Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, October 04, 1901, Sonntags-Blatt, Image 16

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— —I
(10. Fortsesungd
Seinen eigenen Mann sich nach den
Flitterwochen und honigmonaten noch
einmal eriämpten müssen. oder we
nigstens ihn vertheidigen müssen, das
war ihr rvie etwas Außerordentliches
erschienen, wie etwas Extravagantes,
das andere nie lennen lernen oder len
nen zu lernen nicht den Muth haben.
Sie, Jane, hatte den Muth! Sie,
Jane. würde siegen! Sie. Jane, unter
nahm diese Europareise, um den
Kampf geaen Joseph’5 Jugenderinne
rnngen und Jugendliede zu bestehen.
Nun gab es keinen Kampf.
Einen Moment hatte sie das Glücks
gesiihl: »auch diese Letzte, die zwischen
sdir und Joseph stand, ist vernichtet«,
aber dann vergaß sie diese egoistische
Empfindung in einem tiefen Mitleid.
»Wir haben ost von Ihnen gespro
sprochen," sagte sie und nahm Marie's
Zank-. »Joseph hat mir viel von
zhnen erzählt. Jch bin so glücklich,
Sie zu sehen.'«
Hatte sie jetzt das grauseidene Kleid
zur Stelle und nicht dieses prahlende
rothe, das bei jeder Wendung rauschte
und beim Sitzen lnistertel Miß Dash
hatte die Schuld, nur Miß Dass-! Die
mit ihren plumpen Rathschläaen schon
hundertmal Jane in Verleaenheiten
und Arraer gebracht hatte!
Und ider große, fürchterliche Dia
mant an dem rothsammetncn Bande
am Hals! Er brannte förmlich nnd
that weh! Sie dachte daran, ihn
heinlich herunterzureißen und in die
Tasche zu stecken, aber es war zu spät,
es ging nicht mehr.
Mit großen, seltsamen, seierliehen
trauriaen Augen sah Marie sie an,
während Jane zu ihr sprach ——— vieles
. sprach nnd eraiibltr. Sie fasten ne
beneinander in dem ;.-eisen, aussieh
nsigen Sosa, das Albrecht zur Aus
steuer getauft hatte; Joseph und Al
brecht waren nebenan in den Solon
gegangen.
«Dars ich ,,Marie« sagen?«
Marie nictte stumm.
»Und »Du"?«
Marie nickte stumm.
»Und willst Du »Jam« sagen?«
Mit einein sonderbaren, stumpsen
Blicke antwortete Marie.
Was wollte diese fremde Person
von ihr? Waz drängte sie sich an sie?
Diese Frau, die ihr ohnehin alles
fortgenommen hatte?! In ihren mü
den, glanzlosen Augen begann etwas
zu zittern wie der letzte Grimm einer
Vernichteten, aber die schöne Jane
sah nichts davon. Sie plauoerte wei
ter, unbesangen uno sast zärtlich, und
während sie sprach und sprach, erlosch
das schwache Flackern in den Augen
Wortes-.
Man setzte sich zu Tische und nahm
ein wenig von den Speisen uno nippte
von dem Wein. Joseph war der ein
zige, der trank. Er saß stumm und
leerte sein Glas. Er schentte ein und
leerte es von neuem.
Jane führte die Unterhaltung,
während Albrecht erst langsam in
Stimmung kam. Sie redete so unge
zwunan unt blickte ihn mit ihren
großen, lächeln-Un Augen so liebens
würdig an, dcg er erst unsicher wurde,
dann gefesselt und interessirt.
Das Gespräch drehte sich um die
gleichgültigsten Themata: Boston, die
großen Oceandarnpser, Hamburg, die
Einwohnerzahl von hannooer.
Aber sie hatte eine sascinirende Art
zu sprechen, rasch, mit schnellen Fra
aen, lebhaft rn,n her, ein turzez U
eben, ein erstauntes Aufleuctnen rper
schönen Augen und immer Dieses rei
sende, aebrochene Deutsch mit dein
fremdariiaen Llccnte. Bigweilen sprach
sie eine Min ite rier länaer nur eni
lisch,obn.1ril;lder Oberstlieutenant
Mühe hatte-, ibr zu folgen und Durch
aus nicht e es Wirt Derftand, schmei
chelte ihxn ihr ..1::en nuf seine
Sprachlerintnisse, und er nickte unr
tvurde immer aufmerksamen
Es war eine liebenswürdige Auf
walluna Janes, die sie veranlaßte, in
dieser beinahe forcirten Weise Die Drei
Andern über die fürchterliche läh
mende Stimmung hinwegzutaufchen
mits sder der Abend begonnen hatte.
Sie that es Marie zuliebe. Aus ei
nem tiefe und aufrichtigen Mitleid
heraus in moduz oivendi war für
alle Zukunft nur zu erreichen, wenn
dieser erste Abend des Zusammen
feins ni t- mit einer grellen Dishar
monie en te.
Marie fühlte nas, wenn auch nur
undeuilich. Sie aab sich Mühe. dem
Seit-räche zu folgen und bisweilen
ein Wort zu sagen, das ungefähr in
den Gang der Unterhaltung paßte.
Nur Joseph fah stumm. Er schenkte
ein und hielt die Weinflafche in der
band und starrte minutenlana aul
sdise Etitettu »Gl) ssru Poetets, Bor
deanx« und. las T- paar Worte im
mer von neu-em. » s
sit Jane sich lacht-lud zu ihm
sein«
»Ist-h was fällt Dir eint Du
Inst erstenmal blickte er empor. Ei
· da Alb
" gis-Lizen- stärkstleIf und regt
« nd nnd immer nm
M erwartend HCM er:
»Ich freue mich —- unb meine —
Frau freut sich. meinen Bruder unb
Marie zu sehen —- ia —- ich war lange
fort und — und — es ist ja nun al
les aut, und das hier —- das — trinke
ich auf euer aller Wohl."
Jane lachte: »Brabo. Joe!'«
Man stieß an, die Gläser llirrlen,
aber Joseph blickte beim Anstoßen
nicht rechts, nicht links, nur nur ge
rabeaus auf seinen Bruder.
Jane nahm eine Cigarette und
fraate ihren Schirmen ob er es schick
lich finde. daß Damen tauchten.
Er hatte es nie schicklich gefunden,
aber er versicherte ihr galant das Ge
aentheil.
»Sie müssen uns im nächsten Som
mer drüben besuckien,'« sagte sie, »Sie
müssen beide das fest versprechen. Die
Hand darauf, Albrecht.«
Er fühlte ihre weiche, schlanke Hand
in der seinigen und hielt sie einen Au
aenblick fest.
Dieses »Albrecht« llana so sonder
bar in ihrem Munde, die ganze Frau
balte etwas Fascinirenbeö. das ihn
berauschte. Er füllte die Gläser und
befahl dem Burschen, der in Diener
livree bediente, Champagner herauf
zubolen.
Er hatte dem Besuche feines Bru
ders nnd seiner neuen Schwäaerin mit
ver Erbitteruna Jemandes ent-egen
gesehen, ver in aller eigenen ifere
ver aezwunaene Zeuge eines fremden,
unenhiirten Glückes sein soll, biese
Erbitterung halte sich zu einem maß
losen Zorn «·aesteiaert, als Joseph
heute Abend Marie in der unerhörten
Weise entaeaenaetreten war, aber al
ler Zorn verflog neben bem schönen
Weibe, das ihm in einer seltsam lie
benswürbiqen Weise entgegenkam.
Er lachte, er erzählte, er wurde fast
»uä»ol.1F-n Es flink- Dik Gläfefs .
---.,-..
«Irini,"sjji;:kie:« —« »Jpseph, »san«
und als der Champagner tam und
einaeschentt war, erhob er sich mit ar
rötbetem Gesichte und in seiner etwas
lintiscben Weise:
»Meine Frau und ich sind euch
dantbar siir euerri Besuch. Er giebt
uns Gelegenheit, eine neue Verwandte «
kennen zu lernen, von der wir bisher
nur aebört hatten. Wir sind entzückt
durch die Liebensivürdiateit und
überrascht durch ibre Schönheit- Ich
bitte diesen Trintsvruch nicht als ei
nen Art der Höflichkeit aufzufassen,
sondern als den Ausdruck meiner in
nersten Ueberzeuauna, wenn ich« —
er stotterte und fand nicht aieich eine
loaische Fartsetzuna — »wenn ich die
ses Glas leere aus das Wohl meiner
Schwäaerin Baronin Jane dan Hei
denstanim.«
Eine kurze Pause sotate diesen
Worten
Marie schaute einen Moment ibren
Gatten an, und Joseph blickte gleich
falls flüchtig aus seinen Bruder, sie
war-en beide überrascht. Diese Warte,
die in iedein anderen Munde als kühle
Höflichteit aelten konnten, klangen bei
ihm neu und fremd. Die schöne Jane
mußte aqulbrecht einen außerordent
lichen Eindruck aeniacht haben, wenn
er für sie solche Worte sand!
Vielleicht dasz Jane selbst mit ihrem
scharfen Verstande und ibrer ausge
zeichneten Menschentenntnisz das ein
sab. Sie netate sich var und stiesi mit
dein Schwaaer an, ihre Augen begeg
neten sich einen Moment, dann schaute
sie in ihr Glas, nippte daran und lä
chelte dar sich hin. s
Der Abend wurde sast heiter.««
Jane sana Lieder, indem sie sich
selbst»dazii begleitete; zuerst elegiscbe
tschvttische Romanzen, dann deutsche
Voltglieder, die ice m einem id ielts
iam veritiimnielten Text brachte, das-,
selbst Mai-je lächeln mußte. Und als
die Stimmung freier wurde, sana sie
ein teckes Neid Vorier Lied, das Al
brecht entzückt noch einmal zu wieder
holen bat.
tEr aina mit der Weinflasche von
einem zum andern uni, "·chenite ein.
Seiner Frau strich er über die schwe
ren, aschblonden Flechtem
»Er-ins aus« Marie. Freuit Du
Dich? Bei Gott, ich freue mich, daß
wir ibn einmal wieder hier baben.«
Er schan Joseph aus die Schulter:
»Trint aus, Instpr Und er beugte
sich über Jane und füllte ibr GlaS:T
»Sie sniissen noch mehr singen, Jane, J
nnd dann müssen Sie uns versprechen,
lanae bier zu bleiben. Wir Toben das
hier nöthig: Fröhlichkeit un — und
—- denn seben Sie, es ist hier —- nicht
wahr, Marie« —- er that einenSchritt
biniiber zu feiner Frau —- »tvir beide
sind nicht die lustigsten.' Er lachte
mit einem aezwunaenem bizarren La
chen und trat wieder zu Jane: »Wir
leben biet ein Sciavendasein nie ein
frischer Lust-ma. Sie müssen noch
sinaen."
Iane war aern bereit.
Wie sie diesen schwerfälliaen Men
chen, dem man das Verbittertiein
aus zehn Schritte Entfernung ansah.
in der ersten Stunde gefangen hatte!
Ei war reizen-b. ein wahrer Trinrnbbi
Während er mit dernGlai in der band
neben ihr stand und sprach nnd tm
nier weiter prach, musterte iie ihn.
Gut vierzig « ahre akt, sei-M Unite
Heudeiz je länger man ihn " rachsete
te mehr verlor er. Sie hatte sich von
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s
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ihrer liebenswürdigsten Seite gezeigt
um sich und den andern über diesen
trüben Abend sortzubelsem und sie
hatte dabei ganz mühelos und «en
passant« eine neue Eroberung gemacht
Alles Gute wird belohnt! Sie lächelte
« vor sich hin. Wenn dieser Mensch
j wüßte, wie gleichgültig er ihr war:
» Dann wurde ne ernster und ihr stau
enbaftes Mitleid regte sich von Neuem.
Jhre Augen gingen, während Albrecht
immer weiter sprach, von ihm zu Ma
rie und zurück: eine trübe Ehe, eine
traurige Ehezn die Frau zerstört. und
der Mann ein sühlloser Alltagcmensch,
der das Versehltsein der Ehe die Frau
entgelten läßt. Sie sah das alles so
klar, sie brauchte die Vorgeschichte nicht
zu kennen, um Josephs Bruder Zu
verstehen.
.Rur urn Gottes willen heute an
das alles nicht rühren! Nur heiter sein!
Jane sang das sranzösische Chan
son, mit dessen keckem Vortaqe sie Bo
ston und New Yort und die Gesell
schaft aus dem Dampser und alle
Welt schon entzückt hatte.
Matie saß stumm, sie verstand nicht
die Worte und nicht den Sinn.
Joseph, der so ost diesem Liede Bei
lall geliatsch hatte, erhob nicht einmal
den Kopf.
sch. ber der Oberstleutnant war außer
i :
»Beavo! Bravo!«
Seine Nüstern dehnten sich. Er goß
die Gläser vollCbampagner, und wäh
rend erGlas aufGlas hinunter stürzte,
füllten vage Gedanken sein Hirn: viel
leicht wurde das Unmögliche möglich!
Kam diese Ameritanerin, um ihm —
endlich ihm, der nie etwas erreicht
hatte! —- das Glück zu bringen?!
Es war spät in der Nacht, als Jo
seph und seine Frau das Haus verlie
szen, um heimzugehen. Albrecht wollte
sie begleiten, aber rnit einer kühlen
Ruhe, die seltsam gegen ihre bisherige
Laune abstach, hatte Jane das abge
lehnt.
Sie gingen schweigend durch die
Nacht, alle Straßen waren totenstill.
Während Jane droben sang, hatte
sie das Gefühl beherrscht: wenn du
semble-e mit Ins-nd Alls-irr bist wirst
du ihm sagen, daß du ihm nicht ziirnst;
dasz du es begreifst, wenn das ser
störte Bild der Jugendgetiebten ihn
zu Thiriinen überwältigt hat.
Aber nun, da sie mit ihm allein
war, fand sie das Wort nicht.
Der tiihle Nachtwind strich um ihre
Schlafen, und je länger dieses Schwei
en dauerte, um so mehr erstarrten die
orte. die sie sagen wollte.
Mochte sie es sent ansehen, wie sie
wollte, es war etwas Fremdes zwischen
sie und ihren Mann getreten
Oben im heißensimmer, heimWein,
in dem hellen Licht und in der künst
lichen Erregung der hin und her gehen
den Reden war sie nicht zum Nach-Den
ten gekommen, der eine Gedanke hatte
sie die ganzen Stunden aeleitet: «Dser
Kampf, um dessentroillen du nach
Deutschland gekommen hist ist vor
bei existirt gar nicht, weil es ieine
Geqnerin giebt.«
est in dem iiihlen Winde und dem
nächtlichen Schweigen tam sie zur Be
sinnung.
Was denn? Keine Gegnerin?! War
sie denn blind aewesenZS Diese zer
brochene gealterte Frau war e: ne zehn
sach stärkere Gegnerin als eine junge,
esunde Person, mit der ste, Jane,
spielend den Kamps ausgenommen
hatte!
Joseph war ruhig und tiihl neben
ihr in’s Zimmer getreten, uns in dem
Augenblick, wo er Marie gesehen, hatte
er die Fassumg oerioren!
Sie war ihrem ganzen Wesen nach
nicht im Stande, diese Gewalt semi
mentaten Empfindens zu begreifen,
aber instinktiv fühlte sie, daß der erste
Wassengang, u dem sie sich gegen
ihre Gegnerin so siegesgewiß geriistet
hatte, verloren war.
Sie lachte aus« ein iurzes, heiseres
Lachen, so daß Joseph, der schweigend
neben ihr ging, einen Moment stutzte.
Sie gingen weiter, und Jane blickte
mit einem verächtlichen Lächeln starr
aeradeaug in die menschenleere Straf-e
über die sich der erste graue Schimmer
des dämmernden Morgens breitete.
Schön: war dieser erste Waffen
gana verloren, den zweiten würde sie
um so sicherer gewinnen. Und jeden
nächstfolqendem und damit den Sie
gespreiz? Jn ihr regte sich der spart
liche Ehrgeiz, den die Atneritanerinnen
auf den Tennisvlötzen lernen: man
tann einmal verlieren, und vielleicht
noch ein weites Mal; nur zäh blei
ben, den riss fest in der Hand halten!
Sie biß mit den scharfen, weißen
Zähnen in das Battisttuch· das fie mit
der linten Hand dar den Mund hielt
»Amt«
» ass«
« oseph legte seinen Arm um ihre
S ulter und zog sie im Gehen leicht
- an sich» »Jam, ich bin dir sehr viel
Dank lchuldig.«
»Weshalb?«
.Daß du gut warst gegen Marie
Jam, das dergess’ ich dir nicht.«
Sie zuette unter seinem Arm die
Achseln und gab keine Antwort
Sie gingen über denMarttplan naln
vorbei an dem ochgegiebelten hause
des Philosophen eibmz. Eine Franc
tote Stimmung la über der sch afeni
den Stadt. Der olossale Thurm del
Marttkirche mit feinen ungegliederter
Backfteinma en erhob sich vor them
wie ein Rie e. Dann tamen sie duret
ein lange, finstere Gasse, die auf Jan·
wie ein tchauerli Engpaß wirkte
Sie hatte eine spl Gasse nie gesehen
gib war, als ob ihr tn dieser dumpfes
e der Art-ern tierva
Zann endete die trage, und vo
t - - s
ibnen lagen die weiten Anlagen mit
dem ostheater, dem Lhreunn den ho
ben rachtbauten der Geargstrasie.
Jch habe Marie annt." begann er
von Neuem, .seit geboren wurde.
Wir lind miteinander ausgewachiem
du weißt. Ich habe tie auf dem Arn-.
getragen und habe sie gehen gelehrt.
Und nun das! Und nun sat«
»Da is unser hotel,« sagte iie.
Aber ofeph immer den Arm um
ihre Schul er gelegt, ging vor dem
Hause vorüber.
«Laß uns noch unten bleiben. —
Eie war meine Schwester, nich: wahr?
Sie wer doch wie meine Schwester.
Wenigstens damals. Sie wcr so
lieb, du glaubst es nicht· Wenn sie zu
ixiie latn mit ihren lleinen Händel-en
und wollte etwas haben. nnd ich mußte
ihr Geschichten« erzählen’. . . Und als
sie größer wurde —- sie wa: to hübsch
so teislch, lustig und gesund —- nnd
-— wie ist es möglich, daß Markt so
geworden ist?!'«
Sie gin en aus und ab, im Osten
färbte der imniel sich heller. Jn den
alten Erinnerungen verlo«en, erzählte
Joseph noch immer von Mariev
Jane sprach kein Wort, ader er ach
tete nicht darauf «- nstsntiiv siihlte
tie, daß dieses Erzii len ein Bett-riß
seines herzlichen und danlharen Zu
trauens war. So spricht man nicht
zn seiner eignen Frau von der Jugend
geliebten, wenn man seine Frau nicht
liebt und ihr voll vertraut. Und
stumm neben ihm her schreitend, sagte
sie sich
,.Wenn du jetzt ruhig nnd llug
bleibst und gehst aus seine Reden ein,
so hast du gewonnenes Spiel. Nimm
die Sache, wie sie ist nnd wie du ff
richtig heute begonnen hast: ein wenig
Mitleid, etwas Herzlichleit, diploma
tische Gelassenheit, vierzehn Taae
ohne stürniische Lieblosungen; dann
folgt die Abreise, und dein Mann ge
hört dir. Mehr als je nnd fiir immer!
»Nein!'« Sie lnirschtr mit den Zäh
nen: »Nein! Was geht mich diese
- Fremd- nnZl 0tosend aehiirt rnir und
nur mir! Resignirt daneben stehen«
wahrend er sich mit seinen Jugendn
innerungen absindeti Narrheit! Mit
leid — was beißt das? Wer hat
Mitleid mit mir, wenn ich einmal alt
werde?! Niemand· Sie hat ihn beses
sen, als sie jung war, und ietzt besiße
ich ihn denn jetzt bin ich jung! Was
ist dieses Mitleid, dieses iibertriebene
Mtled? Eine alberne Schwäche und
weiter nichts!«
Mitten in seinen Erzählungen von
der Kinderzeit unterbrach sie ihn mit
einer kurzen Bewertung
»Komm, wir gehen ietzt hinaus.«
Der verschlasene Portier öffnete und
geleitete sie in das dunkle Treppen
bau5.
Und Jane während sie eine Stufe
binter Joseph auswärts stieg, ballte
ihre Hände ur Faust
Marie erschien ihr jetzt bei scharfem
lühlem Nachdenken als ein unbedeu
tendes spießbiir rliches Geschöps
Stumm hatte die e Frau den ganzen
Abend dageseisen. nur bisweilen hatte
sie ein gleichgültig-ein nichtsiagendes
Wort zur Unterhaltung beigetragen
Joseph natürlich sah sie mit anderen
ugen an, aber sie Jane, hatte wahr
hastig leinen Anlaß, diese deutsche
verbliihte Alltaasfrau mit einem ro
mantischen Auspuy zu umkleiden
ch will meinen Mann für mich
selbst « dachte ,sie, »ich habe nicht Lust
aus ihn zu resigniren, und wäre es
auch nur siir einen einzigen Tag! Wer
bin ich denn? Eine Frau, die in der
großen Welt erzogen wurde! Mit
weiten, freien Lebensanschauungen.
Diese andre ist in sich selbst und in ih
rer dumpsen Beschränktheit erstickt;
das ist es!«
Misz Dash saß in einem Schwiel
stuhl ein warmes Tuch um die Schul
tern und einen Paletot über die Knie
ehreitet. Im Warten war sie einge
schlafen. Sie wachte auch nicht aus«
als die Thiir sich öffnete und die beiden
hereinkamen.
»Die( Luftl« iagte Jane, »sie hat
wieder alle Fenster geschlassenl« Und
i·e stieß sie weit aus« daß der kühle
Morgentvind die Vorhängesausslattern
L —--t.4
— IIIIWII.
,,Dafb!« Sie riitiette fie, ,,aeben Sie
schlafen. Nein, es ist gut, ich brauche
Sie nicht mehr. Gehen Sie in Jhr
Zimmer-«
Es war der verfchlafenen, blinieln
den Daib fchwer begreiflich zu ina
chen, daß Frau Barcnin die feltfame,
unfaleiche Jdee habe, fich felbft aug
zutleidem daf; man nach der heim
tehr von einer Gefellfchaft, noch dazu
in«einem fremden HoteL Dafb nicht be
niitizigg daf; — ja was? Aber ehe sie
rech zum Bewußtsein tam, befand sie
sich draußen und hörte den Riegel hin
ter sich zufchnappem
Sie ftand noch eine ganze Weile vor
der Tbür und fann nacht wer follte die
Stiefel hinausfetzenT Das Kleid in
den Schrank hängen? Die fünfzig
anderen Dienftleiftiinaen beforgen, de
ren einzelneAufzäblung unmöglich ift7
Mit einem Fröfteln --—— denn Dafb
ftor immer —- ging fie in ibr Zimmer.
Jofedb war an das gebffnete Fen
fter getreten, und Jane ftand dicht
hinter ihm
»denn oder nie! Heute gewinne ich
ibn Ganz oder nie!«
« I wird Mai en,« fagte sie tin-d
trat dicht neben i n, »du mußt müde
fein, mein armer Joe.«
«Jch nicht, aber du.« Er wandti
sich zu ihr, und mit einer weichen Be
wegung lehnte sie sich an ihn, di(
Lande au, feine Schultern gelegt, der
an eine Bruft fchniie nd.
« arum haft du Miß fb bin
ausgefchicktf ·
f
M
»Ich wollte mit dir allein sein. —
Sieh mich an, fee. So. Aber
sreundiicher. Ja, o.«
.Du mußt schlafen gehen, Jane.
Es ist vier Uhr vorbei.«
Mit einem rei enden Lächeln schüt
telte sie den Kopf: »Ich will noch mit
dir plaudern. Wir werden wach blei
bei, bis die Sonne ausgeht, ja?'« -
»Wie du willst."
»Ertliire mir alles, Joe, lornm.«
Sie og in an's Fenster. »Was ist
das Für ein han« da driiben?- Nein«
laß, ich will rathen. Es ist das Thea
ter, ja?«
«Ja.« Er lachte
»Und das da die Georgstrasze?«
,. a.«
»Ich weiß alles, ich kenne die Stadt
so gut wie du. Weil es deine Stadt
ist, Joe. und ich immer ausgepaßt
habe, wenn du erzähltest."
Er setzte sich auf den Stuhl am
Fenster-, während Jane mit ihrem lni
sternden Seidenlleide sich wie ein mü
des Kind aus seinen Schoß schmiegte
und sich an ihn lehnte.
Sie plauderte unbefangen von eil
lern möglichen, und dann wehte der
Mor enwind noch tühler in’s Fenster·
und Ie that, als sröstelte sie ein wenig
und schob sich dichter in seine Arme.
Die Sonne lam groß und strahlend
herauf und bli te auf dem rothen, sei
denen Kleidr. E»Die schien mit goldenem
Lichte aus das schöne, rosig: Gesicht.
»Jer«
Er schaute sie an, lange, ihre großen
Augen blickten zn ihm weich, lehnsiichs
tig empor-, seluiidenlacm, eine Minute
lann. Es waren traurige Angen, die
sagten:
»Um Jane Iiimmerst du dich nicht
Lneshp seit du die andere wiedergesehen
a t."
Es waren verlangende Augen:
»Aus unsi«
Es waren Augen mit seltsame-n
euer, das zu ihm flammend empor
chlug.
Sie hatte sich mit zwei, drei hand
grissen die schweren Flechten gelöst,
die nun wie eine Fluth iiber Stirn
und Wangen und das rothe Seiden
tteid strömten.
«- oe?«·
« ane!«
Ell it einem Ruck riß er sie empor an
sein Gesicht und bedeckte ihren rothen
Mund mit Küssen. Mit unzähligen
Mitkn, die ihr den Athem raubten.
. a," sagte sie mit zuclenden Lip
pen. »ja. its-«
Von einem blitzgleichen Gedanken
gepackt s— einem Gedanken an Marie
« stieß er sie einenMoment zurück, mit
beiden Händen ihre runden weichen
Arme umpressend und sie nieder
driickend, aber mit ihrer anzen Kraft
hielt sie die Hände um einen Ratten
verschlungen und tiißte ihn.
Und er erwiderte ihre Küsse, sinn
los; und immer sliisterte sie zwischen
den Küssen mit sliegendenr Athenn
»Ja — ja —- ja!«
I f O
Aus den Straßen war es lebendig
geworden. Es war Sonntaamoraen·
und allenthalben regte es sich. Drüben
auf der andern Seite der Straße aina
ein «anzer Schwarm Mädchen in hel
len attuntleidern und weißen Stroh
hüten. Sie hatte es eilig, vielleicht
wollten sie zum Bahnos, um einen
weiten Ausflug zu unternehmen.
Grüne Bittenstiimrnchen vor allen
Höusern —— es war Psingstionntaa.
»Ja, Pfingstsonntag. Mit Bir
len.« Er sliisterte es vor sich hin. Er
hatte nicht daran gedacht, daß eg der
Abend vor Psinasten war. der ihn in
die Heimath zurückgebracht hatte.
Joseph nahm aedantenlos eine ski
gaxrette und schob sie zwischen die Lip
pen, aber er vergaß. sie anzuziinben
Da lag die Stadt im hellen Mor
genglanze. Alles- wie ionit. Nur da
drüben ein Neubau, sehr stattlich, ja.
bannt-den — sonderbar! — er war
wieder in Hannoder.
Und just Pfingsten. Psinalten war
in der Kinderzeit vielleicht nicht das
schonste Fest gewesen« Weihnachten
war schöner und Ostern auch, aber es
war ein heiteres Fest doll Frühling
unZIFrgend
Alls llll JclllclllOI
Er wandte sich hastig um. Nein,
Jane schlief.
Arn Abend vor Pfingsten ainaen die
Kinder aus«-, um tleine weiße Birken
stämme zu tausen, kie an alle Thiiren
gebunden wurden und mit ihrem
dustigen, seinenGriin der ganzen-Staat
ein heiteres Ansehen gaben. Später-,
wenn sie verwelteten, striiinten sie ei
nen starken Duft aus, an den er sich
deutlich erinnerte.
Einire Tage vor dem Feste führten
die Gesellen der großen Schlachten
meister in Hemdsärmeln nnd weißen
Schiir en durch die Stadt mächtige
ostsrieische Ochse-, die zwischen den
görnern Kränze trugen und eine
uirlande um den Leib. Man hiesi
sie Psin stochsen, weil sie eigenz zum
Beste e ehlachtet wurden, und wer zu
sing ten einen Ochsenbraten bestellte
bildete sieh ein« dasz der Braten« Iust
von jenen Przzehtetemplaren herrühre
Er liicheltekf Es waren kleine un
bedeutende Erlnnerungen, aber in ih
rer Gesammtheit siihrten sie dentlick
das Bild längst vergangener Psingsn
seste zu ihm zurück.
Damals standen die Kinder sriit
um süns Uhr aus« um das Morgen
tonsert zu hören, das in allen Wald
wirthsehasten nahe bei der Stadt ab
ehalten wurde, —- hente war es stin
klhn nnd Joseph war im Begriss
schlasen n gehen.
»Ja, schlafenk Er war milde- zun
Sterben. O
,Er tvars noch einen letzten Blie
hinaus aus die Straße, aus der seht
anze Trupps von Männern und
rauen und Kinder in den Frühlings
rnorgen hinan- ogen, dann löste er die
Scherniere der cschweren alousien und
ließ vie dunt en Hals Ide an den
Fenstern hinabrollen.
»Es wurde finster tm Zimmer; er
zundete eine Kerze an, aber das dürs
tiae gelbe Licht wirkte gespenfterbast
düster im Bergleichvku dem Sonnen
lichte, das er eine inute zuvor noch
gesehen hatte.
lind-plötzlich war ed Joseph, als ab
er aus einem Traume erwache! Als ob
er diese halbe Stunde, seit Jane ein
geschlafen war und er am Fenster in
den Psingstmokgen gestarrt hatte, ein
Nachtwanvler gewesen sei! Ein Wahn
sinniaer, der — der —
»Gros3er Gott!«
Da lag sie und schlies. Mit glat
tem Gesicht, lächelnd im Schlas.
Er hatte sie umarmt, heute! Ge
tiißt, heute! An sich gerissen, heute!
Jn dieser selben Nacht, in der er Ma
rie Iviederaesunden hatte! Die todte,
sterbende Marie! Er hain —- er schlug
mit einem wilden Schlaae die hande
vor sein Gesicht unv bnch zusammen
aus dem Teppich. »Marie!«
LangeZeit nachher stand Joseph aus
und nahm die Kerze, die halb hinab
gebrannt war, und trat an das Fuß
ende von Janes Bett.
Jn ven Zimmern nebenan tvnr es
laut geworden. Ein Kur ries nach
Wasser und raußen im ) arrivvr gelte
eine elettriiche Glocke.
Sie schlies. Jhr rundes. rasigeg
Gesicht laa aus dem weißen Arm.
Ein Grauen aina über ilzn bin
Diese Liebesnacht war ein Mord.
Ein Mord an Marie. An allem Gu
ten unv Heiligen. Ein Verrat —- ein
Verrat.
Die Kerze verlvich. Jene schlies.
Der Sonntagsmorgen wir um viele
Stunden vorgerückt, nun begannen
vie Kirchenalocten von allen Seiten
her zu lauten.
ist--- k-;- -.):---«- bis-L c:-c«-- »J
- w« »a» «...... .»...- ,....... ....
Nacht, denn Zone schlies, and oseph
saß in dem Sessel am . uhen e des
Bette-, das erloschene Li t noch im
mer in der Hand.
Neuntes Kapitel.
.Und wann geht’s wieder fort, Jo
seph?« »
»Am Dienstag. llebernwrgen.«
»Noch Paris-'
»Ja.«
«Ynd dann nach London?'«
»Ja-«
»Und dann retour nach drüben?«
» a-«
»zli1·cllicher Joseph!«
Er saß in einem Kreise bunter Uni
sormen an dem alten Stammtisch, in
den er vor Jahren mit ein paar un
gesitgen Schnitten seines Fedetmess
sers »J· d. H.« geschriin hatte. Die
Buchstaben waren noch zu lesen und
würden wahrscheinlich bestehen blei
äkinb so lange der Tisch im Gebrauch
ie .
Aber er, Joseph, wiirde sie nie wie
der lesen, denn er sasz heute hier zum
letztenmal.
Es war Sonnta abend, genau acht
Tage nach seiner nlunst. Albrecht
und die Damen befanden sich drüben
in der Laus bis zwanzig Minuten
nach zehn hatte er Zeit, hier zu schen
Es hatte ein Hallo gegeben, als er
vor einer Stunde hereintam. Der
eine nnd andre hatte ihn im Laufe»der
Woche schon aus der Straße begrußt,
und in der ganzen Zeit war in Han
noder nur von ihm und seiner schonen
Frau die Rede gewesen.
Man sprcsk aus, drängte sich um
ihn. sMitteln seine Hände: .
»Jos-rh! Alter Jun ei Zeigst du
dich endlich! Was macht du?« «
Selbst der Kellner Karl war in
Auskeguna. Er nahm den leichten, hel
len Paletot und den blanten Cylinder
und hing sie an Joseph’tt fruheren
Stammdlatz. den dritten — ten lints
vom-Ofen, wo Hut und W antel·zidi
schen den aiisgehangten Miit-en einge
zcviingt wurden.
start reichte herrn tdon Heiden
sktamrn die in Leder acounoene wem-s -
arte.
Da erst sah ibn Joseph.
»Karl,« sagte er lächelnd und gab
dem alten Karl iiber den Tisch vor
allen Lssizeren -- ein Ehre, die Kaki
noch nie widerfahren war -—— die hand,
,,er lebt auch noch! Ihr lebt alle noch!
Was soll ich mit der Weintarte?"
,.Beset)len —«- Herr Baron —- den
Schovven2 Laubenheirner?'«
»Was sonst?!«
Nach den ersten dringendsten Fra
gen urtd Antworten lenlte das allge
meine Gesvräch aus Joseva Frau. Er
versuchte von Zeit zu Zeit ein andres
Thema in Gang zu bringen, er sraate
nach diesem und jenem, nach Rochus,
nach Sporleder, aber er betarn nur
kurze Antworten.
»Nochus? Welcher RochuM Ach so:
Nobel-eck. Von dem hört rnan nichts
mehr, nein."
,.War er nie wieder biet, zu Be
uch?««
»Nein. Joseph, du hast die schönste
Fran, die ich je gesehen bade. Arg
Ehre und Gewissen. herraott, wie i
euch «estern sah! heraott, ist die Frau
schön-« .
»Sitzt Noch-- denn immer noch in
Pilltebmen?« «
Jkann sein, ich weiß nicht.«
Niemand wußte es, aber jeder ein
zelne wünschte zu erfahren, ob alle
Amerttanerinnen, respektive viele, so
schön seien. .
Gortsetzung folgt·.)