Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, August 16, 1901, Sonntags-Blatt, Image 16

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(8. FortsehungJ
Mit klirrenden Sporen ging Jo
seph auf und ad:
»Man muß das Glück zwingen.
Während andere Leute mit meiner
silse die Preise einstrichen, habe ich
dumm dadeigestandenx das hört auf.
Wenn ich Erfolge habe, bin ich in ei
nem einzigen Jahre aus allen Sor
gen-«
»Aber du hast sie verdoppelt."
.Sichet nicht.«'
It ging hochaufgerichtet, sein Ges
sicht von innerer Erregung geröthet,
junz und lebenslustig:
. dien, Marie, leb wohl, bis mor
gen. Adieu Mama.'· Vor Albrecht
blieb er einen Moment stehen. Jn
diesem Glückzgefiihl von Hoffnung
und Vertrauen auf seine Kraft war
alle Bitterkeit in ihm geschwunden.
«Wann fährst du? Um zwöle Ich
werde an die Bahn iommen.« Und er
reichte ihm die Hand: »Du meinst es
ja gut mit mir, ich weiß, aber du
singst dich unnöthig.«
Albrecht gab ihm die Hand. Ei
nm- Settsames stieg ihm in die Kehre
Er hatte in seiner Art Joseph früher
lieb gehabt, vielleicht mehr, als er es
sich selbst je gestanden hatte. Das Ge
fühl kam ihm, daß jetzt mit einem
freundlichen Worte alles wieder gut
gemacht werden und das brüderliche
erhältniß wieder hergestellt werden
könnte. Vielleicht auf einer anderen
Basis als früher: nicht mehr ein Be
dormunden und Beoormundetwerden,
sondern ein Zusammenstehen, eine
wirkliche brüderliche Freundschaft.
Aber seine verschlossene Seele, die
nie einen Freund gehabt hatte, fand
auch in diesem entscheidenden Augen
blicke das versöhnende Wort nicht:
»Adieu. Laß das nur: an die
Zahn kommen. Es ist ja nicht nö
rg.«
»Am adieu.«
»Adieu.«
Marie ging mit Joseph hinaus-, nur ;
Ue Batonin blieb in ihrer Ecke sitzen,
während Albrecht immer noch an dem
weißen Ofen lehnte.
»Geh ihm nach,« dachte er, »sprirh
freundlich mit ihm, ohne den kalten,
geschästsmäszigen Ton. Setz ihm aug
einander, welch ein Wahnsinn das ist«
aus Juki und Tursgliick die Zukunft
zu bauen. Wenn ou gütig uno herz
lich mit ihm tedest, ist Joseph so leicht
zu lenken.«
Aber nach einer Weile hörte e:
draußen die Corridorthiir sich öffnen
und dann sich schließen.
Es wurde still, Joseph war fort.
Drittes Capitei.
Vor dem großen, weißgrauen Hau
se, das der Just?e geweiht ist und den
merkwiirdigen amen »Justizpalast'·
führt —- obwohl es weder außen noih
innen, weder nach seinen Bewohnern
noch nach seinen Besuchern irgend ers
was miteinem Palaste gemein hat-—
gab es am 3. Mai eine glänzende Aus
fahrt. Die meisten Leute, die hier zu
thun haben, erscheinen bescheiden zu
Fuß, eine kleinere Zahl benutzt Pfer
debahn und Omnibus, die Anwalte
kommen, wenn sie es eilig haben und
Eis-Irr Praxis daf- gestattet, per Brosch
te. und wieder andere wer-den unem
geltlich in einem verschlossenen Wagen
herbeigesuhrt.»
Am Z. Mai aber gab es eine Aus
- . fahrt ersten Ranges. Man konnte
standen vor einem Theater u sein.
auipagen rollten vor mit — ienern,
- nnd wieder Equipagen mit Dienern,
. und wieder, und wieder; RochusRohrs
M erschien niit seinem Juckergespann,
Franz Zestow im Buggh, vor dem eine
Ietie Traberstute trottete, — fast war
· « ej verwunderlich, daß in dem Corso
äMaileoachez und Viererziige schl
- - «- -- - - « -. , —
l
Kein Portiet stand bereit, den Da
men beim Aus-steiqu behilflich zu fein
und als die jungen Ladies mit zu
fammengeeafften Kleidern die kahle
Steinlreppe emporstiegen, schlug ihnen
das Herz.
Welch ein seltsames Haus, welch ein
graues Haus! Ein Haus ohne Höflich
keit und Wärme. Niestge Treppen,
Mite, endlose Cocxidore, und allentiss
bale weiße Zettel, auf denen dem
Ankömmling gedruckte Befehle entge
wstattken:
»Nicht rauchen!'«
»Nicht anllopfen!«
»Nicht laut sprechenl««
«Mchl ausspucken!«
Mein Gott, wenn man nun doch
laut sprach oder —- obwohl man das
s sie gethan hatte und nie thun würde
.,.--- ausspuckte« Was geschah dann?
·« In Ren Treppen und cken nur-Thü
- matekcseeven mit verbissenen,
km -
JOHN G tem, die sich durch ei
M blauen R mit blanten Ansper
P Les-te vom Gericht answejsen und
M sen Intemmenden m fallig be
- Sie geben esse r genan
nd autlpuckh und
W oh
M W Wisech et!
n den langen Gängen, in denen sich
au der einen Seite Holzbänte und aus
der andern zahllose numerirte Thüren
befinden, stehen oder sitzen viele Leute
mit bedrückten oder derdrossenen Mie
nen, die vorübergehenden Damen böse
anglotzend. Man sieht da verwegene
Gesichter-, ruinirte Gesichter, traurige
Gesichter« armselige, ho n«üthige, wei
nende, ein solches Gemi ch von Leiden
und Stumpssinn, wie man es nirgend
wo wiederfindet, außer in andern Ju
stizpaliisten.
Jn diesem Wirrwarr von Thüren
und Gängen, die alle einander gleich
sehen, verirrt man sich und Fragt end
tich ängstlich einen der Uni ormirten:
»Bitte. würden Sie die Freundlich
keit haben, uns zu sagen, wo Ro. 67
ist?" —- woraus er die Augenbrauen
finster zusammenzieht und mit einer
E schreckenerregenden Stimme sagt:
« »Dritter Gang lint3.«
Die Sonne scheint nicht, obwohl es
Maientag iFL Und unwillkürlich denti
man, in die es Haus könne sie nie her
einblicken.
Kleine, lustig-, Damen, die aus der
Eisbahn oder im Ballsaal die munter- ;
sten Geschöpfe sind, werden hier ganzl
still und gehen verschüchtert neben der
Mama, die sich den Anschein giebt, als
sei sie ruhi und sest wie immer, wäh
rend sie in cIltliahrheit genau so erschreckt
und ängstlich ist wie die Töchter.
Wie jammervoll muß den wirklich
Schuldigen oder den fälschlich Be
schuldigten zu Muthe sein, wenn sie
in diese-s Haus kommen!
Ort sich Da stundenlang UND Wal
-ten,-warten, die Luft wird- dumpfer,
stickiger, eine solche schwere Stimmung
legt sich auf die Menschen, daß sie
schlieLIich verstört vor dem Richter er
cheinen.
Es weht wie Grabesluft durch die
Korridorr. Tausend Jahre Gefängniß
H
und tausend ahre Zuchthaus wurden t
in jedem der . immer dittirt, und dort ;
hinter den hohen Flügelthiiren spricht
man die Todesurtheilr.
Erft als die Damen nach Kreuz
und Querfahrten No. 67 erreicht har
ten, wurde ihnen freier um’s Herz.
Da schwirrte es von bunten Unifor
men und reizenden Kleidern, da
stand Graf Rochus inmitten einer
Gruppe und erzählte die Anekdoten
seiner juristischen Freunde, da gab es
artige Gerichtsdiener, die in liebens
würdigster Weise Red und Antwort
standen; ach, man athmete aqu
Wieder unter »Menschen!«
Und immer voller wurde es auf dem
langgestreckten Korridor. Jn einer
Fensternische standFriiulein von Schu
lenburg mit Josephine heidenstamm,
neben den beiden Exellenz von Dein.
Marie war wieder die schönste, ganz
ohne Frage, obwohl sie blaß aussah
und unruhig vor sich hin blickte.
Als man vom langen Stehen miide
wurde, wagte es eine kleine Comtefse,
aus einer sder unheimlichen Bänte Platz
zu nehmen« und das tapfere Beispiel
fand Nachahmung. Bis die Damen in
Nosa und Hellblan und dem ganzen
bunten Glanz ihrer Frühjahrstoiletten
die Wand entlang eine lanae Reihe bil
deten wie im BallsaaL wenn man sitzt
und auf die Tänzer wartet.
Ganz plötzlich ein Geraune und Ge
flüster die Reihe lang:
»Da kommt er!« ·
Wes-F
»Wer denn? Wer denn? Sag doch!
Abs-J« - sp «
»Den-anre: wrotzmann:"
Lächelnd ging der berühmte Berli
ner Vertheidiger durch die Reihen, bald
von diesem angehalten, bald von jenem.
Jn seinem Talar sah er mit dem klu
gen, heiterm Gesichte aus wie Jemand,
der auf ein Maskenfest gehi. Er war
oder würde werden —- das wußte er
ganz genau —- der Held des Tages. Er
war das stets, bei allen Prozessenz
nicht der Angeklagte, sondern der Ad
vokat bildete den Mittelpuntt aller
Aufmerksamkeit.
Dann erschienen Herr Weißenburaer
und seine Leute. Mann kannte sie nicht
und beachtete sie nicht, obwohl Rochus
Robrbeck und Sporleder allen Anlaß
gehabt hätten. das zu thun.
Aber wer kennt Herrn Weißen-but
ger? Den kennen nur die Leute vorn
Fach. Die Thätigleit dieses Mannes
ührt ihn lreuz und quer durch ganz
Deutschland; wie ein Stoßdegel er
scheint er bei allen Prozessen, die »aus
das Interesse weitester Kreise Anspruch
erheben dürfen.«
Er ist der Mann, der die Zeitums
derirhte verfaßt, sie- hettographisch ver
vielsältigt und mit Eilpost an die Re
duktionen der großen Blätter versen
dent. Alle fürchterlichen Prozesse und
alle sensationellen Prozesse sehen Herrn
Weißenburger am Stenographentische;
er lebt von diesenEreignissen oder, rich
tiger Zesagn er sammelt hier sein hüb
sches ermögen.
Niemand, der irgendwie rnit.solcheu
ro eßassairen zu thun hat, sollte die
en un oernachlässigen, denn er ver
nur viel. Er giebt dem Zeitunasbe
die ebe, schreibt kleine Einlei
tung-in m Ideen verwirrt tönt ab und
.
—
verschweigt schonungsdolL was seine
Bekannten nicht in den Zeitungen pu
dlizirt sehen möchten.
Ader wie gesagt: weder Rochus
Rohrdeck noch Clemens Sporleder hat
ten in ihrer Weltunersahrenheit je von
der Existenz eines Ritzen Mannes ge
hört, so daß Herr i enburger wirk
lich keinen Anlaß hatte, die Zeugen
auffagen bei-der sowie das originell
Kreuzoghön dem Herr Doktor Groß
mann ide Herren der Reihe nach
unterzog, zu mildern. Und so lam
jener schauderhafte, lächerliche Zei
tungsbericht zu Stande, der Rochuii
und Clemens vier Wochen später das
Genick brach.
Unmöglich, diesen ganzen Process
zu beschreiben, so interessant er auch
ohne jede Frage sich gestalteie.
Adu Bester-, der wie ein Gentleman
gekleidet erschien, saß am ersten Tage
iiill und blaß, so daß der gutmüthiqe
Rochus für seinen alten Geschäfts«
freund trotz der zehn Monatsprocente
und aller Mahndriese ein kleines Mii
gefühl hatte.
»Sie müssen ihn da verdammt
schlecht betöstigt haben,« sagte er in
der Pause, »und Abu war immer sehr
verwödnt und hatte einen schwachen
Magen« so daß er mir im Juli seine
Briefe immer von Karlsbad zukom
men ließ.«
Aber am zweiten Tage blickte Ahn
heiterer, denn er bemerkte zu seinem
eignen, höchsten Staunen, wie bei de-«
Doktor Großmann Kreuzverhör, Zwi
j schenfragen und Randbemerlungen
- fein — Abu Beckers —- Charalter in
immer hellerem Lichte erschien.
Und am dritten Tage del des Dok
tors großem Plaidoher übertam den
fünf Monate hart tasteiten Abu eine
seltsame Bewegung. Er hatte bisher
in ehrlicher Selbstertenntniß nie da
ran gezweifelt, daß seine Thätigteit
eine zwar hervorragend praktische,
aber doch nicht ganz tadellose sei, nun
erfuhr er vor Hunderten von Men
schen und in öffentlichster Oeffentlich
teit. daß er in unglaublicher Buhlen
dung sich selbst vollständig ungerecht
beurtheilt hatte.
Er hatte Geld auf Zinsen geliehen,
ja, zu außerordentlichen Procenten,
ja, er hatte gejeut, ja, dabei gewonnen,
ja — aber mqit wem hatte er es zu
thun gehabt?! Mit jungen Leuten,
die sehr oft sich vollständig zahlangs
unfähig erwiesen. Er hatte Verluste
gehabt, enorme! Kein Zeuge, der
Abn, diesem verlannten, verlästerten,
öffentlich in Zeitungen gebrandrnart
ten, unglückliche-! Manne eine direrre !
Schlechtigteit nachsagen konnte! Kei
net.
»Jen! Spiel! Ein Laster, zugege:
ben, aber, meine Herren Richter-, die
Hand aufs Herz, ein Laster, das un
endlich verbreitet ist. Denken wir an
unsere Borelterm die aus niedersächs
sifch - germanischem Boden Haus, Hof
und Weib verspieltenl Denken wir
an Lessing, ver das Spiel so sehr
liebte!«
Rührung zog durch Abu Vettersf
Seele. Wenige Menschen können es
vertragen, öffentlich über alle Maßen
gelobt zu werden, und zu diesen weni?
gen gehörte Abu nicht« nein. Er war
ein Mann, und als solcher zwang er
seine Thränen zurück. Sonst hätte
grafn Abu Becker weinen gesehen,wahr
a tig.
Zwei waren im Saale, sdie weder
aus den berühmten Vertheidiger noch
auf Abu noch aus des Staatsanwalt-i
etwas schwächliche Rede viel acht ga
ben, sondern aus der letzten Bank bei
einander saßen in einem großen
GlücksgefiihL Das waren Josebh
und seine Braut. Drei Ta e lang war
enge auf Zeuge vorgeru en, Rochus,
porleder. Krosseel und mancher an
dere; über Joseph Heidenftarnm war
das Gewitter gnädig sortge ogen.
Vielleicht, weil seine Zeugenscha t zu
unbedeutend erschien und für den An
geklagten nichts Graoirendes enthielt.
Nun war das Verhör geschlossen, die
Gefahr vorüber,Joseph m dem ganzen
— Processe nicht einmal erwähnt.
Watte saß an die Bank gelehnt, den
Kopf etwas hinteniiher geneigt· Sie
war glücklich, aber eine tiese Müdigkeit
und Abspannung walten sich aus ih
rem Gesichte. Dunkle Schatten lagen
um die Augen. Sie hatte das Glücke
gesiihl jemandes, der vom Ertrinlen
gerettet wurde.
Es war zu viel gewesen. Drei Ta
ge in Angst, drei Tage mit schwatzen
den Damen und galant plaudernden
Cavalieren, mit Zeugenverhören und
endlosen, immer Gleichen Erörterun
gen von Zinsen, echseln und-Schuld
verschreibungen. Das alles in der
dumvsen Lust, die viele Damen ohn
mächtig werden ließ.
Diese nüchternen, geschäftlichenAus
einandersetzungen nahmen allenCharni
von den glänzenden Ofsizieren, die
dort unten im Saal vor denn-Präsiden
ten wie unbeholfene Kinder antworte
ten, gefragt worden« hinausgehen
mußten, wieder hereingerufen wurden,
die vor Berlegenheit nicht wußten, wie
sie gehen nnd stehen sollten, und die
ihre ganze Unersaheenheit und Le
bensuntlugheit hier vor einem Aar-i
toriuni glänzender Damen und Hec
ren betennen mußten. «
Ost in diesen Tagen hatte te das
Gesil l« s
»Wenn Joseph herein ernten wir-o,
das ertrage ieh nicht« J ver he vor
Schem« —- und das viel ent lichere
Oe iihl: »O könnte ihn ni mehr
lie n, wenn ihn dort, in dieser
hilflose-i Laae ehen müßtel«
Nun war es vorüber! Alle Angst
umsonst gewefen.
Ja, sie war glücklich, dankbar, aber
ihr war, als sei sie um viele Jnhre iil
ter geworden. Joseph und seine Ka
meraden, diese Ideale ihrer Mädchen
lzeit, erschienen in einem andern Lich
te, nüchterner nnd farbloser Zum
erstenmal hatte sie einen Einblick ge
than in die Welt von Schein und
hohlheit, sie war nun tein Kind mehr.
Es wurde spät die Lichter imSaale
ent ündeten sich.
allen wir gehen, Joseph?«
Er fuhr auf aus einem wachen
Träumen: »Ja, ja, tomm.·«
Jn den weiten Corridoren brannte
nur hie und da ein Licht, über dem
ganzen grauen Haufe lag jetzt etwas
Todter-, Gespenstiges. Nirgendwo
ein Mensch, alles fchauerlich einsam.
Sie preßte sich dicht an ihn, der so
unbekümmert das grausigegxeus durch
schritt, als ob er gis der orgstrafze
im hellen Tageslichte spazieren ginge.
Da hatte sie wieder das Gefühl des
Geborgenseins an seiner Seite. Er
war doch der Stärkere, an den sie sich
anlehnen konnte, immer, der sie in ai
ler Noth beschützen würde. Keinseros
wie sie einst geträumt hatte, ein ensch
mit Fehlern und Schwächen, fiir einen
kritischen Blick vielleicht unbedeutend
und klein; aber er und sie gehörten zu
sammen. Sie würden sich gegenseitig
stlihen und fest zu einander halten.
Die frische Luft des kühlen Maien
abends schlug ihr entgegen, sie traten
auf die Straße hinaus, und das fin
ftere Haus lag hinter ihr, für immer.
,.-Nie wieder dort hineinl«
De gingen an oer Vachoaon enuang
bis zur Königstraßr. Vor dem Tit-oh
brannten die bunten, kleinen Lampen,
die den Eingang des safhionablenGari
iens markieren, und die lustige Melo
die eines Wiener Walzers tönte zu ih
nen hinüber. Um oen Heimw g abzu
tiirzen, schritten fee durch den Eoncert
garten, der Königstraße und Schiff
graden verbindet, vielleicht würden sie
im Vorbeigehen ein paar heitere Ge
sicht-r sehen und in dem Gewoge trifti
ger Menschen die trühe Stimmung der
letzten Stunden vergessen. Aber der
Garten war leer. Alle die vielen tau
iend bunten Lampen flimmerten in
Kränzen und Gewinden an oen Bal
tonen und Gallerien, die limitating
ser llingelten im Abendwinde anein
« -er, die Capelle spielte die lustigsten
Tanznrelodien, nur das Publicum
fehlte. Keine Ofiiziere und keine Das
men. Der große Proceß lag heute an
seinem letzten Abend wie ein Alpdruck
über der ganzen Stadt.
Schweigend verließ das Brautpaar
den Garten und lege schweigend sden s
legten Theil ihres eges zurück. f
· ,.Soll ich dich hinaufbegleiten, Ma
rie·« ,
»Nein, Joseph. Geh lieber heim
und schlafe. ich bin sterbensrnüdr.
Morgen früh müssen wir beide zeitig
heraus, du weißt doch: unsere Verab
redung.«
» a, richtia.'«
» atteft du das vergessen?«
» wahre. Nur momentan.« Und
mit einem schwachen Versuche zu lä
cheln, sa e er: »Du wirst dich ver
fchlafen, ieze.«
»Ach, ich! Jch wache jeden Morgen
um fünf auff! Punkt sechs hin ich
dta en au der Butt; es ist ja nur
zehn inuten von hier aus zu gehen.
Wo treffen wir uns?«
»Bor- der roszen Trihüne.«
»Schön. u kommst zu Pferde?«
»Natürlich. Du wirst dich wun
dern, wie «Franaipani« galoppirt, du
wirt deinen Spaß daran haben. Du
mü test überhaupt· jeden Morgen
draußen sein, es giebt nichts Schöne
reZ als solch einen Frühlings-morgen
Uebrigens findest du da Gesellschgg:
Griign Ella Munster ist tagtäglich i
den rühgalopps, oft auch ihreSchwe
ster.« Er war wieder Jiter und gan
wie umgewandelt: » ers laf dich
nicht. Nachher ehen wir a e zusam
inen Kaffee trin en, im »Neuenhause«
oder im Zoologischen Garten'
»Schön.« » 4 . »
»Aha gute veacnn Liedchen-;
»Gute Nacht, Iosepifk Sie hielt
seine Hand sest — »Ja eph?«
,,«Was?
»Joseph, wir müssen sehr dankbar
sein. Daß daß es so gekommen ist, so
gut Nicht wahr-L«
Er nickte und küßte sie schweigend,
dann trennten sie sich.
Joseph schlug denfeimweg an, aber
als er schon beinahe ein Hand erreicht
hatte, aan er lnaasainer und zögerte.
Einentlich war es eine Rücksichtstosig
teit, diesen Abend nicht mit Rochus
und den Anderen zusammen u sein,
wie es verabredet war. S ließlich
niu te er doch auch wissen, wie das
Urt eil ausgesallen war und wie der
Procuesz geendet hatte
erdem war er hungrig, seit
heute itta hatte er nichts gepo en.
Jn der einsttibe tras er inde en
Niemand.
»Der Procesz iintner noch nicht zu
Ende?«
»Nein Herr Baronf
JGeben Sie mir einen Schoppen
Noihwein und etwas zu essen.«
Eö war els Uhr, als die ersten ein
trafen:
»Ein Jahr Ewige-nick- aar nichts,
eine Bagatelle. Der Berliner hat
Ahn s on zPrausYetogen!«
it moglichi
JRattnnr.
llniählich füllte sich die kleine
Weinstube und endlich erschien auch
Grazw No us.
in ichvetbsn re! Kellney
ein Stück Uhr-M Speie Natte
crstiitzte ein großes Glas Wein
W
hinunter und aß ondstücke, dieer von
einem Brotlaib schnitt und in den
Mund stopfte.
»Ich habe zehn Pfund abgenommen
in drei Tagen! Was sagt der Mensch
dazu! Aber wer ietzt noch ein Wort
von diesem Processe spricht, bei Gott,
den mord« ich! Was ich essen will?
Jrgend was! Ganz egalt Liebe Kin
der, seid gut zu mir in dieser letzten
eit, ihr habt mich nicht mehr lange.
" ch steige in die Bersentun , und Nie
iand zieht mi wieder. s war doch
schön ier, wei der Teufel!«
Als Joseph um Mitternacht gehen
wollte, gerieth der lange Kiirassier
außer sich.
»Was denn?! Gehen?! heuieA Jo
seph, du bist wohl des Kuckucks! Macht
mal Platz da! Kleiner, setz dich da hin
über, Joseph kommt neben mich. Hier
her, Joseph! Ein Glas her! Da, Jo
z seph, trint. Junge, Junge, du hast in
diesen drei Tagen ein unmenschliches
Glück gehabt, wie immer. Aber,
Junge, ich gönn’s dir, bei Gott. Wenn
ich einem Menschen in der Christenheit
was Gutes gönne, dann dik, Joseph
So ist’s recht, hier neben mich. Kin
der, wir wollen mal anstoßen, an die
sem Tage muß irgend einer hochleben,
damit wenigstens ein Mensch heute
’ne Freude hat. Aus Joseph, Kinder,
und aus seine Braut! Er ist der einzige,
der aus diesem dermatedeiten Harmo
der sich was Schönes holt, und zwar
das Allerschönstet Josephheidenstamm
Fräulein Marie —- hoch!!«
»Hvch!!«
Die Stimmung wurde etwas lusti
ger.
»Hm-seh war es," sagte GrafRochus,
»wie dieser Berliner Rechtsverdreher
den ganzen hohen Gerichtshof mit sei
nem Sermon über das Jeu zum be
sten hielt. Weiß der Teufel, es war
das einzig Vernünstige, was in den
ganzen drei Tagen geredet worden ist
Alte Germanen, Lessin , Haus-, hos
undWeib —- samos gesagt Haus,
Hof und Weil-, stellt euch das vor, Kin
der, so was giebt’s heute nicht mehr.
Das war noch Jeu im großen Still
heutzutage spielen-die Leute um Ho
sentnöpse. Es ist tein Mut mehr in
der Welt, kein Schneid. Nehmt mal
da die Flaschen weg! Kellner, einen
Wischlappen und Karten!« ,
»Wir wollen doch heute Nacht nicht
mehr mit Spielen anfangen?« sagte
Joseph ,
»Just! Erst recht!« Er holte aus den
Hosentaschen einen Hausen Geld und
legte ihn neben sich.
»Ich nicht.«
»Auch du, mein lieber Joseph.'«
»Fattisch nicht.«'
»Doch, doch. Wird’s nun bald mit
dem WischlappenTi Der ganze Tisch
schwimmt. In vier Wochen sidt man
in Ostpreufzen und pflückt Kirschen.
Falls sie schon reif sind. Ihr tönnt
da euern Rock-us jeden Tag aus den
Bäumen sitzen sehen. Das ist da mein
einziges Amiisement, positiv. Jch esse
» die Dinger siir mein Leben gern, na
mentlich die schwarzen, ich werde euch
eine Kiste schicken.«
Er wars acht Karten auf den Tisch.
die er ohne Sorgfalt in zwei Reihen
ordnetex dann mischte er und zählte
fliichiig sein Geld.
»Zweitausend Mart, eine sehr an
ständige Bant. Jaites le seu, mes
sieurs allons!' Joseph!«
»Ich spiele nicht-"
»Also nicht. Schön. Los!« Er wars
wei Karten rechts und lints, strich
seine Gewinne ein, zahlte die Verluste
aus und begann von Neuem. Das ging
mit solcher Geschwindigkeit. daß er in
jeder Minute zwei-, dreimal wars, ein
iassirte· auszahlte, um, wenn die Kar
ten zu Ende waren, mit einer erstaun
lichen SYelligteit wieder zu mischen
und von euem zu beginnen.
Jn den fabelhast kurzen Pausen
zündete er seine Cigarre an, die nach
drei Zii en wieder verlosch, trant ein
halbes las Notwein und stieß, ohne
nach ihm hinzusehen, seinen Nachbar
in die Seite:
»Jetzt-Mk . .
Jotepy warme er sag mu ver
schränkten Armen in dem bequemen
Sessel zurückgelehnt und beobachtete
den Freund. Der baumlange Lukas
sier war als ein Kind vorige-: Jahr
nach Hannover gekommen und würde
als genau dasselbe Kind wieder fort
gehen. Harmlog, gutmütig, ein schlech
ter Reiter, der alte Pferde zu Schan
den ritt, gegen die Männer grob und
gegen die Frauen, auch die einfachsten,
stets ein vollkommener Gentleman, im
mer guter Dinge, immer hungrig, im
mer durstig und zu jeder Nacht- und
Tages eit aus das Jeu versessen.
»Bei-OF
» aß mich in Ruhe.«
Wie wird dem armen Nochuö zu
Mute sein, wenn er nun den bunten
Rock für immer ausziehen und in der
Einsamkeit von Pillkehmen sich be
graben muszt Er wird die Sache zu
nächst nicht tragisch nehmen, natürlich
nicht« aber wie wird er sich zurück
sehnent «
»Ist-Mk
« rost, Ndchus.«
Der Mirassier drehte sich zur Seite
und» sah ihn an: Weh dachte, du
schlian Hosen-X » —
Sie blickten sich einige Sekunden inse
Au e, zuerst iiichelnd, dann ernster. Sie
ver anden beide den Blick, er bedeu
tete: »Was wird nun aus unsrer gu
ten Freundschaft? Wer weiß« wo und
wann wir uns mal wiedersehen t«
Yann klopfte Nochus ihm aufs
Knie:
.Geh schlafen Joseph- ich dispen
sixe dich. ost recht, spiel nicht, wir
hatten das tde nie anfangen sollen,
Besehen-are uns verdammt wol-let zu
u ·«
W
Und schwermtithtg trank er setnOlal
anp, zündete feinen Cigarrenfturnmet
an und mischte.
«Lejeu, Meisterin-'
»Wir wollen zusammen nach hause
gehöräb Rochus. Wie lange spielst du
no
»Schön, Joseph, sama-. AlsoWItagen
wir noch genau fünfunddretßig inu
ten, dann iii es eins. Dann gehen
wir, bestimmt«
Aber um eins saß die Bank im Ver
lust und konnte unmöglich abbrechen.
»Noch zehn Minuten, Joseph, keine
Seiunde länger."
i- s II
Bier Uhr morgens. Hinter den
schweren Vorhängen graute der Mor
gen.
Rochus lehnte sich zurück und trank
ein großes Glas Wasser mit einem
Zuge leer.
»Joseph, es ist vier Uhr.«
» eh nur.«
»äofeph, ich hin hundemüde.«
» o eh doch, laß mich.«
Der iirassier beugte sich zu ihm
hinüber und fraate leise:
»Wie viel hast du verloren, Jo
seph?« Und als er keineAntwort bekam,
des andern Spiel. Jm Stillen dachte
beobachtete er eine Zeit lang stumm
er: ,Ja, Sa, so eht’s immer. Man
tommt mt den ten Vorfahen, und
es niißt nifcht. wei Stunden lang
sieht man zu und reut sich, wie stand
haft man ist, und in der dritten
Stunde schmeißt man mit dem Gelde,
als ob’s Zuckerbohnen wären.’ Plötz
lich fuhr er von seinem Stuhl auf:
»Ja eph! Du bist verrückt!«
»Laß mich!«
Eintönig ging das Spiel hin und
her. Der Eigarren- und Cigaretten- «
aualm im Zimmer war kalt geworden
und lag wie eine graue Wolke unter
der Decke. Man trank nicht mehr und
tauchte nicht mehr, aber die Karten
fielen nach wie vor rechts und links.
Der Kellner schlief, die meisten Her
ren waren fort, nur einige wenige sa
ßen noch um den Tisch, an dem Spor
äedkr seit drei Uhr morgens die Bank
ie t.
Der Kürassier schaute noch eine Zeit
lang dem Spiel zu und ärgerte sich
iiber Josephs Verluste, aber das Jeu
mit seinem beständigen Wechsel von
Glück und Mißgeschick war siir ihn eine
allzu gewohnte alltägliche Beschäf
tigung, als daß er iiber eine gewisse
Zeit hinaus siir Gewinn und Verlust
eines andern seine Müdigkeit liber
winden tonnte. Er machte noch einen
schwachen Versuch, ein Streichholz in
Brand zu setzen, die Hand lam indes
sen nichts so weit, denn ihr Herr war
mittlerweile eingeschlafen.
Nach einiger Zeit begann er zu
schnarchen, laut, immer lauter, es
tlang in dem tleinen Zimmer dizarr
und wirtte durch das Steigen und «
Fallen der Töne grotesl —- ader Nie
mand achtete darauf.
Sporleder mischte die Karten von
neuem: »Sie schulden mir jetzt drei
tausen-d Mart, Heidenstamtn, stimmt
das-"
» m.'«
»gr- ist siins Uhr vorbei, ich denke,
wir hören bald aus.«
Niemand antwortete, und der-Bont
halter nahm das als eine stillschwei
gende Ablehnung seines Vorschlaaes.
Joseph legte seine Tafchenuhr vor
sich auf den Tisch. Um sechs Uhr
mußte er draußen sein auf der Bu t,
bei Marie.
Jeder So schlug fehl, und der
Zeiger der U r rückte langsam weiter.
Halb sechs. Es war die höchste Zeit,
auszuhören, wenn er noch rechtzeitig
hinaustotnnren wollte. —- Aber er
spielte weiter: noch einen Satz« eine
außerordentlich große Summe. -— Er
verlor. —- Noch einmal. —- Er verlor
wieder. —- Ein merkwürdig trockenen
bitterer Geschmack tatn ihm aus die
Zunge. —- Er setzte ein drittes Mal
und gewann. Er ließ den ganzen Be
trag stehen, und das Geld wanderte
in Sporleders Bank. «
Noch drei- oder viermal versuchte
er, mit» einem letzten Schlage das Glück
zu zwingen, es mißlung. ·
Dretvtertel sechs.
Muhsanr lehnte er sich einen Mo
ment zurück, wie Jemand, der ni
recht weiß, wo er ist und sich erst be
sinnen wuß, dann stand er aus:
»Ich komme heute Mittag zu Ihnen,
Sporleder, wir ordnen das dann.'·
»Al! right.« -
»Adieu, ich habe Eile, guten Mor
«
J gelb-·
»Sie gehen doch na hausi«
»Ich muß aus die ennba n, ich
habe ein paar Pferde in der i iorgens
arbeii zu reiten.«
»Jetzt? Nach der Nacht? Alle .
Achtung.«
Und Spo Wer und die zwei jungen
Ulanen, di allein noch außer dein
schnarchenden Rochus anwesend wo
ren, sahen ihm bewundernd na :
»Das nennt man eiserne U erden,
Donnerwetier ja!«
Von dem Kellner im Vorjimmer
naäm Joseph Mii e und Säbe : »Ich
hu e Eile, ich sah e heute Abend.«
»Schön. Herr Baron.«
Dann ging er.
Es war ein warmer rühiingsmoks
gen, die Sonne lag n hinter einem
dünnen Wolkenschleier, es wurde frag
loi ein schöner, sommerlicher Tag.
Alle Bäume und Sträucher in den
Partanlagen der Georgsiraße standen
in grünem Kleide.
Evas-sung solgi.)
Eine fiari emaneipirie Dame in
Hansas will in männlicher Kleidung
einen Feuern-engem ug' beginnen.
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