Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, June 21, 1901, Sonntags-Blatt, Image 16

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    (6. Fortsehnng.)
»Aber wie konnte er!« rief Josefine
empört ausfahrend. »Was hatte man
zwischen Euch gebracht?« ·
Frau Leonhard ergriff die Hand ih
rer Tochter und agte, die Augen nie
derschlagend: »- eh habe unterlassen,
Dir Eines mitzutheilen, es wird mir
noch heute schwer, es auszusprechen:
Kurt war ein schwacher Charakter und
Einflüsserungen zugänglich. So lan
ge er hier in Berlin war und im Ver
kehr mit mir stand, ward er aufrecht
gehalten durch meine Willen-straft in
London aewannen die Brief-: der
Schwestern wieder Macht über ihn.
Sie schilderten ihm ihre und der EI
tern Sehnsucht nach ihm nnd sie mögen
ihrn meinen Charakter nicht in den ro
sigsten Farben gemalt haben. Er hat
mich sehr geliebt und lange widerstan
den. Aber steter Tropfen höhlt den
Stein. Arnalie und Fanny sind end
lich selbst nach London gereist und ha
ben ihm die Beweise gebracht, daß ich
ihn schmählich hintergangen, daß ich
ein Liebesverhältniß mit einem Leut
nant habe und ihn nur heirathen wolle,
um gut versorgt zu sein.«
»Und das hat er geglaubt!« sagte
Josefine, entsetzt die Hände zusammen
schlaaend, ,,daraushin konnte er Dich
ungehört berdammen!«
»Er hat ihnen geglaubt, ich sagte
Dir schon, er war ein Augenblicks
mensch, und sie müssen ihm recht über
zeugende Beweise vorgelegt haben:
wie sie sich die verschafft haben, ist ihr
Geheimniß geblieben. Genug, es ist
ihnen gelungen, uns von einander zu
reißen; was ihnen aber nicht glückte,
war, ihn wieder nach Berlin zurückzu
bringen und ihm dort eine oermögende
Braut auszuschwatzen. Er ging von
London nach Südamerita und ist dort
eine Reihe von Jahren aeblieben.«
»Arme, liebe Mutter-Z« sliisterte Jo
sesine und drückte die Hand der Sani
tätsräthin an ihre Lippen, »und er
ließ nichts wieder von sich hören ?«
«Doch. Alles, was ich Dir erzählt
habe, weiß ich aus einem Briefe von
ihm; schon aus dem Schiffe ist ihm
klar geworden, daß er mir Unrecht ge
than, daß er bösen Einflüsterunaen
mir zu willig sein Ohr geliehen habe.
Er bat mich uin Bergebung.er beschwor
mich, mit dein nächsten Schiffe ihm zu
folgen-«
»Und Dus«
»Ich schrieb ihm, daß zwischen Uns
siir immer Alles aus sei und bat ihn,
keinen Brief mehr an mich zu richten,
da ich keinen wieder beantworten wür
de. Und dieses- Wort habe ich gehal
ten. Er hat noch öfter geschrieben, ich
habe seine Briefe uneröffnet zurückge
sandt, ich habe auch Dornedden. der in
seinem Auftrage mich aufsuchte und ei
ne Versöhnung stiften wollte, gebeten,
von seinen Bemühungen abzusteben.
Weil ich Kurt so grenzenlos geliebt ha
be, hat er mich so namenlos tief ver
W, ich konnte nichts wieder von ihm
hören, konnte seine Handschrift nicht
sehen!«
Sie schwieg ein paar Minuten und
blickte, den Kon in die Hand gestützt,
in die Flamme des Kamins.
Josesine wagte es nicht, die Mutter
ztkrsFortsehung der Erzählung aufzu
Das leise Knarren des Hundes, der
sich zwischen Mutter und Tochter aes
lagert hatte, merkte die alte Dame ans
ihrer Versuntenheit; sie strich dem
Thierchen mit der Hand liedkosend
über den Kopf und fuhr fort: »So ans
aenehm ich es im Hause meiner älteren
Freundin hatte, war meines Bteibenz
in Berlin doch nicht länger-, da der
Aufenthalt mir bekleidet war. Jch
nahm eine Stelle an der königlichen
Tiichterschule in Posen an und lernte
hier Deinen Vater kennen, den ich nach
kurzer Bekanntschaft geheirathet habe.«
»Du hattest Ahrweiler vergessen ?«
fragte Josefine zögernd.
»Nein!·' entgegnete Frau Leonhard
lebhaft und drückte die Hand auf das
herz. »Ich hatte ihn nicht vergessen
und nicht verschmerzt, wie ich das heute
noch nicht habe, aber ich beging kein
Unrecht gegen den edlen Mann, den ich
zum Altar Holgtex ich habe ihn nicht
getäuscht r war zwanzig Jahre äl
ter als ich und befand sich in eine
ähnlichen Lage. Als junaer Mann
hatte er eine heiß-geliebte Braut durch
den Tod verloren und maß sich, wohl
sehr mit Unrecht, einen Theil der
Schuld daran bei. Er war ein tüch
tigen chiiyter Arzt mit einer
großen un lehr eintkäglichen Praxis
und ein hoch ehrenhafter, liebenswür
diger Mann. Er sand, daß ickj Aehn
cåchleit mit feiner verstorbener Braut
habe nnd bot mir seine Hand. Da
habe ich ihm ander-tout, daß meinHerz
tm einer verrathenen Liebe tranle nnd
nicht genesen könne, baß ich ihm Ach
tung. Dankbarkeit Jeeu ndschaft,abe1
M Liebe In bieten habe. Er hat sich
k» Instit betzniigtz nnd wir haben ein«
Ue friedliche Ehe gefähkx der DU«
K W auch das Glu- gegeben
du «ft sie durch den Tod nui
F M W gelöst worden«
;
Die Au en von Mutter und Tochter
wandten ch nach dem Sopha, iiber
welchem das Porträt des Sanitiitsra
thes Leonhatd in einem breiten Gold
rahmen hing.
Die alte Dame fuhr fort: »Nach
Deines Vaters Tode hin ich mit Dir
wieder nach Berlin gezogen; ich weiß
nicht warum. vielleicht weil ich hier so
viel gelitten, war ich die Sehnsucht
danach nicht los geworden. Während
meiner Ehe hatte ich von den Ahrwei
lers nichts erfahren, Kurts Briese hat
ten gänzlich auf e ört. Jn Berlin
hörte ich nun, da annv und Amalie
sich verheirathet hatten und daß die Re
gierungsräthin bereits Wittwe sei. Die
alten Ahrweilers waren estorhen und
auch Bertha Jlgener, Beurts älteste
Schwester. Er selbst befand sich noch
immer in Brasilien, war dort deutscher
Konsul und sollte mit mport- und
Exportgeschiisten ein rieiges Vermö
gen erworben haben.
Karl Dornedden, der die Fabrit sei
nes Vaters in Landeshut übernom
men und sich dort verheirathet hatte,
suchte mich aus und tarn von da ab re
gelmäßig, wenn er in Berlin war, zu
mir."
»Ach, es war hübsch," unterbrach
Fosefine die Mutter, »e: wußte immer
o viel zu erzählen; er brachte mir
stets etwas Hitbsches mit! Und —-—«'
»Ich sah ihn auch gern; er war rnir
eine, wen auch schmerzliche Mahnung
an dieVergatigenheit, wenn ich ihn auch
öfter mahnen mußte, nicht zu viel von
Kurt Ahrweiler u reden, mit dem er
in Brieswechsel and. Zu einer Art
von Kampf zwischen uns kam es erst,
als er immer deutlicher mit der Absicht
hervortrat, die abgerissenen Fäden
zwischen mir und Kurt wieder anzu
lniipfen und noch eine Verbindung
zwischen uns zu Stande zu bringen.
Er schilderte mir seinen großen Reich
thum und fiigte hinzu, es bedürse nur
eines Wintes von mir, so wiirde start
nach Europa zurückkehren und mir Al:
les zu Füßen legen.'·
»Er at damit den verkehrten Weg
eingeschlagen,« sagte Josesine mit ei
nem wehmüthigen Lächeln. »Dein
einfacher Sinn verlangt nicht nach
Reichthum, wäre der Jugendgeliebte
arrn und elend zurückgekommen, Du
häteft Dich ihm vielleicht eher wieder
zugewendet.«
»Wie gut Du mich terinst, wie scharf
Du zu urtheilen verstehst,« nickte die
Santtätsriithin beisällig. »ich weiß
nicht« was ich gethan hätte, wäre es ge
wesen« wie Du anführst: jetzt aber
schreckte mich der Reichthum, und als
nun Kurt wirklich nach Deutschland
lam, als er sich hier ganz in meiner
Nähe ansiedelte —«
»Da wiesest Du alle seine Versuche,
Dir näher zu treten, mit Entschieden
heit zurück, da derschiossest Du sogar
Dornedden Deine Thür!« siel ihr Io
sesine in die Rede.
Erstaunt fragte die Mutter: »Was
weißt Du davon ?"
«Mehr als Du ahnst,« gestand Jo
sesine mit niedergeschlagenen Augen.
»Herr Ahrweiler suchte nicht nur eine
Annaherung an Dich; er wünschte auch
mich kennen zu lernen, und —- "
«Und?« fragte Frau Leonhard, da
Josefine stockte, ungeduldig, beinahe
" demg.
»Und ein Mal, ein einziges Mal
habe ich Dorneddeng Drangen nachge
geben und ihn zu Ahrweiler bealeitet,«
bekannte das junge Mädchen mit hoch
erglühenden Wangen.
Frau Leonhard schüttelte Unmuthig
den Kopf: »O, Josefine! Wie konntest
Du das thun?«
»Verzeih! Verzeih!« bat die Tochter
und zog der Mutter Hand trotz deren
Widerstreben an die Lippen. »Es ist
nur ein einziges Mal geschehen, ich
habe mich durch Herrn Dorneddens
Bitten nicht wieder dazu bestimmen
lassen. Die bei Ahrweiler herrschende
Pracht war mir unheimlich, und hätte
ich gewußt, was Du mir heute erzählt
hast, so würde ich es überhaupt nicht
gethan haben !«
»Man hat Dir nichts davon ge
sagt?«
»Nun Du wärest früher Ahrweilers
Braut ewesen, und widrige Schicksale
hätten uch getrennt.«
Frau Leonhard seufzte tief auf,
dann aber forschte sie doch sehr eifrig,
wie Ahrweiler ausgeschm, wie er sich
gegen Josefine benommen, was er zu
ihr gesa t habe.
Das Zunge Mädchen beschrieb den
bleichen, hageren Mann und erzählte,
daß er sie das Ebenbild der Mutter ge
nannt und wie ein Vater zu ihr gere
det habe.
»Und er hat Dir nichts an mich anf
getragen?« fragte die Sanitätsriithin
ges unt.
Fsefine schüttelte den Kopf. »Er
wir te «a durch Dornedden, daß ich
ohne Dein Vorwissen bei ihm war,«
antwortete sie, ,,er wollte mich beschen
ien, aber ich nahm nichts an und sagte
III-ach des ich nicht wiederkommen
i . Hätte ich nennst, daß es so
chnzk mit ihm zu Ende sehen würde«
s hatte ich i doch vielleicht gethan.«
J
«E3 ist besser so,« a te die Mutter
nachdenklich. «Seine ern sollen
ihn mit einem wahren S onirshstem
umgeben gaben. hätten sie herausge
bracht, da Du bei ihm gewesen warst.
so würden sie Lärm geschlagen und
Dich und mich der unlautersten Ab
sichten beschuldigt haben. Jch danke
Gott, daß er sich nicht hat beisallen
lassen, Dir in seinem Testament ein
Legat auszusehen."
»Und ich wundere mich, daß er ei
nicht gethan hatt« gestand Josefine
gan ehrlich. Er hat tn dem Gespräch
mit mir sogar so etwas angedeutet.«
»Es ist mir sehr lieb, daß er Run
terlassen hat, Du hättest es nicht an
nehmen diirsen!« ertlärte die Mutter
mit großer Bestimmtheit ,,?iitte er
Dornedden nicht zum Univer alerben
eingesetzt. dann lebte er vielleicht noch-"
»O Mutter. Du tannst nicht glau
ben, daß er der Mörder ist.'«
Frau Leonhard zuckte die Achseln:
»Es wird mir auch sehr schwer, daran
zu glauben; aber es spricht so viel ge
gen ihn: er ist doch der Universalerbe.«
«Willibald bestreitet das-X
»Gegen den Wortlaut des-Testa
mentsI Doch wo hast Du Willibald
gesehen?«
Heute Abend; hier vor derThiir, nur
ganz sliichtig,« antwortete osejinh
und wieder stieg ein verrät ri ches
Roth in ihre Wangen. »Er ist siir ein
paar Tage von Landeshut nach Berlin
gekommen, um sich nach dem Proceß zu
ertundigen; er hat seinen Vater spre
chen dürfen und meint —"
»Nun, was meint er?"
»Wir könnten zu dessen Entlastung
beitragen.'«
,,Wir?"« rief die Sanitätsräthin
und erhob sich in ihrer Verwunderung
vom Stuhl: «n)odurch?«
»Das möchte er uns morgen ausein
andersetzen: bist Du sehr böse, daß ich
ihm erlaubt habe, zu kommen?«
«Nein!« erwiderte die Samtster
thin, »das ist Menschenpflicht; ich
ahne zwar nicht, wie wir ihm nützen
tönnen, aber ich werde mich dem nicht
entziehen.«
8
Die hohe Caution, die Amtmann
Herzog und Fabritbesitzer Ber gotd
für die Haftentlaffung ihres S wie
gervaters angeboten hatten, tvar nicht
angenommen worden. Unverrichteter
Sache hat:en,sie nach Lande-hat und
von dort mit ihren Frauen und Kin
dern nach ihren Wohnorten zurückkeh
ren müssen.
Willibald trar den Verwandten
nach wenigen Tagen gefolgt; er hatte
feine Stellung ausgegeben, die Angele
genheiten des Vaters den Händen ei
nes ihm befreundten, noch jungen, aber
sehr tüchtigen Rechtsanwalts anver
traut und arbeitete nun im Verein mit
der Mutter unverdrossen, um Ord
nung in die sehr verwickelten Ver "tt
niffe zu bringen und das us or
nedden und Wan vor dern usannnen
bruch zu bewahren.
Die Bemühungen der beiden taufe
ren Mentchen schienen nicht erfolglos.
Das Capital, das die Schwäger iiir
die Caution hatten anwenden wollen,
ward ihnen als Darlehn egeden, meh
rere Gläubi er entschto en sich zur
Stundung isrer Forderungen; sie san
den auch anderwärts Beistand. Die
Nachricht von der großen Erbfchast
hatte den Credit des Hauses mächtig
gehoben, denn man erachtete die Aus
zahlung des Geldes nur siir eine Frage
der Zeit.
Unter -den Dorneddenfchen Ge
fchästsfreunden gab es nur ehr we
i e, die an die gegen den hef des
Hauses erhobene Beschuldi ung glaub
ten, allgemein war die ho ung, daß
deren Grundlofigteit sich bald heraus
stellen werde
Der Amtsrichter Kilian war ande
rer Meinung, fiir ihn war Dorneddens
Schuld unzweifelhaft, und ej bildete
fiir ihn eine Ausgabe von der höchsten
Wichtigkeit, sie ihm so nach utvetfen,
daß er in Antiagezustand ver-se t per
den konnte. Es waren aber ochen
vergangen, ohne daß die Untersuchung
erheblich fortgeschritten wäre.
Die Photographie, der stumme An
klagen war vorhanden, Kilian legte
ihr großeTYichtith dei; Andere waren
klllgcgcllgkicylc1 JchUIUllg.
Der Amte« erichtsdirectar hatte dem
Amte-richtet sogar eine Rüge ertheilt,
daß er auf einen so unzulänglichen
Beweis hin eine Verhastung vertilgt
hatte. Er hätte sie auch nicht aufrecht
erhalten können, wären nicht andere
Dinge belastend dazu aetommen.
ornedden hatte sich in peinlichltek
Gel derlegenheit befunden; er war am
Tage des Morde-I- in Bei-tin gewesen,
um ein Darlehn auszutreiben, hatte
leins betommen lönnen und wußte,
daß in Ahrweilers eiserne-n Schrank
Millionen lagen, die ihm von diesem
testamentarisch vermocht waren.
Nach seiner eigenen Aussa e und
dem Zeugniß der Köhneschen milie
war er der einzige Mensch, der zu Abr
weiler etammen war; bei jeder An
wesenheit inBerltn hatte er ihn besucht,
aber er leugnete hartnäckig, das letzte
Mal dort gewesen zu sein, und be
mühte sich, nachzuweisen, miser die
Peit ngehracht hatte. Bei seinem vie
en in- und Her-fahren an jenem
Tage war dies aber nicht möglich; es
blieben Liicken, die er recht ut zu ei
nem Abstecher nach Cha ttenburg
benutzt haben konnte·
Amtsrichter Kilian neigte überdies
der Ansicht u, daß man et nicht mit
einem taltb iitig iiberlegten Mard,
sondern mehr mit ein-ern in der Ver
weislun verübten Todtschiag zu thun
Fabe, un er war bemüht, Dornedden
in dieser R« lang zum Geständnis zu
bringen. IBach dessen eigener Dar
stellung bestand A weileri Benehmen
aus den seltssam en Widersprüchen
Er lebte mit einen Schwestern und
deren Kindern aus gespanntern Jus-,
ließ sie nie zu lich lommen und räurnte
ihnen doch einenEewissen Ein luß auf
fein T un und assen ein. r hatte
eine hnun fnrstlich ein erichtet
und hielt si selbst in des idenen
Räumen aus, beschrönlte eine Be
dienung aus die Frau und Tochter des
Portierä. Er vermachte seinem eennde
den größtenTheil seines acht illionen
zählenden Vermö ens und würde ihm
eine bescheidene «umme niemals ge
liehen oder geschenkt haben. Dorned
den wußte. dasz ihre Freundschaft einen
argen Stoß erhalten haben würde,
wäre er als Bittender zu Ahrweiler
elommen. Der Mann, der durch eine
Schwere Schule des Lebens geringem
war von einem unbesiegbaren Miß
trauen und zog sich zurück wie eine
Schnecke in ihr Haus, sobald er Eigens
nu zu wittern glaubte. « · '
er Amtsrichier fchlosz werter:
Dornedden hatte ihn noch nie mit
einem Anliegen behelligt; aber das
Wasser ging ihm bis an den Hals; er
sah keinen anderen Austerl und wagte
es, Ahrweilers Hülfe in nsdruch zu
nehmen. Er war an jenem düsteren,
schneereichen Tage nach der Uhland
straße gelommen und hatte in der Por
tierwohnung die Aufwärter-in seines
Freundes nicht gesunden. Nachdem er
bei Abrweiler aeschellt, war ihm von
diesem selbst geöffnet worden. Er hatte
ihm seine Bitte vorgetragen, sie waren
in Wortwechfel, in Streit gerathen,
und vielleicht war es Ahriveiler gewe
sen« der den Dolch von der Wand ge
rissen nnd ihn zuerst gezückt hatte.
Dornedden, der Stärkere, hatte ihm
denselben entwunden und blind den
Stoß geführt, der. wie dies in solchen
Fällen häufig geht, nur zu gut getrof
fen hatte. Von Entsetzen gepackt, war
er geflohen, nur daraus bedacht,unge
sehen hinwegzulommen, ohne daran zu
denken, sich von den vorhandenen
Schätzen etwas anzueignem Wahr
scheiniich hatte er in jenem Au endliel
nicht einmal darn gedacht, daß ge doch
sein eigen würden. Später war ihm
diese Ueberlegung aelommen, und er
hatte sich als Erbe gemeldet.
Wenn der Amtsrichter dem unglück
lichen Dornedden alle diese Dinge vor
rechnete und ihm in den Mund legte,
sich zu der That zu belennen und sie
als einen Akt der Nothwehr hinzufteli
len, dann lächelte dieser trübe und ant
wortete seufzend: »Ja, ja, herr Amts
richter, Sie schildern das so anschau
lich, »als ob Sie dabei gewesen wären,
es konnte sich wohl auch so zugetragen
haben.'«
»Sagen Sie doch endlich: es hat sich
io zugetragen!« drängte ihn dann Ki
lian, und regelmäßig schwieg der Ver
haftete etliche Minuten. schaute nach
denllich vor sich hin und seufzte schwer
Statt des erwarteten Geständnis-fes
tam dann aber der Ausrus: »Ich habe
es nicht gethan! Jch lann nicht zu
geben, was ich nicht begangen habe; ich
bin an dem verhängnisvollen Tage
gar nicht in de»r Ahrweiler’schen Woh
’ klllckg gckvcfclh
Damit endete jedes Verlust Zuletzt
tam noch die dringende Bitte, man
möge ihm gestatten, seinen Sohn zu
sprechen; er fürchte zu sterben und habe
ibm Dinge mitzutbeilen, die siir seine
Familie von größter Wichtigkeit wä
ren, mit dem Prozeß aber gar nicht im
Zusammenhang ständen.
Der Untersuchungs-richtet glaubte
endlich, vielleicht seinem Ziele näher zu
kommen, wenn er das Ansuchen be
willige. Er gab die Erlaubniß.
Willibald Dornedden, davon in
Kenntniß gesetzt, war nach Berlin ge
eilt. Durch Gänge und über Treppen
wurde er nach dem Theile des Char
lottenburgerAmtsgesängnisses geführt,
in dem sich die Zellen iiir die Unter
suchunasaesangenen befinden. Der
Schlüssel drehte sich im Schloß, ein
schwerer Riegel fuhr zurück die Thiir
öffnete sich und schlug hinter ihm so
gleich wieder zu.
Willibald befand sich in einem
schmalen Gemach mit einem vergitter
ten Fenster und der dentbar einsachsten
Ausstattung- aber er hatte sich das Ge
fängniß noch trauriger vorgestellt. Es
war doch hell darin; es war ein wenn
auch nur dürftiges Bett, ein Tisch, ein
Strvbitubl, außerdem eine Schüssel
und eine Kanne rnit Wasser zum Wa
ichen vorhanden.
Dornedden, der aus dem Stuhl ge
sessen hatte, sprang beim Eintritt des
Sohnes aus mit dem Nase: «Mein
Willibald!« und hab die Arme, um ibn
an die Brust zu ziehen, liesz sie aber
wieder sinken und murmelte: »Nein,
nein. das dars ich nicht!«
«Bater?« rief Willibald und trat
ibm einen Schritt niiber.
Der Verbaitete wich aber uriiek und
sagte abwehrend: »Ein Miit r bat je
des Recht aus seine Kinder verwirtt!«
Ein eisiger Schauer durchsuhr Wil
libald. Der böse Verdacht kroch wie
der in ibin empor, ringelte sich wie
eine Schlange um sein here und seine
Gedanken. Da aber war es ihm, als
trete seine Mutter licht und ttar aus
dunklen Welten hervor; sie stellte sich
neben des Vaters so traurig verfallene
Gestalt und hielt Lchiitend die Hand
iiber ihn. Wie ein iiser Spuk vor dem
Tageslicht entstehen seine Gedanken;
er streckte die Arme aus, legte dai
haupt des nnglüalichen Mannes an
seine Brust und sagte mit zartlichern
Vorn-urs: »Vater! tvie kannst Du so
sprechen? —- Du bist kein Wörderi —
Nicht nur Deine Frau, Deine Kinder
W
und Schwiegertinder, auch der größte
Theil Deiner Freunde und Bekannten
»Ich danke Dir --- ich danke Tir!«
aniwrrtete mit halberstickter Stimme
Tornedden und drückte sich fester an
des Sol-ne- Bruftx Thriinen rennen
aus seinen hohlen Au in den weiß
gewordenen Bart. »Zei; thut Alle
mehr, als ich selbst; mir ist ost, als
hätte ich die That angen, und wäre
es nicht um Euretwi en, ich "tte mich
schon dazu bekannt, um die « ual los
zuwerden.«
Wieder durchzuckte ein Schreck den
jungen Mann; hatten des Vaters Gei
fteslriiste vielleicht gelitten? —- Ward
er vonWabnvorstellungen heimgesucht?
—- Priifend schaute er im ins Gesicht;
das tiefeingesunlene Auge blickte ihn
zwar traurig, aber mit voller geistiger
Klarheit an.
,,Gied Dich nicht solchen krankhaften
Vorstellungen hin,« redete er ihm zu.
»Diese schwere Zeit wird vorübergehen,
Deine Schuldlosigteit wird erwiesen
werden -——'«
.Wodurch? —- Wodurch?« seufzte
Dornedden verzweifelnd.
.Das weiß ich zwar nicht; ader ich
bade die feste Zuversicht, daß es ge
schieht!" antwortete Willibald, »Du
wirst glänzend gerechtfertigt bald zu
uns zurücktehren."
»We) inzwischen Alles au Grunde
gegangen ist!« sagte Dornedden und
bettete das Auge aus den Boden.
Willibald legte den Arm um seine
Schulter und rief fröhlich und math
voll: »Mein Vater! so steht- es nicht;
mit Hülfe der Schwiiger und des Bei
standes anderer Freunde ist es der
Mutter und mir gelungen, das arg
ariäbrdete Schiff durch die Klippen zu
— fteuern; es ist fest beinahe wieder
flott·"
»Erziihle!« bat der Vater, und die
gebeugte Gestalt richtete sich ftrafser
empor. Er sege sich auf sein Bett
und wies dem ·· ohn den Stuhl an.
Willibald berichtete nun, was in
zwischen von ihm und der Mutter im
Geschäft gethan worden war. »Die
Mutter ist eine seltene Frau,« fügte er
hinzu; »sie läßt sich von ihrem Schmerz
nicht niederbeugen, bewahrt immer
ihre ruhige, zur-ersichtliche haltung; sie
ist der Kopf, ich bin nur der ausfüh
rende Arm.«
«Vertleinere Dich nicht!« fiel ihm
der Vater in die Rede, «Jhr seid beide
tüchtige Menschen und tönnt schaffen,
nun Ihr die Arme frei habt, und Der
fenige, der Euch die Hindernisse in den
Weg legte, bei Seite geräumt ift.«
»O Vaterl« wollte ihm Willibald
widersprechen.
Er ließ ihn aber nicht dazu kom
men, sondern winkte ihm zu schweigen
.Laß es gut sein« ich hätte mich Euren
Vorschlägen gegenüber nicht so ableh
nend verhalten sollen," ent eanete er,
»in der Einsamkeit einer Gefängniß
zelle hat man it, über Vieles nach
Zudenten und it Vieles tlar zu wet
den. Kehre ich noch einmal zu Euch
zurück, dann soll es anders werden,
dann sollst Du Theilhaber und der
eigentliche Leiter des Geschäfts sein·"
Willibalds Augen leuchteten auf.
«Walte Gott, daß es bald so weit feil«
rief er, »mit den reichen Mitteln, die
uns dann zu Gebote stehen, läßt sich
Großes erreichen; wir werden Muster
anftalten schaffen, wir werden fiir un
sere Arbeiter nach allen Richtungen
bin sorgen, wir werden —«
Der Vater ergriff ihn am Arm·
»Um Gottes Barmherzi teit willen,
wovon redeft Du, mein ohn?«
Willibald fah ihn betroffen an.
»Nun, von den Ahrweiler’schen Millio
nen; sie sollen schöne Friichte tragen;
nick« umsonst soll er sie in Deine
hände gelegt haben-«
»Willibald, wie tannft Du daran
denten? habe ich Dir nicht, ehe man
mich ins Gefängniß führte, befoglem
teinen Pfennig davon anzuriihren « »
»Das Gebot war überflüssi , lieber
Vater,« lächelte Willibald; » o lange
die Untersuchung schwebt, giebt man
uns teinen Pfennig davon, dennoch ist
uns die Erbschaft seht schon von gro
ßem Nutzen. Unser Credit ist darauf
basirt; sobald Du frei bist, wird sie
DikiiberspwiesenX
--- . —
Quirin-um rang vie »unpr. »U
das habe ich gefürchtet, ich dachte mir,
daß Du in irgend welcher Weise mit
dern Ahrtveiler’schen Gelde rechnen
tolirdest, und das darf nicht sein. Um
Dir tas- zu sagen, habe ich Dich zu
n:ir t«eschieden.«
»Du willst das Geld nicht annehmen
und es womöglich den Ahrweiler’ichen
Verwandten uberweiien?« rief Milli
bald. «Begehit Du damit nicht ein
Unrecht an dem Verstorbenen, in dei
s;n»Einn das sicher nicht gehandelt
i r.
Dornedden schüttelte den Kopi. «Du
irrit Dich, das Geld gehört nicht mir,
ich habe nicht das Recht, auch nur einen
Pfennig davon u verwenden-«
»Aber es ist — ir doch tettanrenta
riich vermacht. Wem gehört es denn?«
«Joiefine Leonhard, der Tochter der
Frau Sanitiitsriithin Leonhard,« er
widerte Dornedden; dern verwundert
aussahrenden Sohne die hand leicht
aui den Mund legend, fügte er hinzu:
,,Unterbrich mich nicht, die Zeit, die
Du bei mir bleiben darfst, wird bald
abgelauien fein und ich habe Dir noch
viel zu ta en. Du weißt, in welchem
Verhältni die Sanitiitsrathisr Leon
hard und Kurt Ahrweitkr zu einander
gestanden haben-«
»Sie waren, wie ich einmal von Dir
chitrt habe, mit einander verlobt und
find getrennt worden. Nähereö hatt
Du rnir nicht mitgetheilt,« antwortete
Willibnld.
»So muß ich ei jeßt thun,« tagte
W
mit einem leisen Seuzzee der Vater
und erzählte dem So ne dieäelbe Ge
schichte, die noch am gleichen age von
der Sanitiitiräthin ihrer Tochter mit
getheilt werden sollte. Nur verweilte
er noch eingehender bei der Jnirigue,
durch die man die Liebenden auseinan
oer gerissen hatte und deren eigentliche
Eriinderin und Triebfeder die fe ige
Majorin Deppner gewesen war; hre
Schwester hatte ihr nur beigestanden.
»Aber wie konnte Ahrweiler auf
einen solchen plumpen Schwindel ber
einfallen!·' rief Willibald, die Hände
zufammenfchlagend «hat er seine
Braut nicht geliebt?«
»Leidenfchaftlich; aber wie sein Ge
müthszuftand nun einmal beschaffen,
war er bösen Einflüsterungen deshalb
um so zugän iicher. Er war schwach
und mißtraui ch, der Gegenwärtige ge
wann ieicht die Oberhand bei ihm, und
ais seine Schwestern mit Beweisen, die
sie Gott weiß wie gefälscht hatten, zu
ihm nach London kamen, da gewannen
fse Macht iiber ihn. Sie redeten ihm
auch wohl zu, Europa zu verlassen, um
Allem aus dem Wege zu gehen, in der
Hoffnung er werde in kurzer Zeit das
Mädchen vergessen haben und gefügig
ihren Wünschen für eine in ibren Au
gen cbenbürtige Heirath nach Berlin
zuriicktehren.«
»Darin haben sie sich aber ge
täuscht?«
»Gründlich. Schon auf dem Schiffe
packte ihn die Neue und er schrieb einen
abbittenden Brief an Sibylla Her
mann. Es half ihm jedoch nichts, das
junge Mädchen war zu tief verlegte sie
hat sich nicht wieder versöhnen lassen.«
»Hm sie ihn denn nicht geliebt?«
»Ich glaube, die alternde Frau liebte
ihn heute noch und sein«-Tod wird ihrem
Herzen eine schwere Wunde geschlagen
--.--A—..-»-«- »m
aven.·
»Aber sie hat sich doch mit einem
Anderen derheirathet.«
,.Wahrscheinlich, um sich dagegen zu
wappnen, daß sie nicht doch nachgiebis
wurde, denn Ahrweiler ließ nicht a
mit Bitten und sandte unverdrossen
Brrese an sie ab, die alle unbeantwortet
blieben. Nachdem er erfahren hatte,
daß sie verheirathet sei, unterließ er es;
aber taum war sie Wittwe geworden
und die erste Trauerzeit vorüber, da
begann das Werden von Neuem, und
ich mußte, als sie nach Berlin gezogen
war, die Bekanntschaft mit ihr er
neuern und ihm das Wort bei ihr re
den. Mit welchem Erfolge das ge
schaä ist Dir ja beiannt.«
» ie verbat sich zuletzt Deine Besu
che,« warf der Sohn ein, »und ließ
auch mich, den Du bei ihr eingeführt
hattest, nicht mehr zu sich kommen. Es
hat mir leid gethan; ich ging gern nach
der stillen Wohnung in der Nettelbect
strage.«
» nd Ahrweiler wünschte so sehr«
daß Du hingingst. Du warst zwar
noch sehr sung und Josefine ein halbes
Kind; aber er hatte schon seine Pläne
mit Euch. Doch das ist nun Alles dor
bei!« seufzte der Vater.
Willibald that das Gleiche, indem
er sagte: »Ich dachte nicht an Josefine
Leonhard; mein Interesse war ander
weitig in Anspruch enommen; doch
das ist nun auch vor ei —- vorbei fiir
alle Zeiten! Aber sprechen wir nicht
von mir, erzähle bitte weiter.«
»Ahrweiler hat bis u seinem Tode
an der Hoffnung festgehalten, es werde
ihm doch noch gelingen, die Geliebte
seiner Jugend Fu versöhnen und als
seine Gattin he mzufiihren. Jch glau
be, es ist selten eine Woche vergangen,
daß er ihr nicht einen rührenden Brief
geschrieben hat, die aber alle unbeant
wortet geblieben sind. Fiir sie stattete
er seine Wohnung mit dem raffinirte
ften Luxus aus; ihr wollte er alle die
Reichthümer-, die er, wie er versicherte,
nur siir sie zusammengehäuft hatte, zu
Fügeen legen. Er hat sie auch oft aus
der rne gesehen; ihrem ausdrücklichen
Verbot entaegen, in ihre Nähe zu kom
men, wagte er nicht.
Die Liebe zur Mutter übertqu er
auch auf die Tochter; es war sein sehn
lichster Wunsch, sie kennen zu lernen,
und meiner Ueberredung ist eö einmal
gelungen, sie ohne Wissen ihrer Mut
ter in seine Wohnung u bringen«
»O Vater, das hättez Du nicht thun
dürfen!« rief Willibald vorwuessvoll
Dornedden neigte das aupt. »Du
hast Recht« ich hätte ej ni t thun dur
fen,« gab er zu, «hiittest Du·aber »ge
ehen, wie unbeschreiblich glücklich ihn
ieser Besuch gemacht hat, so würdest
Du milder darüber urtheilen. Es Ist
übrigens bei dem einen Male ebliei
ben. Josefine Leonhard hat si ent
schieden ewei ert, diesen Besuch zu
wiederho en; re tannte zwar nicht ge
nau das Verhältni , in dem Ahrweiler
zu ihrer Mutter e anden hatte, tm -
te »aber keine De mlichteiten vor t r
Coccb
y HERR-F sagte Willibald, »das jun
ge ödchen hat Charakter.«
«Daiiir ist sie dir Tochter von Si
bylle Hermann,« erwiderte Dornedden
und fuhr dann fort: »Ohne-di Attr
wetter sein törperliches Leiden hatte,
trug er sich mit Todes edanten und
sann daraus. wie er Jose me Leonhard
sein Vermögen zuwenden tönne.«
»Err bauchte es ihr ja nur u ver
machen, er war doch unumf äntter
here seines Eigenthumz!« warf Wil
libald ein.
»Da hast Du wieder den zaghaftem
schwankenden Ahrweiler, wie er leibte
nnd lebte; er fürchtete sich vor seinen
Schweitern.«
»Die konnten ihm doch nichts mehr
anhaben, wenn fein Testament eröffnet
ward!« tagte Willihald lachend.
Gortfekung folgt.)