Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, October 10, 1902, Sonntags-Blatt, Image 11

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    —
Vie todten Franzosen. —
Innre-rette von Friedeichpteuter.
Zur Sommerszeit mag es wohl
kaum ein schöneres Fleckchen Erde
eben als die Billa Saum-fide Wenn
iner von Luzern her aus dem Vier
tvaldstiitter See in dem Dorfe Weggis
antornmt und ein Stündchen hinan
steigt, dann siehter plötzlich dieBiiume
sich lichten, Wiesen wie grüner Sams
met leuchten ihm entgegen, und aus
blühendem Garten hebt si das stolze,
stoeistöckige Chalet Sunnh dde mit sei
nen weißm Giebeln, den blintenden
Fenstern und grünen Läden und sei
nen schlanten Glockenthürmchen aus
dem Dach. Jn kühnen Treppenstusen
steigt der Rtgi darüber empor, und
hoch über dem Hause liegen im Son
nenglanz die Alpen. Kette an Kette sich
reihend, vorn vielgezactten Pilatus bis
i u den nebelhaften Schneehiiuptern der
Seraer Alpen. Diese ganze erhabene
Alpenwelt erfaßte das schönheitstruns
tene Auge des Bei-setz von Chalek
Sunnysidr.
»Ja, sa," sagten die Thalbemohner
spöttisch zu einander, »die Hütte eines
Verriickten.«
Herr Leuti blinzeit verschlagen mit
dem Aug-:- Mit der Miene des Ge
scheidteren lächelt er, der alte Buch
binderineister von Luzern, unter seiner
Brille über beschränkte Ansichten.
Für die Leute drunten im Dorfe
"rnochte sie wohl zweitausend Franks
tverth sein, vielleicht auch nicht. Aber
sür Jemandem der ihre Poesie und
Schönheit begreifen würde, einen rei
chen leeritaner, einen Maler, einen
Dichter, so meinte Leuti, gelte sie
awanriatauiend Franks-.
Ein Jahr schon wohnte Leuti mit!
feiner Frau in Sunnniekex ein Jahr
hatte er geduldig auf den Dichter, Den
Naturfchwiiimer gewartet Und seit
dem das Paar in dem Hause wohnt
hat es Geschmack an ihm gefunden.
»Wenn wir reich wären, würden
wir es fiir uns selbst dehalten,« hatte
er gesagt. »Es hat keine Eile mit
dem Berlauf."
Am Ende des zweiten Jahres war
ten sie noch immer, sind aber auch am
Ende ihrer Ersparnsfse angelangt.
»Gchen wir wieder nach Luzern zu
rück,« schlägt seine Frau vor. »Du
Xannfl Dein Handwert wieder auf
nehmen«
Aber ihm, der sich daran gewöhnt
hat, die Hände in der: Schoofz zu legen,
gefällt fein Handwerk nicht mehr recht.
Auch der dritte Sommer griinte und
derbliihte, ohne den Naturschwiirmer
als Käufer gebracht zu haben.
Mit Beginn des vierten Sommers
hatten fich Leutt's Hoffnungen wieder
belebt. Das Wecter war herrlich; die
Reisenden strömten von allen Seiten
herbei.
«Welch herrliche Lage!«
»Man möchte fein ganzes Leben hier
verbringen!«
»Das Häuschen meiner Träume!"
»Und welche Aussicht!«
Das war töftliche Musik für seine
Ohren; die Damen insbesondere wa
ren hegeiftert, entzückt. Lsrtks Herz
schlug schneller.
»Das Häuschen ist zu vertausen,«
deutete er on.
Aber Niemand sprach vom Kaufen
Sollte alfo wieder nichts daraus
werden?
»Verlier’ den Muth nicht!«« tröstete
thn feine Frau, die doch voll Sorge in
die Zukunft blickte. »Den Kopf hoch;
wir werden fiir unsere Ausdauer noch
belohnt werden! Jch fühle es ganz be
stimmt, daß diefen Sommer Jemand
kommen wird.«
Jn der That tam Jemand Ende
Juni: ein junges, ausgelassenez Frau
chen, das mit dem jungen, blondbärtis
gen Herrn Gemahl auf dem Rad die
Hochzeilsreife durch die Schweiz
machte; sie sorglos, heiter, immer
lachend, zierlich, lebhaft, in weiten
Zumphofenz er ein stattlicher Mann.
- ieutenant v.Hardeaq, der ihr immer
folgte immer verliebt, zärtlich, ent
ziictt iiber ihre Einfälle, ihre tollen
Launen.
Leuti wartete auf feinen Besuch;
don der Höhe feines luftigten Neftes
spähte er den Berg hinab.
Plönlich ertönt silberhelles Lachen
aus dem Bergwald herauf, immer
deutlicher vernimmt er die Stimme
der jungen hübschen Trau, und end
-t- s- t— I.. - --k-.. --.- L-- .
s
F.
E
Ullh III It( entbuqu VII-us uns »Hu
Wald heraustritt und des Hauses an
sichtig wird, bricht sie in begeisterte
Auörnse aus, die wie süße Musik an
Leuti’s Ohr schlagen:
.O. das hübsche Häuschen! Und die
Grotten! Und der Kiosit Ach, die
schöne Aussicht! Neizendt Charmant!
O, Robert, wie schön würde es hier
sein, wie gut, hier zu bleiben, nur
wir zwei, ganz allein, wenigstens im
Sommert«
,,Miethen wir es,« sagte Robert,
»wir hatten ja doch die Absicht, eines
zu miethent« .
«O ja, willst Duf« «
»Aber es ist nicht zu dermiethen,«
hemertte Leuti, der mit aufmertlaknem
Ohr gehorcht hatte.
»Nun, dann iause es, Rahertt Wir
können dann jeden Sommer hierher
kommen. Du hast mir ja verskptochem
eine Villa aus dem Lande zu ausen.«
»Vielleicht ist es auch nicht zu ver
kaufen,« demertte Robert.
»Nein, auch nicht,« erwiderte herr
Anti. indem er all seinen Muth zis
fsatmnenfahtr. »Ich habe es tiir mich
Mann und den-ohne ei selbstz Ei ist
· Original in seiner Art, tue-away
maleriseh gelegen, der unendliche Vo
rtzdnn den es umsaßt, ist allein schon
biel Geld werth.«
»Aber, mein herr,« unterbrach ihn
die jungezrau sast traurig, »vertausen
Sie es nur« wir bezahlen, was es
werth ist!«
»Es würde mir wehe thun, mich von
meinem Daus trennen zu müssen,«
sagte er mit übertriebener Interesse
losigkeit. «Jch müßte einen guten
Preid dasiir oerlangent«
»Wie viel denn ?« fragte Robert.
»Zwanzigtausend Franks!« ant
wortete er rasch entschlossen; aber nach
und nach würd-e er wohl herunter
gehen bis aus zehntausend.
»Es ist ein wenia theuer!« bemerkte
Robert.
»Aber nein, Rabirt!«
Die junge Frau schlingt ihren Arm
schmeichelnd um den Hals des jungen
Gatten und umarmt und liißt ihn
bittend.
»O. Robert, saqe ja, lauft es!««
Sie ist unwiderstehlich reizend;
Lieutenant v. Hardeag ist reich und
erst seit vierzehn Tagen verheirathet.
»Nun ja, zwanzigtausend Franks-,
einverstanden!« sagt er.
»Ur-irr der Bedingung, baß wir das
Haus sogleich, sogleich bewohnen tön
nen, sogleich!"
»Sie werden heute Nacht hier schla
sen,« antwortete Leuti, »wenn Sie es
wünschen! Wenn Sie Zeit haben, tön
nen wir den Kauivertrag sogleich un
terzeiclmenx ich habe qestempeltes Pa
pier hier.« . .
i
Lmti Lonnte es fast nicht glauben.
Immer und immer regte sich in ihm
die Besoraniß daß Robert sich noch
anders besinnen werde. Erst am Tage.
Als llllcs ckllll chlck lll cuzclll »Hu
giltig verbriest und gesiegelt war, und
Leuti die blauen Banlnoten eingesteckt
hatte, da fühlte er sich in seinem
Glücke sicher.
Jetzt haben sie, er und seine Frau,
genug, um in Ruhe ihre alten Tage zu
verleben, und sie braucht jetzt nicht
mehr in den Hotels zu arbeiten.
Fröhlich befördern sie ihre sieben
Sachen ins Thal hinab und überlassen
das Haus den neuen Besitzerm die neue
hübsche Möbel kommen lassen unb es
inlein wahres Puppenheim verwan
de n.
«Ein Nest sür Liebende da droben!«
sagt Leni väterlich. Triutnphirend
spaziert er mit seine: Frau, ganz neu
gekleidet, :n den Gassen von Weggis
umher.
Die Dorsbewohner schütteln den
Kopf.
»Ja, sa! Aber eh mußten eben auch
Leute wie die lommen, Leute, die Geld
genug haben, um es zum Fenster hin
aus zu werfen.«
Auf die Länge jedoch nüht sich alles
ab, selbst die Zufriedenheit, selbst der
Stolz des Herrn Leutt.
Ach, hier unten am Seeuser zu woh
nen, so tief, mit all diesen Menschen,
das ist doch demüt"higend!
»Ja, ich habe Heimweh nach ihm,'«
gesteht er sich selbst.
Wohl tröstet ihn seine Frau. Aber
das Gefühl des heimehs hat sich un
ausrottbar in seine Seele vergraben.
Es ist stärker als er, es übermannt
ihn.
Jn der Nähe wenigstens möchte er
sein Häuschen wieder sehen. Er legt
seine besten Kleider an und steigt em
por nach Sunnyside, um »den jungen
Besitzern« einen Besuch abzustatten
Unter dem Kiosl sindet er sie heiter
lachend: Roberts Auae ruht seiner Ge
wohnheit nach voll inniger Liebe auf
ergart.
»Es ist ein wenig klein« aber so rei
zend, so allerliebst! Sehen Sie, wir
haben es aeschniiiclt, Blumen gepflanrt
Nur der Garten ist so abschüssig, daß
II. Ists Junos-- Q- --«c.s Is-'fs- e- ------
s-» »I- s«""·- ussWs OWN- ssss »Is
tleine Kugel hinunter zu rollen.'·
Leuti horcht taum auf die sprudeln-v
den Worte der hübschen ·ungen Frau;
er betrachtet das haus, as fest An
deren gehört und.seufzt.
Wie wünscht er. daß das Haus noch
sein wäre, sein mit dem Gelde, versteht
sich! Zerstreut folgt er ergarts
fröhlichem Geplauder.
»Jetzt werden wir die Grotten noch
vergrößern,« fährt sie lusiig wie eine
Lerche fort, »sie sind nicht tief genug.
Gerade Raum genug tiir uns Beide,
um einzutreten, aber umwenden tann
man sich nicht darin. Wir wollen sie
vertiefen.«
»Thun Sie das nicht!« sagte er.
»Warum nicht?" fragt ergart.
»Man muß die Todten in ihrer
Ruhe nicht stören!«
»Aber sind denn Todte in derGrotte
begraben?"
»Ja, der Platz hier gleicht einem
Kirchhof,« erwiderte er mit Interesse,
und er bedauert nicht einmal, die junge
Frau aus ihren glückseligen Träumen
aufgeschreckt zu haben. Man erzählt,
dafz im Jahre 1798 nach einem bluti
gen Rampfe der Waldftätter gegen die
eindringenden französischen Truppen
viele Gefallene hier in der Gegend be
erdigt worden«
«Soidaten, Gefallene!«
ergart war ganz bleich geworden.
»Todte, Robert, Begrabene, hörst
Duf«
»Ja,« antwortete er. »Was macht
dass Sind sie doch schon lange todt!«
Aber sie schien so erregt und so ängst
lich, daß Leutt, der die Sache ganz
einfach alt ein Gerücht ohne weitere
Abichten er ichlt hatte, doch Gewis
Enshifse it lie, und mn die fange
rau In rösieiy tilgte er hinzu:
nAber Madame, das ist sa blos ein
Gerücht! Man hat es mit vor Jahren
einmal erzählt.«
ergart war nicht zu. beruhigen.
»O, doch, doch:—Todte, man has
es Jhnen gesagt. es muß wahr sein!
Aber das ist entsetzlich, siirchterlichL
Jch glaube, ich sehe sie kommen, her
aussteigen, aus der Erde, mit ihren
rothen Hosen, ihren langen Bärten!«
»Jn allen Fällen aber, Madame,«
bemerkte Leuti voll Güte, ,,selbst wenn
hier Soldaten begraben lägen, so
würde ja heute nichts mehr von ihnen
übrig sein als vielleicht einige «Stelette,
die Jhnen nicht mehr schaden tönnten.«
Aber das Wort Stelette, das ihm
unbedacht entsuhr, oerschlimmerte die
Sache, noch, es beschleunigte die
drohende Krisis.
Ganz bleich und blasz wars sich
eraart in einem Nervenanfall in
Roberts Arme.
»Schnell Wasser, Essig!« —
ergatt kam bald wieder zu fich,
mit matten, ers-bereiten Augen, die
Robert bis u Thriinen rührten. Und
mit schmerz wegter, slehenderStimme
bat sie:
»O, Robert, brina’ mich von hier
fort? Jch ahnte so Schreckliches nicht!
Es araust mir hier! Jch könnte nie
mals hier bleiben! O, hier leben —- es
wäre mein Tod; ja ganz sicher mein
Tod! Laß uns von hier fortgehen,
Roberi!«
»Wenn Du willst, mein Lieb!«
stimmte Robert bei. »Aber ist denn
die Sache auch sicher?«
,,Meiner Treu,« antwortete Leuti
etwas zuversichtlicher, bestimmter und
ohne Mitleid, die Wirkung der Ent
hüllung hat ihm einen Gedanken ein
gegeben, an den er nie gedacht. »Nun
ja! Alle alten Leute der Gegend versi
chern es, und der Schulmeister selbst
hat es mir bestätigt.«
»Man könnte also Nachgrabungen
anstellen lassen.« saate Robert.
IF usin usin Naß-sti« kiof o»m
gart ängstlich. »Man muß die Todten
ruhen lassen, wie Herr Leuti gesagt
hat. Jch fürchte mich! Jch will heute
Nacht nicht hier schlafen, dent’ doch,
Robert, die Nacht hier oben, ganz
allein, das wäre schrecklich!«
»Wie Du willst, mein Lieb, für
heute Nacht könne wir nach Weggis
hinabgehen!«
»O, weder heute Nacht, noch sonsij
tfviederl Jch parte gleich meine Kof- i
er.«
Leuit steigt langsam, ein wenig är- "
gerlich, den Pfad hinunter; allmälig
aber heitert sich feine Miene auf, und
eine Idee, die vorerst noch verworren
in seinem Kopfe spukte, gewinnt an
Klarheit und belebt die ganze lange
Gestalt des Schlautovfes.
Zu Hause singter leise vor sich hin.«
.Du bist sehr guter Laune!" bemerts
seine Frau.
Aber er sagt nicht-L
i e- e
Am anderen Morgen schwingt er
triumphirend unter der Nase der er
staunten Frau einen Brief und einen
Schlüssel. die ihm Herr v. Hardegg
soeben übersandt hatte.
»Ha, hat Nicht schlecht, Alte, das!
Es leben die Franzosen! Und Segen
über die todten Franzosen!"
Der durch seine Kürze höchst aus
drucksvolle Brief lautete:
»Wir verlassen die Gegend und
werden wohl nie wieder zurückkam
men. Bertauien Sie deshalb das
Haus fiir mich zu irgend einem Preis.
llnterdetfen bestellen Sie einen Hüter.
der es bis zum Vertause bewohnt.«
Einen Hüterl Er hatte ihn bereits
gefunden, diesen Zuverlässigem treuen,
unbeskechlichen bitter-. Ja, er tannte
Einem der teiner Blume ein Leids
thun würde.
»Wir werden wieder da hinaus
ziehen, Alte!« sagte er. »Wir haben
jetzt das Geld und das Haus. Und
alles das dant den Franzosen!«
»Welchen Franzosen denn2'«
»Denen der Grotten!«
»Es hat doch nie Franzosen dort
gegeben!'«
»So, nie? Wenn der Schulmeister
selbst sagt . . .«
»Dummes E,eug! Man wollte Dir
seinerzeit einen Streich spielen, da
mals, als Du von nichts Anderem
sprachst; als von verborgenenSchiitzen
von Alterthiiniern von Ueberrester
aus der Zeit der Helvetier!«
»Gera-de die Frau des Schulmeisters
hat mir die Sache erzählt, vor etwa
sechs Monaten, als ich bei ihr nähte.«
Am Abend noch zogen Beide nack:
Sunnyside hinauf und schiiirsten be
haglich ihren Kasse im Most. Und
jeden Abend nun siht er dort, von
Neuem beherrscht er den weiten Hori
zont, die unvergleichlichen Bilder IDer
Natur.
Um sein Gewissen wenigstens zu be
ruhigen, hat er drunten am Gatten
thor eine Tafel mit der Ausschrift«
»Ja rertausent« anbringen lassen.
Aber das nur der Form halber. Nie,
um teinen Preis wird er vertausen
Auch beunrnhiat ihn Niemand. Es
würde schwer halten, ein solches Paar
zu finden, ein so launisches Weibchen
wie ergart nnd einen so bequemen
Käuser wie Robert.
——-——«
Auch ein Erspltn
Bekannten »Ihr Baby nimmt von
Ta zu Taa zu. Das verdanken Sie
wogl der künstlichen Milch, welche Sie
erfunden Fadens«
»Natüri . Jch mache nämlich so
gute Geschii te damit, daß ich dem
Kinde seht eine Amme halten kannt«
Ver Gardwdragonen
Von G. von Reain Berlin.
Die Uhr der Kaserne schlug vier;
die Bahnordonanz, die im Kühlstall,
dem Vorraurn der Reitbahm sriistelnd
aus und ab gegangen war, trat an die
Bande und ries in die Bahn hinein:
»Vier Uhr!" Die Abtheilnng von
Garde - Dragonern, die bisher gerit
ten hatte, zog hinaus, eine neue Tour
marschirte hinein. Aus der Schwelle
des Kühlstalles begegneten sich die bei
den Ossiziere, denen der Reitdienst oh
lag, und tauschten einen kurzen Hän
bedruck.
»’Tag Burkrode!«
,,'Tag Gottesdorf!«
,,Jnfame Kälte —- hab’ da drin ge
froren, wie Nansen unter’m 82. Grad
—- nnd die Kerls auf ihren Gäulen
beneidet.«
»Na, nun sind Sie ja fertig,
Burirode, und können nach Hause
gehen, während ich mich mit der ge
mischten Tour abärgere. Sehe ich Sie
Abends im Kasino?«
»Nein, mein Theater — eingeladen
—- eingeladen, und rathen Sie nur
’mal wo?«
»Ich kann doch nicht die ganze Wil
helmsiraße und das Thiergartenviertel
·runterrathen —- machen Sie mal
schnell — meine Kerls werden zu
ialt!«
»Na, also hören Sie und staunen
Sie: in der Alsenstraße — dicht neben
der türlischen Botschaft!«
Herr v. Gottersdorf, der sich nach
seiner Reitabtheilung gewendet hatte,
machte rasch Kehrt und drückte das
Monocle ins rechte Auge.
»Doch nicht bei Stanaitschen?«
Burkrode nickte. Allerdings da!«
»Donnerschlsag! -Mann! Haben
Sie ein Glück —- das müssen Sie mir
erzählen!« Gottersdorf trat an die
Hande: Trompeter Bomte, übernehmen
Olc UUV Usllllclullull UllU lancll Vlc
im abgetürzten Tempo antreten!«
Dann schob er sden Arm unter den des
Freundes und schlenderte mit ihm
über den Kasernenhos.
»Da ist gar nicht viel zu sagen, ich
habe sie in der Oper kennen gelernt,
wurde durch einen Bekannten vom
Auswiirtigen Amt vorgestellt.«
»Na —- und wie sind sie?«
»Riesig nette Leute.«
»Und die Tochter?«
»Ja —- das könnte Jhnen gefallen,
; was? Sie sieht in »der Nähe genau so
aus, wie von weitem — mit einem
Wort also bildschön.«
»Na und das Geistige?«
»Kolossal — Gottersdors! Fabel
haft intelligent — spricht mehrere
prachen wie Wasser!«
»Also eine Frau erster Klasse-F
«Mehr — mehr: Servisklasse At«
»Eine Frau sitt einen von uns Gar
dedragonern!«
»Na. mein Lieber —- in der Unbe
stimmtheit nicht, sagen wir lieber: eine
Frau für den Freiherrn von Burkrode,
! Seiner Majestät elegantesten Leut
nant!«
Gottersdors lachte: »Das glaube
« ich wohl, die Komtesse würde von le
nen keinen Korb erhalten, wie?«
»Schwerlich!«
»Na, also viel Glück heute Abend-—
was ist es denn —- große Fete?«
»Nein« ganz ,,en Petit Comite« —
die Eltern, der alte Geheimrath Wense
vom Auswärtigen Amt, der dicke Le
gationsrath Gras Hahn —- ein großes
Licht — sdie Komtesse und meine We
nigteit Die alten Herrschaften spie
len thombre «
»Dann ist es ja richtig —- gratu
iliere!«
; »Danke, wir sind noch nicht so weit
i — die letzte Hürde kommt noch! Aber
Addio — mein Lieber —- Jhte Ge
mischte wartet aus Sie. und ich habe
noch Verschiedenes bis zum Abend vor
— aus Wiederseh’n -morgen!«
»Adieu, Burkrode!«
Die Herren trennten sich, Gottes
dors schritt kopfschüttelnd zu seiner
Reitabtheilung, der andere ging die
Yorkstraße hinaus nach seiner nahe be
legenen Wohnung. Unterwegs begeg
nete ihm eine schlanle Blondine in ein
sachem dunklem Winterkostiim, die er
mit vorzüglicher Artigleit grüßte.
»Seht-de um das reizende Mädel,«
dachte er bei sich, »hat alles-, was dazu
gehört, blos kein »Money«. Genau
genommen ist sie noch hübscher, wie
die Stanaitschen, sie hält sich gerader
— Ossiziersblut!«
Vor seiner Wohnung angekommen,
bemerkte Burlrode, dasz er den Kont
dorschlitssel vergessen hatte und schellte.
Die Dame, bei der er wohnte. Ess
nete ihm selbst.
»Bitte vielmals um Verzeihung,
gnädtge Frau, ich habe den Schlüssel
vergessen!«
»Bitte sehr, Herr Baron, ich öffne
Jhnen gern — es ist wohl sehr kalt,
sind oridentlich bereist!«
»Ja, es bläst kräftig aus Ost, aber
das macht uns Männern wenig, wenn
doch sogar die Damen dem Winter
trotzen, — ich bin soeben Fräulein
Tochter begegnet.«
MMithe ist einkausen gegangen —
sre hat sich gewiß sehr geschämt, mit
der Markttasche am Arm Jhnen zu
begegnen.«
»Aber das thut doch nichts-häus
liche Pflichten, wie wir unsere Dienst
pflichten haben.«
—
»Ich will Sie nicht aufhalten, es ist
kalt hier auf dem Korridor und til-er-k
dies —- zwei Briefe sind fiir Sie an
geiommen.«
«Wirllich famose Leute, diese Ar
siötts, Mutter wie Tochter« —- dachte
Burtrode, »und riesiq ehrenwerth, daß
sie sich mit der tnappen Pension so
durch’s Leben schlagen. Denn wie viel
ist’s? Zweitausend fiir eine Stabs
offizierswittwe nach dem neuen Ge
setzt Auch was Rechtes, das brauche
ich jeden Monat —- und sie leben alle
drei davon, Mama Major, die bild
siiße Käthe und der Sohn in Oftpreu
ßen beim 177ten in Ragnit, wo sich
Füchse und Wölfe gute Nacht sagen!«
Während solcher Reflexionen legte
der Osfizier den schweren Pelz ab, ver
tauschte die Unisorm mit einem beque
men Hausrock und zündete den Spiri
tus unter den Kasfeemaschine an.
»So! Und nun wollen wir sehen,
was Mama schreibt! Wenn sie guter
Laune ist, werde ich umgehend antwor
ten und die Zehntausend beichten, die
ich im Club habe sitzen lassen —
,,Boyons«!
Er öffnete das Schreiben und über
las flüchtig die erste Seite. Das Blut
stieg ihm jäh in's Gesicht — nein, das
war ein schlechter Scherz, das tonnte
nicht sein! Er nahm das Couvert, da
stand es deutlich: Leutnant Frhr. v.
Burlrode, Berlin —- und der Post
stempel: Groß - Staisgirren, Ost
preußen —- und das war auch Mamas
Handschrift, zwar sehr gedehnt und
undeutlich, wie man in der Aufregung
schreibt, aber doch unverkennbar die
ihre. Der Leutnant nahm den Brief
und begann noch einmal von vorn:
»Mein lieber Sohn!
Jch habe es Dir fo lange wie mög
lich zu ersparen gesucht, aber jetzt mußt
Du es doch erfahren: wir sind am Bet
telstab! —- — Unser Vermögen ist zum
Theil durch Dein tostfpieliges Leben
verzehrt, die andere größere Hälfte
aber bei einem Bankfallissement der
letzten Monate verloren gegangen. Jch
habe zu retten versucht, was möglich
a--- .kt k- — .L k-! —
lUUb —F-Y IIC s» gut IUIS Illwskp — —
Jch finde hier in Skaisgirren bei Tan
ie Gertrud ein Unterkommen fiir meine
letzten Lebenstage.—Aber Du! Mein
lieber verwöhnter Junge! Was foll
aus Dir werden?« — Wenn Du Dich
auch noch fo einschränka für die Gar
dekavallerie reicht es nicht mehr! —
Nimm ein paar Tage Urlaub und
komme hierher, wir wollen mündlich
Rückfprache nehmen. — Jch bin zu
matt, Dir mehr zu schreiben. Onkel
Georg fiigt einige Zeilen hinzu. —- Jn
treuer Liebe —- Deine Mutter Natalie
von Burirode.«
Auf der letzten Seite hatte der On
kel mit mariiger and geschrieben:
,,Courage! —- chlimme Stunden
kommen für Jeden. —- Auch der große
König hatte sein Hochkirch — Den
Rock retten wir jedenfalls, wenn viel
leicht auch nur Linien - Jnfanterie!
D. tr. Onkel G.«
Der junge Offizier ließ den Brief
auf den Tifch fallen und athmete
tief. Einige Minuten sah er gerade
aus in die züngeltude Flamme der Kas
feemafchine, wie geistesabwefend.
Dann nahm er das zweite Schreiben,
ein großes wappengefchmückies Cou
vert, zur Hand. Es war die Verlo
bungsanzeige der Komteffe Marianne
von Stanaitfchen und des Geheimen
Legationörathå Grafen von Hahnftein
Neuwillfelde.
»Auch das!«
Er trat an das Fenster und sah hin
aus über die nächftliegenden Gärten
und die villenartig niedrigen Gebäude
nach dem Tempelhofer Felde. Da zur
Rechten der Brauerei und davor die
käkhupckscu E-hk«ll- «»2 h-- ««».-:.J.c-.
·- up V »He-»e- uuzs »s
Hs l l e
die Westdivision vorzubrechen pflegt!
Wie oft hatte er dort mit seiner EINI
dron in Bereitschiaftsstellung gestan
den und die »Einfantrie« belächelt,
die in Schützenschwärinen mühsam ge
gen die Tempelhöser Chaussee vorging
— nun sollte er selbst ein solcher ,,Fuß
mensch« werden, er, der gewohnt war,
die Welt vom Sattel aus zu betrach
ten. Und was fiir ein Jnfanterist!
Nicht etwa erstes Garderegiment —
die Prinzenschule oder Alexander oder
Franzer —- nein, irgendwo in der Pro
vinz, hundert Meilen und mehr von
der Kultur entlegen, irgend ein Regi
ment um die ,,170« herum— ,,höchste
Hausnummer« nennt das spottend die
Reiterwaffe Vielleicht Gumbinnen
oder gar Ragnit, wo der Herr v Ar
stätt, der Sohn seiner freundlichen!
Wirthin in Garnison standt Ein
Schauer überlief den sonst lebenslusti
gen Dragoner. er schritt zum Kaminef
und schürte die Gluth. Dann trat er
wieder an’s Fenster.
»Da drüben Tempelhos—-der ferne
Thurm ist Britz — dann Rixdorf und
die hasenhaide. Die scharfe Ecke, das
ist der Garnisontirchhof —- da liegt
auch der gute Lange, mein alter Kame
rad — wer jetzt an seiner Stelle wäret
Vorbei der ganze Trubel, vorbei das
Hasten und Ringen, die Hoffnungen
und Enttäuschungen, nur Friede. Und
wenn sie oben trommeln und die Gar
de mit klingendem Spiel paradirt —
das Alles bewegt ihn nicht mehr. —
Und er liegt in guter Gesellschaft —-—
Kamerad an Kamerad!"
Er seufzte laut auf unsd blickte un
willkürlich nach dem Pistolentasten,
der auf dem Kaminsims stand.
«Und dann auch sie noch! Sie,»
d
diese Sphinx mit den W
Geliebt habe ich sie ja nicht« Dazu tus
ten wir uns viel zu kurz. sie
hätte mich retten können —- sth retten
können mit ihren Millionen! Und
nimmt den dicken Dahn von der Bot
schaft, diesen Genußmenschen, der nie
in seinem Leben auch nur einen Gaul
bestiegen hat, und höchstens diploma
tische Roten nach Anweisung drechseln
kann. —- Und dann die Zehntausend
auf Ehrenwort — am nächsten Ersten
fällig! — Es ist zu mBerzweifeln!«
Langs am schritt er nach dem Kantin,
es war, als ob ein magnetischer
Strom ihn nach dein Eichenliistchen
hinzog, aus dessen Deckel das
Burlrode’sche Wappen in Silber
glänzte und in dem zwei Pistolen ruh
ten. Er öffnete und nahm eine in die
Hand, eine schön gearbeitete Waffe mit
Elfenbeineinlage am Schaft.
»Du könntest mir helfen.«
Jn diesem Augenblick legte sich eine
kleine Hand mit energischem Druck
auf den Arm des jungen Offiziers.
Käthe v. Arstätt, gefolgt von der Ma
jorin, war unbemerkt in das Gemach
getreten. Ohne viel Umstände nahm
sie die Waffe aus der Hand Vurlrodes,
legte sie in den Kasten, schloß das Ge
häuse und steckte den Schlüssel in die
Tasche. Die Majorin, etwas kurzsich
tig und an der Thür zurückgeblieben,
wurde von dem Vorgang gar nichts
gewahr.
»Wir haben mehrmals gellopft, weil
wir Sie so seufzen hörten-Sie haben
doch nicht etwa schlechte Nachrichten
von Jhrer Frau Mama?«
Die alte Dame sagte dies mit so be
wegter Stimme und herzlicher An
tl)eiln-ahme, ihre guten blauen Augen
sahen so besorgt darein, daß es dem
unglücklichen Offizier warm um’s Herz
wurde.
»Wir haben unser Vermögen ver
loren,« erwiderte er einfach.
,,Großer Gott, welch’ ein Unglückl
im« m zum-. sma ««I«mm»-2 nnd mnä
»«. .,. .......... ,,-......-.... --..- »
wollen Sie nun machen?«
»Ich weiß es noch nicht —- ich werd
mich wohl zur Jnfanterie versetzen las
sen müssen —- zur Linie!««
»Aber das ist ja schrecklich, lieber
Herr v. Burkrode!·« ,«
»Ich bin nicht Deiner Ansicht, Ma
ma,« fiel Käthe ein, ,,es muß doch für
einen strebsamen Offizier, wie den
Herrn Baron, interessant sein, wenn
er auch andere Waffen kennen lernt.
Sie waren Kavallerist, Sie werden
nun Jnfanterift eine gute Vor
schule für den Divisiongtommans
deutl«
Burkrode mußte über die weitflies
genden Gedanken des Mädchens troi
seiner prekären Lage lächeln, aber dies
Lächeln erstarb, als er diese kühne Ent
schlossenheit und ein fanatisches Feuer
im Auge des schönen Mädchens ge
wahrte. Wie ein Schlag durchzuckte
ihn jetzt die Gewißheit dessen, was er
wohl geahnt, aber immer als unwahr
scheinlich von sich gewiesen hatte: sie
liebte ihn. —- Als Käthe des Eindrucks
gewahr wurde, den sie auf den Offi
zier machte, schlug ihr heiße Röthe in’i
Gesicht. "
»Zum Divisionskommandeur ist ja
freilich noch Zeit« — sagte sie stockend
— aber Papa meinte: der Soldat muß
sich das höchste Ziel stecken!«
»Und unser Paul fühlt sich in Rag
nit beiden 177ern trotz seiner knap
pen Mittel ganz glücklich«, fügte dit
Majorin hinzu, die in ihrer Herzens
einfalt nicht merttc, wie die Empfin
dungen im Busen der beiden jungen
Menschenkinder flutheten, »wie wäre
es, wenn Sie sich zu den 177er versetzen
ließen? Der Kommandeur ist ein Vet
ter von uns, und dann hätten Sie
doch auch gleich an unserem Paul einen
näherstehenden Kameraden! Und noch
eins-: wenn Sie augenblicklich in Ber
legenheit sind, sprechen Sie offen! Jch
denke an meinen lieben Jungen in der
Ferne, so muß Jhnen auch zu Muthe
sein — und so will ich Mutterstelle an
Jhnen vertreten!«
Burkrode küßte der alten Dame die
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daß er so schnöde von dem zurückgese
genen, stillen Leben gedacht, das so
viele vorzüglichen Eigenschaften f.
zieht.
Und als er auch des jungen Mäd
chens Hand nahm und sie leise zittern
fühlte, da wußt-e er, daß er wohl mehs
an diesem Tage gewonnen hatte: ernste
Entschlüsse für kommenkde Tage und
das Herz eines edlen Weibes·
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