Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, January 03, 1902, Sonntags-Blatt, Image 9

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    W
s
- - sit ;
Der neue Tag.
Von A. aniniL
— Er hatte mit dem Leben abgeschlos
sen. Noch diesen vergnügten Abend im
Kreise seiner Freunde ---— nnd nun den
Strich unter die Rechnung gemacht«
Pati! —- tdad war das ganze Lebens
Ein Possenspiel «- nichtg weiter?
Wenn man’s satt hatte. fand sich ja
eine mitleidige Kugel. Die Triedtraft
im ganzen Dasein, das einzig Werth
volle war das Geld. Armseligste aller
Kreatur-en, die die nöthigste Daseins-:
bedingung entbehren mußte! Er nsar
nicht gewöhnt, die Pfennige umzu:
drehen! Sein ganzes Vermögen war
dahin, durch den Zusammenbruch der
Bant verloren. Die hundertundiiinf
zig Mart, die ihm seine Stellung ake
Kaufmann, da man doch einmat eine
Beschäftigung haben mußte, monatlich
einhrachten, langten ja kaum fiir
Handschuhe nnd Cigarren Lohnte es
sich, zu leben-? Nein, und tausendmal
nein! Er trat ab von der Bühne des
Leben-! Ein letzter lustiger Abend,
ein kräftiger Schluck Seit, eine Kugel
in die Schläfe — die Posse war zu
Ende! Es war Alle-J gut vorbereitet
daheim. Die Briese geschrieben, ein
Cduvert mit dem klingenden Inhalt
und der Ausschrift: »Für mein Be
gräbniß!« laa bereit. Sogar der Seit
war da. Aus dem Schreibtische stan
den zwei Leuchter mit weißen Kerzen,
dazwischen das Etui mit der Waffe. .
Ortentlich feierlich hatte es ausge:
sehen.
Gedankenvoll schritt Kurt dahin.
Fast unbemerkt hatte er die Straßen
der Grdsistadt verlassen nnd seine
Schritte in’5" Freie gelentt. Noch ein
mal mollte er draußen im Grünen
wandeln, noch- einmal den Mondschein
genießen.... Die Sonne würde ihn
morgen nicht mehr unter den Lebenden
finden. Nur nicht sentimental werden«
alter Junge!
Plötzlich fielen seine Blicke asf eine
vor ihm her schreitende FrauenggestalL
Wo war sie hergekommen? Er hatte es
nicht beachtet. Sie ging lanzsam un
ter der Last eines anscheinend schwe
ren Baute-, das sie trug. lieber die
flatternden Haare war ein leichtesTuch
gebunden. Der Herbstwind zerrte an
ihrem Kleide und ließ die feinen Li
nien ihrer Gestalt erkennen. Sein
Interesse wurde reac. Er beschleuniate
eine Schritte. Zwischen dem zerrisse
nen Gewölk kam der Mond hervor.
Die Fremde wandte das Gesicht zur
Seite; Kurt erhaschte im Fluge ein
anmuthiges Profil, ein sanftgerunde:
tes Kinn. Die Frau trug ein Kind
auf dem Arm. Hollah, so viel verstand
Kurt doch auch von der Kindererzie
hung, daß man ein so kleines zartes
Wesen nicht in stiirmiichen Herbstnäch
ten spazieren trägt. Hier hieß es auf
passen.
Die Frau schritt dicht am Flußufer
dahin. Die Mondstrahlen malten sich
in dem zitternden Wasserspieael. War
das vielleicht das Ziel der Einsaman
Plötzlich war sie verschwunden, als
hätte sie die Erde verschliictt. sturt
strich sich über die Augen; hatte seine
erregte Phantasie ihn genarrtk lfr
hatte sie doch eben leibhaftig gesehen.
Aha, hier ging eine schmale Stein
treppe hinunter zum Flusse. Er stieg
hinab. Da stand die Frau. Ein tiefer
Seufzer verzitterle eben in der Luft,
das feine Gesicht hatte sie in unbewuß
tem Grauen halb abgewendet. Schon
hatte Kurt sie am Arme erfaßt.
»Um Gottegwillen, wag wollen Sie
thun t«
Erschrocken war die Frau zufam
mengezuckt·
»Ach lassen Sie mich!«
Die Stimme war müde, fchmerz
bewegt. »
»Kommen Sie, Sie find noch to
jung, und die Welt ist groß und hat
Platz fiir uns Alle.«
Er hatte den Arm um sie gelegt und
fiihete sie sanft und sorgsam die Stu
fen empor.
»Wer wird denn gleich vertagen-Z
Wenn morgen die Sonne scheint, hat
dass Leben ein anderes Gesicht«
War das Derselbe Kurt, Der mit
dem Leben abgeschlossen hatte-? this
oen daheim die Kugel wartete f«
Er sprach sanft und giitig auf Die
Frau ein. Die Worte flogen ihm zu.
Ein tiefes Erbarmen bitte ihn erfasst.
Die Frau schritt zitternd neben ihm. »
Er bemerkte. wie Die Kräfte si ostrlicsxen
und nahm ihr das Kind ad. Sorg
satn stützte er sie mit dein anoeren
Arme. Eine Droschke kam lterange
rollt; Rurt gab dem Kutscher ein Zei
chen. Dann trat er mit abgezogenenk
Hut an den Wagenschlag ifin alter
Herr beugte sich aus dem Fenster.
»Ich bitte um Verzeihung« sagte
Kurt, »das-, ich unbekannter Weise
Ihre Güte in Anspruch nehme, mein
Herr. Diese Dame ist plötzlich er
krankt; es ist ihr unmöglich, ihrenWeg
zu Fuß weiter fortzusetzen . .
Der herr hatte schon die Thür ge
Zfsnet und stie aus.
»Ich bitte se r; der Wagen steht zu
Ihrer Verfügung«
Er half selbst der vollständig Er
schöpsten in den Wagen. Kurt nannte
seinen Namen.
»Sie verpslichten mich zu größtem
Danke!«
»Schon gut, schon gut!« brummte
der Weißbärtige, »wir thut ohnehin
eint kleiner Spaziergang noch ganz
gtt .« ;
Kuri ries dem Kutscher seine Adresse
u und der Wagen rasselte über das
slaster.
Sonntags Blatt
Beilage des ,,Nelirask a Staats- Anzeiger und Hero l.d«
J. P. ijudolpl), Herausgehen Mund JSlnuiV Nebe» den :-. Feuc. 1902 Jahrgang 22 No. is
«-Eie find sa aut,« sprach die Frau
mit bebender Stimme, doch er bat sie,
sich nicht zu erregen. ;
Schweigend lehnte sie in der Wagen !
erle. Als sie durch belebtere Straßen
fuhren, fah Kurt beim Scheine verein
lseit brennender Laternen große Thra
nen über die Wangen seiner Fahrtge
nossin rollen. «
Der Wagen hielt. liiurt führte die
Frau, das Kind aus dem Arme, in
seine elegant eingerichtete Junggesel
lenwohnung. Als er den Leuchter aus
dem Schreibtische anzünde e, fiel sein
Blick auf die Briefe, das Kästchen mit
der Wasse, den Seki . . .
»Lächerliche Komödie« murcnelte er
zwischen den Zähnen. Doch halt, der
Seit . . . er wiirdc der Erschöpsten
gut thun. Er entkorite die Flasche
und reichte der Frau das Glas. Sie
nippte, er redete ihr zu, wie einein
tranken Kinde. Langsam kam etwas
Farbe in ihre Wangen. Dann nahm
er das Kind von ihrem Arm. Es war
ein ungefähr ein Jahr altes Bübchen,
ein schönes, rosiges Rind. Fest war
der Kleine in warme Tücher verpactt.
Kurt sah es, und tiefe Rührung be
mächtigte sich seiner. O Mutterliebe,
bis zum letzten Athenizuge um den
Liebling besorgt! Selbst aus dem To
degwege sollte das runde, warme Kör
perchen kein kalter Lufthauch treffen!
Das Kind sing leise an zu weinen.
»Was ist Z« wandte er sich besorgt
an die Frau.
»Wenn ein wenig Milch da tviirex er
hat Hunger,« entgegnete diese.
»Hollah, Frau Keller! Aufstehen,
Milch wärmen fiir das Kindl« weckte
er feine Wirthin.
»Besten Sie sich schlafen, Herr Wer-·
ner,« entgegnete diese, itn Glauben« der
Herr habe ein Räuschchen mit heimge
bracht
»Beste Frau steuer, e—:— in mein
Ernst: ich bringe Ihnen Einattartie
rung!«
Die Frau fing an zu ruinoren und
erschien bald im Zimmer ihres Logigs
herrn.
»Sorgen Sie für diese Dame und
das Kind. Morgen mit dein Frühe-s
sten bin ich wieder da.«
Er strich dem Kinde leicht über die
silberblonden Härchen, nickte der jun
gen Frau, die wie im Traume dasafs,,
freundlich zu, und verlies; das Zini
mer. Seine Wirthssrau folgte ihm.
»Ich bitte Zie, Herr Werner, wer
ist das süße Geschöpf mit dem Gold
tindchen?«
»Bit, Frau Keller, nur Ruhe und
nichts fragen . . . Vringen Sie die
Dame zu Bett, versorgen Sie dag
Rind, es soll Jhr Schaden nicht sein.«
Er zog den lleberiieher an. In der
! Brusttasche raschelte es. Es waren H
seine Adschiedgbriese und das Couoert i
mit dem Begräbniszgeld. Den Revol J
der hatte er verschlossen. I
Die Nacht brachte Fiurt in einem i
Hotel zu, doch fand er wenig Schlaf. (
Nun galt’g, zu arbeiten und zu sorgen.
Man rettet nicht zwei Menschen vom
Tode, tun sie von Neuem der Verlas
senheit und Verzweiflung zu überlas i
sen. Diese Geschöpfe waren nun fein s
i
und seiner Sorge anvertraut. Tau
send Gedanken durchireuzten feinOirn
Man konnte arbeiten, man tonnte
sparen, man konnte vorwärts kommen.
Er fühlte eine mächtige Schaffens-Z: «
kraft in sich. Das Wenige, wag von (
seinem Vermögen übrig geblieben war,
erschien ihm als ein großes Gut. Sein
Gehalt war auch nicht zu verachten. l
Wunderbar! Was ihm für sich allein !
l
zu wenig diintte, schien ihm nun aus-:
reichend inr Drei.
Noch vor Tageggrauen betrat er
seine Wohnung Aus Frau Keller’ö «
Küche drang der Geruch von frischem s
Staffee Sie kam so schnell, als es ihr ;
Brett-Zither störperumsang zuließ, her
l»ei.ieeilt, als sie ihn tommen hörte.
»Wie ist es aeqaiigen7« fragte er.
»Jetzt schlafen sie Beide prachtvoll.
TM- erst lonnte das Frauclten nicht
inr pttuhe kommen Vor einem hal
ben Jahre den Mann verloren nnd
ietzt bei der Baul die Paar Sparqu
schen, die ihr Leben sristeten. Arm
und schmach, ,iu stolz zum Betteln, zu
aewissenhast zum Borgen . . . Lieber I
Gott, das Herz könnte Einem zerbre
chen . . Sie seufzte ties aus.
Kurt betrat aus den Ftlßspitzen das
Zimmer. Da lagen in süßem Schlum
mer Mutter und Rind. Das zarte
Madonnengesicht der Mutter war rosig
überhaucht, es lag sast der leichte
Schimmer eines Lächelns um den
eichen Mund. Um des Kindes Schlä
Xa lräuselten sich die Löclchen Qurt
stand und schaute und konnte sich nicht
satt sehen. Ohne sein Datulommen
trieben jetzt Beide kalt und starr in dem
unsauberen Wasser des Großstadt
slusses. Der Gedanke durchschauerte
ihn. War’s möglich, daß auch er sein
Leben hatte von sich werfen wollen«-Z
Das Leben, das so unsiiglich reich und
aliicilich machen tonnte? Die-:- aotii
begnadete Leben, das itnn neraönnte,
zwei junge Seelen von Tod und Ver-:
derben zu erretten?
Erschüttert trat er an’5 Fenster. Der
ganze Himmel war goldrotb über
flammt. Die ersten Sonnenstrahlen
huschten über die Giebel und Dächer.
Kurt faltete stumm die Hände. Eine
tiefe Daseinsfreude, eine reine Glück
seligkeit durchfluthete ihn. Der neue
Tag brach an.
Honig limnintf
Eint- lnsitcre Geschichte ansti Bauern
Von A. M. August
Es war im Jahre 1876, als ich noch
Reisender einer Wein-Groß:.i)andluna
war und als solcher nach dem Fleckchen
»Schillinasfiirst« kam. Selbstredend
machten ioir mit großen Etablissei
mentsbesinern Geschäfte, aber die Her
ren Großgrundbesitzer und speciell
flotte Grasen Und Fürsten waren un:
sere Lieblingslnnden Jn Schwinge
fiirst sollte ich dem Grafen Ciodioig
Holzenlohe : Schillingsfiirst meine
Weinsorten zum Kaufe anbieten. Der
Graf war zu Hause, hatte aber diesen
Tag sehr viele Reichsgeschäfte tin er
ledigen, das-, er mich leider nicht em:
pfanaen konnte. Es schien dem alten
Herrn sehr leib zu thun, denn sein
Sohn Ernst wurde vom Papa beauf
tragt ihn persönlich zu entschuldigen.
Ernst eriediate sich seines Auftrags
ganz vortrefflich. Er blieb die iibrige
Zeit des Tages und des Abends bei
uns nnd tvnszte allerlei Allotria mit
uns zu treiben· Er stand ungefähr m
meinem Alter, dadurch wurer wir in
tini und befreunden Wir verlebten ej:
nen herrlichen Tag. Die Bürger Von
Schillinaifiirst uer Dohmbühl lrer
Eisenbahnsrationjs seiertenibr fährs
ulcv OUUUIWLTUUH uutuuruj was »w
an ein Weggehen nicht zu denken. Wir
stürzten uns mitten in den Strudel,
’nein.
Es war ein buntes Durcheinander,
ein fröhliches Leben und Treiben ohne
Ende, zumal-dass Wetter ein herrliches
war. Hunderte von Menschen hatt-k
fich eingefunden, um an dein Volksseste
regen Antheil zu nehmen, jeder hatte
seinen Spafz fiir sich, auch wir unsern
Illl in Masse. An Diesem Feste nah
nren außer rein Erbprinzen Ernst v.
Hohenlohesächillingssiirst, auch noch
der lKainmerdiener, Leibjägen Forst
Jnspecton Förster, töendarnserie
Wachtineifter, Bürgermeister, die ans
deren Honorationen der Behörden und
selbst die Eisenbahnbeaniten der Sta
tion Theil. Es war eine frohe Schaar
ein lustiges Völkchen bei einander, ja
faft wie in einer Familie. Wie mir
nun alle so in der gröfrten Luftb.rrleit
waren, erscheint plötzlich athemlosti Ver
Telegraphenbote mit einer Devesche in
der Hand, Die er seinen, sich nxitten im
Volke-hausen belustigten Chef, den
Herrn Bahnhofs Jnspector liber
bringt
Schnell öffnet der Herr Jnspector
die Deutsche, entsetzt springt er empor
und sagt nur die Worte: ,,.8’tönig
lommt mit dem nächsten Sitmellzuae«.
Diese paar Worte brachten eine heil
lose Verwirrung unter das- Voll und
Aller- lief treuz und der Quer Durch
einander. Der Bürgermeister eilte
nach Hause, um sich in vollen Wiehsz zu
schmeißen. Der Erbprinz lief-, seinen
hohen Vater durch Den Leibjöiger he
nachrichtigen Der Genoarmeries
Wachtmeister postirte sich auf Der tit
ienbabnstation. um allenfalls ein At
tentat ans Den stönit .1;t;::.tt»n:e;t.
Ter Herr Hatte-nennt legt-! seit-»- Hi:
ts. ilnisornt an nnd tmrrns neinntit
ans sen in tnrker Zeit eintreifsstt sa:
ienden Ertmetlztth Bnisi tttn Der
Fiirst tslodmiq Von Heisetttotse Zitnl
tinnxsåirst in seiner Zttutsti tut-witz
ntit Dem Leiitjiizier liesttnsjcsttnsz ihn
den lieben Lnttoegsiirsten ttmii seinen
Schloß in begleiten Mittlezwxsi.e hatte
sich die ganze Beoblterttng «itn Bahn
ttos versammelt, ganz utto gar eins mi
Fest vergessend, unt nur einen Btktt
aus das Gesicht Des tiönigz werfen jst
tötnten.
Schitlingssiirst ist ein tteineg Fleck
chen im Bayernlande, zwischen Crailgp
heim und Nürnberg tstation Dom
bühU gelegen, der Schnellzttg hält ttztr
Deßwegen dort att, weil es derstamttti
sit- dek Hohenlohe ist. Der Schnellzttg
tief mit der bekannten Pünttlichteit in
die Station ein, der Bürgermeister
schmiß sich in die Brust, sich seines
hohen Amtes und des vielleicht zukom
menden Orden-Z bewußt, der Herr
Bahnhoss : Jnspettor stand ehrerbie
tig zurück, tvartend auf den Schafsner«
der das Coupee I. Klasse öffnen sollte.
Die anze Volksmasse war bereit mit
den dorten aus den Lippen: Doch
dem König!«
Der Zug stand, der Schassner öff
nete mit Behendi teit die Coupees
und ries: »Dein «hl-Schillingssiirs«.
Nur ein Mann entstiea dem Zug «
und zwar ein ganz einfach augselr)ende
Mensch. Er trat direkt auf den mit
der rothen Dienftniiitze bereitstehendeu «
Herrn Bahnhofs - Jnspettor zu und,
beide Arme entqegenstrectend, ries er: f
,,Guten Abend lieber Herr oon . . .
mein Name ist Könia« Ein heiteres
Gelächter anstatt Der Hochruf erscholl
ooin Perron. Der Herr von Hohenlohe
mußte wohl oder übel abziehen und
der angetomrnene König konnte gar
nicht begreifen, was alle diese riesen
haften Ooationen bedeuten sollten.
Bald sollte es sich ausllären. Wie bei
den Sehern der Druckfehlerteufel oft
mals Entsetzliches leistet, so rief hier
der Telegraph eine wahre Explosion
unter einer Volksmasse hervor. Die
Geschichte endete mit der Absetzung des
Herrn Könige-.
Arn srohesten von allen war der
Herr Bürgermeister, daß er keine Rede
zu halten brauchte, er wäre heute ent
schieaen stecken geblieben. Auch war
sein abgeschabter Rock, feine vergilbte
weiße Weste und die bunte Kravattc
durchaus nicht hoffähig. Der Herr
Gendarnr und die Herren Förster aber
waren froh ihre Feegelparthie zu be
enden.
Herr König war zum Assistenten in
Nürnberg befördert worden uno wollse
gerne einmal seinem alten Freund,
dein Bahnhoss- Jnspector in Dom
biihl - Schillinggfiirst, einen Besuch
abstatten Er erhielt einen kurzen Ur
laub, nur um einige Stunden dort
verbleiben zu können Um seinen Ta
aesdienft in Nürnberg nicht zu versäu
men, fuhr er mit dem Abendfchnellzug
nach Dombiihl, so daß er mit dein
Früh-tun bereit-J in Nürnberg wieder
eintreffen konnte. Der Urlaub wurde
ihm kurz, ehe der Zug abging, ertheilt
und so lanr eg, daß er zum Telegrai
phen - Apparat lief und seinen Freund
in Dombühl benachrichtigte, daß eri
mit dem nächsten Schnellzua ihm eine -
Visite abstatten werde. Jn der Hitze
des Gefecht-H vergaß er feinen Vor
namen beizusetzen. Dadurch rief die
Depesche eine so große Verwirrung
hervor. Er hatte nur telearaphir::
-»Könia kommt mit dem nächsten
Zei)nellzug.'«
Selbst unser lieber Herr Bahnhofisv
Jnsoector hatte leine Almutta, daß sein
Jugendfreund Assiftent iu Nitrnbera
fei, er wähnte ihn immer noch in
München Da damali- ztijnia Ludidia ;
sehr viel im Lande herumreifte unds
oft unangemeldet wo hereingeschneti
lam, wurde diese Sache fiir ernst ge
nommen.
Das Vogelschießen hatte zwar fein
Ende erreicht, aber den ganzen Abend
und fast die halbe Nacht hindurch er
tönten, von den verschiedenen Stamm
tifchen Hoch ouf Hoch dem neuen
Htönim Diesem lieben Freund lam
doch der Spaß etwa-Z hoch zu stehen,
abgesehen von dem vielen Wein, den
er auffahren ließ, lostete ihm der te
learaphifche Fehler noch zuletzt feine
Zielltttta.
» - » »
Dir Paris-er Xraueultastillo
Tags lieriiluute lsttsfiiunuiiz Eaitu Tit-zart
tuird atsuebroitnu
Eine lurze Zeitungenotiz gab neu
lich bekannt, die französische Budget
commisston habe den Abbruch des
Frauenaefängnisses von St. Lazare
beschlossen. Diese wenigen Worte
fanden lebhaften Widerhall im Her
zen aller Pariserinnen, die wissen oder
wenigstens ahnen, was St. Lazare be
deutet, die einmal darüber nachge
dacht, daß auch sie mit den alten
Martern dieser Frauenbaftille Be
fsnsnbcktfmch snsnfxsn IFJUUOSII Haß Nivktf
His-, -· ·»»--» - , -.«
nur Schuld und Jerbrechen, sondern
ein Verdacht bereits-Z ein poli,eilicher
Mißgriff sie dorthin aus-liefert.
Eaint Lazare hat Drei Vlbtdeilunx
gen, die »Juaendlichen«, die entweder
zur Zwangserzielnlng eingeliefertoder
siir ein Be Jeden verurtheilt sind. Sie
bilden die lärniendste und schmerst «;u
behandelnde Abtbeilunsg der lsiesangess
neu. Nicht wenige sind erblich belastet,
stinder von Altoholikern, mit bösen
Neigungen behaftet, nnbotmästig ver
logen, lasterhaft. Manche, mit ibrem
niedergedrückten Schädel, den vor:
springenden Unterkiefern, den abste
henden Ohren tragen geradezu den
Verbrechertyvhug zur Schau.
Die »Juqendlichen« machen auch
am häufigsten Bekanntschaft mit den
Karzern von St. Lazare, wo sie in
Einzelhaft über ihre Verfehlung-en
nachdenken müssen. Die Zellen haben
jedoch nichts Schreckhastesx es sind
ziemlich geräumige Zimmer mit Feld
bett, Sessel, einem Oberlichtsenster
und geweißten Wänden.
Die zweite Section umfaßt die er
wachsenen Frauen, die irgend eines
Vergebens gegen das gemeineRecht an
getlagt oder überwiesen sind. Diese
Zwitternatur der Section 2 ist un
M,M. »W« .
aemein verderblich. Man wirft hiers
die Spreu mit dein Weizen zusam-(
men, die Angeklagten und die Schul- !
diaen. Ein ganz verhängnißvolleri
Mißgriff Man bedenke doch, daß!
unter den Angeklagten sich stets Uns«
schuloiae befinden, daß die Anlässe zur f
Beschuldigung allerverschiedenster Atti
sind, daß man hier eine Geschäftsfrau,
die Banterott machte, eine Marktfrau,
die eins iiber den Durst getrunken, eine
Händlerim die den Polizisten einen
Esel genannt, mit Frauen, die der
Hehlerei, schweren Diebstahl-L des
Mordeg angellaat sind, zusammen
wirft. Und diese erzwunaene Ge
meinschaft dauert nicht Tage, sondern
Wochen, Monate, so lange die Unter-s
suchungshaft währt.
Die Unschuldigen, Schuldigen nnd
bis zu zwei Monaten Bernrtheilten
sind sozufaaen alle in derselben Hürde
unteraebracht, die einen bewohnen ge
meinsame Säle, die anderen, Bemit
telten, können sich kleinere Gelasse lei
sten, in denen sie zu nur vier und fünf
haufen. Man nennt letzteres System
»la piftole«, wohl, weil früher für
Benutzung dieser kleineren Raume mo
natlich eine Pistole l10 Franken) ent
richtet wurden, während man heute
dieses Vorrecht täglich Pro Person mit
20 lsentimes bezahlt.
Man stelle sich jedoch eine Journa
listin, die unter Preßanklage steht, vor,
eine Frau der Gesellschaft, die wegen
Ehebruchs anaetlaat ist, ein junges
Mädchen. das im Bon Marche einen
Meter Band stahl, und die mit der
weiblichen Hefe Frankreichs mit Ge
innl1nbpiiahiisbinnpn mit den Imm)
waschenen Gevatterinnen des Fau
bourg St. Autoine, den in alle Schli
che eingeweihten schweren Verbrecherin:
neu in täglicher Berührung sind!
Obgleich das Sprechen möglichst be
schränlt wird, finden die Gefangenen
dennoch die Mittel, mit einander zu
verkehren, man flüstert, rannt, schreibt
sich Briefchen, nnd Nachts in den
Schlafzimmern, die zum Theil sehr
eng und unaeniigend sind, findet sich
stets eine Scheherezade des Lasters-um
ihre Heldenthaien zu erzählen und die
Unschuldigen, die weniger zu erzählen
und die llnfchuldigen, die wenigerVer
dorbenen mit in den Abgrund zu rei
s;en.
lfs ist ein öffenilichess Gehe i!unis3,
das-, newisse matten ihre Einkerterung
in Et. Laiare benutzen, um unter den
Junaen, Hiibscheih Leichtsinnigen ih
rer Genossinnen neue Retruten siir das
Laster anzuwerben
Nicht genua mit diesen Zchrecknissen
hat man Zi. Latare noch mit einer
dritten Section belastet, die sein übles
Renommee vollendet. Man interniert
dort alle Frauen, welche in die Netze
der Sittenpolizei gefallen. Wie in ie
der grossen Stadt, sind diese Opfer
äußerst zahlreich.
In Bezua aus diese Polizeigesangei
nen verdient St. Lazare vor allem den
Nennen einer Frauenbasiille Denn
das Gesetz giebt absolut keine Hand-«
habe siir ihre Gefangennahme, es sei
denn, daf; sie öffentlichen Skandal
veranlaßt, die Polizisten beleidigt und
sich zur Wehr gesetzt haben. Von den
Polizisten aufgegtisfen, werden sie von
einein Polizeibeamten « nicht etwa ei
nem Richter — verhört, haben keinen
Vertheidiger, können keinen Zeugen
ihr-er Unschuld citiren, auf alle Fälle
nach Et. Lazare geschickt.
Recht und Gesetz haben nichts dabei
zu suchen, alles- geschieht nach polizei
licher Willkür. nach Belieben. In der
Hand jenes einen, unverantwortlichen
Beamten liegt das Schicksal von tau
senden französischer Frauen.
Wer einmal in der Section k-; von
St. Lazare war, pflegt öfter wiederzu
kommen. Den Ziammgästen erscheint
der Aufenthalt zuletzt nicht mehr so
fürchterlich Manch eine, wenn der
Winter naht und der Beutel schlaff
ist, sagt sich: »Ich will mich aufmachen
nach meinem Ritteraut von St. Laza
fo« nnd Ha Links sind chfossonkosc TIÆ
festnehinen zu lassen.
St. Lazare mar, wie sein Name
andeutet, ein Lazaristenildster, nnd
bier bat seiner Zeit der edle Vincenz
von Panla gewohnt, der die Findu
biiuser in Frankreich schuf. Später
diente das Kloster als Gefängniß fijr
leichtsinnige, junge Adlige, die bei
Lebzeiten ihrer Erzeuger die Titel und
Renten bereits- borwegnahmen und ihr
einst zu erwartendes Patrimoninm
verschleuderten. Seit 1794 ward St.
Lazare ein Franengefängniß, in dem
man, auch sogar im nneren Dienste,
Männer und daneben nur weibliche
Wärterinnen verwandte. Seit 1830
sind die Männer aus die Außenposten,
z. B. des Thijrivarts, beschränkt.
Die Jahrhunderte, welche aus die
sem sorgenvollen Bau lasten, tragen
nicht gerade dazu bei, ihn in hygieni
scher Beziehung enipsehlenswerth zu
machen. An diese Steine heftet sich
i, auch manch blutige geschichtliche Erin
nerung: hier war der Poet Andre C -
nier eingekertert, hier haben die O er J
der Schreckensherrschaft gezittert, dis
Hijfe von St. Lazare haben Blut ges
trunken; unter ihren Fliesen liegen
Leichen.
Mit grauer Regelmiißigkeit rollt ein «
Tag wie der andere in St Lazare vor
über. Gewöhnlich sind in allen 8
Sectionen an 900 Gefangene vereinigt.
Um zs Uhr im Sommer, um 7 Uhr F
im Winter stehen die Gesunden auf,ci
machen eine kurze Toilette, verrichten «
ein turzes Gebet, essen eine Suppe und
gehen an die Arbeit, die sie in mehre-’
ren Werkstätten Verrichten, und die
fast ausschließlich in Näharbeit besteht. «
Um 12 Uhr giebt es Mittagbrot, dann
eine Stunde Freizeit, wieder Werkstät
tenarbeit, um 5 Uhr das Abendessen,
wieder eine Stunde Freizeit, Gebet
und 1.1n zit, 8 Uhr heißt es zu Bett
gehen.
Eine nicht gerade aufregende Ta
aegeintheiliina. Auch der Speisezettel
enthält keine großen Ueberraschungenrf
zweimal wöchentlich Rindfleisch, sonst;
Erbsen, Reiz-, Bohnen, Brot und?
Wasser. Doch verfügen die Gefange
nen über die Möglichkeit, ihre Lage zu
verbessern. Sie arbeiten, und ihre
Arbeit wird bezahlt. Die Hälfte des i
Verdienstes fällt dem Unternehmer zu, -
der das Material zu liefern, die Werk- .
stritten zu heizen nnd erleuchten hat,
der Rest aehört den Gefangenen, die
allwöchentlich einen Theil des Verdien
stes aus-gezahlt erhalten, das übrige
jedoch ansammeln lassen müssen, um
beim Verlassen des Gefängnisse-s nicht
völlia mittellog dazustehen .
Weil die weltlichen Wärterinnen .
mit den Gefangenen nicht fertig wer
den, hat man die Schwestern Maria
Joseph auch nach Verweltlichung der
anderen Gefängnisse und-der Hospi
taier In Ot. Uazare belassen.
Die Gefangenen von St. Lazare bes
nutzen auch die katholische, die prote
stantifehe und die israelitische Kapell,
die hier eingerichtet; sie gehen dort a
eigenem Antrieb beten, was die ge
sangenen Männer, selbst wenn ele
ihnen Bedürfnisz, gar nicht wagen
würden. :
Jn der schuldigen Frau ist über- "
haupt die Weichheit des Gemüths der
Angelpunth von dem aus sie wiedet
zu heben ist. Die eingeklagt-en oder
berurtheilten Mütter in St. Lazart
diirsen ihre kleinen Kinder dort be-,
halten« und diese Kinder sind ein Se
gen fiir die Gefangenen, der Gegen:
stand ihrer Freundlichkeit, ihrer guter
Gefühle, oft ihre Rettung.
St. Lazare ist auch das einzige Pa«
rifer Gefängniß, das einen Taufstei
enthiilt, und die Anstaltsgeistlichet«
haben hier manchen Taufatt vorge
nomine-n
Außer dem Geistlichen und Adboi
taten begegnete die Gefangenen noct
dein Arzt. Es ist unendlich zu be
dauern, daß die Regierung, der heut
allein in Paris 70 Aerztinnen zu?
Verfügung stehen, die medizinifche Bei
i
v
handlung gerade der Jnhastirten im
mer noch Männern anbertraui.
sLesen kann es unter diesen Ver-hält
nifsen Wunder nehmen. daf; die Nach
rieht des geplanten Abbruchs von St«
Lazare ein Echo unter den Frauen
Frankreichs gesunden, das; sie auf ein
Neuregelung des Gefangenenwesen
rechnen und hinsichtlich St. Lazar
der Debutirtenkarnnier die Bitte aus
sprechen: ,,lFrlöse unr— bon dem Uebel!
—- « ----.-.- --.-.—
Ein Retter in ver-Roms
Beim Uebergang über die Ru
Joufsroy in Paris fiel ein Mann z
Boden und zbäre um ein Haar von ei
nein Wagen zerinalmt morden. D
inan ihn sijr betrunken hielt, bracht
ihn ein Polizist zur Wache. Hie
stellte sich heraus, das; man es mit ei
Hnein vbtn Hunger fund Kälte aus«
»Aeus3erste erschöpfcen Menschen z
thun hatte. Er nannte sich Henr
Des-sending und gab seine Adresse ar
L Bei der Nennung diefegUtaiiienH stutzt
T der Coinniissär.
»Sind Sie der Tapfere, der bei dei
schrecklichen Bazarbranbe so viel Met
sehenleben gerettet hat?« fragte er de
tlngliieilichen »Der bin ich in de
That!« erwiderte Deidamia-D »Viel
Piquet und der stutscher Georges oi
ten biete Personen aus den Flamme
r·,-erau:i!« Ja, ja! ich besinne mich!
sagte der Uninissät »Sie waren ge
rade in der Eitue Jeasn Goujith als de
in - »
-IH'I ,,A’Ltlcl clsUsUU UHJ Ucl itOUzu
in Flammen ausging. Sie sind Darf
Jeder Von Profession Eie stiirzten i
Dcxcs brennende Ojcdiinde nnd truge
die Leise heraus. Wohl an zinanzä
;U.’.il nmiiten Sie sich in dac- Flaminer
nie-Ir, big Ehre schweren Brandwunde
Eie an weiterem Odiermuth hindei
ten. Eie Verschwunden daman ol)".«
Ihren Namen genannt zu haben. Un
erst ein paar Tage später gelang es
durch einen Zufall, Sie augfindigz --
machen. Hat man Sie nicht für Jhr
Thaten belohnt?« — »O ja, ich erhie
eine silberne Medaille. Ja, ich soll
i«
sogar decorirt werden«
»Aber warum traaen Sie nicht da
dreifarbiae Band, wie es Ihr gute
Recht ist's« —— »Das möchte schön aus
sehen!« erwiderte Desjardins. »J( s
sehe wie ein Strolch aus, so bin i
herunteraekommen, durch Kranlhe
und Arbeitslosigkeit! Ein Ehrenze
chen aus Lumpen! Das geht nicht an
Der Commissiir entließ den merkwü- ;
diqu Menschen mit einem kleine '»
Geldgeschenk und sandte sofort eine
Specialbericht über Desjardins an de
Minister. —- Etwas knät, will ur
» dünken!
DIE-f « - - .. --.-,, --;-.-;.-;-,.---»-.»