Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, April 04, 1902, Sonntags-Blatt, Image 12

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Mit-Ich OQWM
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Das Verbrechen im Omnibn5.
Dirne-an von kzsrtuuc de Voisgobcy.
g Llutorisirte Uebersptzuna von Wilhelm Thal.
Wwvswwvspssx
Es war an einem Winterabend des
Jahres 1887. Die große Uhr der
Madeleine hatte eben das leyte Viertel
vor 12 Uhr Nachts. geschlagen, und der
Omnibus an der Ecke des-« Boulevard
St. Germain wollte seine leyte Fahrt
antreten, als eine anständig gekleidete
Frau athemlos herangestiirzt kam; die
Person war augenscheinlich noch jung,
wenigstens soweit man es aus ihrer
Gestalt ersehen konnte, denn ein dichter
Schleier verhüllte ihr Gesicht. .
»Was besetzt, Madame, und ein an- »
derer Wagen kommt nicht mehk,« er
iliirte ihr der Konduiteur in turzenij
Tone. i
»Ach, mein Gott,« inurmclte sie,j
»und ich will nach Montmarire, das
temme ich ja niemals hinl« ·
Ein ganz im Hintergrung sitzender l
Herr sagte vortretend: »Steigen Sie
em.« ·
»Mein Herr, ich weiß wirklich nicht, 4
wie ich Jhnen danken soll!« I
»-Dazu liegt keine Ursache vor, dies
Sache ist gar nicht der Rede werth.« ’
»Als-v, Madame, steigen Sie ein,
wir fahren ab,« sagte der Beamte.
Die Dame hatte bereits einen Fuß (
ans dem Tritthrett und ließ sich nicht :
länger bitten; doch anstatt sich beim;
Einsieigen aus den Konduiteur zut
stiihem nahm sie die hilse an, die ihr J
ker Mann, der ihr eben seinen Platzf
abgetreten, anbot. I
Der Herr, welcher der Dame seinen ?
Platz abgetreten, war weder sehr I
hübsch. noch sehr jung. Er mochte vier- I
Fig Jahre alt sein und vielleicht sogar
noch etwas älter. Sein Schnurrbart s
nnd der milirärisch gestutzte Backen-!
hart spielten stark ins Graue. Er trug s
inen Paletot, der schon ziemlich abge- !
schabt war, und einen steifen Filzhut. s
..... -k- tx-- -:--« u-«-«-«».ss-v-n Ins-eh- Z
Ucc- UUUI »He-u see-»F »--v»»v----» »s--- .
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angehdrte. ;
Er kletterte mit mert.:)iirdiaer Ge-;
fchwindigkeit auf das Deck nnd ließ sich ;
dort auf der ersten Bank nieder-.
Während er es sich nach Möglichkeit,
soweit es bei Der herrschenden Witte
rung denkbar war, gerniithlich machte,
hnschte die Dame auf den steige-worde
nen Platz irn Hintergrund des Inmi
hnsses und setzte sich zwischen eine alte
Frau und ein junges, sehr einfach ge
kieideteö Mädchen.
Etwas weiter saß eine dicke Markt
sran. Dieser gegenüber ein Mann.
der einzige, der sich noch in dein Wagen
befand; ein großer, schlanter nnd brü
netter Herr mit lebhaften Augen und
lächelndem Munde, ein echter Künstler
iopf, doch eines Künstlers, der Car
riere gemacht hat.
Die anderen Fahrgiiste gehörten den «
verschiedenen Kategorien der sozialen
Stufenleiter an: dicke Bürgers-italien,
die nach einem- bei Verwandten oder
Freunden verbrachten Abend nach
Hause zurückkehrtenx Miitier mit einem
kleinen Kinde ans dem Arm, Arbeite
rinnen, die eben ihre Arbeitsstätte ver
lassen hatten nnd vor Müdigteit fast
nmfieleir.
Das schwere Gefährt setzte sich end
tich in Bewegung, die lettrische Kling-et
ertönte unten wie oben, der Kondui
teier hat um das Fahrgeld, nnd die
Sousstiicke wanderten von Hand zu
Hand.
Der große briieiette Herr fing an,
feine Reisegesährtinnen, mit denen der
Zufall ihn zusammengebracht, näher
In betrachten, doch nur zwei verdienten
der Mühe, daß man sie näher betrach
tete; diese saßen ihm gegenüber.
Die beiden Personen dieser kleinen
Komödie schienen, seiner Ansicht nach,
wenig zu einander zu passen. Die Da
me gehörte augenscheinlich nicht dersel
ben Gefellschaftstlaise wie ihr Ritter
en; ihre Tot-leite war fast elegant.
Sie schien eine hübsche Figur zu
haben, nnd ihre Augen glänzten durch
. den fswatzen Schleier, den sie keinen
j «WW Wiss-tug
jss« Wehr bedurfte ei sür einen Beobach
ter nicht, tun sfith rnit ihr zu beschäf
Lsss soc-L Its-o DCIIOIDO bis-sto- Dis-Is
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uuU »so - Hu, s-- ·- »- p
·, , ,·« l
geheiknnifzbollen Person geqeniiberfaß,
war ein solcher. Er theilte seine Auf
merksamkeit zwischen der verfchleierten
Dame und der jungen Person, die ne
ben ihr faß. Diese hatte den Schleier,
welcher an ihrem Sammethut befestigt
war-, ebenfalls heruntergelassem und
man sah infolgedessen nur den unteren
Theil des Gesichts, ein Grübcheniinn,
einen etwas großen, doch sehr rein ge
zeichnetn Mund, und bfasse, matt
braune Wagen.
Während der Künstler feine Be
obachtungen fortsetzte, bemerkte er, daß
das junge Mädchen wohl kaum reich
fein tonntr. Sie trug, mitten im Ja
« Mat, einen kleinen, kurzen Mantel
thue Anmel, aus schwarzem Stoff,
— .. ei- lclpaeea - Kleid von dunkelblauer
und hielt ibreqTTnde in einem
wes wie der Juki-m scheu
-»sz«sz III-I MM««JO;1-efuhr
- W M- patee peitsche
E starkem Indess
Quai du Louvre zu, bei welcher Ge-I
legenheit die Fahrgäste hart durchein
andergeriittelt wurden.
Die junge Person in dem ärmlichen
Kleide wurde auf ihre Nachbarin, die
zuletzt gekommene Dame, geschleudert,
und klammerte sich an ihren Arm, wo
bei sie einen schwachen Schrei ausstieß,
dem ein tiefer Seufzer folgte
»Stühen Sie sich nur auf mich.
Fräulein, wenn Sie leidend sind,«
sagte die verschleiert-.- Dame.
Die andere antwortete nicht, ließ sich
aber auf die Schulter der mitleidigen
Person fallen, die ihr vorschlug, sie zu
stützen.
..Der iunsen Dame iit wohl un
wohl,« sagte der Künstler, »ich werde
den Wagen halten lassen und man
müßte. . . .«
»Aber nein, mein Herr, sie schläft
Ia,' sagte die oerschleierte Dante in ru
higem Lon.
»Pardon, ich gtaubte doch. . . .«
»Sie schlief beriets, als das Mitteln
des Wagens sie aufgeweckt hat; aber
jetzt ist sie wieder eingeschlafen, lassen
wir sie also ruhen« Der große, braune
Herr verneigte sich, ohne weiter ein
Wort zu sprechen.
»Diese jungen Leute von heute! Das
ist ein wahres Unglück,« murmelte die
ticke Marltfrau zwischen den Zähnen;
»ich habe chden ganzen Abend ge
schunden, Reich Apfelsinen zu verlaufen,
und wenn’s sein müßte, würde ich jth
noch eine Meile laufen. Ja wenn es
sich nur darum handelte, zum Tanzen
zu gehen, da würde sie schon aufwa
chen! Ja, ja, die heutige Jugend! "
Das junge Mädchen, dem diese Re
den galten, rührte sich nicht; die Nach
barin auf die sie sich stüme schien die
Worte nicht gehört zu haben oder that
wenigstens lo, und der Künstler gegen
izber sprach kein Wori, obgleich er große
Lust hatte, die Alte fiir ihre unpassen
den Reden zur Ruhe zu weisen.
Plötzlich wurce der Künstler-, wel
cher noch immer an die beiden ihm ge
genübersitzenden Frauen dachte, durch
ein Geräusch, das vom Deck kam, aus
seinen Träumereien aufgescheucht; es
war das Geräusch eines Stiefels, der
dreimal heftig aufstampfir.
»Sieh, sieh,« sagte er sich, »der Herr
von oben scheint sich ein wenig die
Beine zu vertreten. Er ist also noch da
und die zwölf Grad unter Null schei
nen ihm doch die Sache zuviel zu wer
den« denn er scheint herabzirsteigen.«
In der That erschienen die Stiefel,
welche das Stampfen eben ausgeführt,
oben auf der Treppe. Die Beine folg
ten, dann der Rumpf und endlich
sprang der Mann, nachdem er« einen
raschen Blick in das Jnnere des Wa
gens geworfen, auf das Pslaster.
Der Maler, welcher seine Bewegun
gen aufmerksam beobachtete, sah, wie
er sich mit großen Schritten nach einer
Nebenstraße entfernte. ,
Wenige Minuten später erreichte der
Omnihus »den Punkt, wo die Rue des
Martyrs zwei andere Straßen lreuzt,
die Rue he la Balle zur linken, und die
Rue Condorcet zur echten.
Hier wird stets alt gemacht, um
die Pferde zu wechseln, und die meisten
Fahraäste pflegen hier den Wagen zu
verlassen. So war es auch heute der
Fall, und mit Ausnahme des Künst
erö und der beiden ihm gegenüber
sitzenden Frauen verließ die ganze Ge
sellschaft den -Omnibus, ja auch die«
Dame, welche die Schläserin hieltj
machte Miene auf ubr en.
»Mein herr,« agte , »das arme
Kind, welches sich hier aul mich stützt,
schlzst so schon »das ich txt r einenVors
--.s----—-1«
muss neue-qui mutet-, c- uusppumuui
. . . . und doch muß ich aussteigen,
ich wohne hier ganz in der Nähe und
eH isi schon spät . . . . darf ich Sie
wohl bitten, auf das junge Mädchen
ein wenig acht zu geben?«
»Mit dem größten Vergnügen« er
widerte der junge Mann und setzte sich
auf den Platz, den die dicke Orangen
händlerin vor kurzer Zeit verlassen
hatte
»Ich danke ihnen, mein Herr,«
sagte die derschleierte Dame, »eH lam
mir hatt an, sie allein zu lassen, doch
da Sie die Fahrt bis zu Ende mit
machen so kann ich sie Ihnen überlas
sen. Wenn Sie sie bis zur Thür des
hauses, in dem sie wohnt, begleiten
könnten, so thaten Sie gewiß ein gutes
Wert, denn die Gegend ist zu dieser
Stunde für ein junges Mädchen niht
recht gebettet-«
Und ohne die Antwort des ern
abzuwarten, verließ sie schne den
Dtnnibus, der eben in die Rue de la
Balle einbeg.
Der Mann blieb also mit der schi
nen Schleiferin allein. J
Er beugte sieh nunmehr dor, so daz ;
et fast das Gesicht des jungen Mäd-»
chent berührte, nnd bemerkte, daß sie.
blaß wie Alabaftet war und daß aus.
ihrem halb offön stehenden Munde kein s
r nahm eine der beiden «
nde, ladie in dem Muts geblieben
sank-es nnd fand, daß diese Hand eisig
«stezl: IWQ sagte er, «und
«k-—,«.FO·««-iiscttZeit-unmenscanie-l
c
ihm, ohne sich vom lafe In rühren.
antwortete »Wir d um Ziel, es
ift unnütz, den Wagen fest noch halten
zu lassen.«
In der That hatte der Omnihui die
Rue Irochof bereits passirt und bog
aus den PigallesPlatz ein.
Erschreckt versuchte der jungeMann,
das unglückliche Kind hochzuheben,
das in seinen Armen zufammengesuu
ten war; doch sie fiel leblos zurück und
jetzt erlannie er, daß das Leben aus
diesem armen Körper entslohen war.
»Wir sind am Ziel, mein Herr,«
sagte der Konduiteur, der wohl glau
ben mochte, die deiden gehörten u
sammen, »es thut mir leid, daß ie
Ihre Dame werten müssen. aber wir
fahren nicht weiten Sie müssen aus
steigen, wenn das Fräulein nicht Lust
hat, im Wagen zu fchlafen.«
»Sie wird bald im Grade schlafen,"
ries ihm der Künstler mit diiiterem
Ton zu, »sehen »Sie denn nicht« dasz ssc
todt ist-m
»Ach, Sie scherzen, aber das ist gar
nicht nett von Ihnen, mir sdem Tode
soll man niemals spaßen!"
»Ich habe nicht die geringste Luft
zu scherzen: ich sage Ihnen, diese Frau
ist kalt wie Marmor und nthmet nicht
mehr. Helft-n Sie mir, sie aus dein
Omnibug zu dringen, ich lann sie nicht
allein tragen.«
Nach diesen Worten entschlos-, sich
der Konduiteur, wieder in den Wagen
zu steigen, wo der Künstler das un
glückliche Kind noch immer hielt. Der
Kutscher smg ebenfalls hinein, und
alle drei kalten teine Mühe, den schwa- :
chen Körper fortzubringen Der
Wartesa«1! der Endstation roar nochj
nicht geschlossen, sie trugen sie hinein,
legten sie dort auf eine Bank und der
junge Mann hob mit zitternder band
den Schleier auf. der das Gesicht derl
Todten zur Dame bedeckte
»Es ist wahr, Sie haben recht, iie
ift todt,« murmelte Der Konduite-in
»Ich glaube, man hat sie -getödtet,«
ertlärie der große, braune Herr.
»Getöotet? warum nicht gar!« wie
derholte der Konduiteur, »man sieht
ja keinen Blutstropien.'«
»Sie ist höchstens achtzehn Jahre,
in diesem Alter stirbt man nicht so
plötzlich,« sagte der junge Mann.
«Sind Sie Arzt?«
»Nein, aber .
»Dann wissen Sie davon auch nicht
mehr als wir, und statt hier Reden-h
arten zu machen, sollten Sie lieber die
Polizei holen, mir tönnen im Bureau
ieine Lsiche behalten«
Jn demselben Augenblick erschienen
zwei Polizisten aus oem Bouleoardz
sie ließen sich den Fall erzählen.
»Der Herr behauptet, man hätte sie
im Omnihus ermordet,« ertliirte ver
Konduiteur.
»Das behaupte ich durchaus nicht,«
erwiderte der Künstler, »ich ertliire
nur« daß mir dieser Todesfall iehr
mertwiiroig vorkommt, ich saß diesem
armen Mädchen gegenüber uno . . .'«
»Nun, Sie werden morgen zum
Kommissar berufen werden und dort
können Sie sagen, was Sie wisse.1.
Nenen Sie mir Jhren Namen«
»Paul Freneuie, ich bin Maler und
wohne in dem großen Hause, das Sie
oon hier aus sehen können. Uebrigen- !
iit hier meine Karte.«
»Das genügt, mein Herr. Der l
Kommissar wird Sie morgen frühl
oerhsörem doch hier können Sie jetzt;
nicht bleiben. Das Bnreau wird ge- i
schlossen nnd inzwischen werden wir-s
eine Bahre holen lassen. f
»Sie bedürfen meiner nicht mehr?«
fragte Freneuse, uno wandte sich, al
der Beamte seine Frage mit »nein!«
heantroortete, seiner Wohnung zu, die
in der Nähe lan. Doch er hatte nochi
keine drei Schritt gemacht, als er sich
erinnerte, seinen Stock im Wagen zu
rückgelassen zu haben.
Dieser Stock war ein Andenten, das
ihm ein Freund, ein Marine-Offizier,
aus China mitgebracht, und er ver
mißt ihn ungern. Der Omnibus war
da, er stieg hinein und da es stott
kin er war, so siindete er ein Streich- ’
holz an, irrn nicht im Dunkeln herum- ;
tappen zujciissen «jDer Stock wsparl
«
i
i
Ull!ck Oic Bslll gkloul UND Cis ck sich
bückte, um ihn aufzuheben, bemerkte er
ein Stück Papier, das ebenfalls her
unteraesallen mar, und eine vergoldeie
Rahel, wie sie Damen zum Feststecken
ihrer Hüte benutzen. »Sieh, sieh,"
murmelte er, »die arme Todte hat dies
hier verloren, so bleibt mir doch wenig
stens etwas-I von ihr.«
Paul Freneuse hab das Papier, den
Stock und die Nabel aus« nahm den
Stock unter den Arm und steckte das
» apier und die Nadel in die Tasche
Eines Ueberziebers; dann stieg er
chnell aus dem Omnibug und ent
fernte sich. ohne den Raps zu wenden,
da er fürchtete, der Polizist tönnte ihn
noch einmal zurüdrusen. Paul F:e
neuse hatte Talent und eine Reihe lie
benswürdiger Eigenschaften, doch-g
fehlte ihm ein wenig an Festigteit in
seinen Ideen. Er begeisterte sich sey-;
leicht siir eine Sache, wurde aber eben
so schnell wieder talt, stürzte sich in die
erwagtesten Vermutbungem bald aber
ward et müde. diesen Cbimiiren nach
zuhgny und dachte dann nat noch an
seine Kunst, seine Arbeiten und auch
ein wenig an seine Vergnünungem ob
gleich er ein ziemlich regelmäßiges Le
ben siibrte.
Er war aus demWege nach seiner
Wohnung beizrissen und ging immer
germani, a s er vor einein Case in
der Nähe der Rue Piaalle einen seiner
z rennt-e bemerkte, eben alle einen
i nstien der vor einein eren Glase
i « nnd bereits eine Menge von
nebe- iicke Mes- bsttt« vie ee
augenscheinlich im Laufe des Abends
nertrth hatte. Der Künstler entschlos
sich, enzutreteiy denn er wußte web ,
wenn er sich einsallen ließe, weiter zu
gehen, so wiirde sein Freund Binos
ibm sicherlich nachlausen.
Er hieß Binos, dieser Bierliebbaber,
und war ein mittelmäßiger Künstler,
aber ein angedeutet Schwätzer. der sich
mit allem beschästi te, nur nicht mit
Malen, obwohl er stets zwei bis drei
Gemälde in der Arbeit hatte; dabei
war er aber der beste Mensch von Ie:
Weit, der dienstfertigste, uneigen
niitiiasie Freund und cin amiisaniet
Gesellschafter.
»Da bist du ja,« rief ihm Binos zu,
»ich bin dir den ganzen Abend nach
gelaufen, wo kommst du denn her?«
»Aus einem etwas entlegenen Vier
tei, ich habe bei einem meiner Vettern
dinirt, der ziemlich weit von bier
wohnt. Unterwegs st mir im Omni:
bus eine seltsame Geschichte passirt.«
»Nun, was? Der Konduitenr er
zählt siins bis sechs Leuten, die sich
vor der Thiir des Buteaus versam
melt haben, eine Geschichte!«
»Es liegt eine Todte in diesem Bu
reau . . . ein entzückendes junges Mäd
chen, das die Fahrt mit mir zusam
men gemacht hat, zuerst mir gegenüber
und dann neben mir.« »
»Hm sie etwa in deinen Armen ibre
Seele ausgehaucht?« fragte Binosi
lachend.
»So ziemlich, und niemand bat be
merkt, daß sie starb.« . «
»Was etziihlst du mir denn da für ;
Geschichten?« i
»Ich erzähle dir die reine Wabrheii; s
die Geschichte ist höchst merkwürdicns
sogar so nierlwiirdia. daß ich einen
Augenblick geglaubt habe, dieser Tod I
miss- niebt natijtlich.«
»Die Sache ist also geheimnisvolle
Das interessirt mich! Jch bin eigentlich
zum Polizisten geboren, und ich glau
de, ich könnte mit dem pfiffigsten Kri
minalisten lonlurrieren. Also sei so
freundlich, erzähle mir die Geschichte;
ich werde dir rneine Ansicht mittheilen,
sobald ich die Thatsachen tenne.·'
»Die Thatsachen? Es sind ja gar
ieine vorhanden. Die Sache hat sich
höchst einfach abgespieli. Als ich den
Omnibus ans dem Bouledard St.
Germain bestieg, saß die junge Person
schon im Wagen. Jch fah, das-, sie
Zijhsch war, und habe ihr gegenüber
Platz genommen. Eine dicke Frau saß
zu ihrer Rechten, ein alter Herr zu
ihrer Linien. Das heißt, wenn ich
sage: ein alter Herr, so ist das nicht so
genau zu nehmen; er sah aus, wie ein
alter Tarni-our der Na:ionalgarde.«
»Aha, der Mann ist schon verdäch
ti l«
»Verdächtig oder nicht —- jedenfalls
hat er vor der Abfahrt des Oknnibus
seinen Platz einer Dame abgetreien, die
sich etwas derspiitet hatte. Diese
Dame war sehr elegant gekleidet und
durchaus nicht häßlich, soviel ich durch
ihren Schleier hernerlen lonnte.'«
»Wenn sie ihn nicht gelüstet hat« sc
hatte sie dazu jedenfalls ihren guten
Grund. Und du sagst, sie hat die Höf
lichkeit des eben von dir beschriebenen
Jndividuums so ohne weiteres ange
nommen? Weißt du, was das bedeu
tet? Daß sie sich lannten und daß die
Sache von vornherein zwischen ihnen
ahgelartet war! Der Mann hütete den
Platz und die Frau hat ihn eingenom
men, und sie hat auch den Streich aus
geführt!«
»Aber von einein Streich ist ja gar
nicht die Rede.« rief Freneuse.
»Das glaubst du, weil du nichts ge
sehen hast,« sagte Binos, der seine
Idee mit unerschiitterlicher hartnäckig
leit verfolgte, »ich erkläre dir noch ein
mal, dieser Platzwechsel ist nicht na
türlich. Jetzt habe ich eine Basis, und
das genügt mir: fahre sort. Es war
der letzte Wagen, nicht wahrs«
»Ja.
»Ein Grund Mr, daß der Mann
nicht abstieg; wenn er geblieben ist, so
sthat er das nur, weil er gar leine Lust
hatt-- abmiabren.«
»Aber er ist ja auf dis Deck herauf
geiletteri!«
»Bei dieser Kälte? aha, auch das
hat seinen Grund, er hat sich da oben
niedergelassen, weil er sich überzeugen
wollte, ob seine Kompliin den Streich
richiia ausführte.«
,,Duechaus nicht, der Mann ifi vor
der Rue de in Balle ausgestiegen und
die Frau ein wenig weiter, an der
Ecke dieser Straße.«
»Das heißt: eine Minute nachher-;
sie werden sich wohl bald wieder getrof
fen haben. Jch bin überzeugt, daß der
Mann beim Absteiaen einen Augen
blick auf dem Trittbre:t stehen blieb,
damit die Frau sehen sollte, daß et ab
-ftieg.«
H »Nein, das nicht. aber ich habe be
» meeit..
«Waä?·« " ;
JDaß der Mann, be vor ee das Dsck
verließ, drei- bis viermal so heftig mit
dein Fuße austrat, daß es jeder im Jn
neen des Wagens gehört haben muß«
»Nun, das war das Signal.«
»Ich gestehe, daß auch ich diesen Ge
danken hatte.««
»Du siehst wohl, daß du auch Ber
dacht auf diese Leute geworfen basi;
leider hast du nur nicht den Muth dei
ner Meinugenf
,,.Und du gehst viel u weit, wenn du
eine Idee einmal ers t hast. Jchw
die ia zugeben, daß die Leute vielleicht
miteinander bekannt waren, aber trot
dein bin ich iefi Metze-sah daß sie die
Ungliickliche nicht getödtet habe-If
W
.Uoher weißt dn doti« »
»Ich glaube wenig-ens. daß sie ihn
nicht kannte, denn sie hat ihrn nicht die
Ehre erwiesen, sie anzusehen, und ich
möchte sogar annehmen, daß der Mann
hoffte, die Dame würde ihn fiir seine
Liedenswiirdigteit bei der Aniunst do
durch belohnen, daß sie sich ein Stück
Weges von ihm begleiten ließ; denn
beim Einsteigen hatie sie sich die band
drücken lassen.«
»Jenmer besser, ich habe jetzt nicht.
mehr den Schatten eines Zweifels.
jiDieser Händedruck bedeutete: Töote
, ie." v » -
) »Ah, du bist ja verrückt Wenn ichs
itir doch sage, daß sich während der;
; Fahrt nicht dasGerinaste ereignet ha:."
; »Nun, das Mädchen, das jetzt todtz
»ist, war doch lebendig, als es in deni
; Wagen trat, nicht wahr?" i
»Gewiß war sie lebendig. Sie trug
»«·«uch einen Schleier, doch ihre Augen
: glänzten durch diesen Schleier wie zwei
schwarze Diamanten.«
»Gut, und als man ain Ziele ankam,
waren sie erloschen.« s
»Ich hatte es im Augenblick bemerkt,
alo wir auf dem Haiteplatze der Place
Vigalle ankamen. Sie stützte seit einem
Augenblick ihren Kon aus meine
Schulter, und ich bildete mir ein, sie
schliefe. Jch wollte sie wecken und. . .«
»Wie, auf deiner Schulter? Du
saßest also neben ihr? ich glaubte, du
hättest ihr gegenüber gesessen?"
»Die verschleierte Dame, welche ihre
Nachbarin auf der linlen Seite war,
hielt sie seit demPont-Neus und dachtej
ebenso wie ich, daß sie schliese. Als
diese Dame in der Rue de la Balle
ausstieg, bat sie mich, ihre Stelle ein
zunehmen. Der Platz zu ihrer Rechten
war frei, ich habe ihn eingenommen
und die Dame legte mir daß junge
Mädchen in die Arme.«
»Und du hast diesen Schlummer,
den nichts unterbrach, nicht wunderbar
gesunden? Paul, mein Junge, du hist
ja ein sehr talentdoller Maler, aber
Deine Naioetiit übersteigt alle Gren
zen.«
,,— ch gebe es dir ja zu und doch . . .«
» ie Dame wußte sehr wohl, dasz
sie dir einen Leichnam anvertraute,
und stiitzte ihn nur, um ihn am Fallen
zu hindern. Das ist ein ftartes Stück,
das sie da ausgeführt hat und Je
konnte dir damit einen recht schlechien
Streich spielen.«
»Sage mir einmal,« fuhr Binde
iori, »hat"man dich nach deinem Na
men gefragt? und hast du ihn angege
ben?«
»Gewiß, warum hätte ich es nicht
sollen? Uebrigens ging es auch gar
nicht anders.k·
»Das ist allerdings wahr-,- denn hät
test du dich geweigert, ihn zu nennen.
so hättest du dich verdächtig gemacht.«
»Du hist oerriicktz morgen wirst dzi
in den Zeitungen leusen, daß ein jun-·
gLe Mädchen plötzlich im Omnibusse
gestorben ist, und übermorgen wird
nicht mehr die Rede davon sein!«
»Nun, wenn sich das Publitusn
nicht mehr damit beschäftigt, so werde
ich es thun.«' «
Gortsetzung solgi.)
-«"- gereiht-nd gegen Zweibein.
Die russisch-iranziisis e Antwort
auf das anglo-japanis« e Bündniiz
iautet genau so, wie man es nach den
bisherigen Aeußerungen der russischen
und französischen Presse zu erwarten
hatte. Die beiden Alliirien freuen sich,
daß England und Japan sich auch nun
so osien sür die Unverletzbarteit chine
sischen Gebietes ausgesprochen haben,
die ihnen so sehr am Herzen liegt.
Wenn nun die vier Mächte einig sind,
werden auch die übrigen den Frieden
des lfdinnnliseiien Reiches nicht stören
dann ist der status quo gesichert und
die offene Thür frei fiir Alle. Freilich,
wenn dieser Friede doch bedroht wer
den sollte, werden die beiden Mächte
gezwungen sein, ihre Interessen zu
wahren. Das heißt also, daß
sie den Vertrag in derselben Weise be
antworten werden, wie er gemeint ist.
Bindet naland allein oder Japan niit
Rußlan an, wird dieses dem Gegner
allein gegeniiberireten, kommen aber
alle beide, nun dann geben auch Nuß
1and und Frankreich zusammen, dann
wird die russisch-ftanzösiiche Alliari
im asiatischen Osten die Feuertauie
erhalten. Bisher sind die beiden
Mächte dort ihre eigenen Weqe gegan
genaindwerden dieselben, bis aus die
eintretende Eventualität, auch weiter
verfolgen, Rußland in der Mandschu
rei, Franlreieb im südlichen China,
dabei aber mit arößter Gewissenhaftig
teit die Spieaelfeelsterei kon der Inte
dritiit chinesischen Gebietes aufrechter
kalten. Ruszland denkt nicht daran.
seine in der Mandschurei gewonnene
Stellung wieder aufzugeben und
Frankreich könnte infolge der in der
südchinesischen Prroinz Kuangsi aus
aebrochenen Unruben an der Grenze
von Tonlin gezwungen sein, »sein
Interessen zu wahren«, das heißt die
elben durch eine Gebietserweiterung
sicherer zu stellen.
Russland bat übrigens außer dieier
aemeinlchastlichen Note noch eine an
dere Antwort gegeben, nämlich durch
eine Vereinbaruna mit Korea, wonach
fremde Möchte an der Festsetzung ini
Süden der Halbinsel verhindert wer
den. Es hat sich mit Korea dahin ge
einiat, daß die Jnsels Kotschedo, oder
Konnt-do, sowie die argenitberlieaende
Rüste bis Chemulpo weder einem
JStaate. noch einer Gesellschaft, noch
einer einzelnen Person verpachtet oder
litt-erlassen werden soll. Die Bedeu
ltuna des Abt-aiment zieht sofort aus
der , aeotnfchengap Lage Kotschedos
hervor. ie Insel liegt an der Straße
von Korea, an der Südostliiste der
Halbinsel. Eine Grosmacht, die sie in
Besitz nimmt. kann sie leicht derart be
fti en, daß see zur Basis der Herr
chat iiber die Straer wird. Der
Werth Kotschedog wird dadurch ganz
besdnders erhöht, daß es zahlreiche
Buchten besetzt, in denen große Flotte-r
Mit voller Sicherheit ankern können.
Unter diesen Umständen ist es natür
lich, daß Japan ebenso wie Nußland
seit langer Zeit den Besitz der Jnsel er
strebten. Rußland kam -s darauf an.
die Verbindung zwischen Wtadiwoftok
und Port Artbur nicht unterbrochen
zu sehen, was leicht geschehen könnte-,
wenn die Jnsel in japanische Hänoe
fiele. Für Japan war es nicht minder
michtia. Kotschedo den Rassen nicht zu
überlassen, denn wenn diese in Zutunft
eine Stützpuntt fiir ihre Kriegsschifse
in der Straße von Korea besitzen, ist
der Ausdehnnna Japans auf das Fest
land ein Riegel voracschoben. Erhält
es daaraen selbst die Insel, so wäre
feine Stellung umsomehr befestigt, als
die Hafen von Tojosaii und Saseho
nnr 50 bezw. 135 englische Meilen vosi
Kotschedo entfernt sind. Japan würde
damit eine sichere Verbindung w:c
Korea gewonnen l:aben.
Der Werth des Ablonimens fiir das
Zarenreich wird dadurch nicht abge
schwächt, daß es selbst ebenfalls desn
Besitztbeile Kotschedos entsagt. Zu
nächst wünscht es nnr den ungehinder
ten Verkehr zwischen feinen Kriegs
biifen diesseits und jenseits der Halb
insel Korea. Sodann aber muß sein
Ansehen in Stint bedeutend steiqen.
Enaland und Japan hatten in ihrem
Oft-kommen nllnshinnä mit-b von der
Erhaltung der territorialen Unab
biingigleit Koreas gesprochen: aber
das war in allgemeinen Wendungen
geschehen und aestatiete immerhinAus
:egungen. Russland dagegen betont
bestimmt, daß die Erwerbung der
wichtigen Insel o":er eines Hasens an
der benachbarten Küste nicht zugeben
ioirdj es erscheint demnach als der
.,Schiitzer« Korea-L dessen-Herrscher
nun sich voraussichtlith dankbar erwei
Fen wird. Rußland wird dadurch die
Möglichkeit gewinnen, von der Land
arenze her seinen Einfluß auf der
Halbinsel auch nbne Landerwerbungen
zu dem entscheidenden zu machen.
- ———-·-.-.---s
Ein Geichichtchen Von Schiller aus
der Zeit, die er in der Karlsschule ver
brachte, wird in »Neclarn’s Univer
sum« nach den Erinnerungen eines ehe
maligen Karlsschiilers wiedererzählt;
es ist bis jetzt wohl wenia bekannt ge
worden. Eines Tages las der junge
Dichter einigen seiner Collegen ge
rade in echt dramatischern Feuer ein
paar Scenen "aus feinen »Riiubern«
dar, als plötzlich der Hauptmann
Schmeckenbecher mitten im Zimmer
stand. Wegen der ungebührlichen Art
der Unterhaltung erhielt die ganze Ge
sellschaft einen Verweis, und Schiller
larn dabei natürlich arn ichlechteften
weg. Als der Hauptmann darauf das
Zimmer verließ, fuhr dem jungenDich
ter, der leicht gereizt war, das Wort
heraus: »So einen Hauptmann, den
tchnitz’ ich aus einer elben Rübe!«
Der so schmeichelhaste haralterisirte
that zwar, als hätte er nichts gehört,
aber ihm war die Bemerkung doch
nicht entgangen, und wenige inu
ten später war ein Bericht an den Her
zog fertig.
Arn anderen Morgen mußten die
Schüler in Reih und Glied antreten,
und der herzog erschien. Nachdem er
sie eine Zeit lang gernustert, wurde
Schiller vorgerusen. »hat Er gesagt,«
fuhr» ihn der herzog an, »daß Er sich
soernen Hauptmann aus einer gelben
Rubeschnitzen kanni« Schiller wurde
feuerroth, gestand aber das Verbrechen
zu. »So« — suhr der Gewaltige sokt
k- »dann wird Er jetzt zeigen, daß
ers rann, oder Er aeht acht Tage in
Arrest. Schmeclenbecher —— lafz Er die
gelbe Riibe und einMeffer holen.« Nach
einer Weile war das Gewünfchte da
und der her-zog trat dicht an den Ver-«
brecher heran. »Jetzt mach’ Er fchnell
und fchnitz’ Er uns einen herausz«
Schiller hatte die Rübe genommen
und plötzlich tam es über ihn, als
müßte ein Gott ihm auch jetzt beifte
heu. Er faßte das Messer, fein bleich
gewordenes Gesicht röthete sich wieder, -
«eine Augen blitzten und ungeltiin
fing er an ver Rübe zu fchnitzen an.
Die Folge war, daß je t der Herzog
plötzlich ein verlegenes esicht machte
und, sich zu feinem Adjutanten wen
dend, halblaut in die Worte ausbrach:
»Der verfluchte Kerl fchniht uns viel
leicht wirklich den Schmeckenbecher.«
Die Befürchtung war aber grunbloc.«’,
Schiller gab die vergebliche Arbeit als
bald wieder auf, und noch an Eisfel
ben Tage wanderte er in den Arrest
Jn einem Lande, in welchem vie
Sonne nicht untergehn ist es nicht zu
verwundern, daß sie auch nicht auf
geht.
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Die Burenfcheinen aefanaene Eng
länder als uberfliifsige »Bagage« zu
betrachten.
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Der Saugarm eines Vielen-Otto
pus tit bei Hanolulu an's Land ge
«Die Amen-Wassersucht ift eine chro
mlche Kranlhett be unseren großen
Korporationen
II U I
Die Hausfrau, welche, um einen
rechtfchiinen Oft-thut vorn Manne ’zu
bekommen, ihn, den Gatten, bei guter
Laune halten will. follte das große
Jst-XIV Uwa verfchieben,