver
hinderte diesen, mehr als sein persön
liches Interesse am Schicksal der Spe
nerschen Geschwister und des Flücht
lings geltend zu machen; amtlich war
ihm der Fall plötzlich ganz entrückt.
Er erfuhr nur, daß Martha Spener
ein langes Telegramm an die Staats
anwaltschaft geschickt hatte, in dem sie
um Aufklärung über die Sendung bei
Kriminallonirnissarius bat. Beneete
schien sich ihr gegeniiber noch nicht
präzis geäußert zu haben über den
ganzen Umfang des Berbrechens, we
gen dessen man auf ihren Bräutigam
fahndete. Am fünften Tag nach sei
ner Ankunft in Karlsruhe erhielt Dr.
Dierstätter dann endlich einen Bericht
vom Kriminallommissarius. Die
Spur des Flüchtlings hatte er schon
zu wiederholten Malen entdeckt —
Brales selbst aber war er noch nicht
habhaft geworden· Bei der letzten Ber
nehmung des Fräulein Spener, das
noch fortgesetzt in Abrede stellte, vom
Verbleib des Flüchtlinge irgend eine
Ahnung zu haben, hatte er ihr darin
auch lutz und bündig erklärt, um was
für eine grauendolle That es sich
handelte.
Gleichzeitig mit dem Bericht Be
neckes an die vorgesetzte Behörde traf
bei Eckhardi und auch beim Medizi
nalrath Küchenhoff je ein Schreiben
der verzweifelnden jungen Dame ein.
Der Jnhalt war wirr, der Ton aber
heizzerreißend Küchenhoff hatte mit
dem Brief der Unglücklichen den Frei
herrn ausgesucht: der begab sich darauf
sofort zu Dr. Dierstätter.
(Fortset3ung folgt.)
HO-—
steten Dies als Zeichnung.
Von Duiuit, der der Stadt Paris
testamentarisch feine großen Kunst
sammlungen vermochte, wird folgende
Anetdote erzählt: Alle Medaillen der
Sammlung hatte Dutuii vor einigen
Jahren feinem Freunde Fenardent
anvertraut, der einer der berühmtesten
französischen Miirxzensammler ist.
Eines Tages nun fand Fenardent die
Glasschriinte seines Münzenmuseums
erbrochen; ohne sich um die eigenen
Verluste zu kümmern, lief er zur
Sammlung Dutuit . . . Sie war
merkwürdiger Weise unversehrt. Die
Diebe waren wahrscheinlich bei der
Arbeit gestört worden, und es fehlte
auch nicht eine Medaille von der
Sammlung Dutuit. Ein Geheimpo
lizist, der die Verfolgung der Einbres
cher ausnahm, lam auch nach Rom
und theilte Dutuit mil, daß seine
Sammlung unbeschädigt sei. Dutuit
war halb toll vor Freude und fragte
den Geheimen, was ee thun könnte,
um ihm für diese gute Nachricht zu
danten. Dann überlegte er einen
Augenblick und gab dem Polizisten
schließlich einen — Kuß. Dieser Kuß
war die einzige Belohnung, die derGes
gein von dem geizigen Dutuit er
ie
—
Nach dem Stettiner Generalanzeis
r werden dort »wenn Whandottem
Führ-e beste Winterleger« von einein
utsbesiher zum Verkauf ais-geboten.
Liegende Zahne hat man bisher noch
ni t beobachtet, oder find auch jene
nur Legendeiihiihnet
Irobheitr eine eiserne Keule; -
Mtchteitk ein stilhlernes Schild. i