Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, November 15, 1901, Sonntags-Blatt, Image 9

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    W
Die GEsEaftekitn
Moderne Geschichte von Freiherr
von Schlicht.
Es war ber erste diesjährtge große
isffentliche Mastenball Jn einer Ni
sche saß einsam bei einer Flasche4
Rothwein der Rechtsantoalt Dr. Sie
ber, langweilte sich entsehlich und!
überlegte alle Minuten dreimal, ob er
nicht lieber nach haus gehen und bei
seiner Frau gemiithlich plaudernf
wollte. Aber das ging nicht, denn
Um sich frei zu machen und seiner
Frau, die sehr eifersiichtig war, auch
nicbt den lesesten Grund zu geben. mit
ihm unzufrieden zu sein, hatte er sich
von seinem Freund, dem verwittweten
Bauratb Te elmann auf einer offi
stiellen Einfa dungslarte zu einem
Herren- Diner bitten lassen, die beiden
Freunde hatten sich derabredet, aber
im letzten Augenblick war Teaelmann
durch ein Telegramm, das ihm nacb
auswärts rief, verhindert worden, ficb
zu betheiligen.
DMothweinflasche war leer!
.,Ob icb noch eine trinle?« fragte er
sich, ..bier bleiben muß ich noch s- Te
aelinanng Herren-Diverg- bilden den
Schrecken aller Fbefrauem weil die
Männer meistens sehr spät und fast
immer in einer etwas sehr angeheiter
ten Stimmung zuriiellommen. Kehre
ich feer früh und total nüchtern nach
Hang, so wird meine Frau mißtraus
ifcli. Es hilft nichts, ich mufz weiter
trinken-"
Er winkte den Rellner herbei: »Den
selben Vers noch nial.« o
Jn der Laune, in der Dr. Sieber
sich selbst befand, begriff er nicht, wie
man auf einem so langtoeiliaen Fest
überhaupt vergnügt sein könnt-.
»So ganz allein
Beim Glase Wein
Das lann doch nur
Ein Gatte sein«
sann da eine heitere, lustige Stimme
nach der Melodie der Fledermaus
Fast lzornig-i wandte er sieh um« ein
bunt fchillernder Schmetterling ftand
vor ibm. .
»Seid-r Falter, verbrenne Dir
Deine Fliigel und Deinen Mund
nicht,« lagle er ärgerlich, ich bin nicht
zum Scherzen ausgeleg«t.«
»Dann hättest Du zu Hause bleiben
sollen,'« gab sie lullig zur Antwort,
»nur um zu «zechen, kommt man doch
nicht hierher, im übrigen gebt esmich
ja auch nichts an.« Und schnell eilte
sie davon.
Er fah ibr nach, wie sie sich durch
den dichten Schwarm wand, ihr bun
les Gewand, die lleinen schillernden
Flügel, die sie auf den Schultern trug,
ließen ibn sie auch noch in der Ferne
erleniren Sie gefiel ihm mit einem
Male. Langsam erhob er sich von
seinem Platz nnd folgte den Spuren
des Schmetterlings-: »Wenn ich Glück
habe, slieat mir der lleine Käfer noch
einmal in den Weg,« dachte cr, »wenn
nicht, werde ich auch nicht an gebro
chenem Herzen sterben-«
Trotzdem suchte er mit den Augen
nur sie, und endlich, nach sast einer
halben Stunde, fand er sie. wie sie
oben im Rang allein an einer Säule
lebnte und auf die Paare zu ihren
Füßen herabbliclir.
»So ganz allein
nicht mal beim Wein
Das lann doch nur
·ne Wittib sein«
versuchte er zu singen. Er war lein
großer Sänger, und unmusilnliich wie
er war, summte er die Strophen nach
einer ganz falschen Melodie.
Sie wandte sich um und sal) ihn
lustig an, dann fragte sie etwas svöt
tiich: »Nun, haben Sie keinen Durst
mein-T«
»Steig, stets«« gab er zur Antwort,
»viele Gaben enthielten mir die Geil
ter bei meiner Geburt vor, einen ge
nüaenden Durst nicht. Es schmeckt
mir auch itnimr, nur dann nicht, wenn
ich allein bin.«
»Und da haben Sie sich aus den
Weg gemacht, utn mich einzusanqenk«
fragte sie neckend, ,,da werden Sie aber
wenia Glück haben.«
»Warum das-?" fragte er.
»Weil mein Herz nicht mehr frei
ist,« erwiderte sie lustig, »ich liebe
einen anderen, sehen Sie, dort geht
er,« und sie zeigte aus einen klinen
sehr dicken tan sehr trummbeiniqen
Herrn, der in der Tracht eines Sul
tans an ihnen vorüberging.
»Der Geschmack ist verschieden,«
erwiderte er: »Aber wie ist es? Wol
len wir stehen bleiben oder wollen
auch wir versuchen, ob wir Platz siir
einen Walzer sinden?«
Sie williate ein und. schritt an sei
nem Arm die große breitfcreppe hin
unter.
Nach den Klängen der Musit tanz
ten sie gleich daraus, so gut es bei ber
Fülle ging, und er war von neuem
von der Anmuth ihrer Bewegungen
entziicM
Dann suchten und fanden sie in
einer Nische einen kleinen, leeren Tisch,
der aerade nur zwei Personen Plah
bot und ihnen sichere Aussicht gab, eil
lein zu bleiben.
Er nahm seine Magie ab. und sie
solate aus sein Zureden seinem Bets
spiel: er sah in ein iugendsrisches,
hübsches Gesicht mit leuchtenden, seu-.
eigen Augen.
»Nicht aus jeder Raupe entpuppt
sich ein so hübscher Schmetterling, wie»
Sonntags Blatt
Beilage des »Viel-Instit Staats-T)lu3cigck und Herold«
J. P. Wittdolpy, Herausgehen Grund Wand Nebr»deul) Nov.1.«)l Jahrgang 22 No. ll I
Du einer geworden bist,« sagte erJ
,,inich wundert, daß nicht irgend eins
Sammler Dich fiir immer einsing unv «
hDich siir alle Zeit in seinem Haus be- »
ielt.« i
«Versuchk hat es schon mancher,«"
sagte sie lustig, »aber es lam noch nicht :
der Rechte. Wer mich siir immer ha- T
ben will, der muß von mir geliebtj
werden. Einen Mann, den ich nicht .
wirklich liebe, heirathe ich nicht, lieber
bleibe ich srei.«
,,Bravo,« lobte er und schenkte ihr
den schäumenden Sekt in den Kelch,
»Du hast recht. nichts ist schrecklicher,
als ein unglückliche Ehe, davon kann
ich viele Bänve erzählen«
»Das tonunt davon,« sagte fie, »wa
rnm haft Du geheirathet?«
Er sah sie einen Augenblick verwun
dert an, dann lachte er plötzlich laut
ans: »Ach sv,« erwiderte er dann,
»nun verstehe ich Dich erst, Du meinst
ich hätte von meiner eigenen Ehe ges
svrochenäk Nun, da tannst Du ruhig
sein, ich bin sehr glücklich. Was ich
vorhin sagte, bezog sich daraus, dasz
ich in meiner Praxis sehr viel von un
aliicklichen Eben höre, ich bin nämlich
Rechteanwalt.«
»Hier in Berlin.’-«
,.’tlllerdings.«
Sie schwieg einen Augenblick, dann
fragte sie anscheinend ein klein wenia
zögernd: mKennst Du hier einen
Rechtsanivalt Dr. Sieber?«
Ein Rechtsanivalt darf sich durch
teine Frage aus seiner Ruhe und Si
obern-it brinaen lassen. so saate er
denn jetzt auch ganz ruhig und ge
lassen:
»Dr. Siebel-, Dr. Sieber —---- aller
dinaS, dem Namen nach tenne ich ihn,
ich alaube,.ich hin auch einmal im
Gericht mit ihm zusammen getroffen,
wie sieht er doch noch aus?« Er be
schrieb gerade das Gegentheil seiner
eiaenen Erscheinung: »Nicht wahr?
Er ist sehr groß, schlank und hlonD?«
»Ich tenne ihn nicht,« erwiderte sie,
»ich kenne nur seine Frau-« Das Seit
alas zitterte unwillkürlich in feiner
Hand. Das hatte er nicht erwartet,
das hätte nicht kommen dürfen.
Wer war feine heitere und hübsche
Gesellschafterins Er wollte es wissen,
und so fragte er anscheinend ganz
aleichaiiltig: «Woher tennen Sie die
Dame denn?«
Wieder schwieg sie einen Augenblick,
dann faate sie heiter: »Da Sie die
Familie ja doch nicht kennen, mich also
auch nicht verrathen werden, tann ich
eg Ihnen ja ruhig anvertrauen; es ist
auch weiter nichts Schlechtes und
nichts Böses. Ich habe von morgen,
vom l. Februar an, bei Frau Dr.
Siedet eine Stelle als Gesellschafterin
anaenotninen·« z
Der Schreck lähinte ihn fiir einen
Augenblick Sein erster Gedanke war, I
sich unter iraend einein Vorwand zu»
entfernen, sein zweiter, sich ihr vorzu
stellen und ihr sofort zu kündigen,
denn unmöglich tonnte er ein junges
Mädchen ins Haus nehmen, Init dem
er aus Dem Mastenhall Bekanntschaft
aefchlossen hatte.
lir räufperte sich ein paar Mal,
dann meinte ei: »Wissen Sie, auf
dies Geständnisi Jhrerseits war ich
nicht vorbereitet. Fiir eine Gesell-«
fchafterin hätte ich Sie nicht aehalten.
« Sie thun mir eigentlich leid, dafi Sie
eine so schwere Stellung annehmen
milssen·« .
Sie iuette Die Achseln: »Was soll
man machen? Arbeit schändet ja nie
manden. Jch freue »sich auf meine
neue Stelluna sehr, ich werde tvie ein
ffamilienmitalied gehalten, Die Frau
Doktor iit eine sehr liebenswürdige
Dame. und er soll auch sehr nett
tein.«
»Das stimmt,« pslichtete er ihr bei
und setzte dann schnell hinzu: ,,Da:s
stimmt vollständia mit dem überein,
mag ich über den Rechtsantvalt aehört
habe, aber iiber die Frau iinb Sie,
nach allem, was ich iveiß, ganz falsch
unterrichtet.«
»Sie tennen die Frau nicht,« suhr
. er fort, »aber ich tenne sie, ich will es
Ihnen nur gestehen baß ich mit der
Familie sehr besreunoet bin, d. h. mit
ihm, enn mit ihr liifit sich überhaupt
nicht ertehren. Die Frau ist nervög,
wahnsinnig hestia, unaerecht in ihrem
Urtheil, herrisch, launisch, es ist nicht
cnit ihr auszutommeir Jch weiß, bas;
die jungen Mädchen, die sie sich als
Gesellschafterin engagirt, es nie län
get als höchstens drei Taae bei ihr
cushalten.«
Er schämte sich una sein schlechtes
Gewissen veranlaßte ihn, auch sich
selbst etwas schlecht zu machen; so
sagte er denn, onhe ihre Frage dirett
zu beantworten: »Das schlimmste ist,
baß der Mann bei jedem Streit, so
weit es sich um Angestellte in dem
Hause handelt, stets aus seiten der
Frau steht. Jch rathe Jhnen deshalb
dringend, nehmen Sie die Stelle nicht
an —-- nach drei Tagen sind Sie doch
entlassen, und zur Empfehlung für die
Zukunft dient Jhnen das nicht«
Einen Augenblick schien sie noch
ganz verwirrt, dann sagte sie: »Ich
dante dem Zufall, der uns hier zu
sammensiihrte. Wie ich hierher kam,
interessirt Sie ja weiter nicht -— ich
wollte eine Freundin, bei der ich
wohne, begleiten und mußte schließlich
allein gehen. Was Sie mir gesagt
haben, soll nicht umsonst gewesen sein
--—-- Gott sei Dank geht es mir nicht so
schlecht, daß ich jede Stellung anzu
nehmen brauche, ich werde gleich mor
gen sriih der Frau Doktor abschrei
den. Vertlagt tann ich deswegen hof
fentlich nicht werden?«
»Das allerdings,« gab er zur Ant
wori, »aber Frau Dr. Siedet klagt
nicht« die ist es schon gewöhnt, daß
» ihr ejungen Mädchen iui letzten Augen
blick striten. Eins aber möchte ich
Sie noch bitten: sagen Sie in Jhrem
Briese nicht, das; Sie Jhre Kennt
nisse einem Kollegen des. Rechtsan
waltg Dr. Sieber verdanken —- selbst
verständlich miißte Sieber nach mir
recherchiren und ich lijme dann viel
leicht in des Teufels Küche."
»Deinen Sie ruhig, meiner Diskre
iion können Sie sicher sein.«
Es war verhältnismäßig noch sehr
früh, als sie beide aufbrachen, unt
ihre Wohnungen auszusuchen Dot
tor Sieber fühlte sich, seitdem er
munte. wer der Schmetterlan war. in
seiner Nähe etwas recht sehr unge
miithlich, und er war glücklich, als er
die Hausthiir hinter sich abgeschlossen
hatte und sich in seinem schönen, reich
eingerichteten Haus befand.
»Was wird meine Frau sagen,
wen das junge Madchen morgen
oder richtiger gesigt, heute Mittag
nicht toinmtk vSie wird, nervös wie sie
ist, rasen.«
Und er behielt recht: sie raste vor
Zorn und Aeraer wirklich. und sie
beruhigte sich erst, als auch ihr Gatte
das Benehmen der Gesellschafteriu
unerhört fand und sofort eine Stras
anzeige gegen die Zünoerin zu er
lassen versprach
Am Abend desselben Tages schentte
der Rechtsanwalt seiner Frau einen
niit tleinen Perlen nnd Diamanten be
setzten Schmetterling, den sie sich schon
lange als Haarschinuct gewiinscht
hanc
,,Wie kommst Du nur da,3u?« fragte
sie aus das höchste verwundert, »ich bin
ganz starr über Deine Freigebiateit,
wie tominst Du nur dazu-» — —
- »O -
Um einen Trunl Wassers.
Novelle von Nataln von Eschstruth
Die heifze Tropensonne aliihie aus
die Straßen der chinesischen Stadt
hernieder.
Nur vor dem Gerichtggebäude
herrschte Leben, Lachen, Johlem
Schreien und Schwatzen.
Eine dichte Schaar von Zopfträ ’
gern Weibern und Kindern umstand I
den Richtpfahl, an welchem ein un l
glückliches Opfer chinesischer Gerechtig
teit seine namenlosen Qualen litt. (
An den Steinpfeiler festgekette» den s
Hals von einem eisernen Ring um i
schlossen, hing ein Chinefe an dein
Marterpfahl die Strafe fiir einenl
M: Utkt Ll -t.
Clkussuqs IsUdsZUunclls
Drei Tage und drei Nächte mußt-:
er die Pein ertragen. Anfänglich
"tanoexr seine Füße aus drei überein
ander gestellten Ziegelsteinen fest, an
jede-n Tag aber ward ein Stein sort
genommen, so daß der Ungliickliche
beim dritten Sonnenaufgang nur noch
tnapp mit den Fußspitzen den Unter
arund berührte, und die ganzeSchwere
reg Körpers an dem harten, scharfen
Halsringe hing.
Wollten ihm mitleidige Seelen oder
Anverwandte während dieser Zeit
Nahrung oder Trank reichen, so war
es ihnen gewährt, und der Sträsling
sristete sein elendes Leben; erbarmte
sieh aber niemand seiner Qualen, so
starb er den surchtbarsten Tod, und
die Menge um ihn her johlte und
lachte uno verhöhnte voll grausamen
Behagen-z seine letzten Zuckungen.
Durch das Stadtthor herein zog
eine kleine Karawane, und einer der
Kameeltreiber blieb lachend stehen und
fragte: »Was sür einen Teufel habt
ihr da aus Rosen gebettet?« —
»Es ist der Kwamscheng — der
Kuli —- der verfluchte Bösewicht!«
antworteten die Nächststehenden
i
Da klang ein«leiser, eiliger Schritt
auf dem schmutzigen Holzpflaster.
Jn- der europäischen Kleidung der
Diatonissin trat hochathmend und er
z schöpft vom schnellen Gang ein junges
; Mädchen durch die Menge und bahnte
sich den Weg zu dem Dulder. Sie
trug an dem Arm ein Körbchen, wel
sches weich gekochten Reis und eine
Flasche voll Wasser, gemischt mit einer
belebenden und stärkenden Essenz, ent
hielt.
Mit einem Blick tiefstenErbarnieng,
j in welchem sich bei dem Anblick des ge
’» quälten Mannes das Entsetzen spie
gelte, trat sie an den Steinpseiler,?
schwang sich aus seinen Sockel empor -
nnd hielt dem Berschmachtenden das
Wasser an die Lippen. Kwamsrhenas
trank in langen, durstigen, schier uner- -
» sättlichen Zügen i
Jltel)r, mehr! ein leises Stdhnen
unbeschreiblicher Wonne ——- der Blick
des Siräslingg traf das Antlitz seiner
-L3aniariterin, ein wunderlicher Blick,
wild, rollend, durchdringend, als wolle »
ei das blasse, enaelsqute Gesichtchens
der Diitonissin verschlinqu --—
Schwester Johanna hob ihm uiit
zitternden Händen den Löffel voll (
Reig- an den Mund, aber Kivawsrheng j
tniss die Lippen zusammen und schloß i
jählingg die Augen.
»Ich toniine heute Abend wieder
« nnd erquicke dich!« sagte sie in chinesi
schek Sprache, ,,oder soll ich früher bei
dir sein, leidest du großen Durst?« «
Keine Antwort. —-- Und alg die
süße, weiche Stimme noch einmal
staate, rang eg sich rauh und zornig
sp-- -.«-— Ed« ....... ts- le«
UUII ILIULII QDPFLII »k.7kcs, -
Sie stieg von dem Stein herab und l
schritt, leise seufzend, durch die Menge i
davon
Ein leises Murren hatte sich bereit-J
erhoben, als die Dialonissin bei dem
ISträfling erschienen war, ein paar
Fäuste hatten sich erhoben die schlanke
Gestalt von dem Pseiler herabzurei
sten. Aber die beiden Soldaten, wel
che als Wache daneben standen, streck
ten die beiden Schwerter vor und
mehrten sie ab. —
Der Abend lam« und da es in der
Stadt eine große Hochzeit gab, wo sich
rie Gasser vor dem Hause stauten,
blieb der Platz um Kwanischengg
Uliarterpsahl derbältnißmäszig leer.
Abermalg zuckten und trampften
sich die Glieder des llngliicklichen, sein
Blick stierte wie in Verzweiflung die
Straße hinab, welche Schwester Jo
hanna beute Mittag gekommen war.
Kommt sie wieder? Hatte sie sein
,1,orniger Fluch fiir immer verscheucht?
Nein, sie hatte ihm kein Gift ges
reicht, wie er gewöhnt. Das Wasser,
welches so seltsam schmeckte und auf
oer Zunge brannte, hatte ihn wunder
bar gestärkt und erquickt. Die fremde
tTeuseiin hatte ihm Gutes und nicht-s
Böses gethan. ;
Die Zunge klebte ihm am Gaumen: »
er hatte kaum noch Kraft, einen »
Schrei auszustoßen
Wird sie kommen? Wird sie — ? (
Plötzlich schlagen die mageren Arme l
i
i
i
irild um sich, wie in freudiger Ver
«tiickutig. Ja, sie kommt, sie naht,
sie schwingt sich zu ihm empor.
,.Wasser s-- Wasser!«
Wieder schlingt er in gierigen Zü
gen das köstliche Naß hinab, und als .
er die brennende Gluth gelöscht, i
röchelt er: ,,Reis!« —
Sie lächelt, hebt den weichen Brei
an feine Lippen und fiittert ihn, und
alg er gesättigt ist, nimmt sie den wei
chen Schwamm und wäscht nnd kiihlt
seine blutenden Wunden am Hale
Einer der Wächter tritt mürrisch
hinzu: »Speisen kannst du ihn,
waschen aber darfst du ihn nicht!«
Mit traurigem Blick unterbricht
Schwester Johanna ihr Zamariter
wert.
»Ich komme morgen friih wieder,«
sagt sie zu Kinan-schena, »es ist gott
lob der letzte Tag!«
»Sie hofft aus einen dankbaren
Blick, ein ertenntilches Wort von ihm.
Umsonst. Der Shinese schließt trotzig
die Augen und preßt mit finsterem
Gesicht die sLiPpen lzusammen.
Schtveiaend wendet sich die Diato
nissin und geht.
Auch am folgenden Tage Pflegt und
erquickt sie den Sträsli., dessen
Qualen ihren Höhepunkt erreicht ha
ben. Halb bewußtlos hängt er in dem
eisernen Halsring, und nur mechanisch
schliirst er das belebende Wasser« Sein
Auae blickt wie gebrochen, und doch ist
auch jetzt noch sein Ausdruck finster
nnd haßerfiillt, wenn er mit auf
slackerndem Bewußtsein das milde
Antlitz der Diatonissin trifft.
Als die Sonne sinkt, löst man das
Halseisen des Verbrechers, und weil
Kwamschengs geschwollene Glieder
ten Dienst versagen und seine Kniee
unter ihm zusammenbrechen·, so stößt
man den Taumelnden mit rohern Ge
lächter zur Seite. daß er gegen die
Mauer schlägt und halb ohnmächtig
in den schmutzigen Graben rollt.
-— Schwester Johanna hat es mit an
gesehen. Das Entsetzen über solche
Grausamkeit schnürt ihr die Kehle zu
sammen. Sie wartet einen Augen
blick, bis sich die Menge verlaufen hat,
dann tritt sie an den Graben und rich
tet den Bewußtlosen in ihren Armen
aus.
Wieder speist und tränkt sie ihn.
reibt.ihm die erstarrten Glieder und
spricht ihm Trost zu, und Kwan
scheng starrt sie finster an und sagt
höhnisch: »Gieb dir nur keine Mühe,
ich werde doch kein Christ!«
»Das verlange ich auch nicht von
diri«
»Warum bist du sonst zu mir ge
kommen zu mir, den die eigenen
Verwandten und Freunde Hungers
sterben lassen wollten Z« fragte er zäh:
neinirschend.
»Weil mich deine Qual jammerte!«
sagt sie schlicht. »Und nun stiitze dich
sest aus meinen Arm und versuche, ob »
du aehen kannst; ich bringe dich in
das Missionghaus und pslege dich
dort aesund!«
Er richtet sich ächzend aus, hängt
schwer auf ihrer Schulter und versucht
wankend die ersten Schritte. -s So
bager und sleischlog seine Gestalt auch
ist, scheint sie dennoch von der eisernen
Festigteit und Zähigteii zu sein, wie
sie den meisten Kulig eigen
Rivan schena erholt sich erstaunlichl
schnell, und alg er an der nächsten F
Blklltzellccce allgetllllgl lsl, stokzi er
Schwester Johanna plötzlich zurück·
»Ich gehe nicht mit dir! Jch werde i
tein Christ!« stößt er ingrimmig her- s
vor, wendet sich kurz um und schleppt I
sich an den Häusern weiter, ohne auch
nur einmal nach ihr zurückzuhliclem
«- s
Wochen sind vergangen. Beunru-k
hiaende Geriichte über einen Boxerauss I
stand, welcher in nächster Nähe von !
H. ausgebrochen, werden von chinesi- I
. schen Christen in die Missionganstalt E
H getragen. Man glaubt anfänglich i
nicht an eine Gefahr« so sehr auch i
wohlmeinende Chinesen den euroväisj
schen lvlaubenegenossen angerathen,,
bei Zeiten zu fliehen. I
Als Schwester Johanna von einein I
Krankenbesuch heimkehrt, steht eine H
vermtiminte Gestalt an der Mauer des
Anstaltgartens s
»Die Borer sind morgen hier: wenn I
die Christen sich retten wollen, sollen!
sie fliehen!« sagt eine barsche Stimme. ;
Johanna lächelt· »Die taiserli-- s
chen Trnvpen schützen unS,« sagt siei
freundlich, »und ViresKönig TsusLij
rieth ung, zu bleiben. Jch dante dir 7
fiir deine freundliche Mahnung!« !
Sie tritt in dag Haus ein, und die z
Gestalt des Chinesen verschwindet j
hinter dein Gebüsch. Nachts flientj
ein Stein mit einem daran gebunde- j
nen Zettel durch ein Fenster des Bet- !
saalg. « !
,,Flieht sofort! TfusLi ist ein Ver: s
räther! Die Borer werden Euch !
tödten!« l
Man hält einen kurzen Rath,
glaubt aber völlig auf die Lohalitiit
fisk- IUZ«---(IRni.-- vorfmpn m hist-fort
Der nächste Tag bringt oie Bestäti
anna, daß ein Bot-erhausen nach der
Stadt marschirt.
Schwester Johanna hat eine zu
Too erkrankte christliche Uhinesin zu«
Pfleaen, sie verläßt die Station und
eilt durch oie engen, schmutzigen Gas i
sen ihrem Zchiitzling zu. l
Sie bemerkt nicht, wie oie gros-,e,i
hagere Gestalt eines Chinesen ihr;
schattenhast folgt, sie hört nur böse,z
kränkenoe Worte, welche tnan ihr auf f
Der Straße lzurnft, und athmet hoch
ans, alg sie die Hütte der Kranken er- I
reicht hat.
Nur kurze Zeit erst weilt sie an Dein
Lager der Wöchnerin, alg derenMann
mit allen Zeichen großer Aufregung
über die Schwelle stürzt.
»Die Boxer sind in der Stadt! Die
Mission nnd die Kirche, sowie alle
Europäer und christlichen Chinesen
sollen niedergemetzett werden! Lauft
schnell nach Hause, fremde Frau, sie
verbarritadiren euer Haue-, und die
Regierungstrnppen kommen euch wohl
zu Hilfe!«
Bleich und regungslos, mit zittern
den Lippen steht Schwester Johanna.
Mechanisch greift sie nach ihrer Hau
be, welche sie der Hitze wegen abgelegt."
Das Weib des Chinesen umklammert
ihre Hand. siLasz sie hier, Mann,«
steht sie bebend, ,,oerstecte sie im
Haus! Draußen fällt sie gar in die
Hände der Mörder, und sie hat mir
»—-k-c-M;«x .».,... « .,...., ·. - » »L...-k;»..
g
doch das Leben gerettet!« —- Der Chi
nese schüttelt finster das Haupt.
»Nein,« sagt er mitsprühendem Blick,
,,sie soll fort! Glaubst du, ich will
mit euch allen den langsamen Tod
sterben, wenn sie die fremde Teufelin
hier finden? sSie war gut zu dir und
dem Kind, darum liefere ich sie den
Boxern nicht aus, aber im Hause
dulde ich sie nicht!«
Schwester Johanna umkrampft mit
blossem Antlitz das goldene Kreuz auf
ihrer Brust; ein kurzes, inbrünstiges
Gebt, und sie tritt in den kleinen,
schattenden Garten hinaus.
Da wird sie rücklings von zwei Ar
men gepackt und nach der Hinterthiir
gezerrt, sie fühlt ein Tuch über dem
Kopf, fühlt, wie sie gefesselt und ein
gewickelt wird, ——— sie will schreien —
unmöglich, der Athem vergeht ihr,
halb ohninächti;; bricht sie zusammen.
Man hebt sie aus einen Karten,
und fort geht es in rasender Eile.
Als sie die Augen wieder öffnet, be
findet sie sich in einemd unklen, keller
artigen Raum. Vor ihr steht ein
Mann und löst den großen Sack von
ihrer bebenden Gestalt.
»Hier trink!« sagt er. »Komm wie
der zu dir, - du bist in Sicherheit!«
Sie starrt den Sprecher an und
reibt sich die Stirn. ,,.itwan:sscheng?«
murmelt sie.
Er nickt mit sinsterem Blick. »Hier
L«-4
liegen Mittellinie UruuuuiuukH »Hu
steht Speise und Trank. Kleide dich
um und iß. Und bleib’ hier in dem
Keller und wage dich nicht an das
Tageslicht, —— es gilt dein Leben.·«
Er wendet sich kurz um, schlägt die
eiserne Thür hinter sich zu und ver
riegelt sie. Johanna ist allein. Mit
einem leisen Schrei der Angst sinktdie
Dialonissin in die Kniee und ringt
die Hände im Gebet.
Tiefe Stille rings umher, ein Tag
oder deren zwei mögen vergangen sein,
da steht Ftwanischeng wieder vor ihr
»Sie sind alle todt —- lebendig ver
brannt oder enthauptet!« sagt er
ruhig.
»Meine Brüder und Schivestern?«
schreit sie auf.
Er nickt. »Die fremden Teufel,
Kirche und Mission sind zerstört· Nun
rauben und plündern sie in der
Stadt.«
»Du hast mich gerettet, Kroati
scheng?!«
Er treu-it die Arme iiber der Brust.
»Ich that’g! Warum? Hättest du
mich zum Kaiser von China gemacht,
hättest du mir den Himmel ans die
Erde geholt und die Geister meiner
Todten von den Dämone ebsreit —
ich würde dich mit den Vorern zusam
men gestern dennoch in Stücke gehauen
haben! Aber du hast mir Wasser ges
reicht, alg ich im Halsring hing, du
hast mich trinken lassen« —— er athmet
tief auf »und diese Wohlthat war
noch größer als mein Haß gegen die
Fremden. Sieh, ich habe im Tempel
der Sonne gelobt, das-, ich dir das der
gelten will, trotz meines Zorneg gegen
dich. Nun magst du hier in dem Kel
ler bleiben, bis die Borer abgezogen
sind, ich bringe dir Speise nnd
Trank.«
Johanna barg schaudernd das Ant
litz in den Händen. »Und wag dann?
Ach ich bin nun ganz verlassen hier.«
»Wenn die Straßen wieder sicher
sind, bringe ich dich an die Rüste, wo
noch andere fremde Teufel hausen.«
,,.tiwan scheng, dac- wolltest du?«
schluchzt sie und will dankend seine
Hand fassen.
tsr stößt sie rauh zurück. »Ich thue
eszi nicht ans Erbarmen, sondern weil
ich esJ geschworen habe! Ich möchte
dich zertreten, wie einen Wurm, und
aedente dennoch daran, daß du mir in
jenen schlimmsten Höllenstunden Was-:
ser gabst!« Spriclit’5 und
schmettert gehend die Thüre hinter sich
ill.
Drei Wochen lang hat Schwester
!
Johanna in inrein unterirdischen Ver
stert zuaedrachh dann hat Klvan
schena sie einei- Taaeg anaeschrieent
»Mach·d ich auk es ist Zeit!«
Bei Nacht n d Nebel eilten sie aus
nnd davon. Er hat sie auf seiner
uneirädriaen starre aefahren, hat ihr
Speise und Trank zusaniinenaestoh
ten. hat ihr schliesslich mit Tüchern
das Haupt ninwielelt, ein Räucherfaß
neben ihr ausaehänat und sie als Pest-—
traute durch unsichere Städte und
Törser geschleppt Und nach langer,
lanaer, niiihseliaer Wanderung haben
sie endlich das von den Verbiindeten
eroberte Tientsin erreicht. »
»Nun aelr und verlas-, inich!« hat
er sie anaeschrieen.
»Und du, ztioan schenaZ O, toinni
mit, dass wir dir danten tönnen!«
Rauh und ioild hat er ausgelacht.
»Ich aehe »in den Vorern und haue die
meisten Teufel in Stücke!«
Noch einen Stoß aeaen ihre Schul
ter, daß sie durch das Thor taumelt,
und Kivansschena ist ini Dunkel der
Nacht verschwunden.
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Die bejahrteWittwe, welche in einem
Fasse iiber den NiaaaraFall kugelte,
hat Einladung zur Ausstelluna von 17
Dirne Museen, eine Einladung, eine
Rede zu halten und einen Heirathsank
trag erhalten. Der Mann, welcher
das Letztere gethan hat, denkt vielleicht
richtia, daß er aus die Art unterstützt
werden kann.
Es giebt Leute, die-kein Glas Wein
trinken können, ohne Wasser aus die
Mühle ihrer Widersacher zu leiten.