Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, May 09, 1902, Sonntags-Blatt, Image 9

Below is the OCR text representation for this newspapers page. It is also available as plain text as well as XML.

    Sonntags Blatt
Beilage des Yrbraska Staate-: ankiger und Zeroth
W ,j·-— - —. .— - -—-- ,-— Ap«
J. P. Ændolph, Herausgehen Gras-d Island, Nebr» den 9. Mai 1902. Jahr-gnug 22. Ni. 36
c
l
t
W
Das Wunderbare.
Novelle Fvon Friedrich Fürst-Werde.
Eine bunt zusamtnengewiirselte Ge
sellschaft fand sich allabendlich in einein
Pariser Baulevard-Restaurant ein.
Einem einzigen der Tischgenossen
war ich einigemale aus einem weniger
neutralen Baden, als es die Diele
eines Speisehauses ist, begegnet. Es
war dies ein untersestey astrnathischer
Herr von wahrhaft erschreckender Häszs
lichteit. Er hieß Geron und galt als
das, was man in Paris einen »vrasseur
d’assaires« nennt, d. h. ein Mann, der
stets in talltiihne Spekulation ver
wickelt ist« Die Leute erzählten, er
habe ungezähtte Millionen erworben,
verloren und wieder erworben.
Er war nichts weniger als ein lie
benswürdiger Gesellschafter, sondern
vielmehr der nngehabeltste, griesgrä
xnigste Geselle, mit dem ich je verkehrt.
Zn den vielen Wochen, die er unserer
Tasetrunde angehörte, glaube ich taum
hundert Worte aus seinem Munde ge
hört zu haben. Dagegen schien es ihm
Freude zu bereiten, unseren Gesprächen
mit dem satten Behagen, mit dem man
den Dialog eines Lustspiels auf der
Bühne verfolgt, zu lauschen.
Eines Abends bildete die Pariscrin
den Gegenstand der Diskussion. Man
ches leichtsinnige Wort war da gespro
Uscll IUULUIIL OIIUllUILI VII jusbgclcu
Männer der Gesellschaft hatten sich
nicht entblödet, über die Bewohnetin
nen der französischen Hauptstadt in
Bausch und Bogen denStab zu brechen
und ihr vorschnelles Urtheil durch Be
rufung auf einige moderne Autoten zu
beträstigen. Dagegen war ich nun
ausgetreten.
Die Ansichten über meine Austritt
rung blieben getheilt. Während die
Einen meine Philippila billigten, be
zichtigten mich Andere einer blauen
Zentimentalität und eines userlosen
Kosmopolitistnus. Aber fast Jeder
mann hatte siir oder gegen die Frage
Stellung genommen. Nur Herr Ge
ion hüllte sich in beharrliches Schwei
sen. Jeder Versuch, ihm eine Muße
iung zu entladen, war gescheitert.
Gleichgültig saß er breitspurig aus
feinem Platze, eine große Cigarre
fchmauchend und seinen Kassee in klei
nen Zügen schlürfend.
Nachdem sich aber unser Kreis- aus
pelöst hatte und auch ich mich an
schickte, meine Rechnung zu begteichen,
bub er plötzlich ganz unvermittelt mit
seiner fetten, teuchenden Stimme an:
,.Bravo, mein Herr, das haben Sie gut
;«einacht! Wie Sie den grünen Burschen
die Köpfe gewaschen haben!«
Ein breites behagliches Lächeln be
gleitete diese Worte. Die Distussion
schien ihn in die beste Laune versetzt zu
haben. «Ah!« siigte er ties aufath
knend hinzu, »welche Freude Sie mir
dadurch bereitet haben! Ueber vierzig
Jahre lebe ich nun in Paris, und wie
viel Tixiirichteg habe ich wahr-end dieser
Zeit nicht über die Frauen und Mäd
chen dieser Stadt zu hören bekom
1nen!« "
»Sie scheinen ein wrrmer Verehrer
der Pariserinnen zu sein!« entgegnete
ich belustigt·
»Ich habe auch allen Grund dazu,«
uictte der Dicke ernst. ,.Keiner weiß
besser als ich, wie viel lineigenniiszig
reit, wie viel Opfermuth in diesen
tleinen, schwachen Geschöpsen steckt,
Juni-: sie einmal von der wunderbaren
Kraft der Liebe ersiillt sind!«
»Aber weshalb vertheidigen Zie sie
dann nicht?«
Herr Getan schnitt ein bedenkliches
Gesicht. »Ah-cal« entgegnete er, »das
ist ein anderer Fall! Jch ich bin
Philosoph Es kann mir doch höchst
gleichgültig sein« was sich Herr X oder
Z denkt!'«
«Vielleicht doch nicht so ganz!« wi
dersprach ich lächelnd, »da Sie ab
sällige Aeußerungen zu ärgern schei
nen!«
»Aergern?« herr Geron hielt einen
Augenblick erwagend inne. Aergern
- das ist zu viel gesagt. Aber Sie
sangen an, mich nachgerade zu lang
weilen. Und deshalb will ich Jhnen
meine Erfahrungen zur Verfügung
stellen!«
»Mir?« ries ich erstauntLv
—,,GewißJ«JhnZIT««bestätigte der
Dicke. »Sehen Sie, mein Prinzip war
immer, nie etwas selbst thun zu wol
!en, was Andere für mich besser zu lei
sten vermögen. Meinen Willen durch
die verwendbarsten Werkzeuge durch
zusehen — das war mir stets die
Hauptsache So will ich Jhnen jetzt
eine Epispde aus meinem Dasein an
vertrauen. Sie werden Sie, wann,
wie und wo es Ihnen gut scheint wie
der erzählen, und da Sie dies besser
ibun werden, als ich es könnte, werde
ich das kleine Kapital gut angelegt ha
ben. So finden wir Beide dabei unse
re Rechnung. Schlagen Sie ein?«
Da ich mich natürlich gern bereit
erklärte, rückte Herr Getan etwas
näher zu rnir nnd hub nach kurzer
Ueberlegung an: -
»Meine Eltern waren arme hand
wertsleute in Marseille. Sie können
sich denlen, dasz Schmuck-aus« bei uns
Küchenmeister war. Aber die Süd
länder sind glückliche Geschöpfe. Alle
Entbehrungem aller Jammer wird
ihnen durch ihre glühende Phantasie
Mgpldet und versüßt Jedermann ist
dort überzeugt, daß ein Zufall dem
Glück die Thore weit öffnen könnte.
Bei meinem Vater stand es seit jeher
fest, daß er nur nach Paris zu gehen
brauche, um alle seine Taschen mit
Gold zu füllen. Die Mutter jedoch
widersetzte sich beharrlich dahin zielen
den Plänen. Als wir sie aber zu
Grabe getragen, vermochte nichts
mehr den Vater von der Reise abzu
halten. An einem leuchtenden Junitag
hielten wir hier unseren Einzug —
um Paris zu erobern, wie mein Vater
sagte.
Aber Paris war eigensinnig und
wollte sich durchaus nicht erobern
lassen. Und zwar zeigte es darin eine
so große Beharrlichleit, daß mein
Vater, als er zwei Jahre daraus starb,
mir buchstiiblich nichts hinterließ, als
die sadenscheinigen Kleider, die ich auf
tun Leibe trug.
Damals zählte ich dreizehn Jahre.
Jch versuchte es nun, mich allein
durchzuschlagen. OhneErfolg. Schließ
lich sank ich an einem grimmig kalten
Winterabend kraftlos an einer Stra
ßenecke nieder. Ich schlief ein. Als ich
wieder erwachte -- lag ich in einem
Stäbchen zu Bette. Neben mir aber
saß ein kleines, etwa zwölsjiihriges
Mädchen mit langen blonden Locken
und rieb mir unaufhörlich die er
starrten Hände. "
Die Mutter der kleinen Fee hatte
mich halb erfroren auf der Straße
ausgeleer und, statt mich dem näch
sten Schutzmann zu übergeben, auf
Bitte der Tochter nach Hause mitge
nommen.
Die Familie Manard —-— lo hießen
meine Wohlthäter — « bestand aus drei
Köpfen. Der Vater, ein baumlangcr,
glattrasirter Mann, war Kammerdie
ner in einem der vornehmsten Klubs,
die Mutter, eine energische, wohlbe
leibte Dame, betrieb ein Milchge
schäft auf Montmartre, nnd was das
blonde Töchter-then Jeanne betrifft, so
beschräntte sie sich vorläufig darauf,
den beiden Genannten das Dasein
durch ihre Gegenwart zu verschönen.
Mit einem Schlage hatte ich ein
Heim, eine Familie und eine sorglose
Existenz gewonnen. Denn diese vor-—
trefslichenMenschen betrachteten es als
selbstverständlich, dass sie von nun an
für den wildsremden Knaben zu sor
gen hätten
Natürlich durfte ich nicht auf der
faulen Haut liegen, sondern mußte
trachten, meinerseits etwas Geld der
Haue-fasse zuzuführen Auf Verwen
dung Herrn Piquards erhielt ich die
Stelle eines »Chasseurs" in seinem
Klub. Das ist ein leichter und lustiger
Dienst. Man hat nichts Anderes zu
thun, als in einer schniucken Livree im
Borziminer zu stehen und kleine Be
sorgungen siir die Klubmitglieder zu
bestellen.
Ein sonniges und heiteres Jahr ver
strich. Jch glaube in ganz Paris gab
es tein glücklicheres Heim als die drei
Stuben der Familie Piquard hoch oben
in einer entlegenen Straße des Mont
martre. Jm November aber trübte sich
plötzlich der klare Himmel unseres
Glückes. Die kleine blonde Jeanne
tränielte Es war kein bestimmtes
. k-2 H. -..t Lt l- ts
CTIUIIH UJI Ilc GLIUIJI L,U.lc, ULCL Usc
i Aerzte erklärten, die zarte Pflanze be
dürfe der größten Pflege, sollte sie
nicht wetten. Mir ging die Sache sehr
nahe. Wir waren so gute Freunde ge
worden meine kleine Schwester und
»ich. Eine jener holdseligen, lieblichen
Kinderneigungen hatte sich zwischen
uns entsponnen, die von der Freund
fchaft alle Reinheit und von der Liebe
alle Leidenschaft in sich vereinen. Ja —
lachen Sie nicht ich wiederhole est
alle Leidenschaft der Liebe. Sie tön
nen es mir getrost glauben, man ahnt
oft nicht wie viel bitteres Weh und
welch jubelnde Freude so eine kleine
Kinderfeele empfindet.
Jch tonnte es nicht ertragen, meine
f tleine Schwester so blafi und traurig
zu sehen Was in meinen Kräften
ftand, that ich redlich, um sie aufzu
heitern. Ach -— in letzter Zeit fiel es
iso schwer, ihre schmalen, blassen Lip
iren zum Lächeln zu zwingen Eines
Nachmittags erzählte ich ihr von dem
i Leben und Treiben im Klub und, um
jihr ein recht anfchauliches Bild zu
cntwerfen, äffte ich das Benehmen
der einzelnen Verren, ihre Art zu
sprechen, zu grüßen nach. Mein Gott
—- es waren so dankbare Vorbilder
unter ihnen! Jch erzielte einen unge
heuren Erfolg· Die lleine Jeanne
i vergaß ftir einige Augenblicke ihr
»Siechthurn, ihre Trauer und lachte,
lachte —- wie ich fie seit Wochen nicht
- mehr hatte lachen gehört.
» Ich war glücklich! von dieser
«Stunde an gab es im Klub keinen
i
i
i
i
i
bösen Streich.
i übergehen, um mich in meinen mimi
-hiitte mich nur eingeiibt, um zu Hause
aufmerksameren Beobachter als mich,
und, da ich ein ftrebsamer Bursche
war, ließ ich teine Gelegenheit vor
fchen Künsten zu oervollkommnen.
Aber mein Ehrgeiz spielte mir einen
Als eines Tages ein alter Herzog in
den Klub kam, und sich im Borzimmer
die spärlichen Haare glatt strich, die
Manscheten zurecht zog, und ein un
ternehmend martialisches Gesicht auf
setzte, ließ ich mich verleiten, ihn an
Ort und Stelle zu topiren. Dabei hatte
ich übersehen, daß mein Herzog noch
nicht vor seinem Publikum stand, fon
dern nur eine Art Generalprobe hielt.
Er hatte prüfend in einen großen
Wandfpiegel geschielt und dort hinter
seinem auch mein Bild erblickt.
Die Steue, die sich nun abspielte,
spottet jeder Beschreibung.
Der alte Geck schlug Lärm und for
derte Genugthuung. Zu meinem Un
glück hatte Herr Piquard gerade einen
dienstfreien Tag, und ich wurde vom
Haushosmeister zur Rede gestellt. Wie
ich es mir hatte einfallen lassen können,
seine Hoheit zu verspotten? Jch verlor
denKovf und erklärte,dies habe keines
wegs in meinen Absichten gelegen. Jch
meine tranie Schwester zum Lachen zu »
bringen. f
Dieses Bekenntniß schtug dem Faß i
ten Boden aus. Man fiel iiber mich«
het. Das fehlte gerade noch, daß in i
den Kreisen der Dienerfchast die i
Pairs von Frankreich verspottet wür- ?
den. Das Ende war, daß ich nieineI
Livree sofort ausziehen mußte und!
Inn-e wirk- niif tin-In Ins-Eos noch Sen-f- :
..-»- ’—--. ---s-, .
lsehicetEF I
I Dort fing der Tanz von Neuem an »
Jener Brief enthielt nichts Ansj
deres als die Entlassung meiness
PslegevaterH Ich hatte den Turm-s
sten durch mein Betragen und noch
mehr durch meine Vertheidigung um
seinen Dienst gebracht.
Nichts war entfchuldbarer, nichts
begreiflicher als der Zorn meines
Wohlthäters. Er versetzte mir vor
erst einige fchallende Ohrfeigen und
wies mir dann die Thüre.
So stand ich abermals brods und
obdachlos auf der Straße.
Jm Grunde genommen war meine
Lage keineswegs so schlimm. Die dra
tonische Maßregel meines Pflegevaters »
bezweckte wohl nur, die erregten Ge
müther des Klubvorstandes zu be- I
ichwichtigen und war dies einmal ge
lungen, so fand sich sicherlich ein Hin
terthiirchen, durch das ich wieder mei-—
nen Einzug in den Kreis der Familie
Piauard halten konnte.
Das würde ich niir heute in einem
ähnlichen Fall sagen nnd demgemäß
handeln. Aber ein vierzehniiihriaer
Knabe --- selbst wenn er in Marseille
geboren und fijnf Jahre lang das Pa
riser Pflaster getreten — s- überlegt nicht
so kühl.
Mein junges Herz war von Bitterkeit
geschwellt. Die Größe meines Verge
hens schien mir in keinem Verhältniss
zu der härte der Strafe zu stehen. Jch
zürnte dem alten Herzog, meinen Pfle
gevater der ganzen Stadt. Denn
das ist ja die elementare Kraft der
Jugend, daß sie in der Liebe und im
Mpnss bin- sznsnnbn sont-O
· Als ich so frierend in der Gasse
stand, haßte ich ehrlich die ganze Welt
-—« bis auf ein einziges Wesen: die
tleineJeanne. An die wagte sich meine
Verachtung doch nicht heran.
Man hatte mir, um die stranle
nicht zu erregen, nicht erlaubt, von ihr
Abschied zu nehmen. Da ich jedoch mit
aller Welt auf dem Kriegsfuß stand,
beschloß ich, mich den Teufel um das
Verbot zu scheren. Geduldig harrte
I ickx aus der Straße, bis das Licht im
i Zimmer des Ehepaareö Piquaro ver
)(dschte. Dann schlich ich mich- pe«
iSchliissel hatte ich in der Tafche —
f in die Wohnuna. Unbeanstandet ge
)lanaie ich in die Kammer meined
Lieblings. Wie viele Jahre sind feit
jener Stunde verflossen! und doch
sehe ich sie noch deutlich vor mir, wie
sie vom rosigen Lichte des Nachtliimp
chenö iiberaoffen, friedlich in ihrem
Vettchen lag. Ein kleiner blonder
(5ngel, der vom Himmel gefallen zu
sein schien.
Mit einem Kufse weckte ich Jeanne
aus dem Schlummer nnd erzählte ihr
. nnbedacht den Vorfall. Und sie -·- sie
wußte gleich klugen Rath! Jch solle
mich im Hause versteckt halten« Mor
gen friih würden mich die Eltern mit
offenen Armen wieder ausnehmen.
Dafür wollte fie autftehen.
Jhre Vorstellungen fanden taube
Ohren. Ein wilder Trotz hatte mich
nun einmal erfaß. »Nein, nein,« er
tlärte ich stolz. »Man hat mich zu sehr
beleidigt —- ich kann nicht länger bei
euch bleiben!«
»Aber, wo willst du denn hin —
jetzt —- bei Schnee und Nacht — mit
ten im Winter!« wandte sie erschro
cken ein.
Jhre Angst schmeichelte meiner Ei
telteit. Jch gefiel mir in der Rolle des
kühnen Helden. ,,Einerlei. wohin!«
erwiderte ich, »die große Straße hin
aus! Jch verlasse dieses schmutzig
Paris auf der Stelle!« s
Und als sie zu weinen anfing und
den Vater zu rufen drohte —— da riß
ich mich los und lief eilig davon —- ich
dummer, blöder Junge! s
Jeanne aber rief wirklich nach den»
Eltern und ließ nicht mit Bitten nach,
bis Herr und.Frau Piquard richtig
feierlich versprachen, mich am an
deren Tage wieder in Gnaden aufzu
nehmen.
Damit begnügte sich die Kleine je
doch nicht. Wollte sie nun mir in der
Freude ihres Herzens die gute Nach
richt so rasch als möglich bringen oder
fürchtete sie vielleicht, daß ich meine
läppifche Drohung, Paris auf der
Stelle zu verlassen, bewahrheiien wür
de —-— das hat teiner je erfahren.
Soviel aber steht fest, daß sie heim
lich noch in derselben Nacht die elter
liche Wohnung verließ, um mich zu su
chen. Und am anderen Morgen »s
fand man sie erfroren, todt auf offe
nem Felde lieaen.
Sehen Sie, mein Herr, das war eine
tleine Pariser-in auf dem Monttncrtre
fiir einen hergelaufenen Bengel zu thun
im Stande Saaen Sie selbst iit das
nicht wunderbar?«
Herr Geron schwieg. Er hatte sicht
lich zu Ende gehastet, da die Rührung
ihn zu übermannen drohte. Nun er
griff er das vor ihm stehende Mauer
gläschen und leerte es aus einen Zug.
»Das Zeug ist verdammt scharf!«
meinte er, sich die thränennassen Augen
lrocknend.
Was war nur mit dein großen, di
cken Manne vor sich gegangen? Wie er
mir so gegenüber saß, vergeblich seine
Erregung zu verbergen suchend, da
schien er mir, bei Gott, fast schön! Mar
irergaß die Unförmlichleit der Gestalt,
die plumpe Gemeinheit der Züge iiber
dem edlen, warmen Gefühl, das diesen
häßlichen Körper durchzitterte.
Ein ganzes Menschenleben hindurch
hat dieser rastlose, lattherzige Jäger
des- Gliicts das Bild des kleinen Mäd
chens, das ihm zuliebe den Tod gesun
den, hoch und heilig gehalten.
Und das -—- das war weit wunder
barer und ergreifender, als die trau
rige, aber keineswegs tragische Ge
schichte, die er soeben erzählt.
Gegen Herrn Geron äuszerte ich al
lerdings nichts dergleichen.
« «-—-sk- - .-—--- ---
Jn sechs Zügen matt.
Slizze von Friedrich Reuiterx
»Sie sagen also, Herr Direktor-, daß
Sie das Cchachspiel unter Ihren Pr
tienten eingeführt haben?«
»Und warum nichts- Manche meiner
armen Kranken sind, trotzdem sie in»
versckiedenem Grade, auch auf Inan- .
nigfache Art am Wahnsinn leiden, von T
ert In Q-? t im l-t»nh- hi· ein- ohn- !
andere ihrer Geisteggaben auf ver-:
niinftige Weise zu gebrauchen, undi
zwar in einer Art, die an’5 Wunder- ’
bare grenzt.«
»Aber sicherlich sind sie nicht fähig-,
ein vernünftiges und länger dauerndes
Spiel zu spielen·«
»O doch! Jch selbst bin schon von
einem meiner Patienten geschlagen
worden. Natürlich ist ihr Spiel hin
und wieder auch launisch und sprung
haft; aber selbst dann ist noch, wenn
ich so sagen darf, ein grofzer Theil
von Methode in ihrem Wahnsinn Jst
es nicht merkwürdig, eben jetzt hatrel
ich in meiner Anstalt einen bedaiiern5:
werthen Menschen, dessen geistige Zier
riittuna fast aanz und gar dass Reinl
tat iibermäfkigen Schachspielens ifH
Manchmal fitzt er stundenlang einem l
eingebildeten Gegner gegenüber, un:
dann plötzlich in den Ausruf: »Jn
sechs Ziiaen matt« laut auszubrechen
Zählt er die sechs Riiae auf und wenn
er dann in seiner verwirrten Einbil
dung den letzten der sechs Züge gethan
hat. verfällt er in Raserei.«
Der Sprecher war Doktor Herrig,
der berühmt-e Jerenarzt, dessen Pri
vat-Jrrenanstalt im ganzen Lande als
eine der besten galt.
Kurz nachher zog sieh der Direktor
zurück und ließ mich allein, da ich noch
einiae wichtige Briefe schreiben wollte.
Jch hatte nicht sehr lange aeschrie
ben, als sich »die Klinke der Thüre be
weate und Jemand in’s Zimmer traHl
Jch sah auf und erwartete Doktor
Herrig zu sehen, aber zu meinerUeber
raichung stand ein vollständig fremder
Mann vor mir.
Wer dieser Fremde sein mag, dachte
ich bei mir, jedenfalls ister ein eigen
thiimlicher Knie und da mir sein
Eindrinaen hichst lästig war, sagte ich
mit Ruhe und Würde: »Ich verstehe
nicht —«
»Sie spiel n Schach?« unterbrach
er mich, usw auf meine Worte zu
achten, währt d mich seine Augen noch
immer in der starren Ruhe fixirten.
,,Ja«, answortete ich mit größter
Liebenswiirri strit. »Möchten·Sie viel
leicht eine Virtie spielen?«
Ohne zu i ntworten, setzte er sich
mir geaeniib.r an den Tisch und legte
einen Redalver neben sich. Als die
Figuren ausgesetzt waren, sah er mich
mit diabolischem Grinsen an und
sagte lanafasm
»Sie werden um th Leben spielen.
Wenn ich gewinne, werde ich Sie auf
der Stelle tödten. Verliere ich, so er
schiesie ich mich selbst.« s
Er belichtiate dabei den Revolver
sorgfältig. als wollte er sich vergelvis
fern. daf-. er wirklich geladen sei.
Es ist schwer, die Gefühle in Worte
zulleidem die sich mseiner bemächtig
ten. Man denke sich, um Mitternacht
mit einem bewaffneten Jrren unter
Einsetzung des eigenen Lebens Schach
spielen! Welche furchtbare Lage!
Jch blicke ihm in’s Gesicht, das den
Stempel der vertörperten Grausam
keit trua. Ohne mich weiter zu fra
gen, wählte er siir sich Weiß und zog
an. Der Zug schien wohlüberlegt zu
sein. Jch bemühte mich, ruhig zu
bleiben, aber meine Hände zitterten
und mein Kovs brannte wie im Fieber.
Gar bald entdeckte ich, daß mein Geg
ner sich aller seiner Züge voll bewußt
war, trotz seines Wahnsinns-, nnd im
Stande war, ein regielrechtes Spiel zu
spielen.
Plötzlich stiefz mein Gegner in teuf
lischer Freude die Worte hervor: ,,Jn
sechs Zügen matt!«
Um des Himmels willen! So war
also dieser Irre jener Schachspieler,
’ von dem mein Wirth gesprochen hatte!
Ein kalter Schauer rieselte mir durch
Mark und Bein. Nachdem er die
schrecklichen Worte: »Jn sechs Zügen
matt!« ausgesprochen hatte, lehnte sich
mein Partner in seinen Stuhl zuriia
und brach in ein schadenfrohes Ge
lächter aus, daß mir dag Blut in den
Adern erstarrte. Dann hob er lang
sam und bedächtig die Königin empor-.
Nummer Eins!« rief er, indem er
sie so heftig ans das Brett stellte, daß
die anderen Figuren zitterten. Er bot
mir durch diesen Zug eine Figur an,
die ich um so lieber nahm, als ich
hoffte, er habe sich dadurch eines Feh
ler-:- sehuldig gemacht.
,,Nummer Zwei!« Ohne einen Au
aenhlict zu zögern, nahm er mit seinem
Springer den meinigen. Ich ging auf
den Tausch ein, aber kaum hatte ich
ihn ausgeführt, als ich auch schon die
- «.s-l!——. ..---lt- !
IULUIL Okl,lllls(b ULUILLLIQ« III ULL LU, HL'
rathen war. Jetzt war es mir so son
nenilar, daß ich in vier Zügen matt
sein müsse, und das hatte Dieser
schlaue Irre schon längere Zeit vorher
gesehen.
»Nummer Drei!« rief er, mir mit
feiner Königin Schach bieteno. Große
Schweißtropfen bildetsen sich aus mei
ner Stirn. Jch hatte das Spiel ver
loren, und wenn mir nicht bald Ret
tuna tam, hatte ich mein Leben ver
wirkt. Jch that. als ob ich das Spiel
genau studirte, in Wahrheit aber zer
brach ich mir den Kopf, wie ich aus
diesem furchtbaren Dilemma käme.
Jsch bemerkte, wie auch meines Geg
ners Auskeguna wuchs. Lanasam be
wegte ich mein-en König auf das ein
zige noch übrige Feld·
»Nummer Vier —- Schach!« rief
er träftia, indem er seine Königin ein
Feld weiter rückwärts setzte. Meine
Stellung war jetzt eine ganz verzwei
selte.
,,Nummer Fiinf Schach!« Und
fort war mein Thurm. Nun hatte
mein König blos noch ein Feld übrig,
dann war ich »matt«. Mir schwin
delte und ganz mechanisch that ich den
letzten Zug·
»Nummer Seel-s « Matti« schrie
er laut und dann stand er auf und
ich sah noch eben, wie er den Revolver
aus mich richtete. Jm nächsten Augen
blick erscholl ein lauter Knall, und ich
fiei bewußtlos zu Boden. ————-——
»Wie fühlen Sie sich? Gott Lob,
daß Sie leben. Jhr Leben hing nur
an einem» Haar.«
Jcb öffnete meine Augen und sah,
wie Dr. Herrig sich über mich beugte-.
»Sind Sie es. Herr Doktor?« flü
fterte ich. ..Lebe ich denn wirklich noch?
Ich nlaubte —-—«, schaudernd schloß
ich von Neuem die Augen.
»Ja. Sie leben und sind auch aanz
unverleßt,« war seine tröstliche Ant
wort, und dann erzählte er mir, wie
—
er gerade in. dem Augenblick, als der
Irre den Malt-er aus mich richtete,
gerauschlos in's Zimmer getreten sei
und den Arm des wahnsinnigenMörsi
ders weggestoßen hätte, so daß der
Schuß in die Thüre ging. Für mich
aber war die Aufregung zu start ge
wesen, in einer todtenähnlichen Be
wußtlosigleit war ich zusammenge
sunken, während mein Gegner von den
Wättern hinweggesührt wurde.
Später erklärte mir Dr. Herrig den
Hergang Es war dem Jrren gelun
gen, auf irgend eine Weise zu ent
schlüpfen, in des Doktors Stube zu
gelangen und sich den« Revolver anzu
eignen. Zum Glück hatte man seine
Abwesenheit entdeckt, und der Direktor
hatte im Verein mit den Wärtern
eine stille, aber sorgfältige Durchsuchis
nng des ganzen Hauses angestellt,da
hörten sie den Lärm in dem Studir
zitnmer uno kamen gerade zu rechter
Reit, um mir das Leben zu rettten.
Bas zum heutigen Tag-e setze ich mich
nie zu einem Schachsdieler nieder,
ohne qani lebhaft an die fürchterlich-:
Erfahrung jener Nacht erinnert zu
werden.
———-..-————
Zondervarc Feieru zur englischen
Köntgesrrönting.
EH tritt kein größeres Ereigniß im
Leben des englischen Volbes ein, bei
dem sich nicht auch der Hang des Eng
liinders zum Sonderheiten bemerkbar
macht. Auch für die bevorstehenden
Firönunggfeiern wird von allerhand
merkwürdigen Plänen berichtet. Die
Westminsterabtei ist nicht der einzige
Ort, wo König Eonnrd der Sieben:e
gekrönt werden wird. Diese Ceremo
nie wiro auch in Gtouceitersbire aus
geübt werden« Ein lohaler Bewohner
iener westlichen Landschast hat in sei
nem Garten einen Buchsbaum, den er
seit mehreren Jahren so sorgfältig
zieht, daß er ein Porträt des englischen
herrschet-s giebt. Seit fast 12 Mona
tien darf der Wipfel dieses in seiner
Art einzigen Bildes unbehindert wach
sen. Zur Zeit, wenn in London die
Krönung stattfindet, wird der Wipfel
in Form einer Krone verschnitten, um
fortan ständig so erhalten zu werden.
— Eine andere merkwürdige Krö
nungsseier beabsichtigt ein Gutsbesitzer
im Süden Englands. Er will auf sei
nem Gut einen Fichtenhain von 1902
Bäumen pflanzen, die das Krönunsgs
iahr darstellen. Eine genügende An
Zahl wird der Besitzer an dem Krö
nungstage selbst pflanzen und so an
ordnen, daß sie die Worte und Zahlen
»Eduard der Siebente, 1902« bilden.
Den Buchstaben und Zahlen von unge
heurer Größe wird dieseJnschrist weiß
auf den Boden gemalt, sodaß das pas
sende Einsetzen der jungen Bäume sehr
einfach sein wird. Sollten einige aus
nehen, so werden sie durch Fichten von
derselben Größe und demselben Aus
sehen ersetzt, sodaß Worte und Zahlen
immer bleiben werden. Die Pflanzung
wird der ,,strönungshain« heißen.
London soll eine Wiederbelebung des
,ltönialichen Krönungs Jahrmarktes«
erleben, der bei der Krönung der Köni
gin Viktoria so beliebt war Fast fünf
zig Lleres sollen fiir den Zweck bereits
gesichert sein. Das Ausbrechen des
Königlichen Zuges wird durch eine
Ballonwettsabrt bezeichnet. Der am
weitesten seitelnde Ballon soll eine gol
den Medaille im Werthe von 8500
erhalten: dann giebt es noch zwei wei
tere Preise im Werthe von 8250 und
Plstu — Zu den Firönungsfeierlichtei
ten wird auch ein Versuch gehören, die
tinulglirche mit einem steuerbarenBal
lon zu umschisfen, was jedenfallsTau
sende Von Zuschauern anlocken wird;
das ehrwürdige Gebäude ist bei frühe
ren Krönunqu schon der Schaupl as
mancher sensaxionellen Vorstellung ge
Weilst-L
,-· - —
Utsache und Wirkung.
»So, die Bella führt so spitze Re
den?« ——-- Ja, dag ist bki ihrem klein-en
Munde tein Wunder.«
Scheint-over Widerspruch.
»Warum sehen Sie mich denn so
forschend an?«- s— »Ach, missen Sie, ich
hatte einen Onkel gehabt, der war so
ant, und dem sehen Sie so schrecklich
ähnlich«
Bestraft .
»Johann, durch die erheblichen Ver
luste, die ich an der Börse erlitt, bin
ich gezwungen, meine echten Havannas
aufzuaeben und- durch eine billigere
Sorte zu ersetzen — wollen Sie unter
diesen Umständen auch ferner bei mir
aushalten?«
Minoan
Ein Reitpferd, welches sich im
Stadtnarl gut angiennt, wird sofort
gekauft. ( llao Müller, Commis.
Ein licbcr Kerl.
Kunde: »Die Ciaarren sind ja klei
ner als aewöhnlich.«
Vertäuscr: »Ja, sehen Sie, ich
habe bemerkt, das-, das letzte Stück der
Tiaarre doch immer sortaeworsen
ivird nnd darum habe ich sie aleich
Ion Anfang an kleiner machen lassen.«
Ein neuer Titel.
Präsident: »Sie sind eingeklagt, au-!
der städtischen Münzsammlnng schon
wieder Münzen gestohlen zu haben:
Sie sind ja der reine Nimmismatiker.«
Voslmst «
A.: »Vorhin herbe ich meinen Diener
erwifcht, wie er meine Ciaarren
raucht-e. Soll ich nach. der Polizei
schicken?« —- B.: »Warum nicht aari
Schicke lieber nach einem Doktor!«