Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, June 13, 1902, Sonntags-Blatt, Image 14

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    Hebelmmsfe Herrin .
Roman von IOULSC mcStPjr c.l)
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(9. FortsesungJ
»Was nicht kein ist, muß man kein
machen,« antworteie Die an samt
nnd strich das- Gelv ein, das-« Will ihr ;
ans den Tisch legt-. E
Fünizig Augen knicken in raschen
Aufblitzen den Inhalt feines Panz-«
monnaies..llnd sogleich kam oorn Ein-«
aang her ein junger Menjch mit einem
Raiuksiock in der Hand, den er Wxlls
anbot.
»Das is was Beattisches, Kunz-,
leicht, solid, nnd sein Jeheirnnis her
et auch.« Er zog einen scharfen Dolch
aus dem Griff hervor. »Wenn Sie
ihn baden möchten, ich mach’s billig."
»Ja, wer den bezahlen könnte!'· ani
tnoetete Will und stiilpte seinen Gelo
beutel um« Nur drei Nictel fielen her
aus. Der junge Mensch sah daran
mit unverhohlenee Gier.
«Vielleichi, daß Sie ihn jewinneni
Was? Kümmelvliitichen, ja?«
Er zog eines-Backen fettiger Karten
aus der Tasche.
Aber jetzt ging eine Bewegung durch
die Gruppen der stummen, steinernen
Gestalten. Kusemann schob sich die
Reihen entlang, sprach zum einen, zum
anderen ein kaum hör-dates Wort.
Dann stand dee also Angeredete aus
nnd verschwand in der sast unsichtba
ren Thür. Manche kamen sogleich wie
der beraus, schlugen den Rockiragen in
die höhe, drückten den Hut in die
Stirn und verließen eilig das Lokal.
Anderen sagte Kusemann Botschaft,
meist nur ein einfaches Nein oder Ja.
Und sie ergaben sich froh oder beteiidL
Sich aufzulehnen wagte feiner.
Jesi trat Kusemann zu Will.
»Die Reihe is an Sie.«
Und Will zapfte Rob: »Komm.«
— Aber Lusernann wehrte: »Bloß ver
viondtopps
Will ging.
Jn einer Art Fieber ftierte Nob aus
die Thür, die sich rasch wieder hinter
feinem Gefährten schlos-» Er tonm:
nichts erkennen. Der Raum dahinxer
schien stockfinster.
Aber auch die Gesichter der Zurück
ebliebenen waren lebendig geworden.
äu blutrünftigen Augen flatterte die
iet, die Gier des Schweißbundes,
Ider die Föhrte wittert. Nr. 1 war bei
der Arbeit. Es würde etwas geschehen,
etwas Gewaltiaes, das die Saiten in
Aufregung brachte, etwas, wovon die
Zeitungen sprachen. Es würde ge
fchelien und gelinqen. Nr. 1 verstand
den Erfolg zu zwingen.
«- Etwas wie Selbstbewußtsein flofz
in sie iiber aus der Gegenwart dieses
Starken. Die Gespräche wurden lau
ter, muthiger. Nur Rob versank In
träumerisches Grübeln. Der scharfe
Schnaps war ian zu Kopf gestiegen.
»Die Gestalten utn ihn verschwammen
Andere nahmen ihre Stelle ein. Auch
der Ort zerronn. Er sah sich auf einer
grünen Wiese, herbe, reine Frühlings
ttst wehte ihm um die Stirn, und
fein Lehrer sprach, fein alter, guter
Lehrer. Er hörte die zittrige Stimme.
Altfräniische Weisheit sprach er, die
Rob längst vergessen zu haben glaubte,
von der Freude an der Arbeit an sich,
gleichviel ob sie Geld einbrachte, und
wie wenia der Mensch zum Glück
brauche: Sattefsen, ein bißchen Son
nenschein und Frieden int Hause.
Er suchte feinen Zorn und Haß, und f
plöslich fand er sie nicht mehr. Es i
war, als stände er auf einein Kirch
thurnt. Die Niederträchtigkeit feiner
Verwandten, das Ungemach seines Le
bens reichten nicht zu ihm heraus.
Darum sollte er sich herausdrängenj
lassen aus denoNeihen der Glücklichen
-- h--k-0 hsscsso N--Yn-n-I«O·ss
U Usbsbuk Us- usvsss . w--.
sollte er sich dränaen lsssen Darum-!
Aber das war ja Wahnsinn!
Und rine lichte G: stalt fis-g h:;l;
durch die Luft, hielt sich an eine-n
blühenden Zweig und lachte. »Ich
halte mich; ich halte dich! Dich auch! -
Siehst du nicht, wie sie uns von oroc en
die Hände reichen?«
Ja, es giebt halte-De Hände Alle
Guten strecken sie aus« Die Lesendigen
und die Abaefchieoenm Und er wollee
nicht in Diesen Abgrund stürzen! Er
würde nicht!
Es war die Krisis seiner Seele.
Da fuhr er auf. Seide-lichtva hat
ie mit der Faust auf den Tisch ge
setzen, daß sein Schnapsalzs umfielJ
eben ihm stand ein schmächtig-—
Männchen und zischelte ihm etwa-s in;
Ohr.
LRebbichZ verdammteri Was
fcheerts michs Wer kann sagen, daß
ich Lampen gebe? Br· mg mir denKer il
Du Fansi han« ich ihm in vie Goschc. «
DerSchmächtige zuckte die Achseln.
»Warum machst du den wilden Mann,
che? Wean Jemand Jrunv hat, abzu
ttatierh dann soll et s doch thun, statt
Dreier-. Sie haben dir aufs-lauert,
dich mit Kommissar Braun
Sie hat-erst Ro.1«jestochen.
biß n dahier Mann —«
Heide Werg hieb von Neuem auf
h - JMQM— klutunterlanfemu
WOC
rvie ’n Paar Brüder. Jch mach« seine
feinsten Jeschäfte! Er schenk: mir sein
Vertrauen« Jeitern noch —- Nce, der
soll rnich fürchten.«
Ein Stimmengeschwiir unterbrach
ihn. Drohungen, Brief-Huldigungen
Sein Warner zuckte die Achseln.
»An irjend was muß der Mensch
sterben. Bette-IF du denn an deinem
Maul.«
Ein Signal schrillte, der Ton ein-It
elektrischen Klingel, ganz leise, ade:
unbeschreiblich unheimlich, noch einmai
und noch einmal. Und plötzlich tiefe
Stille.
Die Gäste in Kusemann’s Keller
fuhren von ihren Sitzen.
»Die Poiente!« (Po»lizei.)
Zitternde Hände tasteten nach den
Taschen mit den Papieren, heiße Au
aen irrten zu den oergiiterien Fen
stern hinauf, die glatten Wände ent
lang. Dann sanken die Körper schwe:
auf die Bänie zuriick und die Geiste:
ergidrn sich.
Die Polizei nahm die Klappe aus-.
Sie that das dann und wann. Es nur
ihr Recht. Eine Nacht Untersuchungs
haft, ein scharfes Verhörx wer nichts
Besonderes auf dem Kerbholz hatte,
stand dann wieder auf der Straße.
Jm Grund weiss gleichgültig. Die
Straße, das Gesänqniß, die beiden
wgchselten doch beständig miteinander
a .
Aber Seidelschtvung ergab sich nicht.
Er machte blisscbnell seine Rechnunq,
nnd die Rechnung war zn groß. Mit
einem unierdriickien -Briillen stürzte er
zu der schmalen Thiir an der Räd
wand. Dort stand Frau Kuseinantk
grau wie die Wand setbsi nnd entschi:
den schielend. Mit einer Kraftanstren
gung« die ibr den Athein versetzte-,
drehte sie eine Art KurbeL Ein Knir
schen und Kreischen wie von schwer be
lasteten Ketten dröhnte dumpf ans der
Tiefe.
»Rans —- taus —" Er fand die
Worte nicht in seiner Todesangst
»Jesug! Sie tönnen nicht mehrt«
Die Frau warf sich entsetzt ihm ent
gegen. Seidelfchwung in der Raserei
seiner Verzweiflung stieß sie fort, daß
sie gegen den nächsten Tisch flog. Er
riß die Thiir anf, itiirzie hindurch.
Ein kurzer Aufschrei, ein Aufschla
gen, dann ein Stöhnen, dars denen, die
es hörten, das Blut in den Adern er
starren ließ —- iind nichts mehr.
Die Frau warf sich auf die Thär,
drückte sie in’s Schloß. Sie zitterte an
allen Gliedern. Niemand sprach. Auen
das war Schicksal. Die hier saßen,
wußten’s: nicht jeder, der durch diese
Thür ging, lehrte zurück.
Auch Rad stand auf dem Sprung.
Sein Kamerad war da drinnen. —
Da fühlte er sich am Aerrnel zurückge
zogen. Rettich stand wieder neben ihm.
»Sicher sind sie,« rannte er und leg
te den Finger an den Mund. »Hast du
towe Flebben tPapiere in Ordnung),
mein Sohn? Wass« ·
Rai-K Gesellenzeugniß lag bei Wil!.
den er nicht tomprvmittiren wollte da
durch, daß er sich als zu ihm gehörig
bezeichnete. Ein kaltes Entsetzen packte
ihn. Jn einem Verbrecherteller mit
Dieben und Mördern aufgegriffen
werden, das war wieder ein Schritt
weiter auf derBabn, die er zu verlassen
begehrte. Gab’z kein Entiomrnen?
Jetzt flog die Thür auf. hinter dern
baranschreitenden Kusernann trat ein
Polizeiiamrnissiir ein, begleitet von
zwei Schusieuten Durch die trüben
Kellerfenfier konnten die drinnen die
Stiefelpaare der auf dem Ast-halt
wartenden Patrouillen zählen. s
Lusemanns Gesicht war unbewegtU
llllD Mc Summe ken. F
»Hier, Herr Kommissär, find die
Leute, Die heut« bei mir verkehren.«
Den Revoloer in der Hans, stellten
die Schsutzleute sich an der Ging-Insti
thiir auf. Der Kommissär trat vor.
»Wir suchen den Mörder eineg un
bekannten, weißbärtiaen Mannes zwi
fchen fünfzig nnd fechziz Jahren, Def
fen Leiche nackt, mit einem Stich im
Herzen, heut’ in der Spree gefunden
worden ist. Der, auf den sich der Ver
dacht richtet, war hier, ich weiß es. Wo
ist er?-«
Frau Rufemann stand noch an der
Tbijr, vor die sie wieder den Tifch ges
riickt hatte.
»Er wird fchon fortgegangen fein,
Herr Kommissär.«
s Der Kommissär fah ihr scharf in’3
Gesicht. »Sie verbergen ihn.«
»Den Kommissär, wie würden wi:
uns denn fo unjlücktich machen? Wir
thun für die Herren von der Polizei,
was wir können. Wenn eener sich ver
! jeht, denn muß er jeftraft werden. Das
I is fo. Aber wenn er feine Strafe ab
Ijeseffen hat, denn muß fo eenee doch
sprech feine Unterknnft find-en un einen
IFlech wo er feine milden Jlieoer aus
- ruhen kann. Er is doch ooch enMenfch.
Un denn nehmen wir ihn auf. Un das
is ja nichts Schlechtes un nichts Un
jefetzttchet Aber einen Menschen ver
ber , W der hert Kenntniss-it ihn
fresse-: Mk — Ost sieht-s dxch gar
nie-. Da Wien wär doch man hieß
VI W verlieren, wo wir Hei
» NHIF M keine Sezde
vsköOHIOI Sie Ue M MU
stänitt der Beamte ihren Redesebions
a
Die« Frau riickte schweigend den
Tisch Iort und össnete den Flügei.
Roo mqu einen scheuen Blick hinun
ter, angstvoll horchend, ob nicht wieder
dass schauerliche Stöhnen empordrini
ge. Fllles Flieh still. unheimlich still.
Staren suhrten in undurchsichtig-e
Finsternis.
»Dort unten ist ein zweiter Keller,«
sagt-seM er Beamte. »Wer hält sich dort «
nur E
»Niemand, Herr Kommissar. Sie
können mir jewiß un wahrhaftig jlau
ben. keine Seele.«
»Niemand?«
»Wenn der Herr Kommissär sich
überzeugen wollen? Da unten is uns- I
ser Proouttentcller. Nur ein bißchen
vorsichtig müssen der herr Kommissäc ;
sein. Wir lassen verändern. Es smIY
da ein paar Löcher -—"
Der Kommisfär winkte einem sei
ner Begleiter. »Leuchren3« 1
Die Strahlen der Laterne erreichten -
den Boden nicht. Sie schienen zu er-l
trinken in der überwältigenden Dun- I
tell-ein
Erfahren in seinem Beruf, tann:e
der Kriminaltsieamie diese Keller der
berüchtigtften Verdrecherllappem Irr
gänge voll lauernderAbgritnde, die den
Arglosen hinnnterschlingen, voll ge
wundener Gänge, in deren Winkeln
der Mörder mit Sicherheit aus den
Nahenden lauert, tückische Höhlen, die
ost schon dem pslichteisrigen Beamten
zum gebeimnißvoll verschwiegenen
Grad geworden sind, aus denen aber
noch niemals ein Verbrecher herausge
zogen wurde zur gerechten Strafe. Er
stand ab. «
Er ihat, als giaube er der Versiche
rung der Wirthin und begnügte sich,
die im Kellerilnwesenden zu verhastem
Die Kellerthiir blieb offen. Uns
aus diese Thiir zur Finsterniss. zum
Schweigen, stierte Rob. Vielleicht
lauerte jenseits der Tot-. Er hatte nur
den einen Gedanlen: nicht gefangen
werden! um teinen Preis mit diesen
usatnmen gefangen werden! Und den
YNoment ersehend, da Lllesienoenloor
dem anrichten-enden Polizisten Inn-.
den, Körper an Körper, eine dichte
Wand, während die Scheitel faft die
niedriae Decke erreichten, bückte er fich.
und, begünstigt durch feine Stellung
im letzten Glied, kroch er, wand er fizh
der Oeffnung zu. Oh eines der stum
pfen Augenpaare ihn bemerkte? Sein
Herz schlug heftig in der Furcht, daß
im nächsten Augenblick eine Stimme
ihn zurückrufen werde. Niemand ver
rieth ihn, und es warnte ihn auch Nie
mand.
Er taftete sich die Stufen hinunter,
rückwärts gehend, vorsichtig eine nach
der anderen. Der furchtbare Schrei,
den er vernommen hatte-, das dumpfe
Auffchlaaen, klangen ihm noch im
Ohr. Bei der fünften Stufe fand fein
prüfender Fufz teinen Boden mehr,
wie tief er ihn auch ftrecken mochte. Er
zog ihn zuriick und im erften Schrecken
kletterte er eine Stufe wieder hinauf.
Dort klammerte er iich an, fich platt
hinlegend, damit man von oben ihn
nicht erspähe, jeden Augenblick gewär
tig, daß der Kommissar noch einmal
in den Raum hinahleuchten werde.
Dann war er entschlossen, sich hinun
terfallen zu lassen in's Bodenlofe, auf
jede Gefahr.
Endlos laftete die Zeit. Firma
noch das Murmeln droben, die chine
fenden Schritte der Abgefiihrten, der
Schutzleutr. Jetzt bewegte sich die
Thür. Sie wurde geschlossen Finster
nifz und Stille, Grabesftillr.
Und wieder eine lange Zeit, dieRoö
nur am Klopfen feines herzens, an
feinen angftgepreßten Aihemziigen ab
zählen konnte. Seine Glieder schmerz
ten, feine Laae wurde ihm unerträg
lich, dies Sängen auf der schmalen
Stufe iiber —- ja, was war un:er
ihm? Unbezwingliche Neugier packte
ihn. Er zog feine Streichhälzer aus
der Tafche, ftrich eines an. Es toftete
Mühe. Die Stufen, die Wänrze waren
« ..O4.-t
feucht· Er legte nm auf or: ist«-rai- l
und liefz seinen Arm mit dein Flacker
flämmchen fo weit er konnte in’·5 Leere !
hängen. Nichtg! Nacht und Dunkel
—- Asker alsJ feine Augen sich daran«
gewöhntem unterschied er deirn Licht
des vierten S:reichl)fdlzchens tief unte:
sich im schwarzen Schatten etwas
Farblofes, Grauessp wie ein Bündel
Lumpen. To erlosch das Streichholz.
Rob fühlte, wie feine haare sich auf
dem Kopf hoben. Jetzt mußte er wis
fen! urn jeden Preis. Jn feiner Rock
tafche hatte er ein Ende Bindfaden.
Daran knüpfte er das Schwefelholz,
ehe er es anstrich Und nun ließ er’s
vorsichtig in die Tiefe. Es fchauielte
und verzehrte sich rasch. Eigentlich
hatte es drunten nur noch ein einziges
Aufflamrnem grell und flüchtig wie
der Blin. Aber Rob fah genug. Er
fah, daß das graue Lappenbiindel ein
Gesicht hatte; Seidelfchwung’s brum
les Gesicht mit glasigen Augen und
offenene Mund ftierie empor aus der
Tiefe. Jn der Gurgel blitzte etwas
ZieialleneT wie der Griff eines Dol
es
Einen Augenblick verharrteRob ver
fieineri vor Grauen. Dann rannte er
die Stufen hinauf, warf fich gegen die
Thiir mit der ganzen Wucht feines
Entfesens, riittelte am Drücker,
ftenunie sich gegen das Schloß. Die
Thür gab nicht nach.
Aber von unten kam je t ein eigen
t mlichei«Geriinfch, ein narren and
echzeie wie von gestrafften Seilen ei
ner hatt ausgespannten Winde. Die
W, auf der er Kand, erlitt einen
W- fchtmen Stoß. Dau
MUM m- ittl. - -
Rob, rnit dem Räder- sgegen die
Wand gesternmt. starrte rnit weit aus
gerissenen Augen in die Finsternis-.
Jeit ein Schritt, taurn hörbar. doch
seit. Ein matter Strahl durchbrach
die Dunkelheit Er tam nicht von der
tiessten Tiefe. Fast Rad gegenüber
brach er herein. Er ward stärker, uni
spiette schon die Stufen der Treppe.
Und, barmherziger Gott! an der letz
ten Stufe, dicht vor Rob, lag der
Todte. Die alasigen Augen sahen ihn
an aus nächster Nah-. Ek fuhr sich
in die Haare und ritt daran. Träumte
er? Wurde er verrückt? Wo war die
Tiese geblieben, die jenen verschlungen
hatte? die Rdb selbst zu verschlingen
drohte?
Die Treppe endete jetzt aus sestern
Grund· Der serne Straht spielte iiber
eine viereckige Fläche, die sich in einem
schmalen Gang fortsetzte. Und setzt
trat aus diesem Gang eine schwarze
Gestalt, eine sehr tieine, wunderbar
helle Blendlaterne in der Hand. Aus
den Todxen schritt sie zu, leuchtete ihm
ins Gesicht. Ein Mann in sal:iae1n
Kragenmantel war-T Er trua den Hut
ties in der Stirn und vor dem Gesicht
eine schwarze Sammetinaste.
An die Wand aedriicki, hielt Rob
den Finger fest am Abzug seines Re
voloers. Es ging biet um Tod und
Leben. Nicht nur Ort und Umstände
brachten das mit sich. Es lag auch in
der Haltung des Unbeiannten, in der
Art. wie er aus den ermordeten Ver
räther niedersab, etwas, das Nob die
Ueberzeugung gab, daß diese Persön
lichkeit teinen großen Werth aus ein
Menschenleben lege.
Und jetzt tras ihn seibst der rundum
berirrende Laternenschein. Er hob ent
schlossen den Revolver.
»Wenn Sie einen Schritt näher
kommen schieß’ ich."
Eine Pause. Es lag weder Furcht,
noch Schreck, noch Ueberraschung in
der haltung des Schwarzen. Aus den
Löchern der Maske blidten Nob ein
vaar Auaen an. deren Blick er meinte
nimmer vergessen zu können.
»Wie kommen Sie hierher?« —
Eine ruhige. tiefe Stimme.
»Die Polizei nahm die Klappe aus.
Jch wollte nicht gefangen werben. Da
hab' ich mich hier versteckt. Auf der
Treppe half ich gehangen. —- Unb jetzt
lrieg’ ich vie Thiir nicht auf.«
Der Mann hiekt den Lichtschein der
Laterne stetig auf Rob gerichtet.
»Viel auf dem Kerbholz?«
»Gar nicht-J. Jch hab’ einen Freund
begleiten Jch bin bis heutigen Tags
ein ehrlicher Mensch gewesen unb —
ich wollt’ hier nicht aufgegriffen wer
ben.«
»He-muten Sie betunter,« befahl der
Schwarze.
Rob fternmte sich fester gegen hie
Thür. »Sie wollen mich auch stumm
machen wie den hat«
»Es klana etwas wie ein kurzeg,
verächtliches Lachen unter ber Maske
hervor.
»Kommen Sie!«
Die in einem schwarzen Fausthanb
schuh verhoraene Hand winkte. Und so
besehlshaberisch waren Geste und
Stimme, basz Nob trotz seinesGrauenz
und fast gegen seinen Willen sich ne
zwungen sählte, zu gehorchen. Vor
sichtig, bebend schritt er die Stufen
hinunter. unb ver Boden trug ihn, ver
unheimliche Boden, der aus der Tiefe
heraufgestiegen war.
Die schwarze Hand winkte ihm her
risch, voranzufchreiten, und obgleich
das tein Vorzug war mit bem un
heimlichen Gesellen im Nacken ver
mochte Roh sich nicht aufzulecknern
Es ging den gexvunbenen Gang ent
lang, Stufen hinauf und hinunter.
Sein Führer sprach kein Wort, aber
feine Laterne warf klar uno wohlbe
rechnet ihren Schimmer auf Rot-I
Weg. Llrn Fuß einer feuchten Treppe
blieb er stehen. «
»Geben Sie mir das Ding ba.«
Er nahm dem Willenlosen den Re
voloer aus der hand.
»Ein Tuchkx .
Rov relmxI letn Latmentuap Der
Schwarze falt:te es zufammen, ihm
stumm beoeuzeno, den Ron her-zuhal
ten. Er verband ihm vie Augen.
Dann sählte Rob sich an der Hand ge
faßt, vie Treppe hinzufgeleitet und
weiter, Tritte hinauf, Tritte hinab,
rechs herum, links herum.
Der Boden unter seinenFlißen wur
.de trockenen Jetzt schlug lühle Nacht
lluft ihm in’s Gesicht· Jm selben Au
lgenbtick fuhr eine Hand in seine Beun
tafche. Er fählle einen leichten Stoß.
«Gehen Sie!«
Nov riß die Binde von seinen Au
gen, taumelte, stürzte vorwärts, ohne
umzuschauen Straßenvflafter unzer
ihm, Sterne am Himmel drohen; ne
hen lhm nächtlich vunlle Häufer. Er
war im Freien!
Aber das Grauen saß ihm noch lm
Blut, er rannte weiter, ohne anzuhal
ten. Niemand folgte. Leer lag die
breite Straße. Jn feiner Brusttasche
fühlte er wieder vie Umrisse des Re
volvers. Er war wirklich gerettet!
Da versagten feine Kniee. Er
mußte sich an die Wand lehnen. Jm
Laternenfchein las er an der hausecke
gegenüber: »Prenzlauer Allee.«
10.
Aerolitha halte erwartet, daß Wices
liui sie am nächsten Tag besuchen
würde. So oft vie Jlurllingel gezo
gen wurde, schlug ihr das herz. Sie
wollte ihm la en, daß sie von ihrem
schwamm mt ihm zurücktrete, daß
er sie nicht besuchen, ihr keine Blumen
schenken solle. Or kam nl t. Nur
am Ideal-, kurz vor ihrer uns-mer«
erschien er an seinern alten Pfad neben
der Säule, und als ibre Fiisze den Bo
den berührten, war er schon der
schwundern Und« wieder wurde ibr
ein Riesensirauß überreicht, weißer
Ilieder, weiße Azaleen, weißes Band
und dazwischen eine einzige rotbe Ro
seninosdr.
Das wiederholte sich Abend fiir
Abend. Und jeden Abend wuchs der
Beifallzsturim Das Theater war fest
immer ausdertaust Auf ihrem Weg
ans der Garderobe, in der sie niemals
Herrenbefuch empfing, bis zur Rampe
vergrößerte sich mit jedem Tag die
Schaar barrender Bewunderer. Sie
mußte auch jeden Abend einen Wagen
nehmen, um unbelästigt sich und ibre
Blumen beimbrinaen zu können. Das
kostete Geld, und sie hatte noch Schut
den von ibrer arbeitslosen seit nach
der Großmutter Tod ber. Sie hoffte
aber, daß der Beifall, den sie fand,
ihr ein sehr gutes Engagernent für den
herbst, sei es wieder am Apollothea
ter, sei es an einer anderen Varietä
tenbiihne. eintragen werde.
Am sechsten Tage larn Wirelius.
Sie hat-e ihn nun so lang erwartet«
hatte so oft in Gedanken durchgenom
men, was sie ibm sagen wollte, daß der
erste, frische Impuls dersloaen war,
als sie ihn endlich vor sich sah. Es
paßte auch nicht« was sie hatte sagen
wollen« es paßte nicht aus ihn, wie er;
vor ihr stand. ganz Energie, Lebens-f
freude, und doch mit einer gewisseni
achtungsdollen Küblr. Er war nicht
aufdrinalich, das tonnte sie ihm nicht
vorwerfen. Sie begann doch:
»Ich freu’ mich serr, daß Sie kom- f
men, Herr Doktor —" l
Da unterbrach er schon: »Das istl
lieb von Jhnen.«
»Nein, ich mein’s anders. Jch muß
Sie nothwendig sagen —- Jch wollt'
Sie bitten, ganz viel bitten s—«
»Das ist noch netter.«
Jett mußte Aerolitha lachen. Er
hatte eine gute Art, sie sicher zu ma
chen.
»Ich weiß nicht, ob Sie es nett sin
den werden. Jch woll:’ Sie bitten,
Herr Dottor, daß Sie mir nicht io
große Blumenstrauß’ schen-tem« Sie
wies aus das Fenster« das die letzten
drei Spenden vollständig aussiilltem
»Mein Zimmer ist klein, sehen Sie.
Jhr' Blumen werden mich noch her
ausdriinaen aus meine eigene Woh
nung. Das wollen Sie nicht?«
»Wenn sie Sie in eine größere, hüb
schere drängten —«
»Nein, nein, ich bin serr zufrieden
bei Frau Wintermeier. Ich niöchi’
bleiben, wo ich bin. Sie sind mir
nicht bös, daß ich das faa’5i«
»Mir meiner Unbedachtsamleit. Jch
will mich bessern. Sind Sie zufrie
den«-w
»Ja.« Sie konnte ihm in diesem
Augenblick nicht sagen, daß er weg
bleiben solle. Das war dumm, war
brutal. Sie maßge, daß sie den stei
genden Beifall, ihr Jnmodetommen
größtentheils ihm oerdanlte. Sie ver
dantie ihm thatsiichlich nur Freundli
ches. Und die Winsermeier hatte
.recht: die Welt ist nicht so reich an
Freunden, daß man sie absichtlich, un
nöthig von sich wegschrecken muß.
Während sie zögerte, betrachtete er
die tleinenPhotographien, die alifriin
tisch um einen schrecklichen Stahlstich
Frau Wintermeier’s geordnet waren:
eine alte haaere Frau, eine sehr junge,
seltsam zarte, und das Bild eines
Mannes, in Kostiim und Straßenan
zug, Brusibiid, ganze Figur, Kabi
nett- undVisitentartenformat, aber im
mer dasselbe glattrasirte, ruhig seste
Gcsich mit dem scharf geprägten Kinn
Aerolitha’s und dein ehrlichen, furcht
lofen Blick ihrer Augen.
»Sie erzählten neulich von Jhrem
Vater," sagte Wicelius. »Jst's dieser.
Herr?« I
Aerolitha wurde gespröchig. »O
gewiß, ja! mein lieber Papa. Er ist
ein großer Künstler gewesen, Rugby,
haben Sie nie von ihm gehört? Par
terre - illung Die Leute waren ver
rückt, wenn ee austrat. Das ist mein'
Großmutter, ein’ ganz einsache Frau,
s o, so einfach! Weins Mama k- das-ist
'he! Sie iit tut-» niau toayrr — nn
iit heimlich sortgeiaufen zu Papa.
Großmutter würde nie erlaubt hab n,
daß sie ein’ Künstlsrrstau würde. Und
Papa hat ihr serr lieb gehabt.Et wollt'
nie habet-» Das-, sie austrat. Sie hatte
auch Furcht vor ein’ Seil. Sie war so
art. Wie ich nur zwei Jaht’ alt war,
ist sie schon gestorben. Jch lenn’ sie
doch sehr gut aus was Papa mir et
ziihlt hat. Der sprach immer von ihr.«
»Ihr Vater ist auch todt?«
»Ja, seit vier Jahren. Er stürzt-,
als er einen neuen Trick vrobirte. Es
wär’ eine große Sache geworden, ein
Sprung, so weit, wie ihn noch keinen
kein-er gewagt hat« Dann brachten sie
mich zu Großmutter, und die wollt·
durchaus ein Dienstmädchen aus mit
machen.« Aerolitha lachte fröhlich.
Wicelius lachte mit. «Katetioee von
der guten Alten«
»Ja, jeder meint, die Menschen tön
nsen nur glücklich sein aus sein« Ma
nier. Jetzt, mein’ Großmutter tonm·
sich dasGlüot von ein’ Frau nicht den
ten ohne sehr viel Arbeit und immer
sort Wühlen in Schmutz und Staud,
und ein’ Mann dazu, der auch ganz
schmutzig uno blöd von sein' Arbeit
kommt, und ein’ Menge Kinder, die
sie wäscht und tiiuirnt Und ich sann
mi; lfsin Gliäck Indiean tne ein In
un regen ur ie u ,und . .-,
chitne Säl: viel Menschen und
" plans —- Åpvlaut daß man denkt,
man-wird tout-, und es wird ein’
schwarz wette Augen vor Freude-«
T· .S»p ehtgeizig sind Siei Schaut
. au.« -
; »Ich weiß nicht. Jch meins einige
i Geschspse leben in der Luft, andere im
i Wasser. Das da it inein’ Luft.«
« »Vielleicht giebt es noelj manches an
dere was Ihnen ebenso gut gefallen
würde Jch lotntne ans Grund unseres
Kontraltes, tun Sie zu einer Spazier
jahri abzuholen.«
Eine Spaziersnljrti Aerolitha hatte
ch vorgenommen, aus ihrer hat zu
sein, jede Einladung abzulehnen, und
sich einen Vormund gegen jede ausge
dacht. Eine Spazierfahri aber im of
fenen Wagen, in Gegenwart des Kuts
schers, im lachenden, hellen Frühlings
sonnenfchein — unter welchem Vor
wand hätte sie die ablehnen sollen?
»Ich müßt’ zum Essen wieder bei
Frau Wintermeier sein,« entgegnete sie
noch zögernd.
Er nieste ,,Piiniilich. Sie beseh
len utn wieviel lith«
Aus ihren Augen brach jetzt ein
Strahl der heiterm Lebensfreude, die
wie Sonnenschein «ihr Wesen durch
leuchtkte. Sie bot ihm lebhaft oieHcrnd
»Es ist sehr nett, daß Sie daran ge
dacht haben. Jch sahe· sehr gern.
Warten Sie ein’ Augenblick«
Sie ginq in’s Nebenzimrner und
lehrte gleich zurück, einen großen
sktvarzen THIS-hat akuj dein Kopf, itn
----- . .:—.ksp-k. -(..—
nun-unzer Huuujuh Fuss unsres-« urk.
in den Linien war tünftiserifcher
Schwung. -
»Chic,« dachte Wicelius mit Be
friedigung.
«Denten Sie,'« vlauderte Aerolitha,
»daß ich hin erst ein einziges Mal spa
zieren gefahren hier in Berlin. Es war
vor vierzehn Zank Der Bräutigam
von Frau Wintermeiers Schwester
hatte ein' Wagen genommen. Und wir
mußten mit nach dem Gruiietvald, alle
zufammen. Der herr Schutze wollt’
es —«
Wicelius machte jäh eine Be
wegwa
»Was haben sie-s« fragte Aerolitba.
»Nichts. Und die Fahrt hat Ihnen
gefallen ja?«
»Nein denken ciel gar nicht. Das
heißt die Fahrt hat mir ferr gefallen.
Aber ich mag den Menschen nicht lei
den, den das Fräulein Dora sich aus«
gefucht hat. Jch hal« auch zu Frau
Winterrneier gefagt, wir haben uns
faft gezankt darum. Und ich hat«
durchgefetzt, daß ich mein· staff-se selbst
bezahlte. O. ich tnocht’ die Augen von
das Mensch nicht«
Das helle Sonnenlicht fiel auf Ae
rolitha’s lebhaft angeregtes Gesicht.
Wirelius mußte an sich halten, fte nicht
in feine Arme zu reißen.
»Salch ftarte Antipathie-i haben
Steti« fragte er mit niiihfaniem Lil
cheln. »Da muß man ja ordentlich
vor Jhnen anf der Hut iein.«
»sich meinen, daß es nicht recht ift,
einen Menfchen zu hafen bloß um fein
Gesicht? —- Aber man tann doch nich-:
dafür, nicht wahr?«
Nicht für ten Haß und nicht fiir
die Liebe.« Er wandte sich dem Kut
scher tu
,,Jn den Tliiquarfen.«
Aeroiitha ins-, unbefangen neben ihsn
im Fond ver iteinen Taraineters
drofchte, die Fahrt aeniefznd Die Hän
ferreihen, die fonft langsam recht-S und
links vorübertrochen, flogen heut’. Lu
ftig flatterten die weißen Gardinen an
den offenen Fenstern. Die Blumen
davor zudten an den Auaen vorbei wie
farbige Blitz-. Die Sonnenstreifcn
auf den weißen Häufern gleißten. Es
war hübsch, auf die Köpfe der Fuß
giinger herunterzusekem erhaben übri
dem ftaubigen Asphatt mit seinen ver
fireuten Apfsrtsinenfchnlem Papier
fetzen und Cigarrenreftem nah den
Baumwipfeln iin ersten, leuchtend-n
Grün. den Ziveiaen. weiß und rcfa
von Frühlingsäiliithin
Sie freute sich nsie ein Kind über
die Hnazintbtn nnf den Beetem die
fpieaetnden Flächen der Teiche die
farbigen Frühlingåtoiietten der fpgs
zierengehenren Damen.
Und Wicelius lnufchte ihrem Ge
piauder, fchiveigfarn ihrem Reiz hin
. gegeben. Er dachte fedr Ernstes. Diese
. späte Leidenschaft, die heft igfte, die ihn
; je ergriffen hatte, gerade jetzt, da er in
ider Krisis feines Lebens stand, schien
ihm abfurd, ein Wi tz des Schicksal-.
(Fortfet3ung folgt-)
s-————-.-—-—
Der Verstaner
»Ich kann Ihm-u in Zukunft Dir mo
natlict,-s.s Umcrfsjtyunq nikkst moizr ge
Lcn. ich lnsirixthss nächsten Monat und
da muß ich forwan
»Sie bavc«;1’g Hätt-h in Zthcm Al
ich Und auf meine Fäcftcn tunc-en Sie
l;citati;cn?«
Tek deutsche Kronpkins hat seine
erste öffentliche Rede gehst-m- Vet
sicht! Das Recenhalten wuo leicht zur
Gewohnheit Namcntlich, trewij is
der Familie liegt.