Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, August 09, 1901, Sonntags-Blatt, Image 15

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    — I— Fl
Iler Dann des Millionäre.
—-«.--"—
Von C. D.
Der Präsident einer großen indu
striellen Unternehmung in Ohio, ein
bekannter Millionär, wohnte einein
Gastmahl bei, das durch verschiedene
wirklich interessante Ansprachen der
Theilnehmer ausgezeichnet war. An
geregt durch eine dieser Ansprachen, er
hob auch er sich und sprach die Absicht
aus. den Festtheilnehmern an einem
selbsterlebten Ereigniß klarzumachen,
daß recht häufig ein scheinbarer Schick
salsschlag sich am Ende als ein verklei
deter Glüassall entpuppt. »Jch,« sagte
er, »habe meine Karrtere damit begon
nen, daß ich im tiessien Winter mit
Fußtritten aus einem Nachtzuge in den
Schnee hinausgestoßen wurde, weil ich
kein Geld hatte, eine Fahrkarte zu
lösen."
Alle Anwesenden, obgleich sie als
Ameritaner an ähnliche Schicksals
wandlungen gewöhnt waren, lachten
über die Zumuthung, sich diesen ihren
hochangesehenen und schwerreichen Mit
biirger als einen wegen Nassauerns aus
der Eisenbahn gestoßenen armen Teu
sel vorzustellen und drängten sich in
seine Nähe, um keine Silbe von seinen
Selbstbetenntnissen zu verlieren. Er
aber fuhr in seiner Erzählung fort:
»Es war wahrend der tiauetten Ge
schäfts eit in den achtziger Jahren des
verflossenen Jahrhunderts, und obwohl
i gründlich etwas gelernt hatte, sogar
für einen geschickten Mechaniker galt,
so war es mir doch unmöglich, Beschäf
tigung zu finden, wäre es auch die ge
wöhnlichfte, blos tiirperliche Arbeit ge
wesen. Alles schien sich gegen mich ver
schworen zu haben. Auf meinen Kreuz
und Querziigen war ich nach dem süd
lichen Theile von Ohio gekommen, da
aber waren meine Mittel so vollständig
erschöpft, daß ich mir nicht mebr zu hel
fen wußte und der Verzweiflung nahe
war. Gerade da kam mir’s irgendwie
zu Ohren, daß es in Dayton fiir meine
Profession etwas zu thun gäbe.
Nach Dayton zu gelangen, war also
mein brennender Wunsch. Wie aber
sollte ich das bewertftelligen, odne einen
Beut in Händen zu haben? Jch schlüpfte
heimlich fes war ein geradezu bitter
talter Abend) in einen Nachtzw und
wurde auch gliicklich vor Abgang des
Zuges nicht entdeckt. Mein Muth
stieg; ich hoffte mit großer Zuversicht,
daß es mir gelingen werde, den Schaff
ner zu überreden, daß er mich als blin
den Passagier mitnähme.
Nun, an Beredtsamteit ließ ich’s
nicht fehlen, einen Steinblock Mitte ich
damit erweichen können. Der Beamte
jedoch, der mich da ohne Fahrtarte un
traf, war nicht zu erweichen. Als ich
mich für gänzlich niittellos erklärte, zog
er, wir waren gerade an einer unbedeu
tenden Station angelangt, feine Leine
und brachte den Zug zum Sieb-w dann
packte er mich beim Kragen, beförderte
mich zum Wagen hinaus und half mit
ein paar wohlgezielten Fufitritten nach.
Jch landete auf einem Schneebausen
und übernachtete in heller Verzweiflung
in einem leeren Waarenschuppcn. Die
letzte Aussicht war nun zu Wasser ge
worden.
Am folgenden Tage aber wendete fjch
das Blatt. Das Städtchen, an wel
chem man nich so unsanft abgesetzt hat
te, lag an einein ziemlich bedeutenden
Bache, den die Einwohner erst vor kur
zem mit einer neuen eisernen Brücke
versehen hatten. Durch irgend welchen
Zufall löste sich in den Morgenstunden
dieses fiir mich so denlwürdigen Tages
die Spannung eines Brückenbogen-s
und der ganze Bau schwebte in der
größten Gefahr, zusammenzubrecheu,
ehe aus der Gießerei, die das Machwerk
hergestellt hatte, sachverständige Hilfe
herbeizuschaffen war
Jn diesem kritischen Moment gelang
te ich auf meiner ziellosen Irrfahrt an
die . den Untergang drohende Beurte.
All’ meine Energie erwachte; was ich
an technischen Kenntnissen besaß, stellte
sich mir gleichsam mit nützlichen Fin
gerzeigen zur Verfügung: ich bot mich
den rathlosen und vollkommen verwirr
ten Stadtvätern zur Hilfe an. Mein
zuvetsichtliches Auftreten mochte ihnen
wohl Zutrauen einflößem sie nahmen
mein Anerbieten an und ich stürzte mich
mit Feuereifer in die Arbeit. Aus
holzblöcken und Spannbalten baute ich
in fliegender Eile einen stiihenden Brit
ckenbock, der bis zur Ankunft geschulter
Brückenbauer das wantende Gestell
aufrecht erhielt und rettete dadurch der
Baugesellschaft die Kleinigkeit von
rund zwanzigtausend Dollars.
Selbstverständlich war man an der
hauptsächlich betheiligten Stelle fiir
mein »umsichtiges und thattriistiges
Eingreifen sowie für meine wissen-—
schriftlichen und Fachienntnisse«, wie
man sich anerkennend ausdrückte, nicht
wenig dankbar. Der arme Teufel sah
sich mit Lobspriichen überhäuft und
nahm mit überströmendem Herzens
jubel den ihm angetrageneangenieurs
posten in dem Etablissement an, das
sieh ihm site den geleisteten Dienst er
kenntlich zeigen wollte.
Von der Zeit an stieg ich von Stufe
zu Stufe, von Erfolg zu Erfolg. stlnd
nun bedeuten Sie, meine Herren, bog
dieser glückliche Umschwung stattfan
gerade in dern Moment, als scheinbar
jede Hoffnung fiir mich aus war. Hätte
der Schaffner, dem ich mit so heißer-:
Flehen in den Ohren lag, mich mit nach
Dahton genommen, anstatt mich unter
wegs mit Fußtritten aus dem Wagen
zu stoßen, so hätte ich die große Chance
te«
F A
meines Lebens versäumt und tlopste
möglicherweise heute Steine am Wege.
Der Mann, dem ich damals in allen
Tonarten fluchte, ist in Wahrheit der
Be riinder meines Glückes geworden.
IF habe schon oft den Wunsch gehabt,
ihm noch einmal im Leben zu begeg
nen.« -
Die Rede des Millionärs machte auf
alle Anwesenheit einen lebhaften Ein
druck und ging, wie es Sitte ist,
durch alle Zeitungen. Mit einer sol
chen Zeitung in der Hand stellte sich bald
darauf ein Eisenbahnschaffner im Bu
reau seines Vorgesetzten ein und sagte
in großer Erregung: »Ich bin der
Mann, der damals den nassauernden
Mechaniker aus dem Zuge setzte, ich
möchte mir ein paar Tage Urlaub
ausbitten, um mich ihm als den »Be
griinder seines Glückes« vorzustellen.
Jch möchte ihm doch Gelegenheit geben,
mir seinen Dant dafür zu beweisen.«
Der Vorgesetzte ließ sich über die Zeit
und die näheren Umstände des Ereig
nisses ausführlichen Bericht erstatten
und dann erhielt der Schaffner den er
betenen Urlaub und dampfte hoher Er
wartungen voll nach Ohio ab. her hatte
auch das Glück, den Gesuchten daheim
zu finden und trug ihm denn nun seine
wohlvorbereitete Geschichte vor.
Ehe er noch geendet hatte, sprang der
Millionär von seinem Sitze auf, das
Antltß von einem Lächeln der Befrie
digung verklärt, seinemGegenüber beide
Hände entgegenstreckend.
»Das ist mir ja ein großes Vergnü
gen,« rief er aus« »ein sehr großes Ver
gnügen, etwas, wonach ich mich seit
Jahren gesehnt habe!«
»Das beruht auf Gegenseitigkeit,«
erklärte der Schaffner, übers ganze Ge
sicht strahlend«
»YCUUWUYL, ckllllclc Ucc Plllslocllh
sich vergnügt die Hände reibend, »Sie
waren ja natiirlich nur ein Werkzeug
in der Vorsehung, der ich dafiir meinen
Dank in mannigfacher Weise auszu
drücken versucht habe. Die Fußtritte
dagegen waren ausschließlich Jhr eige
nes Verdienst. eine Art humoristischer
Verzierung, ohne welche das Hinausp
werfen eines halbverhungerten, unge
nügend bekleideten armen Teufels in
die unwirthliche Schneenacht fast et
was zu Tragischeg an sich gehabt hätte.
Meiner Erinnerung nach,« fiigte er
nachsinnend hinzu, »waren Sie damals
beträchtlich stärker und schwerer als
jetzt «
»Stimmt,« sagte der Mann am Ti
sche, »ich habe seitdem sehr abgenom
men.«
»Gerade das Gegentheil wie bei
mir,« fuhr der Präsident fort, »ich war
zu jener Zeit hervorragend von Kräften
getomrnen und habe mich seitdem auf
fällig erholt. Da sind also auch unsere
Gewichtsverhiiltnisse auf gerechte Weise
» ausgeglichen. Dann also nur heran!«
Damit packte er unversehens den ver
blüfften Schaffner beim North-ager
wirbelte ihn herum wie ein Blitz und
warf ihn die Treppe hinunter. Dabei
half er in anerkennenswerther Wehen
digkeit mit wohlgezielten Fußtritten
nach, so daf-, der «Begriinder seines
Gliicke5« nicht auf dem Hausflur liegen
blieb, sondern flott auf die Straße
flog.
»Das war also der Dank eines Mil
lionärs,« sagte der Schaffner zähm
knirschend. »Millionäre haben nun
einmal tein Herz für arme Leute.«
--— ——-.0.— —
Yerlkchrte Welt.
—..
Eine Toilettenstudie von H a n s
S ch a r w e r l e r.
Ob die Frauen Hosen tragen sollen,
gleich den Männern, ist gegenwärtig,
besonders bei den englischen und ame
ritanifchen Frauenrechtlerinnen, eine
brennende Frage. Bei vielen derselben
ist die Hofe geradezu das Symbol der
Emanzipation geworden. Ob es den
Männern auch erlaubt ist, Weiberröcke
zu tragen, oder ob man vielleicht von
Obrigkeits wegen gar alle Ehemänner,
bei denen die Frau »die Hosen anhat«,
dazu anhalten soll, damit der Wahr
heit auch öffentlich die Ehre gegeben
.werde, und Jedermann sofort sehen
kann, wer Herr im Hause ist —- diese
schwerwiegende und jedenfalls ebenso
wichtige Frage bat noch Niemand mit
Gründlichleit und Sachverständniß er
örtert. Und doch wäre es nachgerade
Zeit, daß im Interesse des menschlichen
Fortschritts und vor allem dem der Ge
rechtigkeit darüber Klarheit geschafft
würde, denn was der Hofe recht ist, das
ist dem Rock billig.
Glücklicherweise giebt es einige kul
turgeschichtliche Thatsachen, die uns
auf diesem Wege leiten können, und
über den Umstand, inwieweit die Hofe
der Herrschaft, der Rock der Untertha
nigkeit günstig ist, Licht verbreiten. Es
giebt nämlich Voltsstämme, vorzugs
weise im Osten, bei denen sei-i Jahr
hunderten die Frauen hofen tragen,
und andere, bei denen die Männer in
Weiberröcken herumlaufen; und trotz
dem befinden sich gerade bei diesen die
Weiber in einem Zustande der Abhän
gigteit, die von unseren Frauenrechtle
rinnen als »Stlaverei« bezeichnet
wird, und die Herrschaft des Mannes
ist unbestritten. Dies scheint darauf
binzudeuten, daß das rechtliche Ver
biiltnisz der Geschlechter mit der Be
, tleidung durchaus nichts zu thun hat,
und letztere eine bloße Sache der Mode
ist. Die Frage der geeignetsten Tracht
gehört ganz in das gesundhettliche und
ästhetische Gebiet und hat mit den
Emanzipations - Bestrebungen moder
ner Frauen im Grunde nichts gemein.
Die mehr ooer minder schönen Be
wohnerinnen des türkischen Harems
tragen bekanntlich alle lange, bis zu
den Knöcheln reichende Pumphosen,
zeigen sich aber niemals so in der Oef
fentlichteit. Sobald sie das Haus ver
lassen, bedeckt sie der bis zu den Füßen
reichende unförmliche Mantel, der
Feredschr. Da es dem modernen Lieb
haber- oder Berufs-Photographen,
dem sonst nichts Lebendiges oder Tod
tes heilig ist. und dessen Blißapparat
selbst die verborgensten Dinge auf die
lichtempsindliche Platte bannt, bis jetzt
nicht gelungen ist, in die streng gehüte
ten Harems einzudringen, so besitzen
wir leider kein authentisches Bild die
ser behosten Damen. Aber wir wissen
ganz genau, wie sie aussehen, wenn
wir die jüdischen Tänzerinnen in Tu
nis betrachten, die ihre Kunst in den
Konzerthallen ausüben und dabei meist
im reichen Haremskostiim austreten,
auch der Photographischen Kamera gern
Stand halten. Es läßt sich nicht
leugnen, daß diese Tracht kleidsam,
malerisch und reizvoll ist, dabei ohne
Zweifel gesünder und bequemer, als die
bei uns übliche Frauentracht. Das
Gleiche läßt sich dagegen nicht von den
übrigen tunesischen Jüdinnen sagen,
deren Anzug geschmacklos und unkleid
sam ist. Es zeigt sich hier, daß, so pas
send die weite Pumphose siir das weib
liche Geschlecht erscheint, doch die ei
gentliche Männerhose, noch dazu die
enge, fiir Frauen höchst unkleidsam
und entstellend ist. Das gewöhnliche
Kostiim einer tunesischen Jüdin besteht
aus einem, meist reich gestickten und.
verzierten Hemd, einem goldgestickten,
weit aus-geschnittenen Sammetjäclchen,
engen Beintleidern, weißen Strümpfen
und Pantoffeln. Darüber hängen sie
ein langes, faltenreiches, hemdartiges
Seidengewebe von rothen gelber oder
grüner Farbe, und auf dem Kopfe
thront ein sammetener, goldgestielter
Zuckerhut, die Kusia.
Ganz richtige moderne Hosen nach
dem Osenröhrenmuster trägt die versi
sche Frau, wie man sie häufig in den
indischen Bazaren sieht; dazu eine lan
ge Bluse und turzgeschnittenes Haar,
von einer kleinen Studententappe be
deckt. Man könnte sie· siir einen jungen
Mann halten, ließe nicht der Stoff der
Kleidung, leichte buntfarbige Seide,
und die reichen Verzierungen und Be
sätze des Obergewandes darauf schlie
ßen, daß man es mit einem Weibe zu
thun hat.
Diesen hosentragenden Frauen aus-«
dem Orient ließen sich noch eine ganze
Reihe anderer ansügen, aber wir brau
chen gar nicht so weit zu gehen. Dicht
» an den Grenzen Deutschlands, und
» zwar im Schweizer Kanton Waadt,
j giebt es Frauen, die nicht nur die Ho
sen anhaben, sondern deren Tracht
vollständig männlich ist und dabei so
nüchtern, schmucklos und jeder Anmuth
bar, daß man sie den »Frauen der Zu
kunst« nur als abschrectendes Beispiel
hinstellen kann. Sie sehen in ihren lan
gen Hosen und der kurzen Jacke mit
steifen Manschetten und Stehtragen
wie schlechtgewachsene junge Bursche
aus, und ihr Beispiel wird schwerlich
irgendwo anders-« zur Nachahmung rei
zen. Freilich tragen auch in anderen
Orten der Schweiz und in vielen Thä
lern Tirolg die jungen Mädchen wäh
rend des Graizmähens und Heumacheng
leinene Hosen; ebenso die Arbeiterin
nen im Kohlenbergwcrt zu Pengberg
(Bayern), die Fischermädchen irLLlrca
! cyOn (Bllofklllllkclc1», Ulc Urlucu
pflückerinnen in Spanien und manche
andere. Doch dient ihnen dieses- Ko
ftiim nur während der Arbeit, bei der
ihnen Röcke hinderlich fein würden.
Sobald aber die Arbeitszeit vorüber
ist, schlüper sie eiligst wieder in ihre
weibliche Tracht. Die Hofe erscheint
ihnen nur als ein nothwendiges Uebel,
als ein Mittel zur besseren Ausfüh:
rung gewisser Verrichtungen, keines-«
weg-H aber als eine erstrebenswerthe
weibliche Jdealtleidung.
Und das ist sie auch sicherlich weder
vom ästhetischen, noch gesundheitlichen
Standpunkte, nicht einmal von dein der
Zweckmäßigkeit aus, ebensowenig wie
der Weiberrock für den Mann, obwohl
wir ihn bei einer ganzen Anzahl nnd
zwar feltsainerweife der kriegerischesten
und wildesten Volksstämrne als alte,
freilich immer mehr verschwindende
Volkstracht finden.
Am belanntesten ist der Kilt der
Bergschotten, ein kurzer-, bis oberhalb
des Knies reichender Rock aus Wollen
ftoff, der früher allgemein statt der Ho
fe getragen wurde, jetzt sich aber nur
noch bei den Dudelsackvfeifern der
schottischen Lords und bei den Hoch
land-Regimentern als besondere nn
tionale Auszeichnung erhalten bat.
Ebenso ist der kurze weißleinene Rock
der griechischen Palitaren, die Insta
nella, die aus einem langen, in zahl
lvse Falten gelegten und um den Leib
gewundenen Zeugstreifen besteht und
im frischgeftiirkten Zustande wie der
Rock einer Balletttänzerin aussieht,
im raschen Verschwinden begriffen.
Denn überall wo die Zivili
sation vordriingt, verdrängt die
praktischen Hofe diese Ueber
bleibsel alter Volkstrachten. Nur
wo die moderne Kultur noch nicht Fus;
« gefaßt hat« wo das Leben sich noch in
den patriarchalischen Formen vergan
gener Jahrhunderte abspielt und von
Industrie, vom raftlosen Erwerbstrei
en der Gegenwart keine Rede ist, hält
l
sich der Weiberrocl als Stück der männ
lichen Belleidung.
So zum Beispiel aus der Jnsel Sar
dinien, diesem vernachlässigten Theile
des Königreichs Italien· Der Wollen
rock der Bauern im Jnnern des gebir
gigen Landes hat die größte Aehnlich
keit mit dem Kilt der Schotten, doch
trägt der Sarde unter dem Kilt noch
weißwollene Hosen, die in den langen
Strümpfen stecken. Daß diese rauhen,
unzioilisirten Bergbewohner, bei denen
das Räuberwesen und die Blutrache
noch in Blüthe stehen, außer besagtem
Rocke absolut nichts Weibliches an sich
haben, braucht wohl nicht besonders er
wähnt zu werden.
Einem Weiberrocke gleicht auch die
kurze, rockähnlich weite Hose derBauern
in der altspanischen Provinz Martia
Wenn man die Bewohner dieses spär
lich bevölkerten Landstriches mit ihren
blendendweifzen, bei jungen Männern
oft zierlich gefältelten ,.Zaraguelles3«
daherkommen sieht, dazu an den Unter
schenkeln fußlose Strümpfe mit rothen
Strumpfbandern, an den Füßen Hanf
sandalen mit rothen oder blauenKreuz
bändern, über der Schulter die iarrierte
Manta (Plaid), so kann man sie in der
Ferne leicht für Frauen in kurzen
Röcken halten. Erst wenn fie nahe her
an sind, man genau die Gesichter unter
scheidet, wird man seines Jrrthumz
gewahr. Die Muricaner sind mittel
große Leute von heiterem leichtlebigeu
Naturell, dabei fleißige Arbeiter und
Meister in der Bewässerung und Bo
dentultur.
Ganz oas Gegenwert rann man von
den langröckigen Bergbewohnern Mare
doniens sagen. Trotz ihres würdigen
Aussehens, der hohen Gestalt, den ed
len Gesichtszügen sind diese Abstimm
linge von Griechen und Bulgaren halb
Hirten, halb Räuber, jeder eigentlichen
Arbeit, die sie verachten, abhold, und
ihre rauhen Sitten erinnern an die weit
zurückliegenden Kulturperioden. Je
denfalls hat ihr bis zu den Füßen rei
chendes rockartiges Gewand, das in
seltsamem Gegensatz zu dem breiten,
stets mit Pistole und Messer gespickten
Gürtel steht, nicht den geringsten fünf
tigenden Einfluß aus sie ausgeübt,
ebensowenig wie die Hofe bei den oben
vorgeführten Orientalinnen etwa
männliche Eigenschaften zu erwecken
vermochte·
Auch die tanzenden Derwische des
Mewlewiordens, die vollständige Frau
j entleidung tragen, nämlich Hemd, Jacke
; und langen, saltigen, von den Hüften
i bis zu den Füßen reichenden Rock, zei
’ gen sich keineswegs von der »Milch der
; frommen Denkungsart« durchtränlt,
: sondern gleich den behosten Derwischen
; sind sie eifrige Mohammedaner und be
» geistert für den Krieg gegen die Un
s gläubigem Jhr Ordensoberster, der
’ im großen Kloster bei Konia lebt, hat
das Vorrecht, jedem neuen Sultan das
Schwert Osmans umzuschnallen· Je
118 Mqvtt Mit-. ux witle Insx
ttjx arg Wurm-g Jactauxruottuaszs uaa
eintraqu uaauakuor arg gug Hjactau
quiottuazs ratpnjakk uatptxoctaana mag
den Andachtsiibnngem die sie jeden
Freitag Nachmittag um zwei Uhr aus
führen, werden auch Fremde zugelas
sen. Diese Andachtsübungen bestehen
darin, daß die Derwische unter den
Klängen eines aus Pauten und Flöten
bestehenden Orchesters und eines kla
genden Gesanges sich mit immer stei
gender Schnelligkeit um sich selbst und
zugleich in einer bestimmten Kreisbahn
drehen. Meist dauert dieser Tanz nur
fünf bis sieben Minuten, an gewissen
kirchlichen Gedenttagen aber so lange,
bis die Tänzer völlig erschöpft sind.
Noch seltsamere Heilige als vie tan
zenden Derioische in Konstantinopel
sind die sogenannten Teufelstänzer auf
Ceylon. Sie gehören einer Art von
Schamanenkaste an und leben von dem
weitverbreiteten Aberglauben der nie
deren Bevölkerung, daß Krankheiten
dem Einflusse böser Geister zuzuschrei
ben seien. Diese bösen Geister fahren
in die Menschen und können durch die
Beschwörungen und Zeremonien der
Teufelstänzer ausgetrieben werden«
Gleich den Schamanen des asiatischen
Nordens legen diese Teufelstänzer ein
höchst phantastisches Kostiim an, von
dem der Weiberroek das Hauptstüel ist.
Dazu kommt ein eigenthümlimer Kopf
putz und eine Fülle von glitzerndem
Tand und Schmuck, so daß sie ganz wie
Weiber erscheinen. Sie tanzen in:
Hause des Kranken oder im bofraum
vor demselben zum Schall einer indi-·
schen Trommel stunden- und tagelang,
bis der Kranke entweder das Zeitliche
gesegnet hat oder besser geworden ist.
Jm ersteren Falle waren die bösen Gei
ster zu stark, und das löbliche Begin
nen der Teufelstiinzer mußte daher
nothwendigerweise erfolglos bleiben;
im letzteren zweifelt niemand daran,
am allerwenigsten sie selbst, daß die
günstige Wendung das Verdienst ihrer
J,,iirztlichen Behandlung« ist, und sie
» werden reichlich belohnt.
T Die phantastische Frauentracht die
f ser Teufelstänzer erklärt sich leicht aus
J ihrem Gewerbe, bei dem es vor allem
i daran ankommt, aus die Einbildungs
I kraft der Menge und vor allem des
s Kranken einzuwirken. Weshalb aber
fauch die singbalesischen Dorfältesten,
sGemeindevorsteheL Steuereinnehmer
; und ähnliche würdige Persönlichkeiten
f zur besseren Ausübung ihrer Pflichten
3 sich eines vollständigen Frauenanzugs
dbedienem gehört unter die unaelösten
« Rüthsel der Jltenschennatun miehts ist
Hergötzlicher für einen Europäer, als
» diese prächtigen, bärtigen Kerle in ihren
breitkrempigen Strohhüten, der Jacke
mit Puffenärmeln und dem langen
Weiberrock daherstolziten zu sehen, den
sie noch dazu mittels des Gürtels vorn
aufschürzen, wie unsere Wafchfrauen
bei der Arbeit. Sie kommen sich darin
ohne Zweifel äußerst imponirend vor
T und stellen somit das Gegenstiick der
; eingangs erwähnten Frauenrechtlerin
E nen des Westens dar, die mit der Hofe
alle männlichen Eigenschaften und eine
erhöhte Wifrde erlangt zu haben glau
ben.
Wie wenig das zutrifft und wie un
« abhängig von der Kleidung der Cha
« rakter des Trägers oder der Trägerin
ist, dafür hat unsere kurze kulturge- T
schichtliche Betrachtung über Hofe und
Weiberrocl dem Leser einige interessante
.«. ..—. —- —. ——.—---—-.—-—.-«.-..—-.—--.——-...«s
und hoffentlich iiberzeugende Beleg-It
gegeben·
; Eine Ferienplauderei von O s c ar ’
hole-e kan· vier-te.
Blumenthal.
Seit einiger Zeit weiß ich niemals,
wenn ein neuer Morgen anbricht, wel
chen Wochentag wir haben. Das Da
l
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I
F
tum ist mir selbstverständlich völlig·
Hunbetannt Ja, sogar die Grenze!
E zwischen einem Monat und dem ande- -
E ren habe ich neulich überschritten, ohne I
es zu merken. Der drehbare Kalender
auf meinem Schreibtisch ist in deni
f Ruhestand versetzt. Kaum daß ich mich T
« gewöhnen kann, die Taschenuhr regel- z
mäßig aufzuziehen. Die Stunden, die
Tage, die Wochen.... sie gehen wie L
auf Zehenspitzen an mir lautlos vor- I
« über kein Tra-Tack, tein Stunden- ·
schlag verräth ihr Kommen und Ge- «
hen . . .. Das ist das Merkzeichen des
holden Nichtsthuns, für das die Ita
liener ein so schmeichlerisch schönes
Wort gefunden haben ..... ein Wort,
« das uns Allen das Herz bethört, wenn
wieder einmal die schöne Zeit der Fe
rien kommt und uns für einige Wochen
aus der Kette der Berufsarbeit erlö
send ausgliedert.
Dolce far niente! ..... Liegt nicht
etwas wie Mandolinenklang, wie der
- Lockruf ein-es Gondelliedes in demf
Wort? Ein schwüler Wohllaut rinnt
« aus seinen Silben hernieder. Es
; tröpfelt uns wie Mohnsaft auf die Au
. gen Und nimmt uns mit einem Zauber
; gefangen, gegen den es kein Widerstre
z ben giebt. Das Wort ertönt nur . . ..
und plötzlich ist das Uhrwerk der täg
lichen Arbeit aus-gehoben Der hastige
Zeigerschritt des Strebens, das uns
E von einem Ziel zum anderen treibt,
macht gehorsam Halt. Es legt sich uns
auf die heiße Stirn wie eine weiche,
mütterliche Hand, und wir fühlen et- z
was wie einen Vorgeschmack jener letz- ;
ten Ruhe, die wir den Tod nennen, und
"' die doch nichts anderes ist als ein ewi
ges Dolce far niente, das uns am
«Ansgnng der Endlichkeit in feinen
. wohligen Frieden einschließt . . . Es ist I
in das italienische Wort die ganze «
· Ineer wie gleitende Löhne, und in’s«
Poesie des Müsziggangs eingebettet, die
ihr Symbol in der Miimeisnatte findet, -
welche zwischen blühenden Banmens
schaukelt, und in der wir uns nur ’
ausstreciem um durch die Lücken der -
grünen Stronen hindurch in die blaue I
Unendlichkeit des Himmels zu starren. -
; Beichte Wolken ziehen durch das Luft
; Schlepptau hängen wir unsere Hoff
; nungen und Träume.... Dolce far
- niente!
I Aber sur vie Stunden Der wegen
wart, die es uns spurlos entführt, ent
schädigt uns das «Dolce sar niente«
durch die Stunden der Vergangenheit,
z die es uns wiedergiebt. Wir leben Alle
I so entsetzlich geschwind. Der Eindruck
von heute stößt lieblos den Eindruck
i von gestern bei Seite. Der Tag wird
vom Tage verschlungen . . . Zu stillen
den Rückblicken . . . wer findet die Zeit?
; Aber das »Dolce sar niente« ist ein gro
. ßer Geisterbeschwörer. Aus der Ver
; gangenheit ruft es unsere schönsten Le
; benstage wieder auf, und auf einsamen
s Spaziergängen sind sie unsere Beglei
j ter. Alte Erinnerungen blühen plötz
, lich wieder auf und öffnen weit ihre
s Kelche Und wie vor den Augen des
s Sterbenden in einem großen traumhaf
7 ten Wandelbild das ganze Leben vor
I uberzieht, so wird uns auch im ,,Dolce
I far niente« die vergangene Zeit wieder
lebendig. Die Stunden von einst tre
ten vor uns hin — die eine mit leeren,
, die andere mit vollen Händen. Wir
. finden uns langsam zu uns selbst zu- "
I
l
I rück. Und darum ist es nicht wahr, daß
l der Müßiggang der Anfang aller Laster
I ist. Er tann auch das Ende aller
l Weisheit sein. Er kann die geheiligre
i Sonntagsruhe der Seele werden.
, Eine Philosophie des Müßigganges
ist leider noch nicht geschrieben worden,
. aber sie verdient endlich ausgezeichnet zu
! werden. Sie würde uns vielleicht leh
i ren, in einigen der berühmtesten welt
i geschichtlichen Faulpelze die weisesten
Ueberwinder aller menschlichen Richtig
des Miißigganges müßte bis Diogenes
zurückgehen, der aus seiner Tonne het
aus die Welt verlachte und ihre trib
lseinde Geschäftigkeit mit immer erneu
tcrn Erstaunen beobachtete. Die indi
schen Säulenheiligcn, die ein ganzes
Leben der schwermiithigen Selbstbe
trachtung weihten, und die Anachoreten,
die ihre Wüsten und Wildnisse nur mit
ernsten Gedanken bebölterten, würden
,,Dolce far niente« zu deuten und zu
s beseelen sein. Die Quietisten mit ihrer «
SEmden der Selbstschau, zu verweilen-O
keiten zu verehren. Die Philosophie.
uns von den Geschichtsschreibern des «
F» .- --.... «-.-...«..—.B
bewußten Abkehr von allemWirken uns
Streben, und jene ergebungsoollen Sek
ten, die das ,,non resistere« zu them
Wahlspruch gemacht und sich aus allem
Widerstand gegen Welt und Schicksal
in die unbewegliche Ruhe des Verzich
tens gerettet haben . . . sie würden uns
Alle nur verschiedene Spielarten des
,,Dolce far niente« zeigen. Denn das
Nichts-thun kann ebenso aus der gedan
kenlosen Trägheit des Tagediebes wie
aus der letzten Tiefe der Erkenntnis
strömen. Es kann eine hohle Laune«
und es kann eine Welt von Jnhalt um
schließen. Es kann uns nichts und es
kann uns Alles sagen.
Man sollte deshalb die Bezeichnung
,,Miißiggiinger« nicht unterschiedslos
verschwenden. Es kann auch ein Eh
rentitel sein, der in schweren Kämpfen
erworben und erarbeitet worden ist —
und heutzutage, wo man mit so viel
Rundfragen neugierig in das Geheim
leben unserer Schriftsteller, Staats
männer und Künstler einzudringen ver
sucht, sollte man auch einmal die Frage
versuchen: »Was thun Sie in den
Stunden, in welchen Sie nichts thun?«
Jch glaube, in den Antworten würden
sich alle höher organisirten Naturen von
den anderen am deutlichsten scheiden.
Denn erst, wenn die Stunde von dem
Bleigewicht eines Arbeitszweckes befreit
ist, öffnet sich unser innerstes Wesen,
und das Dolce far niente ist der Probie
stein unseres Werthes. Hier muß es
sich zeigen, was wir an uns selbst be
sitzen. Hier schweigen alle die lauten·
Täuschungen, die uns in den wichtig
thuenden Stunden der Arbeit über uns
selbst betrügen. Hier giebt es keine
Nothliigen und Verschleierungen, und
schon das erste Gähnen würde eine er
barmungslose Anklage gegen uns
sein . .
Unsere Gesellschafts-Pädagogen ru
fen uns unablässig ins Ohr: »Lernt
arbeiten!« Das ist ohne Frage sehr
nothwendig und heilsam. Aber wir
haben diese Frohnvogtmoral, die aus
dem Menschen ein Lastthier machen
will, lange genug gehört, und wenig
stens in der glücklichen Zeit der Ferien
sollte man uns lieber das epikuriiische
Wort zurufen: ,,Lernt müßiggehen!«
Denn auch der Müßiggang, wenn er
fruchtbar und schöpferisch wirken soll,
ist eine Kunst, die gelernt werden will.
Der Lazzaroni. der sich, auf dem Rücken
liegend, sorglos und wunschlos die
Sonne Gottes in den Hals scheinen
läßt, und der beschauliche Muselmann,
der stundenlang mit untergeschlagenen
Beinen auf seinem Tabouret sitzt und«
den Rauchwölkchen nachschaut, die er
aus seinem Tschibuk hervorbliist —- sie
verstehen diese Kunst. Sie hat ihre
Stümper und ihre Virtuosen, und es
gilt auch von ihr das Wort Senist
»Das Wichtigste bei allem erischen ift
Ort und Stunde!«
Müßigaehen kann man am Ende auch
mitten im verwirrenden Gewühl der
Großstadt, aber das ist ein planloser
und leerer Müßiggang, der nichts mit
dem segensvollen Ruhestand des Dolce
sar niente zu thun hat. Es ist nicht der
gliedererliisende Schlummer, den Ho
mer besungen hat, sondern ein unruhe
voller und traumschwerer Halbschlaß
der uns nicht gesundet und erquickt aus
seiner Umarmung entläßt. Denn über
das Dolce far niente muß die milde
Göttin der Einsamkeit ihre segnenden
Hände halten. an der grünen Däm
merung rtiller Gärten, unter dem Bu
chendom der Wälder, am Uferrand ver
steckter Weiher, in welchen sich vielhun
dertjährige Bäume spiegeln . . . da sind
ihre Lieblingsplätze Da wird sie alle
ihre Wohlthat über Euch ausschiitten.
Und darum rathe ich Euch Allen, die
Ihr jetzt in die Ferien hinauswandert
und die Jhr in die Ferne zieht, um zu
Euch selbst zu kommen ich rathe
Euch: Bleibt nicht unten im Thal, wo
die quirlende Beweglichkeit der Men
schen Eueh umkreist. Steigt oben hin
aus, wo die Quellen der Erfrischung
rieseln. Dort giebt es so schöne, welt
abgeschiedene Plätze, wo Euch noch nichi
die Schrecken der Hochnatur berühren
und wo doch eine lautlose Einsamkeit
waltet, in die keine Stimme von drau
ßen mehr hineinredet. Da sucht Euch
zwischen Schwarzwurzeln und Farren
wedeln einen moosgepolstcrten Stein,
auf dem Ihr Rast machen könnt. Oder
geht noch eine Wegstunde höher, wo zwi
schen den schimmernden Steinen schon
die Gentianen ihre blauen Sterne und
die Alpenrosen ihre flammrothen Bit
schel hervortreiben. Da ist gut rasten
Da gleiten Einem die Stunden unhör
bar vorüber. Seid Jhr nicht völlig na
turtaub zur Welt gekommen, so wird
Euch hier etwas in’s Ohr geflüstert
werden, was den Arbeitsgewinn eines
ganzen Jahres auswiegt und baid wer
det Ihr erkennen, welchen tiefen Zauber
es in sich schließt das berauschends
»Dolce sar niente« . . .
«s.-—--s- - »M
Nach dem Theater.
»Ist es wahr, Frau Geheimrath, daß
man diesem Schauspieler in Paris die
Pferde ausgespannt hat?«
»Gewiß, sogar die Frau!«
F r ii h ii b t s i ch.
Mama (in die siinderstube tretend) :
»Aber, Lieschen, wer wird denn einen
so kolossalen Skandal machen ? Da
schau ’nial an, wie ruhig Fritzchen da
itzt.«
s Lieschen (schnippisch) : »Der hat
leicht ruhig dasitzen -— das ist so in dem
Spiel, das wir jetzt gerade spielen. Er
ist nämlich der Papa, der spät nach
Hause kommt, und ich bin Du.«