Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, August 22, 1902, Sonntags-Blatt, Image 11

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    T Eik- 2ui Var-a dek Siena
« Von Beet harte.
Jonnh Starleigh hatte sich wieder
- auf dem Schulwe verspätet. Es
irte immer. Es chien überhaupt
- s meidlich beim Schulbesuch. Und«
--- i war es nicht sein Fehler. Irgend
, J begegnete ihm immer-irgend
Las Besonderes in der Natur oder
noch so wenig an Eichhörnchen
fweht haben, und gerade die selten
- und größten treuzten immer sei
, Weg; er mochte gar nicht nach Ho
gesucht haben, und trotzdem bot
seinen Blicken ein Nest wilder Bie
-n dar; er hatte ar nicht die Absicht
Jbt, Vögel zu fangen, aber immer
r eine Goldammer in erreichbarer
-«he. Er hatte gehört, wie Erwachse
immer die wunderbarsten Thiere
hatten, und dies schien sein
F-ehielsal gerade auf dem Schulwege
Ia sein. Wenn die Natur Erwachsenen
egeniiber so eigensinnig war. warum
sollte man es sonderbar sinden wenn
, so boshast gegen einen ileinen
; Knaben war?
An besagtem Morgen war Jonny
· durch die unvertennbaren Fußspuren
.« —- den feinen so ähnlich — eines
jungen Bären irregeführt worden.
Welche Aussichten er hatte, ihn über
haupt zu erreichen, oder was er ge
than haben würde, wenn er ihn er
reicht hätte, er wußte es nicht. Er
wußte nur, dasz er sich nach andert
halb Stunden zwei Meilen von der
Schule befand, und daß es, nach dem
Stand der Sonne zu urtheilen, min
destens eine Stunde zu spät für die
Schule war. Er wußte, daß Niemand
ihm glauben würde. Die Strafe siir
vollständiges Schulschwänzen war
nicht viel schlimmer als die filr das
Zufpätlommen. Er beschloß also, sie
hinzunel)nien, da sie unvermeidlich
war, und verbrannte die Schiffe bin
ter sich, indem er fein Mittagessen ver
zehrte. .
So gestärkt, begann er, um sich zu
blicken. Er befand sich auf einer dicht
bewaldeten Anhöhe, auf deren einer
Seite sich ein Felsrilcken hinzog, der
beinahe fo hoch war wie die Tannen,
welche dicht daran standen. Er hatte
die Gegend nie vorher gesehen; sie war
zwei oder drei Meilen von der Land
straße entfernt und schien die reine
Wildniß zu fein. Aber nach eingehen
der Prüfung tonnte er mit dem schar
fen Blick des in der Bergbaugegend
aufgeioachfenen Knaben entdecken, daß
der Felsriicten der Aufmertsaniteit des
Bergbaudirettors nicht entgangen
war. Jn jener Spalte des Quarzge
Bei-es waren die Spuren seines Mei-?
els zu sehen, und weiter, ein neugie
riger Versuch, augenscheinlich von I
mehreren Bergleuten angestellt, der4
Anfang eines Tunnels, der in eine »
höble führte, und ein Haufen Schutt
davor. Die höhle fchien schon vor
längerer Zeit verlassen worden zu
sein, da bereits Farren ihre grünen
Wedel über die Steine breiteten, und
wilde Weinranlen den Schutthaufen
überwucherten. Aber des Knaben
Blick wurde bald durch die Spuren
eines eigenthiimlichen Umstandes ge
fesselt. ein Umstand, der vielleicht den
Fortschritt der Höhle aufgehalten
hatte. Die Wurzeln einer großen
Tanne waren, wie es schien, »durch die
Höhlungsarbeiten gelockert, und der
Baum war umgestiirzt, und zwar so
daß eine feiner größten Wurzeln noch
in derHötile stat und aus diese Weise
den Eingang verdeckte. Die grosze
Tanne bildete einen rechten Winkel, da
sie mit ihrer Mitte aus einen eiwas
niedriger-en Felsen gefallen war, der
sich etwa fünfzehn Fuß von ihm ent
fernt erhob. Nach Jonnhs kindlicher
Ansicht schien der Baum so leicht aus
den Felsen ausgelegt, daß er eine herr
liche Wippschaukel abgegeben hätte.
Das mußte er gleich untersuchen. Aber
da wurde seine Ausmerksamteit durch
etwas viel Wichtigeres til-gelenkt Sein»
scharses Ohr, das wie das eines Thie
res an alle Töne des Waldes gewöhnt
war, vernahm in der Ferne das
Knacken von Unterholz. Sein ebenso
scharses Auge entdeckte bald die Ge
stalten zweier näherkommenden Män
ner. Aber als er das Gesicht des ei
nen erkannte, suhr er klovsenden Her
zens zuriick und verbarg sich rasch im
Gebüsch. Denn jenen Menschen
hatte er schon einmal gesehen, vor der
Polizei fliehend, und hatte ihn nie
mals wieder vergessen. Es war der
Spanische Peter- ein beriichtigter See
räuber.
Da der Knabe nicht bemerkt worden
war, faßte er wieder Muth, und sein
geringes Dentvermiigen wurde leben
T dig. Die beiden Männer kamen vor
« sichtig näher, und in geringer Ent
sernnng trennte sich der Mann, den
Jonny nicht kannte, von seinem Be
gleiter und begann, aus und ab zu
schlendern, dabei umher-spähend als
sei er eine Schildwache siir den Räu
ber. der direkt aus den gefallenen
Baum zuging. Plötzlich stieß die
Schildwache einen Rus aus, und der
Spanische Peter hielt inne. Die
Schildwache untersuchte den Boden in
der Nähe des Schutthaufens
»Das ist loss« brummte der Räu
« ,Wy s Ists-MI
»Is
.
i
.
«Fußspuren! Waren ersi nicht da!
Und noch dazu srischei«
Jonnhs Oerz stand still. Es war da,
wo er eben gegangen war.
Der Spanische Peter ging rasch zu
seinem Begleiter.
»Fuszspuren! Verdammt!« sagte er
wiiihend. »Welcher Dummtops sollte
hier barfuß umhergelausen sein? Es
wird ein junger Bär gewesen sein!«
Jonnh wußte, daß die Fußspuren
seine eigenen waren. Er mußte jedoch
die Wahrheit der Aehnlichkeit zugeben;
es war zwar nicht schmeichelhast, aber
er fühlte sich doch erleichtert. Der
Räuber ging weiter- und zu des Kna
ben Ueberraschung begann er. die
schmale Felswand zu erklimmen, bis
er den gefallenen Baum erreichte.
Jonnn sah, daß er einen schweren
Stein trug. »Was will der Narr
thun?« dachte er; des Mannes augen
scheinliche Unwissenheit in Bezug auf
Fnßspuren hatte des Knaben Furcht
vor ihm verringert. Aber des Frem
den nächste That ließ Jonnhs Athem
stocken. Aus dem gesallenen Baum
siamni stehend, dessen Achse auf dem
Felsen lag, begann er, leicht zu wid
pen. Zu Jonnhs größter Ueber
raschung sing der Baum an, sich zu
regen. Das obere Ende senkte sich
langsam, die Wurzel hob sich in dem
Loch und mit ihr eine Menge Geröll,
und dahinter wurde eine Höhle sicht
bar, die groß genug war, einen Mann
zu bergen. Jonnh athmeie schwer.
Der Räuber legte ruhig den schweren
Stein aus dem Baum hinter dessen
Achse, so daß dieser in seiner Lage
blieb- sprang dann aus den Felsen
und von da rasch herunter. Hier ge
sellte sich der andere Mann zu ihm, der
zwei schwere Gemsledersäcke trug.
Beide schritten zu dem aus so wunder
bare Weise enthüllten Eingang und
verschwanden darin.
s Jo nny saß athemlos neugierig, er
i wartungsvoll da, aber wagte nicht, sich
zu rühren. Die Männer konnt en je
den Augenblick herauskommen Er
datte genug gesehen, um zu wissen, daß
" ihr Unternehmen ebenso wie ihre
Höhle ein Geheimniß war, und dafz
die Räuber jeden Zeugen, so unschul
dig und unfreiwillig er auch sein moch
te, einer schrecklichen Strafe unterwer
fen würden. Die Zeit verstrich lang
sam; er hörte jeden Schlag eines
Spechles auf einem entfernten Baum;
ein blauer Eichelhäher flog auf einen
Zweig dicht neben ihm, aber er wagte
nicht, die band danach auszustrecken;
feine Beine wurden von Ameisen ge
quält, er glaubte sogar das Geräusch
einer Klapperschlange kaum einen
Meter weit von sich zu vernehmen.
Plötzlich verdunkelte sich der Eingang
ter Höhle- und die zwei Männer er
schienen wieder.
Jonnh starrte sie an. Er würde sich
die Augen gerieben haben, wenn er es
gewagt hätte. Sie waren nicht diesel
ben Menschen. Barg die höhle An
dere, welche die ganze Zeit über in dem »
dunklen Schlupfwinlel eingeschlossen
gewesen waren? War da eine ganze
Bande? Würden sie alle nach ihm
ausziehen? Sollte er fortlaufen, um
sein Leben zu retten? Aber die Täu
schung war nur eine momentane· Eine
genaue Prüfun überzeugle ihn, daß
sie dieselben Männer in anderen Klei
dern waren, und als einer auf den
Felsblock stieg, erkannte Jonnhs schar
fes Auge in ihm den Spanischen Pe
ter. Er stieß nun den Stein herunter,
die Wurzel senlle sich wieder vor die
Oeffnung und der Baum bot wieder
seinen früheren Anblick dar. Die Bei
den eilten fort, aber Jonnh sah, daß
ibte Hände leer waren- Die Säcke ma
ren zurückgelassen worden.
Der Knabe wartete geduldig mit
dem leyten Rascheln des Farrntrautecs
und Knacken des Unterholzes lau
schend, und dann richtete er sich auf
und sprang aus seinem Versteck. Aber
er dachte nicht länger an Flucht· Neu
gierde und Ehrgeiz brannten in seinen
kleinen Adern. Rasch ertlomm er den
Felsen, nahm den herabgeworsenen
Stein aus und hob ihn trotz seiner
Last auf den liegenden Baum. Hier
hielt er inne, und von seiner günstigen
Stellung aus spähte und horchte er
umher. Die Stille war ties. Dann
ging er aus dem Baum entlang und
indem er hinter der Achse stehen blieb,
versuchte er, zu schauleln, wie der An
derees gethan hatte. Acht Jonnhs rz
war start- sein Muth grenzenlos, ein
Ehrgeiz riesengroß; aber sein momen
tanes Gewicht war nur das eines
zehnjährigen Knaben. Der Baum
regte sich nicht. Aber Jonnh hatte
schon ost Wippschauteln gespielt und
ging vorsichtig bis an das andere Ende
des Baumes. Dieser senkte sich jetzt
langsam unter dem veränderten
Schwerpunkt, und die Wurzel hob sich
wie vorhin, die Oeffnung sreigebend.
Nun hielt der tleine held abermals
inne und wartete, die Augen aus die
Oessnung der höhle gerichtet, bereit,
aus den Felsen zu springen, salls Je
mand in der Höhle verborgen sein
sollte. Dann legte er den Stein hin.
sprang hinunter und lies nach dem
Eingang.
Der Wechsel aus dem blendenden
Sonnenlicht in die Dunkelheit
verwirrte ihn Ausweg-, und er
konnte nichts sehen. Beim Eintreten
stolperte er tiber etwa-. das eine Fla
sche zu sein schien, in die ein Licht ein
f
s gesteckt war, und eine Schachtel
Streichhölzer, wahrscheinlich von der
beiden Männern benutzt. Nachdem ei
»das Licht angezündet hatte, tonnte er
wahrnehmen, daß die Höhle nur we
nige Meter tief war, —- der Anfang
eines Tunnels, den der Unsall mit den1
Baum unterbrochen hatte. Jn einer
Ecke lagen die Kleider, welche vie-Man
ner zurückgelassen hatten, und die für
den ersten Moment alles zu fein schie
nen, was die Höhle enthielt; aber als
Jonnh sie aufhob, sah er, daß sie eine
Büchse, einen Revolver und die beiden
Gernslederfäcke verdeckten, welche die
Männer hereingeschleppt hatten. Die
Säcke waren so schwer, daß der Knabe
sie taum aufheben konnte. Sein Ge
sicht röthete sich, feine Hände zitterten
vor Aufregung. Als ein thige, def
sen mäßiges Umherstreifen ihm schöne
Kenntnisse des Bergbaus eingebracht
hatte- wußte er, daß dies Gewicht nur
eine Deutung zuließ: Gold! Schnell
öffnete er den zunächst liegenden Sack«
aber es war nicht das Gold des Tun
nelgesteins, des »Höhlenfelsens«, es
war »Blatigold«, »Flußgold«. Es war
von den Seeräubern aus fernen Strö
men gestohlen worden. Die Säcke vor
ihm enthielten die Beute der Räuber,
Beute, die in dieser Gegend nicht ber
tauft, nicht «einmal ohne Gefahr ge
zeigt werden konnte, — Beute, die hier
verwahrt wurde, bis sie in Marysville
oder, Sacramento abgesetzt werden
konnte. Alles dies würde jedem ande
ren Knaben eingefallen fein, aber in
Jonnhs Phantasie entstand eine be-·
sondere Idee. Dies hier war eine Häh
le wie die »der »vierzig Räuber« in dem
Märchenbuch, und er war der »Al"i
Baba«, der das Geheimniß derselben
kannte. Er brauchte nicht zu sagen:
,,Sefam, öffne Dich!« aber tonnte es
sagen, wenn er Lust dazu hatte- wenn
er sie Jemandem zeigen wollte.
DIE-se sit-III scv nur«-s- nor-CI Kscq II
- -.«-, V- ---U - -- s-» s-» --
» ein Geheimnis; war, das er siir sich be
»halten mußte Er hatte Niemanden
dem er es anvertrauen konnte. Sein
Vater war ein armer Kohlenbrenner,
ein Wittwer mit zwei Kindern, Jonnv
und sein älterer Bruder Sam. Der
Letztere, ein unverbesserlicher Tauge
nichts von zweiundzwanzig Jahren
mit einem Hangz ur Liederlichkeit und
schlechter Gesellschaft, hatte kürzlich
das Haus seines Vaters verlassen, um
nur zeitweise sinnlos berauscht wieder
zutehren. Er war Jonny immer als
warnendes Beispiel vorgehalten wor
den mit der traurigen Hinzusiigung,
dasz er, Jonny, bereits in denselben
Fußstaper ginge. Selbst wenn Sam
hier wäre, würde er nicht als Vertrau
ter zu gebrauchen sein. Noch weniger
’ konnte er es seinem Vater mittheilen,
der das Geheimniß sicherlich der Po
lizei preisgeben und schließlich die
Rache der Bande aus die ganze Familie
laden würde. Was ihn selbst betraf,
so tonnte er ja nicht über das Gold
verfügen, wenn er es nähme. Das
Zeigen eines einzigen Blättchens davon
wiirde bei jedem Erwachsenen Ver
dacht erregen, und da es Jvnnhs har
tes Schicksal war, immer angezweifelt
zu werden, würde er vielleicht als zu
der Bande gehörig verurtheilt werden.
Als ein Faullenzer, der er war, besaß
er keinerlei Wissen, aber er hatte die
Ueberzeugung —- ganz charakteristisch
siir seine Kindlichteit —- daß er, im
Besitz ihres Geheimnisses, ihr Mit
schul·diger war.
Und da kam ihm eine andere Idee.
Er legte sorgsam Alles an seinen Platz
zurück, genau, wie er es vorgefunden
hatte, verlöschte das Licht, verließ die
Höhle, kletterte wieder aus den Baum
und verschloß den Eingang wieder,
mi- » es die tmisinner hatte thun seh-n.
indem er murmelnd hinzufügte: »Se
sam, schließe dicht« Und dann rannte
er fort, so rasch seine kurzen Beine ihn
zu tragen vermochten
Nachdem er ungefähr eine Meile
weit gelaufen war, lanr er an einen
niedrigen weißen Zaun, der ein ge
pflegtes Gärtchen und ein hübsches
kleines Häuschen umgab. Hier hielt
er an, lauerte sich hinter den Zaun und
stieß mit eigenthiirnlichen Gesichtsver-s
zerrungen einen Schrei aus, ähnlich
wie der eines Eichelhähers. Nachdem
er ihn in Pausen mehrmals wiederholt
hatte, war er sichtlich erfreut über das
Erscheinen eines gelbenStrohhutes, der
ein rosiges kleines Gesicht beschattete,
das aus einer Seite dicker war als aus
der anderen; der Hals war in ein gro
ßes Tuch dick eingepackt. Es war
»Mielh« (Amelia) Striter. eine Schul
gesährtin, die wegen »Mumms« zu
hause blieb, was Jonny genau wußte.
Mit der berühmten Unvvrsichtigteit
anderer großen Helden wollte er sein
Ge imnisz Einer von dem schwächeren
Ge chlecht anvertrauen. Und was tam
es dabei auf die geringe Möglichkeit
einer Anstcckung ans
«Wieder Verstecken gespielt?« fragte
die junge Dame mit vergnügtem Lä
cheln, wobei sich ihr Mund nur nach
der einen Seite hin verzog.
»Vin, hättest Du vielleicht gethan,
wenn Du da gewesen wärst, wo ich
wart« sagte er geheimniszvoll.
»Nein? — Sagetf rief Mier leb
haft.
Worauf Jonnh, sich am Zaun« hal
tend, ohne eine Pause seine Geschichte
erzählte. Aber nicht Alles. Mit dem
feinenGesiihl eines tünstlerischen Dich
ters verschwieg er die Art, wie die
Höhle geöffnet wurde, sagte nichts von
dem Baum, aber —- leider muß es ge
. sagt werden-—fiigte die Worte »Sei
« sam, öffne Dicht« hinzu, als den wich
tigsten Faktor des Ganzen. Ebenso
wenig erwähnte er den Namen del
Spanischen Peters. Alles Dinge, wo
rüber er später sehr froh war.
,,Erwarte mich heute um vier Uhr
bei der vertrockneten Tanne am Kreuz
wegl« sagt-e er zum Schluß. »Und ick
will es Dir z·:igen.«
»Warum nicht gleich?« fragte Mielt
«ungeduldig.
»Kann nicht. Wahrhaftig nicht
Muß Wache halten! Du kommst um
Vier!«
Und mit überzeugendem Nicken rich
tete er sich auf und trabte fort. Vor
sichtig kehrte er nach der Höhle zurück;
er war keineswegs sicher, daß die Räu
ber nicht noch am selben Tage zurück
lehrten, und das geheimnißvolle Ren
dsezvous mit Miely weckte eine gewisse
Schlauheit in ihm. Und das war
gut. Denn als er verstohlen, von Far
renlraut gedeckt, um den Felsen schlich.
merkte er an der veränderten Stellung
des Baumes, daß die Höhle geöffnet
war. Er verhielt sich regungslos mit
angehaltenem Athem. Dann ver
nahm er den Klang gedämpfter Stim
men aus der Höhle, und eine Gestalt
erschien in der Oeffnung. Jonny griff
lrampfhaft in die Farrenlräuter, um
den Schreckensruf zu unterdrücken, der
ihm bei ihrem Anblick auf die Lippen
lam. Denn diese Gestalt war sein
eigener Bruder.
Er konnte sich nicht irren in diesem
schlaffen, bösen, selbst jetzt vom
Branntwein gerötheten Gesicht. Jonnh
hatte es zu oft so gesehen. Aber nie
vorher als das eines Diebes. Er holte
tief Athem und verfiel dann in jene
eigenthiimliche Apathie und Schweig
samt-eit, in welcher Kinder fähig sind,
ihre Gefühle in solchen Augenblicken
vor uns zu verbergen. Er beobach
tete regungslos die zwei anderen Män
ner, die nach seinem Bruder aus der
Höhle traten, um ihm einen kleinen
Sack und einige Jnstruttionen zu
geben, und dann in die Höhle zurück
kehrten, während sein Bruder eilig
fortging. Er sah ihm nach, bis er
verschwunden war, aber auch jetzt
riihrte er sich nicht, denn selbst wenn
er ihm nachgelaufen wäre, hätte er
ihm doch nicht in das schamlose Ge
sicht sehen mögen. Und dann stieg aus
seiner finsteren Verzweiflung der Ge
danke an Rache in ihm auf. Jene
beiden Männer waren es, die seinen
Bruder zum Dieb gemacht hatten.
Er befand sich ganz in der Nähe
des Baumes und kroch vorsichtig aus
seinen Händen und Knien vorwärtsl
kletterte unhörbar auf den Felsen und
lief dann wie eine wilde Katze den
Baum entlang. Mit unglaublichet
Behendigteit warf er den Stein hinal
und sprang vom Felsen, während der
Baum mit lautem Krach vor vie Oeff
nung fiel. Und dann lief er eiligst
davon, so schnell, daß er die Gestalt,
die er überholt hatte, gar nicht be
merkte. Diese sah ihn erstaunt an
und verschwand dann im Walde. Es
war die letzte Begegnung der beiden
Brüder, die sich niemals wiedersahen.
Aber seltsamerweife kam fiir ihn erst
jetzt der schrecklichste und verzweifeltste
Augenblick des ganzen Erlebnisses-. Er
mußte Miselh Striker unter der ver
trockneten Tanne gegenübertreten und
konnte doch sein Versprechen nicht hal
ten und mußte ihr sagen, daß er sie
belogen hätte. Es war dies ja nur
der einzige Weg, seinen Bruder zu
retten. Sein mangelhafter Verstand
und, ach, seine noch viel mangelhafte
ren, Manieren waren der schwierigen
Aufgabe nicht gewachsen. Sobald er
sie wartend unter dem Baume stehen
sah, fing er an, zu springen und zu
tanzen mit ein-er Ausgelassenheit, die
-.. Ehre-J- -.......«.. M-«-c.·;i.-« cis-.
uu usw-sie net-um« W Hy
gesührtt Angesiihrt und ausgelacht!«
lachte er gellend.
Das Mädchen sah ihn mit Staunen
an, das sich nach und nach in Spott
und dann in Aerger verwandelte.
Jonnys Muth sank, aber er verdop
Pelte seine Possen.
»Wer ist angeführt?« sagte sie ver
ächtlich.
»Du bist es! Du glaubtest all den
Unsinn über Ali Babat Du wolltest
gern »Morgn Anna« sein! Ha, ha!
Und ich habe Dich zum Besten gehabt!«
»Du häßlicher, abscheulicher Lüg
ner!«
Jonny nahm feineStrase gutmüthig
hin —- im Herzen dankbar. »Ich
glaubte, Du würdest lachen und nicht
wiithend werden,« sagte er unter
würfig. Das Mädchen wandte sich
ab, Thränen des Zornes und Aergers
in den Augen, und ging fort. Jonny
folgte in bescheidener Entfernung
Bielleicht war etwas unbewußt Rüh
rendes in der Reue des Knaben, denn
sie waren ausgesöhnt, noch ehe sie
ihren Zaun erreicht hatten.
Trotzdem ging Jonny traurig und
bekümmert nach Hause. Glücklicher
weise war sein Vater auf einer Ber
sammlung, die einberufen war, um
von den letzten Flußdiebstiihlen Kennt
niß zu nehmen, was erstens zur Folge
hatte, daß Jonnys Müßiggang eine
Zeit lang ungestraft blieb, und daß
ihm zweitens keine Gelegenheit geboten
ward, sein Abenteuer auszuplaudern
Er lag die ganze Nacht wach und
überlegte, wie viel Zeit die Räuber
wohl gebrauchen würden, sich aus der
Höhle herauszuarbeiten, und ob sie
annahmen, daß ihr-e Gefangenschaft
das Wert eines Feind-es oder nur ein
Unglückssall sei. Mehrere Tage hin
durch vermied er den Ort und fürch
tete sogar, daß der spanische Peter
eines Nachts in das Haus feines Ba
ters kommen könnte, um Rache zu neh
men. Erst nach Verlauf von vierzchn
Tagen hatte er den Muth, die Stelle
wieder aufzusuchem Der Baum war
in feiner gewöhnlichen Lage, aber un
beweglich und eine Menge frischer
Trümmer its-erzeugte ihn, daß die
Räuber, nachdem sie sich befreit hatten,
die Höhle als zu unsicher aufgegeben
hatten. Sein Bruder lehrte nicht zu
rück, und entweder schien die Thätigieit
der Wachen oder der Mangel eines
neuen günstigen Zufammentunftsories
die Räuber aus der Gegend getrieben
zu haben, denn man hat nie mehr von
ihnen gehört.«
Die nächsten zehn Jahre hatten
Herrn Starleighs Vermögens-verhält
nisse gebessert. Jonny Starleigh, zu
jener Zeit Student in San Jose.
fand eines Morgens in einem Brief
von Fräulein Amelia Striker einen
Zeitungsausschnitt folgenden Inhalts:
»Die Erdarbeiter in dem neuen Tunnel
Heavhftone Ridge entdeckten vor Kur
zem die Skelette zweier unbekannter
Männer, welche offenbar vor einigen
Jahren durch das Fallen eines großen
Baumes vor die Oeffnung ihres zeit
weiligen Zufluchtsortes erdrückt und
begraben worden sind Da man
Flußgold bei ihnen vorgefunden hat,
nimmt man an, daß sie Mitglieder
der Seeräuberbande gewesen sind,
welche die Umgegend vor einigen Jah
ren unsicher machte.«
Während einiger Tage war Jonnh
Starleigh nachdenklich und verschlos
sen, und bei Beantwortung des Brie
fes erwähnte er die Angelegenheit
nicht. Er beschloß, sich die Sache fiir
spätere vertrauliche Miitheilungen
vorzubehalten, wenn Fräulein Striier
Frau Starleigh geworden sein würde.
.——
Straßburg und seine Leute.
Von Emil Granichstädten.
Wie einer in Straßburg den Bahn
hofsplatz betritt, hat er trotz der deut
schen Straßennamen und Firmenschil
der das Gefühl. in eine ——— halbfran
zösische Stadt zu kommen. Kind-er
mädchen und junge Arbeiter begrüßen
einander, scherzen mit einander viel
fach in französischer Sprache. Vor den
großen Hotselrsestaurants sind ganz
nach Art der Pariser Boulevard-Cafes
etliche Reihen Tische auf den Bürger
steig gestellt. Wer nicht durch Hut
forinen, wie sie nur in Deutschland ge
tragen werden, sofort als Deutscher er
kennbar ist, wird in Kaufläden und
Restaurants zunächst mit dem üblichen
»Von jour, Monsieur« bewillkommt.
Sinnsälliger noch als die Sprachlaute
—- es wird ja doch weitaus überwie
gend »dütsch« gesprochen —- sind Aus
sehen und Gehaben der Leute. Nichts
von der geschlossenen Strammheit des
Norddeutschen, von der breiten Behä
bigtteit des Süddeutschen, Haltung,
Bewegung sind getentigier, nachlässig«er,
aber nicht etwa schloddrig; es steckt eine
tanzende Grazie im Gange der Men
schen, wie man sie in Frankreich zu’
sehen gewohnt ist. Frauen und Mäd
chen aus dem Volke gehen im Gegen
satz zu deutscher Sitte fast durchweg
ohne Kopfbedeckung auf die Straße
und in einerHaartracht, die uns fremd- ’
artig, etwas wild anmuthet, die aber
eine launifche Anmuth an sich hat. !
Kleine Mädchen und Backfische tragen
nicht wie in Deutschland die Haare in
zierlich-sittsame Zöpfe geflochten; das
meist dunkle Lockenhaar umwallt als
rechte Mähne die Köpfe mit den
Stumpfnasen und den blitzsenden Au
gen. Auch die guten Toiletten «sitzen«
nicht so korrekt, wie wir’s gewöhnt
sind, sie überlassen der Trägerin mehr
Freiheit, durch eigene Grazie die Wir
tung ihrer Erscheinung zu heben, durch
c -- kk -lt-;) m--h h »--I.(
Uchlls cui sUJILI HEFT-aus«- Uuu», sue-us
ein Paar ganz stilwidrige Blumen auf»
dem Hute dem Ganzen eine persönliche
Eigenart zu geben. Jeder und jede
will ,,selbs « sein. Alles widerstrebt
der Einförmigkeit Selbst die Bäue
rinnen mit den breitfliigeligen schwar
zen Elsässer Hauben tragen jede ihrer
Hauben nach eigener Art in vielfachen
Varianten. Und dann gar die Frauen
und Mädchen selbst!
Die Franzosen haben lange und
gründlich im Elsaß gehaust, sie haben
viele, deutlich erkennbare Spuren ihrer
Rasse im Lande und ganz besonders in
Straßburg zurückgelassen. Die fröh
liche Galanterie Galliens bekundet sich
bei der ganz-en Straßburger Weiblich
keit in ihrem Betrag-en als überaus
angenehme und vergnüglich zu schau
ende erbliche Belastung. Jn den leb
haften Augen ein schelmischer, kampf
froher Ausdruck, um den Mund ein
zum Spott und zu schlagssertiger Ge
genrede bereites Lächeln, weniger Nai
vetät als ein sichtbarliches Bewußtsein,
was jede dem werdenden Mann werth
ist. Richtige Kußlippenl Die Figuren
sind kleiner, zierlicher als die
erliner -
Normalfigur, dazu schlanke, feinge-;
formte, etwas nervöse Hände. Nur ein
gesunder Einschlag deutscher Derbheit
erzählt deutlich, daß die Straßburge
rin trotz ihrer sonstigen Qualitäten
nsoch lange keine Französin geworden
it.
Auch das architektonische Straßen
bild zeigt in der Altstadt und in vie
len Prioathäusern der Neustadt viel
fach französischen Charakter. Da findet
man Formen der französischen Re
naissance und des Barocks bei den
alten Palästen, wie dem von Kardinal
Rohan erbauten Schloß, das nach der
Belagerung in den alten Formen aus
dem 18. Jahrhundert wieder alsStatt
haltet-Residenz aufgerichtet wurde.
Französisch und ganz mit den alten
Pariser Häusern zusammensiimtsend
sind die weißen holsläden an den -
stern der Privathäuser, die nicht los
dein Straßenbilde einen behaglichen
Charakter geben, sondern auch ge
die Sommerhiye vorzüglichen S u
gewähren. Das neue Prunlvierte
der Stadt um den Kaiserpalast rückt
nun allerdings dem Besucher die deut
sche Reichsherrlichkeit mächtig und er
freulich vor die Augen und bildet den
Mittelpunkt der neu ersiandenen Gar
tenstadt Straßburg mit ihren schönen
Billen und eleganten Wohnhäusern.
Zu den vielen Kunststücken, die das
herrliche Straßburger Münster spielt,
gehört auch ein recht weltliches. n
L- seiner Nähe befinden sich etliche a te
gute Weinstuben, in denen die leichten
siifsigen Bogsesenweine in den edelsten
Qualitäten geschenkt werden. Alt
modische Lotale, in denen sich’s aber
urbehaglich sitzen, trinken und plan
dern läßt. Jn einer dieser Weinstuben
führte mich ein glücklicher Zufall mit
: einem alten Freunde aus dem Rhein
lande zusammen, der seit zwanzig
Jahren in Straßburg am politischen
und sozialen Leben regen Antheil
nimmt, wie es seine Stellung erfor
dert. Wir besprachen feucht-fröhliche
Erinnerungen und kamen dann auf
. Politik und die Aufhebung des Diltas
turparagraphen zu reden.
Mit dem Ausdruck reinster Befrie
digung sagte der Getreue: »Ja, den
Angliederungsprozeß hat das Reich
voll und sraglos gewonnen. Der El
sässer denkt nüchtern und praktisch,
und er sieht zu deutlich die Bortheile,
die ihm die deutsche Reichsangehörigs
keit eingebracht hat. Industrie und
Handel nehm-en regsten Antheil an der
Weltstellung, die sich Deutschland er
obert hat, und die Leut-e sind sehr
t--e. k—r. re. -:.:r.r —:«.:s.-- ..-.4-- h-—
Hut-, sub Il( neu-» use-usw« use-we wu
Riickgange in Frankreichs wirthschaft
licher Lage. Alle Erwerbsvserhältnisse
haben sich in ungeahnter Weise gebes
sert, und seitdem das Deutsche Reich
in ein vertrauensvolleres Verhältniß
zur römischen Kurie gekommen ist,
seitdem in Frankreich gegen die geist
lich-en Kongregationen ein Feldng ge
führt wird, ist auch der tleritale Wi
derstand gegen das Reich beinahe ge
schwunden. Noch bestehen tausendfache
’ Familienbande, welche die Elsässer mit
Vettern und Onkeln in Frankreich
verbinden, und diese Beziehungen näh
ren noch Empfindsamteiten, die aber
längst nicht mehr bedenklich sind. Den
Elfässern geht es gut, und sie wissen,
sie sehen es deutlich, daß Deutschland
der Stärkere ist, stärker und-redlich
verwaltet. Die Elsässer, die in Frank
reich leben, machen uns Deutschen die
beste Propaganda. Sie wissen es, sie
erzählen es, daß in Frankreich in allen
Lagen dieFveundschaft und Fürsprache
eines mächtigen Gönners das Entschei
dende, das wirkliche Verdienst beinahe
Nebensache ist, zumal in der Beamten
schaft, ja auch im Offizierskorps.
Wir Reichsdeutsche, die wir hier Wa t
halten« haben die stolze Befried -
gung von diesen Errungenschaften,
weniger eigentliches Behagen. Lassen
Sie die zweite Generation alt, die
dritte reif werden, dann werden die
Reichslande ihre eigenen Beamten und
Offiziere stellen, werden selber ihre
reichstreuen Zeitungen redigiren, und
jeder Deutsche wird seiner eigenen, en
geren Heimath froh werden.
Auf dem Wege dahin sind wir, und in
30 Jahren sind die Reichslande ein
Bundesstaat, wie jeder andere im deut
schen Reiche.« Die Gläser klangen;
wir sahen einander mit den blauen
Aug-en in die grauen Bärte. Sollen
kvg t?ünschen, diese delle noch zu er
e n«
-————-·—.«--——
Platz - Wechsel.
»Dein Bruder sagte, er möge seine
Frau nimmer anschauen, und jetzt
fährt er schon wieder mit ihr Tan
dem!« ——,,Ja, aber jetzt sitzt sie hin
ten.«
Mißverständniss.
Dienerin (nieldend): »Meine Her
rin, die Frau Rober, läßt sich entschul-«
digen, sie kann heute nicht kommen, sie
ist verschnupft.« —Dame (boshaft):
»So, über was ist sie denn ver
schnupft?«
Trinkers - Monotog. «
,,Soll ich noch trinken? MeinMagen
fagt ja, mein Verstand sagt nein;
mein Verstand ist aber der Klügere,
und der Klügere giebt nacht Also trin
ken wir noch eins!«
Noch nicrwttrdtger.
Gatte: ,,Mertwiirdig, Du fürchtest
Dich sogar vor einer Maus!« —- Gat
tin: »Was ist denn da Mut-würdiges
daran, Du fürchtest Dich sogar vor
dieser Frau, die sich vor der Maus
fürchtet.«
Naiv.
Richter: ,,Wegen der Ohrfeige haben
Sie 10 Dollars Strafe zu zahlen.«—
Hausknecht: »J’ bitt, der here ist ja
in der Accidenzversicherung eing’schrie
ben, der kriegt ja doch dort den Scha
den wieder ersetzt.«
Bettchlimmerunq.
Weitreifender (erzählend): »Und so
kam ich denn auch zu einem wilden
Ziege-stamm, welcher die üble Gewohn
heit hat« Menschen zu fressen ———-—«
Aesthetisch veranlagte Dame: ,,-Pfui,
wie häßlich! Aber hoffentlich doch
wenigstens nicht roh!«