Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, October 18, 1901, Sonntags-Blatt, Image 15

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    ckt Kaisimkkljkrr
-.......
·«« ais- akisiekkqniche Geschichte m
Wiihelm Wolters.
»Anna,« sagte die Baronin zu ihrem
vor wenigen Tagen neu gen:ietheten
Stubeniniidchen, »e5 wird heute oder
morgen ein Herr kommen ——'«
»Ein Herr?’« —- Die Baronin warf
einen verzweifelten Biick nach oben nnd
dann einen durchdotsrenden aus die
rotlsbackisz dralke Bancrndirne, die mit
der lveiizen Ltiische auf dem Haar und
in dein kurzärmeligen dunkelblauen
Kattnntkeide sich ausnalsm wie ein Ne
aersiirst in Frad nnd Cnlinderhut.
»Unterbrechen Sie mich doch nicht! s
Schweigen Sie und Passen Sie ant!
Es Ioird heute oder morgen ein Herr
kommen. Kammekherr von Lainsp
dorsf. Juki hoffe, Sie haben nun-end
lich begriffen, was Sie zu thun haben-"
»Ja-«
»Nun also, was denn?«
»Ja-s mache die Thüre zum grünen
Solon anf.'«
Die Baronin rang die Hände. »Es
ist wirklich nicht zum Aus-halten mit
anen. Und Sie wollen schon einmal
gar bei einem Obersten in Dresden in
Dienst gewesen sein?"
» a.'«
«Ochweigen Sie! Sie können doch
nicht wissen, wer der Herr ist!«
»Die Frau Baronin haben mir’ö
doch eben gesagt," erwiederte Anna mit
weinerlichet Stimme.
»Ehe-mindestens Es könnte doch auch
ein anderer Herr kommen! Sie haben
zu fragen: ,,wen dars ich der aniidigen
Frau Baronin melden«? Verstanden?«
»; a.«
»Und wenn er anen seine Karte
giebt, so legen Sie die Karte aus das
silberne Tablett nnd bringen sie mir
herein. Verstanden?«
»Wenn er sie mir aber nicht giebt ?«
»So wird er Jhnen eben seinen Na
men nennen, und den melden Sie mir!««
ties die Baronin zornig. »Es ist ge
rade, als ob man ein Stück holz vor
sich hätte. Nun gehen Sie und merken
Sie sich’s."
«
Die dralle Anna verschwand.
.Die Baronin begann aufgeregt im
Zimmer hin und her zu wandern.
Sie hatte alle Urfache, heute aufge
regt zu sein. —
Nicht wegen der Anna. Daran hatte
Sie sich während der beinahe zwanzig
Jahre ihrer Ehe schon gewöhnt, daß
aus dein von der Heerstraße weit abge
legenen alten Erbgut ihres Mannes,
aus dem man hausie. tein städtisehes
Stubenmädchen zu fesseln war, und
daß man wohl oder übel mit einem in
städtische Kleider gesteckten Bauern
trainvel vorlieb nehmen mußte. Nein,
die Baronin stand unmittelbar vor der
Ausführung eines seit Langem sein
eingefädelten Komplotts. Eines Kom
plotts, das sie gemeinschaftlich mit ei
ner in der Residenz wohnenden Ju
gendsreundin gegen ihre eigene einzige
Tochter Marie gelchniiedet hatte.
Marie war ein fo entzückendes we
fchiips, wie es ein achtzehnjährigeg
blondloeiiges Mädchen nur immer sein
iann, sie hatte blos die eine in den
Augen ihrer Mutter unverzeihliche Ei
genschaft: sie that gerade, als ob Ver
lobung und heirath die unnützesten
Dinge auf der Welt wären.
Das hatte der Baronin schon manche
lummervolle Stunde bereitet.
Man lebte aus dem Lande. Herren
besuch war rar. Nur selten suhr man
einmal zu einer geselligen Vergnügung
aus ein Utachbargut, ebenso selten in die
Kreisstadt Und selbst der einzige
jährliche ll im Flasino dort schien
Marie no , zu viel zu sein. Wenn sie
nur in Wald und Feld herumreiten
oder an den einsamen Winterabenden
iiber ihren Gedichtbiichern hocken konn
te, war sie glücklich. Atturat wie ihr
Vater war sie. Aber ein verheiratheter
Mann von siinszig Jahren und ein un
verheiratheteg Mädchen von achtzehn,
das ist denn doch ein Unterschied!
IF k
Die Sorge, Marie ronnrr um um«
gar noch einmal als alte Junafer ihr
Leben beschließen, hatte die Baroniu
auf den Gedanken gebracht, Marien er
nen Mann einfach zu verschreibeu.
Jhre Jugendsreundin in der Residenz
besaß einen Bruder. der seit ein paar
Jahren das Amt eines Kammerherrn
inne hatte. Dieser Kammerherr war
zwar lein Jüngling mehr, er stand auch
in dem Rufe, ein kleiner Lebernann und
Roufs zu sein, aber das waren ja be
kanntlich um so bessere Bürgschaften
für eine gute Ehe. Durch eine solche
Ehe den Bruder glücklich zu machen·
war ebenso die Lieblingsidee der fur
das Seelenheil des Kainmerherrn be
sorgten Schwester, wie es die der Ba
ronin war, Marien unter eine standes
gemäße Haube zu bringen. So war
denn zwifchen den Freundinnen verein
bart worden, daß der Kammerherr zr
Besuch auf das Gut lomrnen und bei
dieser Gelegenheit sich mit Marien ver
loben sollte. Der Kammerherr hatt·
sich auch zu solchem Besuche breitschla
en lassen. Und damit ja alles unge
iirt den erwünschten Verlauf nehme
hatte es die Baronin so eingerichtet
daß dief r Besuch gerade zu der Zeit
stattfinden sollte, zu der ihr Mann, dei
von der ganzen Verschtoijrung nicht
erfuhr, auf der Jagd bei einein befreun
deten Gutsnachbarn war.
Gestern war der Baron mit Anton
dem Diener, fortgefahren, heute ode1
morgen traf, wie die Freundin geschrie
den hatte, der stanunerherr ein.
Die Rarnnin iiberleate im Aufs uni
Rtesdergehen, wie ße am etsten s
Marien ans die kommenden inge dor- ·
bereite, als Marie eintrat.
»Du erwarteft Besuch. Mama?«
»Ja, mein Kind, den Bruder meiner E
besten Jugend-Ireundin, Kammerherrn
Von Lainsdorss. Er wird ein paar
Tage bei uns auf dem Lande aus- i
ruhen von den Anstrengungen der Re- »
sidenz und wird ——-« «
Anna, die zur Thür hereinplantg
unterbrach die Baronin: »Der Kam
merherr ist dal« «
». . .. führen Sie den Herrn Kam
merherrn in den grünen Salon . . »ich
lasse bitten!« F
Anna trampte hinaus-.
Die Baronin wandte sich zu Marie.
»Daß Du mir ihn ja recht freundlich
enipsiingst!«
»Warum sollte ich denn unfreundlich
sein, MamaZ«
Die Baronin legte ihr Gesicht in die
Falten liebenswürdigsten Lächelns und
ging tlopsenden Herzens in den grü
nen Saan nebenan· Marie folgte.
Jn der Mitte des Salons stand, den
Rücken den Eintretenden zuge:
lehrt, ein lleiner Herr in langem
schwarzem Noch der augenscheinlich die
Tapetenbarde an der Wand oben mu
stertr.
Er drehte sich um und derbeugte sich
tief.
Die Baronin, die den Erwarteten
auch nicht dem Bilde nach kannte, hatte -
sich zwar den zukünftigen Schwieger- «
sohn ein wenig anders dargestellt, aber .
z sie war nicht umsonst Hosdame gewesen, «
’ sie ließ sich nichts merken. »Mein lie- »
I«
k-- flt -------- « ciFOsOs K- Mi
Us- staut-II ssssss -, » .- - (
freue ich mich,, Sie endlicheintmal bei «
- uns begrüßen zu dürfen.« Und mit
vorstellender Handbewegung: »meine
. Tochter Marie·"
Der tleine Herr mit dem fuchsrothen
v Vollbarte nnd den auffällig gerätheten
-fen—
Augenliedern verbeugte sich abermals.
»Ich hatte das Glück, den Herrn Baron
auf Schloß Großfchänberg anzutref
»Meinen Mann?«
»Der Herr Baron lassen die gnädi
ge Frau Baronin bitten, die....
die....« lhier begannen die
Schweinsäuglein in dem verwitterten
Gesichte des Kammerherrn verfchmitzt
Izu blinzeln) »die Sache während seiner
Abwesenheit erledigen zu lassen."
Die Baronin war starr. Also ihr
Mann war trotz ihrer Vorsicht dennoch
hinter ihr Geheimnis gekommen und
--— was noch wunderbarer war W er
war mit ihrem Plane einverstanden!
I Nun, um so bessert
»Seien Sie versichert,« fuhr der
Kammerherr fort, »daß ich Frau Baro
; nin nicht lange belästigen werde. Sie
« sollen zufrieden mit mir fein.«
Die Baronin war derart verblüfft
von der Offenheit, mit welcher der
Kammerherr die zarte Angelegenheit
behandelte, dasz sie sogar vergaß, sich
nach dem Befinden ihrer Jugendfreun
din zu ertundigen, verwirrt lächelte
und fagte: »Ich habe gar nicht ge
wußt, daß Sie auf Großschönberg be
kannt sind. «
»O, fehr," erwiederte der Kammer-—
Yherr und lächelte bedeutungsvolL
»Wenn ich meine jährliche Rundtour
" auf die Güter mache, darf Großschän
berg nicht fehlen.«
»A . . . .«
,,Wollen Frau Baronin die Güte ha
ben, mir die Gemächer anweisen zu
- lassen.«
Die Baronin tlingelte, Anna er
I schien, die Baronin befahl Anna, den
« Herrn Kammerhern in das braune
I Fremdenzimmer zu führen, der Kam
merherr verbeugte sich, die Baonin und
Marie blieben im griinen Salon zurück.
Marie brach in ein fröhliches Geläch
ter aug.
; Die Baronin war trotz ihrer Hof
" damenschule so sehr aus deni Gleichge
» wicht getommen, das-, sie einen Aug-ten
« blick lang nicht wußte, was sie thun
- solle· Der Kammerherr that ja gera
« de, als ob er zu Hause, alg ob er bereits
T Schwiegerfohn des Haufe-« wäre. Aber
s sie ermannte sich und warf Marien ei
nen verweisenden Blick zu.
»Das ift ja ein tomischer Rauzl«
ries Marie lachend.
»Was das für Ausdrücke sind!« sag
« te die Baronin indignirt. »Es ist
« Zeit, Marie, daß Du diese Sprache ab
, legst und vernünftig und ernft wirft.
« Bitte, sehe Dich. Jch habe mit Dir
zu reden.«
Marie setzte sich.
Die Baronin zog ihr Taschentuch
: aus der Tasche, wischte sich den
; Schweiß von der Stirn und steckte es
« wieder ein. »Marie, der Kammerherr
L wird um Deine Hand anhalten -—«
Marie sprang auf.
»Bitte, bleib nur ruhig sitzen. Wird
um Deine hand anhalten, und ich wer
de sie ihm geben«
»Sitzen, habe ich gesagt. Werde sie
· ihm geben« und Du wirst endlich eine
Z vernünftige Tochter sein!«
»Ist das Dein Ernst, Mama?«
»Mit solchen Dingen fcherzt man
nicht. Es ist auch gar teiu Grund zum
Scherz vorhanden."
»Nun, so ertläre ich Dir ebenso
ernst, daß ich mich mit dem stammer
herrn nicht ver-loben werdet«
«So?« Aus die Wangen der Ba
ronin traten zwei rothe Flecke-. »Und
warum nicht?«
»Weil ich schon verlobt bin!« entgeg
nete Marie entschlossen. .
Die Baronin, die aufrecht und mit
erhobenem Haupte dageftanden hatte»
taltete Zitternd nach der Lebne eines
f f , — ii
III-geil- und sank tu die Ii en nie
. »Mit... wenim W
»Mit Herrn Iorstassessckk von Win
terfeld.«
»Seit . . . wann . . . denn?«
»Seit zwei Jahren.«
»Ah!... Und des-... hast Du.··
uns verschwiegen . . .«i« · « » »
»Am-i wünschte,.daß es Geheimmß
bliebe, bis er Obersiirster geworden mä-«
re ..... Bist Du mir böse, Wa
chen?« -
Die Barovin zpa alterffials ihr Tuch
und hteltes txpo Augen. Dann brei
tete ·si0»ht,t· Arme aus, in die sich Marie
..hlnexn(turzte. »Ich durfte es ja nicht
sagen! Jch hatte es ja auch nie ge
sagt, wenn nicht der Kammerherr—s«
·Jn diesem Augenblick sprang nun
die Baronin auf. »Ach, der Kainmcri
berr um Gottes-willen, wag mache
ich nun mit dem KammerherrnI Was
soll ich ihm nur sagen?«
»Ganz einfach die Wahrheit.«
f .»(.fr wird aus das tödtlichste beleidigt
ein.«
»Ich iverd’s ihm selber erklären!«
Ein plötzlicher Knall unterbrach
diese erregte Unterhaltung. Die Thiir
platzte aus, mit verzerrtem Gesicht
stürzte Anna herein. »Der der «
Kammerherr!«
»Um Gottestvillen, was ist denn?« ·
,,Erst hat er sich . .. den Pisto
lentasten ins Zimmer tragen lassen —«
»Was? Was denn siir einen Pisto
lentasten?« i
»Nu, er is doch gleich mit’m Pisto- «
lentasten angekommen, akkurat so en
Kasten, wie ihn der Oberst hatte ——'«
»Schrecklich!« s
»Un dann hab’ ich’n müssen die Lei
ter bringen ——« .
»Die Lerterr"
»Jawohl. Un wie ich nachher durchs
Schlüsselloch gucke un sehen will, wagst I
mit’r Leiter macht, hat’r die Leiter«
aui’n Tisch gesielli. un steht auf d':l
Leiter un schießt in einemfort an die ;
Decke.« -
»Schießt?« «
»Ja . . . der Kammerherr ist ver . . .
ver . . . geworden!« Sie fuhr mit der ,
dicken Rechten nach der Stirn. !
»Was?« ;
»Das ist ja furchtbar . . . Und das s
l
!
!
i
I
l
muß gerade hier passiren.« Die Ba
ronin .sant wieder in den Lehnstuhl.
»Wir haben doch gar nicht schießen
hören,« sagte Marie.
»Nee, hören thut man nichts. Knat
len thut’s nich.«
»Wer weiß, was die Anna gesehen »
. hat« ich werde gleich einmal ——« Marie ’
wandte sich. ’
»Um Gotteswillen t« rief die Baro
nin. »Was willst Du thun ?«
»Sehen, was eigentlich ist.«
»Um Himmelswillen, ein Wahnsin
I niger . . . . Wenn er anfängt zu to
. ben . . . .«
»Er wird ja nicht gleich !"
»Ich habe den Schlüssel draußen
rumgedreht und abgezogen,« sagte
Anna, »daß’r nich ’rausiann.«
»Das war gescheitt« —- Anna grinste.
»Da werden wir eben auch durchs
Schlüsselloch gucken,« sagte die beherzte
Marie.
Zu Dritt begab man sich über den
Vorsaal nach der verschlossenen Thur
der- braunen Freindenziminers und
horchte
Alles war still.
Marie legte das Ohr an die Thür.
Ein eigenthiimliches, leises, sich immer
wiederholendes Geräusch ertönte drin
nen. Als ob Jemand immer »ffft . . ..
sffi ..... fsst« sagte.
Marir beugte sich nieder und lugte
durch das Schlüsselloch
Plötzlich verzogen sich ihre Mienen.
»Was ist denn ?« fragte die Baronin
erschrocken. «
Marie legie den Finger an den
Mund, iicherte in sich hinein, wintte der
Baronm und trat zur Sene.
Die Baronin nahm ihre Stelle vor
dem Schlüsselloche ein.
Drinnen stand richtig der Kammer
lyerr aus der obersten Sprosse der aus
den Tisch postirten Leiter· Er hatte
einen grauen Gnmnriball in der Hand,
an dem ein spitz endendes Rohr ma:.
ilnablüssig drückte er aus den Gunnui
hall, und aus dem Ende des Rohres
spritzte ein rothes Pulver gegen die Ta:
petenborde oben unter der Decke. Rothe
Staubwolten erfüllten das Zimmer.
Zornig erhob sich die Baronin. »Den
« Schlüssel t« herrschte sie Anna an.
Anna zog den Schlüssel aus ihrer
Tasche, die Baronin drehte ihn wüthend
im Schlosse und riß die Thüt auf.
Der Kammerhetr aus der Leiter oben
wandte sich nach der Eintretenden um.
»Hier oben sitzen sie am liebsten ! Aber
wir werden ihrer schon Herr werden!
Das Chrysanthemumpulver treibt sie
alle aus ihren Löchern. Den Geruch
können sie nicht vertragen.«
»Wer sino Sie denn eigentlich Z« rief
die Baronin.
»Nu. der Rammerjäger Wetzlich aus
Dresden,« erwiderte mit höflichemGrin
sen der Obensiehende. »Der Herr Ba
ron hatten -——-«
» awohl, jawohl, ich weiß,« erwider
te dsie Baronin und machte rasch die
- Thür wieder zu.
Draußen schleuderte sie der Anna
; einen oernichienden Blick zu und
rauschte ins Wohnziinmer. Maric folgte
« ihr lachend.
— .-..-. . —.-—
»Aergere Dich nur nicht. Manmchen,
ohne ihn hätte ich ja niein Geheimnisz
nicht verrathen."
»Es ist schon gut,« erwiderte die Ba
rcnin halb getränlt, halb glückselig.
Eine Viertelstunde später mußte
Igna ein Telegrnk
tet tragen. Das
ZBcfironin Laind--—.
unreinen Biner - ui f Ema-si
men, Marieentde miksocehberf daß
verloth Gruß. Mathilde."
Zwez Ptunden päter traf die Ant
leis
W
« »Baro p liedner, Rittergut Bur
lertstvaldr. Bin gleichfalls untröstlich.
Bruder theilt eben mit, daß er Wirth
fchafterin geheirathei. Glückwunsch zur
Verlobung und Gruß. Frieda.«
Als ein vaar Wochen später die Jn
cendfreundinnen sich in Snlt traer
fragte Frieda: »Sage nur, wie ist denn
das eigentlich fo plötzlich gekommen mit
der Verlobung Z«
Worauf Mathilde mit fchelmifchem
Lächeln erwiderte : »Ja. wie das manch
mal fo tommt — kleine Ursachen, große
Wirlungen.«
-—-··.
Lin-:- tlJemii er.
—.—-—
Slizze von He r m. Ritte r.
,....- —
Wo die letzten Baumreihen zto2i·::,"
den Viehtriften des Dorfes ins-« . . -
land auslaufen, liegt eine verei.:«,c...
Hütte, versteckt zwischen den Bäfctin
wie ein Bettler, der sich feines dürfti
gen Gewandes fchämt. Ein braune-Z
Strohdach sitzt als breitträmpiger Hut
über der niedrigen. geweißten Haus
wand, in die drei tleine Fenster, eben
weit genug, um den Kon durchzufte
cken, und eine schmale Thüröffnung
eingefchnitten sind. Kleine Garten
fleckchen mit einigen Stangen feuer
bliitiger Bohnen, Kraut- und Salati
beeten bilden den Rahmen des beschei
denen Unwesen-D
Es war ein schwüler Julitag. Eine
bleierne Lust stand zwischen den
Baumheclen mit ihren regungslos her
abhängenden, staubigen Blättern. Vom
Dorfe her zitterte hin und wieder das
schläfrige Läuten der Kuhglocken durch
die Schwiile; aus dem oersengten
Kraut der Heide scholl das unaufhör
liche, aufgeregte Zimztmzim der Gril
len. Auch eine menschliche Stimme
drang plötzlich durch die zitternde,
flimmernde Luft, ein häßlicher. leisen
der Ton, der aus dem offenstehenden
Fensterchen der Hütte hervorbrach.
Du willst schon wieder in’s Thal
gehen, zeterte eine Weiberstimme. Hast
du teine Ruhe, bis du die paar Gro
schen Verdienst in der Hand hast?
Eine Männerstimme antwortete in
brummigen, unverständlichen Lauten.
Nein, es ist eine Schande, zeterte es
wieder. kaum hast du ein paar Stiihle
geflochten, so müssen die Groschen ein
genommen und durchgebracht werden,
nichts»hat die Haushaltung an dir als
Unglück und Last!
Jch weiß, was du unten willst, brach
es nach einer Pause mit erneuter Hef
tigkeit hervor, vertrinlen willst du das
bißchen Geld! O, ich arm, geschlagen
Weibermensch, solch unnöthigen Kerl
hab ich zum Mann, einen Trinker, ei
nen Lunip! Das Gekeife erreichte mit
diesen Worten die höchsten Töne und
schlug dann um in ruckweises Heulen.
Aus der Thür schritt nach einer
Weile ein hochgeivachsener, kräftiger
l Mann in blauern Kittel und schwar
i zer Schirmmiitze. An einer Schnur
c
s
l
hingen auf seinem Rücken einige ge-·
flochtene Stuhlsitze. Vor ihm her ging
Fein etwa zehnjährigen blondtöpfiger
Bursche, der einen Stocl hinter sich
hielt. Das andere Ende des Stockes
lag in der rechten Hand des Mannes.
während dessen Linie mit gespreizten
Fingern tastend und abwehrend durch
die Luft fuhr. Der Mann war blind;
mit dertlebten Lidern lagen eingesun
ten die Augen in seinem hochgereckten
Kopfe. Mit langsamen, dorsichtigen
Schritten leitete der Knabe den Mann
, ..-.:k-s.-» »mu- cxsntson fisndllfckt TxkhliikZ
i Hsvsjkqni »s-« --··--s-»- -,-.-—--..-,- - ,
J send, stolpernd, tastend, die Linle zum
f Schutz hochgchoben, dng Haupt zurück
- geworfen, als fürchte er, von Laub«
zweigen getroffen zu werden« wanderte
; unsicher der Blinde unter den Bänmcr
« daher. Mit vorsichtig fiihlenden Fit
fzen und tleinen Schritten stieg er, sorg
i farn geführt von dem ziirijckblictender
i Knaben, in den Hohlweg hinab, über
s schritt dessen Radsvuren nnd in dei
Sonne erstarrten Schmutzlrusten unt
erstieg Schrittchen für Schrittchen dii
jenseitige Böschung. Dann waren si·
f auf gutem, glattem Wege.
Jn gleichmäßigen Schritten zogen si»
dahin, der Kleine eilig trippelnd, del
Mann breitbeinig mit schweren Trit
ten. Hier lonnte der Blinde sein·
Beine mechanisch arbeiten lassen, unt
so quollen in seinem Hirne die wilder
Gedanken, die er soeben verabschiedet
mußte, plötzlich wieder auf. Erwiir
gen würde er das Weib, das ihn soebci
in Gegenwart des Jungen beschimpfte
wäre er nicht ein·Blinder, ein hilflose:
Geschöpf, das froh sein muß, einei
Führer und Sorger zu haben. E
haßte die Frau, die jetzt immer jam
merte, teifte und brummte. er haßt
jedes Geschöpf, das mit hellen Augei
um sich sah, die ganze Welt haßte er
Zuwider war ihm das fröhliche Zirpei
: ringsum, der heiße Sonnenschein, de
Dust der wilden Blumen.
Und doch sog er, wie ein Hungriger
der weiß, daß fein Begehren nie ge
stillt wird, diesen Duft ein. Er konnt
sich manche Dinge aus der Zeit, da di
Welt fiir ihn noch Farben und For
men hatte, nicht mehr so recht vorstel
len. Vieles hätte man sich besscrsein
prägen, einsaugen müssen zum Nim
mervergessen. Abs-: von dieser blumi
l
i
«
l « Ums
s St , ctallisch -
Y den Hmv brennendekx
I haste Suchst jen, in der fühlt-Ei
s Helle des Tages gesteigert bis zum idrs »T
’ perlichen Schmerz, lief durch sein Hirn «
« und die zuckenden Nerven. i
Stehen nicht viele Blumen hier?»«
srug er plötzlich rauh den Knaben.
Gewiß, Vater, rathe und weiße, eine
große Menge.
Bringe mir einiae!
Eilig raufte der Finabe einen
Strauß Wucherblumen und Pechnelten
aus und reichte sie dem Blinden. Der
Mann hielt die Blumen an’s Gesicht
und betastete Stengel und Blüthen.
Diese sind weiß und diese roth, nicht
wahr?
« Der Junge bestätigte es und eH lief
wie der Schimmer einer Genuthyuung
iiber die harten Ziige des « linden.
Blumen waren das Letzte gewesen, das
von den sichtbaren Dingen sich noch sei
nem Gedächtniß eingeprägt hatte, ehe
plötzlich alles um ihn her finster wurde,
Blumen, mit denen die Straßen be
streut waren am Fronleichnamsseste,
an dem Tage, wo er durch Unvorsi tig
teit beim Bedienen dersBöller das
Augenlicht verlor.
Krampfhafi hielt er den Strauß in
der Hand, er war froh, körperlich nahe
sich zu wissen, was um ihn her unsicht
bar lebte und blühte. Er drückte alle
Augenblicke die Blumen an sein Gesicht
oder wedelte damit die Fliegen und
Breinsen ab, welche wie berauscht durch
die heiße Lust schwirrten und sein
schweißiiberströmtes Haupt ansielen.
Vater, sagte nach einiger Zeit der
Knabe, ich glaube, es giebt ein Gewit
ter.
Jch höre nichts, antworte mürrisch
der Blinde.
Jch sehe es, versicherte der Kleine.
Ueber dem Hochwald steigen Wolken
auf. Ganz hinten ist es schwarz am
Himmel
)
« Daan geh rascher, damit wir zeitig
ins Thal kommen, drängte der Alte. :
Er mußt-e heute ins Thal, er mußte noch
einmal wegschwemmen, was ihm in
diesen letzten Tagen wieder so sehr den s
Kon verwirrte, die dumpfe Verzweif- ;
lnng, den sinnverwirenden Hader über ·
sein Geschick. Trinken wollte er, lachen, «
froh sein. Einen Lumpen hatte sie ihn
genannt, einen unnöthigen stert ! Das
letztere war er ja mit feinem geringen
Verdienst als nnbeholfener Stuhlslech- s
ter, das erstere war er im Begriff zu «
werden. Ja, er tranl immer häufiger
und mehr. Aber was that es ?- War
er schuld daran, daß er blind war, das-.
das Trinken fein einziges Vergnügen ;
- war ? Ein Lump, das Wort sasz ihm :
noch wie ein Stachel in der Seele. Er ’
« ein Lump! Er. der früher so starke,
» arbeitsfrohe, selbstbewußte Kerl !
Er wars die Blumen zu Boden, unt L
J die Faust in ohnmächtiger Wuth zu hat« «
s len. Hestig riß er an dem führende-n ’«
Stabe. Vorwärts! befahl er barsch :
s dem Knaben.
j Ueber die breiten grünen Wellen de
; fernen Hochwaldeg rollte ietzt in kurz-n
! Pausen ein dumpfes Grollen, wie Brül
, len eines Rattbthiere5. das, nähert-our
mend, seine Beute befchkeicht. Vor den
ängstlichen Augen des Bürfchleinss«
i
! wuchs der dunkle Streifen am Horizont
l rasch an zu einer höher nnd holier wer
· denden schieserblauen Wand, von deren
I Grund weiße Wolkenstreifen, wie
f Schlänglein, sich aufwärts ringelten.
j In weiß-rothen Zickzackstreifen fielen
) einzelne Blitze an der Wand abwärts-.
Stärker nnd stärker werdendeg Grollen «.
i und Brüllen lies hinter jedem Strahle
nenscheibe ; sahleg Licht lag mit einem
, mal iitser der Heide. Die Grillen schiene
7 gen« jede Fireatnr erzitterte in ängstli
! chetn Schweigen.
l her. Die Wand schob sich über die Son
l
s
Ein einzelner Windstoß jagte als Z
»Vorreiter des Unwetters über die
— est-»
l
i JFtamc, beugte Uruv uuu our-um unr
s huschte iiber das Gesicht dek- Blinden
Eile dich ! drängte dieser den Knabe-Z
wir kommen doch noch früh genug unten
au.
Das Bürschchen glaubte es nicht· EH
sah, wie die schwarze Der-le iiber ihren
Häuptern wuchs-, wie alles sahl und
I dunkel wurde und nur noch driiben zur ;
; l Linken ein Rest Sonnenschein iiber den
Bergen lag.
Die Blitze riickten rasch näher ; der
Donner rollte tnatternd über das Ge
birge, als sei die schwarze Wolkendecte
ein gewaltiges Blech, das die Keule
eines Riesen in Schwingungen versetzt-;
l
Eine turze Wegstrecle legten sie noch s
zurück, das Kind ängstlich, mit hastige.
Schritten, der Mann breitbeinia hin
und herschwantend, voll drängender
i Ungeduld, sein Ziel noch zu erreichen.
Dann brach mit einemmal das Unwet
ter log. Eine sahle Lohe quoll ans zwi
schen den Bäumen, und unter Brausen,
Heulen, arellen Blitzen und lnatternocni
- , Donner schoß eine Reacnfluth herab.
z Vater, Vater! ries angsterfiillt der
Kleine und ariss nach der Hand des
» Mannes. Komm, wir miissen uns hier
unterstellen ! Hastig risr er niit seinen
Ninderhändchen den Blinden in day
Gebüsch. Dort driickten sie sich nieder-,
« der Knabe schulzsuchend an den hülfla
sen Mann geklanimert.
Ein wahnsinniger Aufruhr tobte in
» dein Walde. Mit Gelrach brachen Aeste
» zusammen, unter der Gewalt eines or.
« . tanartigen Sturmes. Jn großen, blan
len Tropfen, vom Westen her aepeitscht,
durchstach millionenfach der Regen die
s- ; blaugrüne Finsterniß. Er prallte aus
abwärts » f
schossm Backjein «,.-.
ten sich am Rande des Wegs
Fluß, der eine tiefe Furche ins
riß und in brauner Springfluth
rauschte. Eingehüllt in Donner
:hen, Brausen, in Wassersturz,
in einigen Augenblicken bis a
Haut durchnäßte, hackten die beit
men Menschen unter den Büschen
Mit zusammengebissenen Zäbnt
der Blinde in dem Aufruhr, den c
fikblen nnd hören konnte, in ohnmr
Fern Zorn, hülfloser als je. unfähig .
Das Kind einen besseren Schutzplay
fucken, irgend etwas zu thun gegenk
thksturrn des Wettersz Ein Blitzstri
snyr m den Wald nieder, greue Lo.
iiillte die Büsche, und ein Krachen
folgte, als seien Himmel und Erde ge
borsten.
Vater! jammerte das Kind in jähem
Schreck und klammerte sich an den Blin
Den.
Ein zweiter Strahl folgte und fiel
als Feuergatbe in eine benachbarte
Eiche.
Wie von elementarer Macht in die
Höhe gerissen, sprang plötzlich derBlinde
ans. Verzweiflung lag in seinen Mie
nen. Mit vorgestreckten Armen brach er
aus den Büschen durch zum Wege.
Herrgott! schrie er und warf die
Arme in die Höhe, da bin ich! Schlag
mich todt! Schlag den Lumpen todt,
Herrgott, den unnöthigen Kerl!
Ilmflossen von abermaliger Lohe, das
veizerrtr. regeniiberflnthete Gesicht
hochgerectt wankte er in der Lichtung. «
Das Kind haftete ihm webtlagend nach.
Nein, Vater. jammerte es und klam
nscrte sich an ihn, nein, komm, der
Blitz erschlägt d«ch! Komm zurück, lie
isei Vater, du sollst nicht sterben, ich
nsill’s nicht!
Es riß den zitternden Mann mit al
ler Gewalt zurück in die Büsche. Dort
brach der Blinde keuchend zusammen,
seine Brust wogte unter dem triefenden
Kittel. Der knabe schmiegte sich zärt
lich an ihn und streifte mit scheuem
Blick sein erregtes Gesicht. Keiner von
beiden sprach einen Laut.
Wie abgeschnitten schwieg plötzlich der
Regen. Nur das Tropfen der»Bäuln-,
das Murg-ein und vHintern orv uocr »u
Weg abstiirzenden Wassers vernahm
man. Ein rascher Sonnenschein huschte
durch den Wald.
Hast du denn den Vater so gern? un
terbrach plötzlich in weichem Tone der
Blinde die Stille und tastete über den
wassertriefenden Kopf des Knaben.
Der Kleine schluchzte laut aus. Was
lullen wir machen ohne den Vater, stieß
er hervor.
Du bist mein guter Kerl, sagte der
Blinde gerührt. Aber deine Mutter
Israucht mich nicht« Johann. Du hast es
art;ört, ich bin ein Unnöthigerz ein
Lump.
Die Mutter meint es nicht so schlimm,
sicher nicht, Vater, bettelte der Kleine.
Sie hat so uiel Arbeit, sie ist oft so
müde und dann schimpft fie, wenn du
auggehst —-— Er schwieg verlegen.
Ein neuer Ansturm der Regt-umch
sen folgte. Jn wachsendem Falle, start
1«nd immer stärker fchoffen gleich Bün
deln blanker Pfeile die Tropfen senk
recht durch die Bäume. Himmel und
Erde verwandelten sich wieder in stie
Lende Flutl1, während der Donner fern
und ferner grollte. Dem Blinden war
ep, alH iviirden von den löstlichen Flu
tljen ihm Bitterkeit und Berzlveifluna
lcnasam aus dem Herzen geschweian
ali« leid-.- seine arme, verzweifelte Seele,
in die der Lichtschein der Kindesliebe
Hefallseik aus mit der verschmachtenden
Natur« als ziehe mit der köstlichen
Frische-, die er ietzt tiefatinnend einsog,
Friede und Ergebung in sein verwirr
leg, veraifteteg Denken.
Der tlieaengusz brach ab, plötzlich,
wie er aelommen Die Sonne strahlte
in die feuchten Blätter. Ein bund-ert
stimmiger Jubelchor scholl aus den Bü
schen.
Komm, Vater, sagte das Kind, wir
können geben es ist vorbei.
Ja, es ist vorbei, mein lieber Junge,
sagte der Blinde mit stillem Lächeln.
Komm, wir gehen nach Haufe zur Mut
ter!
l
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Dai- gelriinlte Mütterchen.
Aus Nitolailen berichtet Die .,Ost
preuß. Zta.«: Bei einer kirchlichen
Feier, Die ausschließlich von Frauen
besucht war, ereignete sich beim polni
schen Gcittegdienste ein heiterer Zwi
schenfall. Als der Geistliche den Text
verlas: »Weiber, wo habt ihr eure
Männer Z« erhov sich zum allgemeinen
Erstaunen ein durch die Vermeintliche
Rjiae schwer aelräntteg altes Frauchen
aus dein Schiffe der Kirche und rief:
»Herr Pfarrer, wir sind hier mehr
stentheilus alles Wittwen!« Der Geist
liche mußte beschwichtigend eintreten,
um die cntriistete Alte zu beruhigen.
Die zwei Welten.
Dienstmädchen: »Lassen Sie doch
Ihre Zärtlichkeiten. Herr Bliemchen!
Sie sagten ja eben Jlsrer Frau, daß sie
Ihre ganze Welt sei!« —— Bliemchem
»Na aben, inei Schnabel. awer ’s gibd
Se ztvee Weld’n —-— enne alde un enne
neie!«