Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, August 02, 1901, Sonntags-Blatt, Image 15

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    W
Ersuugenei Gtütln
Skizze aus dem Pariser Leben.
--.-.
An diesem Nachmittage wird in der
Saint - Vincent de Paul - Kirche eine
hochzeit gefeiert. Die Kirche isi saft
gefüllt mit Eingeladenen und Neugie
rigen. Die Braut isi nicht allein eine
wunderbar schöne Erscheinung, sie
wird auch wegen ihres guten herzens
allgemein verehrt. Wie viele Arme des
Kirchspiels verdanken ihrer Großher
zigkeit momentane Linderung ihrer
Noth. Sie, die Reiche, die vorn Glück
Begünstigte, ift immer bereit, sobald
sie von einem Elend sprechen hört, mit
beiden Händen in ihre Armenkasse zu
greifen. "
Vor einigen Wochen suchte Schwe
ster Therese sie auf und bat mit zit
ternder Stimme — sie fürchtete nicht
eine Fehlbitte zu thun, aber zu spät
zu kommen — doch als Solosängerin
bei ihrer Hochzeitsfeier eine ihrer
Schuybefohlenem eine arme Unglück
liche zu engagiren, die nichts auf Erden
zu erwarten habe, da sie so häßlich sei,
daß sie überall zum Spotte ihrer Mit
menschen wird.
Die junge, schöne Braut, der Alles
huloigt und entgegenlächelt, antwor
tete :
»Ja, gewiß, sie und keine Andere
soll bei meiner Hochzeit singen. Und,
,ma bonne soeur, wenn die Hochzeit zu
Ende ist, überreichen Sie der Aermsten
diesen Hundert - Franks - Schein als
Frtrahonorar und dieses Portebon
eur.«
Mit diesen Worten überreicht sie der
sich bedantenden barmherzigen Schwe
ster eine goldene Brosche, ein oierbliit
teriges Kleeblatt darstellend.
»Und außerdem sagen Sie ihr, daß
während ihre Stimme betend für mein
titnftiges Glück erschallt, werde ich zu
Gott beten, dafz er auch aut mit ihr
fei, damit auch fiir sie etwas Glück aus
Erden ersprieße.«
O f i
Charly Watson, ein reicher Ameri
taner, schwärmt fiir die alten, künstlich
zemalten Kirchenfenster. Seine Biblio
lhet daheim besteht meist aus Werten,
die die Kathedraltirchen und ihre Ma
lerei beschreiben. Er vermag Stunden
oor einem solchen Fenster zu sihem um
die Inschrift zu entziffern und die
Malerei zu studiren.
Wenn beim Diner seine Nachbarn
an der »Table d’h('pte« begeistert von
allen gesehenen Pariser Sehenswiir
digteiten erzählen und man ihn fragt:
»Wo waren Sie denn heute ?«, ant
wortete er :
»Ich habe einen wunderbaren Nach
mittag in der Notre-Dame-de-Lorette
Kirche verbracht.«
Die Antwort war immer dieselbe,
nur der Name der Kirche war ein an
derer.
Jetzt ist die Reihe an die Samt
Vincent-de-Paul-Kirche gekommen.
Als er an diesem Nachmittag die
rothen Draperien an der Kirchenthüe
bemertt iind die lange Wagenreihe mit
dem Hochzeitsmagen an der Spitze,
verzieht sein Gesicht sich in Falten, und
ärgerlich ruft er aus :
»Eine Hochzeit t«
Schon will er umtehren. als er sich
im nächsten Augenblick sagt, es mufz
doch interessant sein, den religiösen
Ceremonien einer Pariser Hochzeit bei
zuwohnen. und er betritt die Kirche.
Wie bezaubert bleibt er am Eingang
stehen. Eine Engelsstimme —- er
glaubt es —- singt die Schlußverse des
»Am Maria !«
Diese Stimme singt sich allmächtig
in sein Herz, iii seine Seele hinein. Sie
ist verstummt. Schon verlassen die
Gäste ihre Plätze und schreiten dem Al
tare zu, um den Neuvermiihlten Glück
zu wünschen, und iioch immer steht er
bezaubert, wie angewurzelt, auf der
selben Stelle.
Mit Freuden würde er einen Theil
seines Vermögens hingeben, wenn er
nur noch einmal diese Stimme hören
könnte.
ver tagt sich oen Weg nach oem
Chor zeigen. Vor ihm geht eine barm
herzige Schwester.
Dann sieht er. wie dieselbe ein un
glücklich scheinende-Z Mädchen anredet,
welches etwas verwachsen zu sein
scheint und nicht hübsch. Sie ist eher
häßlich mit ihren groben Zügen, aber
in diesem Augenblick leuchten ihre
Augen wie bis-: iiberirdischem Glanze.
Er sieht, wie die barmherzigeSchwc
fter ihr die Backen streichelt und dann
zu ihr sagt :
»Das war herrlich gesungen, meine
Liebe ! Die Jungvermählte schickt Ih
nen dieses Extra - honarar und dieses
Portebonheur. Außerdem soll ich Ih
nen fagen. daß, während Sie für Jhr
Stück gesungen, sie fiir das Jhrige ge
tet."
»O, Dank i« ruft die Aermste be
glückt aus·
Und dieses Gefühl der Freude ver
leiht ihrem Gesicht ein Leuchten, das es
faft hübsch erscheinen läßt.
Charly Watson tritt in diesem
Augenblick heran und den hut ziehend:
»Nicht wahr, mein Fräulein, Sie
sind jene Sängerin, die mich soeben
mit ihrem Gesang bezauberti Ich
möchte Ihre Stimme noch einmal"hö
ren, iir mich allein gesungen, und ich
gebe hnen das zehnfache Honorar.«
Was hat sie zu befürchten ?
Jhre häßlichkeit ist der beste Bürge
für ihre Tugend; sie willigt ein« am
---.-·.-.
kommenden Vormittag bei ihm in sei
nem hotel zu singen
si- - si
risfen von ihrem Gesang ; es sind nicht
nur die melodisch klingenden Kehltöne,
es ist das Gefühl, welches in ihrem Ge
sange singt, das seine Seele entzückt.
Er, der bisher nur die Passion für
dis gemalten Kirchensenster gekannt,
an, ihm zu gehören, seine Frau zu
Stimme hören könne.
hofft, lächelt Anfangs zu dieser uner
« warteten, nie gekannten Sprache, dann
· schüttelt sie traurig den Kopf und
agt :
»Sie spotten meiner, Sie auch!
O, das ist nicht gut von Jhnen ! Jch
« weiß, ich bin häßlich, ich weiß, ein Lie
besglück ist nicht bestimmt für mich, ich
weiß, ich muß mein Leben einsam ver
bringen l«
I Er zieht sie an sich, preßt seine Lip
z pen auf die ihrigen, die sie ihm nicht
3 entzieht — bisher hat Niemand sie
küssen mögen —; sie will die seltene
Liebesminute voll genießen. Er zeigt
auf ihre Brosche, die sie kolett in ihr
einfaches Kleid gesteckt.
»Und Sie glauben doch an die
Macht dieses Portebonheurs; wes
halb sollte es Ihnen denn nicht das
leiicl bringen geliebt zu werden denn
Zhören Sie wohl, die irdische Schönheit
! vergeht, aber die wahre Schdnheit, die
I Schönheit der Seele bleibt ewig unver
! gänglich. l Und ich frage Sie noch ein
E mal: Wollen Sie mein Weib werden?
j Jch bin reich, ich werde Sie beglücken!«
l Da vermochte sie erst an Glück zu
glauben, und sie, die Einsame, die von
« Allen Verspottete, sie, die Hüszliche,
· haJuchte ein beglücktes und beglückendes
« »« a«.
Wieder ist er bezaubert, ganz hinge- !
liegt jetzt zu ihren Füßen und fleht sie ;
werden, damit er täglich ihre göttliche -
Sie die nie aus eigenes Glück ge- H
—---—-—-I-———
»Die Tinmtleutilttser.
Zu den Wundern des Meeres gehö
ren auch jene eigenthümlichen Gebilde,
die als Korallen bekannt und aus dem
vertaltten Bau gewisser niederer See
thiere entstanden sind.
Am meisten geschätzt ist die Edelko
ralle, ein Korallpolhp, der Stämmchen
bis zur Höhe eines Meter-s bildet und
eine rathe Kallachse besitzt, die zu
Schmucksachen verarbeitet wird. Die
Farbe variirt vom Dunkelroth bis zum
zartesten Blaßroth. Letztere wird am
theuersten bezahlt, bei großen fehlerlo
sen Stücken bis zu 600 Franlen pro
« Kilogramm, während die dunklen Sor
ten etwa nur den zehnten Theil dieses
Werthes gelten. Die Hauptsundorte
sind die Küsten Sardiniens und Sirt
liens, wo ganze Flottillen die Korallen
sischerei betreiben. Dies geschieht durch
Losreißen der Korallen vorn Mens
grunde mittels schwerer, kreuzfiirmiger
Gestelle, an denen ein Netz zum Aus
scingen befestigt ist
Unter den Korallenfischern befinden
sich viele Bewohner der ostligurischen
Küste. Jn ihren cnit Deck versehenen
Booten besuchen sie die Fundstätten und
verbringen hier Monate bei Ausübung
ihres mühsamen Berufes.
Auch Carlo Monti und Jtalo Fon
tana aus Sestri-Leoante waren Koral
lensischer. Seit sriihester Jugend
Freunde, hatte sie immer treu zusam
mengehalten, obschon sie im Charatter
sehr verschieden waren. Carlo war in
sich gekehrt und verschlossen, Jtalo da
gegen ossen und von lebhaftem, heite
rem Temperament Diese Eintracht
erlitt eine Trübung, als beide nach Be
endigung ihrer Dienstpflicht in ihre
Heimath zurückkehrten nnd sieh bald
daraus in die schöne Marietta verlieb
ten. Letztere bevorzugte zwar den ern
ten Carlo, ließ sich aber auch von Jtalo
den Hof machen, da dieser der slotteste
Tänzer des Ortes war, um den sie die
anderen Mädchen beneideten. Durch
diese Nebenbuhlerschast, über welche die
Freunde aus einem natürlichen Wider
streben nie miteinander sprachen, ent
stand bei Carlo allmählich ein bitterer
Groll gegen Jtalo, der, unbekümmert
darum, seine Vewerbungen um Mariet-·
tas Gunst fortsetzte.
Bigher harre uartos jungerer Bru
ter an den Fahrten nach der Küste Sar
dinienstheilgenommen Da er nu»
seiner Dienstpflicht bei der Mariae ge
nügen mußt, so machien sie die Reise
allein und erreichten mit gutem Winde
ihr Ziel, als die «Stagione« bereits be
gonnen hatte. Nachdem sie dann ihren
Proviant ergänzt hatten, suchten sie
nach einer Stelle,,an der eine lohnendc
Ausbeute zu erhoffen war. Darüber
verging fast eine Woche, denn die zu
Tage geförderten Korallen erwiesen sich
zumeist als geringwerthig. Endlich
aber schien ihnen doch das Glück zu la
c1-eln. Zwei gute Netzziige, die sie an
einem Tage gethan, ließen auf einen er
gicbigen Grund schließen. Sogar eini
gi schöne blaßrothe Stücke hatten sie mit
herausgezogen
Ein heißer Tag neigte sich seinem
Ende zu. Leise schwankte das Boot aus
ter spiegelblanten Wasserfläche, die in
sanften, langsamen Schwellungen zu
athmen schien. Hin und wieder sprang
mit leichtern Geplätscherein Fisch auf,
um ebenso schnell wieder zu verschwin
den. Jn weiten Entfernungen'lagen
andere Fahrzeuge, von denen zuweilen
ein monotoner Matrosengesang her
übertöntr. Ostwärts fiel der Blick auf
die bizarr geformte, buchtenreiche Küste
Sardiniens, dle von der untergehenden
Sonne mit einem rosigen Schein über
haucht würde. Als dann das Tagesg
l :
stirn als mächtiger Feuerball am Hori
zont versank, schien sich von dorther eine
purpurne Fluth iiber das Meer zu er
gießen, um in die wunderbarsten Far
benspiegelun en überzugehen.
Die Kora enfischer achteten kaum
auf dieses herrliche Naturschauspiel,
tas- fie fast täglich sahen. Ihnen lag
tor allem daran, ihr Tagewerk noch vor
Anbruch der Dunkelheit zu beenden und
dann der Ruhe zu pflegen.
Carlo drehte mechanisch die Kurbel
der Winde, durch welche das Haupttau
aufgerollt wurde, während Jtalo, dicht
em Bordrand stehen, das schwächere
Seil emporzog und in Schlingen legte.
Jeder von ihnen hing bei dieser Beschäf
tigung seinen Gedanken nach. Carla
dachte an Marietta, die ihm sichtlich zu
gethan gewesen, bis Jtalo dazwischen
trat. Er malte sich die Zukunft aus,
die er an ihrer Seite gehabt haben wür
de. Nun war der schöne Traum dahin·
denn kein Zweifel: sie bevorzugte seinen
Freund. Seinen Freund! Ja, das
war Jtalo ihm lange gewesen. Er ge
dachte der fernen Zeit, da sie als Nach
barstinder miteinander gespielt und,
statt in die Schule zu geben, gefischt
hatten. Dabei fielen ihm manche ge
meinschaftlich begangene Jungendstrei
che, sowie auch die dafür erlittenen
Strafen ein. Dann waren sie Fischer
geworden, wie ihre Väter, hatten auf
demselben Schiffe gedient und bei
Sturm und Unwetter manche Gefah
ren überstanden. Und fest? Was war
aus der alten Freundschaft geworden?
Um eines Mädchens willen, von dem
teinerslafsen wollte, waren sie entzweit,
haßten sie sich. Ja, der Mann, der dort
stand und jetzt wohl auch an sie dachte,
Jtalo, war fein Feind. Er stand ihm
im Wege und er durfte ihm nicht im
Meae stehen« nein. »der diavolo!« wenn
er auch einst sein Freund gewesen war.
Je mehr die Dunkelheit sich herab
sentte, desto finsterer wurden die Ge
danken Carlos. Jhn fieberte und er
biß die Zähne zusammen, indem er die
Kurbel heftiger drehte. »Wenn Jtalo
hier derungliickte,« raunte ihm ein Dä
mon zu, »so würde dir Niemand Schuld
geben. Das kommt ja so oft vor. Kein
Mensch sieht es, und in der Tiefe
herrscht ewiges Schweigen. Er warf
einen scheuen Blick auf seinen Gefähr
ten, der sich eben über Bord gebeugt und
den einen Fuß in die Seilrolle gesetzt
hatte. »Wenn du jetzt die Kurbel los
liiszt,« dachte Carlo, »so reißt es ihn
hinab, und er kann sein Bein aus der
Verwickelung nicht frei machen.« Sei
ne Hände zitterten vor Erregung, als
er der Versuchung nachzugehen im Ve
grisfe war·
»Eccolo!« rief Jtalo plötzlich, sich em
porrichtend. Er hielt ein großes Ko
rallenstiick in der Hand, das er aus ei
ner der Fangschleifen des Seils losge
löst hatte und Carlo zeigte.
I »Sta bene!« erwiderte jener law
. Mich
Den Fund bei Seite legend, wandte
sich Jtalo wieder seiner Beschäftigung
zu.
»Der Moment ist verpaßt,« dachte
Carlo mit verhaltenem Groll. »Aber
er lehrt wohl wieder und dann werde
ich mit einem Stoß nachhelfen.«
. Wieder herrschte Schweigen, das nur
i durch ein leises Plätschern an den Sei
ten des Bootes unterbrochen wurde.
l »Carlo«, begann Jtalo nach einer
Weile, indem er in seiner Arbeit inne-s
, hielt, »das kann so nicht weiter gehen.
; Jch ertrage es nicht länger. Wir müs
» sen uns einmal aussprechen.«
I Carlo brummte etwas unwillig vor
» sich bin.
I »Ja,·»« fuhrJtalo fort, »es hilft nichts,
L es muß heraus. Jch weiß, Du grollst
. mir, weil ich Marietta liebe . . .
Als Carlo verdrossen schwieg, sagte
Jtalo in weicherem Ton: »Und wir wa
ren doch so gute Freunde. Sieh’, Car
I lo, ich habe darüber hin- und herge
) dacht und mir endlich gesagt, der eine
muß dem Andern weichen.«
»Ich aber nicht!« würgte Carlo her
vor.
,,Darum will ich es thun,« entgegnete
Jtalo. »Glaube nicht etwa, daß es mir
leicht wird. Wenn mir aber keine an
dere Wahl bleibt,« fügte er mit beben
der Stimme hinzu, »so will ich . . . von
dem Mädchen lassen und .
· . .
spk c-s.—t4·.« «
UcUcl . . « Uctl kauus . . . sujuuuu
Carlo starrte Jtalo an, wie etwas
Unbegreisliches. Zu gewaltig war der
Abstand zwischn dem, was er soeben ge:
hört, und seinen Mordgedanten. Er
konnte es zuerst garnicht fassen, und
glaubte, wachend geträumt zu haben.
»Jta1o!« rief er, sich von seinem Er
staunen erholend. Und mit einem
Sprung war er beim Freunde und riß
ihn in seine Arme.
»Carissimo amico!« sagte Jtalo, die
Umarmung erwidernd.
»Nicht nur Freund, sondern Bru
der!« siigte Carlo hinzu während es in
seinen Augen feucht glänzte.
Inzwischen war der Mond ausgegan
gem Jn seinem magischen Licht blink
te die weite Fläche wie slüssiges Silber.
Dur-es das Loslassen der Kurbel war
die Winde rückwärts gerollt und das
halt-ausgezogene schwere Netzgestell wie
der in die Tiefe gesunken, mit ihm auch
der Haß, der nun in den Korallen
Wundergärten begraben lag.
W
Hühnchen mit Stachelbees
r e n. Junge Hühnchen werden wie ge
wöhnlich vorgerichtet und gebraten.
Grüne Stachelbeeren werden in Zucker
weichgesotten, Butter htnzugethan, al
les gut durchgekocht und im Kranz um
die Hühnchen herumgarnirt.
L-—
I Gouvernantk und Köchin.
. "—.—
Ein Bild aus dem deut
schen Frauenleben der
Gegenwart.
Liebste Mutter !
Es nützt nichts. Jch habe es nun ,
lange genug versucht, Dich über meine ?
Lage zu täuschen, um Dir Dein schwe- I
. resLeben nicht noch schwerer zu machen.
. Aber fo kann das nicht weiter gehen.
; Schweige ich, fo bist Du voll Aufre
3 gung und Besorgniß; schreibe ich Dir,
s wie ich es in der letzten Zeit regelmä
ßig gemacht habe, leere, nüchterne Brie
fe, die Dir von Allem melden, nur
nichts von mir, so fühle ich schon beim
Schreiben, wie die unnatürliche Kälte
" solcher Briefe Dir ins Herz schneidet,
und bin noch elender als sanft. Das
halten wir Beide fiir die Dauer nicht
aus. So habe ich mich denn heute
’ aufgerafft und habe mir fest vorgenom
men, Dir endlich die Wahrheit zu sa
gen.
Liebste, theuerfte Mutter! Mir geht
es sehr schlecht. Nicht, als ob ich Dich
über meinen Posten, über meine
,,Herrfchaft«, mein Salär oder die mir
anvertrauten Kinder getäuscht hätte;
in diesen Punkten verhält es sich genau
so, wie ich Dir geschrieben habe. Mei
ne Zöglinge sind nicht schlimmer als
andere, die ich auf meinen täglichen
Spaziergängen im Stadtpart in gro
ßer Zahl kennen gelernt habe. fie geben
E mir vom Morgen bis zum Abend nicht
wenig zu schaffen, besonders der fünf- ’
jährige Bub mit seiner fabelhaft ent- «
wickelten Herrschfucht und feinem teuf
lischen Temperament bringt mich
manchmal zur Verzweiflung Aber »
das, glaube mir’s liebste Mutter, ;
kommt wahrhaftig nicht in Betracht,H
das hat mit meiner Stimmung gar;
nichts zu thun. Jch habe mich, da ich
jahrelang vergeblich auf eine Lehrerin- s
nenstelle gewartet hatte, als Gouver-·
nante vermiethet und beilage mich
nicht, wenn meine Gouvernanten-Thii
tigteit manchmal beschwerlicher ist, als
ich sie mit dachte. Jt’s all in the dah’s ;
. work, sage ich mir immer, so oft der .
Bub sich eine besondere Frechheit er
laubt, und gehe darüber leichten Her- t
zens hinweg. Die Gnädigste ist ge
nau so, wie ich sie Dir geschildert ha- ?
be: unfähig, träge, gutmüthig. Der
Herr — der geht mich eigentlich nichts
an, und was ich über ihn zu sagen ha- :
be, gehört in meine Jeremiade, kommt J
also später. Jch leide in diesem Hause .
weder Hunger noch Durst und habe an
den Abenden noch so viel Muße fürs
mich übrig, um gelegentlich einen Brief ;
zu schreiben oder ein Buch zu lesen.x
Eine gebotene Gouvernante hätte kei- i
nen Grund, sich in diesem Hause un- I
i
1
glücklich zu fühlen. Aber —- ba liegt
es eben: ich bin eben keine gebotene
Gouvernante.
Ach, liebste Mutter, Du weist dochZ
am besten, wie wenig verhätschelt ich
bin, wie wenig ich vom Leben verlan
ge, Du hast· mich wahrhaftig nicht zur
Prinzessin erzogen! Erinnerst Du
Dich, Theuerste, wie die Maiorin uns
zwei Beide beim Waschen überraschte
und uns in ihrer derbtakilosen Gerad
heit über Standespflichten belehrte?
Jsch sehe Dich vor mir, geliebte Mut? ;
ter, wie Du bedächtig die ausgequolle
nen Hände an der Schürze trocknest
und ihr mit humoristischer Unsicherheit
die Rechte hinhältst, als fürchtetest Du,
die in ihrer Standes-ehre gekränkte Da
me würde die durch Arbeit entweihte
Hand zurückweisen, ich « höre Deine
goldenenWorte: »Eine Wittwe hat ge
gen ihre unversorgten Kinder heiligere
Pflichten als gegen ihren Stand« —
und sag’ selbst, Mutterle, habe ich je
mals eine Arbeit zu schwer oder zu
niedrig gefunden, habe ich nicht trotz
Seminar und Maturitätgprüfung ge
waschen und gebügelt, gekocht und ge
scheuert, besonders gekocht? Nein,
liebste Mutter, Du hast Dich nicht ge
schont und uns auch nicht. Was ich in
meiner jetzigen Stellung zu thun habe, .
ist Kinderspiel im Vergleich zu der Ar- l
beit, die ich zu Hause hatte, und dochi
—- wie glücklich war ich bei meiner ;
schweren Arbeit zu Hause, wie elenbi
fühle ich mich hier in meiner Damen
existenz!«»
ems. ·n t-1...«I!.c 1
Jetzt lsl ev Urian-. wus- Hr sur-may
leichter nach dem Worte. Jch habe es s
alle diese Wochen hindurch gesucht und j
gesucht, ich habe mein Gehirn zermar- s
tert um die Lösung des Räthsels, wa
rum ich zum ersten Male im Leben so H
unzufrieden, so rebellisch, so menschen
seindlich bin. Jetzt habe ich die Lösung:
meine Stellung ist eine Lüge, eine Ko
mödie, nein, eine Posse und eine Tra
gödie zugleich. Jch bin das »Fräulein«',
tleide mich wie eine Dame, benehme
mich wie eine (das darf ich doch ais
Deine Tochter sagen?), bin theoretisch
durch eine unüberbriickbare Kluft von
den »Dienstboten« getrennt und stehe-—
ebenfalls theoretisch — aus der gleichen
gesellschaftlichen Stufe wie meine Gna
dige; wie aber sieht es in Wahrheit
aus? Jch bin der niedrigste, weil ent
behrlichste Dienstbote im ganzen Hause-!
Jawohl, Mutter, so ist es Und nicht an
ders! Es ist die reine, die volle Wahr
heit: jeder unserer Dienstboten wird
vom Vater meiner Zöglinge höher ge
schätzt als ich, er genirt sich nicht im Ge
ringsten, in den nicht seltenen Ausein
andersetzungen mit der Gnädigen den
Vorwurf gegen seine Frau zu erheben,
sie vernachlässige ihre Mutterpslichten,
mit anderen Worten, ich, die Gouver
nante, sei eigentlich ein sehr überflüssi
ges Möbel, das er gezwungenerweise
l—— f —I
dulden müsse, weil seine Frau nicht die I
Fähigkeiten habe, sich um ihre Kinder «
zu kümmern, wie es einer Mutter ge
zieme. Du darfst nicht etwa glauben,
er sei roh oder schlecht, durchaus nicht. (
Er hat gelegentlich die besten Manieren
ron der Welt, sogar der Gouvernante I
gegenüber, nur hat er öster Ursache,
über die großen Haushaltungslosten zu
klagen, und bei solchen Scenen möchte
ich mich in ein Mauseloch verkriechen.
Warum hat er noch nie über den meiner
Ansicht nach enorm hohen Lohn der
Köchin oder über die Frechheiten der
Hausmeisterin geklagt? Beide sind un
entbehrlich —- ich dagegen bin ein
Luxusgegenstand, der Einem kein be
sonderes Vergnügen bereitet. Das ist
es. Warum habe ich jahrelang vergeb
lich daran gewartet, einen Lehrerin
nenposten zu bekommen? Weil es so
viele Lehrerinnen giebt und so wenige
Schulen. Warum habe ich keine oder
nur so schlecht bezahlte Stunden be
kommen? Weil so viele »Damen« Eng
lisch lehren wollen (ich sage nicht, kön
nen!) und so wenig Leute das Bedürf
niß haben, Englisch zu lernen. Mit an
deren Worten: der Bildungsmarkt ist
schrecklich überfällt, die Lehrerinnen
und Gouvernanten sind recht überflüs
sig in der Welt. Und die Behandlung
ist danach.
Jch zerbreche mir seit Wochen den
Kopf, was ich thun könnte, um aus der
unerträglichen Stellung herauszukom
men — aber ich weiß nichts. Nur Eines
weiß ich: so geht es nicht weiter. Jch
will einem Bedürfnisse entgegenkom
men, nicht als Luxus geduldet sein,
ich will gesucht sein, nicht mich aufdrän
gen. Weißt Du, liebste Mutter, wann
ich am meisten leide? Bei Tische. Jch
fu«-k- HUIE mos«n1·3»on nnd Kfp bep Mi.
der Herrschaft zusammen zu speisen.
Wie beneide ich das Stubenmädchen,
das austriigt, bedient und dann in sei
nem Zimmer, unter ihresgleichen, in
Freiheit und Behaglichkeit ihre Mahl
zeiten genießt! Wir haben oft Gäste:
Verwandte des Herrn und der Frau.
Wie ich da die ganze Jämmeriichteit
meiner Stellung empfindet Der Vater
der Gnädigen behandelt mich wie Lust,
ihre Mutter reicht mir leutselig die
Hand und ihr Auge sagt dabei: »So
handelt eine aufgeklärte, moderne
Frau, denn Gouvernanten sind sozusa
gen auch Menschen!« Jst einmal ein
Fremder bei Tische-, so ist er in grenzen
loser Verlegenheit dem undefinirten,
undefinirbaren »Friiulein« gegenüber:
redet man sie an oder nicht? giebt man
ihr die Hand? oder -— ich habe das ganz
bestimmt schon in den Augen eines
Gaste-? gelesen! — giebt man ihr ein
Trinkgeld wie der Köchin und dem
Stubenmädchen?
Ach nein! Jch höre auf — — Daß
ich die öde Epistel schicke, ist ein Unrecht
an Dir, meine theure Mutter, aber mit
dem Schweigen ging-?- nicht länger.
Rathe mir, tröste mich! Wenn ich doch
für einen Augenblick den Kopf an
Deine Brust legen könnte! —- Genug
für heute. Gute Nacht, Theuerste, gute
Nacht!
H.
Liebste Mutter-!
Jch bin müde zumUmfallen, wie nach
einer großen Wäscher Hause, und doch
setze ich mich noch schnell hin, denn ich
bin fidel wie ein Student und muß
Deine Predigt von gestern beantwor
ten, bevor das-Schicksal mir einen neuen
Streich spielt. Jch bin Jemand! Seit
heute Mittag bin ich die wichtigste Per
son im Hause, wichtiger (ganz unter
uns gesagt) als die Gnädige selbst.
Denke Dir: wenn ich nicht gewesen wä
re, hätten wir Alle (das heißt mit Aus
nahme des Herrn natürlich) nicht zu
Mittag gegessen! Unsere Köchin wur
de gestern Knall und Fall entlassen
(Liebesabenteuer!), und obgleich Herr
und Frau und meine Wenigkeit uns die
Füße abliefen, war es nicht möglich,
eine neue zu bekommen. Jst das nicht
unerhört? Wenn wir eine Lehrerin
siir Englisch oder eine Gouvernante ge
bmnckit nein ich meine aesuebt hätten.
wie viele Briese hätten wir auf unsere
Annonce erhalten, wie viele arme See
len hätten heute schon unsere Wohnung
gestürmt? Warum studiren so viele
Mädel auf Lehrerin und Gouvernante,
und so wenige auf Köchin? Doch was
gehen mich die dummen Mädel an? Jch
bin gescheit: ich war vorsichtig in der
Wahl meiner Mutter, die ist die tliigste
Frau des Jahrhunderts, und der habe
ich es zu verdanken, daß ich meine schier
verlorene Selbstachtung im Sturme
wieder erobert habe. Jch möchte Dir
das Ereigniß fiir mein Leben gern aus
führlich erzählen, aber ich falle um vor
Müdigkeit, und morgen ist auch ein
Tag. Also in aller Kürze: Es war
schon elf Uhr, und noch immer keine
Köchin. Der Herr war hochroth von
der vergeblichen Suche gekommen, die
Gnädige sah aus zum Erbarmen: es
war ein großer Moment. Und dies
mal fand der große Moment kein klei
nes Geschlecht. Jch trat vor und mel
dete mich als — Köchin, in Vertretung
natürlich. Die Eheleute machten ur
komische Augen. »Ja, ich kann kochen«,
beantwortete ich ihre stumme Frage,
»ich habe bei meiner Mutter kochen ge
lernt«. Das war ein ,,clincher«, und
ich wundere mich nicht, daß sie sofort
überzeugt waren. Der Herr war die
Liebenswiirdigkeit selbst, die Frau
wischte sich ein Thriinlein von der run
den Wange. Meinst Du, daß Einer
von ihnen die Frage gestellt hätte: »Was
aber soll mit den Kindern geschehen?«
Nicht die Spur von einem solchen Ge
,.- .-.-» « -...—.j..s
danken. Siehst Du, Mutterle wie recht
ich habe, trotz Deiner lieben Strasprei
dith Eine Gouvernante ist ein über
sliissiges Geschöpf. Aber was gehen
mich die Gouvernanten an? Pshatv!
Also die Schürze vorgebunden und
in die Küche! Getocht habe ich, Mut
terle, gekocht, sage ich Dir, ich habe
Dich selbst übertroffen! Frechheit,
was? Das macht die frisch errungene
Selbstachtung. Es war ein göttliches
Menu, sage ich Dir, und zum ersten
Male seit vielen, Vielen Wochen habe ich
das Gefühl der Unentbehrlichkeit em
pfunden. Die Gnädige küßte mich nach
dem Diner, der Herr Doktor machte
mir ein wundervolles Kompliment.
»Der Intelligenz ist Alles möglich!"
Großartig, was?
Gott seiDank, bis zum späten Abend
war noch keine Köchin da; es wird also
mprgen wieder gekocht. Aber übermor
gen? Ach was, ich will mich freuen, so
lange die Herrlichkeit dauert.
»Ist die überspannt oder — entar
tet ?«
Leugne es nicht, Mutterle, Du hast
eine solche Frage in Deinem lieben
Sinn.
Meine Antwort ist klipp und klar.
Uebergeschnappt? Nein. Jch war noch
nie so gescheit wie jetzt· Entartet?
Vielleicht. Forsch in unserem Fami
lienarchiv nach, ob wir nicht Vor so und
so vielen Jahrhundrten eine Köchin im"
Geschlechte derer von Wagner gehabt
haben; ich glaube, es muß sich eine sin
den lassen. Jch bin dann ein Atavis
mns ——— jedenfalls ein interessantes Ge
schvpf.
Gute Nacht, Theuerste, schlaf wohl!
,,..—-..-- « —
Leber auf polnische Art.
Ungefähr 1 Pfund Kalbsleber wird
entzweigeschnitten, in Gänsefett gurge
diinstet, erkaltet durch die Fleischma
schine getrieben, von allen Fasern be
freit, das Bratenfett hinzugefügt, ge
salzen, gepfeffert, mit einer halben ab
gerindeten, in Milch geweichten, gut
ausgedrückten Semmel vermengt, eine
mittelgroße, geriebene Zwiebel dazu ge
geben; ein Werken aus der Masse gebil
det, aus einen Teller gelegt und mit ei- » -
nem gehackten, harten Ei bedeckt.
Gut Und billig.
Orangenkompott.— Von 8
Stück gleich großen, schönen Orangen
wird der Deckel abgeschnitten, dieOran
gen mit Vorsicht ausgehölt, die Scha
len selbst sein ausgezackt und der Saft
von dem Herausgenommenen leicht
ausgepreßt. Ferner wird von acht an
deren Orangen die Schale abgezogen,
das feine weiße Häutchen sorgsam ab
gelöst, die Kerne herausgenommen und
die Orangen in Stücke geschnitten.
Diese werden in die Schale gethan und
ebensoviel geschnittene eingemachteAna
nasscheiben untermengt, der Saft
über das Ganze gegossen, zu
gedeckt und auf Eis gestellt.
Kurz von dem Anrichten werden
die Orangen gefüllt, die Deckel darüber
gelegt, in eine Krystalle geordnet und
mit srischenOrangenblättern geschmaeb
voll garnirt
Ein Siebziger als Exa
In i n an d. Die »Allg. Ztg.« schreibt
aus München: Eigenthümlich berührt
eg, wenn man liest, daß bei den jüngst
abgehaltenen Expeditoren-Prüfungen
bei den bayerischen Staatseisenbahnen
ein aus dem Stande der Amtsgehilfen
hervorgegangenen Eifenbahn-Adjunkt
im Alter von 70 Jahren den Beweis
erbringen mußte, daß er in dem seit
vielen Jahren von ihm versehenen
Dienstzweig auch in der Eigenschaft
als Expeditor weiter verwendbar lei.
Wenn der Enkel des Kandidaten viel
leicht fragt, wo der Großvater sei, und
zur Antwort bekommt: »Der Groß
papa hat heute seine Prüfung zu ma
chen Und muß deshalb recht brav ler
nen,« so dürfte die Tragikomit det
Situation des Großpapas im rechten
Lichte erscheinen.
Bedingte Unhöflichkeit.
,,Kind, ich habe Dir doch verboten.
fremden Herren zu antworten! Was
hat dieser Dir nun wieder gesagt?«
»Er hat mich gefragt, ob die schöne
junge Dame dort meine Mutter
wäre —«
»So, und was hast Du geantwor
tet?«
»Nichts, ich bin davongelaufen.«
,,Pfui, wie unhöflich, einem liebens
tloürdigen Herren keine Antwort zu ge
en!«
Man kann nicht wissen.
Alte Jungfer: »Gestern erhielt ich
einen unfrantirten Brief —«
Freundin : »Nun, hast Du ihn an
genommen ?«
Alte Jungfer: »Natürlich, es hätte
ja ein Heiraths-Antrag sein können.«
E b e n d r um«
«Sagen Sie mal, das ist doch er
staunlich mit dein Reichthum des Herrn
St. Der soll ja mit nichts angefangen
haben nnd hat sich doch ein so großes
Vermögen gemacht.«
»Ja eben, weil er sich aus nichts was
gemacht hat!«
Hinter den Kulissen.
Häßliche Schauspieierin (zu ihrem
Partner hinter den Kulissem : »Was
machen Sie schon wieder für ein Ge
sicht?«
Schauspieler: »Ach, wenn ich Gesich
ter machen könnte, Sie kriegten gleich
ein anderes von mir!«