Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, August 02, 1901, Sonntags-Blatt, Image 10

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    pa- vmeieuiue
q
Iovellette von Jeon de Rou
very
W
Modarne Daniel blieb vor den
Meint stehen. Jhre rechte Hand hov
das Kleid ein wenig hoch, dann fuhr
fie in den Mass, den sie mit der lin
ken Hand festhielt. Sie stieß einen
Schrei der Ueberraschung aus; das
kleine Portefeuille, daß sie in ihren
Muff gesteckt, war verschwunden
»O mein Gott!" hauchte sie und
fah sich instinktiv um. Einige Schritte
von ihr stand ein Mann von 50 Jah
ren mit dickem, glattrasittem Gesicht,
der fie prüfend betrachtete. Plötzlich
näherte er sich ihr, dann verneigte er
fich mit bösartigern Lächeln vor Mo
darne Daurel und sagte:
»Modome, ich wohne ganz in der
Nähe von hier, Rue de la Nirhalicsre
No. 60, und heiße Chruinot. Jch bin
Agent. Wenn Sie etwas über das
Portefeuille erfahren wollen« das Sie
verloren haben, so könnte ich Ihnen
Näheres mittheilen.
se e- «
Herr Chruinot toar eine Kanuilleå
Allerdings war es ihm im Leben
nicht besonders gut gegangen. Wieder
holt hatte er geglaubt. in verschiede
nen Operationen Glück zu haben, doch
jedesmal, wenn er gedacht, das Ziel
erreicht zu haben, war etwas dazwi
schen gekommen. Das »Etrvas« war
die Justiz. Die Klientem die er zu
düpiren geglaubt, hatten sich beim
Gericht beklagt und das Gericht hatte
Untersuchungen eingeleitet, in deren
Berlan Herr Chruinot den Polizei
kornmissät, das Zuchtpolizeigericht und
das Gefängniß von Mazas kennen
lernte. Glücklicherweise hatte die Sa
che bis dahin keine bösen Folgen für j
ihn gehabt; das war schon etwas. «
Doch er mußte die ihm anvertrauten .
Gelder, die fiir Rechnung eines Drit
ten eintassirten Summen, zurückgeben,«
die er —- ach, so gern! — für sich be- E
halten hätte. Kurz, das einzige, was ;
er bis dahin bei Seite gelegt hatte, i
waren die Gewissensbisse. -
An jenem Tage ging er hinter Ma- «
dame Daniel her. Plötzlich sieht er,
daß sie einen Gegenstand aus das-.
Trottoir fallen läßt. Er will sie an
rusen, sie aus den Gegenstand aufmerk
sam machen. als ihm plötzlich ein Ge
danle durch den Kon geht:
»Man muß der ersten Eingebung
stets mißtrauen!« sagte er sich.
Niemand ging in diesem Augenblick
« vorüber, warum sollte er sich also den
verlorenen Gegenstand nicht aneignen?
Vielleicht lohnt es sich der Mühe! ;
Herr Chruinot öffnete das Parte
fenille.
Denn es war ein Portefenille, das
Madame Danrel eben verloren, ein
kleines, niedliches Porteseuille, aus dem
ihr Namenszug in Silber eingravirt
war; dasselbe enthielt eine Bantnote
im Werthe von 50 Francs. einige
Stückchen Papier und einen Brief irn
Zone-ert, der augenscheinlich eben in
den Posttasten geworfen werden sollte. j
Schnell durchng Herr Chruinot die
Papierstiickchen. Es waren oft durch- .
lesene Briessragmente und trugen alle
ldieselbe Unterschrift: »henri Pröjaik (
e5."
»Sieh! stehl« sagte sich Herr Chan
not und zog jetzt einige Visitentatten
heraus, die auf Madame Andre Dan
rel lauteten. ·
Diese Madanie Aner hat einen
Freund, herrn henri von Presjailles.
in ganz farnoses Geschästl« sagte sich
here Cruinot.
Ohne die geringsten Bedenken öff
Iiete er den verschlossenen Brief und
as:
»Mein Geliebterl Wir werden uns
morgen sehen. Mein Mann reist nach
Antwerpen und wird dort zwei Tage
bleiben. Wir werden zusammen früh
stiicken. Welch' herrlichen Tag werden
wir Mleben!«
So ging der Brief weiter.
Bleibt For noch in Erfahrung zu
dringen, o Madame Andre Daurel
reich is. Jn jedem Falle genügt es
mir, daß ihr Freund es ist; henri von
PerailleQ das klingt gut.« Uebri
gens konnte er sich ja bald ertundigen.
Alser er so rnit sich selbst sprach,
er Madame Danrel noch im
nur« Als er sah, daß sie beim Post
M stehen blieb, blieb er ebenfalls
Mut Das war der entscheidende
m»!,s L— L-- I—
L ·L,.
»Du toll-.- chu souq m um cu
sien werfen wollen und bemerken, daß
sie ihr Poeteseuille verloren hat « mo
nolsgisitie here Chruinot von Neuem
Ich werde mich ihr nun nähern und
sie in sehe höflicher-n Tone bitten, in
meine Wohnung zu kommen; wenn sie
über den verschwundenen Gegenstand
etwas erfahren will, dann werde ich
ilye meine Bedingungen stellen.«
Jch wiederhole es noch einmal,
here Thruinoi war eine nette Ka
mille!
brauche wohl nicht zu erwähnen,
des Madame Daniel, als sie Herrn
cheuinot sprechen hörte, entsetzt stehen
siieb.Vetwie1-i, eteöthend, entsetzt,
L nnd sie kein Wort der Erwidenmg
it sie wieder ein wenig ruhiger ge
Mden war Heer ChtuinoQ dee sich
M Beendin Fang seiner kleinen Rede
umgedicht, eits weg.
IS- tpqe sie also diesem Manne auI
MM MERMITHE
- ite ee -
he die Geheime-M- lbts
M » .«- -—.-..j.I- --.. » » 1
durchwühlt und würde es ihr jedenfalli
l
l mir gegen te Belohnung zurktlgeben
I Madame urel faßte die Sachlag
I
l
i
l
klar in’ s e und tagte sich:
»Es gilt ein Zögern; ich muß die
sen Mann auslachen«
i Und sie suchte ihn anf!
I
is Herr Chruinot erwartete sie.
I »Hier ist Jhr Portefeuille, Madame ,
sagte er und reichte ihr den Gegenstand,
ten er vor einiger Zeit auf dem Trot
toir aufgehoben.
Madame Danrel wollte ihm in war
« men Worten danken, doch er ließ ihr
« keine Zeit dazu.
. »Ich gebe Ihnen Jhr Poetefeuille
s zurück doch die Ehrlichkeit zwingt mich,
. Ihnen zu gestehen, daß es nicht unbe
; rührt in Jhre Hände zurückkehrt. Es
« enthält allerdings noch einen Fünfzig
siancs- Schein, denn das Geld ist ge
beiligt Sie werden auch hre Visiten
larten darin vorfinden, ach ich habe
mir gedacht, daß es von Jhrer Seite
unvorsichtig war, Jhre Briefe darin
aufzubewahren. Eine Judistretion
wird so leicht begangen. Daher werde
ich mir erlauben, dieselben zu behalten.«
Madame Daurel verstand. DerAgent
hatte ihr eine Falle gestellt.
»Ich könnte mich zu dem Polizei
Kommissar begeben, der Sie zwingen
würde, mir die Briefe zurückzugeben
die Sie behalten wollen.«
»Und ich konnte dem Polizei - Kom
missiir sagen, daß ich gar nichts gefun
den habe, daß ich nicht weiß, von wel
chem Portefeuille Sie sprechen daß
Herr Chruinot über jeden Argwohn er
heben dasteht. «
»Aber weshalb wollen Sie denn die
Briefe behalten? Sie interessiren Sie
doch gar nicht und ich versichere Sie-« .
»Richtö da! Solche Briefe Madame,
sind sehr nett. .Herr Henri von Pres:
ts!.«l th
Iclllcs Iwcclllt Zugs uucuskuky usu
ttas Ihren Sthl anbelangt. Madame,
s ) ist er entzückend.' -
Madame Daurel erröthetr. Jhr Ge
kseirnniß war bekannt. Sie siihlte sich
diesem Elenden aus Gnade und Ungna
de anheimge eben.
»Sie wi en wohl, Madame«, fuhr
Herr Chruinot fort, »daß jede Person,
die einen gefundenen Gegenstand wie
derbringt, Anspruch aus eineBelohnung
hat?«
»Ich hin bereit, sie Jhnen zu geden,
mein Herrl«
»Einverstanden. Doch es giebt Beloh
nung und Belohnung Ich glaube, die
Korrespondenz des Herrn von Prä
jailles und der Madame Andrö Daurel
hat einen sehr hohen Preis.
»Oh, mein Herrl«
.Einen sehr hohen Preis! Jch wie
derhole es, Madame; im Nothsall könn
ten Sie sich darüber bei Herrn Aner
Tanrel erinndigen.'
.Was wallen Sie damit sagen?«
»Madarne, ich spielt mit ausgedeckten
Karten; Keine unnöthigen Phrasen.
Also: ich gehe Jhnen Jhre Briese gegen
Zahlung von 20«000 Franks zurück,
andernfalls gelangen sie in die Hände
Jhres Gatten.«
Madame Daurel fuhr entrüstet aus
und rief:
»Aber das ist ja Etpressung!«
Doch unentwegt fuhr herr Chem
not satt:
»Also meine Bedingungen sind sol
gende: ich erhalte in 24 Stunden 20,
M Franks; sonst ersährt Jhr Gatte,
daß sie ihm herrn von Pröjailles vor
ziehen. Diese Briese werden es ihm
mittheilen.«
Das Alles wurde in lühlem Ton-,
mit ruhigem Chaisrnus gesprochen.
Es herrschte ein langes, dumpfes
Schweigen.
» Endlich erhob sich Madame Dasurel
I und wandte sich der Thüre zu. here
Chrninot ließ sie gewähren; er sprach
; kein Wort und rührte sich nicht. Bleich
s und verstört verließ die unglückliche
I Frau das Zimmer.
O I I
Was wird sie thun?
Das fragte sich Herr Chruinot.
m Grunde genommen war er sehr
rn ig. Jn einigen Stunden würde
Madame Daurel wiederkomme-. Ge
wiß würde sie zu seilschen versuchen,
würde 10,000. 15«000 Franks bieten.
Doch er wiirde unerschittterlieh bleiben
LUM Franci -- oder die Schand-es
Dann wisrde Madamedaurel W schöne
Tansendsranesscheine aus den Ti th le
HUL — —- — s
Doch die Stunden vergingen und
i Madame Dautel lam nicht wieder. NI
. schließlich brauchte sie immerhin Peit!
E 20,000 Francs finden sich nicht g eich,
selbst wenn man sie auch nur feinem
Manne fortnimmt!
Da trat der Kommis in das Kabi
net.
»Herr Chruinot, es ist jemand da, der
nach Ihnen fragt!«
«Jedenfallz die Dame von vorhin?«
»Nein, ein Herrl«
i .Ein Herr? Laffen Sie ihn eintre
en. «
Der Befucher trat ein.
»Mein Herr«, fagte er, hertn Chruis
not fest anblickend, »mein Name ift
senty von Pröjaillezk
Der Agent wich einen Schritt zurück
.Oh, fürchten Sie nichts; ich habe
nicht die Absicht, hnen die Wigung
angedeihen zu la en, die Sie verdie
nen Es genith mir, Ihnen zusagen
baß Sie ein hallunte nd. Und nur
bittei igom Sie, mir zu falgenf
Igären Chruinpt wich umner mehr zu
PW nahm ani
chem einen W,
th- aus dem Ehe-W nnd fast-:
MM o « · O«
Z »Ich werde Ihnen folgen, mein herr;
doch inerten Sie sich eins: Jbte Briese
; sind an sicherem Ort, keine Gen-alt wird
i mich zwingen. sie anen zurückzugeben
« was auch geschehen mag. Herr Daurel
soll erfahren . . .«
»Ganz recht. anwischengeben Sie,
bitte, daran. Und kein Wort, oder ich
schieße Sie nieder.«'
Unten wartete ein Wagen. Herr
Cbrninot stieg hinein und Henri von
Prcsjatlleg nahm an seiner Seite Platz
« «Kutscher, Rue Rundeandt No. 34
Wir fahren zu Herrn Andre-« Daurel.«
Herr Chruinot zitterte; doch er s Prach
kein Wart.
Der Wagen hielt an der angegebenen
Wohnung
Nun sagte Henri von Presiailles zu
seinem Begleiter, indem er den Wagen
schlag öffnete: —
»Mein herr, Sie können absteigen.
Der Augenblick, Jbre Drohung zur
Ausführung zu bringen, ist getornmen.
Bringen Sie meine Briese Herrn Andrä
Daurel.«
Herr Chruinot glaubte seinen Ohren
nichts zu trauen. Was ging denn nur
« vor? «
Vor der Thiir stand ein Diener itn
» schwarzen Frack und weißer Krabattr.
k Herr Chruinot trat aus ihn zu und
fragte: »Herr Aner Daurel zu spre
n ?«
« »Wie!« sagte der Diener, »Sie wissen
? nicht ?«
- »Was denn i«
»Herr Andrä Daurel ist heute Nach
, mittag gestorben-«
Herr Chruinot blieb verblüfft stehen
; und murmelte vor sich bin:
z »Ich habe wirklich tein Glück!«
Er wollte sich eben entsernen, als
Henri von Präjailles auch aus dem
Wagen stieg und ihn zuriickhielL
»Sie sehen,« sagte er zu ihm, »das
Schickfal unternimmt es manchmal,
— Kanaillen Jhrer Art ihre Streiche zu
vereiteln. Madame Daurel hat mir
eben Jhren abscheulichen Erpresfungs
verfuch mitgetheilt; ich hatte ihr gera
then nach Haufe zu gehen, und meine »
Ansicht war, Sie um jeden Preis zu .
«" hindern, die Drohung, vor der Mada- Z
f dringen; ich wollte Sie daher eben auf
Ine Daurel zitterte, zur Ausführung zu
suchen, als mir ein Billet Jhres Opfers
: mittheilte, daß sie nichts mehr von Jh- L
; von einem Schlaganfall getroffen wor
- den und nach wenigen Minuten gestor
- ben, ohne das Bewußtiein wiederer
i
nen zu fürchten hätte; ihr Mann war
langt zu haben. Jhr Plan hatte teinen "
Werth mehr und ich habe Sie aufge
fucht, um Sie davon zu überzeugen.«
«Ach!« rief Herr Chruinot von
Neuem, »ich habe doch nie Glückl« ;
»Jeht bleibt Ihnen nichts weiter zu Z
thun übrig, als mir die Briefe zurück- T
zugeben, die Sie gestohlen haben. Wir E
werden in Jhre ohnung uriickfahren
« Und nun vorwör S! La en Sie mich —
nicht warten!« ;
Was konnte Herr Chruinot thun? ;
? Aue- vekschxppk sich wider ihn. Er ;
lehrte rnit Henri von Prajailles in sein ;
Kahinet zurück und nahm aus einem F
geheimen Fach die Briefe der Madame H
Daniel. !
«Llch!« rief er, »man lann wohl fa
E gen, daß die Tugend nie belohnt wird! ;
Ich wollte einen E mann von dem Un- z
L glück, das ihm wi fahren war, un- «»
’ zahlt.« -
terrichten, und er ist gestorben, bevor i
ich es thun tonnte. Meine gute hand- !
lung wird unnöthig und bleibt unbe
henri von Pröiailles hatte die Briefe
aus den "nden des Agenten genom
tnen und re eingesteckt
.Es wäre wahrhaftig traurig« sag
te er dann, «wenn Beträgereien immer I
gelangen. Erfahren Sie alfo, Sie!
Schust, daß hm Dank-i sich sci- desskk (
befunden hat, als heute- Es war mein i;
Diener, den ich vor dem hotel in der i
Rue Rembrandt poftitt hatte, der mit »
Ihnen gesprochen hat; et hatte sich zu
dem Zwecke mit dem Portier verstän
digt. Zwanzig Franks waren die Aus
gaben fiir diese lleine Komödie. Sie
fehen, das ifl etwas weniger als die
-2l).000 Franez, die Sie von Madame
Daurel verlangten«
·Wshrend here Chruinot verzweifelt
die blinde rang, tilgte Henri von Pres
Iarllei hinzu, indem er auf feinen Re
volver der-Leie
.,Uehriqeni halte ich stets ein bis zwei
Kugeln ans diesem niedlichen Spiel
zeug filr Sie zur saftig-ask
— «..-——»—
blie- Blut.
-.-.-.
Aus dem Leben eines Theateklindes
von hans Ofttvald.
«Kaltes Blut, Kinder; kaltes Blatt
Das ift die hauptfache. abe ich Euch
nicht immer gesagt, das it die Haupt
sache? Kaltes Blut ersetzt Talent; ach,
was sage ich, das- etfegt Genie. Was
nütt das Genie, wenn ihm das kalte
Blut fehlt? 'Dann stehen die herr
fchaften vor der Rampe und alles geht
topfübet, lopfuntet. Ne, ne, ne, kal
tes Blut ift die hauptsachr. Meinft Du
nicht auch, Frau?« fragte der Inspi
ztent Kunan
» a, ja!« antwortete die Frau, halb
unw llig, halb beipflichtend. Ohne
an ufehen, stopfte ße weiter an dem
Unteteoch den fie ab und zu
gegen das Fenster hielt, um fehen zu
können, ob die Löcher endlich ausgefüllt
batest
Er wandte befriedigt und ging
nett großen itten nach dem Sopha.
auf-dessen Wltgen höhen feine älteste
Tochter Stube faß, m sich eine aufge
schlagen-e stellst-nd neben dieser eine
N
I Kasse-sank äu einem Papiekstiice lag
; noch etwas da i. El mußte eine hoch
« wichtige Sache sein. Denn als tie·
z während sie in der Rolle las, die Kas
feetasse umstiirzte, griff sie zuerst nach
; diesem Wörtchen dann erst nach-dem
·- Manuslript:
»Da-ch, mein schöner Apfelluchen!«
Siehste, siehste. warum siehste Dich
«ni vor! Dei is Dir ganz rechtl«
meinte der Jnspizient. »Aber des
kommt davon, wenn man teen taltez
Blut hat. Des muß ja immer alles
mit’n mal rinschlagen.«
»Na laß mal das Mädchen in Ruhe!«
mischte sich Frau Knnow hinein. »Willst
sie wohl wieder ganz verwirren? Wie
weit hast« denn gebracht mit Dem
kaltes Blut?n
. »Minna!'« Es llang wie der Aus
- schrei eines gereizten und verletzten, ties
getröntten Wesens. »Mtnna — ich —
ich — lannste mir ’n Vorwurf machen?
Habe ich nich immer alles gethan, was
in meinen Kräften stand? habe ich nich
bei allen Schicksalöschliigem die uns
I nich erspart blieben, immer das kalte
« Blut bewahrti Habeich-—- bade ich—"
:« Er hatte sich in Hitze geredet· Die
Hände in den hosentaschem stand er
vor ihr und sah sie deraussordernd an.
Sie ließ sich nicht stören. hielt den Un
terroet gegen das Licht und sagte be
gütigend:
i »Ja. ja, Du hasti« .
I ,.Jawohl, habe ich auch!« meinte er
drohend. »Habe ich auch!«
Er hätte wahrscheinlich noch mehr
gesagt, wäre er nicht unterbrochen
worden. .
Die Flurthiir wurde ausgerissen und
drei Mädchen kamen derein, ftolpernd
und sich stoßend. Das größte der Mäd
chen lehnte sich über den Tisch, strich
seine nassen Haare zurück und schrie:
»So. Trade bat wieder Appellucheak
Na ja, davon sollen wir ja nischt wis
im Am mir haben blast ’ne trockne
Schrippe gehabt!«
Trade breitete schüsend den Arm
vor ihren Kuchen und sah sie mit der
verächtlichen Miene des Besitzenden an.
.Jsch will was abhaben!« beharrte
die Schwester-, mit dem Fuß aufstam
psend.
»Ne, nu grade nich! Wenn Da
hübsch gebeten bätt’st —- nu aber grade
nich; weil du so frech bist!«
Die Schwester gurgelte weinerlich.
»Ja, Trade kriegt alle Tage was and
wir müssen immer zusehnl«
»Das gebt Dich gar nichts an!««
brüllte der Vater dazwischen
Die Mädchen murrten weiter. .
Da sagte die Mutter begütigend:
»Wenn Jbr zu thun habt, werdet Jbr
auch Kuchen bekommen. Ihr wißt doch,
Trade spielt heute zum ersten Mal die
Backfischrollr. Nun laßt sie zufrieden,
damit sie noch lernen kann.
Die freundlichen Worte der Mutter
befriedigten die Kinder. Sie ließen
nur noch unverständliche Einwendun
gen bäten.
Trude lernte ungestört weiter. Als
sie aber das letzte Stückchen Apfeltuchen
aufgegessen und die Sabne vom Papier
geleckt hatte, schien ihr die Inspiration
zu fehlen. Längere Zeit sah sie im Zim
mer herurn, beobachtete die stopfende
Mutter, den lesenden Vater und die
mit ihren Puppen spielenden Schwe
stern. Dann sagte sie plötzlich: »Weißt
Du. Marna, das hätte ich beinahe ver
gessen —- «beut’ sriih haben sie mich im
heater gefragt, wo wir denn den
Kranz filr mich taufen.«
Diese mit machter Gleichgiltigteit
gesprochenen arte, aus denen doch die
große Wichtigteit der Sache klang,
machten die ganze Familie aufmerksam.
Die Mutter ließ den Unterroct auf die
Kniee sinten. der Vater leate das Buch
fort nnd die Kinder vergaßen ihre Pup
pen anzutleidern
«Wieso einen Kran ? Was siir einen
Kranz-ji« fraate der zuspizient
»Na ja, herr Graßneck meinte, ich
müßte doch eigentlich einen Kranz be
lpmmen, weil ich zum ersten Mal eine
große Rolle spieie. Ich hätte die Kin
derrollen hinter mir, und da gehörte es
sich, mein heutiges Debut zu feiern.
Das wäre so Sitte. Ob ich einen Ve
F rannten hätte? Ja—-a.«
i »Und was haft Du denn geantwor
tet?" fragte die Mutter.
»Na, einen solchen Bekannten hätte
ich nicht, der mit einen Kranz wirft.«
Und dann meinte herr Graßneck, müß
tet.Jhr dafür sorgen· Das gehörte sich
o «
«Ob fich das gehört oder nicht —— wir
können Dir teinen taufen. Das weifzt
Du ja auch ganz gut.'«
Die Mutter stopfte gelassen weiter.
Trade fing gleich zu weinen an:
»Ohne Kranz kann ich nicht auftreten.
Jch will mich nicht vor den andern fchii
men! Jch — ich kann -— so
nicht lernen!«
»Aber ich weifz auch garnicht. was
Du haftl« schrie der nspizient feine
Frau an. »Wenn es n cht ohne Kranz
geht, geht es eben ni t. Gewiß, Tend
chen, gewiß, Du follt einen Kranz ha
ben. Das wäre ja auch noch tchöner.
Wozu hast Du denn auch Deine Eltern,
als daß sie für Dich sorgen? Du follft
mal sagen können, ja, meine Eltern ha
ben alles file mich gethan; ihnen ver
danke ich, was ich bin . . . a, ja, kaß
nur, Du follft einen Kranz ben. Ei
nen anz großen mit einer meterlangeu
Sch ife.« »
Teudchem die fich die Thranen am
T chtuch abwifchte, fchluchzte wieder
au , als die Mutter sagte: »Na. mei
netwegen krie t fie einen Kranz. Uhet
wovon wollt hr’n denn taufeni«
Der Jnipis t wurde·etregt: »Wo
von ! Wovonil —- Das mußt Du doch
E ern Festen wissen, daß dazu Geld ge
«Ja, und daß teins da ist, weih ich
E auch.«
; Die Kinder ließen sinnend und nie
; der-geschlagen die Köpfe hängen. Der
: Vater ging brummend und ärgerlich
; ftähnend auf und ab, die weinende Tru
de zärtlich über den Kopf ftreichend.
! »Ja, da hilft es nischt," unterbrach
E Frau Kunow die Ruhe, »du muß eben
die Brofche genommen werden.«
Jeßt fuhr aber die älteste der Schwe
stern los: »Ja, ja, das fehlte noch, nu
auch meine Brofchel Meine Ringe lind
fchon weg und das Armband von Di
rektoro auch, und die Kette und die Na
ldealfn und, und . . .« Sie weinte kampf
t. -
Jhre Mutter hielt ihr vor, daß die
Sachen der andern doch auch fchon ver
setzt seien. Daß sogar der Seidenftoff
zu Trudes neuem Kleid, den sie von
Frau Pahl bekommen habe, so lange
fchon bei der Schneiderin fei. die ihn
; immer noch nicht verarbeitet hätte; am
Ersten würde doch alles wiedergeholt.
»Ja, um gleich wieder hingebracht zu
werden, weil die Gage file die dersehten
Sachen verbraucht worden ift," fagte
" das Kind.
»Na, weißt Du was? Wenn Trude
auf ihr heutiges Spiel engagirt wird,
follft Du neue Schuhe haben.«
»A—ch.«
v Die Aussicht auf die neuen Schuhe
« beruhigten das Mädchen einigermaßen.
Der Vater wurde abgefchickt, die Broche
« in Geld umzusehen und gleich einen
Kranz zu laufen.
! Trade ging nach dem Theater, um
sich dort zeitig anzutleiden. Als ilfr
T die Locken gebrannt worden waren,
" I---L- U- -I- h-- III-F-- das-is san-Ia III-III
i Ins-gr- saq su- sak »so-- »so-v »
« da sei. Die Garderobenfrau antwor
Z tete ihr: »Nein.'· Dabei leate sie die
z Röcke und das Mieder zurecht und eilt
z hinaus, um andere Schauspielerinnen
T zu bedienen.
; »Ach, sehen Sie doch einmal nach. ob
Papa nicht vorn heim Portier fteht,"
bat Tende.
Z «Dazu hab’ ich keine eit,« antwor
i tete die erhihte Frau, de immer, die
— Arme voller Kleidungsstiicke, in den mit
: heißer Bühnenluft erfüllten Gängen
J hin und her haftete und traf ihres Ei
s fers nie fertig zu werden schien.
i Trudchen. die bis jetzt still gesessen
hatte, ward unruhig. Jn ihren turzen
« Rocken. nur einen befleckten Frisirman
tel übergeworfen, drängte sie sich durch
die von geputzten Statiften und Stati
ftinnen versperrten Gänge nach dem
Portier hin. In dem Vorflur, der mit
, Bekanntmachungen und Biidern über
; klebt war, an dessen einer Seite frisch
E gestrichene Coulissen lagerten, stand
Z nur der Thürhiiter. Jnspizient Ku
3 now war nicht zu sehen.
Z Die tleine Schauspielerin hatte teine
: Ruhe. Sie kannte die Leidenschaft ih
Z res Vaters fiir das Statsviel. die ihn
; oft verhindert hatte, pünktlich zu sein.
i Sie setzte sich aus einen Stapel Re
« quisiten und dachte nach, woran es wohl
liege, daß ihr Vater so gern Karten
· spielte und so gern »ichnapfte«. Die
: Mutter hatte oft gesagt, das täme da
« von. weil Papa zurückgesetzt worden sei
; Er habe als Kind auch die feinsten Rol
Z len gespielt. Ader nachher habe er Pech
gehabt.
Sie wurde aus ihren Gedanken auf
geschreckt durch den Regisseur, der sie
fragte, ob sie ihre Rolle noch mal durch
nähme.
»Ja, sa,« ftatnrneite sie verwirrt.
Ach ——— ihre Rolle —- ihr fiel nicht ein
Stichwort, viel weniger die ganze Rolle
ein. Ehe fie sich ihr heft zum lekten
Mal durchlefen tonnte, kam ihr Vater.
Mit einem leuchtenden Gesicht, dessen
Glanz durch die Gltihlampe der Bühne
ver-stärkt wurde, trat er durch die
Thür.
Sie eilte sofort auf ihn zu: »Mein
Kranzt«
Er blickte sie deftitrzt worttos an.
»Mein Kranz!« wiederholte su drin
; geno.
k-- t«k--- c-. O--- Uhu-II- -- KI
US VIII-tu III-. »Ist-e ssvysss vs gis-,
vor die Stirn: »Den habe ich ganz ver
gessen,'· meinte er treuherzig und er
zählte, daß er einen ehemaligen Kolle
gen etrossen. Dem habe er ertliirt.
daß eine Tochter mehr Glück habe als
. er —-— und so sei die Zeit vergangen —
und an den Kranz hätte er schließlich
auch nicht mehr gedacht
Enttiiuscht —- bisr sie sich aus die
Lippen und wollte die Thränen zurück
s drängen, damit sie nicht die geschmint
H ten Rothharten zerstörten.
Der Vater sah sie erschreckt an. Als
er bemerkte, daß ihr die Thrlinen in den
; Augen standen, konnte et nicht an sich
H halten. Er nahm sie in seine Arme und
z weinte selbst laut wie ein Kind. Einer
" streichelte und tröstete den anderen.
Der Vater entschuldigte sich, daß er ihr
nun nicht die versprochene Freude be
, reiten könne. Er sei so ganz und gar
verwirrt, dass seine mil
w .-.- -».- — -. »-«.. .«-.«.—. . .
e endlich vor
wärts komme. r beschimpfte sich
selbst, daß seiner Tochter das her-z bre
chen wollte.
Da tarn der Regisseur. Trade mußte
aus die Steue. Mit verweintern Ge
sicht und zerzaustem haar trat sie hin-·
aus bei ihrem Stichwort.
Der Regisseur und einige freie
Schauspieler sahen durch Coulissem
liicher dem Spiel zu.
»Was ist denn das? Was ist denn
dast« »Die tleine Kunow spielt ja
wunderbarl« «Einsach wunderbarl
Wie ’ne Alte! Wie —- tvie —- rvie «- ne,
einzigl« murmelte der erregt werdende
Regisseur vor sich hin.
Ein Schauspieler ries gedämpstr
»Ur —- diese Töne, diese Töne!«
»Diese echten Töne!« nickte der Re
g eur. »Wie ’ne Erwachsene! Die
in en wir uns merken! So was ist
’n erm’ en! Das ist Seltenheit!
. Seltenheit.«
F Papa Kunoto staunte ihn an. Die
: Begeisterung chien sich aus ihn zu
j übertragen. ie trockene hrhe hinter
j den Coulissen, die mit Phantasie und
Hoffnungen, Wünschen und Sehnsucht
Jgeschwängerte Theater-tust umnebelte
« ihn.
; Plötzlich suchte er mit unruhiaen Au
· gen etwas zwischen dem Aram der hin
. teren Bühne ——— und dann stürzte er saiz
— aus einen Riesentranz zu, der sauber
«- aus einem Ruhebett lag.
! Hastig drängte et sich nach derSchaui
I spielerloge. die neben der Bühne lag.
. Unsicher, doch iönigliche Würde mar
iirend, schritt er vorwärts.
i Der Regisseur stand immer noch an
Z seinem Guckloch Da schreckte er em
Z pok.
j Papa Kunow streckte seiner Tochter
. iiher die Brüstung der Loge den Kranz
I hinaus.
« Sie hatte ihrer Rolle gemäß vor ei
i net alten Dame niederzuknieen. Halb
aus der Erde, halb stehend, erfaßte sie
das Entsetzen über die That ihres Va
; ters. Sie verharrte in ihrer Stellung.
T Die Sprache ver-sagte ihr.
Z Da stieß die Partnerin einen leisen
; Schrei aus« Das Publikum spürte,
H daß da oben nicht alles in Ordnung
war. Es wurde unruhig.
Der Regisseur todte schon hinter den
« Coulissen: »Vorhang runter! Vor
E hang tunteri«
I Einen Au enblicl war die Schau
i spielerin n sprachlos und verwirrt.
z Dann aber riß sie Papa Kunow den
I Kranz aus der Hand und drückte ihn
E Trude aus die flehend erbobenen hande.
Da rauschte auch schon der Vorhang
herunter.
, Die Zuschauer jubelten über die ge
: lungene Schlußscenr. Sie glaubten,
z das der-störte Gesicht der ·ungen Schau
ä spielerin und die Zwis nfalle gebot
« ten zum Stück.
! hinter dem Vorhang aber war ein
lautes Durcheinander. Der Regisseur
schrie: »Na ja. da hat der Kunow mal
wieder einen eigenen Gedanken ge
bath«
Der durch seine That selbe verwirrte
Kunoto entschuldigte sich stotternd:
»Das kalte Blut —- böchstes Lob — wie
’ne Erwachsene »—- laltes Blut -——"
»Sie —- init Ihrem talten Blut!
Ja- soilte sosort Ihre Kündigung aus
schreiben!«
Dann wendete er sich an die zusamz
mengeitrbrnten Sei-anspielen
»Hier, meine Herrschaften! Unsere
neue NaiveL Auf weitere fünf Jahre!
Eine Entdeckung war das! Fräulein
Trude, ich stelle Sie vor als eine un
serer bedeutendsten Schauspielerinnen!«
»hei, siehst Du —- Papachen!« schrie
Trade halb lachend. balb weinend.
»Ja —- iiebste —- det macht det lalte
Blatt habe ia nich immer jesagtt
Kaltes Blut! Kaltes Blatt«
»Aber Papa »s— ich hatte ja gar tein
kaltes Blut. Jch war ja so aufge
regt! · . .« antwortete Trude und zog
ihn sort aus dem Kreise der Neugieri
gen.
,-.. »W— ..-..-— . .--.·»,,».»... .·
Wie die Würdenträger
der dritten Nepublil grü
ß e n. —- herr Loubet, der gemächlich in
feinem breiten Wagen fiyt und getreu
die Bourgeoisiiberlieferung beobachtet«
feine Gattin zur Linien und nicht ur
Rechten, grüßt ziemlich gemessen, ohne
. den Rumpf vorzubeugen. indem er den
» Cylinder genau in der Mitte anfaßt
und ihn fo iiber dein haupte lüftei. Er
wartet auf die Begriißungen und Zu
rufe, ohne sich irgendwie die Mühe zu
geben« fie anzuregern Er erwidert aber
alle, den hundertsten Gruß ebenfo ge
wissenhaft, als den iaufendften —
Paul Dejchand hat die Gewohnheit an
genommen. feinen Wagen dem bei-Weit
fidenten der Republii in hundert
Schritt Entfernung folgen zu lassen.
Daher heimft er die Hochrufe aller De
rer ein, die gern rufen möchten: »Weder
mit ir end Ein-USE aber nicht den
Muth zu ben. Es find das die
Gleichen, di irn vorigen Jahre den
Vorteiter Moniarret anzu’ubeln pfleg
ten. Der liebendiviirdi e arlarnenta
rier tronius hat ie Nachfol er
fchaft i Vorteiteri übernommen. , itr
einen Ruf, der erfchallt. danlt er mit
drei Grüße-n einein nach rechts, einein
nach linii und einein gerade vor sich
hin. Die Be ungen dabei find fehr
grasiös und tpo ltoollend. Der Rumpi
neigt fich unt 32 bis 33 Grad, die be
handfchuhte Rechte faßt den Hut rnit ei
nein Zug und läßt ihn einen wohl ab
gesirielten halbireis befchreiben. Das
dauert don« der Abfahrt bis zur An
kunft. »Ein3, zwei, drei! . . . Eins.
wer, drei!" . . . Die elegante junge
s rau Deschaneh die ihr Gatte an feine
Rechte fest, macht sichtliche Anstrengun
gen, Nichts zu fehen und Nichts zu hö
ren. Sie hat ihr Ceremoniell ganz in
tuö. Sie hat also auch nicht den Spaß
dogel gehört, der arn Grand - Prix
Sonntag an der Castade »Bitte le
«Dauphini« rief, als Herr Deschanel
bortibeefuhr. Die Minifter grii en
auch . . . wenn man ihnen Oelegen it
dazu giebt. General Aner ver ist
manchmal, feinen Chlindee zu til n.
here Deleaffå, l·a" t ei an Gra ie feh
löä reskåigenaöitgriåßts links,
e on i, er illerand
überhaupt nicht.