Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, May 09, 1902, Sonntags-Blatt, Image 10

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Roman von Iouisc Westkfkclx
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(4. FortsetzungJ
Durch vie Reihen ging ietzt eine Be
lwgung, ein Flüstern der Erwartunssp
Die hauptnummer nahte. Auch die
drei jun-gen Leute, die nislana den«
Vorgängen aus der Bühne nur geringe
Beachtung geschenkt hatten, rückten ji«-e
Stühle, um besser sehen zu können.
Ein junges Mädchen trat ein. Sie
grüßte kurz und anmuthig und einen
Stuhl auf ihrer großen Zehe balan;:
tend, kletterte sie am niederliängenden
Tau leicht zum Ttapez empor. Einen .
Au endlick stand sie dort, eine schlanke
Ge"alt. mehr Muskeln als Fett, aber ’
aussallend ebenknäßig und geschnieidig
im Bau, eine Weidesschönheit in de: -
Knospe-. Unbefangen stand sie drohen, T
ßch den tausend Blicken ciugftellend unt »
dei- Gelassenheit einer Südseeinsula
netin. Auf dem etwas derben, jun-gen ’
Gefecht lag weder Koletterie noch
Scham. etwas merkwürdi« Objektide5.
Und diese keusche Sicherheit umfloß
das junge Geschöpf mit einem Reiz,
dein keiner der Zuschauer sich entziehen
konnte. Ein Gemurmel des Beifall
erhob sich. Wicelius schraudte aus
merksam an seinem —Opernalas.
Die Künstlerin stellte den Stuhl mit
zwei Beinen auf das Trapez, setzte sich
darauf, ließ sich einen zweiten reichen.«
sieilte ihn auf den ersten, kletterte da- -
ran in die Höhe, auf den Sitz, auf die
Lehne; auf einer Fußspitze schwebte sie »
aus der kchrnalen Holzleiste iider dein:
heftigen Bau der beiden Stühle· den J
kein anderes Fundament trug. als- die «
schautelnde Sprosse deg Trapekeg hoch
in der Lust.
Jm Saal hätte man eine Etrcknadel s
fallen hören können. Dann, mit zwei j
anmuthigen Bewegungen alixt die I
junge Künstlerin von ihrem aesahraol
len Standpunkt herab, warf die-Stuhle
einem Gehülsen herunter und, während «
dröhnender Beifall sie umbrauste, de
gann sie zwischen den Traprzen und
Seilen an DerDecte den fröhlichen Flug
einer Schwalbe oder das Spiel eines
ischeg im Meer nachzuahmen »Es-Te
lag, sie schoß, sie schnellte durch die
Lust, hier mit einer Zehe. dort mit
einem Finger sich auf den Mitarbeit
einer Sekunde antlammernd, zu neuem ;
Schwung abstoßend, so fliichtia, daßj
dem Zuschauer dies Kräfteholen an der
seiten Materie entschwand und feine
Augen einen Flug ohne Flügel zul
chauen glaubten. Jetzt aautelte sie ra-« ;
d, nur von einem Ellbogen getragen l
m einer Seilschlinge, nun lag sie aus
einer daumendicken Stange wie aufs
einem Diioan Jetzt schwang sie sich’
tvpsüberam stam- hin und her, lang
sam, rhythmisch, zielend. Tieser noch !
wurde die Stille, die athernlose Erwar
tung. Ihre Füße ließen los und mit I
gewalitgem Schwung quer über die
anze Breite des Saales flog der ge- l
- meidige Leib zum Trapez gegenübe:. I
Si war der Gipfelpmrtt der Leistung. l
Die Künsilerin verneigte sich, glitt am
Seil herab. Beifall-rufen Blumen
überschütteten sie.
.Donnetwetter!« sagte Nathanael
bewundernd-. l
l
Wieelius na m das Opernglas von
den Augen. » ie laden wir uns heut’
sum Souver ein. Wies«
Franz Püllemann schüttelte den -
Keins Sie kommt nicht-«
«.Kennen Sie sie?« -
»Nein. Glaubtoiiroiae Leute ha
ben’3 oersichert.«
«Probiren,« sagte Wicelins trocken.
Er winkte einen Kellner herbei Ernst
besorgen Sie mir aus der Blumenhalle
drüben das schönste Blumenstrang:
meni, das Sie bekommen lönnenf
Dann zog er eine Bisttentarte her
vor, tritelte eine Einladung darauf,
und aus seiner Brieftasche einen Um
schlag nehmend schob er Die Karte bin
ein sammt einem mit einem werthvol
len Brillanten geschmückten Ring« den
er von Finger streifte.
»Da ist Ernst Jch hoffe, daß er
etwa-«- Geschmackoolles besorgt hat Er
is sonst anstellig.«
Wicelius ging zur Thür, wo Na
. thanael uno Piillemann einen Schim
mer von weißem Flieoer unb rosa Ka
melien aufleuchten sahen.
«Kleinigteit," brummte NathanacL
- »wenn einer mit nem silbernen Lösscl
im Maul geboren wiro!«
. .Bon seinem Gehalt an der Bank
lonnte Wicelius seine Lebensbediirs
sisie wohl nicht bestreiten ?« vermuthete
Franz.
, »Schul» Sein Gehalt ist sür den
« . ein Trint elf-. «
»Ist er nnere mich nicht. War der
site santatls Wicelins sehr vermö
feel-P
( »Er wohl kaum. Vielleicht vie Frau.
EDI- thtor ist ein Sohn aus ihrer
Use- cht Der site hat ilsn nur
,der Eins-Arn wegen.
Nun werden
Denn Sie eiöolch schweres
lr überlegen
etwa M stachen in
s " » Laboratorium
» »Mitt- Jhee Pisa an
iste- ae -
tor:en,« antwortete Wieelius. »Ich
drbcite an einer Erfindun3.«
»Du mein Himmel! es ift ja Alles
schon erfunden· Was wollen Sie denn
erfinden?"
»Vielleicht einen Apparat. der ge
wisse Lerrie hindert, ihre Papiere zu
oeriegen.«
»Auisch! Der sitzt."
Ernst, Der Kelmey kam mir wichti
ger Miene durch das Gedränge, ein
Briefchen in der Hand.
»Von Miß Aerolitha an den Herrn
Ddlsdr.«
«Schön!«
Wicelius erbrach den Brief. So
gleich fiel idm sein Ring entgegen.
»Brado!« sagte Franz.
Wiceiius las:
«Geehrier Herr!
Ich danke serr fiir Jhre Einla
dung. Aber ich bin in Trauer und
geh’ nicht ausz. Und Ringe irag' ich
auch nicht. Aber die Blumen sind
serr schön, die freuen mir serr und
ich dank dem Herrn serr dafür
Aetoiiiha.«
Heini-fes Mädel,« rief NuthanmL
Wicelius steckte lächelnd den Brief
in die Tasche und den Ring an den
Finger. Sein Lächeln sogrek »Auf
spätet.«
»Was nun?" fragte Rathanael.
Das letzte Stück, eine wüste Baute-ni
me. ging zu Ende. Das Publikum
verließ den Saal.
Wirelius verabschiedete sich von
Franz Piillemann. Rasch aus-schrei
tend durchschnitt er die eleganten Vier
tel mit ihrem regen Nachtjreiben, wan
derte durch oeriideie Gassen, wo scheue
Gestalten. in das Dunkel von Th :
rdeoen nnd Hausthüren gedrückt. ihm
mißtrauisch nachfiieriem Wiceliuå
fah sie heute nicht. Seine scharfen
Augen, die gewohnt waren, Jeden yet-«
fterfliigel, jeden Thürrabtnen wahrzu
nehmen, dem Gedächtnis mit photo
qrapbiicher Treue einzuprägen, blickt-n
heut’ nach innen.
Unoerriirlbar standen zwei Bildsr
vor ihnen, zwei Bilder, die sie selbst
allerdings niemals gesehen hatten.
Aber der Phantasie des Kindes waren
sie eingedriiat worden. Nun brannten
sie in der des Mannes, all-es Wirkliche
ausiöfchend mit ihrem scharfen Glanz.
Das eine Bild war ein schwarzer
Katafall, faft verschwindend in Blu
mentriinzen Von wappenaeschmiielten,
lrevpurnwundenen Armleuchtern herab
gossen brennende Wachslerzen Tages
helle auf das marmorweiße Gesicht des
aufgebahrten Todten, das junge, starke
Gesicht mit der tleinen rathen Wanst
an der Schläfe
Ein Geistlicher im vollen Ornat
spendete in feierlichen Amtsbandlung
Weihe und Seanungen der Kirche
Denn, war der hier laa auch gestorbm
durch eigene kaut-, er war gestorben in
einer Heilan alt. Und mit Kranten
im Geist rechnet die Kirche nicht.
Und während ein glänzender Zug
von Leidtragenden den Sarg feierlich
zur Familiengrnft geleitete, lag im
tiefen Tannenwald ein Weib am Bo
den. Das war das zweite Bild, das
Wieeliui’ Augen an diefetn Abend
sahen durch all das bunte wirkliche Le
ben hindurch, mit dein er eizazndeaen
bestrebt war: ein schone-s Wem in Der
Blüthe seiner Jahre. Der Sturm, der
in den Winseln wühlte, trug vermischte
Klänge des Grabchorals herüber.
Zum Glockenläuten prasselte der Hagel
durch die Nadeln. Und das Wezd
schlug die Stirn gegen die Fichten
stamme, zedraufte sein langes Haar,
biß sich die Hände blutig und schrie. »
Und schrie um Gerechtigkeit j
Wieelins blieb stehen. »Ihr-· ich’—:’
Fünfzehn Jahre hab’ ich’s gewollt
Run es mir in den Weg läuft, ist et- l
was in mir, das mir sagt: thn’S
nicht·«
Aber wieder erblickte er die Frau vor
sich, die um Gerechtigkeit schrie. Er i
hatte ihre Augen irn Tode gesehen,
und noch gebrochen schienen sie sehn
süchtig umzuschauen nach Gerechtig
leit.
»Ein Narr und ein Feigling wer
zurückweicht —- - ch thu’ö,« sagte er
laut und fuhr zu amrnen beim Klang
seiner Stirn-ne- Ausschreckend sah er
um sich. Er war ain Miit-undaan
Zwischen den Trümmern der abgerisse
nen Bauten rauschte das Wasser. Die
Räder tlapperten.
Es tarn ihm in den Sinn: Gottes
Mühlen mahlen langsam, aber sicher.
Und er lachte.
Es war tein schönes Lachen. Zwi
schen den Ruinen des Abbruchj, in
Nacht undDuntel an dein unwirtlichen
Flech klang ei so unheimlich, daß, der
ei ausstieß, selbst davor etschrach Sein
Blut brannte. Er konnte an Schlaf
nicht denken. siebet gegen Fieber
also,« sagte er sich. wandte sich und fest
zielbewußt ausschreitend, erreichte er
baldeinen bürgerli behaglichen Gast
25 in einer stillen uersterahe in der
der Linden.
r gina»an dein grüßenden Portier
mit-en eine tepprchbelegte Treppe H
hinanth einen langen Gang hintersten s
Osailinnrerf Hand an. der Thiir i
ÆMZY Usck sc Wie, befugt i
es M in ems- seserlevchiem Gme- l
-.-—----..-. —- - — --.- txtka
robenreinin Durch die Saaltdiir drang
kein Laut.
Er gab Hut nnd Ueberzieher dem
anwesenden Kellner, zupste vor dein
Spiegel die Kramtte zur-Oh strich
iider sein militiirisch lurzgeschnittenee
Haar und trat ein. Eine hangelatnpe
und vier Kerzen warfen ihr Licht auf
einen mit grünem Tuch überzegenen
Tisch, aus dem arten nnd Goldstücke
lagen. Etwa ein Busens Herren sa
ßen und stsnven darum, vie meisten
jung und elegant. »qunesse doree«,
leine Unisorm. aber unter vielen ver
jdunllen Geltriiele eine Haltung, die
fztveifeklos ihren Träg-er als aktiven
jeder gewesenen Osficier lennzeichnetc
iDie älteren Herren hatten sämmttich
Esehr nugqepränte Gesichter, veriviiterte
kRunentaietm auf die dag Leben eine
lange Geschichte geschrieben hatte.
Ganz im Gegensatz dazu erschienen vie
klesioanomien der jüngeren ausfal
Ilend qlatt Und leer.
i Ale- der Kellner Witeliu5 einließ,
ksaßte einer der älteren Herren den
tBesraclten am Arm.
I »Hören Sie, Karl, haben Sie nicht
tzusälliq einen Hundertmarlschein bei
I sich? Ich bin gänzlich abgebranni.«
Während Karl ohne eine Mine zu
verziehen ein großes Parteinvnnaie
öffnete und darin wühlte, trat Wirk
liuep mit flüchtigem Gruße an den
Tisch. «
Man sah ihn gern in diesen Kreisen.
Ein unabhängiaer Gentlernan mit an
«sel;nlichen Eintiinften, ver aus Ma
irotte eine Stelle im Banlsach beilei
dete. Viele wanderten sich, daß er nicht
vie Ossikiercarriere voraezoaen hatte.
EDie das Gras wachfen hörten, mun
telten, daß ein Hinderniß vorgelegen
hätte, ein Schatten auf feiner Abstam
Lmung eine Ungenauigteit in seinem
Tauffchein. irgend eine Untlarheit, die
i tlar zu stellen ihm unmöglich war oder
nicht der Miihe iverth geschienen ha
ben mußte. Denn er war und blieb
der Stief: und Vldoptivfohn des Ar
fchitecten Wiceliue, und Niemand erin-:
jnerte sich je den Nam: n gehört zu ha
Hebu den feine Mutter in ihrer kurzen
und offenbar nicht glücklichen erftcn
Ehe getragen hat te.
Langfam überfloa fein Blick die
Runde urn den Tisch die gefpannten
Gesichter im Schein der beschirmten
Hängelainpr. Da ftand der alte
Freiherr von Lipnowitz, der zwei Rit
tergiiter auf dem grünen Tisch gelassen
hatte, der junge Affeffor vonViereck.
der irn Begriff stand, feine Zukunft
darauf zu lassen, Heft-nann, der ehe-:
malige Dragonerleutnant, der rlene
Vermöaen und ohne nachweisbareEin
tiinfte Rennpferde unterhielt. Und
rnit jähem Aufhliyen blieben Wintqu
Augen an dem Banthalter haften
Man kannte fich in dielen Kreisen, und
das war ein neues Gesicht, ein Gesicht,
das ihm zu denten gab. Einer der
jungen Leute beeilte sich, die Vorstel
3lung zu vollziehen.
«Major von Lofchwitz aus Möhren.
Doktor Wirelius.«
Wirelius verneigte fich, der Major
desgleichen. Dabei lreuzten sich ihre
Blicke eine Selunde lang. Major von
Lofchwifien’s hanv irrte plötzlich ab,
ein Goldftiick rollte unter den Tisch.
Er faßte sich sogleich.
. »Bitte, es war meine Doppeltronr.
Karl wird fie morgen finden. Meine
Herren, ich verdoppele.«
Das Spiel nah-n feinen Fortgang.
Lofchwitz war ein eleganter Banthal
ter, laltdliitig und herzhaft. Es war
hübsch, fein Statuengesicht zu sehen,
»das Gewinn und Verlust nicht rother
noch blasser färbten, dies vertrauener
weckende Gesicht rnit feiner schwang
oollen Römetnafe und den wallenden
weißen Schnurrbartenden, während
die frauenhaft feinen Finger die Kar
ten rnifchien, umfchlugen, das Geld
einzogen, austheiltern Es ging nicht
ssssssssss
.,...
das Glück gewechselt Aber nun begann
bie Bank zu gewinnen gewann fabel
haft, gegen alle Wahrscheinlichkeit
Ein bumpfer Groll schwoll um das
grüne Tuch. Einige der Spieler fielen
ab· Andere, wie von einein Fieber er
griffen, verboppelten blinb und toll
ihre Einfiitze und ihre Verluste.
Es waren jetzt viele Augen in fchar
fsr Beobachtung auf des Banihalters
bleiche, feine Hände gerichtet. Der
Major war zwar gut eingeführt Im
merhin, wer konnte wissen? Die hier
ihre Scheine unb Goldstücke wagten,
hatten auf ungefähr allen Rennplätzem
n allen Babeorien ber eivilifirten Welt
und nicht immer ausschließlich rnit
Gentlemen das Glas ber Karten und
Würfel perfucht. Sie hatten ihre Er
fahrungen unb trauten nur ihren Au
gen.
Wie-link hatte fchon Tausende ver
loren. Er hielt jeden Satz. Dem
Mann im weißen Schnurrbarte schien
das peinlich zu werben.
»Vert- Doltor, ichau’n’s! Jch hab’
halt heut’ mein’ Glücksiag Gehn’s,
feien’s fchon a bissel vorsichtiger-«
»Es ficht. halten Sie’s?«
»Dann Sie’s burckaus wollen·«
Die Karte fiel. Es war ein König.
«halt! Betrug!« bonnerte in bie
fem Augenblick here von Lippowig.
Und iiber die ganze Breite bei Tifchez,
über Karten und Einstitzg warf er sich,
um die betrügeriiche hanb zu fassen,
zu iiberfiihren auf frischer That. Aber
in Ver Verwirrung, dem Gewühl, bas
biefem Ausruf augenblicklich folgte,
rannte Vicelius, der neben ihm fianb,
heftig mit ver Schulter gegen Sipps
wihso gestreckte-i Arm, die hafchenbe
haer griff in bie Luft.
Maine m Lofchwii war sofort
aufgefprungen, hatte wiithenb ben
Kartentalon hie-geschleuka Jn wir
rern Durcheinander bedeckte-i die Blät
ter den Tisch. den Erdboden hier ihre
silber, dort ihre Ast-seiten aufwei
send.
»Meine herren. hier sieh« ich! hier
sind die Karten! Ich fordert Unter
suchung, die strengste Untersuchung!
Und dann. dann sordere ich Genug
thue-nai«
Seine Lippen, seine Schwert-arten
den zitterten vor Empörung.
Lippowiti schrie lirschhraun im Ge
sicht dagegen: »Ihr König tarn aus
dem Aermell Ich hohe gesehen! Da
waren noch mehr Kutten! Hätt’ ich
doch nur die Hand erwischts « Herr
Doltor Wiceliusl Warum mußten
Sie sich auch zwischen ihn und mich
schieden?«
Wicelins entschuldigte sich.
»Aber Sie standen ia neben mir,«
ries Lippowitz. »Ich rufe Sie zuni
Zeugen-. Sie müssen das Manöver
so gut gesehen haben wie ich! «
Eine tiefe Stille folgte jiih dem
Stimmenaewirr. Alle Augen richte
ten sich aus Wirkliud. Der sah seht
ernst aus, sehr correlt und der Trag
weite seines Zeugnisses bewußt.
»Ich bedauere aufrichtig, Herr von
Lippen-in daß es Ihnen nicht gelungen
ist, die Hand des Herrn Majors fest
zuhalten. Jch bedauere das besondere
um des Herrn Majors willen. Wenn
Sie statt des leider dereitelten Beweis-:
mein Zeugniß anrufen: ich erfreue mich
guter Augen und einiger Erfahrung in
den Gepflogenheiten des Spiequ ich
nahm, wie Sie selbst hetonen, einen
günstigen Standpunkt ein. Aber ich
hab-e an der Art des Banlhaltens des
Herrn Majvrs nicht das Geringste
wahrnehmen tönnen, das von den un
ter lohalen Spielern üblichen Gewohn
heiten alt-dich Jch irre mich wohl nicht«
wenn ich annehme, daß Sie der einzige
in diesem Kreise sind. der eine der
artige Beobachtung gemacht zu haben
alaubt.«
EisrigeStinnnen sprachen Zustimm
una aus. Fast alle Anwesenden
wünschten den peinlichen Vorsall be
end-et
»Aber lieber Doltor« stritt L: ppo
witz dessen Gesicht leuchtete wie ein
Kupserschilts, »es ist doch taum mög
lich, tasz Sie nicht auch «
»Sie sind aufgeregt, Herr Baron,«
antwortete Wicelius mit seiner tiitzlen
Festigteit die aus gereizte Menschen
wirkte wie eine talte Komvressr. »Sie
sind sehr aufgeregt heut Abend, unt
Sie haben vi t verloren Fragen Sie
sich selbst, obS Sie in einem so velitaten
Falle einen objektiven Beobachter abge
bcn tönnen.«
Von allen Seiten redete man aus
Lipvowitz ein. Der subr sich über di:
Stirn. Er kam von einem Diner beim
Bankier Börsenbetg Sollte er ein
Glas zu viel von dem ausgezeichneten
Burgunver getrunken haben? Er
schielte in den Spiegel. Sein Kopf
brannte. Auch seine Augen waren
nicht mehr was sie in seiner Jugend
gewesen waren. Jmmerhinl er hatte
roch zu sehen gemeint deutlich zu se
VIII!
Man bbrte ihn nicht an, man riß ihn
fort, aus seinen Gegner zu ver stumm
nnd stolz vastanv, wie es einem ge
lränkten Mann zukommt. Von hüben
und drüben wurde geschoben', gezogen,
entschuldigt, begütigt.
Als Lin-)in im Borziminer seinen
Hut ausstiil te und glühend wie ein
überheizter sen hinausstiirmte in die
tiihle Nacht, hate et dem Majve von
Loschrvitz seine Entschuldigung und
sein Reden-»r- errtäqesvtochert Der Ma
jor hatte sich mit der ihm gegebenen
Erklärung zufrieden erlliirt, und zwei
Herren hatten ein Prototoll iiber die
ftattgehabte ehrenvolle Ausföhnnug
ausgesetzt
Wicelius war lauin einige Straßen
weit gegangen, alg Major von Lofch
wig ihn einholte.
»Ich sehe, wir haben den gleichen
Weg, herr Doktor.«
Wieelius antwortete nicht.
»Ein unangenehmer Auftritt. Diese
preußischen Junker haben was Rü
bes.«
»Nein bequemer Umgang fiir einen
Gentleman aus dern Süden.« ant
wortete Wicelius langsam. »Sie tom
men doch von dort?«
»Aber mit der Absicht im Norden
zu bleiben. Mein Betanntentreis
wurde zu aus edehnt. Das macht zu
leyt nervöi Itch gedenke in Berlin fe
ften Fuß zu assen, hatte die Absicht,
Sie in den nächsten Tagen aufzufuchen.
Sie werden Jhre giitige Unterstützung
einern alten Kameraden nicht verwei
gern.«
Wicelius wandte langsam den Kopf,
sah unter den duntlen Wimpern her
vor aus dem Augenwintel den Mann
an, der zu ihm von Rameradfchaft re
dete
»Dir-er doch?«
»Nein.«
»Auf Ehre, ich freue mich, Sie wie
der«zuiehen here Dotter Wieelius. Es
ift hübsch von Ihnen, daß Sie einen
alten Freund nicht verleugneten-«
Er reckte gerührt feine Land aut.
Wieelius fah sie nicht. as witte
ichen Sie, daß ich fiir Sie thun folli«
»Ungefiihr alles, was ein landfrem
der Mann braucht. Jn zwei Worten
läßt sich’c nicht fzgern Rat Mittel
Empfehlunin igentlich tnd Sie
mit-Ei c Po sch o
eeius a i um. » ier i
nichtSdeä Ort.«S· . Jh Wh st«
o te m ret o nun
auffinden-, g
»Noch dem heuti n Auftritt wiirde
das nicht rathitme
»Möglichertoei[e nicht «
.Uebet oupt nicht rathiam von un-·
ferer fr heren Vetannt chait zu re
beib«
Bester Dotter, das diirste davon
abhängen —·
—ch weiß bestimmt. Sie werben
ni i davon sprechen.«
.Wo also sollen mit und treffeni«
« n einem Gasthaus, dessen Adresse
ich « hnen ausschteiben will.«
Wieelius nahm sein Ta chenbnch und
schrieb im Schein einer oterne einen
Namen auf ein Blatt.
»Jn der Kleinen «Stralanerstraße?
—- Das ist sehr abgelegen.«
»Natürlich.«
»Und wonni«
»Wenn vie meisten Gäste sich zurück
gezogen haben. Sagen wir nach Etf
Abends.«
»Die Wahrheit zu sagen, ich bin ein
wenig pressiert.
»F eher. desto besser.«
» aßt Ihnen morgen?«
»Morgen.«
»Sie werden wirtlich tomnien?«
»Seien Sie ohne Sorge. Jch
t o m m e.«
Aus morgen aiso?«
»Aus morgen«
Sie trennten sich. Wicelius bog in
bie Neue Wilhelmstraße ein. Als das
Wasser bei der Marschallbriirte vor ihm
aufblitzte, zuckte ein Lächeln um seine
Lippen, nicht das Lächeln, das sein.
Gesicht im neckischen Geplauder miti
jungen Damen zu zeigen pflegte, ein T
böses Lächeln, das die Ectzähne unt-r !
dem schwarzen Echnurrbart nusschim- .
its-ern ließ.
6·
Als Wicelius heimlam, brannte Licht ;
in seinem Salon. Sein Diener mel- ;
bete, baß Polizeicommissär Schuchardt »
ihn erwarte. »
Wiceliuö trat ein. »Aha,« tLngte er J
und schloß die Thiir hinter st « »Sie »
haben sich besonnen. Das ist gnt.« «
lC- Ins-Ini- -»--. «;n-m TÄOFIIÄOU i
». ..-.,... -..- -..,........,...
eine Flasche Wein und zwei Gläser und
stellte ein Listchen Cigarren aus den ;
Tisch.
Schuchakdt stand noch und zer
knautschte seinen Hut in den Händen.
»Es geht so nicht weitek.« stiesz it
bervot. »Rur um das zu sagen, bin
ich gewinn-en Geben Sie mir das
Blatt zuriick, dac- ungliictseli e Blatt! »
Hören Sie! Es ist nicht zu Järemheih s
wenn Sie mir’5 vorenthalten! Bei ;
Gott! Zu Jbrem heil auch nich:!»
Treiben Sie mich nicht zum Aeußer- s
sten! Jch hab’ Frau und Kinder! Usn !
meiner Frau willen, geben Sie mir’s
zurück! Geben Sie inir’s! Dann lasse
ich mich versetzen. Und nie und unter
keiner Bedingung aus mein Ehren
tvott, ich schivöt«g Ihnen, wecd’
ich ——- —--«
Wirelius lachte. »Sie sind bei Hu- s
mor. Prost! Trinten Sie! Was ichs
von Ihnen verlange, das ist ein ge- i
itauet Plan der kleineren Van in i
Piillemann’s Garten. Jch lasse Jb- I
nen acht Tage Zeit. Jbre letzten Plane
waren aut. spie haben Talent zum
Croauieken."
»Nein, nein, nein,' schrie der Com
missiir außer sich. »Ich will nicht! Jch
will nicht mehr! -— Lachen Sie nicht!
—- Lachen Sie nicht. Jch bin ein ehr
licher Mensch gewesen —«
Wicelius hielt sein Weinglas gegen
die Lampe und betrachtete aufmerksam
das Funkeln des Lichtstrahl-Z im Wein.
»Das bat ein hübsches junges Kind
auch einmal gesagt. Ach bin ein ehr
licheg Mädchen, und wenn ich’7s da oben
nicht bleiben soll —! Sie ist dann die
Spree hinutergetkieben, tagelang; bei
iraend einem kleinen Nest hat man r»
i
(
aufgefifcht wie huntert andere. Hat
auch ebnio wenig eine Lücke in der Welt
hinterlassen wie die anderen. Es würde
lein Hahn danach irähen, wenn das
wunderliche Ding nicht in einem was-—
serdichten Täfchchen einen Brief bei sich
getragen hätte, in dem ein gewisser
Kommifsär Anton Schuchardt droht,
ihre alte Mutter in’S Gefängniß zu
bringen wegen —- ja! es war wegen
einer angeblichen Majeftötgbeleidigung,
wenn die Tochter nicht die Freiheit der
Alten sich aus einen tleinen handel
einließe —«
»Mit-en Sie aqu Hätt« ich gewußt,
daß die Närrin den Spaß fo ernft
nehmen würde, ich hätt’ mir lieber die
Hand abgehackt!«
»Es wäre vielleicht vorzuziehen ge
wefen,« gab Wiceliuö zu. «Schade
allerdings um Jhr Zeichentaient.«
»erner noch begreif ich nicht, wie
der Brief in Jhre hände fallen
lonnte!'«
»Statt in die der Behörden? Aber
darüber sollten Sie sich doch freuen.
Sie würden heut’ nicht »perfona
grata« beim Präsidenten sein. Diefer
Vogel,« Wirelius deutete auf ein Or
densbändchen in Schuchardtlli Knopf
loch, .wiire nie in dies Reft geflogen,
während jetzt eine hübsche Catriere
vor Ihnen liegt."
«Durch Jhre Protection!?« «
»Ja, ich protegire Sie. Mir liegt
daran, daß Sie Carriere machen. Eine
hand wäscht die andere. Schon tft
man höheren Ortes auf Jhte Bega
bung aufmerksam geworden. Es be
darf niir noch einer Gelegenheit für
Sie, sich hervorzuthum Diefe Gele
genheit biete ich Ihnen hen·te.« ·
Schucharbt rang, fich windend, die
händr. »
»Richti, das Sie erschrecken konnte
Ein noch faft unbebautes Feld frir
Ihre Thattrast im Dienst ber Gefelb
schast. Bitte, nehmen Sie Ihr Notiz
biich. Schreiben Sie: Geer inftrape
1 — Votel Rheinsberger of, er·te
Treppe, Clubziinmer links, ist ein
aristotratiichei Spielernest. Zusam
menliinfte täglich. Sie werden es» in
einer dieser Nächte insbein nicht
morgen. Sagen wir Donne «ag.«
Der Beamte ließ ben Bleiftift sin
ten, den er in mechanischem Gehorfain
ergriffen hatte. »Das ijt eine Falle,«
jagte er. »
.Rein, et isi ein Geschenk. Ein Ge
schenk, das ich Jdnen mache, und»urn
das all Jhre Collegen Sie »beneiden
werden. Sie erwerben sich glanzendes
Verdienst. Jm Handumdrehen werden
Sie eine popniöre Persdnlichieit. Der
Proceß wird nngeheuereö Aussehen er
regen. Ganz Berlin und halb Deutsch
land wird in den nächsten Wochen tei
nen anderen Gedanken. kein anderes
Interesse haben, ais für die dornef
men Verbrechen die Sie auf die As
ilagebant liefern."
»Und iiber den vornehmen Verbr
chern die gemeinen vergessen. Jch ver
stehe. Jch verstehe.'«
«Aljo——«
Der Paiizeicommissiir fuhr sich in
die erqrauenden Haare. »Nein, nein,
nein!« Seine Stimme klang, als
wiirge ihn« eine Hand an der Kehle.
»Führen Sie mich nicht in Versuchung.
Wären die Aussichten noch jo glim
zend, ich will nichts von Ihnen, nichts!
nichts als meine Freiheit! Und die
erzwing· ich nöthigenfallsL hüten Sie
sich! Jch kann noch zurück. Ich will
zurück· hören Sie, ich will zurück!
Um jeden Preis!«
»Um jeden Preis? — Warum ha
ben Sie dann dein Präsidenten nicht
Ihre Beichte abgelegt? Sie waren ja
schon im Borzimmer, um es zu thun.«
Der Kommissar fuhr zuriich ais
hätte er einen Schlag in’s Gesicht be
kommen. »Weder —- woher wissen Sie
das nun wieder?««
Wiceiius lachte. »Ich hab' eben
auch meine Polizei; mit dem Unter
schied, daß meine ihr handwert ver
steht, die Ihre nicht immer. Na, setzen
Sie sich. Trinken Sie auf den Schreck.
Jch tr-ag’s Ihnen nicht nach. Jijres
Entschlusses bin ich ja sicher. Teufel
auch! — Oberiornmissiir oder das
DUNIIIUJIO Ins-e Instit-»F Indes send
L».-i·v-,- --·-· was x,· sqsspsus ·-s7 H-- s
klar. Und die Spree ist auch kein
kockender Aufenthalt siir einen lebens
liungerigen Menschen wie Sie.«' -
Schnchardt war aus einen Stuhl ge
iaumelt. Er hatte sein Glas noch nicht
ungerührt, jetzt nahm er es und leerte
es bis zum Grund. Es war die Erge
bung. Einen Blick noch von unten her
aus wars er aus den Mann, der kühl,
elegant und enischlossen ihm ge en
iiber saß, einen Blick tövtlichen Ha es,
racheheischendet Muth. Wenn er sich
aus ihn stiirzte, ihn erdrosseltet Wahn
witziger Einfall! Deunten machte der
Diener. Und hätt’ et nicht gemacht, an
der geschmeidigen, stahlsesten Gestalt
vor ihm. den Ivachscrrnen Augen glitt
schon ver Gedanke einer Uebereumpes
lang ab. Zweisellos steckten in einer
der höchst «chie·ken« Rocktnschen ein Mi
niatutdolch vom besten Stahl, ein Ta
schenrevolver vorzüglichster Construk
tion.
Unterdessen redete Wireliuö in sei
ner ruhigen bestimmten Weise: »Als-)
Schuchardt, Das mit dem Spielernest
besorgen Sie pünktlich und elegant.
Und die Pläne der kleinen Mille-nann
’sM Nin- Kinn-n seht Tini-n «
»Ja« Der Kommissar stand tau
knelnd auf. ,
»Halt! noch eing! Wen benimmt-m
inissiix Braim ietzt als Spihel?«
,,Kvmmissär Beaun?«
»Er zeigt sich vorzüglich unterrich
tet. Wer ist sein Zutriiger?«
»Ich weih daß et kürzlich mit einein
alten Verbrecher anaetniipft hat, ei
nem frühem Maurer, Ednard Voll
mann, inVerbrechertreiien betannt als
Seidelichwung.«
»Schön. Noch ein. Da tritt im
Apollotoehatek eine tleine Atwbatin
auf, Miß Aerolitha. Sie werden mit
morgen eine Copie der Personalatten
dieser Miß Aerolitha zustellen. Guten
Abend. Und Schuchardt!« Er fah
ihm scharf in die Augen, »daß mir
nirgends eine Ungenauigkeit unter
liiuftS Sie haften raiiir.«
»Ja —-«
Wicelius sah seinem Gast nach, wie
er die Treppe hinunterschtitt. Die
breitlchulterige Gestalt schien tleiner
geworden. Und obgleich Schachardt
nur ein einziges Glas Wein aetrunlen
hatte, schwankte et wie ein Veransch
ter.
hellcnuth Wintqu Lippen kräusel
ten sieh, seine Hand machte eine tleine
Bwegung hohnvoller Verachtung.
Dann tlinaelte et dein Diener.
«Sehließen Sie das haus und gehen
Sie zu Bett. Jch habe noch zu arbei
ten. Um acht Uhr das Frühstück. Gute
Macht«
Gortleyung folgt-)
Junge Fro::: »Ach, Schap, Du
glaubst nicht, wie ich ijc L.üsselet
Spitzen schwärme!"
- Mena: «O u Spi-mäuschenl«