Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, September 27, 1901, Sonntags-Blatt, Image 10

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    iie Iiaktizritsreiln
...-..
an von Zoå von Reuß.
—-.,—-—
I
Nun endlich —- lebt wohl, Kinder!
, Itliilte Dich nicht« Grethchen, und
Iiss mir ja das kleine Packet in Acht,
M ich Dir in Dein Reisetäschchen ge
Ieckt habe!.... Du hast es doch noch?
.... Da ist es ja! . . . . Vielleicht ist’5
iesley daß Du es Deinem Bräutigam,
sollte sagen Deinem Manne. zur Auf
bewahrung übergiebst, es ist das Aller
nøilswendigste auf der Reise! Noch
mals Adieu, Kinderl«
Der alte rundliche Herr, der diese
Worte in das sKouvå erster Klasse
hineinsprach trat zurück und etwas zur
Seite, weil er ein eigenthümliches Pri
eteln in den Augen verspürte, das Nie
mand sehen sollte. Es war rein lä
cherlich, daß...-. Bebielt er doch das
einzige Töchterchen in der Stadt und
die hochzeitsreise würde nur ein paar
Wochen dauern. Mit solchen Reuege
danken kehrte er in sein Heim zurück.
Der Schatfner kam, um die Billets
der Reisenden zu koupiren. Er fah
äußerst pfiffig drein, fast als wolle er
sagen: Soll ich’s gut mit Euch meinen
nnd Euch hier allein lassen? Oder soll
ich bosbaft sein und Euch irgend eine
alte Tante mit in’s Koubfs setzen?
Platz ist vorhanden — übergenug!
Aber sein guter Engel behielt glückli
cherweise die Oberhand. Als lich der
Zug in Bewegung setzte, waren die Lie
benden allein geblieben.
Das erste war eine Umarmung,
lang, innig und weibevoll «Allein,
mein Leben, zum ersten Male —- al
lein!« sagte der junge Gotte voll Rüb
rung und Glück. Dann legte er sich in
die Wagenlissen zurück, die junge rei
zende Gattin im Arm, und blickte in
den ersten scheidenden Maitag hinaus
Das kluge, scharfbebrillte Doktorgesicht
trug dabei einen fast schwärmerischen
Ausdruck Auch die Erde war eine
junge Maid, die Sonnenstrahlen gaben
ihr die Brautkiifse und Abend- und
Morgentbau waren die bräutlichen
Tbriinem welche sie weinte. Sie war
geschmiictt wie feine Greta. als er am
Mittag mit ihr vor dem Altar stand,
und wie diese erwartungsvoll was die
Zeit ihr bringen werde.·
Die junge Frau harre in oenen einen
kleinen Spiegel aus dem eleganten
Toiletteneceffair gezogen und besah sich
priifend Daheim in der Erregung
des Abschieds war es nur flüchtig ge
ehen. Der Spiegel zeigte ein hüb
chcs pilantes Gesichtchen mit einem
Stumpfnäschen, hellen, braunen Au
gen und lirfchrothe Lippen. Der etwas
lasse Teint war so zart, daß die bläu
lichen Farbentöne der Schläfen als
«Krte, feine Linien hervortreten Die
eife-Toilettc war durchaus chic und
sah aus wie aus dem Schaufenster ei
nes ersten hauptstädtifchen Mode-ma
zins genommen-. Der Spiegel stellte
glitt Ebenbild zufrieden.
,«Wohin reifen wir eigentlich, Os
tert« frug Greihchen jetzt.
»Das wollte ich Dich schon fragen,
herz, Du hast zu bestimmen«
«Jedenfalls geht die Reise dem Sü
den zu. Aber —- wohin?« -
«Vorläufig fliegen wir also in die
Welt hinein, wie zwei lustige Vögel,
die sich das Nest suchen,« sagte der
Gotte
«Das erste Nest ist in einer Thürin
ger Stadt bestellt, die wir in zwei
Stunden erreicht haben werden. Wo
«n wollen wir uns dann wenden?
rst wollen wir nach München ge
, dann Tirol mitnehmen, vielleicht
auch die Schweiz. Wenn es nicht zu
heiß wird, lönnen wir auch nach Mai
land und Genua gehen,'« erklärte die
Gattin.
»Du bift ja ein vortrefflicher Reise
tnarfchaIL Du machft mir plötzlich Lust
zur Hochzeitsreifel . . . Wie Du weißt,
bin ich eigentlich gegen die Komö
die «
»Nimm mik’H nicht übel, Ost-« «
wenn ich Dich nicht begreifen kann. Er
stens m es sueook
»Das isi die Hauptsache!«
»Dann komme ich noch früh gis
nug in’s Haus. Jch höre schon die
tägliche Frage unseres Mädchan
Frau Doktor, was- lochen mir thun-?
---So eilig haben wirks- nicht!«
»Wenn man, wie ich, lange hei
mathslvs gewesen ist, ohne Elternhauz
und nahe Angehörige, lernt man den
Werth der Häuslichteit erst richtig
gis en. Der Mann, den Beruf und
"ltnisse frühzeitig in vie Welt
uidrängten —- wie oft sehnte er
im Stillen vergeblich nach dem
Ine der eigenen friedlichen häuslich
teib Und wenn das Schicksal nun end
lich gewährt, was inan lange vermißte
—- ist es dann nicht Thorheit, die Ent
ichknng zu verlängern? Deshalb,
hebe Entha, bin ich prinzipiell gegen
Ue Hochzeit-reisen Daß ich mich füge,
eben — Dir zu Liebe! Aber
» Reifeplan ist herrlich, wir wol
Iks ihn festhalten. Also morgen ·
Mchen!«
M von Neudeck hat ihre hoch
M auch nach München gemacht«
its ein Ins-ists Leben dort sein. Am
genießt man vie Schönheit bei
M nnd Wien und Abends ge
istt teuer ins heater. Und its-I
« heut M Dei mich einmal
—- imr eins-alt«
Wir-HGB WO
Of Ists M bin furchtbar neu
E .
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g.
L=7 » ..»--, , - . P »
l gierig.«
j »Wie Du weißt, habe ich einenFreund
« in Thüringen, man nannte uns in der
« Schule nur Orestej und Pylade«.
Freund Pylades ist Theologr. Da er
; aber nun gern heirathen wollte und sich
gerade keine passende Predigerstelle
fand, wurde er Nektar in einem tleinen
Thüringer Kriihwiniei. Wie wär’s,
· liebes Herz, wenn wir unsere Weiter
z« reise nach München etwas aufschiiben «
’ und ihn aus kurze Zeit besuchten? Die
s Entfernung des Städtchens bis zu un
’ serem bestellten Absteigequartier kann
T nur ganz gering sein, also . . . ." «
»Aber Oslar —- wie kannst Du mir «
so etwas zumuthen?« sagte die junge
Frau verletzt. »Ich will mit Dir zusam
men die Welt sehen, aber die große,
und Du willst mich in irgend ein Krab
winlel bringen zu irgend einem snnplen
Landpaftor, oder was Dein Freund
sonst ist -— jetzt wo die Reisetoilette
vollkommen chic ist. Dazu würde unser
Besuch die Frau Rektorin gewiß
geniren.«
.Davon ist keine Rede —- nein! —
Jch tenne seine Frau. Aber die Sache
ist abgethan,« schloß der Gatte nicht
ohne Stirnrunzeln. Die jungen, heiß
iodernden Herzen stimmten besser zu
sammen als der Geschmack. Nun. viel
leicht ließ sich ein Wiedersehen mit
Freund Pulades aus der Rückreise er
möglichen. Um sein schmollendes
Frauchen aus andere Gedanken zu brin
gen, sagte er: »Das kleine Packet in
Deinem Reisetäschchen, was Dir Papa
gab — Verschen, ich ahne, was es ist.« ;
.Nun, jedenfalls Geld zur hochzeits-·
reise,« sagte Grethchen gleichmiithig.
«Jedensalls."
»Bitte, nimm es mir ab. Oslar.«
Der junge Ehemann empsing ein
sorgfältig in feines weißes Papier ein
gewicteltes Päetchen, anscheinend ein
Porteseuille. O nein! —- Zu seiner
höchsten Ueberraschung erblickt Dottor
Oskar Winter ein durch Gumrnischnur
zuiammengehaltenesNeisehandbuch oon
Biideter. und zwar Theil .Oberbayern
und Tirol«, welche Gegenden das be
stimmte erste Ziel der Hachzeitsreisem
den bildeten. v
ch »Ein Reisehandbuch?« frug Gutb
en.
»Sonderbar —- sehr!« stotterte der
Doktor.
»Weiter nichts, Oslar?«
»Nein, Herzchen.«
»Notbwendig ist ein Reisehandbuch
sehr!« sagte Gretbchen altverltändig.
»Für uns ist es aber übersliissigx ich
habe schon ein Exemplar in meinem
Reiselosser liegen,« entgegnete der
Doktor. .
»Das ——— hat Papa nicht gewußt!
» Und das Geld, nun, das hat er nur ver
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gessen.'«
Der junge Gatte konnte nicht umbin, "
diese Ansicht zu theilen. Sein bei-seng
guter Schwiegerpapa, Rentier Zeilen
hauen hatte dem Plane einer größeren I
hochzeitsreise unumwunden zuge
stimmt aus den lebhaften Wunsch des .
;Töchterchens und sogar verschiedene
: Aeußerungen sallen lassen, die daraus
schließen ließen, daß er gesonnen sei,
zu solchem Zwecke recht tief in seine
Tasche zu greifen. Auch Aussteuer und
Mitgift ließen solches glauben. Als «
ersahrener Mann, der er war, mußte
er wissen, daß-ein junger Assistenzarzt
dazu tein Geld besaß. Allerdings war ·
ein Vergessen bei der Pitnltlichteit des
alten herrn wieder schwer erklärlich.
»Ich glaube — wir werden unsere T
hochzeitsreise anders einrichten müs- ;
sen, Grethchen,« sagte der Doktor klein-— .
laut.
»O nein, nein!« wehrte Gretbchen T
» energisch ab. »Nach München müssen
jwir jedenfalls gehen. Alle meine
Freundinnen wollen mir dorthin schrei- H
I
ben —- Postlagernd.'«
»Liebes Herz, zum Reisen gehört
Geld.«
»Hast Du denn kein Geld?«
»Nein, liebes Gretbchen.«
»Nein Geld?'· rief sie entsetzt.
Bewies-is »Ich?-gm«g »Dein-!
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· geplanlcn Welsc, ictUIl Wcllll Wir »Dein
Vortemonnaie mit zu Hilfe nehmen. .
Jch glaube, wir werben umtehren mits
sen."
»Umkehren? Entfetzlich!« brach die
junge Frau in Thrcinen aug. »Was (
würden die Leute sagen!"
»Sie mögen reden . . .« ;
»O, ich bin sehr unglücklich!« i
schtuchzte Gretbchen.
»Das Ding ist wirklich — komisch.«
Der Doktor machte einen schwachen
Versuch, die Sache mit Hutte-r auszu
nehmen. »Was thun?«
»Das ist Deine Sachet« sagte Gretc,
alles Weitere abschiittelnd Und mit ab
sichtlich herausgekehrtem Recht der
Frau.
Also umkehren willst Du nicht?«
«Niemals!«
»Gut. Dann wird uns nichts übrig
bleiben, als die Gastfreundschaft inei
nej Freundes in Anspruch zu nehmen
— anderen Rath giebt es nicht. Ver
muthlich sind's nur wenige Tage,
bis —« Der Doktor stoctr.
·Bis wir Geld haben,« ergänzte
Grethchen. »O, wer hätte das ge
dacht!«
»Ich werde Freund Pylades morgen
friih schreiben, daß wir ihn mit einem
Besuche überraschen werden« da ich den
lebhaften Wunsch besäße, ihm meine
liebe teizende Frau vorzustellen. Soll
ich nach schreiben meine —- verzogene
lieh-e ask
JM netwegen!« sagte Gretc- tros
Tægeh wird es sieh aussah siir
WWM leiser-. Ich werdeiihe
«
i— j ——
Oberbayern und Tirol nachlesen, da
mit ich davon erzählen kann·"
»Ach, warum babe ich gebeiratbet?«
schluchzte sie in ibr Tafchentuch
Der junge Gatte antwortete nicht« .
sondern bettete ihr reizendes Köpfchen ·
in feinen Arm. Dabei küßte er sie ein
einziges Mal, ernst, fast väterlich, und E
ließ sie sich ausweinen in der hoffnung.
daß sie einschlafen werde wie ein müdes «
Kind. Und wirllich schlossen sich die «
Augen bald und leise regelmäßige
Atbemiüge der Schlafenden drangen an
sein Obr.
kl.
Der folgende Tag verging trotz der
Hotelunrube in weichem traumhaften
Stillleben. Arn Abend traf aus die am
Morgen abgegangene Anmeldung des
Doktors der Rettor Friedrich selbst ein«
um die Gäste in sein haus zu holen.
Er war ein unansehnlicher Mann und
schien etwas brustschwach, aber sein Ge
sicht war fein und durchgeistigt und die
Art, wie er die Gattin seines Freundes
begrüßte, war brüderlich herzlich. Die I
Fabrt in der Landtutsche arn Maiabend s
war herrlich. Ueberall drängte sich das
junge Grün auf den Fluren als new «
sprossendes Leben beroor, um nach ur- :
ewigen Gesese wieder Blüthe unr-v
Frucht zu zeitigen. Die Sonne sanl
hinter dicken goldumsäumten Wollen
hinab, welche für die Nacht einen ge
wöhnlichen Frühlingsregen versprochen
und hoch oben arn Himmelgdorn hingen
weiße weiche Lämmerwölkchen wie ver
gessene Winterschneeslocken.
Greta war entzückt und sab in die
Mailandschast hinan-. als wenn ibre
Augen noch nie vorher solche Herrlich
leit erblickt bättern Dann aber wandte »
sie den Blick wieder entzückt nach dein
Gatten, der ihr gegenübersaß, noch nie
mals früher war er ihr so lustig, bered:
und liebenswürdig erschienen. Selbst
dem beimlichen Wint. den sie ibrn zu- .
kommen ließ, gab er in seinem Lieb-r
muth tein Gehör, sondern erzählte la
chend die ganze Geschichte der gestrigen ;
Verlegenheit.
»Als-I so bängt die Geschichte zusam
men ?« lachte auch Rektor Friedrich. "
»Ei ei, Kinder! Nur weil Jbr lein
Geld zum Weiterreisen besiyL babt Jur
an uns gedacht? Und es wär-s doch
eine unbegreifliche Zurückießung gewe
sen, wenn Jhr hier vorbeigeilogen wö
ret wie die Zugvögel, die nach dem Sti
den fliegen. Eigentlich sollte ich es
übelnehmen! Aber der Bädeter hat es
ja gut gemacht. Unsereinem seid Jhr
immer willkommen !« schloß er mit
sortreiszender herzlichteiL
Die Frau Rettorin empfing die
Gäste sehr freundlich unter der haus
thiir. Sie besaß fiir ihre siebenund- ·
zwanzig Jahre ein ansehnliche-: Ein-,
bonvoint, fast als ob sie durch ihres
hübsche ansehnliche Person auch die
hagerteit des Gatten wie alle anderen
Unebenheiten des Lebens ausgletchen
wollte. Dass-aus selbst war das-Schul
haus der stiidtiichen Rettorschul·.. in
welcher sich auch die Dienstwohnuug
des Nektars befand. Die Hausfrau
össnete die »gute Stube«, neben mel- E
cher dcs Logirzirnmer gelegen war. und «
ließ die Gäste eintreten. Der Raum «
war von sast ängstlicher Sauberteit
und mit hübschen, neuen Nußbaurnrnö- ,
beln ausgestattet. Dennoch konnte
Greta nicht umhin, zu lächeln. Un
willtiirlich vermißte ihr seingebildezer
Geschmack die berückende Schönheit, die
die Sinne gefangen nehmende Eleganz -
unserer heutigen Salonsz die Atmo
sphäre des Rektorhauses in seiner
Kleinbiirgerlichteit erschien ihr entsetz- ,
lich. Der Gatte war anderer Ansicht ;
und jubelte :
»Eure gure Stube ! Famos ! End- ;
lich einmal wieder ein Allerheiligstes2
des Hauses l«
Greta warf deni Gatten einen Blick
zu, alg wolle sie sagen: .Mann, ist
das Dein Ernst ?" Aber auch dieser -
Biict fand iein Gehör, denn gutgelaunt
suhr der Doktor soArt : YDie gute Stube
Hist-.
lim! USE Patctchs Mctlllp Such-usua
sC freilich ein verschlossenes —- we
nigstens für nicht aensigend vorbereitete
Seelen. Unzäblige Strobderten lagen
wie ein Festunastvall davor und unser
Haue-Drache Riete stand dabei wie der
Engel mit dem Flammenschwette und
untersuchte die Füße. Dasiir ward
aber alljährlich Kindtaufe dort gehal
ten und der Weibnachtgbuum brannte
nur hier. Auch der Sarg des gestorbe
nen Schwefterchens mit der blumenbe
deckten tleinen Leiche stand im Allerhei:
ligsten ..... Wir kommen gleich zum
Abendessen hinab !" rief er der Ret
torin in die Gartenlaube hinunter, wo
der Abendtisch gedeckt stand.
Das Mahl, Eiertuchen mit heiml
beeren, verging in vergnügter Stim
mung, selbst daß der fünfjährige Os
tar, das Patbentind des Dottor5, sich
den heidelbeermund mit dem Aermel
i abwischte, störte die gute Laune der
T Mutter nicht viel. Auch die folgenden
s Tage verstrichen in ungetrübter heiter
teit. Greta batte schon am ersten Tage
- ihrer Ankunft an Papa um Reisegeld
l schreiben wollen, aber sie vergaß es
wieder, und als sie nach drei Tagen
i dennoch schrieb, geschah es mehr, um
l dem Papa endlich Nachricht zu geben.
z Es war den Liebenden zu Sinn, als ob
: der Meilenstein ihres Lebens, an dem
s fie angekommen. mit Rosen umwunden
sei, still und wunschlos saßen sie zu set
nen Füßen. Mitwelt-s war die junge
Frau mit dem dapa in die Vädee ge
reist und hatte daselbst die zurechtge
Æte Natur bewundert undegeglaubh
sie »auf dem Lande« s . Das
i.
L—- --,-- «I
wirkliche Landleben. das sie jest um
gab, war freilich anders, nicht poetisch,
aber in seiner rastlosen Tbätigleit doch
frisch und belebend. —- Am Fenster
sitzend blickte sie in den Garten hinab,
woselbst der Rektor mit Hilfe del Gat
ten soeben eine junge Unßslanzung von
Spalierobst vollzog, während die Ret
torin den Salat zum Mittagsmahl
schnitt. Plötzlich flog eine handdoll
letzter Veilchen durch das Fenster, die
der Gatte heraussandte. Und der
Blumengruß rief sie selbst hinab.
Da, nach Ablauf de,r ersten im Rek
torhause verbrachten Woche. e«reignete
sich in der kleinen Stadt ein betrüben
der Unglückssall Beim Aufrichten
eines Neubaues war ein holzbalken
schlecht verzapst gewesen und herunter
gebrochen. Er traf einen jungen Zim
mermann aus die Brust. Und da zu
fällig im Augenblick kein Arzt im
Städtchen wobnbast war, hatte Doltor
Winter sofort Beistand geleistet. Der
Fall war schwer, aber nicht hoffnungs
los.
Um diese Zeit erhielt Greta nach
mehrtiigigem harren auch den ersten
Brief ihres Panos. Er lautete :
Liebe Kinder!
Du hast mich verdollt lange warten
lassen mit Deinem Briefe, Kleine. Jch
war schon ganz ungeduldig und es
schmeckte mir nichts mehr. Um aus
andere Gedanken zu lommen, ging ich
aus Rath von Frau Werner, unserem
hausdrachem aus einige Zeit nach F.
zu meiner Schwester, wohin mir auch
Dein Schreibebrief nachgesandt wur
de. Jante Bettu ist wobl und läßt
grüßen. Aber Kinder, was macht Jbr
nur für erzdurnme Streiche. Jch war
ganz weg iibcr Eure Dummheit! Jbr
miißt das insarne Reisehandbuch gar
nicht geöffnet haben, das ich Euch zum
Abschied gab, sonst hättet Jhr doch die
beiden versiegelten Kouoerte finden
müsse-, die ich so schlau in die Seiten
tiischchen gesteckt hatte. Was von den
blauen Scheinen übrig blieb, konnte ein
Jedes zu seinem Privatvergniigen an
wenden. hatte ich das Ding wirklich
schlecht eingesädelt7 Jch wollte doch
meinen Spaß haben. Konntet Jbr
hinfor- Rsts tin stinko Msnn Und
hauseigenthiimer, wie meine Wenig
keit, nicht weiß, daß Geld und viel
Geld zum Reisen gehört? Ei, ei, mein
Herr Doktor und Schwiegersohnk Bin
ich nicht früher selbft in Leder gereist?
Nun werdet Jbr mir wohl noch recht
lange wegbleiben und unsereinem wird
Zeit und Weile lang werden.
E u e r P a d a.
«Nun?« frug der Gatte, den Brief
zurückgebend. »Wie denkst Du über
den Fall, Gretchen?'
Die junge Frau sann einen Augen
blick nach, dann sagte sie kurz entschlos
sen: »Wir bleiben hier, Oskar, na
türlich! Du kannst Deinen Patien
ten jetzt unmöglich verlassen. Die
Frau würde Deinen Beistand schmerz
lich entbehren, obgleich der Kreisvhhsb
kus täglich aus der Stadt kommt.
Nein, wir können nicht reisen!«
Der Doktor niekte der Gattin
freundlich Fu, dann sagte er traurig:
»Ich fürchte siir das Leben des Man
nes, die Verletzung der Brustorgane ist
bedeutend. Aber noch wollen wir hof
fen!«
Die nächste Woche ging mit wenig
verändertem Krankheitgbild und hielt
den Gatten am Bette feines Patienten
seit. Nachdem der Gedanke an eine
baldige Weiterreife aber einmal endgil
tig ausgegeben war, schlug Gretchens
junges, verlangendes herz wunfchlos
und still. Sie kannte nicht umhin,
es mit Stolz und Genugthuung zu ern
finden, daß der geliebte Gatte berufen
scheine, der heifende Engel hier
zu werden, und nahm feurig und dank
bar am Morgen die Maiblumen entge
gen, welche die Kinder des Zimmer
manns zu pflücken pflegten. Neben
dem Unglück, das sie fah, empfand sie
hgs ais-on- mnikf Mit kalltb Und
Dantbarleit. Und als das Gesiirchtete
dennoch eintrat und der Zimmermann
starb, hatte sie fast das fchmerzliche
Gefühl eines persönlichen Verlustes.
Da tam, fast gleichzeitig mit dem
Trauerfall, durch Vermittlung von
Gretchens Papa ein Brief des Sam
tiitsrath, als dessen Vertreter Dr,
Winter einst in das Haus des Rent
ners Feilenhauer gekommen tvar und
das Herz der Tochter bei der Behand
lung des Vaters gewonnen hatte. Der
Sanitätsratb schrieb, daß er nur im
Interesse seines jungen und sehr ge
sdxiitzten Kollegen zu handeln glaube,
wenn er ihn von einer im Krankenhau
" se plötzlich eingetretenen freien
Stelle benachrichtigte. Entschuldigen
: Sie, Kollege, wenn ich die Süßigleit
der Flittertoochen ftöre,« schloß das
-tvohlrneinende Schreiben, »aber Jht
friiber häufig geäußerter Wunsch nach
vollständiger Selbstftändigteit und
Unabhängigkeit giebt mir dazu den
Muth. Jm Falle Sie nach Jhrer Ver
beiratbung noch ebenso denken, rathe ich
« Ihnen, die erforderlichen Schritt-: balt
; zu tbun.«
«Ueber unserer Hochzeitsreise thront
- ein Unsteen, liebe Greta,« sagte Dot
, tor Winter gedankenvoll, indem er dal
, Papier zusammenfaltetr.
«Einmal sitzen geblieben, scheinet
« wir überhaupt verspielt zu baben.«
» Ist-erstehe Dich nicht. Oslar.«
»Wir lehren urn —- selbstverständi
licht« sagte Gretchen, den Brief zu
rila ebend. »Ist es- nicht auch Dein
zMe neigt«
-
1
l stärker-singst Tiber Deine Reise
u i«
; Unsinn! Uebrigens bat Papa
gleichfalls Sehnsucht und wünscht uns I
ser Wiederkommen Es ist le cht aus
feinen Briefen berauszulesenk ,
»Und das schöne Neisegeldi Scha-I I
de! Was thun wir damit?«
»Ja das Reifegeldl Es ift wirllich
sebr überflüssig Jch meine die tau- I
send Mart, die Dir gehören Du weißt«
daß Papa Jedem von uns sein eigenes
Theil zugedacht bat?« !
»,Nun ich wiiszte schon eine Verwen- Z
dung —- fiir meine Hälfte« I
»Was denn? Sprich Oskar!« i
»Ich möchte sie wobl meinem Pa
thenkinde schenken, Deinem Liebling,
dem tleinen Oskar Friedrich. Es ist
ein Nothpfennig fiir künftige Zeiten
und entlastet Freund Polades Selbst ’
fiir eine bessere Stelle, die er bald zu ;
erhalten hofft, ist seine Sorge noch’
drob genug! .
»Willst Du mir denn garnichts zu.
thun ubri g lassen, lieber, böser
Manni« »Bitte, lafe mich auch eine«
gute That thun — ich bin ja so glück- ,
lich! lhalt, mir fällt etwas einl« I
»Nun Liebling?«
»Meine hälfte bekommt die Wittwe I
des Zimmermanns. Keine Einredei
Und wenn sie mich daheim fragen, on
wir gewesen sind weißt Du, was ich
antworten werdeii« I
»Du machst mich neugierig," lachtez
der Doktor
»Ich werde sagen, daß wir im Him- i
mel gewesen sind — durch das Reise-:
handbuch!«
.- -»——s.-——
Gru. Brorun g Zu ruf.
humoreskevon Stefan Szoma-s
hsem I
Cäsar Clerc, der Bescyer des Tage- -
blattes »Clerrs Walballa« . vernahm
eines Abends die niederfchmetterndeI
Nachricht, daß der »Rotbe llngliiclssl
stern« —- das Zweipennnbliit«chen 1
John Pennetts —- am nächsten Tage ;
die wortgetreue Wiedergabe jenes Auf- ·«
rufs bringn —wiirde., welchen der ;
groge Uenerai orown an vie aumup ,
rerischen Völkerschasten der Südstaa- .
ten richtete. Cäsar Elerr ging erregt 7
aus und nieder. denn der Gedanke war
ihm einsach unerträglich, daß das J
Zweipennnblättchen die angesehene
«Walhalla« beschämen sollte. Was «
ionnte man nur thum, um diesem
Weltstandal vorzubeugen? Aha. eine
Jdeet
«Schicken Sie Frau White herein,"
sagte er zum Redaktionsdiener. —
Frau White war ein Reporter von »
iClercs «Wathalla«, das gewandteste
I Wesen, das jemals im Gebiete der Ver- ;
i einigten Staaten seine winzigenSchuhe
i abnuhtr. herr White, der ewig iiber «
l große Erfindungen briitete, sigurirte
’ durchschnitlich mit zehn Dollars mo
natlich im haushaltungsbudget, wäh
rend seine Gattin, Frau White, rund
i dreihundert Dollars monatlich aus der
, Reduktion nach Hause brachte . . ..
I Das hübsche. 25jiihrige Frauchen er
i schien alsbald im Zimmer Cäsar
l Clercs. Die Feder hinter ihrem Ohr
: war noch feucht, denn sie hatte soeben
« die Beschreibung des 123. Straßen
mordes vollendet. ·
»Frau White«« sagte Cäsar Clercl
düster, «der »Rothe Unglücksstern« i
bringt morgen General Brown's letz- !
ten Ausrus. Wenn wir die Protlama- (
tion nicht gleichzeitig wiedergeben tön· j
nen, bekommen wir morgen eine solche :
stanenmusth dasz wir die »Walhatla«i
gleich einstellen tönnen.«
»Nun, und?« fragte Frau White
turz.
»Und solglich müssen wir das Ma
nuskript dem «Ungliietsstern« stehlen,
und noch dazu vor zwölf Uhr, weil
wir uns Pnst in der Druckerei ver
späten.«
»Ich werde es stehlen, Herr Redak
a
f Frau Zithite kehrte in ihr Zimmer
; zurück, wufch ihre Hände und lautete
i dann dem Office Boh.
I »Willn, einen Wagen,« fagte sie,
l während sie bie der Frifur entfchliipfs
f ten Locken geschickt zurüaftecktr.
l Es war elf Uhr. Benjamin Brigit
ton, der Nachtrebatteur des »Unglii-1s·«
I ftern«', machte fchläfrig in feiner Dru
clerei bei dem Chaos der Bleifpal:en.
Eben brachte ihm der Druckerlehrling
den zehnten Kaffee vorn Kaffeehaaz
herauf, als der Metteur ihm geheim
nißboll winkte.
»Was giebt'«s?« fragte der fchliifrige
Benjamin.
«Cine Dame, eine Dante, die Sie
fucht.«
.Eine Dante. die mich facht? th
sie sehe-n oder häßlich?«
«Reizenb, herr Redakteu:, rei
zend ..... «
»So laffen Sie sie herein.«
Der Metieur kehrte alsbald zurück,
gefolgt von der rosigen Frau White,
Augen herzig zufammenlniff. Benjai
min fchrie laut auf.
»Wie? Frau White in der Druckerei
des «Ungliicksftern?«
»So ifl’s, lieber Freund, ich bin’s
wirtlich,« fagte die fchöne Frau mit
trübem Lächeln. Allein mein Besuch
ilt nicht dem »Ur-then Unglücks
ern« ..... "
»Sonberni«
»An-schließlich Ihnen, Benjamin
..... Es lft eine lange Geschichte, aber
wenn Sie wollen, will ich sie kurz er
zählen. . . . . «
— I
Zerstreut legte sie die Hand auf die
eine Spalte, dann fuhr sie fort: »Herr
Wbite heirathete mich dor fiinf Jah
ren, aber in diesen fiinf Jahren habe
ich nicht eine glückliche Minute erlebt.
..... Rennen Sie Herrn Whitet Er
griibelt ganze Nächte hindurch iiber
den elektrischen Fernseber, die tnopf
lose Weste, den selbstfunttionirenden
Omnibus. Zehn Dollars ist nicht viel,
aber er verdient nicht einmal so viel
monatlich . . .. Meini bitteres bißchen
Geld verbraucht herr Wbite auf Gng
und Gin. und manchen Tag schimpft
er mich zufammen wie ein betrunkener
Droschentutscher. Heißt das leben,
wenn man seine Jugend so verbringen
muß? ch glaube, nicht eben zu den
Häßlich eiten zu gehören, was ist Jyre
Meinung darüber. Benjamin?«
»Sie sind die reizendste Frau!'«
»Dante,« fuhr Frau White traurig
fort. »Ich glaube selbst auch, daß es
häßlichere giebt als ich, daß ich berech
tigt bin. meine Jugend zu genießen,
gliicklich zu sein, geliebt zu werden.
Benjamin, mißversteben Sie mich nicht,
ich werde Jhnen etwas gestehen!'«
»Ich werde Jhrer Rede gespannt
lauschen.«
»Seit meiner Backfischzeit lebt ein
Jdeal in meinem hergen: Ihr Bild,
Benjamin. Warum soll ich’e leugnen,
daß ich Sie liebe, daß ich das Ja vor
dem Civilbeamten weinend aus
sprach? Jch konnte nicht die Jhrige
werden; sprechen wir nicht weiter dar
über· Aber wer kann uns verdicken,
in der Zukunft glücklich zu sein? Ben
jamin, könnten Sie Jhre närrische klei
ne Elly ein wenig lieb baben?«
Brigbtvn hob die Arme gen Him
mel.
»Ob ich lönnte? Welche Frage!
Jch liebe Sie, Ellb, und liebte Sie
schon damals, als Sie mit dem Geog
schwamm vor den Aldermann traten.«
»Wir werden nach Michigan hin
untergehen,« fuhr Frau While schwör
merifch fort, »in Michigan giebt es
einige Städte, in welchen kein anständi-:
ges Tageblatt existirt. Sie, Benjamin,
werden die Leitartikel schreiben, ich die
InaeCneuinieiten den Linialberiebt und
die Gerichtshalle Warum sollten
die Bürger von Michigan ein tüchtiges
Blatt nicht erhalten können? Die Re
daition kostet uns so gut wie gar nichts
..... Wollen Sie, Beniamim wollen
Stei«
»Ja!« sagte Brighton und legte seine
derbe, tnochige hand in das weiche
Sammetpsötchen der Frau White.
»Ja diesem Falle werde ich Sie mor
gen um zehn Uhr im Wollhasen erwar
ten. Die Plätze können Sie tagsiiber
bestellen, und in der Nacht —- ah, Ben
janiin, sliegen wir miteinander gegen
die Berge von Michigan!"
Benjamin tiißte der schönen Frau
die Hand, dann antwortete er mit
männlicher Baritonstimrne: »Ich
werde dort sein, Elly. Punkt zehn Uhr
iin Wollhafen. ..«
Frau White schlüpste in ihren
Mantel, retitirte sanft bis zur Thiire
und wars von dort aus Benjainin eine
Kußhand zu
»Benjamin«, sliisterte sie, ,,süszer
Benjamin, aus Wiedersehen."
O O I
Aber Frau White tonnte die Dru
ckerei noch nicht verlassen, denn Ben
janiin vertrat ihr plötzlich den Weg.
»Siisze Ellh," sagte er weich, »dats
ich irm Jhre hand bitten?«
»Um meine band-? Die habe ich Ih
nen ja schon zugesagtf
»Es handelt sich nicht um Ihre
schöne Person, sondern ausschließlich
um Jhte d, holde Ellh! Wollen Sie
mir giitigt ihre rechte handsliiche zei
geni«
Frau White lehnte sich erhiassend an
die Wand, Benjamin aber zog mit lie
benswürdiger Gewalt das weicheHiind
chen aus dem Astrachanmuss und wen
dete es neckend gegen die Lampe ......
Und siehe, aus der rosigen handfläche
war tlar und deutlich die Protlamation
kImä-—- -t.--t--. .-4 e--s--- II
Ucllclul Qualqu Leugtstuuh nun-» lup
durch Länge nicht gerade aus-zeichnete
Benjamin lachte laut anf und sagte
dann zu seiner zitternden Kollegin:
»Ich wäre ein dummer kleiner Polen-:
tör, wenn ich nicht bei Ihrem ersten
Worte errathen hätte, daß sich hinter
Jhrem Liebeggeständniß etwas an
ders verbirgt· Benjamin Briahton hat
Augen und diese Augen sahen es
wohl, wie sie im Laufe des Gespräch-Z
den Satz des Aufruss heraugsuchten,
dann die Hand kräftig daran drück
ten. um später den Text leicht her
unterlesen zu können. Wären Sie ein
Mann, so würde ich die schuldig-: Hand
einsach abhauen —- ich glaube ein Recht
aus Veschlagnahme unserer Manu
skripte zu haben —- da aber dieschönste
Frau der Ver. Staaten vor mir steht,
so verzichte ich aus dies mein gutes
Recht . . . . Aber nicht wahr, wenn ich
Sie recht schön bitte, werden Sie mir in
das andere Zimmer folgen?« Und er
nahm Frau White bei der hand, siihrte
sie in das anstoßende Gemach, zeigte
höflich aus den Waschtisch und sagte:
«Waschen Sie Jhre rechte hand tüch
tig, reizende Elly, denn anders kommen
Sie aus diesem hause nicht heraus! .....
Die bleiche Frau White wusch den
Ausruf des Generals Brown von ih
rer handsläche he«unter, dann ent
sernte sie sich schleuni st aus der Dru
ckerei. Benjamin, der te mit der Lam
in der fand galant bitt knr Treppe
eleitete, res ihr nach: »O! so morgen
bend um zehn Uhr im Woll
hasenl«