Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, August 22, 1902, Sonntags-Blatt, Image 9

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Howgkgsssiatt
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. sz Beilage des » Ucbraslm Staats-: anrigkr und Ykrold«.
mal — -«--r.·« .
J P Wiudqtph, Herausgehen Grund Mand, Nebr» den 22.«211«gtif119()2. Jahrgang 22 No 51
E Va- Glück-schwein.
gcrzöhlung von Luise Westtirch.
- III ich ihn tennen lernte. war er
ein wiirdiger alter Herr mit sehr gere
lten Lebensgewohnheiten ja sogar
einem Stich in's Philisterhaste und
Spieszbilrgerlichr. Seine Bewegungen.
sein Gang, waren feierlich und gemei
, sen und die kleinen Leute seines Vier
tels grüßten ihn mit besonderer Höf
»lichieit. Ein piinitlicher Zahlen tein
«Berschtvender, kein Knauseren muster
haster Gatte, musterhasier Vater und
-Großdater, dabei in allen Stücken
«einer, der sich die Achtung, die er ver
T dient, auch zu erzwingen weiß. Die
Menschen hatten während seiner Ju
gendjahre zu viel iiber ihn gelacht, ja,
;- einzig ihrem Lachen dankte er, was er
E geworden war. Nun hegte er im Alter
den Ehrgeiz, ernst genommen zu wer
den. Auch sprach er nur äußerst selten
von der Zeit, da er als Cirtusclown
von Ort zu Ort gezogen war.
Einmal fiel mir aus seinemSchrei b
tisch zwischen den dunklen schweren
Vorhängen der Fenster eine kleine
Bronze aus, ein Schwein·
»Das ist Bessie,« sagte mein
Freund. .
»Bessie? Ich hielt’s siir ein Glücks
schwein.«'
Er fuhr sich mit der Hand über die
Stirn. »Gliicksschwein? Ja, das ist«B
wohl wahrlich und in eigentlichereni
Sinne als Sie denken. Jch lann die
Geschichte erzählen, Fennimore. Kann
ich nichi?«
Die Frage war an seine Frau ge
richtet, eine sehr korpulente, tleine
Dame, die in ehrbarem, grauem Kleide
aus dem Sosa saß.
»Gewiß, Bod. Die jungen Leute
don heutzutage können dadurch nur
lernen·«
Bob sah einen Augenblick vor sich
hin. Dann begann er: »Ich war da
.- LI. --- -:-..-h.---.3
—-(.«- -:... m .
MWI . -
Ists-III Illl Musik« VIII IIIIUIIUOIUIIICIR
Jahren, äußerst streng erzogen, wir die
meisten Künstlertinder zu meiner Zeit.
Mein Vater war Parterrcgymnastiler
und Jongleur. Er machte nicht viel
Geld, eben genug, um mich und meine
Schwester groß zu bringen« nachdem
unsere Mutter im Dienst verunglückt
war.
Jn London begrub ich ihn.
Aus mir hatte er gemacht, was man
aus einem Burschen mit gesunden
Gliedern machen kann, und ein wohl
wollender Agent in London verschaffte
mir einen Platz irn Cirtus Cooper.
Das war ein Treffen der alte Cooper
genoß damals Wetter-L Voll hochflie
gender Hoffnungen reifte ich also nach
Hamburg, wo er gerade Vorstellungen
gab. Allein schon die erste Probe vor
ihm war schrecklich. Jch that mein Be
ftes, aber sein lithler durchdringenbet
Blick hatte etwas Lähmendes, sein
Schweigen wirkte schlimmer als Ta
del.
Die ganze Nacht zermarrterte ich mir
den Kopf nach Variationen, Pointen,
einem Schlagen der mich zu einem
»Star«, einer ,«Attraltion« machen
könnte. Mir fiel nichts ein.
Niedergeschlagen tam ich am näch
sten Morgen zum lieben in den Cir
tus. Es war die Stunde fiir die Tra
pez- und Parterre- Aktobaten, die
Jongleure und Clown-s
Von dem ganzen bunten Bild fah ich
deutlich eigentlich nur eins das meinen
Blick unwiderstehlich festhielt. Und das
war ein ganz junges Mädchen, fasi
noch ein Kind, das in einem losen,
weißen Kleid auf einem schlasfen
Drahifeil tniete, während eine Schaar
weißer Tauben an ihrer Brust, ihren
Armen, ihren Schultern sich feftneftelte,
wie ein phantaftifcher Kopfschmuck s
oben auf ihrem gelösten Blondbaar
haftete. Damals war der Trick neu
Fennimore Blanc ist die erste ,,Taubeu
lUOllglll »Es Gll HLlWIIsIso
Die lleine Künstlerin fah wohl die
Bewunderuna in meinem Blick —
Fennimoke, Dearl ich bleibe dabei, du
hast sie aesehen. Frauen sind fcharf in
solchen Dingen. Sie verneigte sich
wie vor dem-Publikum Undsdann sehte
ssie sich behaglich auf das Seil und
fragte mich aus der höhe herunter:
»Was arbeiten Sie, Sit?«
Jch wies auf den Kasten mit Ge
wichtstiicken.
,,Kommen Sie von weit her?«
»Ich lornkne von London-"
Sie schan in vie Hände. »D, Lon
don lenn’ ich. London ist fein.«
Jch sagte ihr, daß ich hingereist sei
zum Begräbniß meines Vaters.
Da wurde sie plötzlich sehr ernst.
Sie glitt von-. Seil herunter, trat zu
mir.
»Sie haben teinen Vater mehr?«
Wie leid thut inir das! Jch — ich hab«
auch leine Eltern, wissen Sie.«
»Ich hin ganz allein," faate ich.
Meine Schwester war vor einem Jahr
in Paris gestorben.
Sie reichte mir die Hand ohne ein
Wort. Aber ei lag eine so innige
Theilnahme in der Gebärde, in dem
Blick," daß ich wie unsinnig die festen
Fingetchen drückte. So wohl war
mir in meinem ganzen Leben nicht ge
wesen.
Leider stand Fennimore aber doch
nicht so allein in der Welt, wie ich
Ini« vorqeftellt hatte. Aus»det Stall
thiit tain eine Tante gestutzt. Ich
wußte ohne Vorstellung, Daß es eine
war, denn fie schimpfte in fünf Spra
Zen und aus ihrem sehr· ichlechten
nalisch entnahm ich ungefähr so viel,
daß sie es fitr »shoeting« erklärte. wenn
eine junge Laby, der vie Auswth»zwi
schen Derzögen und Petnzen freiftande,
sich durch ern Geplapper mit eoeryhodc
gemein mache
Dahei hüllte sie tie Nichte ir
Bär-UT zerrte sie mit sich zur Garbe
ro . .
Mit ihrem lieben Lächeln ließ Fens
nimore sie gewähren. Jhre Augen blie
ben bis zur Garoerobenthiir auf mick
gerichtet.
Meine Seele nahm sie mit. Jch ge
hörte ihr von Dem Augenblick an.
Um Fennirnore zu gewinnen, mußte
ich, oa ich tein Herzog und tein Pring
war, wenigstens ein »Stat« werden
Wirklich lam mir ein Einfall. Dir
Gewichte, mil denen ich jonglirte, wa
ren so schwer, wie irgend ein Atrohal
sie handhabte. Wenn es mir gelang.
zehn bis fünfzehn Pfund zuzulegen
war ich einzig.
Jch versuchte es mit flinf Pfund
Meine leidenschaftliche Erregung aal
mir Kraft. Es gelang. Sogar bei
Alte sah jetzt freundlicher aus.
Er engagirte mich fest auf vierzehn
Tage-. »Vielleicht wiro doch noch ian
aus Ihnen, junger Mensch.«
Am Abend nahm ich, was kein Ar
tist je thun sollte, einen Schlud
Whisty zur Stärkung.
Jch hatte einigen Applaus. Bei
meiner schiniichtigen Statur verblüfft(
die Zahl Der gehobenen Pfunde.
Zwischen den Nummern sprach ich in
einem Stallwintelchen mit Fennimore
uno was sie mir sagte, und wie sie es
mir sagte —«
Die Frau im Zofa räuiverie sich
Sogleich brach er ab.
»Nun, was sie sagte, das gehört
wohl nicht hierher-"
Das Schlimme war, daß ich mich
an die Verstärtte Last nicht gewohnte
Jch wollte es zwingen. Jch legte noch
zwei Pfund zu.
Es war ein Sonntag. Sonntags aat
der Alte zwei Vorstellungen Mir war
nicht gut. Aber das Sonntags-Publi
kum ist anspruchsvolL Jch durste tein
Pfund zurückstecken. Etwas anderer
verwirrte mich. Jeden Abend saß aui
dem ersten Platz ein junger Mensch
der meine Taubentoniain in ausfällt
ger Weise anschrnachtete, ein reicher
Kausmannsfohn schien’s, sehr reich.
und nicht einmal häßlich. Die Esset
sucht machte rnich toll.
Und gerade bei meiner Glanz- und
Zchlußnummer, Jls ich das schwerste
Gewichtsstüct hebe, webt die Zuglust
n Vorbanq vor dem Stalleingang
beiseite und ich sehe unter einer Lampe
! den Kaufmannsiiingling, den die
Tante eben aeschmeidtg, lächelnd Fen
I nimore oorfiihrt.
Es war ein Blitz, eine Vision. Jm
Schreck versagen die überangestrengten
Muskeln. Das Gewichtstiick entgleitet
vorschnell meinen Fingern und trisst,
in falscher Flugbabn hinsausend, mich.
Als ich wieder zu mir tarn, lag ich
in der Garderobe. Ein Arzt beugte
sich über mich.
»Gebrochen?!« schrie ich mit einem
Blick auf meinen unbervealichen Arm.
»Seien Sie froh, daß das Ding nur
Ihre Schulter getroffen hat und nicht
Ihren Schädel.«
Jch war nicht froh. Je klarer mir
die Befinnuna wiederkam, um so wil
der raste, todte ich. Ein Atrobat mit
doppelt gebrochsenent Armtnochent Es
war der Ruin, das Ende der Carriere
und meiner Liebe.
Der Alte ließ niich in s Spital schaf
ts- «--- sc--J - — . ZW
Hu. us tut-u spiqu uns sue-. Use-usu
besuchte mich Fennimore dort — zum
Abschiednehmen. Si- weinte. Wir
weinten beide. »Ich werde dich nie
oergessen,« sagte fie.
Die Tante kam ihr nach, riß sie
foit Zie hatte ein Engagement in
einem großen Cirtus in Bari-. Es
war die Trennung für immer.
Als mein Arm nothdiirftig geheilt
war, ging ich aufs Land. Bei einem
holsteinischen Bauern miethete ich mich
ein. Sollte ich Ackerknecht werden oder
Schiffer? Oder mit der Orgel aufdem
Rücken auf die Märkte ziehen? Die
Melancholie der Verzweiflung befiel
mich. Als eine zufällig in meinem
Zufluchtsort verschlagene Zeitung die
Notiz brachte, daß die berühmte Tau
benkönigin Fennimore Blanc sich dem
nächst in Paris mit einem russifchen
Fürsten vermählen werde, ging ich nach
einer durchwachten Nacht an den Ka
;nal, uin die Arbeit zu vollenden, die
jdas abirrende Gewichtstiia nur halb
! gethan hatte.
Während ich am Rand des Kanals
umherirrte, brach die Sonne durch den
rosigen Himmelsstrich im Osten. Die
grauen Wasser des Kanals särbten
sich und auf der purpurnen Fläche sah
ich plöt; ch etwas Helles, Glattes trei
ben. E war kein Stück Holz, es war
kein Kadaver. Es zappelte, rang um
sein Leben mit wilder, zäher Energie.
War’s ein Kind?
Jch streifte den Rock mit den stein
beschwerten Taschen ab, ich zog die
Stiefel aus
Nein, sicher kein Kind! Etwas viel
kleineres, iraend ein Thier, jedenfalls
etwa-, das leben wollte.
Jetzt erkannte ich auch, was ich ret
ten wollte. Ein kleines Ferkel war’6,
durch irgend einen Zufall von der
Mutter weg in den Kanal gerathen«
Jch erwifchte es eben noch an feinem
Ringelfchmänzchem warf es die hohe
Böfchung hinauf ins Gras und
schwang mich nach
Da lag s nun fchlaff und keuchend,
sterbend. Aber nur wenige Augen
blicke. Dann hoben sich die Oehrchen,
dä kleinen Aeugelchen blinzelten unter
den weißen Wimpern hervor. Plötzlich
ftand’g ftramm auf feinen Füßen, stock
ftill zunächst. Es überlegte sich feinen
Fall wie ein Mensch. Ein lustiger Sei
tensprung, ein kurzer, rafender Galopp
drückten alsdann feine Freude iiber die
glückliche Rettung aus.
So erfrifchend, fo befreiend wirkte
der Anblick feiner naiven Lebensfreude
auf mein zerriittetes Gemüth, daß rnir
der Vorsatz, mit dem ich gekommen
war, plötzlich ganz unaugfiihrbar
wurde.
Jch raffte mein Ferkelchen vom Bo
den auf und trug es heim.
Als der Bauer Muihmafzungen an
ftellte, auf welchen Hof das Ferkel ge
höre, wurde ich heftig. Mir gehörte
es, keinem fonft!
Ich hatte ihm ein Lager in meiner
Kammer zurecht gemacht. Den ganzen
Jan befckikiftiake ich mieb mit ihm.
Befsie lehrte mich wieder lachen. Halb
spielend lehrte ich Bessie auch allerlei:
auf zwei Beinen gehen, sich auf Kom
tnanvo todt stellen, Tafchentiicher av
portiren, über Stöcke und durch Reifen
springen Bessie begriff alles, lernte
alles. Sie war ein kleines Wunder.
Eines Sonntags führte ich sie der
Familie meines Wirthe-s und einigen
Nachbarn vor, aus Scherz. Der Er-»
folg übertraf alle Erwartungen. »Wa
rum ich das nicht auf dem Kieler Um
schlag sehen lasse?« schrieen sie mir zu.
Jch ftutzte. Bis jetzt hatte ich Bes
sie’s Dressur nur zu meinem Vergnü
gen betrieben. Bon nun an ging ich
methodifch dor. Jch kaufte mir noch(
ein zweites Ferkelchen, dessenBegabunq
mir Gutes zu versprechen schien, Bes:
sie's Genie hat Peter freilich nie er
reicht. Dann schaffte ich mir ein
Clownloftüm an und übte tleine Zce
nen mit meinen Zöglittgen zusammen
ern.
Jm Dezember schrieb ich an cfoopen
der wieder nach Hamburg kam: irr;
hätte ein paar Schweine. die dasselbe
leifteten, wie gut dressirte Pferde. Ob
ich ihm meine Künstler vorführe-·
dürfe? Es war etwas ganz Originel
les. Niemand hatte noch von dresfirten
Schweinen gehört.
Die Antwort lam: »Ioiort kom
· men!«
Gleich nach der Probe engagirte
mich der Alte auf sechs Monate fest
mit dem Gehalt eines ersten Schulrei
ters. Diese Gage wurde nach den ersten
sechs Vorstellungen schon verdoppelt
Das Publikum raste. Alle Zeitungen
brachten Berichte über Befsie. Täglich
erhielt ich neue Engagementsaitgebote.
Jn London, Wien, Petersburg, spiel
ten wir Abend fiir Avend vor ausoer
tattften Häusern
Jn Petersburq erreichte mich eirs
Briefchen von Fennimore, die mir zu
meinem Erfolg Glück wünschte. Sie
war noch immer Fennimore Blanc.
der Fürst eine Nella-ne und eiannsch
der Tante. An dent Abend hab’ ich
Bessie geküßt vor Dankbarkeit una
l Minu
Jn Paris haben ivir ung- Dann ivie
dergesunden, und Sie sehen, wir sind
Mann und Frau geworden. Aber hab
ich nun nicht recht, Bessie ein Glücks
schivein zu nenneni
- Cop
Ein Pessimisn
Tochter: »Du kannst mir’5 glauben,
Vater. der Moritz ist verliebt in mich
bis über die Ohren!«—-— Vater: »Dum.
mes Zeug —- verliebt bis über die Ob
ren·——— in Schulden wird er stecken bis
über die Ohren.«
Ein Leibchen.
Herr: »Man sagt gewöhnlich, die
Kaisirer wären iiberreizt und grob,
Sie sind dies nicht·«—Kassirer: »Aber
ich bitte Sie, da kommt manchmal sol
ches Gesindel hierher, daß man grob
sein muß.«
Eine traute Familie.
A.: Waben Sie den Rath Wichtig
schon mal wiedergesehen? Wie geht es
dorti« ——B.: »Wie in einem Laza
reth. Er leidet an Größenwahn und
da er taub und blind gegen seine Um
gebung ist, hinten seine Ansichten be
denklich. Die Frau bat sich neulich
beim Klatschen den Mund verbrannt,
der älteste Sohn schielt nach dem
Dienstmädchen die Tochter phantasirt
sottmährend am Klavier und die Inn
gen bitten nicht so daß jeder Besucher
verschnupst sortbleibt. «
Feige.
C inc Erzählung ern-J den Bergen rson
GnstavLöHeL
Jn dem Gasthof von St. Pierre,
am Fuße des Aufganges des großen
St. Bernhard, hatte sich eine muntere
lleine Touristenschaar zusammenge
fanden.
»Hier, Kinder, nehmen wir die letzte
Wegsehruea.« scherzte der joviale, alte
Justizrath Bemer, »denn nun geht es
in das Todtenthal, am Todtenberge
vorbei nach der Todtenlapelle. Wenn
wir dann auf diesem Dornen-been das
Hospiz erreichen, werden wir uns wie
im Himmel fühlen. Ade, Du schnöde
Welt! Proft Doktor!«
Er trank und blinzelte einem jünge,
ren Mitgliede der Gesellschaft zu. Die
Gegenbewezqung des in solcher Weise
Ausaezeichneten war wenig comment
mäszia. Doktor Sontheim war iiber
seine Jahre ernst und aemessen, gerade
das, was Frieda Berner reizte, dieser
Reisebelanntschaft näher zu treten·
Jn einem Punkte waren sie Gegner.
Sie fand dieses Emporsteigen aus
ausaetretenen Pfaden aräulich und
hätte selbst am liebsten die Wege der
Gemsjäqer gewählt. Sontheim war
der Ansicht, daß nur dem sicher Fu
ßenoen die aanze Größe und Schön
heit der ewiaen Betge sich offenbare,
Das-. Der Ktrmnf mit non Hohn-meisten
Riesen lächerlich, zwecklos und fiir
Den Menschen« toobringend sei.
War Doktor Sontheim feige?
Frieda Berner haßte nichts so sehr,
wie einen seigen Mann. Sonst hatte
er ja alle Einenschaftem die einen
Mann auszeichnen und liebenHwerth
machen. vSie sann aus ein Mittel,
um seinen Muth zu erproben; versagte
ber, dann schlug ihre heimlich erwachte
Bewunderung in Verachtung um.
Alleg, nur teinen seinen Mann!
Sie waren weiter newcrnderi.
Die bisher begangene bequeme
Fahrftrasse endete in St. Vierte, auf
rauhem Pfade ging eH aufwärtH Al
Jcs Leben erstarb in der eisernen Um
klammernna der Felsen und Fim
Das muntere Geplauber verstumtnie.
Nur Eine fiihlte sich frei und froh
uno wie ium Jauchzen gestimmt —-—
Frieda Berner.
Neben ihr schritt Doktor Sontheim,
still und in sich gelehrt. Sie neckte ihn
mit seiner Schweigsamteit. Er gab
einsilbiqe Antworten. Das ärgerte sie.
War sie ihm so qleichaithtg?
Vorbei an der Todtenwandl Vor-:
bei an ver Tobtenlapelle mit ihren
mumienhaft ,iusammenqeschru1npsten
Leichen. Endlich wieder ein Lebens
zeichenl
»O, Das herrliche Eoelweiß da oben
noischen oen Felsent« ruft sie mit
leuchtenden Augen. »Wer mir baH
brächte!«
Sie haben Rast gemacht unI sind;
deren beoiirstig Es ist ein wunoer »
barer Augsichthunlt l
Frieda sieht nur Die Blumen anj
schwindelnver Felsenwand, nach denen -
sie vergebens Verlanan trägt. Aller !
Augen haben sich den winzigen weißen ;
Pünktchen zugewandt, Die dort oben ;
in Der schwarzen Felsenöbe daH Lebxu g
bedeuten. Auch Doktor Sonlheim j
blickt hinauf. Er scheint Die Entfer ;
nung abzuwägem Die Gefahr. Wird
er eH wagen, seinen Muth bewähren
O, wenn er eH thäte! Sie wollte zum
Lohne ihm Alles aeben, Herz und
Hand, sich selbst. Jhr Herz pocht wild l
,... » ... »..»........,.. »
Doktor Suntheiin wendet sich ad. !
Ihre Blicke beaeanen sich. Stahlhart i
und schars slieat der ihriae hiiiiider.j
»Feiatina!« steht darin. Seine Ab «
ivehr ist ein niilves:«, dedauerndeg Lä
cheln. Und Aller Augen gingen von
den Blumen zu ihm.
Du elender Feialinal strömt es ihr
heiß vorn Herzen. Sie verachtet ihn.
Eine nllaemeine Unterhaltung und
erneute Lustigkeit areist Platz, die nur
bei Frieda etwas gequält erscheint.
Aus einmal tönt von der Felswand
her ein jäher Aufschrei, der Alle der
stummen macht·
Ein dunkler Körper sauft in die
Tiefe.
Ein Mensch ist abgestiirzU
Wer?
Keiner weiß es. Keiner ivagt es,
sich umzublieken, aus Furcht, eine liebe
Gestalt zu vermissen.
Doktor Sontheil ist der Erste, der
sich aus seiner Erstarrung reißt.
»Es ist der Gamsbub!« ruft er.
»Er hat die Blumen herabholen wol
len und ist abgestiirzt.«
Aufs Neue von Grauen durch
schauert und doch auch erleichtert blickt
Einerden Anderen an.
Ja. der Gamsbub ist’s, den sie von
St. Vierte mitaenomrnen, um sie zum
bospiz hinaufiusiihrenl Niemand
bat aus ihn Acht aehabt. Jugend
übermuth, Ehrgeiz, vielleicht auch die
Aussicht auf ein Trinkgeld, haben ihn
»aetrieben. die Felsen zu erklimmen
l und zu thun, was Niemand wagt, das »
Edeln-ein fiir die schöne junge Dame
zu pflücken.
Doktor Sontheim ist aufgesprun
aen·
Rettung ist sein erster Gedanke.
Er läuft nach den Felsen und beugt
sich über den Abgrund. .
Erneute Rufe des Ent"etzens, des
Schreckens, der Angst wer n laut.
,,Zuriick!« schallt es mehrstimmig
von seinem Rücken her. Er achtet des
sen nicht«
»Da hängt er! Er lebt! Gamshuh,
halt sestt Jch tomme!«
Er tritt zurück.
,,Schnell einen Strick!« ruft er den
Anderen zu. Dann läuft er um die
isolirt am Abgrund aufragenden Fel
sen herum und verschwindet hinter
ihnen.
Frieda stößt einen gellenden Schrei
aus. Sie sinkt, mit einer Ohnmacht
ringend, zu Boden. Jhre Mutter und
Geschwister bemühen sich um sie. Die
Anderen stürmen fort, um irgendwo
einen Platz zu finden, von dein aus sie
nun mit eigenen Augen das Schreck
liche werden schauen können. Sinn:
lose Aufregung hat sich Aller bemäch
tigt.
Der Justizrath hat das für Ret
tungszwecke rnitgesiihrte Seil er
griffen.
»Mir nacht« schreit er den Herren
zu. Er allein hat sooiel Geistesgegew
; wart, dem Doktor unaufgefordert zu
« t«f—...
!
i
’ »Alsle
Doktor Sontheim hat ihr Kommen
nicht abgemattet. Er ist nicht mehr
hinter den Felsen. »
Sie beugen sich vor. Ein Grauen:
wandelt sie an. l
Wohl verhüllt der Wolkenriebeli
mitleidig die schwindlige Tiefe. Aber I
da unten an dem tnorrigen Baum-I
stnmm hängt, mit beiden Händen sichs
sefthaltend, ein Mensch, der Gamsbub s
aus St. Pierre.
Er schwebt iiber der Tiefe.
Kein Hilferuf, kein Laut dringt!
von ihm heraus. Die Todesangst
schnürt ihm die Kehle zu. Jetzt heißt
es festhalten fürs Lebens « ,
Kein Anderer hier könnte das-.
Aber er ist der Gamsbub, der es im
Klettern mit der Gemse aufnimmt.
s Sein Körper ist sung und sehnig Und
!
l
leicht. Er hat Musteln von Stahl.
Er hat sich oft schon in verztverselten
Lagen befunden; ihm schwindelt nicht,
wenn er in die schaurige Tiefe blickt.
Die hier oben wissen das Alles-.
Man kennt seine Geschichte. Er hat
sie selbst erzählt·
Aber nun dieser Mann, der
schmächtige. worttarge Doktor, der
tein geübter Bergsteiarr ist, und jetzt
unter ihnen längs der schrecklichen
Steilwand hinabstrebt nach dem
Spalt, aus dem der nur mäßig starke
Stamm hinausragtt Er hat nur
einen Gedanken, nur ein Ziel vor
Augen: Rettung, Hilfe für einen
Menschen in Lebensgesahr. Kein
Anderer hier hätte dag gewagt.
Um den Gamsbub durch die eigene
Todesoerachtung zu ermuthigen, auch
weil sein Leben an Sekunden hängt,
hat er gar nicht erst abgewartet, bis
seine Mitreisenden das Seit herbei
brachten, das er sich selbst um den
Leib hätte binden müssen. Er ist hin
abgestiegen im blinden Rettung-H
drange.
Und während er weiter hinunter
klettert, spricht er nach oben, seine An
weisungen gebend, ohne sich von deren
Ausführung zu überzeugen. Von der
anderen Felsenseite her ertönen Jam
mern und Schreckensrufe aus Frauen
mund· Er weifs Friede dort, die er
sieht in seiner stillen Art, deren
Stimme ab und zu In einem jähen
Aufschrei, dann wieder betend oder
seinen Vornamen rufend zu ihm her
aborängt. Jn ihrer sinnlofen Angst
verräth sie ihm und Allen hier das
lange behütete Geheimniß ihres Her
Fens.
Das leiht ihm Flügel, das ist ihm
ein Sporn. Festhalten fürs Leben
muß auch er; denn da oben bangt uno
zittert noch ein Herz um das Gelingen
seines todesmuthigen Rettungswer
les. .
»Gamsbub, ich bin bat«
Jetzt sitzt er reitend auf dem
Stamm.
· Das oben seinen Anordnungen ge
mäß befestiate Seil schwebt herab. Er
erfaßt es mit den Zähnen, beugt sich
nach vorn und bewegt sich liegend dem
cnde des Baumstumpfes zu.
Wird er die doppelte Last tragen
können? Der Gamsbub sift hilflos·
Er kann nichts thun als festhalten,
und eben kommt es ihm leuchtend von
den Lippen:
»Herr Doktor machts schnell ich
. kann nicht mehr.«
Der Baumstatnm senkt sich ein
wenig. Es knistert und knarrt an sei
nem Wurzelende
Erneute Aufschreie, Weinen und
Beten von oben. Man ruft ihm zu,
sjauf feine eigene Rettung bedacht zu
ein.
H
Auch das darf ihn nicht erschiittern,
in seinem Vorhaben nicht wankend
machen.
Jeht liegt er ganz flach auf. Er
greift unter fiel-, befestigt das Seil
und ruft: »An !«
Der Gamsbub, der sest in der
Schlinge sitzt, fällt gegen die Felsen
wand. Die Gewißheit seiner Rettung
giebt ihm seine Besonnenheit und
Kraft zurück. Er kann die Bemühun
gen der Anderen unterstiihem
Geist sicher wieder gelandet.
Dann wird das Seil rasch noch
)einmal hinabgelassen und mit seiner
iHilfe gewinnt auch Sontheim wieder
t den sicheren Boden.
’ Es ist ein freuden- und thriinenrei
Hches Wiedersehen, das sie da oben
feiern.
Jm Hospiz gab es dann später zur
) nicht geringen Verwunderung der ehr
würdigen Augustiner ein recht lustiges
;Beisammensein, eine Verlobung: wie
: der Justizrath launig tonstatirte, die
’erste in der lustigen Höhe von 2472
Metern über dem MeeresspiegeL
»Und,« siigte mit breitem Lächeln
der Vrior hinzu, »die erste auf dem
St. Bernhard.«
Der stramme Kaiser-.
Aus dem Leben Kaiser Wilhelm-s
des Ersten wird von einem Augenzeu
gen, der zur näheren Umgebung des
Monarchen gehörte, folgende bisher
nicht bekannt gewordene Geschichte
mitgetheilt: Kaiser Wilhelm der Er
ste bemerkte eines Morgens von dem
historisch gewordenen Ecksenster seines
Palais aus, wie Unter den Linden ein
Mann in bürgerlicher Tracht und
hohen, bis zum Knie reichenden Stie
feln auf und ab ging und forschende
Blicke nach dem Fenster wars. Der
Kaiser glaubte, es handele sich uin ein
Gnadengesuch und befahl seinem Ad
jutanten, dem GrasenLehndorss, nach
zuforschem was der Mann wolle. Die
ser erzählte, er sei ein Bauer aus dem
Magdeburgischen und wolle nichts
weiter, als den Kaiser sehen, der frü
her sein Oberst bei den Gardes du
Corps gewesen sei. Kaiser Wilhelm
trat in den Vorraum, die Waffenhalle
genannt, und befahl, den Mann her
beizuführen. Eine Eigenthümlichkeit
des Kaisers war, daß er dor Soldaten
stets in zugelnöpfter Unisorm er
schien. Obgleich er bei dieser Gelegen
heit einen Civilaniug trug, knüpfte er
den Rock dennoch sorgfältig bis auf den
letzten Knon zu und erwartete so den
Mann. »Sie wollen mich sehen?«
sagte der Kaiser freundlich. Der
Bauer maß den »Herrn in Cioil« mit
erstauntem Blick don oben nach unten
und don unten nach oben. Dann schien
er überzeugt zu sein, wirklich seinen
ehemaligen Oberst vor sich zu haben
und erwiderte: »Ja, Majestät. Da
rum bin ich aus meiner Heimath nach
Berlin gekommen. Sie sehen als
Kaiser eben so stramm und schmuck
aug, als wie Sie noch mein Oberst
waren.« Der Kaiser fragte: »Wie
hieß denn Jhr Rittmeister2« Auch
diesen nannte der Bauer und fügte
aleich Einzelheiten hinzu, wie der
,.itramtne Herr Oberst« die Schwa
dron »abgemuckt« habe, als es nicht
recht ging. — »Kann ich Jhnen in ir
gend einer Weise dienen?« fragte der
Kaiser weiter. —- ,.Mit nichts, Ma
jestiit!« war die Antwort. »Meine
beiden Söhne haben den Feldng mit
gemacht; einer ist sogar mit dem eiser
nen Kreuze heimgetehrt. Beide sind
glücklich verheirathet und auch gut ver
sorgt. Auch ich habe mein Auskom
men.« —— »Aber,« fuhr der Kaiser
fort, »in etwas werde ich Jhnen doch
dienen können?« — ,,Jn nichts, Mase
stät!« entgegnete treuherzig der Bauer.
»Ich habe nur noch einen Wunsch auf
Erden gehabt, daß ich meinen alten
Oberst wiedersehen möchte. Nun kann
ich mich ruhig zum Sterben hinlegen.«
—— Dem Kaiser liefen die hellen Thra
nen iiber die Wangen und auch seine
Umgebung war tief gerührt. Der gut
herzige Monarch trat zu dem Bauer
und umarmte ihn. ,,Masest·cit,« rief
dieser sreudestrahlend, »heute Abend
neb" ickt nackt dem Dorffrnae nnn »
zählc Allen, daß der Kaisers mein al
ter strammer Oberst, mich umarmt
hat.« Zum Andenken schenkte ihm
der Kaiser sein Bild nebst eigenhändi
aer Unterschrift Der Bauer schüttelte
herzlich die ihm zum Abschied aereichte
Hand und schied mit dem Wunsche,
das-, der Kaiser immer so »stramm«
bleiben möge-, wie er als Oberst ge
wesen.
s-s———-.-- O-———-—
Männer-stolz vor Königs-thronen.
Gean Ende der achtziger Jahre kam
Großherzog Friedrich von Baden, der
sich auch im Elsaß großer Beliebtheit
erfreut, in seiner Eigenschaft als Ar
mee : Jnspetteur nach der Festung
Bitsch Jhm zu Ehren wurde ein
Festessen veranstaltet, zu dem neben
anderen Spitzen auch der wohllöbliche
Stadtrath erscheinen sollte. Alle wei
sen Stadtväter kamen denn auch feier
lichsi angeriickt, nur Alexander E. fehl
te, ein großer, reicher, selbstbewußter
Bauer, mit dem nicht gut Kirschen zu
essen war. Schon war die seierliche
Vorstellung beendet und man wollte
eben anfangen zu taseln, da trat er
gravitätisch in den Saal, qing aus den
Großherzog zu und redete ihn an: »Ihr
sin der Großherzog vu Bade? Eh bien,
ich sm der Alexander E.« Und damit
reichte er dem lächelnden Fürsten die
derbe Rechte. .
- ,«-.·-.-.-.- .
Bakteriologe (ein Sonntaasjiiger,
der soeben wieder vorbeigeschossen):
»Ein Glück, daß die Bazilleniagd nicht
auch mit dem Gewehr ausgeübt wird.«