Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, September 27, 1901, Sonntags-Blatt, Image 16

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« (9. Fortsetzung)
Wie kann man schön finden,was der
Ausdruck grenzenloser Oede und Hoff
mgslosigkeit ist?! Nie wird auf die
kes diirren Flächen ein Kornfeld feine
Bibel-sen Iehren wiegen, nie Obst rei
sen. Mit allen Mitteln einer vollen
deten Technik und chemischer Durch
arbeitung des Bodens macht man an
den Grenzen schmale Landstriche ur
bar, aber die Heide liegt wie eine schla
fende Riesin, die es taum empfindet,
daß die Zwerge in ohnmächtigem Eifer
an ihrem Gewande zerren. So wird
sie noch Jahrtausende schlafen, ein ge
waltiges Wahrzeichen, das den die
Erde erobernden Menschen ein Halt
Mieter
»Das ist nicht Dentschland,« sagte
vseph, »sondern nur ein tleiner
heil,« und nach einer Pause fügte er
hinzu: »wenn man so will: der trau
ngste Theil, wenn man so will: der
schönste.«
Sie lächelte in ihrer aufrichtigen,
freundlichen Weife, die nichts Vet
letzendes hatte: »Dir gefällt es, weil
es deine Heimath ist, Joe, aber mit
gefällt’s nicht, sei nicht böse.«
»O, böse.«
Sie waren nun länger als ein Jahr
verheirathet und stimmten immer gut
zufammen. Daß sie den leifen Zug
von Sentirnentalität, der über ihm
lag, nicht verstand, empfand er bis
weilen herber als nothwendig war,
aber in ruhigen Stunden sagte er sich,
daß es unsinnig fei,von seinem schönen
Leibe etwas zu verlangen, das ihrem
klaren Wesen und dem Weer ihres.
ganzen Volkes widerspruch.
Heute zum erstenmal erschien ihm
ihr «Nicht«verstehen« wie etwas Kal
tes,das ihn beinahe körperlich schmerz
te. Seit gestern früh, da die User der
Elbe an ihm vorbeiglitten, war er
sonderbar erregt.
Diese Elbuser waren das Letzte ge
wesen« das an dem traurigsten Tage
seines Lebens ihm Lebewohl zugeruien
hatte, und sie waren das Erste, das
ihn wieder grüßte. Alle Erinnerun
aen waren mit diesem Willkomm wie
der aufgewacht
Während der Uebersahrt schien er
an Bord einer der Lustigsten, man
lachte, man tanzte, man spielte, ein
ganzes Regiment schöner Amerikane
rinnen war aus dem Dampser gewe
sen, und Baronin Jane die schönste.
Was Deutschland! Amerita, das
tvar seine neue Heimathl Vier Wochen
in Deutschland und dann weiter nach
Florenz, Paris, und nie wieder zurück.
Rie! Unter keinen Umständen!
Zuerst hatte es an Jane gelegen,dasz
man die Europareise immer wieder
hinausschob, dann an Joseph selbst.
Er sehnte sich nicht me r heim, im
Gegentheii. Die Vergangenheit lag
so weit hinter ihm, es hatte keinen
Sinn und Zweck, sie noch einmal her
auszuheschwören Was suchte er in
Deutschland? Nichts! Es gab da
viel-is mehr, was ihn heimries. Etwa
Albrecht? Wahrhaftig nicht! Oder
Partei Marie und er hatten ihre
Orge- getrennt, sie hatten einander
nichts zu sagen, nichts Böses, nichts
Gutes.
.f--« qu4 Hascs »n- sssv Mosssb- «
M» «,..... .,«... ».. -.. ---,-q
rung der Reise bestanden. »Ich ivill
Europa tennen lernen,« sagte sie, »und
deine Freunde,« — und: »Ich will
diese Marie kennen lernen,« dachte sie,
»und deren Mann.« Diese Reise
würde sür sie, die schöne junge Frau,
ein Triumph sondergleichen sein, ein
Triumph vor allem gegenüber der
einstigen Rivalin! Weshalb aus ei
nen solchen Triumph verzichten-Ei
Noch dazu wenn man ihn vereinigen
kann mit einer interessanten Reise,
Zerstreuungen Amiisementgt Als sie
nach Deutschland kamen, war sie
heiterer als je, vielleicht auch schöner
als je.
iSeltsam war Joseph zu Muthe ae
wesen, als er gestern mit Jane durch
Hamburg ging. Die Stadt hat noch
etwas Ameritanisches, Fremdes, aher
auch da schon tönten ihm aus Schritt
und Tritt die Erinnerungen entgegen.
Aus dem Homer Moor bei hambura
hatte er einst seinen ersten großen Sieg
»Es-echten —- aus »King Harold’ im
f Mnsajagdrennew —- und bei »Mot
ke«, wo er Abends mit Jane soupirte,
hatten seine Freunde damals denSieg
nett Champagner gefeiert.
Vor dem Alsterpavillon traf er
zwei Wandsbecker Husarenosfiziere, er
erkannte sie aus den ersten Blick; der
esse war Clemens Betrat-arg der
her bei den Berdener Ulanen stand
m mit Joseph die tollen Saiten in
Hasen-Baden ausgeführt hatte. Beide
M ihn und seine schöne Begleiterin
In und Mitten-dann gleichgültig wie
Iet gerade-and Dieser herr im hellen
MONEY mit helle-n Vandschuhen
M M Pariser Ehliuder Ionnte sie
"" « an Joseph Beide-stam
M In beide ca eine seine, mi
We s MI- aut die
hand gestüsh blickte Joseph stumm
hinaus. Hier in der beide hatte er
seine schönsten Stunden als kleiner
Jung-e derlebt, wenn seine Freunde,die
Osfiziere, ibn mit hinaus nahmen und
man lange über die weiten Flächen
ritt, bis irgend ein Dorf auftauchte,
in dem man Rast machte.
Er hörte noch die laute, lachende
Stimme des Grafen Brügge: .Ein
Glas Milch für den Jungen!" und er
lächelte. wenn er an seine tiesgeiränite
und zornige Jungenart dachte, mit der
er das Glas Milch beiseite geschoben,
zehn Pfennige ans der Tasche geholt
und ein Glas Bier gefordert hatte.
»Bravo, Joseph. trinkt« Sie gaben
ihm Cigaretten und Wein, und ging
es Abends beim. so schwankte er aus
dem breiten Rücken des Gauls und
mußte seinen ganzen Mutb und alle
Entschlossenbeit zusammennehmen,um
sich oben zu halten.
Wenn die Heide blühte, stieg man
denn Pferde und schnitt mit dem Ta
fchenmesser große Eritafträuße, die
vorn an den Sattel gebunden wurden
und im Kastno als TafelschftmuckVer
Ioendung fanden.
Joseph brachte seinen tStrauß —
der kleinen Marie.
Mit einem heftigen Ruck riß er sich
empor und schaute nach Jam; sie
schlief. Jbr weißer Staubmantel
breitete sich aus den rothen Sammet
tissen um sie her, den rechten Fuß bat- «
j: sie auf die Polster der andern Seite »
atstemmt, und ihr feiner gelber Stie
fel schaute unter dem herabhängenden !
Seidentleide hervor. Lanasam. regel
mäßia hob und senkte sich die Brutt,
aus dem Gesichte lag ein Lächeln und
ein Schein der sinkenden Sonne
Was Heide! Was Deutschland!
Fort mit allen diesen Erinnerungen2
Das schönste Weib gehörte ihm, nnd
vor ihm lag das große amerikanische
Leben, in dem man nicht träumt, son
dern schafft. Er dachte an die beiden
Hamburger Offiziere von aesrern
Welch ein eintöniges, qivecklofes Le
ben! Morgens in den Stall, Mittaas
in die Reitbabn und Abends eine Pro
menade durch Hamburg: ewia das
selbe Einerlei. Sie leisten nichts, sie ;
schaffen nichts, sie sehen nichts, sie »
klettern langsam ihre Leiter empor,
und von tausend kommt kaum einer
auf die Höhe dieser Leiter.
Wie dinreißend Jane aussah! Lan
ae schaute er nach ihr din.als ob er aus
diesem schönen Gesichte sich Muth ho
len wollte ssiir den drohenden Kampf
mit den sentimentalen ErinnerungeW
Langsani tatn die Dämmeruna,
Uelzen war liinast passirt, Celle vor
über, eine Stunde noch, und der Zug
fuhr in die große Halle zu Hannover.
Die Heide wurde dunkler, erst
arau, dann finster-. An solchen Aben
den war et oft als junger Osfiiier auf
dein Heimritt gewesen, vor allem an
den nebliaen Novembertagen, wenn
die Reitschule mit der Meute gejagt
hatte. Jn Jserndagen trank man noch
einen Geda, und dann aina’s durch
die kalte Nacht beim, bis die Lichter
von Hannover kamen und er sich eilen
mußte, um Marie mit dem Abendessen
nicht allzuianae warten zu lassen.
Marie — immer Marie, zu der sei
ne Gedanien wanderten!
Heute Abend würde er sie wiederse
n.
In Streits Hotel zu Hambura dat
ten Jane und er zwei Briefe aesunden.
von Albrecht und Marie. Beide ha
ten Bruder und Schtväaerin, während
ihres Aufenthalteg in Hannoder das
nenn auch nur hescheidene Quartier in
ihrem Hause nehmen zu wollen. Ma
rieg Brief war ruhia und höflich; zö
aernd, mit einem Blick aus Jane, die
immer noch fest schlief, nahm er den
Brief hervor und blickte aus dieschrist
Ein einfacher-, weißer Brieshogen. Es
waren dieselben «Schristzüge, die ihm
einst so viel Liebes und Gutes gesagt,
und die er nun seit Jahren nicht mehr
gesehen hatte. Oder war die Schrift
anders geworden? Ja. Die Lampe
stackerte, draußen war die Nacht her
eingehtochen, er hatte Mühe, in sei
ner Ecke die Buchstaben zu lesen. (
Maries Schrift war groß, steil, fest i
gewesen, jetzt schien sie unsicher und -
hastig und müde. ’
Eine kleine Station mit arellenLich- ;
tern sloa vorbei, dann wurde es wie- E
der finster; dann kamen Häuser mit
erleuchteten Fenstern, mehr, immer E
mehr, Hannover kam.
Einen Augenblick hatte er die Em
pfindung, als oh ihm der Athem stock
te, dann nahm er sich zusammen und
stand aus.
»Jam!«
Sie zog im Schlaf ein mißmuthi es
Gesicht wie ein Kind, das man in get
Rachtruhe stört, und drehte sich seit
wärs
» ane! M ass! Wir nd deri«
S schlug die sc au und zwin
seete gegen das Lieb : »Was«
. den« «
: FOR-Z mi- ssen »san«
ferti« Und im nächsten sugenbllc Var
sie völlig wach. Sie schiitteite sich ein
wenig und lebt-te sich dann an tän:
»Ich hatte iv schön geträumt« Joc
ratbespoon wemF
Er war nicht in der Stimmung, sit
rathen« da legte sie ben Arm um seinen
Hals und iiißte ihn zärtlich: »Von
dir.«
aIiiinrn dein-e Sachen zusammen,
Jane.«
«Das eilt ja nicht so.«
·Doch. Ei ist immerhin möglich,
baß man uns auf dem Babnhof er
wartet.« .,
»Das ist wahr, ia.· Sie beugte sich
hastig iiber ihre Taschen Und hatte im
Augenblick alles geordnet. Sie fah
nach dem Schlaf frisch und rosig nas,
und als sie das in dein tleinen Kris
stallfpiegel bemerkte, freute sie sich:
»Heute miisien wir Staat machen,
Joe, wir beide. Mir wird ordentlich
feierlich zu Muthe.«
Die großen elektrischen Bogenlams
pen warfen ihr Licht in das Coupe,
langsam rollte der Zug in die Halle.
Joseph öffnete das Fenster und
beugte sich hinaus.
Da stand Albrecht! Allein, Gott sei
Dant! Ohne Marie.
'Der Zug fuhr noch ein paar Du
tzend Meter weiter-, die Brüder waren
dicht aneinander vorübergeglitten, aber
Albrecht, ver den Zug entlang spähte,
batte Joseph nicht bemerkt. Und Jo
seph ibn nicht angerufen. Weshalb
nicht? Er-wußte selbst nicht weshalb
Er batte rufen wollen«-ihn bas Wort
blieb ibm in der Kehle stecken.
Er winkte einem Gepäaträger, und
eiit als alles besorgt war und die
; Menae bereits anfing, sich zu verlau
’ im, tauchte Albrecht suchend aus dem
I Gedränge hervor.
»Joseph!«
.Albrecht!«
Sie reichten sich die Hände unb
schauten einander in’s Gesicht mit ei
nem fremden, unsicheren Ausdruck.
»Wie geht es dir?"
,.Wag machst bit ?«
»Mein Bruder Albrecht —- meine
Frau.«
»Meine Gniibige,-ich« — er reichte
ihr die Hand und sah sie an und wur
de verwirrt —- .toir freuen uns auf
richtia.« Und er starrte sie von neuern
an, oon der glänzenden Frau wie ge- .
blendet.
Sie bemerkte sein Staunen und»
freute sich darüber. Nun fand sie so
fort ihren leichten, heiteren Ton:
»Wir haben lange aus uns warten
lassen, Joe und ich, ein ganzes Jahr
und noch länger. Sie wollten uns zu
Hause nicht sortlassen. Aber nun sind
wir da. Und wo ist Mark-«
»Meine Frau konnte leider nicht
mittommen, sie hittet um Entschuldi
gung. Sie ist nicht recht wohl, aber
sie freut sich, Sie, meine gnädigesFrau,
und —- und Joseph zu empfangen«
.Sie ist lrant?!"
»Nicht traut, o nein. Nicht das,
was man trank nennt.« Er reichte
Jane die Hand. «Hosfentlich wird es
Ihnen in Deutschland und speciell bei
uns in hannover gefallen, meineGnä
eige. Jch freue mich, daß Jhnen die
rette Reise, wie es scheint, gut bekom
men ist«
»O, was das hetrisst!« Sie lachte
und ging an seinen Arm die Treppen
hinab. »Welch ein großartiger Bahn
hos! Tausendmal schöner als inhansp
burg! Jch dachte« hannover wäre so
klein. Joe, kommst du?'· Sie blickte
sich flüchtig nach ihm um. Welch ein
Gedränge! Diese Menschenmenge! Wie
in einer Weltstadt!«
Einige Soldaten kamen vorbei und
Iriiszten militiirisch, das erschien ihr
seltsam und doch auch hübsch. Diese
fremden Soldaten grüßten j, die
eben angetommene Amerilanerin, oder
Dom wenianens ihren Begleiter. (
Seine Sporren klirrten bei jedem l
Schritt, und die glänzende Uniformi
Jefiel ihr ausgezeichnet Sie plaudert
rnit ihm in munterster Laune, während i
iosth in dem Gedränge der Menschen
cåwechselnd neben ihr oder hinter ihr .
i itt T
Er hatte vor diese-m ersten Wiederse
ben mit Albrecht ein Unbehagen em
pfunden: es würde tragische Gesichter
und schulmeisterhaft ernste Worte ac
ben, eine unbeaueme Seene rnit feier:
lichen Alliiren.
Statt dessen löste sich alles in be
quernster, banalster Weise, in einer fast
allzu bequemen Weise.
Zwischen ihm und Albrecht hatte es
zeitlebens sehr wenige Hierüber-nag
puntte gegeben, aber immerhin waren
sie Brüder. Sie hatten sich fünf lange
und sehr ereignißreiche Jahre nicht ge
sehen, es wäre das Beste und Richtigste
qewesen, sie hätten sich überhaupt nicht
wieder getroffen. Wenn das nun aber
einmal der Fall war, so hatte das in
einer gewissen feierlichen Weise zu ge
schehen. Mochten dabei tragische und
unbequerne Worte gewechselt werden,
besser das, als dieses flache »Guten
Tag" nnd »Wie geht’s?«
Und das seltsame Gefühl lam ei
nen Moment lang über ihn, als ob
diese Frau da, seine eigene k rau, eine
Fremde sei, die si unbere tigt zwi
: schen ihn und den ruder drängte
—-—s.——.. - - ««
»Nein, nein, wir wohnen im hoteh
aber das ist ja selbstverständlich Joe,
so tät tich doch«
atiirlich, wir wohnen im hotei. «
EI folgte vor der Drofchte ein tur
zez inbt nnd er von Worten, dann
m
ab diese Lösung der
gsohmtl in i IasehödfrltMigtiävilltommen
war n e nein
ihr kommt Juni Mdefs dessen.
Karte wartet auf euch. In einer
Stunde seid ihr bei uns. Auf Wieder
sehen, meine gnädige Irau."
»Auf Wiedersehen.« — »Aus Wie
dersehen.«
Der Wagenschlog schloß sich, nnd die
Droschke fuhr den kurzen Weg sum
hotei.
»Ein sehr netter Mensch.«
»Wer? Albrechti«
»Natürlich. Wer sonsii Und wie
Glänzend er aussieht in dieser bunten
fsi iereuni orm. Ach« Joe, du bist
ein Harr, da du dich mit deinem Bru
der zeitlebens gezankt hast. Uebrigens,
er steht dir ähnlich.«
All er schwieg und aus dem Wagen
fenster in die alten. bekannten Stra
ß;n starrte, lehnte sie sich zärtlich an
i n:
»Nur daß er viel älter ist« Joe, als
du, und lange nicht so schön.«
»Ja. ia.'
Er hörte kaum aus sie, ihre Berüh
rung that ihm sast weh.
Der Springbrunnen neben dem
Denkmal Ernst Au usts plätscherte, ein
Soldat ging mit einem Liebchen, ei
nem drallen Hausrnädchen, im Schat
ten der Bäume, eine warme, weiche
Sommernacht lag über den Straßen.
Er hatte nur ein Gefühl:
Allein sein! Eine einzige Stunde!«
Er stand an dem geöffneten Fenster
in dem Hotelzimmer nnd blickte zur
Georgstraße hinüber, wo das Leben an
dem schönen Abend noch auf und ab
sluthete.
Jane kleidete sich hinter ihm vor dem
hohen Spiegel um.
.Joe, reich mir das Necessaire. Du
hast es eingeschlossen. Bitte.«
Er ging zum Koffer und brachte ihr
das Etui. Jhr weißer Nacken leuchtete
ihm entgegen, und die fein gerundeten
Arme, die hoch erhoben die schweren
Flechte n ordneten, schimmerten in dem
Kerzenlicht. Aber er schenkte seinem
schönen Weibe keinen Blick und trat
wieder an’s - nster.
Beständig chwa te die Kammersrau
-
» mit ihrer Herrin; te probirten erst das
grauseidene Kostiim von Worth, dann
zwei oder drei andere Toiietten und
entschieden sich nach langem Hin und
ver sur ein omposes Gesellschafte
tleid aus LaFerrieres Meisterateiier:
bordeauxrothe Seide mit einem Per
besah von etwas hellerer Färbung.
Joseph gab sich Mühe. nicht zuzuw
ren, aber obwohl Jane und die Ram
mersrau aus seine Anwesenheit Rück
sicht nahmen und halb sliisternd spra
chen, vernahm er jedes Wort. Ein
Strom von Erinnerungen slutete zu
ilnn hinaus von draußen her, von dem
Hostheater, das schwer und massiv und
Dunkel sich dicht vor seinem Fenster er
hob, von der hellen Georgstraße, von
den vorbeigehenden Menschen, von der
Heimathsstadt, aber keiner der Ein
drücke blieb in ihm haften, weil das
Schwaden hinter ihm jeden Gedanken
tödtete.
»Frau Baronin ist stärler gewor
den.«
,.Wirtlich?«
»Man hatte ja aus dem Schiff leine
Bewegung; wenn rau Baronin erst
wieder reiten und nnis spielen, än
dert sich das wieder."
»- oe?"
» a3?«
»Findest du« daß ich störler gewor
den bin?«
Er wandte sich gequält um und be
trachtete sie. Ja, sie war störter ge
worden aber er hatte teinerleiNeiquna.
dieses Thema zu erörtern.
» sinde nicht«
» a, also. Wie gefällt dir das
Kleid7«
Es war eine der neuen Pariser Tei
letten, die eigeni siir dieEuropatournee
angeschafft und ihm noch nicht vor
aestellt waren. Er betrachtete sie
stumm und sagte dann:
»Seht schön, aber — etwas ausfäl
I;- «
Jane lächelte, und die Kammersrau,
Miß Dash, war consternirt über die
ses Urtheil. Sie belehrten ihn beide,
daß es durchaus nicht auffällig sei,
worauf er miide zuftimmte und äu
ßerte, es sei in der That wohl nicht
auffällig.
Er trat wioer an das osfene Fen
ster
Nun sprachen sie über das Pariiim,
iiber die Handschuhe, über Mist Bliß,
die während der Seereise sich sehr auf
fällig an die Baronin attachirt hatte;
ob Miß Bliß und Mr. Kellh sich der
. loben würden? .Vielleicht.« —- »Viel
leicht nicht.« —- «Es wäre für Miß
? Blisz ein Glück, denn sie ist nicht mehr
J jung.« —- «Sie ist mindesten- fünf
i undzwanzig.« »Mindestenj achtund
j zwanzig.«
Bis endlich die Toilette beendet war
und Jane ihren Gatten zärtlich . vom
Fenster holte.
»Du hast lange warten müssen,
Joe, bist du böse? Du bist nicht böse.
Geiall ich dir spi«
Und sie breitete ihren dünnen« fei
nen Seidenmantel mit beiden Armen
weit auseinander, daß ihre üppige
Figur in dem leuchtenden Noth sich
königlich präsentirte. Um den weißen
hats trug sie ein dunkelrothes Sam
metband, an dem ein Faziger großer
Diamant blißte, wer eren Schmuck
hatte sie nicht angelegt.
Miß Dash ging zur lehten Prit
iung um ihre herein, sie von allen
Seiten aufmerksam betrachtend, wo
bei sie sich aus den Zehenspitzen hob,
sich tiegbeugty zurücktrat, um einen
Blick aus gewisser Distan zu gewin
nen, zapfte, lättete, stri und fort
während ll ne Bewunderung-äuße
rungen murmelte. «
Sigm stand stumm und ließ Mi
Da gewähren. Ihre rechte ca
machte lich ein wenig mit dem ltnten
dandschuh zu schassen, der iiber dem
vollen Arm sich allzusehr strasste, den
Kopf hatte sie ein klein wenig zurück
gebogen, und so blickte sie stumm, un
derwandt aus Joseph und lächelte ihm
zu.
Es war eine seltsame Minute, in
derbeide nicht sprachen und sich nur
anschautem eine Minute, die scheinbar
Miß Dash und ihrer Jnspection ge
hörte, in Wahrheit aber ganz ausge
füllt war von diesem einen strahlenden,
siegessicherem weichen, tosenden und
dann wieder übermitthigem lächeln
den Blick der schönen Janr.
Bis Joseph, wie von einem Magnet
gezwungen, mit drei raschemS ritten
zu ihr tam und den Arm um re leg
te: »Du bist schöner als· je.«
Sie beugte den Kops noch tiefer in
den Nacken zurück und sah ihn mit
halbverschleierten Augen an: »Bist ich
schöner»als je?«
» a.
Miß Dash ging immer noch um
ihre herrim das heißt jetzt um herrin
und Herrn-, immer von dern Gedanken
geleitet daß, irgend etwas noch nicht
in letzter und höchster Vollendung sein
könnte. Sie hatte das Wort ausze
ichnappt und murmelte es vor ich
hin: »Schöner als je, schöner als je,'«
während die beiden ihre Anwesenheit
taum zu bemerken schienen. Um diese
Mii; Dasb brauchte man sich nicht zu
aeniren, ebensowenig wie man sich
etwa um einen treuen. alten Pudel ge
nirt hätte.
»Wollen wir nun geben. Joe?«
Er wachte aus und nickie: »Ja.«
O O It
»Sie lassen aus sich warten,« sagte
der Oberstleutnant ungeduldig. Er
ging mit tnarrenden Stiefeln im Eß
zimmer auf und ab, während Marxe
an dem Fensterplatz saß, die Hände in
den Schooß gelegt und die Augen seit
langer Zeit auf eine Stelle des Tep
pichmusters geheftet
»Findest du nicht auch?'· Er blieb
han«-vor ihr stehen. »
« «
«Also. Antworte doch, wenn man
etwas spricht oder fragt. Das ist
slirchterlich, dieses Nie-Antwort-ge
ben.«
»Verzeih«
»Was verzeihen! Da iii nichts zu
ver«zeihsen! Es ist nur unangenehm
wenn man nie eine Antwort bekommt.
Das erfordert doch schließlich die ein
sachite höflichleiL Besindest du dich
wieder schlechter?«
Sie sah ihn mit einem vaaen Blick
an. als hätte sie nicht recht gehört, was
er staate und iei nun in Anast, weil!
sie leine Antwort wußte. Er fühlte et- !
was wie Mitleid Er nahm einen
Stuhl vom Eßtisch und setzte sich ne
ben sie.
»Wenn ich Urlaub erhalte, gehen
wir vier Wochen an die See; du mußt
dich erholen, Marie, du siehst nicht
auf aus.« Er nahm ihre schmale
hand und streichelte fie
Er hatte das Gesithl: an diesem
Abend musit du dich zusammenneh
men. Jn deine Ehe und ihre Oede
hat Niemand das Recht hineinzu
ichauen, am allerwenigsten Joseph
oder dessen Frau.
Aber während er stumm die kalte,
magere band streichelte, zog langsam
in dieie halb weichen, halb nkichternen
Gedanken eine Empsindnng voll maß
loset Bitterkeit.
Immer und immer, solange er zu
rückdenten konnte, war er der Benach
theiliqte und Joseph der Glückliche!
Während er gearbeitet und jeden
Psennig gespart hatte, dergeudete Jo
seph sein Geld, um dann in Amerika
ein hundertmal größeres Vermögen in
der leichtesten und angenehmsten Weise
zurückzuaewinnem Während er die
ZLL-« -FI ca L
IWUUI stsslc Hcllcsl »Jll(, tout-II sII
Iosepiss Braut, und als Joseph sie
verlassen hatte und aller Jugend
schimmer des Mädchens verblaßt war,
nabm er, Albrecht, die kümmerlichen
Reite, die der jüngere Bruder zurück
ließ! Das schönste Weib von driiben
fiel Wosedh als Beute zu. und heute
tam er und vriisentirte seine neue Er
werbung, während er, Albrecht, gute
Miene zum bösen Spiel zu machen
hatte.
»Er wird sich wundern, wenn er
Marie wieder sieht und sie mit seiner
Frau vergleicht! Wundern wird er
sich! Aber über wen? Ueber mich! Und
wird mir sehr dankbar sein und den
ken: ist doch ein guter Kerl, der Al
brecht, er begnüat sich immer rnit
dem, was man überläßt.«
.Wiei« Marie beugte sich ängstlich
vor und sah ibn tragend an.
»Ich sagte nichts.
» u sagtest doch was...«
»Bitte-baut nicht«
Mit einer brüsten Bewegun« ließ
er ihre hand los und ging au und
ad. Er betrachtete den Tisch, das kost
bare Grdeck, die großen Krustallschalen
voll seltener Früchte, und plötzlich«
lachte er laut aus: t
»Sie tommen nicht. Sie lassen ausl
sich warten wie Könige oder wie ame
iitanische Millionäre, die sie sind!
Die uns armem Gesindel eine Gnade i
erweisen, wenn sie überhaupt einmali
bereinfchauenD Laß hinschicken zuan
Hotel: Jch bedauerte, ich —- ich -——;
ich warte nicht länger!« :
«Albrechtt« !
Er nahm eine der Krnstallschalen
in die band und hob sie empor. Er
mußte si zusammen, um seinem
Grimm ncht die Zügel schieben zu’
lassen und die Schale nicht zu zir
fchmettem «
Da tönte irn Flur die schrille
Glocke.
Er atlnnete tief aus und fuhr sich
nrit der Fand über die Stirn . ,
Eine· aufe entstand.
Er sehnte mit der hand auf drrnEszs
tifch, während Marie in der dämmeri
gen Ecke am Stifsett stand. Sie hörten
draußen Stimmen: die· Stimme des
Hausmädcheni, eine helle Damenstirn
me mit fremdartigem Arcent und dann
— Marie begann zu zittern —- Jo
feph’i Stimme.
Eine Minute verging, eine zweite
Minute, eine Ewigkeit
Ein blutrother Schimmer legte sich
vor Marie’ö Au en, er wurde duntler,
sie bewegte die ippen. als wollte sie
etwas sagen, da zerriß der Schleier
vor den Augen, und das Zittern hörte
aus. Sie stand gerade aufrecht, nur die
Arme hingen leblos herab.
Die Thiir hatte sich geöffnet, sie fah
den hell erleuchteten Corridor und in
der Tdiir eine Frau in rotdseidenem
Kleide, die einen Moment zögerte und
nun ins Zimmer trat.
Dann Joseph. Er trug einen dun
teln Anzug, einen auffällig hoben
Stehtragen und eine breite, schwarze
Seidentrawattr. Sie sah das alles mit
einem Blick. Jn einem traumhaften
Empfinden hatte sie geglaubt, er werde
bereintornmen wie sonst in der blauen
Uniform, so wie er in ihrerErinnerung
lebte: nun erschien er in einer fremden
Kleidung. «
Da war ihr, als ob sie aus einem
unendlich langen Schlafe aufwachte
Ganz ruhig ging sie einiae Schritte
vor und verneigte sich, als ibr Gaste
sie der fremden Frau vorstellte. Sie
und die Dame wechfeiten Worte, eine
aanze Neide vonWorten. dann wandte
sie ianasam den Kopf, aanz ohne Eile
und sad Joseph an. Er bot ihr die
» Hand, und sie nahm sie an. Mit einer
merkwürdiaen Ruhe sagte sie:
»Wie gebt es Dir, Joseph?«
Und dann ereignete Ich eine sehr
peinliche Scenr.
JOithL der eben draußen im Cor
ridor noch fest und rudig gewesen war
und zu den neckenden Worten der schö
pfer Ast-Is- mssn fu«-IV mit-II ers-Ist is
seriiichtig, Joe,' gelöchelt hatte —
wenn es auch nur ein seht mühsamet
Lächeln gewesen war « Joseph verlor
die Haltung! Er versuchte aus Ma
rie's Worte etwas zu erwidern, irgend
ein banales: »Danle, und wie geht ei
Dir?« Aber seine Lippen begannen
trampshoit zu zittern. Mit einer un
geheuern Anstrengung hielt er sich noch
einiae Secunden, dann verlor er die
Fassung. Er schan die Hände vor das
Gesicht und weinte.
Eine Todtenstille im Zimmer.
-Jane war blaß geworden wie eine
Marmorstatue, während Alb-echt ei
nen Schritt zurückgetreten war und
mit eisiger Miene von einem zum an
dern blickte.
Die einzige, die ruhig blieb, war
arte.
Ueber ihr blasses, müdes Gesicht
ging es einen Moment wie ein Son
nenblick. Sie sah nicht aui ihrenGats
ten, sie sah nicht aus die Fremde. sie
trat zu Joseph und legte die Hände
tröstend aus seinen Arm: »Joseph!«
Sie geleitete ihn wie ein Kind nach
dem Stuhl und zog ihn sanft nieder,
während sie neben ihm stehen blieb.
Immer noch tödtliches Schweigen,
das nur Joseph’s trampshastes
Schluchzen von Zeit zu Zeit unter
brach. Er hatte die Arme aus den
Tisch gelegt und sein Gesicht darin
verborgen.
Nach einer langen Pause blickte Ma
rie aus und wandte langsam ihre Au
en zu der Frau, dann zu ihrem
anne und wieder zu Janr. Dann
begann sie zu sprechen:
»Sie müssen ihm nicht böse sein.
Er hat mich nicht wieder erkannt, das
ist der Grund. Jch bin sehr alt gewor
hon used Isfso dass-n- -- s-«- h ----- s
—- tvohi nicht vorbereitet.«
sane trat heran. Schweigend blick
te te setundenlang, dicht vor Marie
stehend, der anderen in’nguge, dann
nahm sie schweigend Marie’s Hände
und preßte sie.
»Jofeph?« Sie legte die Hand auf
seine Schulter: »Nun komm. Sei
wieder ruhig.«
Sie hatte wirklich teinen Grund, ei
ferfiichtig zu sein; auf eine Zerbrochene
ift Niemand mehr eifersiichtig. Und
während sie ihres Mannes hand in
die ihrige nahm und mit ihrem Bat
tifttuch ihm iiber Stirn und Augen
f1:!·,r, derzie sie ihm. Er hätte ja ein
H::.z von «tein haben müssen, wenn
oiiies blasse, zerstörte Gesicht einer
einst geliebten Frau ihn nicht erschüt
tert hätte.
Auch ihr herz schwoll von einem tie
fen, frauenhaften Mitleid, diefem
Mitleid, das man dem zum Tod ge
troffenen Gegner stets gewährt. Sie
hatte nur das eine Bild Marier ge
kannt, das Jofeph ihr in Boiton ge
zeigt und das sie aus feinem Besik in
den ihren übernommen hatte: ein un
es, liebreizendes Mädchengesicht, ein
Zalbeö Kind in einem grenzenlog ein
achen Kattuntleidchen mit einer Blu
me an der jungen Brust.
Sie hatte nicht erwartet, dieses-Und
u finden, aber sie hatte sich Jofeph’s
Zugendgeiiebte als eine junge, schöne
Frau vorgeftellt, deren Gesicht viel
leicht herber geworden fein mochte, mit
der in Wettstreit zu treten aber immer
noch einen gewissen Kampf erfordern
würde. Auf diesen Wettstreit hatte
sie, vie um fechi Jahre jüngere- sich ne
freut. Sie war ihres Sieaes fo sicher,
und die andere würde nach einigen Ta
gen gederntithigt das Feld riiumm
Witterung Matt