Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, June 28, 1901, Sonntags-Blatt, Image 16

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    JCWMOI syst-MS · « - Te
Das Bifd im Länge
Roman von F. Arnefeldt.
LUSW QCT
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(7. Fortsetzung) j
»Das hat er sich wohl nicht fo recht g
kiar gemacht,« entgegnete der Vater. i
»Wir spitzen Alle, daß wir sterben
müssen, a r es glaubt Keiner so recht
daran. Dann fürchtete er auch, die
Saniiätsriithin würde der Tochter die
Annahme der Erbschaft nicht gestattet-»
und ferner wollte er sie vor den Gehiif
sigkeiten nnd Verfolgungen bewahren,
die er seitens seiner Angehörigen fiir
sie voraussah7 er hiett es daher fiir ge
rathen, mich vorzuschieben.«
»Und Dir alle die Gehäfsigkeiten
und Verfolgungen zu,zuziehen, deren
Beute Du jetzt geworden bif !« sprach
Willibald unmuthig.
»Wäre Ahrweiler eines natüriichen
Todes gestorben, so hätten sie mich
wenig anfechten sollen, ich würde schon
mit den Frauenzimmern fertig gewor
den sein. Wer konnte ahnen, daß die
Sache sich so arg verwickeln würde; ich
glaubte überhaupt nicht, daß ich Ahi
weiler überleben werde,« entgegnete
Dornedden, »und so willigte ich ein,der
Erbe zu heißen ?'«
»Und er hat Dir gar nichts der
macht-s«
»Er hielt mich fiir einen sehr reichen
Mann und hoffte überdies-, das Seid
würde auf einem Umweg an Dich kom
ryenx Du weißt, was damit gemeint
it.«
Willibald’s Gesicht rötheke sich; cr
winkte mit der Hand. »Weiter, Vater-,
weiter.« .
»Ich habe Ahrroeiler einen Eid ge
leistet, nach seinem Tode Jofefine
Leonhard und ihrer Mutter die Mil
lionen zufließen zu lassen, ohne dan
fie wissen, von wannen sie kommen-«
»Wie hättest Du das ausführen sol
len?« fragte Willibald.
»Das weiß ich noch nicht; aber es
würde sich haben bewerkstelligen laffen
Und wird zu machen sein, wenn ich in
den Besitz des Geldes gelangen sollte.
Der Gedanke hat mir aber keine Ruhe
gelassen, Du könntest das Geld für
unser Eigenthum halten und —«
»Du weißt, Vater, daß die Aussch
lung nicht eher erfolgt, bis die Unter
suchung zu Ende ift,« unterbrach ihn
Willibald, »selbfi Ahrweiler’s Ver
nåcTndte erhalten ihren Antheil nicht
e r."
»Du darfft aber damit auch nicht
rechnen, versprich mir das; der Ge
danke quält mich fehr.«
»Ich verspreche es Dir,« sagte Wil
libaid etwas zögernd und legte seine
Hand in die ausgestreckte des Vaters-»
»Aber hasi Du dem —«
Ein Klopfen an derThiir schnitt ihr-n
die Rede ab.
Der Gefängnißwärter trat ein und
erklärte, die für die Unterredung be
willigte Zeit sei bereits überschritten
Willibald mußte sich von seinem Va
ter oerabschieden, ohne auch nur die
Frage, die er auf den Lippen gehabt,
an ihn gestellt zu haben.
9.
Der nächste Tag war ein Sonnth
ewesen, und Willibald Dorne von-ver
chon rnit dein Nachtzuge am Sonn
abend nach Landes-but hatte zurückehi
ren wollen, hatte sich entschlossen, in
Folge der Eröffnungen, die ihm der
Vater gemacht, seinen Aufenthalt in
Berlin zu verlängern. Er sandte sei
ner Mutter ein Telegrarnm daß er erst
am Montag oder Dienstag zuriickteif
ren würde.
»Es ift gut, daß wir unterbrochen
wurden,« sagte sich der junge Mann
während er das Gefängnis-, verkiefz un:
den Weg nach der Haltestelle der Pfu
debahn, die ihn nach Berlin zurück
bringen sollte, einschlug. »Hätte ich
ihn gefragt, ob er die Verabredung mit
Ahrweiler dem Untersuchung-richte:
mitgetheilt bat, so würde ich mir die
hände gebunden haben. Nach allem
was ich von ihm erfahren habe, hat er
es nicht gethan, und würde es mir in
seiner übertriebenen Pietät für den
todten Freund auch verboten haben.
Es ist nicht geschehen und ich darf die
Sache ausnutzen. Der Umstand spricht
so sehr zu seinen Gunsten, daß es eine
Art Setbstrnord wäre, falls er es nicht
zu seiner Bertheidiguno anführen
wollte. " ch will den von ihm begange
nen gib at machen."
A ou tu Willibald lebte viel
M der Rücksicht und Peinlichteit, die
ex M seinem Vater kennen gelernt hat
te; ei tränkte ihn doch nicht recht, daß
Tau Seen-hart- un dibre Tochter erst
tch seine Erklärung vor Gericht die
Nachricht erhalten und durch gehäsfige
Ungriffe der Verwandten des Grobs
s unliebsam überrascht werden soll
So tte er denn seine Schritte
mä der ettelbeckstraße gelenkt, und
m Stück war ihm günstig ewesen.
It hatte dievom Neuen See ein-steh
resse efine vor der Thüre des von
ihr bewo nten Hauses getroffen und
die Erlaubniß erhalten, sie und ihre
Met- mseondern Tassge zu besuchen.
IN Ist FIsstkIWUheeM-chächtniß
che neu IsgustsssBictoriapla « war
U Wegettesdienst " r;
f
unter den Klängen der Orgel strömten
die recht zahlreichen Kirchenbesucher
in’s Frere und zerstreuten sich nach al
len Seiten.
. Frau Sanitätsrath Leonhard und
ihre Tochter waren ebenfalls in der
Kirche gewesen und schickten sich an,den
nicht allzu weiten Weg nach ihrer
Wohnung zurückzulegen Josefine
schlug dabei eine so schnelle Gangart
an, daß die Mutter sie verwundert
fragte, weshalb sie denn so eile; das
Mittagessen werde ja durch das Mäd
chen ganz ordentlich besorgt, und das
Gehen in dem hellen Srnnenfchein des
schdncn, tlaren Wintertages sei doch
ein Vergnügen
Das von der frischen, kalten Luft
geröthete Gesicht des jungen Mädchens »
ward wie mit Blut übergossen, wäh- I
rend sie ihre Schritte mäßigte und sich l
bei der Mutter wegen ihrer unbedach- I
ten Eile entschuldigte Nicht um die i
Welt hätte sie eingestehrn mögen, daß i
der Gedanke sie vorwärts-E getrieben l
habe, Willibald Dornedden könne wäh- l
rend ihrer Llwesenheit vorgesprochen l
und ohne sie angetroffen zu haben,wie- 4
der fortgegangen sein. Zu Hause an- ·
gelangt, war ihre erste Frage, ob Je- s
wand dagewesen sei; als dies durch i
das Mädchen verneint ward, athmetr
«ie erleichtert auf, brachæ ihren Anzug
vor dem Spiegel in ihrem Zimmer mit
besonderer Sorgfalt zurecht und ord
nete dann in der sehr faubzren, behag
lich erwärmten Wohnung allerlei, um
die innere Unruhe zu verbergen.
Der still und fein beobachten-den
Mutter entging derSeelenzufiaud ihres
Kindes doch nicht, und bange Seufzer
hoben ihre Brust. Welche Stürme schie
nen da wieder amHimrnel ihres s einver
gepriiften Lebens heraufzuziehen!
Josefine’s Geduld wurde auf keine
allzu harie Probe gestellt. Noch war
keine hale Stunde nach ihrer Rückkehr
aus der Kirche Ver-flossen da ertönte
draußen die Glocke. Der Hund schlug
an, und das Mädchen öffnete di:
Thür. Wenige Minuten später meldete
es Herrn Willibald Dornedden, und
begleitet von dein Hunde, der mit lau
tem, freudigem Bellen an ihm in die
Hiihe sprang, trat der junge Mann ins
Zimmer.
»Scheck kennt Sie noch, und Sie sind
doch seitJahren nicht bei uns gewesen!«
rief Josefine ihm entgegen.
Sich vor den Damen verbeugend, er
widerte Willibald: »Das gute Thier
hat ein vortreffliches Gedächtniß, ich
würde sehr glücklich sein, wenn ein sol
ches mir auch von meinen Ferrinnen
bewahrt worden wäre.« Er atte alle
Ursache, dem Hunde dankbar zu fein,
der ihm durch seine Begrüßung über
die Verlegenheit hinweggeholfen hatte,
sich bei den Damn eeinzuiühren und
sofort zu erklären, was ihn veranlaßt
Futte, sie nach fo langer Zeit aufzu
ruhen
Jetzt war das Eis gebrochen. Frau
Leonhard hieß ihn zwar zuriiahab
tend. aber nicht unfreundlich willkom
men, und Josesine begegnete ihm wie
einem guten alten Beiannten,den man
mit aufrichtiger Freude «wiedersieht.
Der Hund ward zur Ruhe gebracht
und dein Gast ein Platz in einemSef
sel, den beiden Damen gegenüber, an
HLÄUICIIJL
Dank der Gewandtheit der Sani- i
ifjtåräthin war die Unterhaltung bald
in vollem Gange; sie «liei; Willibald
Den seiner Mutter. von seinenSchwe- l
siern, von seiner Thätigteit inLandeSs z
hut erzählen, aber sie vermied, wie er J
sehr bald bemerkte, absichtlich, jede
Erwähnung seines Vaters und der
Ereignis-te welche dessen Verhastung
herbeingührt hatten. Willibald sann
darüber nach, wie er aus den eigentli
chen Zweck seines Besuches überlenten
könne, als ihm Jasefine, die dem Ge
spräch jetzt ziemlich schwpeiasam zuge
hört hatte, durch die Frage zu Hilfe
kam: »Und wie geht es Ihrem armen
Vater? Sie sagten mir gestern, Sie
hätten ihn gesehen.'«
» »Ja, ich war bei ihm, man hatte
) ihm eine Unterredung mit mir gestat
’ tet,« antwortete Willibald Und dankte
Josesine mit einem warmen Blick für
ihre Theilnahme.
Erröthend senkte das junge Mäd
chen die Augen; sie schaute indes-,
schnell wieder auf und Fuhr tapfer
fort: »Erziihlen Sie uns bitte von
ihm; wir nehmen den innigsten An
theil an feinem Geschick
»Und glauben an seine Schuldlosig
teit?« fragte Willibald bald schnell.
Jasesine gab diese Versicherung in
lebhaften deredter Weise, ihre Mutter
that-es einsilbig und kühl.
Willibald merkte wohl, die Ant
wort der Sanitiitöriithin sei ihr mehr
durch die Höflichkeit, als durch die
Ueberzeugmig eingegebem nnd er
· empfand ein tiefes Weh; aber et muß
te durch, und so gab er sich den An
schein, befriedigt zu sein und sagte:
»Die hoffnung, daß Sie mir beistes
gez Steg-tm säine Shikldhlosigteit an
— i zu ringen, ii rt mich zu
Jhnen.«
W
f »Wir-P riefen Mutter nnd Tochter
L gleichzeitig; «n)ie könnten wir dass«
! »Gesiatten Sie mir, es Jhnen zu er
klären,« antwortete Willibald und
wiederholte nun dieMittheilungen fei
nes Vaters-, wobei et es sich angelegen
fein ließ, möglichst alles Zu vermeiden,
wodurch die Sanitätzriithin verlest
werden konnte.
Die ulteDame war doch tief erschüt
tert, und sie rief mit einer Art von
Entsetzen: »Meiner· Jofefine at er
feinen Reichthuin befrimkntt? , das
nåarvein bettagenswerther Einfall von
i,tn.'«
Willibald mußte unwillkürlich lö
cheln. »Es dürfte nicht viel Perfvnen
qebenK, die das so bezeichnen wür
den.« sagte er.
»Und er hat Ihren Vater vorgefchvg ;
ben!« klagte Jofefinr. LWäre Herr .
Dornedden nicht im Testament zum I
Universalerben ernannt —«
»So würde ihn Niemand des Mor
des angetlagt haben, trotz der räthsei- i
haften Photographie!« fiel Willibald
ein.
»Auf die man mir viel zu viel Ge
wicht zu legen fcheint.« sagte die Sa
nitätsäräthin Warum hat denn Jhr
Vater den Untersuchungsrichter nicht
mit dem wahren Sachverhalt bekannt
gemacht?«
»Weil er feinem Freunde das Wort
gegeben hat, ihn gehim zu halten
und Fräulein Jofefine unter irgend
einem Verwande in den Besitz des
Geldes zu fetzen.'«
»Den wir doch bald durchlchaut ha
ben würden,« tagte Frau Levnhard
Und drückte dass- Tafchentuch an die
Augen; mit festeter Stimme fügte fie.
hinzu: »Es kann natürlich nicht dir
Rede davon fein, daf; Jofefine das
Geld annimmt, ich würde nie meine
Zustimmung dazu geben«
»Da-E- hat Herr Abweier auch wohl
aefiirchtet,« entgegnete Willibald,
»und deshalb —«
««- - -. - —
»Uc1), ULIUM Hans-Eil kö TO JU
nächst gar nicht,« unterbrach ihn Jo
rfine. »Mag nachher mit dein Gelde
soc-den, was will, das ist Nebensache.
etcr allen Dingen mus-, der Unter
suchungs-rinnen muß alle Welt ex
faliren, dfo Herr Karl Dornedden
niTxt der Erbe der Millionen ist!«
»Sie toiirden gestatten-, daß ich das
bekannt werden ließe?« fragte Milli
:-:—.ld: »e·3 dürfte Ihnen viel Unan
nkhmiichteiten zuqiehen.«
,,Atsrweiler’5 Schwestern werden
uns den Neuem mit ihrem Hof-, der
folgen!« seufzte die Sanitätsriithin.
Ho
,
tzosefine aber erwiderte: »Es-Kissen
sie thxsn und sagen was sie wollen. Sie
können unH doch nicht des Morde-? be
ichuldizezem können uns nicht ins Ge
fängnis-, sperren, wie es dem armen
Herrn Dorneoden geschehen ist. Und
er ha« geschwiegen?'·
Willidaid, an den die Frage gerich
tet war. antwortete durch ein stum
mes Neigen des Kopfes.
Josefine fuhr sori: »Das ist eine
siaunenstverthe Selbftausopferung,
aber wir dürfen das nicht zugeben
Nicht einen Tag länger soll der sel
tene Mann im Gefängniß schmachten,
sofern ich es hindern kann. Eilen
Sie, machen Sie bekannt, was schon
tanae nicht mehr hätte Geheimniß
bleiben sollen!« Sie war von ihrem
Stuhl aufgeforungen und hatte beide
Hände Willibald’5 ergriffen. Ein
schönes Feuer durchglühte fie, strahlte
aus ihren Augen und gab sich in ihrer
Rede, in ihren Fegungen kund.
Das sonst nur tibsche Mädchen war
in diesem Augenblick schön. Willibald
betrachtete sie mit Bewunderung- »Ich
war hergekommen, utn Sie um die Er
laubniß der Veröffentlichung zu bit
ten,'« sagte er. »Ihr Entge mlommen
rührt mich tief und verpf ichtet mich
zur innigsten Dankbarteit, aber was
sagen Sie, gnädige Frau2« wandte er
sich an Jofefines Mu:ter. ,
Die Sanitiitsräthin antwortete erst ’
nach ein paar Minuten, und als sie es
that, klang ihre Stimme schrill und ge
preßt, als ob sie einen recht schweren
Entschlufß abgerungen habe: »Ich lann
und dar es nicht verhindern. Thun
Sie, was Jhnen zum eil fiir Jhren
« Vater dünkt und rn" e ott Ihnen Er
folg verleihen.« « ie erhob sich bei
diesen Worten und reichte Willibald
die Hand, die dieser, der vorher schon
ausgestanden war, an seine Lippen
drückte.
Der junge Mann nahm es als ein
Zeichen der Entlassung und empfahl
sich» Frau Leonhard hielt ihn nicht zu
rück und ihre Tochter trieb ihn sogar
zur Eile.
»Geh-m Sie! Gehen Sie!« bat Jo
sefine in ihrer lebhaften Weise, »stel
leicht können Sie ute noch den Un
tersuchungsrichter brechen und Ihren
Vater befreien.«
»So schnell wird es nicht gehen,«
sagte er lächelnd, ihre kleine hand in
der seinigen haltend, »aber ich bin Ih
nen so unsiiglirh dankbar.«
«Gehen Sie,« wiederholte sie; leise
und vers «rnt fügte sie hinzu: »Und
kommen ie bald wieder; toir müssen
doch erfahren,- was Sie aus erichtet
aben.« Sie warf einen sehe-wen
lick auf die Mutter.
Davon bezwungen, halb Segen ihren
Willen, stimmte die Sau tatsritthin
bei-. »Ja, kommen Sie bald wiederk«
»O, Kind, Kind, was ha Du aus
mir emacht!« rief die alte me, als
osefina die den Gast hinausgeleitet
tie, wieder in’ Zimmer etreten war,
,,i habe Dorneddenb Ihn ausge
for ert, wieder zu uns zu tomntenl
«Dornedden und Wrllibaid sind edle
——
Menschen, wir sind tn schwerer Schuld s
gegen sie,« ent egnete Josefine. »
Und Du di entschlossen sie gut zu ;
machen?" T
Mutter und Tochier sahen sich ties ’
in die Augen.
Aus Josesinens hübschen-. Gesicht
chen wechselten Röthe und Biässe, aber
mit sesterStimme antwortete sie: »Das
will ich, so viel an mir ist!« Sie wars
sich der Mutter in die Arme und eilte
schnell aus dem Zimmer. Beide hatten
sich sehr wohl verstanden.
Sobald die Sanitätsrä:hin sich al
lein sah, eilte sie an ihren Schreidtisch,
schloß ein Fach aus, nahm ein Etui
heraus und ließ es Mist-ringen Es
enthielt in einem einsachen schwarzen
Rahmen das Jugendportrait der ver
storbenen Ahrweilerx sie schaute es an,
und Thräne aus Thräne rollte ihre
schmalen Wangen hinab: »Du wirst
Deinen Willen doch bekommen, wenn
nicht durch mich, so durch mein Kind,
das den liebt, den Du ihr bestimmt
hast! Meine Tochter soll aber nicht zu
Grunde gehen, sie soll glücklich werden
und glücklich machen!«
Drllidald Dornedden hatte in sebr
gehobener Stimmung die Leonhard’
sche Wohnung verlassen. Josesrne’g
Bild begleitete ihn in zauberhastcr
Schöne und Lieblichkeit Hatt-e ee hig
dahin an Eharlotte Kunze doch noch
mit einem stillen Kummer gedacht,
so war ihre Gestalt jetzt völlig ausge
löscht durch die der Anderen. Und
an diesem Mädchen, das Ahrioeiler
fEr ihn bestimmt hatte, war er achtlos
vorübergegangeni
Josesine hatte sich freilich erst wäh
rend der Zeit, wo Willibald nicht mit
ihr in Berührung gekommen war, so
reizdoll entwickelt, und jetzt, wo «in
feinem Herzen durch und siir sie die
Knospe wahrer Liebe ansgesprungen
war wenig Hoffnug vorhanden, daß
sie je die Seinige werden könne! Mit
Schreck und Vorwurf ward er inne,
Zaii er die Wirtlichteit vergessen und
selig geträumt hatte. Er durfte jetzt
an«nichts anderes mehr denten. ais
an seinen Vater und dessen Geschick.
Trotz des Sonntags suchte der
junge Mann den Rechtsanwalt aus,
fand ihn zu Hause und theilte ihm
mit, was :r von seinem Vater ersah
ren hatte, daran die hofnung knü
pfend, daß dieser Umstand einen be
deutsamen Umschwung zu dessen Gun
sten herbeiführen werde.
Zu Willibalds unliebsamer Ueber
raschung stellte der Rechtsanwalt, der
ihm aufmerksam zugehört hatte, in
recht tühlem Tone die Frage: »Und
welche Beweise haben Sie dafür, daß
die Dinge sich so verhalten, wie Sie sie
mir soeben dargestellt haben?«
»Beweise!" wiederholte Willibald
unmuthig aushlietend, ,,wie kann man
dasstiir Beweise beibringen. Es ist
eine geheime Abmachung zwischen
meinem Vater und Ahrweiler, iiher
die sie selbstverständlich nichts Schrift
liches ausgesetzt haben und —«
»An der ich nicht im Mindesten
zweiile,« siel der Rechtsanwalt ein,
»der Untersuchungs-richtet lann und
wird ihr aber wenig Glauben beimes
sen. Er wird sagen, diese Abmachung
sei nachträglich erfunden, um den Be
schuldieåten zu entlasten.«
»O, as wäre furchtbar!« ries Milli
bald; wäre das so, dann würde mein
Vater Doch schon lange damit hervor
gekommen sein, sie nicht mir allein
unter dem Sich-L der Verschwiegenheit
anvertraut ha .«
»Vielleicht sieht der Untersuchungs
richter darin nur einen geschickten
Schachzug,« erwiderte der Jurist.
·Jch werde ihm die Sache vortra
gen, sagte Willihald, der sich- durch des s
Rechtsanwalts Bemerkungen gegen ihn i
verstimmt siihltr. !
F
»Ich mag Sie daran nicht hindern
und bitte Sie, mir Nachricht über den
Erfolg zu geben,« war die Antwort,
und die Herren trennten sich lühler und
gemessener, als dies bei früheren Zu
samentiinsten der Fall gewesen war.
Von seiner Unruhe getrieben, begab
sich Willibald von dem Nechtsanwalt
zum Amtsrichter Kilian in Charlot
tenburg, der ihn auf die Meldung, er
bringe wichtige Mittheilungen in der
Ahrweiler’schen Sache, in seiner Pri
vatwohnung empfing, ihm aber nur be
stätigte, was der Anwalt ihm gesagt
Der Amtsrichter hörte den Bericht
des jungen Dornedden mit Aufmerk
samleit und Interesse an, hatte sogar
die höflichleit, ihm zu antworten, als
Mensch sei er nicht abgeneigt, den An
gaben Glauben zu schenten, als Richter
tönne et aber tein Gewicht darauf le
gen, da sie von teinem greifbaren Be
weise unterstüht würden
Tief niedergeschlagen verließ Milli
bald den Amtsrichter und trat noch an
demselben Abend die Nüdreise nach
Landeöhut an, wo er seiner Mutter
ausführlich vom Verlaufe seines Auf
enthaltes m Berlin erzählte. »Die
Reise ist leider ganz vergeblich gewe
sen!« fügte er seufzend hinzu.
»Doch nicht !«« entge nete Frau Dor
nedden mit ihrem ? önen Lächeln.
»Du hast den Vater ge ehen, hast ihm
Nachricht von uns gebracht und bringst
uns Nachricht von ihm und hast endlich
erfahren, was das räthselhaste Te ta
menr des Verstorbenen zu bedeuten t.
Wollen die Muristen davon nichts wis
sen, so ist l r uns doch viel ewonnen.
Und erachtest Du die iederan
tniipsung de rBeziehungen zu Leon
hards nicht für einen Gewinn ?'« fragte
te mit liebenswürdi er Schelmerei
und strich mit ihren i hlen, schlanten
Fingern dem Sohn sanst über das er
glühende Gesicht.
«
Los ,
Der Mord in der Uhlanditraße hatte
eine recht seltsame Freundschaft zuwege
ebracht. Der Criminalrommisfar
iiseler prach häufig in der Woh
nung des ortiers Löhne vor und lud
auch das Ehepaar, das sich dadurch in
hohem Grage gefchmeichelt fühlte, von
Zeit zu Zeit ein. in einem Restaurant
seine Gäste zu sein. Sohn und Tochter
waren in diese Einladung stets mit in
begriffen, aber nur Marie machte da
von Gebrauch. "
Wilhelm wußte solche Einladungen
immer unter irgend einem Vorwonde
abzulehnen und machte gegen seine El
tern kein Hehl daraus, daß er sich von
Müseler nicht freihalten lassen möge,
und daß es ihm auch nicht passend er
scheine, daß sie es lhiiten. Er hatte
weDer bei ihnen noch bei der Schwester
ein Verständnis; für seine Auffassung
gefunden. Alle drei hatten ihrn im
Gegentheil Vorwürfe gemacht, dafz er
ihnen das Vergnügen« mit einem Herrn
wie der Criminalcommissiir auszuge
hen und auf seine Kosten zu zehren,
mißgönne, zumal es ihnen jetzt, wo die
Einnahmen bei Ahrweiler weggefallen,
nicht möglich fei, dies aus eigenen Mit
teln zu thun. Es blieb ihm in Folge
dessen nichts übrig, als denDingen ih
ren Laus zu lassen.
An Wilhelm-; Stelle fand sich dage
gen ein anderer Theilnehmer an den
durch Müseler veranstalteten Ber
gniigungspartien ein. Es war dies ein
Junger Bursche von ungefähr zwanzig
Jahren, mit gelbem, siidländischem
Teint, scharf «eschnittenen und trotz
feiner Jugend schon berichten-Zügen,
schwarzen, fast unheimlich brennenden
Augen und tieffchtvarzem Haar-, das- er
in langcn, wallenden Locken trug. Auch
sein Anzug, der Sammetrocl, die
bunte Craoatie, in der ein großer
Stein suntelte, der breite Schlapphut
hatten etwas Fremdartiges, und nicht
zum Wenigsten war dies mit dem Na
men der Fall.
Dieser Jüngling, denMarie in einem
Tanzlriinzchen iennicn gelernt und bei
den Eltern eingeführt hatte, nannte
sich Alfonso da Fonseca, und gab an, er
entstamme einer alten, sehr vorneh
men portugiesischen Familie; seine
Großeltcrn wären aber nach Brasilien
ausgewandert und hätten dort große
Besitzungen erworben, die jetzt von sei
nen Eltern beloirthschaftet würden. Er
sei ihr einziger Sohn und Erbe, die
Liebe zur Kunst habe ihn aber nach
Europa getrieben. Er wolle sich in
Deutschland, Frankreich, Italien in der
Musik auebilden und als vollendeter
Künstler nach Amerika zurückkehren
Es sei indesz auch nicht ausgeschlossen,
fügte er hinzu, dasz er dauernd in
Deutschland bliebe, wo es ihm sehr
gut.gefalle, und daß seine Eltern ihm
dahin folgen würden.
Köhnes laubten feinen Erzählun
gen auf’s ort und wünschten lebhaft,
er- möge in Deutschland bleiben, denn
sie sahen in ihm ihren tünftigen, vor
nehmen und reichen Schwiegerfohn
und hätten Marie nicht gern mit über
das Meer ziehen lassen.
Müseler bestärtte das Ehepaar in
dieser Auffassung und le te für den
jungen Mann eine große orliebe an
den Tag.
Wilhelm war aber auch hier anderer
Ansicht; er nannte Fonseca einenWind
beutel und Abenteurer, warnte die El
tern und die Schwester vor dem Ver
tehr mit ihm und hatte alle Drei gegen
sich—
Die Verhältnisse im Hause singen
an, sich für den jun en Mann recht un
erquicklich zu esta ten, und leise ftie
in ihm der edanle auf. ob er si
nicht eine eigene Wohnung miethen
solle, wozu sein reichlicher Verdienst
ihrs mehr als ausreichend die Mittel
an · . , -
An demselbenSonntaa, an dem Wil- s
libald Dornedden seinen Befuch bei der
Frau Sanitiitsrath Leonhard und de
ren Tochter emacht, hatte Miifeler die
Familie Kögne mit Einfchlusz Wil
elms und Alfonfo da Fonfecaåt wie- ;
der eingeladen. Letzterer hatte mit :
überfchwiinglichen Dankesworten an
genommen, Erfterer wieder ziemlich
kühl abgelehnt.
Miifeler hatte fich aber durch die
Weierung des jun en Mannes nicht
abf realen lassen, ändern in feinem
gemiithlichen Ton gesagt: »Sie sollten
uns diemal nicht verschmähen, Herr
Löhne. Wir gehen in’«5 Alexander
plaH-Theater, wo höchft interessante
Specialitäten zu sehen find. Vorher
trinken wir ein Glas Bier bei Büchfel
in der Königftrafzq Sie finden unH
dort bis gegen siebenUhr, wenn Sie sich
vielleicht doch noch eines Besseren be
sinnen und mittommen wollen.«
Eine gefällige Nachbarin hatte für
die Nachmittags-« und Abendftunden
des Sonntags die Beaufsichtigung des
Hauses in der Uhlandftrufze übernom
men, und der Eriminalcommissiir
war mit dem Ehepaar Löhne und Ma
rie mit derPferdebahn in das Centrum
der Stadt gefagxen und zunächst in
das Wilhelm zeichnete Reftaurant
gegangen, wo man bei Bier, Koffee
und Kuchen Alfonfo da Fonfecas An
tunft erwarten wollte.
Während der Criminalcommisfiir
mit dem eine Eigarre nach der anderen
rauchenden Löhne eifrig plauderte und
dessen schnell geleertes Seidel immer
von Neuem füllen ließ, behielt er die
Eingangsthiir fcharf im Au e und
muf erte jeden Eintretend n. s war
dies eine mit feinem Beruf zufammen
Zöngende Gewohnheit, er hatte aber
eute noch einen befonderen Grund da
iir. Der Brasilianer blieb lange aus,
und es war ihm darum zu thun, daß
ertihn und Lohnes in’s Theater beglei
te e.
H
Endlich erschien der nicht nur oon
Miiseler, sondern auch von Marie
sehnlich Erwartetr. Mit dem breit
tremptgen Hut, den er vom Kopf ge
nommen hatte, schon von weitern grü
ßend. ba nte er sich durch die dicht ge
drängte en e einen Weg bis zum
Köhne’schen isch und erregte durch
fein gelbbraunez Gesicht, feine bunjs
Kleidung und sein ausfasendes Beneh
men allgemeine Aufmerksamkeit »Ver
?eihung, daß ich habe aus mich warten
assen,« sagte er so laut, daß es an dem
zunächst stehenden Tische gehört wer
den tonnte, mit seiner fremdartigen
Betonung und in nicht fehlergeiein
entsch; »aber die musikalische ati
nee bei unserem Gesandten, bei der ich
nun einmal nicht fehlen durfte, hat
lange gedauert; dann mußte ich mit
ein paar Herren, die ich dort getrof
sen, bei Dressel dinikenx es hat große
Mühe gekostet, mich von ihnen los zu
machen.«
»Da ist es ja höchst anertcnnens
werth, daß Sie Ihren Weg aus den
vornehmen Regionen doch noch nach der
Königstadt gefunden haben, Don At
fcnso!« sagte Müfeler mit ganz feinem
Spott, den indeß seine Gäste nicht
mertten.
»Ich habe mein Wort gegeben und
das ist mir heilig!« rief Alfonso und
schlug mit der Hand auf die Brust, sich
gegen Marie verneigend, fügte er ein
wenig teifcr hinzu: »Und wo könnte
ich lieber· sein«-Es
sa-« - ·-.- -
« qu junge Arm-wen cllolqele svt
Vergnügen
Frau Löhne schmunzelte und machte
dem Brasitianer Platz,·so daß er sich
zwischen sie und Marie setzen könnte.
Alsonso stürzte schnell ein Glas Bier
hinunter, das der Kellner inzwischen
aus Müseter’s Wink herbeiaebracht
hatte, und erzählte dann mit lauter
Stimme von der vornehmen Gesell
schaft, in der er gewesen war, beschrieb
die tausenden Toiletten der Damen
und schaute sich selbstgefällig um« ob
er auch vcn den ansitzenden gehört
wurde.
Der Wortschwall des jungen Man
nes ward durch einen lauten Ausruf
des alten Köhne Unterbrochem »Mut
ter, Marie! Seht doch einmal dorthin,
ist das nicht unser Wilhelm?« Er
wies mit der Cigarre in der Richtung
nach der Thür, wo die stattliche Er
scheinung des jungen Maschinenbau
ers aufgetaucht war.
Die Blicke der kleinen Gesellschaft
zeugten der bezeichneten Richtung, und
rau Köhne sagte: ,,Wahrhastig, unser
Wilhelm! Na, das lobe ich mir, end
lich hat er doch ein Einsehen!«' Still
schweigend fügte sie hinzu: »Nun wird
ja woh Alles wieder in’s rechte Geleite
tornmen.«'
Inzwischen war Müseler dem neuen
Ankömmling entgegengegangen und
sra te, während er ihm die Hand
rei te, halblaut: »Was giebt es, Herr
Löhne? Sie kommen nicht, um mit uns
in’s Speeialitiitentheater zu gehen, das
sehe ich Jhnen an.«
»Ich werde aber doch mitgehen, weil
ich Sie allein sprechen muß, Verr Com
missiir; ich glaube, ich habe eine recht
wichtige Entdeckung emacht.«
»Ja der Ahrweilerschen Sachet«
sragte Miiseler schnell und siigte hin
zu, als Wilhehm zustimmend nickte:
»Lassen Sie die Ihrigen und den Süd
ameritaner nichts davon merken. Wir
sagen, wir hätten schon gestan heim
lich miteinander verabredet, daxz Sie
kommen. um ihnen eine Ueberra chuna
zu bereiten-«
»Thun Sie, was Sie für angemes
sen halten," erwiderte Wilhelm.
Beide traten an den Tisch, und Mii
seler fragte händereibend: »Na, meine
Herrschaften, was sagen Sie? Haben
wir Sie nicht sein überrascht? here
Köhne hat mir schon gestern verspro
chen, hier mit uns zusammenzutrefsen,
und nun bleibt er den Abend iiber bei
uns-" »He Kellnerl" rief er dann und
bestellte Bier.
Wilhelm nahm neben seiner Mutter
Platz, die sich vor Freude gar nicht zu
fassen wußte, während Marie und da
Fonseca nicht gerade sehr angenehm
durch sein Erscheinen berührt schienen.
Als das Bier gebracht ward, bezahlte
er schnell und mit einer recht entschie
denen Bewegtan aegen Müseler, der
» es lächelnd und mit Achselzuoten ge
schehen ließ.
Jrn Gegensatz zu seinem Vater und
Alsonso, die ein Glas Bier nach dem
anderen hinunterstiirzten, trant Wil
helm sehe langsam, tauchte auch nicht
und schien sich in dem von Tal-als
aualm und Bierdunft erfüllten, mit
Menschen vollgepfropften Raum recht
unbehaglich zu fühlen; leise richtete er
an den Commissiir die Fraue, ob es
nicht bald Zeit sei, das Lokal zu ver
offen.
Müseler zog seine Uhr, nictte, stand
auf und gab das Zeichen zum Auf-«
bruch. Der alte Köhne und Alsonso
tranten schnell ihre Gläser leer, Frau
Köhne packte den übrig gebliebenen Ku
chen in den vorsorglich mitgebrachten
Beutel und die Gesellschaft machte sich
auf den Wea nach dem naheliegenden
Theater.
Die Vorstellung hatte oeben begon
nen. Zwei mustutöse trobaten in
Trilot und schwarzer, flittergestickter
Betleidung balancirten Gemächte von
mehreren hundert Kiloaramm auf
der Nase, spielten mit Kanonentugeln
Fangeball und schließlich hielt der
Eine auf seiner ausgestrecktenhand den
Andern.
(FleFj-ngglgt-)
Nur wenige wissen, wie viel man
wissen muß, um zu wissen, daß man
- nichts weiß.