Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, July 05, 1901, Sonntags-Blatt, Image 14

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    Roman von F. Akuefeldt.
02 00000 s i s 000000000 · O
W oooooooooooooo p ooooo s oooooo · o s « ooooooooo
(8. Fortsetzung)
Jhnen folgte eine ganz weiß ge
kleidete, mit Schleiern umhüllte Dame,
der ein Gefäß voll brennender Baum
lvo e dargereicht wurde, die sie ohne die
geringste Beschwerde verzehrte, wäh
rend ein Stück davon, das sie achtlos
fallen ließ, ein Loch in den Teppich
brannte·
Entsetzt sprang Frau Köhne auf
und raunte dem neben ihr sitzenden
Sohne zu:·,,Komm fort, Wilhelm, es
geschieht hier noch ein Unglück, das
kann ja nicht mit rechten Dingen zu
gehen.'«
,,Geschwindigteit ist keine Hexerei,
bleib’ ruhig sihern das Feuer schadet
weder Dir noch ihr,' sagte der junge
Mann lachend zu der Mutter und
drückte sie wieder auf ihren Sitz nieder.
Auch Müseler redete der Frau zu:
,,Aengftigen Sie sich nicht, es kommt
sogleich etwas, was Jhnen besser ge
fallen wird."
Das war denn auch der Fall mit
zwei hochelegant getleideten. start ge
schmintten Chansonetten - Sängerin
nen, obwohl oder vielleicht weil die
ehrbare Frau von dem französischen
Text lein Wort verstand. .
Wilhelm, den die Mutter um eine
Uebersetzung bat, weigerte sich, sie zu
geben« auf die Gefahr, fiir unwissend
gehalten zu werden, und Alfonso
glaubte durch lebhaften Beifall seine
Kenntniß der fremden Sprache heilsa
tigen zu müssen.
Eine größere Pause so ldetgi
Eine größere Pause folgte dieser
Darstellung, die Müseler benutzte, um
eine große Schüssel Pfanntuchen und
Punsch für seine Gäste bringen zu las
sen. »Essen Sie, trinken Sie,« ermun
terte er zum 3ulangen, obwohl es
dessen gar nicht bedurfte, »ich glaube,
wir werden der Stärkung bedürfen.
Die nächste Abtheilung soll etwas gru
selig sein«
Frau Löhne schauderte und klam
merte sich schon im Voraus an den
Arm ihres Sohnes, der ihr lächelnd
zuraunte, es sei ja Alles nur Spiel.
Der alte Löhne, der nach dem Ge
msß des Punsches heftig hustete, aber
trotzdem weiter trank, versicherte, mit
diesem Trank im Leibe es mit dem
Teufel ausnehmen zu wollen.
Ulfonso erklärte hohnvoll, er glaube
weder an Gott, noch an den Teufel,
und Marie schaute gleichzeitig angst
voll und bewundernd zu ihm auf.
Das Zeichen zum Wiederbeginn der
Vorstellung unterbrach die Unterhal
tung und veranlaßte Alle, ihre Plätze
wieder einzunehmen.
Als der Vorhang sich wieder hob,
entfuhr ein einziges »Acht« des Schre
ckens der ganzen Versammlung
W- --- « XII-Z bis »Ist-t- III-fus
»Is- uus Its-usw« Ists-wohn- wes-»Je-»
stellte eine Art Todteniamrner dar, die
ganz schwarz decorirt war. Schwarz
waren die Coulissen, mit einem schwar
zen Tuch bedeckt der Fußboden; Ge
hänge von schwarzem Krepp zogen sich
von einem Pfeiler zum anderen, un
terbrochen durch Ketten von ausgerech
ten Weißen Knochen. Mit Krepp um
wunden waren die von der Decke herab
hängenden Kronleuchter und die an
der Seite angebrachten Lampen. Jn
nicht allzu großen Abständen von ein
ander erblickte man in der Mitte der
Bühne vier ossene Särge in der Form
von Sartopbagen, jeder aus vier
Sphiner ruhend.
Ein für das Publikum nicht sicht
bares Orchester sxielte in langgezoge
nen, gedämpften onen einen Trauer
marsch. Plötzlich verwandelte sich dieser
in eine wilde, in schnellstemTempo vor
getragene anztnelodir.
Von der einen Seite der Bühne ka
men zwei Männer, ganz schwarz geklei
det, hats nnd Arme entblößt, den
Kopf nnbedeckt, am Gürtel einen Dolch
ohne Scheide tragend. Von der anderen
Seite traten zwei Frauen hervor in
langen weißen, schleppenden Gewän
dern, Kränze von weißen Rosen in den
bis aus den Gürtel herabwallenden
blonden bauten.
Sie verbergen sich vor dem Publi
ciem, doch schon ßnd sie von den Man
neenergeiffen hoch emporgehoben
wieder nieder-geworfen nnd zu den
Mkngen der wilden Musik beginnt ein
wilder, aibemranbender, bacchantischer
Jan tun die Seirge herum und über
sit W
Mit einein schrillen Uebergange ver
handelt sich vie Melodie in ein Kampf
lied. Die Männer schleudern ihre Tän
zettnnen bei Seite nnd stürzen auf ein
ander los, die Dolche hoch erboben in
den drohenden händetn händeringend
jammernd schauen ihnen die Jenaer
JU
M allzu lange bat der Kamps
Mtz in Tode getroffen sinken
ledeennd werden von den wei
Miit die Särae eboben
n dit
Zwei-a deren selbst,streelen aus
und schließen die Augen ; der Gram hat
sie getödtet.
Ein paar Minuten bleibt es todten
still aus der Bühne und auch im Zu
schauerraum, dann setzt die Musik
wieder ein, schrill, schauria, herzu
schiitternd. Die in den Siirgen liegen
den Gestalten erheben sich zur Hälfte,
aber es sind nicht mehr die blühenden,
die traststrotzenden Frauen und Män
ner, die sich vor wenigen Minuten hin
eingelegt; es sindSkelette mit fletschen
lt:e«n Zähnen und schlotterndem Ge
ein.
Unter den Klängen der Trauermusit
schließt sich der Vorhang, das Gaslicht
slammt wieder aus und wie von einem
Alp befreit geht ein Ausathmen durch
die Zuschauer·
Eriminalcommissiir Miiseler schaute
sich seine Gäste an.
Wilhelm Löhne war kaum um einen
Schatten bleicher geworden und sah
ganz ruhig um sich, auch aus seinenVa
tet hatte der Vorgang keinen allzu er
schtternden Eindruck gemacht, dagegen
zitterte Frau Köhne am ganzen Leibe,
schluchzte laut und verlangte, nach
Hause zu gehen, dennoch war sie nicht
so außer sich wie Marie.
Das junge Mädchen sah weiß wie
ein Tuch aus. vermochte lein Wort her
vorzubringen und hatte die weit geöff
neten Augen starr und angstvoll aus
Alsonso gerichtet, dessen gelbbraune
Gesichtssarbe olivengriin geworden
war und dessen Zähne auseinander
scblugem von der Großsprecherei, die
er vorher an den Tag gelegt, war teine
Rede mehr.
»Sie haben gewiß auch an den ar
men Ahrweiler denken müssen, so wie
jene Stelette wird er auch bald aus
sehen; wir trinken nun noch einen
Punsch auf den Schreckl« sagte Muse
ler, ohne anscheinend das Wort an ei
nen Einzelnen zu richten. Er wollte ei
nen der wieder den Saal durcheilenden
Kellner rufen, aber Marie hielt ihm
den Arm fest.
»Nein, nein, Herr Eommissiir,« bat
das junge Mädchen, »wir können nicht
mehr essen und trinken, lassen Sie uns
fortgehen, es ist genug.'·
»Genug! Genug!« lallte Alsonso,
und es war ungewiß, ob der Genuß
von Bier und Punsch oder ob die er
schütternde Vorstellung so start aus ihn
einaewirkt hatte. Er vermochte keinen
zusammenhängenden Satt zu sprechen
und sah aus, als sei er um viele Jahre
älter geworden.
»Sie haben Herrn Ahrweiler auch
getannt?« fragte Müseler harmlos den
Brasilianer.
Mit einer ganz unbegriindeten hef
tigteit entgegnete Alsonsm »Nein,
nein! Jch habe ihn nicht gekannt, habe
nie etwas von ihm gehört! Sprechen
Sie· nicht von ihm, ich kann’s nicht hö
J ren.«
l
»Aber Mensch, Sie haben ja Nerven
wie ein Mägdelein; Sie thun ja, als
sagte ich, Sie hätten den Mann umge
bracht!« sagte Miiseler lachend und
legte dem jungen Mann die-Hand aus
die Schulter.
Alsonso riß sich los und schüttelte
sich. »Wie tönnnen Sie das sagen?«
rief er; »lassen Sie mich sort."
Müseler lachte noch lauter. »Aeng
stigen Sie sich doch nicht« sagte er.
»Wir haben ja den Mörder; Niemand
anders als der Fabritbesiher Dorned
den ist’s gewesen«
»Ist das gewiß?« Leuchte Alsonso
und sah den Commifsär aus weit auf
gerissenen Augen forschend an.
»Ganz gewiß, er hat’s so gut wie
eingestanden und kommt vor das näch
ste Schwurgericht in Charlottenburg;
wenn es Jhnen Spaß macht, tönnen
Sie den Verhandlungen beiwohnen,«
entgegnete Müseler.
M-- weiß, oh ich dann noch hier
bin,« stammelte Alsonso, »es ist mög
lich, daß ich in den nächsten Tagen nach
Paris reisen muß. Aber lassen Sie uns
jeyt geben, die Lust ist hier zum Ersti
clen.« Dabei machte er eini e Schritte
in der Richtung nach dem usgangr.
Miiseler gin aber dem Brasilianer
nicht von der Seite und sagte mit sei- »
nem gutmüthigen und dabei leicht ?
spöttischem Lachen: »Sachte, sachte,
eilen Sie nicht so; die Anderen gezn I
ja auch mit, Sie werden Marie n »
doch nicht im Stiche lassen wollen.« .
Alsonso besann sich. »Sie haben
Recht,« sagte er, sich zusammenneh
mend, »das dumme Possenspiel hat
mich aanz. verwirrt gemacht-« Er eilte
zu Matie und bot ihr galant den Arm.
Die Gesellschaft verließ den Thea
terraum, Frau Löhne ging mit ihrem
Sohn voran, Marie und Alsonso folg
ten, den Beschluß machte Müseler mit
dein alten Löhne, der ihm iemlich
schwiilstig und verworren die inbrü
cke, die ihm die Vorstellung gemacht,
schildert-«
Dei Tommissiir unterbrach den
Wortschwnll des Alten, ali siebeinahe
den Ausgang des Saales erreicht hat-«
ten. »Ich bitte einen Augenblick um
Berzethung,« sagte er; »ich sehe da
einen Bekannten, dem ich gutenAbend
sagen möchte. Bitte, gehen Sie vor
an, ich bin sogleich wieder bei Ihnen-«
Er eilte aus den Mann zu, der auf ei
ner der lehten Bänle in der Nähe der
Thitr saß, schüttelte ihm die hand,
sprach ein paar Worte mit ihm und
entfernte sich dann schnell wieder, so
daß er seine Gefährten bald eingeholt
hatte. Langsam und unauffällig
folgte ihm der Andere.
»Wir dürfen den Damen heute tei
ne Pserdebahnfahrt mehr zumuthen
sondern werden uns eine Droschle lei
sten,'« sagte Müseler, als sie den
Alexanderplah erreicht hatten, und
ließ, um eine solche herbeizurufen, ei
nen hellen Pfiff hören. Als der Wa
gen dann aber herbeigerasselt kam,
setzte er lachend hinzu: »Da hab’ ich
wieder einmal falsch gerechnet, der
Wagen faßt ja nur vier Personen und
» wir sind unser sechs.« Er sann einen
Augenblick nach. half dann dem Höh
ne’schen Ehpaar und Marie beimEin
steige-, schob Alsonso halb mit Ge
walt nach und erklärte: «Machen Sie
den Cavalier bei den herrschaften
edler Don, und bringen Sie sie glück
lich nach Hause; ich werde mit Herrn
Wilhelm per Pferdebahn folgen.« Er
bezahlte den Kutscher, wartete, bis der
Wagen sich in Bewegung gesenkt-Zaun
legte dann Wilhelm’s Atm in sei
nigen und sagte: »Nun kommen Sie.
Drüben an der Ecke der Neuen Kö
nigstraße ist eine Weinstube, wo wit(
eine stille Ecke finden, da können Sie
mir erzählen, was Sie auf dem bHer
zen haben.«
Nach einer Viertelstunde saßen Beide
in der fast leeren Weinstude an einem
kleinen Ecktisch bei einer Flasche Roth
wein, und Miiseler sagte, nachdem er
die Gläser gefüllt hatte: »Nun schießen
Sie los;wir sind hier aanz unbelauscht,
ich habe dafiir einen Blick.«
Trotzdem schaute sich Wilhelm noch
mals vorsichtig um, bevor er, dem
Commissar näher rückend, begann:
»Herr Criminalcommissar, ich habe
heute ein Brustbild gesehen das aus
schaut, als wäre es das Original der
Photographie, die man vorn Auge des
todten Ahrweiler abgenommen haben
will.«
Müseler fuhr wie eieitrisirt aus und
iragztn »Wo haben Sie das Bild gese
hen «
»Im Laden eines Trädlers in der
Martgrasenstraße, da, wo sie aus-läuft
und mit der Lindenstrasze zusammen
slößt,« berichtete Wilhelm, »ich schlen
derte dort auf und ab, weil ich auf
Jemand wartete, und ——" Er stockte
und war in sichtlicher Verlegenheit.
Miiseler lachte. »Was Sie nach der
Martgrafenstrasze geführt hat, geht
mich nichts an,« sagte er; »genug, Sie
haben das Bild gesehen. Sind Sie im
Laden gewesen?«
»Nein· Das Bild hat einen eigen
thiimlichen bunten Rahmen, der meine
Aufmertsamteit erregte. Als ich näher
trat, fiel mir erst das Portrait auf,
dann lam mein —- mein Belannter
und als ich mich von dem getrennt hat
te, war der Laden geschlossen, der
Sonntagsruhe halber. Da dachte ich,
es wäre das Beste, ich machte Sie mit
der Sache bekannt, und da ich wußte,
wo ich Sie finden könnte, bin ich hier
her getommen.«
»Sie haben Recht gethan, und ich
dante Jhnen,« sagte Müseler, ihm die
Hand schüttelnd, »ich werde mich mor
gen früh, sobald der Laden eiiffnet ift,
bei dem Händler in der artgrasen
strasze einfinden und hoffe einen guten
Fang zu machen. Ich brauche Sie
wohl nicht erst zu bitten, gegen Jeder
mann von Jhrer Entdeckung zu schwei
gen.«
»Das ist ganz selbstverständlich,« er
widerte Wilhelm.
Sie leerten die Gläser und verließen
die Weinstnbr.
U.
Der Poriier Köhne hatte, als er noch
gesund und seine Kinder noch kleiner
gewesen waren, das Handwerk eines
Schreiners betrieben und seine Wert
statt wie seine Wohnung in der Leip
zigerstraße in einem am zweiten Hase
eines sehr tiefen Grundstückes liegen
den Gebäudes gehabt. Jn einem viel
sreundlicheren Hause am ersten Hos
bewohnte damals und noch jetzt der
Kaufmann Jlgener die geräumige und
gut ausgestattete erste Einge, wahrend
sein in·der ganzen Stadt betanntes
und berühmte-II Spezerei-, Wild-, Ge
flügel- und Delitatessenaeschäst die
volle Breite des Erdgeschosses im Vor
derhause einnahm.
Zwischen den Kindern des Kaus
manns im ersten und dem Sohn des
Tischlers im zweiten Hof hatte sich ei
ne Freundschast entsponnen, die den
I Letzteren und besonders der Frau sehr
s schmeichelte und die vom Ersteren gar
s nicht ungern gesehen ward.
Wilhelm Lohne war ein gesitteter,
bescheidener Knabe mit guten Anlagen
« und regem Lerneiser, dessen Um ang
I nur vortheilhast aus seine Gesä rten
wirken tonntr. Er besuchte entrin
schastlich mit den lgener’schen öhnen
die höhere Bürger chule in der nahelie
genden Charlottensiraßr.
Köhneö wollten an ihren begabten
Wilhelm etwas wenden und ihn nicht
nur in die Gemeindeschule schicken.
Uebrigens durste er auch an den Pri
vatstunden, die Jlgener einen Söhnen
im En lischen, Französi chen und eich
nen ge ließ, Theil nehmen un zog
daraus-großen Nasen.
Die Einsegnun der Knaben machte
dem Verkehr ein Erde Wilhelm Löh
ne lam als Lehrling in eine grope
Maschinenbauanstalt in Moabit, n
der er auch später noch blieb. Die Jl
geners wurden von ihrem Vater zu
nächst noch auf die handelsschule und
dann nach außerhalb in kaufmännische
Gelchofte geschickt
Fast um dieselbe Zeit auch war
Frau Jlgener. die besonders viel auf
Wilhelm gehalten hatte, gestorben und
Löhne hatte an efangen zu lränleln,
so daß er sein gandwerl hatte aufge
ben müssen. Seine rührige Frau e
miihte sich um eine Portierstelle, und
nach mehrmaligem Wechsel war die
Familie nach derUhlandstrasze gelangt,
wo durch ein Spiel des Zufalls sich
durch Ahrweiler eine, wenn auch nur
recht tchwache, Beziehung zwischen den
fhåmaligen Hausgenossen herstellen
o te.
Gänzlich waren die Beziehungen
allerdings nie abgerissen gewesen; denn
sie waren fortgefe t worden durchWil
helm Köhne und athilde, Jlgeners
jüngstes Kind und einzi e Tochter.
Mathilde war sechs Bahre jünger
als Wilhelm und er hatte mit ihr stets
lieber gespielt, als mit seiner noch um
einige Jahre jün eren Schwester Ma
rie. Er war ihr eschiißer, ihrFreund,
« Gefährte gewesen, hatte den weiten
mweg nie gescheut, um sie auf seinem
Gang nach der Schule nach ihrer
Töchterschule u bringen und von dort
abzuholen. athilde bäte sich in al
len ihren kindlichen Nöthen an ihn ge
wandt und war immer des sestenGlau
bens gewesen, daß es für Wilhelm keine
Schwierigkeiten gebe, dab er erfüllen
könne, was sie von ihm verlange.
Als dann die Trennung gekommen
war, hatte das damals zwölfjäbrige
Mädchen den Jugendfreund durchaus
nicht loslassen wollen. Sie hatte ge
wei t und gefleht, und Wilhelm, dem
der bschied selbfi sehr schwer wurde,
hatte ihr versprechen müssen, sie zu be
suchen und auch sonst mit ihr zusam
menzutreffem was sich um so leichter
bewerlstelligen ließ, als das mutierlose
Mädchen, um das sich auch die Schwe
stern der Verstorbenen nicht viel liimh
merten, recht unbeaufsichtigt war.
Zu ihremGliicle war sie bei Wilhelm
Köhne gut aufgehoben. Der Umgang
mit dem sittlich reinen, geistig strebsa
men jungen Menschen wirkte fördernd
und veredelnd auf sie. Sie war dar
aus bedacht, etwas zu lernen, etwas
zu thun, wovon sie ihm bei hrem näch
sten Zusammentreffen berichtete und
wofür sie von ihm gelobt zu werden
hoffte.
Mi-«t!rk- .»-, k. »- ,- s. s
1
JJLUIUUUT IUUL Ucl Ousulc cIUlUUUF —
sen, Wilhelm Vorarbeiter in der Ma
schinenbauanftalt, und noch immer be
stand zwischen ihnen die Kinderfreund
fchaft oder sie nannten es wenigstens
so. Jn Wahrheit war sie längst zur
innigem ihre herzen fest verbindenden
Liebe geworden. Es verging aber
lange Zeit, ehe sie sich das zu gestehen
wagten; Beide tannten nur-zu gut die
Scheidewand, welche die Verschieden
heit ihrer gesellschaftlichen Stellung
zwischen ihnen aufgerichte hatte
Mathilde besuchte regelmäßig an je
dem Sonntag Vormittag den Gottes
dienft in der Jerusalemer-Kirche, in
der sie eingesegnet war, und es war zur
lieben Gewohnheit geworden, daSWib
helm sie in einiger Entfernung davon
in der Martgrafenstraße erwartete und
mit ihr ein Stündchen in den angren
zenden Straßen spazieren ging. Un
gunst des Wetter-Z vermochte sie davon
so leicht nicht abzuhalten; es mußten
sich ihr ganz unübersteigliche Hinder
nisse entgegenstellen, wenn sie Wilhelm
vergeblich warten lassen sollte. »
So war es auch an dem Sonnta ,
dessen Abend der junge Mann mit ser
nen Angehörigen im Specialitäten
Theater zubringen sollte, tein Bekann
ter, sondern eine Bekannte, die er in der«
Martgrafenstraße getroffen hatte; und
nur die Discretion hatte Wilhelm ver
anlaßt, den Vorgang, den er amAbend
dem Criminalrornrnissar Müseler er
zählte, mit einigen, wie man sehen
wird, recht harmlosen Abänderungen
wiederzugeben.
Ein hellerSonnenschein hatte an die
sem Sonntag vorn blaßblauen himmel
über die vom Schnee ereinigten Stra
ßen gelacht. Das tter konnte also
Mathilde nicht vorn Besuch der Kirche
abzuhalten haben; um so mehr hatte
si Wilhelm beunruhigt, daß er sie
troh alles Spähens unter der aus den
Kirchthüren ftrömenden Menge nicht
erblickt hatte. Er hatte fast daran ver
zweifelt, sie noch zu finden, und ging
bedrückten Herzens die Matt-trafen
ftraße nochmals hinunter; da, fast am
Ende derselben, tarn sie ihm entgegen.
»Mir müssen uns verfehlt haben,«
redete Mathilde ihn hastig an. »Ich
bin die Straße schon zweimal auf und
ab gegangen, ohne Dich zu treffen,aher
halten wir uns dabei nicht auf.
habe eine Entdeckung gemacht und muß
sie Dir zeigen, ehe der Trödler sein Ge
schäft ichs eu« » ,
Sie hing an seinen Arm und führte
ihn nach einem im Keller des Eckhauses
der Markgrafen- und Lindenstraße ge
legenen Trödlerladen, an dessenSchaui
fenster das verschiedenartigste Getüm
pel ausgehiingt war. Drapirt durch
einen weißen Kürassierrocl rnit elben
Aufschlägen hinsda ein in Oel arben
gemaltei, nur opf und Schultern
darstellendei Portrait in einem run
den, mit bunten Steinen hefetztenGold
rahrnen; ein Theil der Steine war aber
aus ehr . ·
»der ist das?« sra te M Ilde und
hielt das sehr klare ahlgr ue Auge
forschend auf Wilhelm ger chtet.
-——— .—«
Der ju e Mann ftand nnend vor
dem Schau enfter, rieb si die Stirn
und gestand endlich: »Ich weiß ei
nicht; ich kann mich nicht besinnen, das
Bild oder die Person, die es darstellt,
je gesehen zu haben.«
»Dent doch nach, Wilhelm,« bat sie,
.dent nach, es hängt viel davon ah;
der photographische Abzug, den nur
gesehen haben,ift zwar sehr verschwom
men, aber s—«
Wilhelm unterbrach re durch einen
Aufschrei, ließ ihren rm los und
fuhr sich mit der Hand über Augen
und Stirn. »Mathilde, Mathilde!
Täufche ich mich nicht? Das ist ja —
das ift ja! ——-'«
»Wer? Wer?« drängte sie.
»Das Portrait Dorneddens —-—"
»Von dem die Photographie abge
nommen ift!« fiel sie ein.
»Aber wie foll das hierher kom
men ?« fragte er immer noch zweifelnd.
»Wie kommen die Dinge zumTer
ler?« entgegnete sie lachend. »Sie wer
den bei ihm oertauft, und daß der
arme Dornedden fein Bild nicht hier
her zum Trödler getragen hat, darauf
gehe ich eine Wette ein.«
»Aber wer soll es denn gethan ha
ssan« -
,,Lasz uns hinuntergehen und nach
fragen,« s lug sie vor.
Jn dem elben Augenblick suhr die
Rolljalousie des Ladenö mit Geräusch
herab. Die Verlaufszeit siir den
Sonntag war ab elausen, der Trödler
hatte sein Geschii t geschlossen.
Mit etwas verdutzten Gesichtern
schaute sich das Pärchen an; Beide
lachten laut aus.
»Abgeblitzt!« scherzte Mathilde;
ernsthafter fragte sie dann: ,,Ob wir
in’s Haus gehen und den Trödler zu
sprechen versuchen?«
Wilhelm sann einige Minuten nach
und antwortete dann: »Nein, es ist
besser, wir machen den Mann nicht erst
daran aufmerksam, daß das Bild von
Wichtigkeit sein kann. Heute verkauft
er es nicht mehr und zu morgen früh
schicke ich ihm Jemand her, der dieser
che besser anzugreisen versteht als-wir.
Komm, lasz uns gehen, eH möchte aus
fallen, wenn wir noch länger hier ste
hen bleiben.« Er leate ihren Arm wie
der in den seinigen und sie aingen wei
er.
Nach eini« en Minuten des Still
schweigens ragte Mathilde: »Wil
heim, was dentst Du von dem Bilde?«
.Was denkst Du davon?" fragte er
lächelnd zurück. »Ihr Frauen seid ja
im Combiniten viel schneller und auch
wohl geschickter, als wir Männer.«
»Nun, ich denle, es hat inAhrweiler’
Schlaszimmer gehangen, sein letzter
Blick ist daraus gefallen, der Mörder
hat es fortgenommen und verkauft.«
»Etwas lithn gesolgert!« schegte
Wilhelm und schaute mit liebevoller e
wunderung aus den hübschen rothen
Mund, der so beredt zu sein vermochte,
»aber Du könntest vielleicht in's
Schwarze etrossen haben. Run, ich
setze mein trauen aus denCriminal
commisiiir Miiseler, der wird daöRechte
schon herausbringen.« -
Sie schritten schweigend weiter, bis
Mathilde wieder begann: »Wir sind ja
lange darüber eini , daß Dornedden
nicht der Mörder ist«
jdaö sind wir,'· entgegnete Wil
helm, »und ich musz Dir aestehen, dasz
ich an die Geschichte mit der vorn Auge
abgenommenen Photogra hie über
haupt nicht geglaubt habe. «« pielt stei
lich das Bild eine Rolle -—"
Ase ist doch etwas dar-ani« siel Ma
Ujllsc cul
»Dann kommt der arme Herr Dor
nedden aus dem Gefängniß, und Jhr
erhaltet Eure Erbschaft ausbezahlt
»Wer weiß, die Tanten wollen ja
das Testament angreifen, dann tann
es noch lange damit währen·«
»Ach, Mathilde, ich wünschte, Jhr
betämt es gar nicht!« seufzte er und
nahm ihre Hand, die sie im Muff ver
borgen hatte, liebtosend in die seinige.
»Ei, das ist ja ein recht frommer
Wunsch, mein Vatei und meine Brü
der werden sich dafür bei Dir bedan
ten!« rief sie und blickte ihn mit den
großen grauen Augen schalthaft an,
»sie planen schon allerlei Vergrößerun
gen, die sie mit Hülfe des Geldes im
Geschäft machen wollen«
»Und Du?«
»Nun, es ist eine recht hübsche Mit
gift; wenn es zur Einrichtung einer
Maschinenbauanstalt wohl ni tganz
reichen wird, so läßt sich damit och et
was anfangen-«
»Mathilde, scherze nicht so!«
» m Gegentheil, es ist mein voller
Ern t.«
»Meine hoffnung, daß Dein Vater
je seine Einwilligung zu unserer hei
rath geben werde, war immer sehr ge
ring; seit Du die Erbschaft gemacht
haft, it sie ganz geschwunden, und da
rum wäre mir lieber, Du hättest sie gar
nicht detomment« seufzte er.
»Um meinetwillen hätte Onkel Abr
weiler so alt werden tönnen wie Me
thusalem!« sagte sie, »da mir aber die
Erbschaft einmal zugefallen ist, so will
ich sie auch benutzen«
»Das könntest Du, wenn Du damit
eine ute Partie machtest, zu der Du
here tigt bist; und ich habe mir schon
recht ernstlich die Frage vorgelegt, ob
es nicht meine Pflicht sei, Dich freizu
geben.«
»Du könntest auch über gescheidtere
Dinge nachdenken,« entge nete sie in
ihrer heiterm Weise und iigte innig
hinzu: »Die beste Partie, die ich ma
chen kann, bist Du, mein Wilhelm, und
die will und werde i machen.«
«Mathilde, Dein ater giebt es ja
niemals aus«
«Wir aben ihn ’a noch ar nicht ge
fragt! stanche Dirne fchkknen nur
schwer, weil sie nicht gewagt werden.««
»Ich bin der Sohn des Portrert
Löhne, des ehemaligen Tischlers!«
»Da haben wir uns nichts barst-wer
fen, der Vater meines Vaters ist eben
falls Tischlermeister gewesen und zwar
in Perleberg.«
»Aber Dein Vater und Deine Bril
der sind angesehene Kaufleute, und ich
bin Arbeiter.«
»Monteur, wenn ich bitten darf,
stelle Dein Licht nicht unter den S ef
sel,« erwiderte sie mit einer allerlieb ten
Schmollmiene, »und sobald Du willst,
Maschinensabritant. Bist Du mit Dei
nen Einwendungen bald zu Ende?«
»Deine Verwandten! Die FrauMa
jorin, die Frau Regierungsrath ——«'
»He-den sich recht wenig um mich be
kümmert und das mutterlose Kind der
Obhut eines gewissen Wilhelm Köhne
unbedenklich überlassen. Das sollen sie
nun auch serner thun!" fiel sie ein.
»Sie waren übrigens auch sehr unzu
frieden mit der Heirath meiner Mutter
mit einem Tischlerssohn und Klein
händler und haben es ihr nie vergeben,
was nicht gehindert hat, daß die Ehe
meiner Eltern eine sehr glückliche gewe
sen istspNach den Tanten habe ich wirt
sich nichts zu nageln
»Als ob Du mir die beute erst vor
zustellen hättest!« lachte sie. »Die tenne
ich doch so lange wie Dich. Wilhelm,
Du magst es anstellen, wie Du willst,
Du wirst mich nicht los, also gieb Dich
darein und behalte Deine Mathilde.«
»Wie gern!" sliisterte er und drückte
ihre Hand.
Sie waren während dieses Gesprä
ches langsam weitergeschritten; j t er
klangen durch die llare Winterlu t die
Schläge einer Thurmuhr. Mathilde
blieb stehen und lauschte: ,,Dreiviertel
zwei,« sagte sie, »und um halb
drei muß bei uns die Suppe aus dem
Tisch stehen, da müssen wir etwas
Geschwindschritt anschlagen-«
Sie thaten das und trotz der Eile
nahm Mathilde das Gespräch wieder
auf. »Ich warte wenigstens eine gute
Stunde bei meinem lieben Alten ab
und beichte ihm. Kann mir übrigens
laum denken, daß ich ihm eine roße
Ueberraschung bereite; ich glauå er
stellt sich nur, als ob er nichts wüßte;
wenn nicht eher, dann an meinem Ge
burtstage, da werde tch ja einund
zwanzig Jahre."
»Grofjja«hrig!«
»Geivisz!« Sie reckte sich in die Hö
he, »und Besi erin eines Vermögens,
das mir zur rfiigung steht. Jch
habe guten Muth, nimm ihn mir nicht
durch Deine Zighastigleit Du bist
doch sonst nichts weniger als feige!«
»Ach, Mathilde, ich in es «a nur,
weil ich Dich zu verlieren iirchte!«
gestand er.
»Das wirst Du nicht!« tröstete sie
ihn niit schöner Zuversicht. »Wenn
wei sich o lieben, wie wir, die müs
en zusammentommen, die tann nichts
trennen.«
,,Jch danke Dir. »Still sein und
osfen,« hat der Prediger in mein Ge
an buch geschrieben, daran will ich
est alten.
»Weißt Du, daß die Entdeckung,
die wir heute gemacht haben, mich mit
besonderenhossuungen erfüllt?« plan
derte ie weiter.
»Wieso?« fragte er erstaunt.
»Wenn es uns gelänge, zur Auffin
dung des wahren Mörders des armen
Onlels Ahrweiler beizutragen und
den bedauernswerthen Dornedden u
befreien, ich würde das siir ein sle
günstiges Omen halten«
«hoffen wir das Beste, ich werde
heute Nachmittag die Sache in die ge
eialneten blinde egen,'« erwiderte Wil
m.
Sie hatten inzwischen den Kreu
Yungspuntt der Martarasens und
eipzigerstraße erreicht, hier niu te
eschieden sein. Sie reichten sich ie
gönde und blieben Abschied nehmend
noch ein paar Minuten bei einander
stehen.
»Aus Wiedersehen!« sagte er ge
preßt.
»Auf Wiedersehen!« wiederholte sie
mit heller Stimme und entfernte sich
mit leichten, schnellen Schritten.
Abends hatte dann Wilhelm die
Entdeckung, aus die ihn das geliebte
Mädchen aufmerksam gemacht, in sei
ner Weise dem Criminalcommifsät
Miifeler mitgetheilt, und damit witt
lich die Sache in die geeignetsten Hän
de gelegt.
Der Althändler Kowalzig in der
Martgeafenstrasze hatte am Montag
Mok en taum eine halbe Stunde sein
Gef "st offen. war mit dem Abstän
ben seiner hundertfiiltigen Verkaufs
artitel beschäftigt und befand sich bei
dieser Arbeit in einem etwas frag
wiitdigen Morgenanzug, als schon ein
ut getleideter Herr bei ihm vor
prach und sich erkundigte, ob et viel
leicht Dosen oder Schnallen im Ro
cocogefchmack darlegen könne. Er sei
Sammler und würde gern etwas iu
diefek Art erwerben.
(Fortsehung folgt.)
»Es ist lein ,Trau und Glauben«
mehr auch in dee Zeitungswelt,«« klagt
der »Bus·falo Bomer Na, die alte
Redensart: »Er lügt, wie gedruckt.«
I c- I
Nachrichten siir Grimma und Um
gegend« brachten die Meldung aus
Leipzig: Die Sonnabend und Sonn
tag statt indenden Pferderennen wer
den siarlbesetzte Felder und er tla -
ges Ma xvieh zeiget-X Das bez eht TO
doch ni t etwa aus die Zutchauets